In einer dunklen Nacht ist am Haufen etwas Ungewöhnliches geschehen. Könnt ihr den Fall lösen?
Dafür vergebene Note: 11
Das Dunkel der Nacht hatte sich über Ankh-Morpork gelegt, als die Ereignisse ihren Anfang nahmen. Und das, was sich ereignete, lief anfangs so unbemerkt für die Einwohner der Stadt ab, dass nicht einmal Frau Willichnicht davon etwas mitbekam. Selbst die Zauberer der Unsichtbaren Universität, die besonders empfindlich für thaumaturgische Vorfälle aller Art waren, deren Intensität über die einer handelsüblichen magischen Dienstleistung hinausgingen und ihr angeborenes Konkurrenzdenken stimulierte, unterbrachen das ausgiebige Abendessen gerade lange genug, um zwischen Hauptgang und Dessert noch eine schnelle Zigarette zu rauchen.
Im Nachhinein waren alle Beteiligten dankbar für diesen Umstand. Sie mochten sich im Geiste nur ungern ausmalen, wie Frau Willichnichts Schimpftiraden ausgefallen wären, hätte sie davon Wind bekommen. Und so schicken noch heute die Gläubigeren unter ihnen Gebete des Dankes an Om, Offler, Annoia, Io oder wer sonst gerade im Dienst ist und versuchen mit größtem Eifer die Angelegenheit zu vergessen.
Die Leute behaupten später gerne, solche Ereignisse vorausgeahnt, ja vorhergesehen zu haben. Zu oft hört man den Spruch Das musste ja so kommen oder Ich hatte schon so eine Ahnung. Doch ist all dies Unsinn und entspringt nur dem Versuch, Dinge erklären zu wollen, die sich nicht rationell erklären lassen, weil sie es einfach nicht sind.
Doch wollen wir der Geschichte nicht vorgreifen, die sich in jener seltsamen Nacht - andere mögen sie sogar schicksalhaft nennen - im Park am Haufen entspann, und so wenden wir unsere Aufmerksamkeit der Vergangenheit zu, an jene Stelle, an der alles begann...Nebel waberte. Er hüllte die Kieswege und verwitterten Steinbrocken ein, die den Haufenpark prägten. Schwaden des kalten Wasserdunstes umschmeichelte Hecken und Büsche, niedrige Bäume und die kärglichen Reste der Ruine. Seine Konsistenz hatte etwas watteartiges und dämpfte die Geräusche der Stadt noch mehr als sonst.
"Meine Güte, könntest du bitte etwas weniger klischeehaft sein?", sagte eine zischelnde, offensichtlich weibliche Stimme.
"Klischee? Was denn für ein Klischee?"
"Ich meine das übernatürliche-Wesen-hüllen-den-Ort-der-Zusammenkunft-in-kalte-Nebelschwaden-ein-Klischee.", zischte eine Andere in sarkastischem Tonfall. Diese gehörte eindeutig in die Kategorie besser wissende Nervensäge.
"Nö."
"Was nö?
Nö, ich bin nicht klischeehaft oder
Nö, ich kann nicht aufhören, mich wie ein klischeehaftes übernatürliches Wesen zu verhalten?", bohrte die Nervensäge nach.
"Nö, ich will nicht aufhören
klischeehaft zu sein."
Die Nervensäge seufzte. Sie drehte sich zu den anderen Gestalten um, die sich mit ihnen hier versammelt hatten und rollte theatralisch mit den Augen. Ihr Blick sprach Bände.
In der Mitte der Haufenruine hatte sich eine Gruppe absonderlicher Gestalten eingefunden. Die Gestalten unterhielten sich leise miteinander.
Eine dickliche Matrone kletterte schnaufend auf einen Steinblock und klopfte mit ihrem langen Stab geräuschvoll gegen den Quader. Die Gespräche verstummten und die Aufmerksamkeit richtete sich auf die Frau.
"Ich danke den Anwesenden für ihre Kommen. Eure Teilnahme zeigt nur zu deutlich, wie richtig wir mit unserem Anliegen... nun liegen. Viele von euch haben bereits so gute Fortschritte gemacht, dass ich sicher bin, dass wir schon sehr bald den nächsten Schritt eingeleitet können", quäkte sie mit einer Stimme, die an einen Teichfrosch denken ließ, "Der Schritt in die Öffentlichkeit."
Beistimmendes Gemurmel und gelegentliches
Hört! Hört! waren die Reaktion.
Oberleutnant Pismire fuhr sich durchs lange Haar, das ihm ebenso zerknautscht aus dem Spiegel entgegensah, wie der Rest seines Gesichts. Seine Nacht war fürchterlich gewesen, ständig war er durch Geräusche der unterschiedlichsten Art wach gehalten worden, das Knarzen einer Bodendiele, dem Piepsen einer Maus, die irgendwo in der Wand ihr Refugium hatte. Dann wieder das Gehuste des Nachbarn von nebenan und schließlich gelegentlich heimtorkelnde Besucher der nahegelegenen Tavernen. Erst in den frühen Morgenstunden hatte er etwas Schlaf gefunden.
Der Schamane gähnte herzhaft und machte sich daran, sein Äußeres wieder in die gewohnte Form zu bringen. Kurz schnupperte er an dem kleinen Krug Ziegenmilch vom Vortag, doch der Geruch machte ihm deutlich, dass es wohl eher Vorgestern gewesen sein musste, als er ihn im Laden um die Ecke erstanden hatte. Deswegen trat er kurze Zeit später auf die Straße, um sich beim Bäcker seines Vertrauens ein Frühstück zu gönnen. Die nächsten drei Tage hatte er frei und gedachte sie auch gebührend zu genießen.
Als er die Bäckerei betrat merkte er sofort, dass hier ganz offensichtlich etwas nicht stimmte. Der Verkaufsraum war verwaist, ebenso die Backstube. Die Auslage enthielt nur ein paar wenige Brote, die noch vom Vortag zu sein schienen.
Auch der sonst übliche verlockende Duft nach köstliche Zimtschnecken mit Pflaumenmusfüllung fehlte.
Aus dem Hinterzimmer drangen leise Stimmen und immer wieder waren Schluchzer einer Frau zu hören.
"Hallo?", rief Pismire eher halbherzig.
Er klopfte gegen den Türrahmen der den Durchgang zur Backstube markierte, um auf sich aufmerksam zu machen. Die Tür zu einer kleinen Kammer öffnete sich und er erhaschte einen kurzen Blick auf ein junges Mädchen, welches auf einer Mehltonne hockte und die Hände vors Gesicht geschlagen hatte, bevor die Tür mit einem lauten Knall wieder ins Schloß fiel.
"Meister Röstfein, alles in Ordnung bei euch?", erkundigte sich der Gerichtsmediziner.
Ein eher missmutiges Brummen war die Antwort. Das Gesicht des Mannes war vor Zorn gerötet.
"Diese... liederliche...", rang er nach Worten und brach dann ab. "Herr Oberleutnant, es tut mir leid. Der heutige Tag verspricht leider nicht angenehm zu werden. Du kommst sicher wegen des Frühstücks. Ich fürchte, die Bäckerei bleibt heute geschlossen."
Der Bäckermeister zwickte sich in den Nasenrücken.
"Kann ich irgendwie helfen?"
"Ich will dich nicht mit unseren Familienangelegenheiten belasten, Herr."
"Aber nein, das ist kein Umstand. Was ist den geschehen?"
"Aufgedonnert, wie eine Näherin auf Kundensuche kam meine Tochter in die Backstube! Und dann behauptet sie auch noch, sie könne gar nicht verstehen, warum sie so angemalt sei! Sie habe sich nicht geschminkt!", redete er sich wieder in Rage, "Die Nacht durchgemacht hat sie! Jawohl! Und will es nur nicht zugeben! Diese jungen Dinger von heute glauben wohl, es ist nichts dabei, von einer anrüchigen Kneipe zur nächsten zu ziehen und Musik mit Steinen drin zu hören! Aber nicht mit mir!"
Den letzten Satz hatte er wieder in Richtung der geschlossenen Tür geworfen.
Es gibt Dinge, die sind einfach in jedem Universum gleich. Wenn es einen Schalter gäbe, auf dem
WELTUNTERGANGSKNOPF! NICHT DRÜCKEN! stünde, es gäbe immer jemanden der darauf drückte um festzustellen, ob das wirklich eintritt. Und dasselbe gilt auch für die Scheibenwelt - im Großen, wie im Kleinen. Lord Vetinaris Feststellung, dass
wenn es einen Stöpsel im Runden Meer gäbe, reichte die Kette mit Sicherheit nach Ankh-Morpork, kann nur als universell gültig bezeichnet werden. Und unter Garantie gäbe es jemanden, der an dieser Kette zerrte, um zu sehen, was dann passiert.
Die Farbe auf dem Schild des
Clubs der disziplinierten Entsagung war noch sehr frisch, als ein speckiger Finger, der zu einer dicklichen Frau gehörte, der Versuchung nicht zu widerstehen vermochte und darüber wischte. Manchmal geht der Verstand eigenartige Wege, um sich der Realität zu versichern. In diesem Fall der sehr realen Feuchte von Ölfarbe.
Die Person, die wir an dieser Stelle der Höflichkeit halber als Dame bezeichnen wollen, war in genug lila Stoff gehüllt, das ausgereicht hätte, ein öffentliches Gebäude darin einzuwickeln. Ein sehr großes öffentliches Gebäude.
Auffallend war, dass diese Dame durch die Tür trat, ohne diese zuvor geöffnet zu haben. In ihrem Beruf war das auch nicht notwendig. Und wenn sie auch nicht den Aufgabenbereich mit Tod teilte, so doch die Vorzüge gewisser Fähigkeiten.
Das Innere des Hauses, zu dem erwähntes Schild und Tür gehörten, war eher spartanisch ausgestattet. Nur ein paar wenige weich gepolsterte Sessel, Chaiselongen und Sofas, sowie genug Spitzendeckchen auf den zahlreichen Tischen, um mindestens die Tische eines ganzen Stadtviertels damit zu versorgen. In der Mitte des Raumes stand ein großer runder Tisch und um ihn herum gruppiert fünf Damen der gehobenen Gesellschaft, die sich bemühten standesgemäße Konversation zu pflegen. Für den heutigen Tag war
Gemüse, dein Freund und Gefährte angesetzt und Frau Eleonique Kuchenbuch gab sich alle erdenkliche Mühe.
"Und dies hier...", dozierte sie, "ist eine Mohrrübe."
Sie präsentierte das Corpus Delicti, als ob es sich dabei um eine heilige Reliquie handeln würde.
Fräulein Rike C. Ment, von den anderen Damen nur Zensi gerufen, errötete.
"Aber, das kann man doch nicht essen.", kicherte sie, "Das ist doch erotisches Gemüse..."
"Ach wie lustig. Ich habe unseren Stallburschen mit einem ganzen Korb davon gesehen. Was er wohl damit anstellt?", feixte eine andere.
Höfliches Kichern war die Folge.
"Nun, zurück zu unseren gesunden Freunden. Das sind Kirschen."
Sie hielt zwei Kirschen hoch, deren Stängel zusammen hingen. Erneutes Kichern aus Rikes Richtung war das Resultat, doch diesmal blieb den anderen Damen der Grund verborgen.
"Kommen wir zu den Pfirsichen."
Rike prustete los und kramte in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch. Frau Kuchenbuch beschloss, weitere Früchte und Gemüse, wie Bananen und Gurken für heute ausfallen zu lassen und wandte sich seufzend den Dipps zu.
Huitztlis Tag in der Pathologie war so außergewöhnlich gewesen, wie Schnee im Winter. Nachdem er zwei Gruppen Rekruten die Freuden der Obduktion unter der besonderer Berücksichtigung der inneren Organe vermittelt hatte, reinigte er die Tische, unterhielt sich dabei noch ein wenig mit Herrn Sanftleben, einem Zombie, der sich vor etwas mehr als neun Monaten der Wache als Probeleiche angeboten hatte. Er sei sehr ungeschickt mit Nadel und Faden, hatte er gesagt. Die Arbeit, die die Gerichtsmediziner hier leisteten, sei jedoch von so hoher Qualität, dass er im Gegenzug für seine Unterstützung beim Unterricht der Rekruten und angehenden Gerichtsmediziner, gelegentlich Nähte ausgebessert bekam und einmal im Monat einen Balsamierungsölwechsel erhielt. Huitztli hatte schnell begriffen, dass der Mann einfach nur einsam war. Er war es wohl vor seinem Tod gewesen und war es danach um so mehr.
Dann war doch noch eine Leiche herein gekommen. Nichts wirklich Besonderes, einfach nur ein armer Tropf, der zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war. Oder am richtigen Ort zur richtigen Zeit, je nachdem, welchen Betrachtungswinkel man einnahm. Der unlizensierte Dieb, der ihn beraubt, ein wenig zu fest mit Frau Gutleibs
Traummeister Nr. 9 zugeschlagen und dadurch getötet hatte, war noch nicht gefunden worden. Weder von der Wache, noch von der Gilde. So jedenfalls hatte Huitztli es später von Chi Petto berichtet bekommen. Egal wer von den beiden ihn früher oder später erwischte, das Ergebnis würde für ihn zum Schluss gleich aussehen. Nur der Weg dahin, war bekanntermaßen sehr unterschiedlich.
Und dann war das Mädchen angekommen.
Ein Schneebesen klapperte in einer Schüssel und jedes
Glop Glop Glop, das als Geräusch dabei entstand, war das akustische Äquivalent einer Kalorie.
"Ich bin sicher, die Dipp-Rezepte von Eleonique sind nur als Basis gedacht. So richtig gut schmecken die ja ohnehin nicht. Aber mit etwas Sahne hier und etwas geklärter Butter da, wird sicher noch etwas Leckeres daraus."
"Bist du sicher, Blödelinde? Du weißt doch, dass ich so stolz auf meine Abnehmerfolge bin.", vergewisserte sich Fräulein Schnapp.
"Aber natürlich!", antwortete Marie-Delphine Buffet gedehnt im Brustton der Überzeugung.
Unbemerkt von den beiden Damen, machte sich eine gewisse weitere Dame in lila Kleidung Notizen in ein kleines Heft.
Pismire sah überrascht auf, als wüstes Geschrei aus dem Archiv zur Pathologie herüber drang.
Neugierig geworden wischte er sich die Hände an einem fleckigen Handtuch ab und lugte um die Ecke. Die Tür zum Archiv war lediglich angelehnt und Licht quoll aus dem Türspalt. Warmer Dunst wallte aus der Tür des direkt angrenzenden Waschraums. Zwei Rekruten, die man strafweise zu einer Waschaktion abkommandiert hatte, riskierten einen verängstigten Blick in Richtung Archiv. Einer der beiden bemerkte Pismire, dann seine blutverschmierten Finger und wurde noch blasser. Hastig zog er sich in den Raum zurück und zerrte seinen Kameraden mit sich.
Die markante Stimme Leutnant Ohnedursts ließ erahnen, dass sich etwas Dramatisches bis Katastrophales ereignet haben musste.
"WELCHER IGNORANTE SABOTEUR WAR DAS?", brüllte er erneut, "GNADEN DIE GÖTTER DEMJENIGEN, ICH WERDE ES GEWISS NICHT TUN!"
Dem verbalen Wutausbruch folgte eine Bekräftigung in Form von schweren Gegenständen, die durch das Archiv geschleudert wurden.
In einem Anfall von selbstmörderischer Missachtung der Laune des Leutnants stieß Pismire die Archivtür mit dem Ellenbogen auf und schaute herein. Der Vampir war außer sich vor Wut und hatte mehrere Aktendeckel gegen die Wand links der Tür geworfen.
"Was ist denn passiert?", fragte der Gerichtsmediziner arglos.
Mühsam versuchte der IA-Agent seinen Zorn unter Kontrolle zu bringen.
"DAS ist passiert!", sagte er bestimmt und hielt eine handvoll Seiten eines Wachedokuments hoch, das offenbar ein Gesprächsprotokoll eines IA-Verhörs war, "Und DAS! Und DAS!"
Rascaal rupfte mehrere Exemplare dessen aus den Akten, was seinen gefürchteten Zorn hervorgerufen hatte und ließ sie angewiedert zu Boden fallen. Pismire bückte sich und konzentrierte seinen Blick auf die Blätter. Jemand hatte alle Seiten mehrfach mit Smilies und Häschen verziert. Darüberhinaus prangte auf jedem Blatt ein glitzernder Stempelaufdruck der die Buchstaben
A.B. bildete und die Worte
Gut gemacht!.
Laiza sah eben zur Pathologie herein, als Huitztli Pochtli von seinem Bänkchen herunter kletterte und zum Waschbecken herüber watschelte. Ihr Blicke folgten ihm und glitten dann zurück zum Tisch. Ein blutiges Leichentuch bedeckte etwas Kleines, dessen Proportionen den Verstand mit aller Gewalt in eine bestimmte Richtung drängten.
"Ist das etwa...", sagte sie erschrocken und schlug eine Hand vor den Mund.
Bevor Huitztli reagieren konnte, antwortet die Gestalt auf dem Tisch, "Onkel? Was spielen wir denn als nächstes?"
Mit einem spitzen Schrei stob Laiza davon.
Eine Stunde später nippte sie betäubt an ihrem Kräutertee, verschüttete dabei die Hälfte des Inhalts und griff mit zitternden Fingern nach dem Untersuchungsbericht des Gerichtsmediziners. Er war schon vor mehr als einer halben Stunde mit der Rohrpost angekommen, aber sie hatte sich einfach nicht dazu durchringen zu können, ihn sich vorzunehmen. Immer wieder hatte sie sich innerlich dafür gescholten, ihre Versetzung zu einer anderen Abteilung nicht endlich in die Wege geleitet zu haben.
Sie seufzte und atmete tief ein und aus. Dann schloss sie gewohnheitsmäßig die Augen und überblätterte rasch die Seiten, welche die Tatortbilder enthielten. Inzwischen war sie sicher, sich die Kinderstimme zuvor eingebildet zu haben. Wenn sie es mit Kinderleichen zu tun bekam, berührte sie das Thema immer wieder unerwartet heftig, als es das nicht schon ohnehin tat. Ihr war es ein Rätsel, wie es Leute wie Pismire, Avalania oder Huitztli fertig brachten, so unbeteiligt zu bleiben und stoisch in toten Körper zu wühlen.
Bei der untersuchten Leiche handelte es sich um ein junges Mädchen von neun Jahren. Sie war von einem zu schnell fahrenden Eselskarren erfasst und mit dem Kopf gegen den Rinnstein in der Hausteingasse geschleudert worden, als sie versucht hatte, die Straße zu überqueren. Der Wasserspeier hatte den Begriff
Todesursache durchgestrichen und
untot darüber geschrieben. Sie runzelte die Stirn.
Der Bericht war ansonsten recht dünn und beschränkte sich nur auf das Wesentliche.
"Und hier im ersten Stock befinden sich weitere Büros. Also nicht nur von uns, sondern auch von unseren Kollegen von den anderen Abteilungen.", rollte plötzlich die Stimme des Wasserspeiers vom Flur herein. Laiza hatte wegen der Hitze die Tür offen gelassen.
"Aber was macht ihr denn den ganzen Tag hier? Rumsitzen? Oder spielt ihr manchmal auch was?", quasselte eine aufgeweckte Kindestimme.
Laiza erstarrte. Da war wieder diese Stimme. Sie hatte sich das anscheinend wohl doch nicht eingebildet. Und nun schien der Wasserspeier auch noch mit dem Kind in ihre Richtung zu kommen. Gehetzt sah sie sich um und hielt verzweifelt nach einer Möglichkeit Ausschau, die ihr als Versteck dienen mochte.
Sie duckte sich eben hinter ihren Schreibtisch, als Huitztli zur Tür herein sah. Ein kleines Mädchen versteckte sich halb hinter ihm und blickte aus braunen Kulleraugen in ihr Büro. Schwarzes Haar quoll unter einem Kopfverband hervor, der einige dunkelrote Stellen hatte und mit ihrer rechten Hand hielt sie Huitztlis Arm umklammert.
"Hallo Oberfeldwebel. Kannst du mir sagen, wo ich den Gefreiten Thask Verschoor finde? Sein RUM-Büro im Zweiten OG ist verwaist und ich dachte, er wäre ein geeigneter... nun Ansprechpartner, was das Leben nach dem Tod betrifft, wo sie nun doch auch..."
Sie richtete sich ruckartig auf und schaute auf das dunkelhäutige Mädchen.
"Thask? Öh... nein...", stotterte sie irritiert, "Noch nicht gesehen heute. Tut mir leid."
"Ptupekh habe ich vorhin bei Dienstantritt gesehen. Aber als Mumie ist er nicht direkt... kompetent, wenn du verstehst."
Er deutete hinter dem Rücken des Mädchens auf ihren Kopf.
"Sie ist also... ?"
Ihre Lippen formten
U.N.T.O.T.Er nickte.
"Ich fürchte, ich kann dir wegen Thask nicht helfen."
"Ach, wir werden ihn schon finden, was meinst du Zahaprina?"
Das Mädchen lächelte ihn fröhlich an und und trippelte mit ihm davon.
Da geht er hin, als wäre es das normalste der Welt. Nicht mal ihr macht es scheinbar was aus. Aber, wie bringe ich das bloß ihren Eltern bei?, bemerkte Laiza entsetzt und griff sich an ihren Kopf,
Hallo Herr und Frau XY, fuchtelte sie mit einem Arm gestikulierend durch die Luft,
es gab leider einen bedauerlichen Unfall, bei dem ihre Tochter getötet wurde. Aber keine Angst, sie hat es ÜBERlebt..."Bitte erkläre mir das noch mal langsam von Anfang, Obergefreite. Wen haben wir da in unseren Zellen?"
Oberfeldwebel Dubiata hatte mit dem Wippen ihres Bürostuhles aufgehört und beugte sich über ihren Schreibtisch.
"Eigentlich begann es eher harmlos. Die beiden benahmen sich so seltsam, als wir sie in der Hirnschmalzallee antrafen. Sie schienen sich gestritten zu haben, wurden dann aber handgreiflich. Als Ettark und ich das unterbinden wollten, um die beiden Streithähne zu trennen, schlugen sie nach uns. Da haben wir sie dann fest genommen."
"Nun gut, tätlicher Angriff gegen einen Angehörigen der Wache. Soweit so gut. Aber wie passt das mit den Vorfällen zusammen?"
"Da sind wir uns leider auch nicht ganz im Klaren, Mä'm. Es war das, was sie von sich gaben, als wir sie zur Wache brachten. Wir wurden hellhörig, als wir versuchten ihnen klar zu machen, warum wir sie in Gewahrsam genommen hatten. Das schien sie aber gar nicht groß zu interessieren. Die eine faselte etwas von Drogen, die der andere einem Kind verabreicht hätte und der andere beschuldigte sie, rabiate Karrenlenker zu noch gefährlicherem Verhalten im Straßenverkehr anzustacheln. Das kam mir irgendwie bekannt vor. Wir haben da doch diesen Verkehrsunfall mit dem jungen Mädchen. Möglicherweise wurde ein Verbrechen verübt, von dem wir noch gar nicht wissen, weil wir es für einen Unfall gehalten haben."
"Wurden sie schon verhört?"
"Noch nicht. Wir wollten erst Meldung machen."
Die Abteilungsleitersitzung, zu der Laiza geflüchtet war, um sich abzulenken, hatte nicht gehalten, was es zu Anfang an Abwechslung zu bieten versprochen hatte. Nach nicht mal fünf Minuten hatten sie die drögen Themen bereits gelangweilt und waren zu einer Art Hintergrundrauschen verschmolzen. Nach nicht mal zehn Minuten war die Temperatur des Besprechungsraums bereits so angestiegen, dass Klemmbretter und Aktendeckel als Fächer benutzt werden mussten. Kanndra machte kurz den Fehler, dass Fenster zum Hof zu öffnen, aber draußen war es noch heißer und so schlug sie es gleich wieder zu.
Bregs ging noch einmal die Punkte der Besprechung durch. Als einziger schien ihm das Wetter nichts auszumachen.
"OK, nächster Punkt. Laiza, was hast du für uns?"
Die dunkelgelockte Frau schwelgte gedanklich bei einem Bad in eiskaltem Wasser. Mit Eiswürfeln darin. Jeder Menge Einwürfel.
"Laiza? Hallo?", hakte der Kommandeur nach.
Sie schreckte hoch und ließ ihr Klemmbrett fallen, "Ähm... da war bis jetzt", sie bückte sich nach den Akten, "nur ein Fall eines kleinen Mädchens, dass vor einen Raser geriet und zu Boden geschleudert wurde. Sie verstarb noch an der Unfallstelle. Sie erwachte wieder hier und ist jetzt... untot."
"Wo war der Unfall?", fragte Rea.
Laiza blickte auf ihr Brett.
"Hausteingasse."
Rea tippte sich mit dem Stift gegen die Lippen.
"Dort um die Ecke haben meine Leute zwei komische Vögel aufgegriffen. Sie haben sich gezankt und wir vermuten, dass da mehr dahinter stecken könnte. Sie werfen sich gegenseitig... nun ja, illegale Handlungen vor."
"Was für Handlungen wären das?"
"Sie hat ihn als Giftmischer bezeichnet und er sie als Verkehrsrüpel."
"Hat sie einen Karren?", fragte Bregs.
"Soweit wir wissen nicht, nein. Sie wurde aber bei verschiedenen Gelegenheiten von Zeugen beobachtet. Sie haben sie in der Gesellschaft verschiedener aktenkundiger Verkehrssünder gesehen."
"Hmm. Und dieser andere Kerl?", bohrte Bregs nach und klang dabei nicht sehr überzeugt.
"Er ist irgendwie auch merkwürdig. Der trägt diese komischen pseudoklatschianischen Klamotten, du weißt schon: rotbraune Pumphosen, eine goldbestickte rotbraune Weste, Schnabelschuhe und einen rotbrauenen goldbestickten Fes. Er gehört jedoch definitiv nicht zur Narrengilde. Das haben wir schon geprüft und auch nicht zu einem der größeren Theater der Stadt."
"Ah... Und weiter?"
"Das albernste ist sein breiter Gürtel. Da hat er eine kleine Kaffeemühle dran hängen, dann noch ein paar niedliche Mokkatassen und ein Zuckerdöschen."
"In einer Stadt voller Verrückter, stellen die beiden tatsächlich eine sonderbare Steigerung dar. Mal sehen, was die Verhöre so bringen."
Der Leichenaufzug rumpelte nach unten und knarzte dabei bedrohlich. Mit einem kreischenden Quietscher kam er zum stehen und brachte auch eine Staubwolke mit nach unten. Als Avalania von Gilgory die Türen öffnete, wurde klar, warum der Aufzug so geächzt hatte. Hitze wallte ihnen entgegen. Mühsam wuchteten sie und Pismire eine Rollpritsche aus dem Aufzug auf der gleich zwei Körper ineinander verschlungener Frauen lagen. Zweier nicht eben schlanker Personen. Die Kleidung der beiden wies zahlreiche Risse auf und schien in einem sehr intensiv ausgetragenen Streit zwischen die Fronten geraten zu sein.
Pismire nahm das Klemmbrett vom Haken an der Vorderseite der Pritsche und las laut, "Zwai unbehkahnnte Tohtä. Gefundigt am Ufär des untärän Ankk-Lauffss."
Die Unterschrift des Einlieferers war vor Schweißflecken nicht mehr zu erkennen.
Laiza Harmonie straffte ihre Gestalt und wischte noch einmal mit ein paar fahrigen Bewegungen nicht vorhanden Staub von ihrer Uniform. Dann, in einem plötzlichen Anfall von Mut, klopfte sie an die Tür von
Muf'tigs Obst und Gemüseimport. Mühsam unterdrückte sie den aufkeimenden Drang, die Beine ín die Hand zu nehmen und sich ihrer unangenehmen Plicht zu entziehen.
Die Tür wurde aufgezogen und ein unerwartet bleiches Paar mittleres Alters schaute heraus.
"Was können wir für dich tun, ehrwürdige Vertreterin von Recht und Ordnung?", fragte Herr Muf'tig.
Ein starker Geruch von Harz und Balsamierungsflüssigkeit umwehte die beiden.
"Herr... und Frau... Muf'tig?", vergewisserte sich Laiza stockend.
"So ist es.", nickte der Zombie.
Das kann ja heiter werden., dachte die SUSI-Abteilungsleiterin bei sich.
Einige nicht wenig anstrengende Stunden später, beendete Pismire den Obduktionsbericht der einen Dame und Avalania den ihren.
Die beiden Toten hatten sich als die beiden Gründungsmitglieder des
Clubs der disziplinierten Entsagung herausgestellt, einem Verein, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, den Damen der gehobenen Gesellschaft bei ihren Bemühungen Gewicht zu verlieren, unter die Arme zu greifen.
Avalania wirkte trotz der hinter ihr liegenden Anstrengungen begeistert. Eifrig machte sie sich Notizen.
"Das wird eine Sensation auf dem Pathologensymposium in Quirm!", sagte sie aufgeräumt, "Ich hätte es bis heute nicht für möglich gehalten, dass an der Metapher
Jemandem eine reinwürgen etwas Wahres dran sein könnte. Sie hatte wirklich ihre Faust bis in den Hals der anderen gedrückt, erstaunlich!"
Pismire nickte müde. Er hatte zu viele Leichen gesehen, als dass er den Enthusiamus seiner Kollegin teilen mochte.
"Bleibt die Frage: Warum?", gähnte er.
Vielleicht finden die Kollegen ja etwas, wenn sie das Clubhaus der beiden Damen untersuchen.
Den einzige Anhaltspunkt, den die SUSI Truppe um Charlie Holm schließlich fand, war eine Kladde mit Gewichtstabellen. Die Zahlen darauf schwankten zwar leicht, zeigten aber eine deutliche Abwärtstendenz. Der letzte Eintrag war vor drei Tagen vorgenommen worden. Jemand hatte in Grossbuchstaben die Worte
Ich hasse dich! Du bist Schuld, dass ich wieder zugenommen habe! quer über die letzte Seite der Tabellenblätter geschmiert.
"Saftsack!"
"Möchtegernfee!"
"Giftmischer!"
"Rücksichtsloses Verkehrsrüpel!"
Rekrut Turgrim Kurzarm presste stöhnend die Hände an die Ohren. Seit Stunden warfen sich die beiden Gestalten Schimpfworte an den Kopf, die in den Zellen Fünf und Sechs des Wachhauses am Pseudopolisplatz einsaßen.
"Klappe!", wiederholte Turgrim genervt und ergänzte die Strichliste um einen weiteren
Klappe!-Eintrag.
"Schickse!"
"Kaffeetante!"
"Boxenluder!"
"Kindermörder!"
"Haltet endlich die Klappe!", wimmerte er und rammte rhythmisch seinen Helm gegen den Tisch, "Da fallen einem ja noch die Barthaare aus..."
Sehnsüchtig blickte er zur Sanduhr, die vor ihm auf dem kleinen Tisch stand und die verbleibende Zeit seiner Wache anzeigte. Noch immer befand sich wesentlich mehr Sand in der oberen, als in der unteren Hälfte.
Noch so eine Wache und ich kehre nach Überwald zurück! schwor er sich. Schritte auf der Treppe ließen in ihm die Hoffnung auf baldige Erlösung aufkeimen.
Rea betrat den Raum 004. Die Verdächtige, eine langhaarige Blondine mit einer dunklen Brille mit ungewöhnlich großen Gläsern, die den größten Teil ihres Gesichtes bedeckten, saß mit übereinander geschlagenen Beinen auf dem Stuhl und wirkte in dem Raum so deplatziert, wie jemand, der sich in einem weißen Anzug inmitten eine Menge von Steinkohle-Zwergen verlaufen hatte. Ihr deutlich geschminktes Gesicht ließ im ersten Moment an eine Näherin denken, aber ihre Kleidung stand dazu im Widerspruch und ebenso der Geruch nach Pferdedung. Ein kurzer Minirock aus dunklem Leder enthüllte mehr, als dass er bedeckte. Dazu trug sie eine wattierte Jacke, die mit Aufnähern aller Art bedeckt waren.
Großer Preis von Quirm entzifferte Rea mühsam, wobei sie den Kopf drehen musste. Ein anderer zeigte einen Esel, dessen Ohren vom Fahrtwind nach hinten gebogen zu sein schienen und darunter die Worte
Bernie E. - Karrentuning.
Rea nahm an dem kleinen Tisch ihr gegenüber Platz und tippte dabei mit dem Bleistift auf die Aktenkladde.
"Ich bitte vielmals um Entschuldigung, dass wir dich hier an einem Ort wie diesem befragen. Aber, um der Wahrheit die Ehre zu geben, hier ist es noch am kühlsten."
Die Frau schnaubte pickiert und warf ihren Kopf herum, so dass ihre Haare einen weiten Bogen beschrieben und auf ihrem Rücken zu liegen kamen.
"Du hast dich geweigert, deinen Namen zu nennen und auch über deinen Beruf...", fuhr Rea fort und musterte sie erneut eingehend, "... hast du keine Angaben gemacht."
"Ich weiß gar nicht, was ich hier soll.", geiferte sie, "Und mein Name geht dich gar nichts an."
"Dein... Partner hat dir einige Schimpfworte an den Kopf geworfen."
"Partner? Pah! Diese kleine aufgeblasene schlechte Entschuldigung für einen Bogie? Sowas wie der ist doch nicht mein Partner. Eine männliche Fee will er sein. Dass ich nicht lache! Eine männliche FEE, hat man sowas schon mal gehört? In unserem Geschäft muss man innovativ und nicht naiv sein!"
"Und du bist innovativ?", fragte sie provokant. Die Frau ging ihr einfach auf die Nerven.
"Ist ja schließlich nicht zu übersehen. Mein Garderobe ist nur vom Feinsten. Das Auge isst ja bekanntlich mit.", stellte sie fest.
In deinem Fall ist eher von einer mittelschweren Verdauungsstörung auszugehen. lächelte Rea dünn. Laut sagte sie, "Sie ist definitiv extravagant. Soviel ist sicher."
Die Blondine blickte irritiert über ihren Brillenrand, entschied sich aber dann doch dafür, es als Kompliment aufzufassen.
"Du hast von einem Geschäft gesprochen. In welcher Branche bist du denn?"
"Meine Aufgaben sind delikater Natur und erfordern eine Gewisse... Diskretion. Meine... Mandanten stehen schon ohnehin im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Daher ziehe ich es vor, das Augenmerk nicht unnötig auf sie zu lenken."
"Aber du bist keine... Nä..."
Rea brach rechtzeitig ab, als sie das aufgebrachte Stirnrunzeln bemerkte, dass sich gerade ankündigte.
"Oh, wenn es nach den Jungs ginge, könnte ich mich vor Verabredungen gar nicht mehr retten. Nein, das kommt für mich nicht in Frage. Ich muss schließlich einen professionellen Abstand wahren."
Im Raum nebenan untersuchte Lilli Baum die Gegenstände des
Kaffeeclowns, wie sie ihn im Stillen nannte. Kolumbini stand daneben und blätterte durch eine schmale Broschüre.
"Für was hältst du das?", reichte er das Heft an Feldwebel von Grauhaar weiter.
Romulus Lippen bewegten sich lautlos, als er die Seiten studierte. Die Vorderseite zierte das Bild einer dicklichen Frau mit kleinen Flügeln. Der Titel lautete
Verwirkliche Deine wahre Natur! Freizeitfee in nur 14 Tagen!"Romulus musterte den jungen Mann, dessen Kleidung an einen dieser billigen Klicker denken ließ, die irgendwo in der tiefsten Wüste Klatschs spielten, jede Menge Kamele, Jungfrauen und vor allem Sand enthielten, jedoch keine Handlung.
"Was bei allen Göttern ist das?", richtete er seine Frage an den Mann, "Und... was soll dieser Aufzug?"
Etwas beschämt senkte dieser den Blick und presste die Lippen aufeinander.
Ich habbe eihne Prohbe von dem Kafe inns Labor geschickt und auch eine dieser Tahsen., berichtete Lilli auf einer Notiz, die sie über den Tisch schob.
Gebannt beobachtete Zahaprina, wie Lady Rattenklein einen geradezu winzigen - für sie aber immer noch enormen - Löffel verwendete, um eine kleine Menge des Kaffees in ein Reagenzglas zu geben. Das übrige Pulver schüttete sie in ein größeres Glas und übergoss es mit heißem Wasser.
Das Reagenzglas füllte sie zu einem Drittel mit einer klaren Flüssigkeit auf und sah zu Magane hinüber.
"Kannst du das mal bitte schütteln? Keine Sorge, es wird nicht explodieren. Jedenfalls nicht gleich.", grinste sie.
"Was machst du da, Tante?", fragte das Mädchen.
"Ich untersuche, um was für einen Kaffee es sich genau handelt. Ich habe zwar schon einen Verdacht, aber ich muss das Ergebnis abwarten, bevor ich ganz sicher sein kann."
Magane stellte das Röhrchen zurück in den Ständer. Die Flüssigkeit hatte sich nun gleichmäßig dunkel verfärbt. Die Lady rückte eine Leiter heran, stieg hinauf und tunkte einen schmalen Papierstreifen kurz hinein. Nach einem kurzen Moment nickte sie bestätigend.
"Ich ahnte es schon. Khufe'e F'inal. Auch als der
letzte Kaffee bekannt. Der ist so stark, dass er unter das Drogengesetz fällt und deswegen in Ankh-Morpork verboten ist. Wenn du den trinkst nicht sofort ein großes Glas Knieweich nach kippst, kippst du um."
"Wurde nicht vergangenen Monat einer dieser klatschianischen Hinterhof Cafes bei den Schatten ausgehoben, wo sie diesen Stoff ausgeschenkt haben?", versuchte sich Magane zu erinnern, "So wie es aussieht, haben Kanndras Leute haben nicht die ganze Ware sicher gestellt."
Zahaprina tippte mit dem Finger in das andere Glas und leckte daran.
"Das kenne ich. Das war in der hübschen Tasse da. Die hat mir dieser lustige Mann gegeben."
Magane zuckte zusammen, als sie bemerkte, was die Kleine da eben getan hatte, entspannte sich dann aber wieder, weil es offensichtlich nicht noch schlimmer werden konnte.
"Er hat dir
davon zu trinken gegeben?", erkundigte sie sich.
"Mhmmmm.", nickte Zahaprina, "Erst wars ja fürchterlich bitter, aber dann hats doch ganz lecker geschmeckt."
Maganes Augen weiteten sich entsetzt.
"Papa war böse auf den Mann. Er hat gesagt, er beleidigt unser Volk, weil er so komische Sachen anhatte."
"Ich glaube, du solltest die Kollegen in Raum 005 informieren. Das dürfte doch sehr interessant für sie sein.", bemerkte Lady Rattenklein mit grimmiger Miene.
Magane war schon halb durch die Tür, als sie sich umdrehte, "Warum hast du eigentlich das andere Glas da... vorbereitet?", wunderte sie sich.
"Ich habe jetzt Feierabend. Und man kann doch so etwas Leckeres...", antwortete die Laborantin fröhlich und zog ihren Kittel aus. Sie wuchtete eine dunkelgrüne Flasche aus dem Regal, dass direkt neben dem Labortisch stand und entkorkte sie. Magane war sich sicher, durchsichtige Schlieren aus dem Hals der Flasche aufsteigen zu sehen.
"... schließlich nicht verkommen lassen.", beendete die Lady ihren Satz.
"Verstehe ich das richtig? Die eine verführt also Idioten, die meinen, die Straßen der Stadt gehören ihnen allein und wer nicht schnell genug aus dem Weg springt ist selbst Schuld, zu noch mehr Straftaten, als sie ohnehin schon auf dem Kerbholz haben. Und der andere verabreicht kleinen Kindern eine bewusstseinsverändernde Droge, nur weil sie nicht einschlafen wollen. Das muss man sich mal vorstellen."
Romulus von Grauhaar stand erschüttert an seinem Schreibtisch und hielt sich mit der Hand die Stirne.
"Beide haben betont, es nur zum Wohle der jeweiligen," Kolumbini blickte in die Akte, "wie sie es nannten
Zielgruppe getan zu haben. Quasi, damit sie die Verwerflichkeit ihrer Handlungen erkennen und sich bessern."
"Das hat eine... ganz neue Qualität."
Romulus gestikulierte vage und brach dann ab. Ihm fehlten einfach die Worte.
Kolumbini wedelte mit dem Kursprospekt und ergänzte, "Ich denke, wir sollten auf jeden Fall mit dieser Dame hier sprechen."
Es hatte wieder geregnet. Das Wasser hatte aber nicht wirklich die Abkühlung gebracht, die man sich erhoffte, sobald die ersten Tropfen fielen. Die Uniformen und Rüstungsteile klebten jetzt erst recht an den drei Wächtern. Und noch etwas anderes klebte in großzügigen Mengen daran. Sillybos, Kolumbini und Schlumpi Wurzelbach lagen in der einzigen Schlammpfütze, die der Haufen nach dem Platzregen zu bieten hatte. Der Obergefreite hatte sie kurzerhand ausgesucht, als die ersten Blitze durch den bläulichen Nebel zuckten, der über der Ruine stand.
Den säuerlichen Blicke seiner Vorgesetzten - wenn auch nicht direkten - versuchte er auszuweichen. Schließlich war ja nur um ihre Sicherheit besorgt gewesen. Nachdem den irrlichternden Erscheinungen jedoch die obligatorische Geräuschentwicklung in Form von Donner nicht gefolgt war, hatten sich die drei wieder erhoben. Sillybos wischte den Lehm von der Jacke und zeigte auf die Nebelwand.
"Das wirkt irgendwie... inszeniert. Echte Blitze sind das jedenfalls nicht. Geht es nur mir so oder fehlt bei euch auch dieses instinktive Bedürfnis in Deckung zu gehen?"
Er sah zu Schlumpi und ergänzte dann an Kolumbini gewandt, "Nun, hast wenigstens du bemerkt, dass dieses panikartige Gefühl von Ur-Angst fehlt?"
Der Korporal nickte und schüttelte dann den Schlamm aus seiner Pfeife. Schlumpi schluckte. Wenn sie wieder in der Wache ankamen, wusste er, womit er den Rest seines Tages verbringen würde.
Kolumbini bließ durch seine Pfeife und steckte das Mundstück in den Mund, "Wollen doch mal sehen, was sich da drin so tut."
In Bregs Beisein begann eine Stunde später das wohl ungewöhnlichste Verhör in der Geschichte der Wache. Er konnte sich jedenfalls an keinen Fall erinnern, bei dem jemals eine waschechte Fee verhaftet und verhört worden war.
"Was für einem Beruf gehst du nach?", fragte er gereizt. Seine Blicke glitten immer wieder zu den drei mit Schlamm besprenkelten Männern. Er schüttelte den Kopf.
"Ich bin eine Fee.", sagte sie bestimmt.
"Fee? Was denn für eine Fee? Mit Verlaub, Madame, aber ... ich weiß gar nicht wie ich es
ausdrücken soll ... öhm ... ich habe mir Feen immer etwas ... nun ... sportlicher
vorgestellt."
"Ein weitverbreitetes Vorurteil, mit dem ich schon lange zu kämpfen habe."
"Und was für eine Art Fee sind sie denn nun?", bohrte Bregs nach.
Sie hüstelte
"Fett.", sagte sie leise.
"Wie bitte?"
"Fett.", wiederholte sie ebenso leise.
Laiza beugte sich vor, "Wir haben sie leider nicht verstanden. Wie bitte?"
"Meine Güte! FETT! FETT, VERDAMMT NOCH MAL! ICH BIN DIE FETTFEE, VERSTANDEN?"
Ihre zarten Flügel zitterten vor Erregung.
"Die ... Fett... fee? Von einer Fettfee habe ich ja noch nie etwas gehört.", lehnte sich Bregs irritiert in seinem Bürostuhl zurück.
"Na ja, im Grunde habe ich einen ähnlichen Job, wie zum Beispiel die Zahnfee. Nur dass es bei mir um...
Körperfett geht."
"Körperfett? Sie meinen, sie kommen mit einer Belohnung vorbei, wenn jemand eine Diät
macht?"
Die pummelige Dame nickte und schüttelte gleichzeitig den Kopf. Das Ergebnis war eine Art eierndes Kreisen.
"Ja ... äh, ich meine Nein, fast ... ich komme die überflüssigen Pfunde holen, die jemand verloren hat."
"Wie muss ich mir das denn vorstellen?"
"Mit den ... technischen Details möchte ich sie lieber nicht belästigen.", seufzte die
Fee müde.
"Und wie kommt es, dass man von ihnen noch nie etwas gehört hat? Ich meine, die Zahnfee
kennt jeder, die legt einem ein paar Münzen unter das Kopfkissen, aber ich bin sicher, dass keiner meiner Kollegen jemals etwas von der
Fettfee gehört hat."
"Weil ich zu einer unpopulären Minderheit gehöre."
"Unpopulär? Wie meinen sie das denn jetzt wieder? Ich könnte mir vorstellen, dass sie ein gerngesehener Gast sind, wenn jemand schlanker werden will."
Laiza schaute verstohlen nach ihrem Bauch, der sich in den letzten Wochen zunehmend mehr und mehr abgezeichnet hatte.
"Bei meinem Job gibt es leider auch einen ...", sie lächelte gequält, "sagen wir weniger beliebten Aspekt. Ich komme auch wieder, wenn jemand die Diät
nicht einhält."
Laizas Augen weiteten sich bestürzt.
"Es ist kein Wunder, dass ich nicht beliebt bin.", schüttelte sie traurig den Kopf, "Wie konnte ich nur auf die Idee kommen, die Leute würden einen mit offenen Armen empfangen, wenn man aus der Anonymität heraus tritt und sich zu erkennen gibt?", sagte sie leise.
"Sie treten einem mit Sicherheit in den Hintern.", bemerkte Laiza trocken,
Und ich könnte es ihnen nicht einmal verdenken, fügte sie in Gedanken hinzu.
"Das alles... Ich habe es doch nur gut gemeint. Anerkennung ist so schwer zu bekommen. Ich dachte mir, dass die Leute vielleicht mehr Verständnis bekommen, wenn sie selbst einmal diesen Job machen. Das alles ist so sehr aus dem Ruder gelaufen. Eine Verkettung unglücklicher Umstände. Das war überhaupt nicht beabsichtigt, dass dem kleinen Mädchen etwas zustößt. Anti
[1] hat da leider deutlich übertrieben und wird dafür auch gerügt werden. Heiza Rasanta
[2] triftt keine Schuld. Sie konnte ja nicht ahnen, dass er die Kleine mit klatschianischem Kaffee abgefüllt hatte."
"Eine Rüge? Schickst du ihn zur Strafe etwa ohne Abendessen ins Bett?", ätzte Rea.
Die Fee schüttelte abermals den Kopf, "Nein, er ist ja nur auf Probe eine Fee. Ich fürchte, er wird seine Bewährungszeit nicht überstehen. Es ist ein Jammer."
Laiza und Rea blickten sich fassungslos an. Offenbar verkannte die Dame den Ernst der Situation. Bregs starrte mit offenem Mund auf die dickliche Matrone.
"Kläuschen war so vielversprechend. Er hatte die richtige Einstellung und auch seine Idee, Aktenführung zu bewerten, hat mir gefallen. Leider hat er nach ein paar Tagen wieder das Handtuch geworfen."
"Wer ist Kläuschen?"
"Er nannte seine Personifizierungsidee
Aktenbarbar."
[3]Puda'Quasta
[4] macht einen guten Job und Imb Iss
[5] ebenfalls."
"Die beiden, die bei unserem Eintreffen am Haufen plötzlich verschwunden sind.", bemerkte Syllibos.
"Ja. Ich habe versucht, auch sie davon zu überzeugen, bei unserer Aktion mit zu machen. Sie haben sich aber dagegen entschieden, in das Licht der Öffentlichkeit zu treten. Glücklicherweise, wie die beiden jetzt sicher sagen werden."
Huitztli Pochtli wischte über die Seziertische und ordnete das Obduktionsbesteck. Er rätselte, wie auch die übrigen Wächter, warum diese Fee sich erst hatte in die Zelle sperren lassen, um sich dann doch später der Gerichtsbarkeit zu entziehen, indem sie verschwand. Und während er das tat, kam ihm plötzlich eine Gedanke. Nicht einmal Frau Kuchens empfindliche Vorahnung hatte etwas von den seltsamen Begebenheiten gespürt. Und das fand er umso seltsamer.
ENDE
[1] Das Anti-Sandmännchen kommt zu Kindern, die nicht schlafen gehen wollen. Anstelle von Schlafsand hat es klatschianischen Kaffee dabei.
[2] Heiza Rasanta - eine Sidhe der Freunde frisierter Eselskarren. Wird von den anderen nicht als richtige Fee anerkannt, da es sie offenbar erst seit der Einführung der Starenkästen gibt. Sie kommt zu denjenigen, die sich besonders bei Geschwindigkeitsübertretungen hervorgetan haben, um sie zu weiteren Verkehrsverstößen zu verleiten.
[3] Der Aktenbarbar kommt diejenigen Sachbearbeiter von Akten besuchen, die nicht sorgfältig mit den Dokumenten umgehen. Er ist auch als Aktenriese, Aktenrüpel oder Aktenrohling bekannt. Seine Standardausrüstung ist Aktenwagen Modell AK47-11 (4 Räder, 7 Fächer, 11 Akten pro Fach). Quer über seinen Oberkörper hat er einen Gürtel geschnallt, in dem Bleistifte, ein Radiergummi, ein Tintenfässchen, eine Schreibfeder und ein Aktenstempel inkl. Stempelkissen stecken.
[4] Puda'Quasta - Fee der Kosmetik. Besucht diejenigen, die besonders viel Make-Up auftragen.
Dummerweise bewirkt sie, dass die ein oder andere Frau voll geschminkt morgens aufwacht und sich fürchterlich erschrickt, wenn sie sich im Spiegel sieht.
[5] Imb Iss - Dschinn des unabgewaschenen Geschirrs. Kümmert sich in erster Linie um Speiselokale, wie das von Harga. Ihm ist es zu verdanken, dass trotz aller Bemühungen doch von irgendwo ein schmutziges Geschirrteil auftaucht, wenn das Spülwasser bereits entsorgt ist und Flecken wieder zurück kommen, die man von Tischen, Stühlen und Bänken entfernt hatte.
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