Dieses Jahr brachte die Hitze der Sommernächte den Tod...
Dafür vergebene Note: 12
21. 8. morgens um 9 "Wir haben einen Doppelmord im Zugigen Winkel 3." Magane warf einen kurzen Blick auf ihre große Karte der Stadt und steckte dann einen Markierungspin in die Straße: "Los geht's."
"Vielleicht sollte ich aufhören mich über die Namen von Ankh-Morporks Straßen zu wundern." Olga nahm den Spurensicherungskoffer und sah ihre Kollegin auffordernd an.
Wie gewöhnlich übernahm der Chief-Korporal die Führung, sie kannte die Stadt einfach zu gut. Schon bevor sie zur Wache kam hatte sie begonnen, den Stadtplan zu verinnerlichen, und im Laufe der Jahre war ihre Ortskenntnis immer verlässlicher geworden. Sie nutzte diese Kenntnisse mit einer ruhigen Autorität, der sich auch ortskundige gebürtige Ankh-Morporker instinktiv unterordneten. Unangenehmer Nebeneffekt war allerdings, dass damit auch - wie selbstverständlich - immer ihr das Lenken des Einsatzwagens überlassen wurde. Genauso kam es ihr auch zu, auf dem Weg zum Stall einem Gerichtsmediziner Bescheid zu sagen und RUM zu informieren. Wenige Minuten später war der Wagen mit den beiden Tatortwächterinnen und Avalania auf dem Weg zum Tatort. Der diensthabende RUM-Ermittler würde später nachkommen.
Der Zugige Winkel war in der Nähe der alten Stadtmauer, Morpork, nicht gerade die beste Gegend, aber auch nicht das Schlechteste was einem passieren konnte. Und nun gab es dort zwei Leichen, zwei Tote mehr, wieder zwei Leben, die gewaltsam beendet wurden. Während Magane den Wagen durch den vormittäglichen Verkehr lenkte, versuchte sie sich gegen das, was sie am Ziel erwartete, zu wappnen. Gewaltsame Tode waren nur selten friedlich, die Arbeit als Tatortwächter brachte automatisch die Beschäftigung damit mit sich. Blut, Exkremente, Zerstörung - die äußeren Umstände waren meistens sehr belastend. Die Verletzungen des Körpers des Opfers und die Veränderungen des Todes waren Dinge, die man kennen musste um zu verstehen was geschehen war, aber es war immer eine Herausforderung sie zu sehen. Mit der Zeit gewöhnte man sich daran, dennoch fand das Grauen immer wieder einen Einschlupf in das Bewusstsein. Manchmal reichte eine Kleinigkeit: ein Geruch, eine Farbe, um die hohen Mauern des Geistes zu sprengen. Jedes Mal hoffte sie, dass es nicht so schlimm werden würde.
Doppelmord konnte viel bedeuten. Details hatte die Meldung nicht enthalten, darin lag das eigentliche Kommunikationsproblem, aber das dem Kommandör zu erklären war relativ sinnlos. Also wartete weiterhin an jedem Tatort eine Überraschung. An diesem speziellen Tatort wartete auf die drei Wächterinnen zunächst einmal ein SEALS-Wächter, der langsam etwas ungeduldig wurde. Er sah seine Aufgabe nicht darin an einem Haus herumzustehen, seine Aufgabe war der Streifendienst und zwar mit seinem Partner, der inzwischen wohl schon ganz woanders war. Ungeduldig klopfte er mit den Fingern auf dem Türpfosten und allein die Tatsache, dass er an der Hauswand lehnte, rettete seine Füße vor Maggies Fahrstil
[1].
Olga und Magane waren allein in die Wohnung gegangen, je weniger Personen desto besser. Der Tatort bot zunächst keinen besonders schaurigen Anblick: Eine normale kleine Wohnung, ein unordentliches Schlafzimmer, ein zerwühltes Bett, zwei Liebende.
Tote Liebende.
Junge, tote Liebende.
Nackte, junge, tote Liebende.
Der Körper des Mannes bedeckte die Frau beinahe vollkommen, einzig ihr Kopf und ihre Beine waren zu sehen. Ihr Gesicht wirkte friedlich, gelöst, beinahe glücklich - sie musste sehr schnell gestorben sein. Eine Fliege hatte ihren Weg in den Raum gefunden und sich auf den Rücken des Mannes gesetzt. Der Rücken wies das entscheidende Indiz für einen Mord auf, eine kleine, kreisrunde Verletzung. Abgesehen von dieser Verletzung und der Totenstille, die die Opfer umgab, war kaum etwas ungewöhnliches an dem Raum. Olga räusperte sich.
"Sie sind nackt."
"Wer ist das in
der Situation nicht?"
"Ähm... wir müssen sie anfassen."
"Ja, das müssen wir, wir haben schon weit schlimmeres angefasst als nackte junge Leute. Aber erstmal bleiben die beiden wo sie sind, und wir kümmern uns um den Rest."
Das kreisrunde Loch im Rücken hatte Magane auf eine Idee gebracht: Sie konnte nur hoffen, dass die Toten nicht bewegt worden waren oder sich selbst zum Zeitpunkt ihres Todes stark bewegt hatten, aber andererseits waren ein paar Zentimeter in diesem Zusammenhang wohl kaum entscheidend. Sie stellte sich genau mit dem Rücken zu dem Pärchen auf und sah aus dem Fenster, bei dem es sich um ein altmodisches und keineswegs einbruchsicheres zweiteiliges Schiebefenster handelte, dessen oberer Teil etwa fünfzehn Zentimeter weit offen war. Sie blickte direkt auf ein gegenüberliegendes Haus mit einem verhältnismäßig flachen Dach.
"Holst du mal Ava rein, ich glaube kaum, dass wir hier Täterspuren finden." Dieser Tatort weckte den Triffinsziel in der Tatortwächterin, jetzt galt es die Ballistikexpertin in der Gerichtsmedizinerin zu wecken.
Vorsichtig tastend schob Ava ein stumpfes aber recht langes Instrument - sie nannte es Sonde - bis zur Hälfte in die Verletzung auf und knotete an dessen Ende eine Rolle Bindfaden fest. Olga nahm ihr die Rolle ab und reichte sie an Magane weiter, die am Fenster stand. Sie hielten den Faden gespannt ohne allerdings die Sonde aus dem Schusskanal zu ziehen und versuchte den Faden so zu spannen, dass er die gerade Verlängerung der Sonde wurde
[2]. Ava blickte dann an dem Faden entlang und bestätigte Maganes Vermutung, dass der eigentliche Tatort nicht etwa dieses Zimmer sondern das gegenüberliegende Dach war.
"Mir wird wohl nichts anderes übrig bleiben als mir dieses Dach anzuschauen... Ich glaube kaum, dass ihr mich begleiten möchtet - oder?"
Anstelle einer Antwort bekam sie nur geschäftiges Schweigen, ihre beiden Kolleginnen hatten plötzlich so viel zu tun, dass sie sie kaum gehört hatten. Der Chief-Korporal seufzte. Manche Dinge änderten sich halt nie.
Obwohl Magane jetzt schon seit fünf Jahren kein Triffinsziel mehr war, hatte sie neben ihrem Dienst immer weiter trainiert. Sie kletterte noch immer mindestens einmal im Monat an einer Hauswand hoch und kontrollierte wöchentlich den Weg über die Dächer zu ihrer Wohnung, schon allein deshalb, weil sie sich dann sicherer fühlte. Natürlich machte sie auch Schießübungen; zwar hatte sie nicht mehr vor, jemals wieder als Schütze zu arbeiten - aber Fähigkeiten, die man einmal erworben hatte, sollte man wach halten. Zudem hatte so ihr Großvater eine fähige Testerin für seine neuen Bögen und Armbrüste.
Am hellen Tag war sie aber schon lange nicht mehr an einer Hauswand hochgeklettert, und sie hatte auch nicht vorgehabt das bei dieser wieder damit anzufangen. Die Bewohner der Dachwohnung waren ausgesprochen freundlich und entgegenkommend gewesen, nachdem sie ihnen versichert hatte, dass für eventuelle Schäden die Wache aufkommen würde. Nun hockte sie also auf dem Dach und suchte nach einer guten Schussposition. Die erste Regel für Scharfschützen war:
"Sei unsichtbar." [3], aber war das in diesem Fall wirklich so wichtig gewesen? Schließlich waren die beiden Opfer ja hauptsächlich miteinander beschäftigt gewesen und hatten sicherlich keinen Angriff erwartet. Also ging sie zu Regel Nummer zwei über:
"Riskiere möglichst wenig.". Wo war das Risiko für das eigene Leben am geringsten? Das Dach war relativ flach; Magane beurteilte das Risiko überall als recht gering. Aber am geringsten war es sicherlich hinter dem Schornstein, wo man gleichzeitig auch weitgehend sichtgeschützt war. Am Schornstein angekommen bemerkte die Wächterin, dass der Schütze keine Ahnung von der dritten Regel -
"Sei hinterher nie dort gewesen." - hatte. Er hatte offenbar geraucht, und dabei hatte er sich nicht auf die Kippe danach beschränkt. Entweder hatte er hier länger gesessen oder er hatte sich eine Zigarette an der anderen angezündet. Für letzteres sprach, dass sie nur ein einziges Streichholz fand. Sie verewigte das Kippenmuster auf mehreren Ikonographien, nahm dann die Keinesorgehandschuhe aus ihrer Umhängetasche, streifte sie über und begann Spuren zu sichern.
22. 8. - nachmittags"Hey, Ava, bist du schon mit unseren Liebenden fertig?"
Die Zwergin, die gerade in eine Autopsie vertieft war, zuckte zusammen und hatte sich blitzschnell mit ihrer Axt in der Hand herumgedreht, dass die beinahe von ihrem Arbeitshocker gefallen wäre. Es gab deutlich bessere Orte um Zwerge zu erschrecken als die Gerichtsmedizin der Stadtwache, aber trotzdem gelang es Magane immer wieder. Nicht dass sie etwas gegen Zwerge hätte, ganz im Gegenteil, mit Avalania arbeitete sie sogar recht gern zusammen, aber es war einfach zu verlockend...
"Ach du bist's." Ava schaute ihre Vorgesetzte grimmig an und klappte die Axt wieder zusammen. "Ja, ich hab den Mann fertig und bin fast soweit die Frau wieder zumachen zu können."
"Und?"
"Lies meinen Bericht." Vielleicht wäre es dieses Mal besser gewesen die Zwergin nicht zu erschrecken, aber solche Einsichten kamen ja meistens zu spät.
"Ach, komm schon. Berichte sind doch eher was für Ermittler. Hast du eine Todesursache feststellen können?"
"Ja."
"Gehe ich recht in der Annahme, dass es sich dabei um einen Armbrustbolzen handelt?"
"Ja."
"Keinen normalen Bolzen?"
"Ja."
"Kein Zwergenfabrikat?"
"Ja."
"Kannst du mir den Bolzen mal zeigen?"
"Ja. Aber nicht anfassen."
"Das versteht sich von selbst."
Avalania hatte das Schälchen mit dem Bolzen neben sich stehen gehabt und reichte es Magane, die ihn sich gar nicht lange anschauen musste: Sie erkannte den Bolzen sofort, auch wenn er verformt war, weil ein Knochen ihn gestoppt hatte. Ein spitzer Hochgeschwindigkeitsbolzen, stahlummantelt, kaum sichtbare Schweißnaht, spiralförmige Rillen für den Drill und kreuzende Kerben für die Sehne. Seit etwa einem Jahr im Handel, hohe Reichweite, hohe Treffsicherheit, nur bei einem einzigen Händler der Stadt im Sortiment.
"Ich denke, ich mach Feierabend", waren die Worte mit denen sie der Gerichtsmedizinerin das Schälchen zurückgab.
Wechters beste Bögen stand über der Tür zu dem Laden im Souterrain des Hauses Schimmergasse 17. Bisher hatte Magane dieses Geschäft - das Geschäft ihres Großvaters - nie als Bedrohung angesehen. Sie hatte immer auf dem Standpunkt gestanden, in einer Stadt wie Ankh-Morpork wäre eine Waffenhandlung mehr oder weniger kaum ein Problem. Die Waffen ihres Großvaters waren auch sehr teuer, viel zu teuer für die üblichen Straßenkriminellen. Natürlich hatte sie immer ein schlechtes Gewissen gehabt wenn sie sich klar machte, dass dies die Umgebung war in der ihr Sohn aufwuchs. Immer wieder fragte sie sich, was Tom genau von seinem Uropa lernte; zwar wusste sie, dass er für seine fünf Jahre schon erstaunlich weit war - er konnte etwas rechnen, lesen konnte er auch von Tag zu Tag mehr, und sogar ein paar Worte Omnianisch kannte er schon - aber trotzdem konnte auf die Dauer eine Waffenhandlung nicht die richtige Umgebung für einen kleinen Jungen sein, sie würde sich bald für eine Schule entscheiden müssen. Sie ging die drei Stufen zum Laden herunter und trat dann aus der Schwüle des Nachmittags in die waffenstarrende Kühle des Verkaufsraumes. Die selbstgebaute Türglocke kündigte sie an; sie hielt sich aber nicht lange mit dem Verkaufsraum auf, sondern ging gleich durch in die Werkstatt.
"Opa, hast du neuerdings einen Kunden für die omnianische Hochgeschwindigkeitsmunition?"
"Guten Abend, mein Kind, seit wann interessieren dich meine Kunden?"
"Seit deine Kunden Morde begehen - wo ist Tom?"
"Oben, er hilft in der Küche, da gibt es auch einiges zu lernen, wie du weißt."
Die Einstellung, die die beiden alten Omnianer zur Bildung hatten, war manchmal so fortschrittlich, dass sich Magane fragte, wie ihre Großeltern es so lange in ihrem Heimatland, wo Mädchen und Jungen streng getrennt aufwuchsen, ausgehalten hatten. Selbst in Ankh-Morpork war es noch lange nicht normal, wenn kleine Jungs in der Küche halfen und dabei nebenbei lernten, sich selbst zu versorgen.
"Natürlich, sagst du mir nun, wer die Munition gekauft hat, die du eigentlich gar nicht verkaufen wolltest?"
"Bist du sicher, dass sie von mir kommt?"
"Du hast gesagt, deine Quelle liefere nur an dich."
"Ja, und ich hätte es gehört, wenn noch jemand diese Bolzen einführen würde - wer treibt schon Handel mit
denen."
Grübelnd ging er an seiner Enkelin vorbei in den Verkaufsraum, wo er in seinen Auftragsbüchern blätterte.
"Kind, das wird zu gefährlich, schick den zuständigen Ermittler her, der bekommt dann eine Liste."
23. 8. - morgens"Du sagst also, dass du verlässlich weißt, dass die Munition mit der das Pärchen getötet wurde, bei deinem Großvater gekauft wurde?" Romulus nahm die erste Dose Superbulle aus dem Sechserpack, das Maggie als Motivator mitgebracht hatte. Er war sich noch unschlüssig, ob es sich um eine nette Geste oder um einen Bestechungsversuch handelte.
"Absolut sicher, aber ich bekomme keine Käuferliste von ihm... Er ist da sehr korrekt."
"Was ist so besonders an dieser Munition?"
"Hauptsächlich ihre Reichweite und Durchschlagskraft. Seit ihrer Entwicklung wurde sie nur ein paar mal verwandt: immer bei Attentaten, immer in Omnien."
"Omnien - das ist interessant; bei den beiden Toten handelte es sich um Paul Müller und Tanja Köster. Herr Müller war Omnianer, seine Freundin allerdings ein morporker Mädchen. Ich werde mir die Käuferliste besorgen."
24. 8. - nachts um 11Die Leute sprachen von Feuerwerken, von Erdbeben, die durch den gesamten Körper liefen, vom kleinen Tod, aber noch nie hatte Anja gehört, dass einer gesagt hätte, die Farben seien blass geworden und der Körper werde taub. Die junge Frau wusste nicht, wann sie aufgestanden waren, aber jetzt standen sie neben dem Bett, das plötzlich sehr weit weg wirkte. Ein Hüsteln wie Donnergrollen weckte sie aus ihren Gedanken.
ANJA KOCH UND KARSTEN BOTCHEK?
Beide sahen sich kurz an und nickten dann zögerlich; nach wenigen Augenblicken fand Karsten seine Sprache wieder: "Wer sind Sie, was machen Sie in meinem Schlafzimmer und woher kennen Sie unsere Namen?"
Die große, schlanke Gestalt in der Kutte sparte sich eine Antwort und wies stattdessen nur mit der Sense in Richtung Bett, wobei er beiläufig die dünnen silbernen Fäden durchtrennte, die die beiden frisch Verstorbenen noch mit ihren Körpern verbanden. Wäre Anja noch am Leben gewesen, hätte sie beim Anblick ihres toten Freundes sicherlich geschrien - eine Tatsache die ihr augenblicklich klar wurde, als sie ihren schlaff zu Boden hängenden Arm sah. Karsten hätte vermutlich nicht geschrien, aber jetzt, wo das Leben an sich unbedeutend und blass wurde, fiel es ihm ausgesprochen schwer sich vorzustellen, wie er reagiert hätte. Auch seine anfängliche Empörung war zu kalter Asche geworden, er hatte nicht das Bedürfnis weitere Fragen zu stellen. Schamgefühl kam sie beide nicht mehr an, sie waren sich ihrer Nacktheit kaum mehr bewusst. Man sagt immer, während des Höhepunktes zu sterben sei ein schöner Tod. Karsten und Anja wussten nun aus erster Hand, dass es sich dabei um einen Irrglauben handelt - aber wem sollten sie das schon noch sagen. Sie verblassten Hand in Hand und gingen gemeinsam weiter in die nächste Welt.
25. 8.Am folgenden Morgen wurden Magane und Olga zu einem unlizensierten Diebstahl in den Tempel der geringen Götter gerufen. Jemand hatte den Opferstock für Sisifossi, den Gott der Langzeitstudenten
[4] aufgebrochen und eine angeblich üppige Beute gemacht. Sicher, in den meisten Gilden würden in den kommenden Wochen Abschlussprüfungen sein, aber welcher Gildenschüler (die Assassinen mal ausgenommen) hatte schon genug Geld um es zu opfern? Der Hausmeister, der den Diebstahl entdeckt hatte, schwor jedenfalls, dass gerade in den letzten Tagen die Spendenbereitschaft stark zugenommen habe und dass nur rein zufällig ausgerechnet jetzt keine Schüler dort seien, hätten sich doch zuletzt sogar Schlangen gebildet. Die beiden hatten keinen Zweifel: Der Mann log wie gedruckt, aber damit durften sich dann die Ermittler herumschlagen. Nach einigen Minuten intensiver Arbeit mit Puder und Pinsel hatten die Tatortwächterinnen mehrere mehr oder minder vollständige Sätze Fingerspuren aus der Umgebung des Opferstocks, jedoch keine von seiner Oberfläche. Das Schloss war zwar geknackt, aber das ließ bei seiner Bauart weder Einfallsreichtum noch besonderes Geschick bei dem vermeintlichen Dieb vermuten. Im Inneren des hölzernen Behälters roch es nicht nach Geld - der spezielle Geruch von vielbenutzten schmutzigen Münzen, der schon nach kurzer Zeit dem Inneren jeder Spardose anhaftet, hätte vorhanden sein müssen, wenn es sich tatsächlich um einen Diebstahl handelte. Der Hausmeister wehrte sich nur kurz gegen eine Abnahme seiner Fingerabdrücke zum Abgleich, sah aber dann ein, dass es für ihn besser aussah, wenn er kooperierte.
Nach zwei Stunden waren sie jedenfalls zurück im Wachhaus, und kaum hatten sie in ihrem gemeinsamen Büro den S.T.Au.B. aufgefüllt, klopfte es an der Bürotür. Da Magane am Materialschrank hinter der Tür stand und selbige nicht in den Rücken bekommen wollte, machte sie sie kurzerhand auf anstatt zu antworten.
"Ihr seid ja schon wieder da." Laiza hatte offensichtlich nicht erwartet, dass ihr Klopfen gehört wurde.
"Ja, war keine große Herausforderung."
"Als ihr gerade weg wart kam, die Meldung von einem weiteren Doppelmord rein. Ich hab Silly und Charlie hin geschickt. Von den beiden kam eben eine Taube. Scheint wieder ein einzelner Schuss aus einer Armbrust gewesen zu sein. Hast du gerade Zeit, Maggie?"
"Lass mich raten: Du möchtest, dass ich mir das gegenüberliegende Dach anschaue."
"Die beiden haben sogar den Winkel festgestellt, sie scheinen euren Bericht gelesen zu haben. Sie sind im Schleichweg 56, bei Botchek."
"Ich bin so gut wie unterwegs", murmelte Magane und begann, das Wichtigste in ihre Umhängetasche zu packen.
Im Gegensatz zum letzten Fundort war die dem Schleichweg 56 gegenüberliegende Dachflanke die Sonnenseite des Daches; das verriet schon der erste Blick aus dem Fenster. Sie hatte einen kurzen Blick auf die Toten geworfen: wieder ein Paar, wieder jung, wieder bei der gleichen Tätigkeit gestorben. Nachdem sie dem anderen Tatortwächterteam gedankt hatte, dass sie sie gerufen hatten, hatte Magane sich auf den Weg zum Dach gemacht. Grundsätzlich war das Herumklettern auf Dächern, wenn mans gelernt hatte, eine feine Sache; bei 33 Grad Lufttemperatur und direkter Sonneneinstrahlung wurde so ein dunkel gedecktes Dach allerdings schnell zum Grill. Nun war Magane aufgrund ihrer Jugend im heißen Omnien und ihrer speziellen Erfahrungen mit Feuer gegen Hitze nicht mehr so empfindlich, aber sie war trotzdem froh, dass sie an dicke Handschuhe gedacht hatte. Auf den Dachpfannen hätte man Steaks braten können. Wenigstens war auch hier wieder eine Frau in der obersten Wohnung daheim gewesen, die sich hatte bequatschen lassen. Morporker Hausfrauen waren anscheinend nicht mehr besonders misstrauisch. Dieses Dach war um einiges steiler als das letzte, normalerweise hätte Maggie sich bei einem solchen Winkel lieber halb sitzend fortbewegt. Leider hatte sie daran im Wachhaus nicht gedacht, denn die Uniformhose war deutlich zu dünn für ein solches Manöver. Der Tatort war omseidank nicht schwer zu finden: wieder ein Schornstein, wieder viele Zigarettenkippen... Schon auf den ersten Blick wusste sie, dass es der gleiche Täter sein musste - das Muster war nicht zu übersehen. Sie machte einige Ikonographien und begab sich dann ans Einsammeln.
26. 8. - morgens"Es ist der gleiche Tabak, und die Blättchen sind auch von der gleichen Marke."
"Bist du sicher?"
"Natürlich - weiß gar nicht wie man dieses Zeug rauchen kann, angeblich wird es mit getrocknetem Kameldung gestreckt. Widerlich!"
Magane enthielt sich eines Kommentars zu den Rauchvorlieben einiger Gnome denen sie begegnet war; jeder hatte ein Recht auf seine Meinung, und sie musste Ratti Recht geben: Tabak mit Kameldung war fies. Stattdessen fragte sie lieber: "Hast du noch was?"
"Der Sabber von dem Typen enthält ziemlich viele Spuren dieser Ekelkippen. Bring mir eine Speichelprobe eines Verdächtigen und ich sag dir, ob er's war; aber bis dahin hab ich nichts weiter."
Die Tatortwächterin bedankte sich und verließ nachdenklich das Labor. Soweit sie wusste gab es nur einen Tabak, bei dem sich hartnäckig das Gerücht hielt, er sei mit Kameldung gestreckt. Dabei handelte es sich um ein klatschianisches Produkt, und das Gerücht basierte auf der uralten Feindschaft zwischen Klatsch und Ankh-Morpork. Angeblich wäre das Kraut der Handtuchköpfe so stark, dass es gestreckt werden musste - eben mit dem Dung des Tieres, das auf der Verpackung abgebildet war. Angeblich verleihe dieser Umstand dem Tabak angeblich sein besonderes strenges Aroma. Bisher hatte sich noch niemand mit dem Wahrheitsgehalt des Gerüchtes beschäftigt, aber das war auch gar nicht notwendig, schließlich interessierten sich morporker Bürger in solchen Dingen nicht wirklich für die Wahrheit. Es würde sowieso kein Einheimischer dieses Kraut rauchen, es wurde beinahe ausschließlich von Einwanderern von der anderen Seite des runden Meeres geraucht. Munition aus der alten Heimat, Tabak aus Klatsch... Um was ging es hier?
27. 8. - mittagsDie Liste, die Romulus von Herrn Wechter bekommen hatte, war kurz gewesen und hatte sich durch einen kurzen Besuch bei DOG nochmal stark verkürzen lassen. Die drei Assassinen die darauf standen hätten sicherlich Quittungen hinterlassen. Tatsächlich blieb nur ein einziger Name übrig; zwar hatte er keine Adresse dazu, aber wenn er Wechters Verdacht folgte und in den omnianischen Gemeinden fragte, würde er schon fündig werden. Laut dem DOG-Archiv gab es drei offizielle omnianische Gemeinden in der Stadt: liberal, reformiert und konservativ. Ein Täter der gemischte Paare beim vorehelichen Vergnügen erschoss würde sich wohl am ehesten in der konservativen Gemeinde wohlfühlen, also bei denen, die immer noch mit Feuer und Schwert auf die Ungläubigen losgingen, wenn man sie ließe.
30. 8. - vormittags"Es muss doch nicht gleich was passiert sein - wenn deine Bekannte mal nicht im Tempel ist."
"Wir haben letzte Woche noch darüber gesprochen, dass sie heute nach dem Gottesdienst mit dem Priester sprechen wollte, wegen der Hochzeit und weil Marco doch ein Ungläubiger ist."
"Naja, kann ja nicht schaden, wenn wir bei ihr vorbei gehen; liegt ja beinahe auf dem Weg."
Der Frauengottesdienst war, wie so oft, gut besucht gewesen, in der Fremde hielten die Frauen länger an ihrem alten Glauben fest, zumindest länger als ihre Männer, die eher an der heimischen Kneipenkultur festhielten. Außerdem bot das Tempelcafe eine wunderbare Gelegenheit zum Tratschen, die hier in der großen Stadt vergleichsweise selten war. Dieser Gottesdienst und das anschließende Tratschen waren die einzigen Gemeindeaktivitäten, zu denen sich Magane hatte überreden lassen; eigentlich war beides nicht ihr Fall, aber es würde sie nicht umbringen. Hier hatte sie schließlich auch lockere Freundschaften geknüpft, Frauen in ihrem Alter zumeist, auch einige jüngere - Sabina Schreiber war eine von ihnen; ein lebhaftes Mädchen von zweiundzwanzig Jahren mit nussbraunen Augen und fast schwarzen Locken. Sie war in Ankh-Morpork geboren, aber ihre Eltern waren sehr traditionell eingestellt und hatten entsprechend reagiert, als sie mit dem Quirmianer Marco DaSilva nach Hause kam. Sie hatten von ihr verlangt die Beziehung sofort zu beenden, und als sie das nicht tat, hatten sie sie hinaus geworfen und feierlich erklärt, sie sei nicht mehr ihre Tochter. Aber die Beziehung der beiden war stärker gewesen; sie hatten sich eine gemeinsame Wohnung gesucht und wollten im Winter heiraten. Gerade deswegen war es so merkwürdig, dass Sabina nicht zu ihrem Termin bei dem Priester gekommen war.
Natürlich hatte sie keinen Schlüssel zu der Wohnung ihrer Freundin, so eng war ihre Bekanntschaft nicht gewesen, aber sie wusste, dass das Schloss ein Witz war, mit dem richtigen Schubs an der richtigen Stelle würde es aufgehen. Sie klopfte drei mal mit gebührendem Abstand dazwischen, und als niemand antwortete, gab sie der Tür den Schubs. Wenn Sabina sie dabei erwischte, gäbe es mächtigen Ärger, aber Maggie hatte nicht das Gefühl, dass sie erwischt werden würde.
"Oma, du bleibst besser erst mal hier draußen."
"Kommt nicht in Frage! Wenn du nicht Recht hast, sitzen wir beide in der Tinte, weil du hier eingebrochen bist, da ist es egal ob ich Schmiere stehe oder ob ich mit rein komme..."
"Und wenn ich Recht habe, finden wir da drin zwei Leichen."
"Nicht die ersten, nicht die letzten..." Bevor Magane noch irgendetwas erwidern konnte war ihre Großmutter vorausgegangen.
Das Innere der Wohnung war spartanisch eingerichtet, ordentlich und penibel sauber. Sabina sparte jeden Cent, den sie in die Finger bekam, für ein besseres, zukünftiges Leben. Maggie hielt sich nicht mit der offensichtlich leeren Wohnküche auf und ging ohne zu Zögern weiter in den zweiten Raum der Zweiraumwohnung. Das Schlafzimmer war klein. Kaum genug Platz für Bett und Kleidertruhe, auch der Stuhl unter dem schmalen offenen Fenster passte kaum hinein. Dem in der Tür stehenden Betrachter fiel es nicht schwer, den gesamten Raum mit einem Augenblick zu erfassen. Die Hand der Wächterin glitt in ihre Umhängetasche, in der sich allerdings nicht das befand, was sie brauchte...
"Oma, fass nichts an - wir müssen die Wache rufen."
Sie hasste es, mit Befürchtungen Recht zu haben. Sabinas rechter Arm hing schlaff herunter, sie hatte ihn wohl um den Hals ihres ungläubigen Verlobten geschlungen gehabt. Nichts war mehr in Maggies Umhängetasche, das sie irgendwie an einem Tatort gebrauchen konnte, es lag alles fein säuberlich auf ihrem Schreibtisch daheim - hier konnte sie nur beten. Wenigstens hatte sie ihr Gebetbuch, das während der Arbeit immer auf dem Schreibtisch lag, dabei.
"Von hier aus ist es viel näher zur Kröselstraße als zum Pseudopolis Platz. Wir ziehen die Tür ins Schloss und schicken ein paar Rekruten her. Möchtest du schon mal heimgehen?"
30. 8. - abendsMagane saß in ihrem Büro und blätterte in der Akte, der sie vor etwa einer halben Stunde einen weiteren Spurensicherungsbericht hinzugefügt hatte. Natürlich hatte sie diesen neuen Doppelmord nicht selbst untersucht, und eigentlich war sie auch heute überhaupt nicht im Dienst, aber das Dach hatte sie sich schon angesehen. Bis ins kleinste Detail glichen sich die Tatorte, auch hier hatte es wieder diese ekligen Kippen an der günstigsten Schussposition gegeben. Sie mussten diesen Mörder finden bevor er wieder zuschlug. Maggie hatte keine Idee, wie viele gemischte Pärchen es in der Stadt noch geben mochte, aber wer sagte denn, dass der Mörder nicht auch andere Unwürdige oder einfach nur Ungläubige umbringen würde, wenn er keine Pärchen mehr fand? Sie beschloss, noch einmal bei Romulus im Büro vorbeizuschauen wenn sie die Akte und die Indizienbeutel im Labor abgegeben hatte.
"Nun sind es also drei Paare, und alles was ich hab ist ein Name, der auf keiner Liste steht, außer auf der von deinem Großvater." Der RUM-Abteilungsleiter sah wie immer völlig übermüdet aus. Die Akten stapelten sich auf seinem Schreibtisch und in einer Ecke lagen zerdrückte Superbulle-Dosen.
"Wo hast du denn schon gesucht?"
"Naja, in den Mitgliederlisten der omnianischen Gemeinden, zumindest bei den offiziellen."
"Bei den inoffiziellen gibt es wahrscheinlich keine Listen oder sie lassen einen nicht schauen, aber das ist auch egal, jeder Omnianer, der in die Stadt kommt, meldet sich bei einer dieser drei Gemeinden, erst recht jeder Fundamentalist..." Gerade die würden es nicht riskieren, dass man ihnen kein omnianisches Begräbnis zukommen lassen könnte, aber Maggie hatte nicht vor, den Werwolf mit den Feinheiten des omnianischen Glaubens zu belästigen.
"Da bist du ganz sicher?"
"Absolut."
"Dann bin ich ratlos."
"Wie heißt denn dein Verdächtiger?"
"Lukas Müller"
"Das kann nicht sein."
"Doch, das ist der Name auf der Liste - der einzige, der nach Ausschluss der Assassinen übrig ist."
"Das hätte ich nie gedacht."
"Du kennst ihn?"
"Er ist ein Prediger auf der Durchreise; er hat in allen drei Gemeinden gepredigt, die meisten werden ihn für einen Spinner gehalten haben. Hast du nach ihm gefragt oder nur auf den Listen nach ihm gesucht?"
"Die Listen durchgesehen. Die Leute sind nicht gerade entgegenkommend bei Ungläubigen."
"Ja, ich weiß. Ich finde die Adresse heraus. Hauptsache der Kerl kommt hinter Gitter, bevor er das nächste Paar findet."
"Mach das, ich hab sowieso viel zu viel zu tun, ein, zwei Ermittler mehr könnten's schon sein." Magane überhörte den mitschwingenden Vorwurf, vielleicht kam sie irgendwann zurück zu RUM, aber sicherlich würde sie nicht auf einen solchen Kommentar hin sofort eine Bewerbung schreiben.
1. 9. - vormittagsFür eine Beerdigung war das Wetter gut. Über Nacht war ein kalter Wind vom Meer her in die Stadt gezogen. Der Herbst kam früh in diesem Jahr, eine eigentlich willkommene Abkühlung nach diesem so heißen Sommer. Feuchtigkeit kroch die Beine hoch, und das graue Licht drang in die Herzen. Der neue omnianische Friedhof, der außerhalb der Stadt auf einem kleinen Hügel lag, vermittelte schon von seiner Anlage her ein klammes Gefühl. Er bot keinerlei Windschutz und hatte im Gegensatz zu den innerstädtischen Orten der Letzten Ruhe keine Mauer. Seit etwa dreißig Jahren sammelten sich hier die Toten der omnianischen Gemeinden und warteten hier auf den Tag der Wiederauferstehung. Damit sie dies vollständig mit allen ihren Knochen tun konnten, durfte ihre Ruhe nicht gestört werden - deswegen mussten omnianische Friedhöfe groß sein. Magane war schon öfter hier gewesen, zu oft; zu Beerdigungen, zum Besuch - immer hatte sie sich gefragt, ob sie auch einmal hier liegen würde. Meistens fand sie keine Antwort. Auf dem Weg zu dem neuen Grab, in dem heute um elf Sabina Schreiber beerdigt werden sollte, kam sie an der Stelle vorbei, an der sie vor fünf Jahren ihren Mann hatte begraben lassen. Ein Einzelgrab - hier würde sie sicherlich nicht liegen.
Das knöchellange, schwarze Kleid und der halblange, dunkelgraue Mantel hielten die Kälte kaum ab, und die hochhackigen, besseren Schuhe waren gänzlich ungeeignet. Der Priester redete einfach zu lange. Niemand brauchte eine so lange Grabrede. Die Toten hörten sie eh nicht. Die Angehörigen weinten eh. Sie hatte Sabina gemocht, und ihr Tod machte sie betroffen. Irgendwie gab sie sich sogar ein bisschen die Schuld, weil der Täter noch frei herum lief - noch. Es war ihr eine selbstverständliche Pflicht gewesen herzukommen und ein Schäufelchen Erde auf ihren Sarg zu werfen, aber diese lange Trauerrede brachte sie an den Rand ihrer Geduld. Endlich wurde der Sarg langsam in das etwas mehr als zwei Meter tiefe Loch gesenkt, und allmählich setzte sich die Trauergemeinde in Bewegung. Jeder einzelne nahm die kleine Schaufel und warf mit ihr ein kleines Häufchen mit Asche vermischter Erde nach unter, zunächst die Verwandten, dann die Freunde und schließlich die, die aus Pflichtgefühl gekommen waren. Magane war eine der letzten, und mit der Erde schickte sie ein Versprechen mit ins Grab: "Ich werde ihn finden, er wird hängen."
Hinterher war sie sich nicht mehr sicher ob sie es ausgesprochen oder nur gedacht hatte. Dem Blick nach zu urteilen, den der Mann neben ihr ihr schenkte, musste sie es wohl ausgesprochen haben. Wie unangenehm - hoffentlich sprach er sie nicht an. Sie kondolierte noch kurz den Eltern und verschwand dann so schnell wie möglich.
2. 9. - früh morgensDie Gemeindesekretärin war eine zutiefst neugierige Frau, um die fünfzig, graue Locken, spitze Nase. Leider konnte sie es überhaupt nicht leiden, wenn man herumschnüffelte, deswegen mochte sie auch keine Wächter - zumindest nicht solche, die nur Fragen stellten. Wenn allerdings ein Gemeindeglied mit einem Tablett Teilchen und einer Kanne Kaffee auf einen Plausch vorbeischneite, wurde sie gleich freundlicher. Sie konnte es auch nur zu gut verstehen, dass sich in dieser Stadt eine Mutter besondere Gedanken um die rechtgläubige Erziehung ihres Sohnes machte, und natürlich hatte sie Verständnis dafür, dass man dazu die Meinung eines durchreisenden Gelehrten hören wollte. Und selbstverständlich würde sie es nicht ausplaudern, damit es nicht sofort in der ganzen Gemeinde rum wäre.
Alles in allem brauchte Magane eine halbe Stunde Geplauder, einen vorgeschobenen Grund und ein süßes Frühstück um an die Adresse zu kommen. Aber allein würde sie Lukas Müller nicht aufsuchen, der Mann war schließlich ein bewaffneter Fanatiker. Der Dienstweg war da absolut klar: RUM, also Romulus, bekam die Information, er machte die Festnahme, eventuell unter Mithilfe von FROG - sollte er sich als zu gefährlich erweisender. Sie würde mitkommen, auf Abstand, vielleicht mit einer Armbrust; soweit sie wusste hatte FROG gerade keinen Triffinsziel - und wo es doch immer hieß:
Einmal FROG, immer FROG!2. 9. - 12 Uhr mittagsDas Koordinieren einer Festnahme, bei der die Zielperson schwer bewaffnet ist, war keine Aufgabe um die man beneidet wurde. Immer waren irgendwelche Unbeteiligte in Gefahr oder die Zielperson wurde durch irgendetwas vorgewarnt oder jemandem gingen die Nerven durch. Magane wusste, dass immer irgendetwas schief lief, deswegen hatte sie auch so bald kein gesteigertes Bedürfnis, eine solche Aufgabe zu übernehmen - aber Zuschauen war extrem spannend. Von außen betrachtet war die Festnahme perfekt, und die beteiligten Wächter wirkten wie eine gut geölte Maschine. Natürlich würde es hinterher bei der Besprechung Kritik geben, aber von hier oben konnte sie keine Probleme feststellen. Der erhöhte Posten, den sie bezogen hatte, erfüllte natürlich einen Zweck, genau wie die Waffe in ihren Händen, die noch gesichert war und hoffentlich nicht zum Einsatz kam. Sie wusste nicht ob die anderen sie bemerkt hatten - man konnte nie sicher sein, was genau Werwölfe und Vampire wahrnahmen. Reichte ein dezentes Parfüm um erkannt und geortet zu werden? Nun, sie tat ja nichts Verbotenes; gut, dieser Einsatz betraf sie eigentlich nicht, aber immerhin war sie dafür ausgebildet worden, und sollte sie gebraucht werde,n würde sie vielleicht was erklären müssen - aber beschweren würde sich wohl kaum einer. Romulus und Valdimir hatten sich für eine einfache Festnahme mit kleinem FROG-Team im Hintergrund entschieden, sinnvoll, schnell, effizient.
Romulus klopfte. Das war einer der wichtigsten Momente: wenn Müller vorgewarnt war, dann würde er entweder nicht öffnen oder er war gleich bis an die Zähne bewaffnet. Aber anscheinend ahnte der Priester nichts. Er öffnete ahnungslos und ließ den Wächter ein. Was genau dann im Inneren geschah konnte Magane nicht verfolgen. Zwar sah sie immer mal wieder einen der beiden Männer durch eins der Fenster, die sie einsehen konnte, doch das Gespräch blieb ihr verborgen. Jedenfalls ließ sich Müller nach einigen Minuten widerstandslos aus dem Haus führen. Angriffe auf die Staatsgewalt waren ihm wohl nicht vorherbestimmt.
Später erfuhr sie, dass Müller schon hier den großen Fehler gemacht hatte Romulus bekehren zu wollen. Später beim Verhör machte er es nicht besser, indem er versuchte dem müden Werwolf klar zu machen, dass er verloren sei und nur durch Om gerettet werden könne. Nebenbei gestand er die
Befreiung der omnianischen Seelen, die zwar nun verdammt waren, aber nicht mehr weiter sündigen konnten. Den Tod der drei
Ungläubigen betrachtete er als nicht weiter wichtig. Dann erkannte er wohl, dass er den Ermittler nicht bekehren konnte und begann, mit der ewigen jenseitigen Verdammnis zu drohen - was natürlich total sinnlos ist, wenn der Bedrohte nicht an die jenseitige Verdammnis glaubt. Am Ende gab es ein unterschriebenes Geständnis, das keine Fragen offen ließ. SuSi war auch noch an der Überführung beteiligt: Romulus bat Ratti noch um eine Untersuchung des Inhaltes seines Aschenbechers. Sie bestätigte, dass diese Kippen denen von den Dächern entsprachen. Zwar hätte sie gerne mehr von ihrem Können gezeigt und die Rückstände des Tabaks im Speichel des Verdächtigen nachgewiesen, aber so waren die Indizien auch stichhaltig genug.
11. 9. - abendsMit einem Bier allein das siebenjährige Dienstjubiläum bedauern - das war der Plan gewesen... Diesmal wollte sie keine Runde im "Eimer" schmeißen. Andere Wächter hätten nur gestört, sie wollte in Ruhe ihren Gedanken nachhängen. Diese Morde hatten sie erschüttert. Nicht die Gewalt an sich, sondern die Tatsache, dass der religiöse Konflikt nicht mehr nur ein stetes Schwelen in der Heimat war. Ein Eiferer hatte das Töten in Oms Namen über das Meer gebracht. Sechs Menschen waren ermordet worden, weil sie jemanden mit dem falschen Glauben geliebt hatten. Magane hatte Angst - Angst vor dem, was als nächstes kommen würde. Ihre Eltern hatten für ihre Überzeugung in diesem Konflikt ihr Leben gelassen, aber Ankh-Morpork war doch immer sicher gewesen... Hier - hatte sie geglaubt - könne man einfach nur Bürger der Stadt sein, frei im Glauben. Aber damit war es jetzt vorbei, weil es ein Spinner gewagt hatte, den Krieg in die Stadt zu tragen.
Hier im "Weißen Kamel" war freilich kaum etwas davon zu spüren. Hier saß man friedlich bei seinem Bier, in der Ecke spielten drei Musiker Lieder, die an die Heimat jenseits des Meeres erinnerten. Kaum einer suchte das Gespräch, der Wirt drängte sich nicht auf. Lokale wie dieses waren stille Orte des Vergessens, wo das Bier zwar floss, aber nur selten jemand zu viel trank. Das "Kamel" war dem "Eimer" eigentlich sehr ähnlich, nur gab es hier normalerweise keine Wächter.
Als wieder einmal ein Glas voller Luft und Schaum verschwand und eines mit rotgoldenem, kühlen Bier erschien, setzte sich jemand zu ihr, ungefragt, aber sie hatte keinen Drang sich zu wehren.
"Er ist heute hingerichtet worden."
"Ich weiß. Ich war dabei."
"Und nun feiern Sie?"
"Ich wüsste nicht, was ich feiern sollte: Sieben Menschen sind tot, grundlos, mit einem von ihnen war ich befreundet und einen habe ich an den Galgen gebracht - kein Grund zum Feiern."
"Sie haben sechs Opfern Frieden geschenkt..."
"Das macht sie nicht lebendig."
"Nein. Aber es schließt die Akte."
"Was wollen Sie von mir?" Sie hatte die Nase voll, sie wollte nicht spielen.
"Nichts, ein bisschen reden vielleicht." Er sah aus als könne er kein Wässerchen trüben, harmlos regelrecht, schwarze Locken, ein jungenhaftes, aber nicht mehr junges, Gesicht, nettes Lächeln. Nur die Kleidung passte nicht, dieses unaufdringliche geschäftliche Schwarz...
"Danke. Kein Bedarf."
"So ablehnend kennt man die Wache gar nicht."
"Oh, kann es sein, dass Sie mich mit der Wache verwechseln? Ich bin nur eine einzelne Wächterin und ich hab Feierabend."
"Das ist mir bewusst, ich fand nur, dass Sie wissen sollten, dass sich in Omnien weit mehr zusammenbraut als es scheint, und Ankh-Morpork wird über kurz oder lang hineingezogen werden..."
"Ja, danke. Jetzt scheinen Sie mich mit dem Patrizier zu verwechseln, gehen Sie und sagen Sie es ihm."
"Seine Lordschaft weiß Bescheid."
Ende
[1] Wenn man schon mal einen Ruf hat... Ich denke meine Beifahrer wissen was ich meine ;-)
[2] CSI AM, etwas ungenau und unbeholfen, aber Laserpointerdämonen mag ich nicht erfinden und für Spielereien mit normalem Licht haben die anwesenden Wächter weder die Kenntnisse
[5] noch das Material
[3] Genau genommen war dies die dritte Regel, aber irgendwie waren alle Regeln so wichtig, dass man sie getrost als erste betrachten konnte.
[4] Ein Gott der nur noch existiert, weil er sich inzwischen auch für Gildenschüler zuständig fühlt; von den wenigen gläubigen Zaubereistudenten konnte kein Gott leben.
[5] okay, hier schließe ich von Maggie auf die beiden anderen, aber sollten sie diese Kenntnisse doch noch entwickeln, steht es ihnen frei das Material dafür mit sich herumzuschleppen
Zählt als Patch-Mission für den Tatortwächterin-Patch.
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