Grölen und Grunzen und Geschlabber drang aus der Kneipe. Die Tür schloss sich hinter Boris Fladiwitsch und die Geräusche ebbten ab. Die Nacht umfing ihn mit einer angenehmen Kühle und schummriger Beleuchtung. Nur einige Sterne lugten zwischen ein paar Wolken hervor, sonst war es dunkel.
Der gebbürtige Überwalder ging mit schweren Schritten, die Hände tief in seinen Jackentaschen vergraben, die Straße entlang. Die Kälte schaffte es etwas, die Betäubung des Alkohols aus seinen Gliedern zu vertreiben, genug, dass er ein Geräusch hinter sich bemerkte.
Langsam drehte er sich um. Vor ihm stand eine Gestalt, in einem schwarzen Umhang gehüllt. Erst war er etwas irritiert, doch dann erkannte er die Person hinter sich. "
Devotchka!", rief er freudig aus und umarmte die Person, doch seine Augen weiteten sich in Überraschung, als er spürte, wie eine scharfe Klinge in seine Lunge drang.
"Es tut mir leid, ich wünschte es hätte einen anderen Weg gegeben! Du weißt, ich habe es wirklich versucht", wisperte die Person und Boris konnte Tränen sehen, als er auf dem Kopfsteinpflaster zusammenbrach. Es dauerte eine Weile, bis er verblutet war, aber dabei spürte er keinen Groll, während die Nacht immer kühler wurde. bis sich schließlich Nebel wie ein Leichentuch über seinen Körper legte.
Eine Sense schnitt durch die Luft und Boris sah auf seine Leiche hinab. Dann zu Tod. ES WIRD ZEIT, sagte dieser und Boris nickte. Schweigend machten sich die beiden auf den Weg, der Sensenmann und der bis vor kurzem beste Bäcker von Ankh-Morpork.
Charlie stand da und ließ sich die Zeit, erst einmal den Tatort ausgiebig zu betrachten. Es handelte sich um eine Backstube. Für gewöhnlich handelte es sich wohl um ein außergewöhnlich saubereres Exemplar, denn es fehlte der typische Schmutz, allerdings hatte der Täter wohl Spaß daran gehabt, mehrere Mehlsäcke aufzuschlitzen und das Zeug überall zu verteilen, um seine Spuren zu verwischen.
Der Tatortwächter ließ seinen Blick auf dem Opfer ruhen. Das war etwa 1,80 groß, überraschend hager, männlich und hatte ein Durchschnittsgesicht. Ein kleiner Pfeil in seiner Wange und die verfärbte Wange wiesen für ihn eindeutig auf einen Giftmord hin. Die Kollegen von der Pathologie und vom Labor würden hoffentlich herausfinden, um welches es sich genau handelte.
Wer hat dich nur umgebracht?, fragte Charlie in Gedanken und strich sich mit einer Hand über das Kinn. Die Identität des Opfers war ihm bereits bekannt, Jochen Fuhrmann, der beste Bäcker der Stadt - zumindest wenn man den Gerüchten glauben schenken konnte.
Er wurde in seinem Gedankengang unterbrochen, als sein Tatortwächterpartnersklave heftig hustete und hinter einem großen Teigbottich auftauchte. Er wedelte mit einem Zettel herum. "Ich glaube ich habe eine Quittung gefunden!", verkündete Hegelkant und Sillybos, der pfeifepaffend neben Charlie gestanden hatte, erwiderte: "Na, dann ist der Fall ja wohl abgeschlossen."
"Nicht so schnell", meinte Charlie und nahm die Quittung von Hegelkant entgegen. Er ging zum nahegelegenen Fenster und hielt sie gegen das hineinströmende Licht. Dann nahm er seine Brille ab, rieb sich über die Augen um das Dokument schließlich noch einmal zu prüfen. Dann wurde ihm klar, was nicht stimmte.
Er drehte sich zu seinem Kollegen und schüttelte den Kopf: "Das Wasserzeichen steht auf den Kopf. Eine Fälschung, ganz eindeutig, die Asssassinen würden keine Quittung benutzen, die falsch herum vorgedruckt wurde."
Schade, dachte er bei sich.
Es wäre schön einfach gewesen..."Sohn!", keifte das Mütterchen und stieg die knarrende Treppe hinab. Mit der einen Hand krallte sie sich förmlich am Geländer fest, mit der anderen hielt sie einen Brief.
"Komm her, Sohn!", keifte sie noch einmal und stellte fest, dass er nicht reagierte.
Undankbarer kleiner Stinker!, dachte sie.
Lässt sein armes, altes Mütterchen ihm die Post hinterher tragen!Mit einem grimmigen Gesichtsausdruck machte sie sich auf den Weg in die eigentliche Backstube. Sie hatte die Backhandschuhe schon vor Jahren an den Nagel gehängt, um ihren Sohn die Möglichkeit zu geben, selbst der nächste Meisterbäcker der Stadt zu werden. Sie war eine Legende, aber dieser Taugenichts wollte einfach nicht auf ihre Ratschläge hören und hatte seine eigenen Rezepte und Geheimmischungen erfunden. Und was war passiert? Er war nur der drittbeste Bäcker der Stadt.
Sie stieß die Tür in die Backstube auf und humpelte arthritisgeplagt in den Raum. Wer wirklich eine Ahnung hatte - und das hatten nur wenige - der wusste, dass der allerbeste Bäcker der Stadt exklusiv für die Familie Karamello arbeitete. Den Rest der Rangliste konnte man leicht ausmachen, indem man zählte, wie viele einzelne Backwerke sie im Jahr kreierten. Wer gut war, musste genauso viel arbeiten, wie die nicht so guten, mit dem Unterschied, dass er mehr Zeit in ein einzelnes Kunstwerk investierte. Viel mehr Zeit.
"Sohn? Wo steckst du? Ich habe hier eine Einladung von den Karamellos zum Probebacken! Wird Zeit, dass du endlich den Platz in dieser Gesellschaft einnimmst, den ich immer für dich vorgeseh-"
Sie stockte, als sie ihren Sohn entdeckte. Sein Kopf lag in einer Schüssel mit Sahne, den Schädel hatte man ihm mit einem Nudelholz eingeschlagen. Das Mordwerkzeug lag auf dem Boden, blutbeschmiert.
Mütterchen Sahnesteif musste sich am Tresen festhalten, sonst wäre sie einfach zusammengeklappt.
Das ist wirklich zu viel auf meine alten Tage!Auch wenn er ein Gnom war, so hatte der Oberstabsspieß doch ganz menschliche Bedürfnisse. Und wenn nicht im Boucherie Rouge, wo dann konnte er sie befriedigen? Er lag halb aufrecht, bequem eingemummelt, in seinem Bett. Natürlich benutzte er beide Hände, mit einer war ihm das zu schwierig. Auch wenn Harry gehört hatte, dass so manchem auch nur eine Hand dafür reichte... Seine Mutter würde an seinem Treiben bestimmt Anstoß finden, aber die war weit, weit weg. Der Gnom spürte, dass er sich langsam dem Höhepunkt näherte...
"Oberstabsspieß?", fragte eine ihm wohlbekannte Stimme.
"Wah!", quiekte jener erschrocken auf und versteckte ganz schnell "Freddy Frettchentöter in der Mühle des Todesmüllers" hinter seinem Rücken. Er setzte ein Grinsen auf, von dem er hoffte, dass es unschuldig wirkte.
Der strenge, durchdringende Blick eines einzelnen Auges ruhte auf ihm, das andere war hinter einer Augenklappe verborgen. Unwillkürlich fragte sich Harry, was sich wohl
wirklich hinter ihr verbarg. Ob es ein dämonisches Teufelsauge war, wie der Müllermeister aus der Geschichte eines hatte? Das arme, unschuldige Burschen in seinen Bann zog, um dann...
"Oberstabsspieß, es gibt das eine Sache, über die ich mit dir reden will", riss ihn Araghast Breguyar aus seinen Gedanken.
"Oh... über was denn?", fragte Harry und zog seine Kuscheldecke unbewusst ein Stück höher. Ihm schwante nichts gutes.
Araghast erhob sich nur und ging hinüber zum Schreibtisch. Schnell schlüpfte Harry in eine Hose und verließ das Puppenhaus, um eiligen Schrittes zu dem Tisch zu eilen, wo er über eine Strickleiter nach oben kletterte. Etwas außer Atem salutierte er dem Kommandeur zu.
Dieser räusperte sich: "Oberstabsspieß, mir ist aufgefallen, dass du ständig alleine arbeitest."
"Natürlich, Sir, schließlich bin ich Späher!"
Breguyar hob eine Hand. "Unterbrich mich nicht. Harry, du bist nicht nur ein Späher, sondern auch Oberstabsspieß. Und wer in der Wache einen dermaßen hohen Rang inne hat, der sollte auch die dazu passende Verantwortung tragen, findest du nicht auch?"
"Ja?", fragte Harry zweifelnd. Ihm gefiel der Gedanke bei weitem nicht so gut, er klang so verdächtig nach Arbeit.
Der Kommandeur zog einen Umschlag hervor und legte ihn neben den Gnom. "Hier drin sind alle nötigen Informationen zu einem Fall, von dem ich glaube, dass du ihn zu meiner Zufriedenheit lösen wirst. Such dir dafür ein Team aus anderen Wächtern zusammen, gerne auch aus anderen Abteilungen, ich erteile dir alle notwendigen Befugnisse."
Der Gnom starrte auf den Umschlag mit den Unterlagen. So viel Arbeit! Auch wenn die Vorstellung, mal wieder ein paar andere Wächter herum zu scheuchen, durchaus etwas für sich hatte.
"Ist in Ordnung, Herr Kommandeur. Ich werde mein Bestes geben."
"Etwas anderes würde ich auch nicht erwarten", erwiderte Araghast und erhob sich. Dann ging er zur Tür und verließ das Zimmer. Harry lief ein leichter Schauer über den Rücken. Der Chef konnte schon wirklich gruselig sein.
Interessiert warf er einen Blick in die Akte. Offensichtlich brachte jemand Bäcker um. Der Gnom runzelte die Stirn als er nachdachte, wer ihn bei diesem Fall am besten zur Seite stehen konnte. Hatte Steinstiefel nicht mal in der Bäckergilde ermittelt?
Der Gnom spazierte ohne anzuklopfen durch die
HundeHarryklappe
[1] in den Raum der gelben Froide. Drinnen war nur der Zwerg Glum, Mumie Ptupekh war anscheinend ausgeflogen.
Er marschierte quer über den roten Teppich - passend zu den sonnengelben Fliesen - und blieb schließlich vor dem Hauptgefreiten stehen.
Glum bemerkte seinen Vorgesetzten nicht, denn er war eben damit beschäftigt, einen Zwergensmoking auf einen Kleiderbügel zu begutachten. Er wirkte nicht sehr glücklich dabei.
Abteilungshund Crunkers hingegen schien bester Laune zu sein, erhob sich von seinem Liegeplatz neben den Zwerg und schlabberte den Gnom mit seiner großen, feuchten Hundezunge ab.
"Argh! Crunkers, lass das! Böser Hund!", wehrte sich Harry, während er versuchte ihn von sich wegzudrücken. Natürlich gelang ihm das nicht.
Glum hielt inne und schaute auf seinen Vorgesetzten herab. "Oh hallo, Harry, was treibst du denn hier? Schon wieder Zeit für dein wöchentliches Bad?"
"Sehr witzig, Hauptgefreiter, steh nicht so blöd rum, sondern rette mich!"
"Aus, Crunkers!", befahl Glum in einen strengen Tonfall und zog ihn an seinen Halsband von dem Oberstabsspieß weg. Der Hund jaulte herzerweichend auf.
"Hör auf zu winseln, Crunkers", meinte Harry miesgelaunt und wischte sich angewidert den Sabber vom Gesicht. Sein Kollege nutzte die Zeit um den Abteilungshund an seinem Schreibtisch anzubinden. Beleidigt drehte der ihnen den Rücken zu.
"Wieso bist du eigentlich hier, Harry?", fragte Glum, nachdem er seinen Smoking an einen Haken aufgehängt hatte.
"Ich brauche dich für einen Fall", meinte der Gnom und legte einen überlegenen Gesichtsausdruck auf: "Es wurden in der letzten Zeit einige Bäcker ermordet, und da du schon mal in der Bäckergilde ermittelt hast, dachte ich, du bist da mein Mann."
Der Zwerg hob eine Augenbraue: "Geht es um die Morde an Igor Fladiwitsch, Jochen Fuhrmann und Konrad Sahnesteif?"
"Du bist gut!", stellte Harry anerkennend fest: "Wie hast du von den Morden erfahren?"
"Also, in der Times-"
"Ach, die Zeitung. War klar, dass die brühwarm davon berichten. Ich bin dafür, dass wir uns mal die Bäckergilde vornehmen und herausfinden, wer ein Motiv hatte, die drei umzubringen."
"Ich glaube nicht, dass das notwendig sein wird, Harry."
"Was? Wieso nicht, Stiefel?"
"Ich weiß, was die drei miteinander verbindet. Es gibt da diese Familie Karamello. Eine von den ganz alten Adelsfamilien. Die haben ihren eigenen Bäcker, und den Posten besetzen sie nur mit dem besten der Besten. Bis vor kurzem war das der Fladiwitsch. Nun, nachdem der tot ist, haben sie dem zweitbesten Bäcker der Stadt ein Angebot gemacht - schwupps war auch Fuhrmann hinüber. Und es wird dich sicher nicht verwundern, wer der drittbeste Bäcker der Stadt war."
"Sahnesteif! Oh Mann, das wird ja supereinfach! Wir müssen nur den viertbesten Bäcker der Stadt finden, und observieren und dann wird der Mörder früher oder später auftauchen und wir nehmen ihn dann dingfest."
"Ähm Harry, so einfach ist das nicht."
"Wieso nicht? Wir fragen einfach die Familie Karamello, welchen Bäcker sie als nächstes einzustellen gedenken und voilá - fertig!"
"Problem ist nur, dass es keinen wirklich definitiven viertbesten Bäcker der Stadt gibt. Es gibt mehrere, die für die Arbeit in Frage kommen, deshalb wird die Familie Karamello in zwei Wochen einen Backwettbewerb veranstalten um ihren neuen Hausbäcker zu finden."
"Klingt vertrackt. Aber gut, dass du schon von vornherein so umfassend informiert bist. Damit hatte ich nicht gerechnet."
"Naja, genau genommen bin ich das nur, weil-"
"Aaah, die Zeitung wieder, stimmt's? Ich würde ja auch öfter die Times lesen, aber deren Format ist etwas zu ungünstig, als dass ich ohne weiteres mal reinschmökern könnte."
"Nicht ganz, ich-"
"Nicht so wichtig, Glum, nicht so wichtig. Am besten folgst du mir in die Puppenstube, damit wir die Sache etwas genauer besprechen können. Vielleicht hast du ja auch noch die eine oder andere Idee, welche Kollegen sich als hilfreich erweisen könnten."
Der Gnom drehte sich um und stolzierte mit stolzgeschwellter Brust aus dem Zimmer, wobei er kleine feuchte Spuren auf dem Teppich und dem Boden hinterließ.
Glum stöhnte genervt und folgte dann dem Oberstabsspieß aus dem Zimmer, nicht ohne noch Crunkers wieder abzubinden, der nun eine deutlich angesonnte Laune zu haben schien.
Ein angenehmer Duft nach Pfefferminze zog durch den Raum, mit einem leichten Hauch von Melisse. Es war nicht sehr hell in dem Lokal, aber das trug nur zu der gemütlichen Atmosphäre bei. Menélaos saß einem seiner Szenekontakte gegenüber bei einer schönen Tasse Früchtetee und unterhielt sich mit ihm.
"Na, wie läuft es denn bei dir in der Bäckerei? Ist ja schon ewig her, dass wir zusammen gearbeitet haben."
"Nicht sehr gut, Mené. Anscheinend hast du es noch nicht gehört, aber wir hatten einen Brand." Bedrückt schaute die junge Frau namens Marianne in ihre Teetasse.
Der Duft schlug in eine zitronige Note um. "Das ist ja furchtbar! Wie ist dass denn passiert?"
"Das wissen wir nicht so genau. Irgendwas mit dem Ofen war wohl nicht in Ordnung, ist passiert, als ihn der neue Lehrling gereinigt hatte. Das war eine wirklich schlechte Idee."
"Und die Versicherung?"
"Wir hatten keine, du weißt doch, was der Meister von so was hält."
Menélaos nickte. Er konnte sich noch gut an die Zeit erinnern, als er mit ihr zusammen in dieser kleinen, etwas schäbigen Bäckerei gearbeitet hatte, noch eine ganze Weile vor seiner Zeit als Wächter. Der Bäckermeister war ein ziemlich konservativer, grummeliger Kerl gewesen; aber er hatte ihm ermöglicht ab und an ein kondichemisches Experiment in seiner Backstube zu machen. Meistens am Nachmittag, wenn kein Backbetrieb war.
"Ihr habt also keine."
"Ja...aber das wird schon wieder. Ist zwar recht schwierig und wir haben nicht mehr die gleiche Kapazität wie früher, aber irgendwie muss man ja über die Runden kommen. Auch wenn wir uns umschauen, nach einer neuen Backstube. Aber du kannst dir sicher vorstellen, wie schwierig es ist, in der heutigen Zeit etwas erschwingliches zu finden. Und unsere Rücklagen sind auch futsch, wir mussten einiges ersetzen um überhaupt wieder backen zu können."
"Das ist wirklich nicht schön, Marianne. Ich wünschte, ich könnte euch irgendwie helfen, aber ich fürchte, das einzige, was ich dir anbieten kann, ist die SUSIs zu bitten, mal den Tatort zu untersuchen. Vielleicht können die herausfinden, was wirklich passiert ist. Vielleicht steckt ja auch einer eurer Konkurrenten dahinter."
"Das wäre wirklich nett von dir, vielen lieben Dank, Mené."
Marianne schüttelte seine Hand, ging dann zur Theke um ihren Tee zu bezahlen und verließ dann die Kneipe. Nachdenklich sah ihr Menélaos hinterher. Normalerweise genoss er die Möglichkeit in Rahmen seiner Szenekennertätigkeit alte Freunde zu besuchen, aber das heute hatte ihn eher traurig gemacht. Der Geruch vom Regen machte sich um ihn herum breit.
Glum schlenderte ziemlich grummelig die Straße entlang. Er war Undercover unterwegs, was sich darin äußerte, dass er sein eigenes Kettenhemd trug statt dem der Wache.
"Dies ist ein wichtiger Auftrag!", hatte Harry ihm gesagt. "Es ist enorm wichtig, dass du das richtig machst!"
Der Zwerg fühlte in seiner Tasche das beruhigende Gewicht von Bargeld, aber die Aussicht darauf, es auszugeben, tat ihm im Herzen weh. Selbst, wenn es nicht sein eigenes war.
Vielleicht bleibt ja doch etwas übrig. Wie teuer kann das Zeug schon sein?, dachte Glum,
Es wird schon kein Vermögen kosten, schließlich sind die Zutaten ganz billig. Und ich lasse mich auch nicht so einfach ohne zu Feilschen über den Tisch ziehen.Dann erreichte Glum das erste Ziel seiner Liste, die Konditorei "Graf". Seine Augen weiteten sich vor Staunen als er in das Schaufenster sah: Dort drinnen stand ein essbares Modell eines Überwalder Schlosses inklusive Wald und Dorf mit unterdrückten Einwohnern. Die Details waren atemberaubend akkurat, er konnte förmlich das Blut riechen, das der eine Dorfbewohner verlor, der eben von einem Werwolf zerfetzt wurde.
Dann fiel sein Blick auf den Preis und der Zwerg bekam ganz weiche und zittrige Knie. Er musste sich an der Wand abstützen, sonst wäre er zusammengeklappt. So eine große Zahl hatte er noch nie gesehen und schon gar nicht als Preis.
Du musst stark sein, Glum!, machte er sich selbst Mut und betrat dann die Konditorei.
"Guten Tag! Wie kann ich Ihnen behilflich sein?", fragte eine Frau in einem sehr rüschigen, hochgeschlossenen Kleid mit einer ebenso rüschigen weißen Schürze. Nicht der winzigste Fleck war auf ihrer Kleidung zu sehen... Ein kleines Schildchen verriet Glum, dass er soeben von Fräulein Schmidt bedient wurde.
Der Zwerg ließ seinen Blick über die Auslage schweifen und Verzweiflung nagte an seinen Eingeweiden. War das da drüben etwa Blattgold?! Hektisch ließ er seinen Blick hin und her wandern, um den billigsten Preis auszumachen.
"Sir?", fragte Fräulein Schmidt, als sich der Zwerg fünf Minuten lang die Nase an der Scheibe zur Auslage platt gedrückt hatte.
"Ich... ähm.. ich.." Glum schüttelte den Kopf und beschloss, sich endlich zusammen zu reißen: "Sagen Sie, haben Sie vielleicht noch etwas anderes, als das, was hier in der Auslage liegt?"
"Nun, wenn Sie Sonderwünsche haben, Sir, dann kommen wir denen gerne sofort nach und bereiten sie frisch zu."
Glum wurde bleich: "Nein, nein, nein! Ich meinte eigentlich Kuchen vom Vortag, oder weniger gelungene Stücke und so."
Die Verkäuferin lachte schallend auf und wischte sich schließlich ein Tränchen aus dem Augenwinkel. "Als, ob hier auch nur ein Stück am Ende des Tages übrig bleiben würde! Sir, das hier in der Auslage
sind die weniger gelungenen Stücke, die besten haben wir schon längst verkauft. Also, möchten Sie nun etwas kaufen, oder nicht?"
Glum musste schwer schlucken und seine gesamte Kraft aufbringen, um auf zwei Kuchenstücke in der Auslage zu deuten. "Ich nehme das da und das."
"Sehr wohl, Sir, ich werde es Ihnen sogleich einpacken!" Fräulein Schmidt holte einen aufwendig bemalten Pappkarton hervor und setzte die zwei in Glums Augen geradezu winzigen Stücke Kuchen hinein. Dann schlug sie das Kuchenpäckchen in Seide ein.
"Hier, Sir, das macht dann insgesamt 16 Dollar!", meinte sie und stellte das Päckchen vor ihm auf den Verkaufstresen ab.
"Zehn!" entgegnete Glum.
Die Verkäuferin hob geringschätzig eine Augenbraue: "Sir, dies hier ist eine der exquisitesten Geschäfte der Stadt. Unsere Preise sind keine Verhandlungsbasis. Dann würden wir nämlich das Dreifache verlangen."
Er schluckte schwer und nahm dann mit zitternden Händen die Geldbörse, die ihm Harry anvertraut hatte, und zählte 16 Dollar auf den Tresen. Jede einzelne Münze tat ihm weh, als wäre sie sein eigenes Kind, aber tapfer brachte er die Transaktion hinter sich.
"Vielen Dank, Sir! Hier haben Sie ihre Quittung, bitte beehren Sie uns bald wieder!"
Wortlos verließ der Zwerg die Konditorei und musste draußen erst einmal eine Weile ein- und ausatmen.
Quittung? Wie passend, die Diebesgilde stellt die Dinger auch aus.Glum brauchte eine Weile und viel mentale Stärke um alle Konditoreien abzuklappern, die Harry ihm aufgeschrieben hatte. Insgesamt waren es fünf:
Die erste war die von Graf Stephan, einem Vampir aus Überwald, der ein Faible für Dekoration hatte. Blutige Dekoration. Aber wenigsten verwendete er Himbeeren dafür und nicht das richtige Zeug.
Die zweite Konditorei war von einem Typen mit dem hochtrabenden Namen "Simon le Saucereur". Sein Kuchen war überraschend billig und von schwammiger Konsistenz, allerdings zeichnete seine Backkunst aus, dass er zu allem Soßen reichte, und die war richtig teuer.
Konditor Nummer drei gehörte einem gewissen Herrn Knoblauch. Auch wenn man es von den Namen her nicht vermutete, er war dreimal so exzentrisch wie die anderen. Er vertrat die Philosophie, dass man als Bäcker ein Stück von seinem inneren Wesen in die Kuchenzubereitung einbringen musste - mit anderen Worten, er packte überall Knoblauch hinein. Glum fragte sich ernsthaft, wie jemand mit knoblauchhaltigem Kuchen zu einem der Meisterbäcker der Stadt werden konnte.
Die vierte Konditorei gefiel Glum. Denn sie gehörte einem Zwerg namens Mopsi Silbernase, der noch wusste, wie man
richtiges Gebäck zubereitete, ganz klassisch, mit Amboss und Schmiedehammer. Da waren die Preise in Glums Augen auch völlig gerechtfertigt, weil das, was Mopsi buk, auch in 1000 Jahren noch frisch wie am ersten Tag sein würde.
Die fünfte Konditorei fand er schließlich ein wenig gruselig. Sie kam zwar einer normalen menschlichen Konditorei am nächsten, aber sie gehörte dem dritten Todesopfer, Konrad Sahnesteif. Seine Mutter hatte anscheinend das Geschäft nach seinem Tod wieder aufgenommen und
verschenkte ihm zu Ehren den Kuchen. Der Laden war randvoll, und der einzige Grund, warum nicht ganz Ankh-Morpork anwesend war, war die Tatsache, dass sie pro Stück eine Spende von einem Dollar verlangte, die sie einem guten Zweck zukommen lassen wollte. Die Aktion war zum Glück auf wenige Tage beschränkt.
SchwerVoluminös bepackt kehrte der Zwerg schließlich ins Wachhaus zurück, wo Harry und Menélaos
[2] schon auf ihn warteten.
"Harry, ich habe getan, was du mir aufgetragen hast", verkündete er mit etwas Trauer in der Stimme: "Ich habe 53 Dollar für das Zeug ausgegeben. 53 Dollar! Ist das zu fassen?!"
Herausfordernd schaute er die Wächter an, die um den Schreibtisch in der Puppenstube herum verteilt saßen, in der Hoffnung, dass sie begriffen, was das für ein Wahnsinn war, so viel Geld für so etwas wie Kuchen auszugeben. Doch dann war er etwas irritiert.
"Was sucht
die denn hier?", fragte er und deutete auf Koporal Baum.
"Ach, das ist einfach", erklärte Harry. "Ich habe bei RUM um einen verdeckten Ermittler gebeten und sie dann zugeteilt bekommen."
Lilli nickte und lächelte Glum freundlich an.
"Was?!", empörte sich der Zwerg: "ICH bin doch schon verdeckter Ermittler. Wozu brauchen wir denn die dann noch? Bist du noch ganz dicht, Harry?"
Der Gnom verzog verärgert sein Gesicht. "Es heißt: Sind SIE noch ganz dicht, OBERSTABSSPIESS Harry, SIR. Und ich verbitte mir solche Fragen! Ich bin schon länger in der Wache als du, also hör auf meine Entscheidungen zu hinterfragen!" Der Gnom plusterte sich förmlich auf.
Glum seufzte: "Entschuldigung, soll nicht wieder vorkommen, tut mir Leid."
"Dann ist ja gut!", erwiderte Harry in einem überlegenen Tonfall. "Und nun her mit dem Kuchen, damit wir herausfinden, wie gut unser Menélaos hier backen muss, um bei dem Wettbewerb Undercover mitmischen zu können."
"Menélaos soll mitbacken?"
"Natürlich, Glum. So ist er an vorderster Front und kann sofort eingreifen, falls das nötig sein sollte. Selbstverständlich wird er von einem verdeckten Ermittler begleitet."
Der Zwerg hob abwehrend die Hände: "Harry, das geht nicht, ich-"
"Ich meinte Korporal Baum."
Sofort verzog Glum das Gesicht und verschränkte die Arme: "Bin ich dir etwa nicht gut genug?!"
Lilli musste sich ein Kichern verkneifen.
"Was hat sie, was ich nicht habe? Jetzt abgesehen von diesem unhöflichen Kastendämon?!"
"Sie ist bei RUM. Falls es dir nicht aufgefallen ist: Das ist die Abteilung die sich um Morde kümmert. Wie zum Beispiel an Bäckern und Konditoren."
"Die sind aber in der Bäckergilde organisiert. Eindeutig ein Fall für DOG."
"Weswegen ich ja auch von Bregs die Leitung dieses Falles bekommen habe. Und jetzt sei so nett und verteile den Kuchen, ja?"
Glum schaute grummelig, aber begann damit das Backwerk aus seiner aufwendigen Verpackung zu befreien, und zwar so, dass auch die Optik gewahrt blieb.
"Ähm, Herr Oberstabsspieß?", fragte Menélaos von einem zweifelnden Himbeerduft umgeben. "Ich kann doch nicht einfach bei dem Wettbewerb auftauchen und dort teilnehmen. Ich habe ja nicht einmal meinen Meistertitel, die werden mich nie akzeptieren..."
Lilli tippte ihm mit einer Hand auf die Schulter, ehe Harry zum antworten kam, machte eine wegwerfende Handbewegung, zeigte dann auf den Daumen auf sich, gepaart mit einem diabolischen Grinsen.
"Ich glaube, der Korporal möchte dir damit mitteilen, dass sie sich darum kümmern wird", mutmaßte Harry, was ihm die verdeckte Ermittlerin mit einem Nicken bestätigte.
"Da gibt es aber noch eine Sache: Wenn ich richtig gut backen soll, dann brauche ich eine ordentliche Backstube und Platz."
"Hm", meinte Harry. "Das könnte schwierig werden. Einfach in eine Bäckerei einmieten ist wohl keine gute Idee, dass würde bestimmt herauskommen..."
Da sprang Lilli mit einem Male auf und lief aus dem Raum.
Harry und Menélaos schauten ihr hinterher. "Ob sie wieder eine Idee hatte?", mutmaßte der Gnom. Dann drehte er sich zu Glum um und stellte fest, dass dieser mit einem hastig in seinen Bart gemurmelten "Bin gleich wieder da..." ebenfalls gerade den Raum verließ.
Harry verzog das Gesicht und verschränkte seine Ärmchen. "Wieso hauen einfach alle ab? Man hat mich gefälligst zu fragen, bevor man das Zimmer einfach so verlässt!"
"Ich bleibe hier", meinte Menélaos, weil es ihm angebracht erschien.
"Das will ich aber auch schwer hoffen!", maulte der Gnom.
Beide warteten dann. Sie redeten nicht miteinander, sie schauten sich nicht gegenseitig an, sie warteten einfach nur. Schließlich war das eine Mission, an der vier Wächter beteiligt waren. Die Stille empfanden beide als etwas unangenehm. Ein wahrhaft verführerischer Duft begann von dem Kuchen auszusteigen, den Glum auf einem großen Teller auf dem fürs Boucherie obligaten Bett drapiert hatte. Gierig sah Harry immer wieder in diese Richtung. Mit dieser Menge Kuchen könnte er eine ganze Woche satt werden, und das auf eine kulinarisch äußerst ansprechende Art und Weise.
Nach ein paar Minuten öffnete sich die Tür erneut, und Glum betrat den Raum wieder, in der Hand einen Ikonographen.
"Hey, wieso bist du einfach gegangen?", empörte sich Harry.
"Ich hielt es für sinnvoll, eine Ikonographie anzufertigen", meinte der Zwerg schulterzuckend.
"Wo hast du denn den Ikonographen her?"
Glum lief über und über rot an: "Den habe ich mir unten ausgeborgt. Und bitte - keine weiteren Fragen."
Harry lachte auf, während Menélaos feststellte: "Keine schlechte Idee, das Auge isst schließlich mit, da kann ich mir auch noch was abschauen, nachdem ich festgestellt habe, was für Zutaten verarbeitet wurden."
"Du kannst so was?", fragte Harry anerkennend.
"Klar", entgegnete der Gefreite. "Ich bin doch Kondichemiker."
Da betrat der Korporal wieder das Zimmer. Sie war offensichtlich außer Atem. Wortlos legte Lilli vor Harry eine alte Akte ab.
Der Gnom sah sie an: "Was soll ich damit?"
Menélaos hingegen griff nach ihr und blätterte kurz darin. Erst war sein Gesichtsausdruck voller Verwirrung, dann jedoch hellte sie sich schlagartig auf: "Oh, du hast Ideen!"
"Was denn, was denn?", fragte der Oberstabspieß ungeduldig und streckte die Arme in Richtung der Akte und befahl Menélaos: "Gib sie mir!"
Der Szenekenner legte die Mappe vor ihm ab und der Gnom stemmte sich die Arme in die Seite, während er die Zeilen beim Lesen entlang stapfte. Er rümpfte die Nase: "Was soll das? Das ist doch nur eine alte Akte von einem Fall im Morpork Quadrat Garten. Was hat das mit unseren Ermittlungen zu tun?"
"Ich glaube, Lilli wollte uns eher hier drauf aufmerksam machen." Der SEAL deutete auf eine bestimmte Stelle.
"Der Ort, von dem sie aus agiert haben? Hartfels-Café... hm... Korporal, weißt du zufällig, ob deine Abteilung noch Zugang zu diesem Gebäude hat?"
Sie antwortete nicht, sondern zog einen Schlüssel aus der Hosentasche, den sie klimpernd hin und her schwang. Ein breites Grinsen erschien auf ihrem Gesicht.
"Aah, sehr schön, du denkst mit!", stellte Harry anerkennend fest.
Die Wächterin errötete nur ein wenig und machte eine abwinkende Handbewegung.
"Zeit für die Kuchenprobe", stellte Glum fest und stellte das Tablett mit dem frisch ikonographierten Backwerk auf den Tisch. "Also, das mit den Erdbeeren und das mit den Mandarinen ist aus der Bäckerei Graf. Der Marmorkuchen ist von Silbernase. Da drüben, was aussieht wie ein Schwamm, ist vom Saucereur, daneben stehen Schälchen mit der dazugehörigen Soße. Die Sahneteilchen sind vom Knoblauch und die Törtchen von der Sahnesteif."
"Na, dann, sollten wir uns an das Verkosten machen. Ich habe da übrigens wohlweislich etwas vorbereiten lassen", sagte Harry und deutete auf die Schreibtischschublade. "Menélaos, wenn du eben so freundlich wärst!"
Der Wächter zog die Schublade auf und holte einige mit "Kuchenbewertungsformular" überschriebene Zettel hinaus, die er an seine Kollegen verteilte.
"Vergesst nicht, dass jeder von jedem Bäcker zumindest ein Stückchen essen sollte. Also keine kompletten Stücke allein vertilgen, verstanden? Wir wollen ein möglichst authentisches Bild davon haben, wie Kuchen von einem Meisterbäcker sein muss, damit Menélaos nicht auffliegt, weil er zu normal backt."
Die anderen nickten und griffen jeder nach einem Stück Gebäck.
Menélaos nahm sich den Schwammkuchen. So ein Gebäckstück hatte er noch nie gesehen. Er schnitt ein Stück ab, um es genauer unter die Lupe zu nehmen. Vorsichtig drückte er mit einem Löffel darauf. Der Kuchen gab nach, aber kaum nahm er den Druck wieder weg, entdellte er sich wieder. Schien richtig fluffig zu sein. Probeweise teilte er mit dem Löffel ein Stückchen ab und nahm es in den Mund. Er rollte es mit der Zunge hin und her, kaute vorsichtig darauf herum, um Textur und Geschmack ideal beurteilen zu können und kam schließlich zu dem Schluss, dass der verdammte Kuchen nach überhaupt nichts schmeckte. Dann erinnerte er sich an die Soße. Er nahm die Sauciere und goss ein wenig der dickflüssigen burgunderroten Flüssigkeit auf den Kuchen. Der absorbierte -wenig überraschend - die Soße wie ein Schwamm. Der Wächter probierte erneut ein Stückchen und diesmal war er fast überwältigt von den vollen Aroma von Kirschen und wilden Trauben. Der geschmacklose Kuchen hatte sich durch die Soße in ein saftigen und vollmundigen Gaumenschmaus verwandelt.
Mann, das wird schwer, so etwas raffiniertes zu überbieten...Lilli zeigte hingegen keinerlei Reaktion auf das Stück Törtchen, dass sie soeben gegessen hatte sondern starrte nur stur darauf.
"Hey, Lilli, probier mal diesen Kuchen", forderte sie Menelaos auf und schob ihr das soßengetränkte Prachtstück hinüber. Lilli riss ihren Blick vom Törtchen los, schaute den Schwammkuchen an, probierte einen Bissen und machte dann die Handbewegung für "Solala".
"Du findest den nur mittelmäßig?"; fragte Menélaos entsetzt, doch Lilli deutete nur auf das Törtchen.
Der Bäcker probierte ein Stück. Es stimmte einfach alles. Geschmack, Konsistenz, Struktur. Es war, als würde man ein Stück vom Himmel essen. Selbst die Götter auf dem Cori Celesti konnten nicht besser speisen. Dieses Törtchen war nicht lecker, denn es gab keinen Punkt auf der Skala für Leckerheit, die auch nur einen Bruchteil der Leckerheit dieses Törtchens gerecht werden würde. Es sprengte jeden Vergleich. Ihm lief ein Schauer des Entsetzens über den Rücken. So gut zu backen, ging doch nicht mit rechten Dingen zu! Er musste herausfinden, was das Geheimnis von Mütterchen Sahnesteif war, denn er wollte auch so gut sein.
"Au!", beschwerte sich Harry: "Wieso hat mir niemand gesagt, dass das da Zwergenkuchen ist? Ich glaub' ich habe mir einen Zahn abgebrochen!"
"Silbernase ist ein klassischer Zwergenname", erklärte Glum. "Ich dachte, du wüsstest das."
Der Gnom hielt sich die Wange. Ihm war der Appetit auf Kuchen gründlich vergangen.
[3]Einige Zeit später stand Menélaos an der Tür zum SUSI-Labor. Die anderen hatten sich auf den Weg zum Hartfels-Café gemacht, aber er hatte vorher noch etwas zu erledigen.
Er klopfte an die Tür, betrat das Labor und begrüßte Lady Rattenklein. "Hallo, Mä'äm! Hat die SUSI-Ermittlung etwas ergeben?"
"In der Tat. Da drüben liegt der Bericht."
Die Gnomin mit dem feuerroten Haar deutete auf eine Aktenmappe, die ein Stück von ihr entfernt auf dem Labortisch lag und wandte sich wieder ihrer alchemistischen Apparatur zu. Ein wenig Neid in Form eines erdigen Geruchs machte sich in und um Menélaos breit, aber er unterdrückte das Gefühl und nahm sich die Akte.
"Vielen Dank, Mä'äm!"
"Jaja, schon gut, keine Ursache", meinte die Wächterin, ohne sich wieder von ihrem Experiment abzuwenden. Der Szenekenner verließ den Raum und warf dann einen Blick in die Akte. Unbewusst griff er sich an den Kopf, als er feststellte, dass SUSI genug herausgefunden hatte, dass er eindeutig sagen konnte, wer schuld an dem Brand gewesen war: Er selbst!
Es nicht fassend könnend, las er die Akte erneut durch. Eindeutig, es lag an Spuren von einer alchemistischen Mischung, die er selbst kreiert hatte. Anscheinend war etwas davon vor Jahren in den Ofen gelangt und hatte sich nun entzündet, als sie mit Reinigungslauge in Berührung kam.
Menélaos musste an die Zeit denken, in der er in jener Bäckerei gearbeitet hatte. Es war eine schöne Zeit gewesen. Und wie zahlte er es zurück? Das konnte er doch nie wieder gut machen...
Niedergeschlagen verließ er das Wachhaus um zu den anderen zu gehen. Seine gute Stimmung war dahin.
Drei Tage späterWas für ein Spaß! Menélaos hatte alles um sich herum vergessen So viel Vergnügen hatte er schon lange nicht mehr gehabt! Vanille und Mandeln, Mehl und Eier, Ofen und Rührschüssel, wie sehr bereicherte das Backen doch sein Leben! Die letzten Tage waren recht arbeitsreich für sie gewesen, wofür er aber sehr dankbar war, weil er so keine Gelegenheit zum Nachdenken gehabt hatte. Harry und Glum hatten das Hartfels-Café für ihn hergerichtet, er buk in jeder freien Minute um seine Technik zu verbessern und Lilli kümmerte sich um die Tarnung. Und wenn sie das nicht tat, testete sie seine Backwerke.
Schade, dass ich keine Stelle als Alchmikexperte bekommen habe - aber das hier ist fast genau so gut, dachte er, während er etwas Spezialkakaopulver in seinen Teig unterrührte. Langsam füllte er die Masse in die vorgefettete Form und schob sie dann in den Ofen. Das würde ein kleines Meisterwerk werden, eine echte Geschmacksexplosion!
Harry hatte sich den höchsten Platz des ganzen Raumes ausgesucht. Mit anderen Worten: Er saß im Kronleuchter. Von hier aus hatte der kleine Gnom mit dem struweligen Haar alles im Blick und trotzdem würde niemand auf die Idee kommen, dass er helfen müsste. Er war wirklich ein genialer Vorgesetzter!
"Hey, Stiefel, der Stuhl gehört weiter rechts!", befahl er und der Zwerg schob grummelnd den Stuhl ein Stück zur Seite.
"Neinneinnein!", meinte Harry und schlug die Hände über dem Kopf zusammen: "Jetzt steht er viel zu weit rechts. Schieb' in wieder nach links, sonst sieht das Ganze doch total asymmetrisch aus!"
Glum drehte sich um und stemmte sich die Hände in die Seite: "Ich habe den Stuhl vielleicht zwei Zentimeter bewegt!"
"Das war eben ein Zentimeter zu viel", erklärte Harry.
"Na und?", fragte Glum, verschränkte die Arme und warf einen trotzig grimmigen Blick zu dem Gnom empor. Das war wirklich zu viel. Normalerweise hockte Harry irgendwo herum und spähte irgendwelche Verbrecher aus und ging ihm nicht mit irgendwelchen lächerlichen Befehlen auf die Nerven. Nur weil jemand irgendeinen hohen Rang inne hatte, war das doch kein Freibrief für tyrannische Befehle!
Er spürte ein Tippen auf seiner Schulter und machte einen Schritt beiseite. Lilli schenkte ihm ein dankbares Nicken und fegte weiter.
"Hör auf zu maulen, Stiefel. Nimm dir ein Beispiel am Korporal, die zetert nicht so viel herum!"
"Aber Lobeshymnen hört man von ihr auch nicht!", konterte Glum und hob einen Zipfel von seiner Schürze. "Was soll überhaupt dieses lächerliche Outfit?! Ich komme mir vor wie ein Erdbeertörtchen!"
Harry ließ sich einen Moment lang Zeit um den Zwerg ausgiebig zu betrachten. Glum trug rote Hosen, ein weißes Hemd und darüber eine altrosa Rüschenschürze, auf der eine große Erdbeere gestickt war. Das ganze Ensemble wurde ergänzt von einer roten Fliege, die vorwitzig zwischen seinem geflochtenen Bart hervorblitzte.
"Ich weiß nicht recht", entgegnete Harry
[4] und fügte hinzu: "Mich persönlich erinnerst du eher an ein Bonbon."
"Schönen Dank auch!", entgegnete Glum bitter. "Was denkst du, was passiert, wenn Emilia mich so sieht?! Mein ganzes Imädsch wäre ruiniert! Ru-Ih-Niert, hörst du?"
"Du hättest es schlimmer treffen können", behauptete Harry und wies mit einer Kopfbewegung in Richtung Lilli. Die trug statt der Hosen einen erdbeergemusterten Rock und auf dem Kopf ein Häubchen.
"Pah!", wetterte Glum "Die hat das doch ausgesucht!"
"Sie hat ja auch jede Menge Erfahrung beim verdeckten Ermitteln", stellte Harry fest. "Und in den Sachen kommt bestimmt niemand darauf, dass wir eigentlich Wächter sind."
"Nicht mal einen Patch, das hat sie...", murmelte der Zwerg in seinen Bart und fügte hinzu: "Klar, dass uns niemand erkennt. Wir sehen aus, als hätten wir den Verstand verloren..."
"Hast du was gesagt?", fragte Harry in einem scharfen Tonfall.
"Nein, natürlich nicht,
Sör", erwiderte Glum. Dann schob er den Stuhl wieder ein Stück zur Seite.
"Jetzt ist er wieder zu weit links", stellte Harry fest.
Lilli entfernte die letzten Staubflocken vom Boden und schaute sich um. Es sah nun wirklich schick hier aus, niemand würde Zweifel daran haben, dass hier wirklich ein renommierter Bäcker aus Sto Lat ein neues Café eröffnet hatte. Es war alles perfekt, morgen konnten sie schon aufmachen und am Tag danach würden sie sich am Wettbewerb anmelden. Sie hatte alles vorbereitet, es konnte nichts mehr schief gehen.
Ein leckerer Duft wehte aus der Backstube herüber. Menélaos streckte den Kopf zur Tür heraus und fragte: "Hey! Ich brauche mal eben jemand zum probieren!"
Lilli stellte den Besen an die Wand und kam der Aufforderung sogleich nach. Menélaos nahm den Kuchen frisch aus dem Ofen, stürzte ihn auf eine Kuchenplatte und schnitt dem Korporal ein großes Stück ab, dass er auf einen Teller legte und ihr weiterreichte. "Diesmal bin ich ganz optimistisch, dass ich endlich die richtigen Backzutaten gefunden habe, um auf das Level von der Sahnesteif zu kommen."
Lilli nickte ihm zu, schob sich ein großes Stück Kuchen in den Mund und kaute munter drauf los.
Dann verzog sie mit einem Mal das Gesicht, welches eine leicht grünliche Färbung angenommen hatte und hastete zu Mülleimer wo sie alles ausspuckte. Ihr schwindelte und sie musste sich sehr zusammenreißen um den Brechreiz zu unterdrücken.
"Oh nein!", entfuhr es dem Bäcker und er flitzte schnell in den Gastraum um Lilli einen Stuhl zu holen. "Ich habe doch selbst probiert,
so schlimm kann es doch nicht schmecken? Es tut mir wirklich Leid, kann ich vielleicht was für dich tun?" Lilli scheuchte ihn nur mit einer Handbewegung weg, also verließ er die Backstube, auch um sich selbst zu sammeln.
Wieso geht in letzter Zeit nur alles schief? Ich habe wirklich mein gesamtes kondichemisches Arsenal aufgefahren und dann so was!Geknickt verließ er das Hartfels-Café, ohne auch nur ein Wort mit den zwei Kollegen zu wechseln.
Lilli fühlte sich hundeelend und versuchte nicht an den Kuchen zu denken, den ihr Menélaos vorgesetzt hatte. Stattdessen dachte sie an die leckeren, leckeren Törtchen, die sie bei der Verkostung gegessen hatten - und von denen sie sich hinterher einen eigenen Vorrat zugelegt hatte. Ein Großteil ihrer Ersparnisse war dafür draufgegangen, aber diesen Dingern konnte sie einfach nicht widerstehen. Aus den Augenwinkeln heraus entdeckte sie eine Kuchenschachtel, und mit Freuden stellte sie fest, dass das Emblem der Sahnesteif-Konditorei darauf abgebildet war.
Anscheinend hatte Glum noch mal ein paar Vergleichsstücke für ihren backenden Kollegen besorgt. Ein Stückchen würde bestimmt niemand vermissen.
Die Wächterin stand auf und sogleich drehte sich alles in ihr vor Übelkeit. Sie stolperte vorwärts und hielt sich an der Arbeitsplatte fest. Mit einer Hand öffnete sie die Schachtel und sah den Inhalt: Muffins! Beim bloßen Gedanken daran, etwas zu essen, stülpte sich ihr der Magen um.
Zitternd hielt sich Lilli am Tresen fest und fühlte sich ganz hin und her gerissen zwischen Lust aufs Essen und der immer stärkeren Übelkeit. Sie fragte sich, wieso ihr Magen so rebellierte, denn außer dem kleinen Stück Kuchen von Menélaos hatte sie doch heute nur sahnesteifsche Produke gegessen.
Einer der Muffins schien sie anzustarren. Lilli blinzelte müde.
Da blinzelte der Muffin zurück. Die Wächterin riss erschrocken die Augen auf. Da setzte der Muffin noch einen drauf und verlangte: "Iss mich!"
Lilli schüttelte unwirsch den Kopf.
"Komm schon!" verlangte das Küchlein. "Ich weiß, dass du es willst. Ich bin mit Nüssen!"
Die Wächterin griff nach dem Gebäck und hob es hoch.
"Jippieh!," freute sich der Muffin: "Los, beiß zu, beiß zu! Ich bin total lecker!"
Sie griff nach etwas Papier und wickelte den Muffin hinein. Nach dieser seltsamen Vorstellung hatte sie eine gewisse Ahnung, um was es sich bei Mütterchen Sahnesteifs geheimer Zutat handelte, wieso sie Menélaos nicht herausfinden konnte und warum ihr so übel war. Etwas wackelig auf den Beinen machte sie sich auf den Weg ins Hauptwachhaus.
"Ich komme mir albern vor", murmelte Menélaos und warf einen Seitenblick auf Lilli, die in seinen Augen nicht weniger albern wirkte. Er sah aus, als wäre er eben aus einem Bilderbuch für Kinder gesprungen, wie der Prototyp eines Bäckers. So wie kein echter jemals aussehen würde.
Die beiden gingen in Richtung Morpork Quadrat Garten, dort wo demnächst der Wettbewerb stattfinden würde und nun gerade die Anmeldung lief. Zum Glück war das Hartfels-Café gleich in der Nähe, was die Ermittlungen doch erleichtern würde, weil es zum einen als Einsatzzentrale dienen konnte und zum anderen die Tarnung für ihr Vorhaben lieferte.
Die beiden betraten den Vorsaal des Gebäudes, der voll mit Schaulustigen war, und in dem ein Tisch mit einer Frau stand, die die Anmeldungen entgegen nahm. Wenig selbstsicher versuchte Menélaos lässig dahin zu schlendern.
"Ich...möchte... mich gerne für den Wettbewerb anmelden!"
Die Frau musterte ihm von oben nach unten. "Wirklich? Ich habe Sie noch nie gesehen. Wer sind Sie überhaupt?"
Menélaos räusperte sich: "Theo Teigig, ich bin erst vor kurzem aus Sto-Lat hierher gezogen und habe ein Café eröffnet."
"Nie gehört", stellte die Frau fest: "Und ich glaube nicht, dass mein Auftraggeber Herr von Karamello sehr davon angetan wäre, wenn ich irgendwelche namenlose Möchtergernbäcker in den Wettbewerb lassen würde."
Lilli zog scharf die Luft ein.
"Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?", fragte die Anmeldefrau, doch Menélaos antwortete an Lillis statt: "Das ist das Fräulein Limone, meine Gehilfin."
Seine Kollegin fackelte nicht lange, sondern zog plötzlich einige Zertifikate aus einer Handtasche heraus und knallte sie auf den Tisch.
Menélaos wurde bleich, als er wie die Anmeldedame las, was da auf den Papieren stand. Ein Meisterbrief als Bäcker und Konditor! Eine Urkunde zur Ernennung eines offiziell anerkannten Gourmetbäckers des Herzogtums Sto Lat! Eine Siegesbescheinigung für den gennuanischen Backmarathon! Von letzterem hatte er ja nicht einmal jemals was gehört...
Während er versuchte den unerwarteten Schock zu verdauen, kreischte plötzlich eine Frau im Publikum auf: "Oh, er ist es, er ist es! Theo Teigig!" Augenblicke später wurde er von mehreren Frauen umringt, die alle unbedingt ein Autogramm auf ihre Brötchen haben wollten.
"Ich... ähm... ich..." Der Bäckergeselle fühlte sich vollkommen überrumpelt, doch dann stellte er fest, dass ihm die Damen merkwürdig bekannt vorkamen.
Moment - ist das nicht Ophelia?, fragte er sich in Gedanken selbst, und errötete heftig, von einer mandarinigen Duftwolke umgeben.
"Hm...", machte die Anmeldefrau und wirkte immer noch nicht vollständig überzeugt.
Lilli griff nach ihrer Hand und deutete auf die Tür.
"Würden Sie uns ähm... bitte folgen?", fragte Menélaos. Und tatsächlich begleitete sie die Anmeldedame nach draußen, bis zum Hartfels-Café, dicht gefolgt vom Mob.
Das Café - das sie bei seinem Aufbruch quasi zeitgleich eröffnet hatten und das vollkommen leer gewesen war, war nun plötzlich bis auf den letzten Platz besetzt. Es waren viele bekannte Gesichter dabei. Anscheinend hatte Lilli es irgendwie geschafft, Harry dazu zu bringen, dass er die halbe Wache für diesen Job für den Nachmittag in Tarnung Kuchen futtern lässt.
"Also, das überzeugt mich in der Tat. Wir sollten auf der Stelle zurückkehren und den Anmeldebogen ausfüllen. Herr von Karamello wird begeistert sein, von ihrer Teilnahme zu hören, Herr Teigig!"
"Musstest du gleich so übertreiben?", fragte der Wächter seine Kollegin, nachdem sie erfolgreich angemeldet hatten und wieder außer Hörweite waren. Lilli grinste nur wie ein Schneekönig und nickte.
Der Szenekenner ließ seinen Blick über den Wettkampfaustragungsort schweifen. Irgendwo hier würde der Mörder zuschlagen. Aber nicht, wenn er und Lilli es verhindern konnten. Der Wächter warf einen Blick zurück über seine Schulter, wo seine Kollegin über und über beladen mit Zeug hinter ihn her ging. Er hatte ein zitronig-schlechtes Gewissen dabei, sie all die Sachen schleppen zu lassen, aber sie hatte auf ihre unverbale Art darauf bestanden. Aber da sie mehr Erfahrung in Sachen verdeckte Ermittlung hatte, würde sie schon wissen, was sie tat.
Die beiden gingen hinüber zu der Kochstation, an der ein Schild mit der Aufschrift "Theo Teigig" stand, was eindeutig darauf hinwies, dass es seine war. Links neben ihn war Mopsi Silbernase platziert, rechts Mütterchen Sahnesteif. Noch weiter rechts fanden sich die Stationen von Herrn Knoblauch, Graf Stephan und schließlich Simon le Saucereur. Vor ihnen konnte man das Podium der Wettkampfrichter sehen, außerdem etliche Tische an denen wohl geladene Gäste Platz nehmen würden. Dem Bäckergesellen dämmerte langsam, was für eine
große Großveranstaltung dies hier wirklich war und was für eine Blamage es sein würde, hier mit wehenden Fahnen unterzugehen. Klar, die Primärmission bestand darin, die Teilnehmer zu schützen, aber sein Stolz als Bäcker gebot es ihm, dass er wenigstens versuchen musste, halbwegs passabel abzuschneiden. Oder dafür zu sorgen, dass nach Fallabschluss keiner der Kollegen heraus bekam, dass er Theo Teigig war.
Die beiden waren nicht die ersten, die anwesend waren. Der Graf richtete sich gerade mit Hilfe eines Igors seinen Backplatz ein, und auch der Zwergenbäcker war schon mit seinem Gehilfen dabei, besonderes Equipment auszupacken. Wobei sich Menélaos nicht sicher war, wer von den beiden Zwergen eigentlich Silbernase war, sie sahen beide aus wie frisch aus der Schmiede gekrochen, wobei man ihnen sehr zu Gute halten musste, dass beide ein Bartnetz trugen. Unbewusst strich sich Menélaos über den eigenen Vollbart, aber kam dann zu dem Schluss, dass es albern wäre, ebenfalls ein Netz zu tragen.
Ansonsten war nur etwas Sicherheitspersonal anwesend: Ein paar Trolle, in aufgemalten Anzügen und mit Keulen, in denen das Familienwappen der Karamellos eingraviert worden war. Für normale Sicherheitsaufgaben waren die eine hervorragende Wahl, weil sie es mit größeren Mengen an Pöbel aufnehmen konnten, aber um einen geschickten Mörder aufzuhalten, brauchte es jemanden, der auch noch bei Zimmertemperatur in einem angemessenen Tempo denken konnte.
Die Tür von draußen öffnete sich und Herr Knoblauch betrat den Raum, ebenfalls in Begleitung eines Igors. Knoblauch wirkte auf den ersten Blick wie ein ganz normaler Bäcker, hatte aber dieses gewisse Funkeln in den Augen, dass verrückte Wissenschaftler auszuzeichnen pflegte. Gemütlich schlenderte er zu seiner Station, während sein Gehilfe eine Kiste voller Knollen ihm hinterher schleppte.
Natürlich blieb seine Ankunft auch vom Graf nicht unbemerkt.
Der plusterte sich förmlich auf, und bleckte seine spitzen Vampirzähne. "Knoblauch!!"
"Morgen, Steffi! Na, traust du dich auch her?"
"Ich heiße Stephan, Stephan! Du niederer Wicht, wie kannst du es wagen, mich zu beleidigen?!"
"Och, das ist eigentlich ganz einfach."
Die beiden kabbelten sich eine Weile, während beide Igors dabei zuschauten. Zwischen den beiden herrschte ein unausgesprochenes Einverständnis.
Die Halle begann sich immer mehr und mehr zu füllen und Menélaos und Lilli bekamen einen ersten Eindruck von den anderen Teilnehmern, die sich allesamt in ihren Bereichen erst einmal einrichteten, ein jeder mit einem Backgehilfen - abgesehen von Mütterchen Sahnesteif, die hatte aus unerfindlichen Gründen nur einen Käfig mit einem Pinguin dabei.
Dann trudelten auch die ersten Gäste ein. Es handelte sich um einige der höheren Persönlichkeiten der Stadt, Gildenführer, Zauberer und natürlich auch ein paar Pressevertreter. Anschließend tauchte eine Person auf, die Menélaos und Lilli etwas überraschte.
"Also ich finde ja, dass der Herr mit der Sauce eine gute Chance zu haben scheint", erklärte Harry einer Reporterin von der Times. "Aber als Vertreter der Wache möchte ich betonen, dass es sich um eine Vermutung und nicht um einen Wetttipp handelt. So was ist absolut illegal. Solange kein offizieller Buchmacher der Gilde der Glücksspieler involviert ist."
Menélaos machte einen Schritt in Richtung Harry, doch dann spürte er, dass ihm Lilli an seinem Ärmel festhielt. Sie machte eine abwinkende Handbewegung und zwinkerte ihm dann zu.
Ist das etwa schon wieder so ein Ablenkungsmanöver? Die bei RUM machen sich aber viele Umstände, stellte der Bäcker fest und wandte sich dann ab, um sich nicht vom Anblick des Vorgesetzten irritieren zu lassen.
Im Saal erlosch mit einem Mal das Licht und ein einzelner Lichtspot erschien auf der Bühne. Der Vorhang teilte sich wie ein Meer und hervor trat ein Mann wie ein Berg aus Fett. Aber er sah nett aus. Seine Kleidung ließ darauf schließen, dass er äußerst wohlhabend war, mit dem Samt, der Seide, der goldenen Borte und den Unmengen an Rüschen.
Er räusperte sich und sprach dann mit einer Stimme, die einen an warmen Schokoladenpudding erinnerte: "Seid mir gegrüßt, meine werten Herrschaften, ich heiße Sie herzlich willkommen bei dieser Veranstaltung. Ich bin Konstantin von Karamello und richte diesen Wettstreit aus, um einen würdigen Nachfolger für meinen kürzlich verschiedenen Bäcker zu ermitteln. Der Preis für den Sieg sind nicht nur Rum und Ehre, sondern auch die Anstellung bei meiner Familie als persönlicher Konditor, was unter anderem eine mehr als angemessene Vergütung und eine Heerschar von Untergebenen bedeutet und die Freiheit, neben der eigentlichen Backtätigkeit kreativ tätig zu sein. Wie man unschwer erkennen kann, bin ich sehr angetan von schmackhaften Neukreationen." Fast zärtlich strich er sich über seinen feisten Bauch. "Nun denn, es wird Zeit, den Wettbewerb zu beginnen. Begrüßen Sie also recht herzlich unsere Moderatorin, die uns durch die Veranstaltung führen wird!"
Er zog den Vorhang beiseite und eine hübsche Frau mit langen blonden Haar und einem aufreizenden, glitzernden rosa Kleid kam herausgestöckelt.
"Ein Applaus für die bezaubernde Emilia Singtnichtgut!"
Begeisterung brauste zwischen den Gästen auf und der halbe Saal tobte. Emilia versuchte die Menge zu beruhigen, und als der größte Lärm abgeebbt war, sagte sie: "Es ist mir wirklich eine große Ehre, als größte Fürsprecherin für die Liebe, diesen Wettbewerb moderieren zu dürfen. Wir haben hier die Creme de la Creme von Ankh-Morporks Bäckerzunft vor uns und ich bin mir sicher, dass dies hier ein makelloses Beispiel für einen fairen Wettkampf wird, ein Ereignis, das noch Jahre später in aller Munde sein wird!"
Erneut tobte das Publikum und es dauerte eine Weile, ehe Emilia fortfahren konnte.
"Um eine faire Beurteilung zu ermöglichen, wird dieser Wettbewerb über mehrere Runden gehen, fünf an der Zahl. Keiner der Teilnehmer weiß, was in den jeweiligen Runden gebacken wird, die Aufgabe wird erst unmittelbar vorher gestellt werden. Die Grundzutaten wie Butter, Eier und Mehl werden von Herrn von Karamello bereit gestellt, etwaige sonstige Zutaten haben die Teilnehmer selbst mitgebracht, damit wir und ein realistisches Bild von ihren Künsten machen können."
Ein Troll, der eine paillettenbestickte Schärpe und zwei Paletten samt Ladung trug, kam herein und begann Zutaten vor jeder einzelnen Backeinheit abzuladen.
"Beginnen wir nun mit der ersten Runde. Aufgabe ist es, ein Obstküchlein zu backen. Dafür haben die Teilnehmer insgesamt eine Stunde Zeit."
Das Publikum applaudierte und die Bäcker machten sich sogleich ans Werk, suchten die nötigen Zutaten heraus und ließen ihre Gehilfen ihre Öfen vorheizen.
Emilia stieg von der Bühne herab und glitt elfengleich in Harrys Richtung. Ein wenig eitel rückte der Gnom sein Haar zurecht. Anscheinend wollte diese berühmte Persönlichkeit mit ihm reden, schließlich war ein höchst wichtiger Wächter. Auch wenn es irgendwie seltsam war. Aus irgendeinem Grund hatte er das Gefühl, sie schon mal flüchtig im Boucherie gesehen zu haben. Hatte sie da etwa einen Nebenberuf im Erdgeschoss?
"Huhu!", flötete Emilia und kam auf ihn zugetrippelt.
"Guten Abend, Verehrteste, es ist mir eine Ehre-"
Ohne ihn zu beachten ging Emilia an ihn vorbei zu einer Person, die hinter ihm stand. Sofort drehte sich Harry um, um herauszufinden, welcher gemeine Kerl ihm das Rampenlicht stahl. Sein Mund klappte fassungslos auf, als er feststellte, dass es sich um Glum handelte. Der Zwerg stand in voller Pracht und in dem Smoking von neulich gekleidet da. Außerdem trug er eine von diesen praktischen Babytragevorrichtungen, in der sich ein Baby befand, dem rosa Kleidchen mit Glitterdekor nach anscheinend ein Mädchen. Der Zwerg schaute recht missmutig drein.
"Oh, war ich nicht eben wundervoll da oben, mein Glummibärchen? Das musst du doch zugeben, das Moderieren liegt mir genauso im Blut wie das Singen."
"Natürlich, Emilia, ganz deiner Meinung."
"Glum!", zischte da Harry leise und näherte sich ihm, um ihn in sein Schienbein zu boxen: "Was zur Hölle treibst du hier? Bist du denn wahnsinnig? Hast du nicht selbst gesagt, dass du nicht verdeckt ermitteln kannst?!"
"Kann ich auch nicht", entgegnete Glum im Flüsterton. "Zufällig bin ich ein offiziell eingeladener Gast!"
"Was? Wieso hast du nichts davon erzählt? Und wieso bist du eingeladen? Hier sind doch nur
bedeutende Persönlichkeiten!"
"Ich habe es ja versucht dir zu erzählen, aber du hast mich ja jedes Mal abgeblockt! Und warum ich eingeladen wurde, liegt ja wohl klar auf der Hand, oder etwa nicht?"
Harry musterte den Kollegen: "Du... spielst Babysitter?"
Glum stöhnte entnervt: "Nein, weil ich mit der Moderatorin verheiratet bin!"
Harry klappte erneut der Mund auf, dann sah er Glum an, dann Emilia, dann wieder Glum. "Du willst mich doch wohl veräppeln!"
"Ja, deswegen lautet mein voller Name auch Glum Steinstiefel-
Singtnichtgut..."
"Oh... stimmt. War mir nie so richtig aufgefallen, ich sollte öfter Akten lesen."
Emilia mischte sich ein: "Ich würde außerdem nicht jeden mit Bärchen anreden, nicht wahr Glumbumm? Aber ihr solltet euch vielleicht nicht so geheimnisvoll herumtuscheln, dass könnte Aufsehen erregen. Außerdem ist es kein Geheimnis, dass ich mit einem Wächter verheiratet bin. Ihr solltet euch lieber offen unterhalten, dass ist weniger auffällig, meine Lieben."
Sie gab ihrer kleinen Tochter ein kleines, liebevolles Küsschen auf die Stirn und stöckelte dann weiter zu Herr von Karamello.
Harry sah ihr einen Augenblick hinterher: "...guter Geschmack, Stiefel."
"Ich weiß", entgegnete Glum. Und das ausnahmsweise mal kein bisschen sarkastisch.
Einige Funken flogen auf, als Fräulein Limone auf die Kohlen blies, und zufrieden schloss sie die Ofenklappe, da das Feuer nun in einem verwendbaren Zustand war.
Menélaos rührte gerade Pudding für den Untergrund seines Obstküchleins an. Das Fräulein tippte ihm auf die Schulter, deutete dann auf den Ofen und zuckte dann mit den eigenen Schultern, um ihm klarzumachen, dass sie nicht wusste, was sie als nächstes zu tun hatte.
"Ich krieg das ganz gut alleine hin", stellte Menélaos fest. "Du könntest dich ja mal ein bisschen umsehen."
Limone nickte und schlenderte aus ihrem Kochbereich
[5].
Zunächst wandte sie sich nach links, wo ein mächtig heißes Schmiedefeuer heiß loderte und Mopsi gerade dabei war, den Teigklumpen in die gewünschte Form zu schmieden. Schwer krachte der Hammer immer wieder und wieder herab, und zügelte so die viel zu schnell verstreichende Zeit mit dem eigenen Takt.
Limone fand das alles andere als beachtenswert - Zwergenbrot, so was aß doch keiner - und schlenderte nun in Gegenrichtung, wobei sie Menélaos kurz zuwinkte. Sie erreichte die Station vom Mütterchen Sahnesteif. Die war gerade dabei, unter den Augen ihres Pinguins die Sahne zuzubereiten. Limone blieb stehen und schaute zu.
Das Mütterchen bemerkte sie nicht sofort, sondern zog einen geheimnisvollen kleinen Flakon aus ihrer Schürzentasche, aus dem sie einige Tropfen in die Sahne gab und dann gewissenhaft unterrührte. Dann begann sie sich jedoch unbehaglich zu fühlen. Sie sah von ihre Schüssel auf und starrte das Fräulein Limone an. "Was glotzt du so, hast du nichts besseres zu tun?"
Limone zuckte mit den Schultern.
"Willst du mich etwa ausspionieren, oder was?", fragte die alte Frau, jede Falte ihres runzeligen Gesichts in Missbilligung straffend. "Du kommst mir eh ganz schön komisch vor! Hast schon die ganze Zeit die Klappe nicht aufgekriegt, irgendetwas stimmt doch nicht mit dir!"
Die Angesprochene griff nur in ihre Schürzentasche und zog einen Button heraus, den sie auf ihrer Bluse festpinnte. Auf den Button standen die Worte "Nie wieder!" und darunter war ein Soufflé abgebildet, das gerade in sich zusammensackte.
Mütterchen Sahnesteif kniff die Augen zusammen, um alles gut erkennen zu können.
Limone zauberte in der Zwischenzeit einen zweiten Button hervor, aus dem stand: "Stille-Soufflé-Protektions-Liga - denn das ist es wert."
"Hier backt doch gerade keiner ein Soufflé. Außerdem fallen die nicht von lauten Geräuschen, sondern von Kaltluft zusammen", stellte die alte Frau fest, doch Limone setzte nur einen zutiefst beleidigten Gesichtsausdruck auf und stampfte in Richtung der anderen Teilnehmer weiter.
"Ich
hasse junge Leute", stellte das Mütterchen fest und kümmerte sich dann um den Törtchenboden, den sie eben in den Ofen geschoben hatte.
Graf Stephan und Herr Knoblauch kümmerten sich weniger um das Backen, als um ihre persönliche Fehde.
"Du hattest es doch von Anfang an auf mich und meinen Erfolg abgesehen, Knoblauch, aber nicht mit mir! Die Leute wissen
Qualität zu schätzen, deswegen werde ich immer der bessere Bäcker sein!"
"Nur, weil du an überflüssigen Details herumschusterst? Lass mich dir mal was sagen - meine Kreationen haben einen ganz besonderen Geschmack, und das ist es, wonach sich die Leute im Grunde ihres Herzens zutiefst sehnen. Ich mag zwar weniger Kunden haben als du, aber meine haben mehr" - er legte eine gehässige Pause ein - "
Qualität."
"Pah, du hast keine Kunden, weil dein Kuchen grauenhaft schmeckt!"
"Das sagst du auch nur, weil du noch nie ein Stück probiert hast, Steffilein!"
"Stephan, Stephan! Bist du blöd im Kopf oder was? Ich bin eindeutig ein Er! Und wenn du mich weiter mit deinem widerlichen Kuchen bedrohst, dann zeige ich dich wegen Bedrohung meiner Person bei der Wache an."
"Dann werde ich dich im Gegenzug wegen Beleidigung und Rufschädigung meiner Person durch Beleidigung und Rufschädigung durch deine Person anzeigen, weil du gemeine Behauptungen aufstellst, ohne meinen Kuchen je probiert zu haben."
"Pah! Mit deinen Tautologien kannst du doch niemanden beeindrucken!"
Während sich die beiden gegenseitig Gehässigkeiten und Drohungen an den Kopf warfen, buken die beiden Igors im stillen Einvernehmen die Törtchen, und teilten sich dabei auch gleich das Rezept.
An der letzten Station tüftelte le Saucereur gerade an der Soße herum und gab seinem Gehilfen namens Kerlbürste präzise Anleitungen.
"Der Ofen hat noch nicht die erforderliche Temperatur."
"Okay, dann sollte ich folgendes machen: 'Öffne Ofen', 'Benutze Öl mit Feuer'."
Simon schüttelte hastig den Kopf: "Nein! Nicht 'Benutze Öl mit Feuer', denn sonst verbrennst du dich noch. Es ist viel besser 'Benutze Öl mit Lappen', 'Kombiniere Lappen mit Holzscheit', 'Wirf Anzünder in Feuer'. Muss ich dir denn alles beibringen?"
"Hey, bis jetzt hat Versuch und Irrtum sehr gut funktioniert."
"Schon gut. 'Schließe Klappe(groß).' Und danach auch den Ofen zumachen."
"Okay, okay, mach ich, Simon."
Der Gehilfe fachte das Feuer weiter an und drehte sich dann wieder in Simons Richtung, der dem Publikum zugewandt stand. Dadurch wurde Kerlbürste Fräulein Limone gewahr, lächelte er sie freundlich an und verkündete: "Hallo, ich bin die Gehilfe Kerlbürste, ein mächtiger Bäcker!"
Limone lächelte gequält und machte sich schleunigst wieder auf den Weg zurück zu ihrer eigenen Station.
Menélaos hatte inzwischen sein Törtchen fertig gestellt. Es sah recht schlicht aus.
Etwas argwöhnisch nahm es Lilli in Augenschein und schaute dann ihren Kollegen an. Doch der grinste nur, selbstbewusst nach Minze riechend.
"Und nun, werte Gäste und Juroren, ist die Stunde um und unsere Teilnehmer dürfen nicht mehr an ihren Törtchen werkeln!", verkündete die Moderatorin.
Der Paillettentroll sammelte das Backwerk ein und platzierte es auf einen sehr großen Teller, den er dann zum Jurorentisch herüber trug.
Emilia spazierte ebenfalls herüber und kommentierte das Geschehen: "So, es wird das erste Küchlein getestet, von Simon le Saucereur. Natürlich vergessen wir nicht, die Soße darüber zu geben - aah, ein herrliches Aroma, Kokosnuss, wenn ich mich nicht irre. Sehr schöne Ergänzung zu den Mangostücken im eigentlichen Kuchen.
Als nächstes das Werk von Mopsi Silbernase - Obacht, es rollt vom Tisch - autsch, das gibt mit Sicherheit einen blauen Fleck auf dem Oberschenkel.
Nun das Gebäck von Graf Stephan, ah, es scheint den Juroren zu schmecken, allerdings vermisse ich da die echte Begeisterung. Auch bei der Optik hätte man bei diesem Teilnehmer mehr erwartet.
Jetzt kommt das Törtchen von Herrn Knoblauch. Solide Leistung, muss man sagen. Sehr ähnlich dem Werk des Grafen, interessanterweise schmecken die Juroren gar nicht den vielgepriesenen Knoblauch heraus. Dabei ist es doch gerade bei einem solchen Wettbewerb wichtig, sein Markenzeichen voll auszuspielen.
Kommen wir nun zum Beitrag von Mütterchen Sahnesteif, einer sehr renommierten Frau. Aah, sehen sie die Gesichter der Juroren, liebes Publikum? So sieht wahre Liebe aus! Aber wir wollen noch nicht voreilig einen Gewinner der ersten Runde küren."
Menélaos kniff die Augen zusammen. "Sag mal, Li...mone, bilde ich mir das ein, oder benutzen die Silberbesteck?!"
Lilli nickte.
Sie werden mit einem verdammten Silberlöffel im Mund geboren! Klar benutzen sie dann weiter silbernes Besteck!Der Bäcker wurde bleich: "Wieso habe ich nicht da dran gedacht? Katalysatoren!"
Er zog sich die Konditormütze vom Kopf und hielt sie sich vorm Gesicht, um nicht zusehen zu müssen.
"Und nun zu dem Beitrag von Theo Teigig, dem jungen Genie aus Sto La-"
Der Kuchen explodierte, als das Silbermesser ihn teilen sollte und verteilte eine Ladung von Sahne, Frucht- und Bodenstückchen über die Juroren und Emilia.
"Ein wahrhaft explosives Aroma!", stellte sie mit fröhlicher Professionalität fest: "Leider aber nicht mehr so ohne weiteres zu bewerten, schade, schade."
Menélaos hätte sich in den Hintern treten können. Wieder einmal hatte ihn sein Hang, Gebäck durch Kondichemie aufzuwerten, in die Bredouille gebracht.
"Kommen wir nun zur Bewertung der ersten Runde: Auf den ersten Platz liegt Mütterchen Sahnesteif, gefolgt von Simon le Saucereur. Danach teilen sich Herr Stephan und Graf Knoblauch - oh Moment, anders herum - na ja, auf jeden Fall teilen sich die beiden Platz drei. Auf Platz vier befindet sich Theo Teigig und auf dem letzten Mopsi Silbernase."
Der Zwergenbäcker gab aus lauter Frust seinem Backamboss einen Tritt und murmelte etwas von 'Blöde Speziesisten'. während Menélaos insgeheim ganz froh war, nicht auf dem letzten Platz gelandet zu sein. Die beiden Drittplatzierten beschlossen indessen einen verbalen Waffenstilstand, weil ihre Igors ganz eindeutig keine Ahnung vom Backen erstklassigster Werke hatten. Der Pinguin saß in seinem Käfig.
"Die nächste Runde wird etwas länger, da der Teig Zeit zum gehen brauchen wird. Freuen Sie sich dennoch wie ich schon auf das Ergebnis, denn jetzt ist die Aufgabe, ein Brot zu backen! Zum Andenken an Boris Fladiwitsch wird sein Sauerteig verwendet. Er mag tot sein, aber seine Liebe zum Backen ist es nicht! Meine lieben Teilnehmer, ihr habt eineinhalb Stunden Zeit!"
Der Troll mit den Pailletten verteilte an jede der sechs Stationen eine Schüssel mit Teig.
Emilia verließ wieder die Bühne und begab sich zu Glum: "Ich muss mich dringend umziehen, Schatzipupsi," - Harry kicherte - "würdest du vielleicht mitkommen und mir mit dem Reißverschluss helfen?"
"Natürlich, mein Schatz."
Emilia lächelte glücklich und stöckelte mit Glum auf eine unscheinbare Tür zu, die hinter die Kulissen des Morpork Quadrat Garten führte. Sie kamen in einen Gang, der recht beengend wirkte, nur spärlich erleuchtet war und in denen Seile herumhingen, anscheinend Teil der aufwändigen Beleuchtungsanlage. Beide folgten dem leeren Gang, bogen um die Ecke und stießen beinahe mit einer jungen Frau zusammen. Die wertvolle Kleidung und das gepflegte lange herbstrote Haar deuteten darauf hin, dass sie wohl aus der besseren Gesellschaft stammte. Ein goldenes Medaillon komplettierte den Eindruck.
"Was suchen Sie hier, Mä'äm?", fragte der Zwerg verwundert.
"Das geht Sie gar nichts an!", zischte die Frau und rümpfte die Nase. "Würde mich eher interessieren, was ihr drei hier treibt!"
Emilia seufzte laut. "Also wirklich, muss man immer gleich streiten? Und das auch noch völlig grundlos!"
"Ich würde nicht grundlos sagen", meinte die junge Frau: "Als Tochter des Veranstalters trage ich eine gewisse Verantwortung."
Glums Frau begann zu strahlen: "Ach, dann müssen sie Greta von Karamello sein! Ihr Vater hat nur in den höchsten Tönen von Ihnen geschwärmt. Ich bin Emilia Singtnichtgut, die Moderatorin des Abends, und das da sind mein Gatte Glum und unsere Tochter Glumilia."
Wie auf Kommando begann das Baby nun den Beinen zu strampeln.
"Milli", korrigierte sie ihr Mann und strich dem Kind beruhigend über seinen Kopf.
Greta hob eine Augenbraue: "Ist so was überhaupt möglich? Ich meine nicht die Ausführung, sondern eher den biologischen Part."
Glum lief über und über rot an, aber Emilia wedelt nur mit einer Hand: "Er mag zwar nicht an der Zeugung beteiligt gewesen sein, aber dieser Zwerg liebt seine Tochter, als wäre sie sein eigen Fleisch und Blut, und würde alles für ihr Wohlergehen tun!"
Der Zwerg nickte energisch.
Das ist meine
Tochter!, dachte er,
Egal was irgendwelche Leute denken."Das kann ich nachvollziehen", meinte Greta. "Ich liebe meinen Vater auch über alles - noch mehr, seit meine Mutter verschieden ist - auch wenn ich mich manchmal wirklich frage, ob wir tatsächlich verwandt sind. Es ist schlimm mit anzusehen, wie er immer weiter wie ein Hefekloß auseinander geht."
"Das wird schon wieder! Er muss einfach ein bisschen Diät halten!", munterte sie Emilia auf.
Greta seufzte: "Ich wünschte es wäre so einfach... Nun, ich muss weiter." Damit drängelte sie sich an den anderen vorbei und verschwand um die Ecke.
Das Ehepaar schaute ihr hinterher und setzte dann den Weg in Emilias Umkleide fort.
Menélaos fühlte sich höchst verunsichert. Er hatte das Gefühl, dass ihn die Kodichemie nur in Schwierigkeiten brachte. Aber auf der anderen Seite war das ein wichtiger Teil von ihm, von seiner Identität. Aber konnte er wirklich guten Gewissens weiter damit arbeiten?
Der Bäckergeselle beschloss, sich erst einmal auf den konditorischen Teil seiner Kondichemie zu beschränken, damit er nicht wieder so ein Debakel wie bei der ersten Runde ablieferte. Also mischte er den Brotteig ohne Zusatzstoffe an, mischte den Sauerteig unter und deckte den Teig in der Schüsssel mit einem feuchten Tuch ab und platzierte diese in der Nähe seines Backofens, wo die Abwärme hoch genug war, dass das Ganze optimal aufgehen konnte.
Dann nahm er sich einen Stuhl, setzte sich neben seinen Teig und wartete. Dabei ließ er seinen Blick schweifen. Limone war Wasser holen gegangen, damit sie zwischendrin auch mal abspülen konnten.
Auch Harry war nicht gerade untätig. Nachdem er den gesellschaftlichen Verpflichtungen nachgekommen war, die durch seinen Status als offiziellen Vertreter der Stadtwache zustande kamen, bewegte er sich nun gemütlich neben den Stationen auf und ab und schaute den Konditoren bei ihrer Arbeit zu. Er war beileibe nicht der einzige, der das tat, trotzdem schien er die Teilnehmer zu verunsichern.
Ob das damit zusammenhängt, dass ich mich tragen lasse?, fragte sich der kleine Gnom in Gedanken selbst, doch wies dann auf die nächste Station. "Da hin, bitte!"
Schwerfällig setzte sich der Sicherheitstroll in Bewegung und blieb dann vor Mütterchen Sahnesteifs Stand stehen. Die war gerade dabei, ihre geheimnisvolle Phiole zu entkorken, wohl um den Inhalt in ihren Teig zu geben.
"Hey, ist das eine geheime Gewürzmischung?", fragte der Gnom in einem freundlichen Tonfall.
Das alte Mütterchen erschrak sich und starrte den Wächter an.
"Kann ich vielleicht eine Probe haben? Ich bin ein großer Fan von ihrem Gebäck!"
Die Alte verengte misstrauisch die Augen. "Nein!", sagte sie vehement und stopfte einen Korken in die Phiole. "Das ist nur eine Medizin gegen meine Arthritis, keine geheime Gewürzmischung!" Und damit verließ sie sie wieder in ihrer Schürzentasche verschwinden.
"Ach so", entgegnete Harry: "Haben Sie was dagegen, wenn ich noch ein Weilchen zuschaue?"
"Natürlich nicht", entgegnete die Alte mit Zähneknirschen.
Als Menélaos' Teig sein Volumen verdoppelt hatte, nahm der Bäcker ihn aus der Schüssel, legte ihn auf eine bemehlte Arbeitsfläche und formte einen Laib daraus. Mit einem Messer schnitt er die Oberfläche noch einige Male ein und schob das Brot dann in den Ofen, um es zu backen.
Die Zeit bis zum Ende der Runde verging wie im Flug und schließlich stieg Emilia, natürlich frisch umgezogen und geschminkt, wieder auf die Bühne, um den Paillettentroll das Zeichen zum Einsammeln der frisch gebackenen Brote zu geben.
"Liebes Publikum! Um der Verkostung jetzt etwas mehr Spannung zu verleihen, werden unsere Juroren die Brote nun blind verkosten, wofür Ihnen mein bezaubernder Assistent nun Augenbinden anlegen" - der Troll mit den Pailletten tat, nicht ganz ohne Schwierigkeiten, wie angekündigt - "und im Anschluss das Brot in gleichdicke Scheiben vorschneiden wird." Emilia zwinkerte dem versammelten Publikum zu, und Menélaos wäre am liebsten im Erdboden versunken.
Wenig später probierten die Juroren die Brotscheiben durch, berieten sich kurz und teilten Emilia das Ergebnis mit. Im Saal herrschte eine angespannte Atmosphäre und das Publikum hing gebannt an ihren Lippen. "Auf dem letzten Platz landet das letzte probierte Brot, an dem sich einer der Juroren einen Goldzahn ausbiss - gebacken von Mopsi Silbernase!"
"War ja klar, dass so was passiert", maulte der Zwerg in Richtung seines Gehilfen. "Es wird einfach die Tatsache ignoriert, dass Zwergenbrot gar nicht zum Verzehr gedacht ist!"
"Platz Nummer vier das erste getestete Brot. In den Augen der Juroren war es zwar technisch sehr gut ausgeführt, aber hat ziemlich fade geschmeckt. Gebacken von Mütterchen Sahnesteif!"
Harry war einen Blick zu der Teilnehmerin herüber. Die Vermutung, die sie nach der SUSI-Analyse auf Lillis Veranlassung hin hatten, war jetzt eindeutig bestätigt. Sahnesteif mischte "Geschmacksvelstälkel", eine bekannte achatene Droge in geringen Dosen in ihr Gebäck. Ab gewissen Mengen war sie schädlich und hatte außerdem ein nichts zu unterschätzendes Suchtpotenzial. Es war nicht illegal, was das Mütterchen da tat, allerdings würde die Drogenmuffia ihr gewaltig auf die Finger klopfen, wenn sie davon erfahren würde. Kein Wunder, dass sie vor Jahren, am Höhepunkt ihrer Karriere, plötzlich in den Ruhestand gegangen war.
"Platz Nummer drei teilen sich gleich zwei Brote. Das eine ein Knoblauchbrot mit etwas zu viel Knoblauch, das andere ein Käsebrot mit etwas zu wenig Käse. Herr Knoblauch und Graf Stephan!"
Die beiden Konkurrenten bedachten sich mit verbitterten Blick.
"Kommen wir nun zum spannendsten Teil dieser Runde, Platz zwei - weil ja ganz offensichtlich sich dann jeder denken kann, wer auf der eins ist. Und den belegt das leckere Vollkornbrot mit der Soße von Simon le Saucerer!"
"Ich habe gewonnen?", fragte Menélaos ungläubig.
"Nicht schlecht", stellte Simon fest. "Wenn ich so weiter mache, dann stehen meine Siegeschancen nicht übel!"
Ein lauter Knall hallte durch den Raum, als der Kronleuchter über Simon herunterstürzte und den Konditor unter sich begrub.
"Simon!", schrie Kerlbürste auf und eilte zu ihm. "Oh mein Gott, Simon!"
Er hievte den Kronleuchter beiseite und rüttelte an den Schultern des anderen: "Simon, du darfst nicht! Du hast gesagt, dieser Wettbewerb wird ein Abenteuer für uns werden und bei einem Abenteuer kann man nicht sterben, hörst du?! Bitte nicht, bitte nicht, du bekommst auch mein original Ich-habe-den-Schwertmeister-besiegt-T-Shirt!"
Die beiden Igors warfen sich einen kurzen Blick zu, liefen dann zur Unglücksstelle und schoben den Assistenten wortlos beiseite. Einer zog ein Bündel mit chirurgischem Besteck aus seiner Jackentasche, und wortlos begannen sie, den reglosen Konditor zu verarzten. Im Saal brach derweil eine heillose Panik aus. Leute schrien und kreischten wild durcheinander. Wie ein Mann eilten Glum und Harry zu Simons Stand, gefolgt von einem halben Dutzend Wachtrollen, die etwas schwerer von Begriff waren. Der Zwerg hielt einen Moment inne, drehte um, nahm die Trage mit dem Kind ab, drückte Glumilia ihrer Mutter in die Hand und flitzte dann endgültig an sein Ziel. Dort wusste er dann nicht so recht, was er eigentlich machen sollte.
"Absperren!", befahl Harry in allgemeine Richtung und die Trolle verschwanden hinter die Kulissen um dann mit Stellwänden wieder zurück zu kehren. Sie platzierten sie rund um den Stand und schon waren sie mitsamt den Igors aus dem Blickfeld der Gäste und anderen Teilnehmer verschwunden.
Nun war auch der Gnom am Ende seines Latatianisch.
"Wird... wird er durchkommen?", fragte er die Igors.
"Wie bitte? Oh nein, er ift tot. Wir fammeln nur noch die beften Teile ein."
"Was?" Harry sah die beiden entsetzt an. "Oh nein, das werdet ihr nicht! Verschwindet!"
"Wir müssen die Veranstaltung abbrechen!", verlangte Emilia, während sie ihr Töchterchen fest an sich drückte: "Sonst kommt vielleicht noch jemand um!"
Herr von Karamello schien nachdenklich, doch schüttelte dann den Kopf: "Nein... Das können wir nicht tun."
"Wieso nicht?!", erkundigte sich die Sängerin mit überschlagender Stimme.
"Aus zwei Gründen. Zum einen wäre es pietätlos gegenüber Simon le Saucereur, wenn wir einfach so tun würden, als hätte es diesen Wettbewerb nie gegeben, zum zweiten weigere ich mich, mich von einem dahergelaufenen Irren erpressen zu lassen!"
"Was?", entfuhr es ihr.
"Es gab eine Warnung. Warum denken Sie, habe ich einen Gast von der Stadtwache eingeladen? Oberstabsspieß van den Waagenvor hat mich schon vor Tagen besucht und mir versichert, dass die Wache sich um die Sache kümmern wird! Also wird sie es auch tun, sonst will ich mein Geld zurück!"
[6]"Aber hier ist gerade jemand gestorben!", empörte sich Emilia.
"Na und? Wenn wir diesen Wettbewerb nicht fortsetzen, dann hat der Typ gewonnen! Wollen sie das, wollen sie? Ich brauche einen neuen Bäcker, ich brauche ihn! Ich habe schon seit Tagen keinen ordentlichen Bissen mehr in den Magen bekommen, ich will endlich wieder vernünftig essen können!"
Emilia starrte von Karamello, einen echten Berg von einem Mann, angewidert an.
Neben ihr erschien wie aus dem nichts Greta.
"Vater, bist du denn jetzt völlig bekloppt?! Jetzt vergiss endlich mal deine Fresssucht und kümmere dich um die wichtigen Sachen! Wie viele Bäcker müssen noch sterben, ehe du Ruhe gibst?!"
"Ich kann nichts dafür!", verteidigte er sich: "Was weiß ich, warum alle meine potenziellen Angestellten um die Ecke gebracht werden? Ich fühle mich nicht verantwortlich dafür, aber trotzdem habe ich alles in meiner Macht stehende getan, damit die Sache aufgeklärt wird. Was soll ich denn sonst noch tun?"
"Den Wettbewerb abbrechen!", verlangten Emilia und Greta wie aus einem Mund.
"Nein, das werde ich nicht! Ich will, dass dieser Wettbewerb durchgezogen wird, selbst wenn wir gleich zur Finalrunde übergehen! Das ist der größte Kompromiss, den ich einzugestehen bereit bin, ich lasse mich nicht zu Dingen verleiten, die gegen meine Prinzipien gehen, und basta! Ich habe Ihnen eine Menge Geld bezahlt, Frau Singtnichtgut, also erwarte ich von Ihnen, dass sie sich gefälligst professionell benehmen, Sie haben einen rechtsgültigen Vertrag unterzeichnet! Und von dir, Tochter, habe ich mehr erwartet, als mir einfach so in den Rücken zu fallen. Du weißt, wie wichtig mir das hier ist!" Er verschränkte die Arme und drehte beiden demonstrativ den Rücken zu.
Die Frauen schüttelten nur im völligen Unverständnis unisono den Kopf und gingen dann weg.
"Das Haltetau wurde angeschnitten", stellte Glum fest, und schaute dann wie Glum nach oben. Über Ihnen fand sich ein Gewirr aus Laufstegen, Seilen, Kronleuchtern und Scheinwerfen. Allerdings war das nur schwer zu erkennen, da das Licht von oben blendete.
"Also eindeutig Mord", kommentierte Harry. "Das war für den Täter nicht schwer durchzuführen, niemand hat auf da oben geachtet."
"Und was machen wir jetzt?", fragte Glum. "Sollen wir den Wettbewerb abbrechen lassen?"
Harry schüttelte den Kopf. "Das würde der Karamello nie zulassen. Außerdem können wir sicher sein, dass der Täter nicht mehr dort herumkrauchen wird."
"Wie das, Harry?"
Der Gnom begann breit zu grinsen: "Na, weil du dort oben Wache halten wirst!"
Herr von Karamello war sichtlich verärgert. "Jetzt werden Sie endlich dieses Kind wieder los und gehen auf die Bühne. Es wird Zeit die nächste Runde zu verkünden."
"Das geht nicht", erwiderte Emilia. "Wie Sie sehen könne, ist mein Mann nicht hier."
Der Wettbewerbsveranstalter stöhnte genervt. "Na und? Dann geben Sie eben jemand anderen das Kind. Ist ja nicht so, als ob hier nicht genügend Personal herumliefe. Da drüben steht schon der nächste Troll, soll der das blöde Balg übernehmen." Sein Magen knurrte unüberhörbar.
Der Blick der Sängerin wurde eisig. "Sie erwarten allen Ernstes, dass ich mein Kind einem
Troll anvertraue, einem
wildfremden Troll?!!" Sie tippte mit einem perfekt manikürten Zeigefinger auf seine Brust, die eine beeindruckende Körbchengröße vorweisen konnte.
Karamello wich einige Schritte vor ihr zurück und hob beschwichtigend die Hände. "So war das nicht gemeint, das war wohl ein Missverständnis. Ich will natürlich nicht, dass Sie ihr Kind der erstbesten Person in die Arme drücken, aber sicher werden Sie einsehen, dass die Auswahl nicht besonders groß ist..."
"Soll ich mich um das Baby kümmern?", fragte Greta, die wie aus dem Nichts hinter ihrem Vater erschienen war.
Emilia musterte die junge Frau. Sie wirkte eigentlich ganz vernünftig auf sie und war auf jeden Fall besser als der Alternativvorschlag.
"Ja", erwiderte sie und übergab ihr die Trage mit dem kleinen Mädchen. "Passen Sie gut auf sie auf, die Moderation wird nicht allzu lange dauern."
Damit stieg Emilia wieder auf die Bühne und verkündete: "Meine sehr geehrten Damen und Herren, entschuldigen sie bitte diesen Zwischenfall. Wir werden den Wettbewerb abkürzen und nur noch eine Runde abhalten. Diesmal gibt es kein Thema, die Teilnehmer können in der vorgegebenen Stunde backen was sie wollen und uns das Beste ihres Handwerks demonstrieren."
"Lass uns zusammen arbeiten", schlug Her Knoblauch Graf Stephan vor.
"Bist du verrückt? Warum sollte ich das tun?!"
"Weil das unsere einzige Chance ist, hier noch zu gewinnen. Wir sind zwei hervorragende Bäcker und kriegen trotzdem nur mittelmäßige Wertungen ab? Da kann doch etwas nicht mit rechten Dingen zugehen! Lass uns zusammenarbeiten und uns das Übergebäck backen!"
Der Graf zögerte einen Moment, schlug dann aber ein. Gemeinsam machten sie sich daran, eine üppige Torte zu kreieren.
Menélaos war die Lust aufs Backen vergangen. Er wusste gar nicht, was er tun sollte. Ein Mord war geschehen und die Wache hatte nichts dagegen unternehmen können. Er kam sich furchtbar überflüssig vor und rührte unmotiviert irgendeinen Teig zusammen.
Mopsi ging mit vollem Elan an die Sache heran und schürte ein gewaltiges Feuer. Diese Runde würde er ein Meisterwerk kreieren, und die Jury würde ihn nicht auf den letzten Platz setzen.
Mütterchen Sahnsteif gab ihr Backwerk, ein Tablett voller Kekse, frühzeitig ab.
"Ich hoffe, das genügt als Beweis, dass die Familie Sahnesteif die beste Bäckerei der Stadt besitzt, oder besser besaß. Und nein, ich habe kein Interesse an diesem vermaledeiten Job. Ich empfehle mich." Sie zog zum Abschied ihren Hut, ging dann zu ihrer Kochstation, griff sich den Käfig mit ihren "Gehilfen" und verließ ohne weiteren Kommentar den Saal. Der Pinguin fühlte sich um seinen großen Auftritt betrogen.
Schließlich war die Runde vorbei und Emilia verkündete mit nicht zu überhörender Lustlosigkeit die Ergebnisse. "Nachdem die Jury sich - aus Sicherheitsgründen an einem anderen Ort - das Gebäck besehen hat, nun das Ergebnis. Platz eins, das Nahkampfbaguette von Silbernase; die Juroren fanden im Lichte der Ereignisse, dass die Härte eine Gebäcks doch ein schlaghaftes Argument sein könnte. Platz zwo teilen sich die Typen mir der Torte, der Knoblauch und der Graf. Platz drei unser Sto Later, der Kuchen schmeckte widerlich. Außer Konkurrenz die Kekse von der Sahnesteif. Das war's. Wettbewerb vorbei."
Karamello ergriff nun selbst das Wort, nachdem er ihr für ihre Unprofessionalität einen bösen Blick zugeworfen hatte: "Liebe Gäste, liebe Teilnehmer! Dies war zweifellos ein sehr aufregender Tag. Ich bin nun zu einem Schluss gekommen, welcher Bäcker denn nun der beste Bäcker der Stadt ist und der Anstellung in meinem Haushaltes würdig. Und es wird sie zweifellos erstaunen, dass ich beschlossen habe, gleich zwei Bäcker einzustellen! Mich hat die gemeinsame Perfomance von Graf Stephan und Herrn Knoblauch so außerordentlich beeindruckt, dass ich nicht anders kann, als beide anzustellen. Auf diese Weile können beide ihr volles konditorisches Talent einbringen und mir viele, viele schmackhafte Delikatessen zubereiten!"
Genüsslich rieb er sich den Bauch in Gedanken an all die Schleckereien, die ihm bald bevorstünden.
"Mir reicht's!", schrie plötzlich eine Frau, und alle im Saal wandten sich zu ihr hin. Es war Greta, sie stand am Ende der Veranstaltungshalle, Glums Tochter mit der einen Hand an sich gedrückt, und in der anderen eine sechsschüssige Armbrust haltend. Milli fing an zu weinen, ein lautes, unangenehmes Geräusch, das den Anwesenden kalte Schauer über den Rücken jagte.
"Du willst dich wirklich weiter zu Tode mästen lassen? War dir Mutters Schicksal keine Lehre? Anscheinend nicht, seit sie von uns gegangen bist, hast du ja nur noch mehr in die hinein gestopft! Aber ich werde mir das nicht länger mit ansehen!"
"Greta, ich-"
"Sei still, Vater! Ich werde mir keine deiner Ausreden mehr anhören! Ich habe wirklich alles in meiner Macht stehende getan, um dich von deinen Fressorgien abzuhalten, habe Assassinen angeheuert, die die Bäcker umlegen, Diebe um die Quittungen mit Fälschungen auszutauschen, damit du nicht merkst, dass ich dir einen Schubs in die richtige Richtung geben will - ich habe sogar Boris selbst umgelegt, nachdem ich ihn angefleht, angebettelt hatte, dass er dir was gesundes oder wenigstens kalorienarmes backen soll, ich habe heute persönlich das Seil durchtrennt - aber du hast dich einen Dreck darum geschert, Vater!"
Sie drückte die Armbrust an Millis Kopf.
Emilia konnte den Anblick nicht ertragen, und verlor das Bewusstsein.
Die Trolle waren klug genug, zu begreifen, dass ein Eingreifen von ihrer Seite aus sofort zu einem Unglück führen würde. Sie standen wie Statuen da und machten überhaupt nichts.
Harry versuchte sofort, sich an Greta heranzuschleichen, aber die feuerte nur kaltblütig einen Bolzen in seine Richtung, der ihn nur knapp verfehlte. Harry beschloss abzuwarten, er hatte mit solchen Situationen einfach nicht die nötige Erfahrung. Wenn er nur seinen Bogen dabei gehabt hätte...
Lilli versuchte einen Moment lang vergeblich nach ihrer Hellebarde zu greifen, bis ihr einfiel, dass sie grundsätzlich unbewaffnet zu verdeckten Einsätzen ging. Sie hätte heulen können, weil es nichts gab, was sie hätte tun können - selbst wenn sie eine Waffe dabei gehabt hätte.
Da fasste Menélaos einen Entschluss. Für ihn war die Situation nicht so kritisch wie für die anderen, weil er auf Streife schon mit der Sorte Verbrechen zu tun gehabt hatte. Er wahr eben ein waschechter Seehund.
"Willst du das wirklich machen?", fragte er und trat aus seinem Backabteil, legte seine Schürze und seinen Hut ab und zeigte ihr seine leeren Hände. "Was bringt es dir das Kind umzubringen? Hat auch nur einer deiner vorherigen Morde etwas an deinem Vater geändert?"
Greta drückte die Armbrust fester an das weinende Kind. "Was weißt du denn schon! Du bist doch auch nur einer dieser backenden Mäster!"
Ein lauter Schrei ließ sie einige Schritte zurücktaumeln. Glum schwang sich oben von der Beleuchtungsanlage mit einem Seil herunter. Extrem unsanft kam er auf den Boden auf, mit durch die Reibung verbrannten Händen.
"Keinen Schritt weiter, Zwerg!", fauchte Greta und deutete mit der Armbrust auf seine Tochter: "Ich habe einen nervösen Zeigefinger!"
Der Zwerg jaulte vor Zorn und Verzweiflung auf, bewegte sich aber keinen Zentimeter. Es war ihm klar, dass er völlig überstürzt gehandelt hatte, aber er hatte nicht anders gekonnt.
"Machst du es dir nicht zu einfach?", fragte Menélaos und kam langsam auf Greta zu: "Nicht der allein ist schuld, der deinem Vater die Leckereien zubereitet hat.
Ihm selbst mangelt es doch offensichtlich an Willensstärke. Wieso müssen andere für seine Fehler sterben? Komm, lass das Kind frei, lass das sinnlose Morden nicht weiter gehen!"
"Nein!", entgegnete sie scharf. "Ich werde nicht mit ansehen, wie auch noch mein Vater sich zu Tode frisst. Eine Chance habe ich noch, es gibt noch eine Möglichkeit ihn abzuhalten!"
"Bitte nicht!", wimmerte Glum, tränenüberströmt.
"Wer redet von dem Kind?", fragte Greta, ließ Milli einfach auf den Boden fallen, hob die Armbrust und drückte ab. Der Bolzen tötete sofort.
Der Tot wartete schon auf sie. Die junge Frau schaute sich um und entdeckte Boris.
"Du hier?"
"Ja. Ich habe auf die gewartet,
Devotchka. Lass uns gehen."
Die beiden folgten dem Gevatter, doch Greta drehte sich noch einmal um und warf einen letzten Blick auf ihren Vater: "Ich habe es wirklich versucht, Boris, ich hätte alles gegeben, damit er wieder in ein normales Leben findet."
Der Überwalder nickte: "Ich weiß. Doch er hatte ein gutes Mädchen. Aber nun müssen wir weiter, deine Mutter wartet."
Glum eilte sofort zu seiner Tochter und nahm sie beschützend in den Arm. Sie hatte unglaubliches Glück gehabt, denn durch den Sturz schien sie keine ernsthaften Verletzungen davongetragen zu haben und Greta war nicht auf sie gefallen. Der Mob war als nächstes da, und als Emilia es endlich schaffte, sich zu ihrem Mann durchzuboxen, sah er sie höchst anklagend an.
"Wie konntest du nur so dumm sein?", fragte er mit zitternder Stimme: "Unsere Tochter könnte jetzt tot sein! Denkst du überhaupt einmal nach, bevor du irgendwas tust?!!"
"Ich-"
"Nein, Emilia, ich will jetzt nichts von dir hören!" Er drückte ihr die Tochter in die Arme: "Nimm Milli und geh! Ein kleines Baby hat an einem Tatort nichts zu suchen!"
"Aber-"
"GEH, habe ich gesagt!!!", brüllte Glum, und Emilia verschwand, mit Tränen in den Augen, weil sie ihren Mann noch nie so dermaßen verärgert erlebt hatte.
Die vier Wächter blieben lange im Morpork Quadrat Garten. Sie waren dabei, als er geräumt wurde, hielten mit Wache, bis die Kollegen ankamen, und schauten dann den SUSIs beim Spurensichern zu. Sie waren nicht gerade euphorisch dabei, denn das Ganze kam einem jeden von ihnen so sinnlos vor.
"Das war's dann also", meinte Harry.
Lilli nickte und starrte vor sich hin. Sie hatte das Gefühl mal wieder vollkommen versagt zu haben. Wenn sie nur hätte eingreifen können! Sie dachte an den Fall mit der Miliz zurück, wo sie eine Weile mit den Fröschen unterwegs gewesen war. Einer von denen hätte das Unglück mit Sicherheit verhindert.
"Wirst du dich eigentlich wieder mit deiner Frau versöhnen?", fragte Harry.
Der Zwerg schüttelte den Kopf: "Nein. Ihr habe ihr schon längst verziehen und ich weiß, dass sie das auch weiß. Sie kann ja im Grunde nichts dafür. So etwas hätte jedem passieren können. Es war ein wirklich dummer Fehler, aber wenn bei einer solchen Sache jede Ehe gleich vor dem Aus stünde, dann wäre dies bald eine sehr, sehr einsame Scheibenwelt."
"Du hast da wirklich eine sehr interessante Auffassung, Glum. Ich glaube, deine Frau hat ein bisschen auf dich abgefärbt", behauptete Menélaos.
"Kann schon sein... Aber - was machen wir jetzt eigentlich mit dem Hartfels-Café?", fragte Glum um das Thema zu wechseln. "Es würde doch bestimmt Aufsehen erregen, wenn das nach der Eröffnung neulich gleich wieder mir nichts, dir nichts zumacht."
"Wäre schon praktisch, das weiterhin als Ermittlungsbasis für Einsätze im Quadrat Garten nutzen zu können", meinte Menélaos.
"Das sieht ganz schon düster aus", meinte Harry: "Der Karamello wird zwar nicht sein Geld zurückverlangen, aber auf Dauer fehlt uns einfach das Personal um das weiter zu betreiben. Als Wächter ist man hauptsächlich dazu da, Wächterarbeit zu erledigen, und nicht um als Bedienung in einem Café herumzuscharwenzeln."
Da begann Menélaos mit einem Male milde zu lächeln. "Sir, ich glaube, ich habe da eine Idee, die nicht nur der Wache etwas nützen würde."
Einerseits verspürte der Wächter unglaubliche Erleichterung, als er der alten Freundin den Schlüssel zum Hartfels-Café übergab, weil er damit nicht nur seinen blöden Fehler wieder wettmachte, sondern auch das Café davor bewahrte, wieder ein leerer lebloser Schuppen zu werden. Auf der anderen Seite aber kam es ihm so vor, als würde ihm die Chance seines Lebens entgehen. Hier hätte er die Möglichkeit, endlich seinen lang gehegten Traum zu erfüllen und den Meistertitel zu ergattern, dass hätte ihm der Bäckermeister gar nicht abschlagen können.
Doch dann wurde ihm mit einem Male etwas klar, und zufrieden konnte sich Menélaos von diesem Wunsch lösen. Er mochte sich zwar nicht mit einem Titel schmücken können und die meisten Bäcker von Ankh-Morpork würden in ihm nie das sehen, was er wirklich leisten konnte, aber hey - er buk das beste Brot der Stadt, er hatte die Creme de la Creme geschlagen! Und das war eine Leistung, die ihm niemand wegnehmen konnte.
Von einer wahren Duftwolke aus Pfefferminz und dem herrlichen Aroma von frischgebackenen Brot umgeben, machte sich der Wächter wieder auf den Weg.
[1] Der Crunkers war ja nicht mal Gefreiter...
[2] Natürlich war der Bäckergeselle und Szenekenner von den SEALS die erste Wahl für einen solchen Fall. Trotzdem musste ihn erst Glum darauf aufmerksam machen, obwohl Harry Menélaos Schmelz ja schon gut kannte, er war nämlich sein Ausbilder gewesen. Der Gnom entschuldigte sich damit, dass er nicht der erste war, der die offensichtlichste Lösung übersehen hatte.
[3] Viele Jahre später kaufte er sich eine ganze Torte, höhlte sie über Wochen hinaus aus, und hatte dann ein Ferienhaus, dass noch seine Ururururenkel benutzen sollten.
[4] der das gleiche Outfit trug, nur ohne Schürze und in Gnomengröße - und ohne Bart
[5] An dieser Stelle sollte man vielleicht erwähnen, dass Lilli ihre Tarnidentitäten wirklich ernst nahm. Egal, als was sie sich ausgab, sie war das dann auch in dem Moment. Was das Ermitteln etwas erschwerte, weil die entsprechende Art zu Denken in den seltensten Fällen Bestandteil ihrer Rolle war. Sie musste mental dann wieder auf Lilli umschalten, was auf Dauer ein wenig verwirrend werden konnte.
[6] Harry hatte den Kuchen und die Herrichtung des Hartfels Café nicht aus der Portokassse bezahlt...
Zählt als Patch-Mission für den Verdeckte Ermittlerin-Patch.
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