Die Überwald-Combo

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von Gefreiter Bjorn Bjornson (SEALS)
Online seit 05. 06. 2010
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Auf dem heutigen Ausbildungsplan steht: "Archivarbeit". Das ist doch sicher spannend. Vielleicht entdeckst du sogar eine Karteileiche? - Eine Wichtelgeschichte

Dafür vergebene Note: 11

~~~Beim schwarzen Brett im Wachhaus in der Kröselstraße~~~


"Archivarbeit? Na, das kann ja was werden..." Schon vor Beginn der Einheit frustriert, stand ich vor dem Ausbildungsplan. "Na, wenigstens nicht alleine", bemerkte ich, als ich auf die Pläne der anderen Rekruten sah.
"Wer ist dieser Bjornson?", fragte Alois Kühn, der auch zur Archivarbeit eingeteilt war. "Keiner der Ausbilder, oder?"
"Gefreiter Bjornson ist einer der Rechtsfutzis von SEALS", sagte eine Rekrutin, die ebenfalls am Ausbildungsplan stand. "Der hat auch die Verkehrsstunde gemacht."
"Ach, der." Ich erinnerte mich an die Einheit, in der der Zwerg uns anhand einer Kreidetafel und kleinen Spielzeugkarren versucht hatte, die Vorfahrtsregeln klar zu machen. "Na, das kann ja was werden." Bjornson war jemand - so hatte ich ihn zumindest wahrgenommen - der sehr seltsam war, einer von diesen Bücherwürmern halt. Ich las auch Bücher, aber der Zwerg hing wahrscheinlich jeden Tag in Rechtsbüchern und hatte die Paragraphen für die Vorfahrtsregelungen offensichtlich schon auswendig gelernt.

-


Es war einer der Tage, an denen Routine anstand. Die Schreibarbeit stapelte sich auf Bjorns Schreibtisch, und er war froh, dieser nachher entfliehen zu können, indem er mit drei Rekruten durch das Archiv gehen konnte.
Eigentlich ist es doch schade, dachte Bjorn. Diese große Sammlung an Informationen über jede Person, die sich jemals bei einer Straftat von der Wache hat erwischen lassen. Und dann staubte sie so ein, weil die Regeln für Rekruten nicht so streng waren, dass kaum einer mehr was anstellte und das Archiv entstauben musste. Manchmal entstaubte Bjorn etwas und las dabei Geschichten aus längst vergangenen Wachetagen, aber er hatte auch nicht unbegrenzt viel Zeit. Es muss doch irgendeine Möglichkeit geben, das Archiv für die Rekruten interessanter zu gestalten. Vielleicht ein Spiel oder so. Aber mit Unterricht hatte Bjorn kein glückliches Händchen. Aus seiner letzten Einheit mit den Rekruten - "Vorfahrtsregeln" - ist eine Spontaneinheit "Erste Hilfe" geworden. Als er den Rekruten die Vorfahrtsregeln beibringen wollte, waren ein paar mit ihren Köpfen von den auf die Schreibtischplatten gestützten Armen heruntergerutscht und mit einem Knall auf die Tischplatten gefallen. Das war nicht schön gewesen. Er wusste gar nicht, wieso er sich immer wieder zu so etwas breitschlagen ließ.
Bjorn teilte Jargon, der an dem Schreibtisch vor ihm in Zetteln versank, seine Gedanken mit.
"Ein Spiel?", meinte dieser. "Sowas wie eine Schnitzeljagd?"
"Ja", sagte Bjorn. "Irgendwas, bei dem das ganze Archiv durchstöbert werden muss."
"Gib ihnen doch einfach einen Fall, zu dem sie Informationen zusammentragen müssen", meinte Jargon. "Warte", sagte er und tauchte in seine Zettel ab. Nach ein paar Sekunden kam er wieder zum Vorschein.
"Hier", sagte er und hob einen Zettel in die Höhe. Er reichte ihn Bjorn.
Bjorn nahm ihn und überflog das Geschriebene.
"Das ist ein Fallbericht von RUM. Haben die den mithilfe des Archivs gelöst?"
"Ja, aber die haben es erst zwei Tage lang anders probiert, bis sie ins Archiv gegangen sind. Ich soll jetzt die Rechtslage prüfen. Die Täter sind dingfest und eingesperrt und hinter Schloss und Riegel."
"Oh ja", sagte Bjorn, der zum Ende des Dokuments gelangt war. "Da stehen ihre Namen. Sind die Daten schon im Archiv eingetragen?"
"Nein, der Fall ist ja noch nicht abgeschlossen. Aber die Akten sind schon wieder einsortiert."
"Das ist gut", sagte Bjorn und begann das Dokument sorgfältiger durchzulesen.

~~~Im Aufenthaltsraum des Wachhauses in der Kröselstraße~~~


Gut, dass es Kaffee gibt, dachte ich, als ich die Tasse von dem Kaffeedämon nahm und mich zu Alois und Grummel Grummelich setzte. Nach einer Stunde Recht und Gesetz war ich froh über alles, was irgendwie wachhält, ob es schmeckt oder nicht. Hauptsache ich schmecke, dass es wach hält. Und danach schmeckte der Kaffee sehr.
"Boah", sagte Alois und gähnte herzhaft. "Und jetzt gleich noch bei dem Bjornson im Archiv. Ich glaube, ich schlafe im Stehen ein. Kannst du mich dann wecken?"
"Wenn ich dann nicht auch schon schlafe", sagte ich. "Wie lange haben wir noch Pause?"
Alois sah zu dem Kaffeedämon, der anfing zu piepsen: "Es ist jetzt fünfzehn Uhr fünfzig. Wenn ihr bis sechzehn Uhr fünfzehn Pause habt, dann habt ihr noch fünfundzwanzig Minuten. In Anbetracht der Tatsache, dass ihr zum Pseudopolisplatz ins Archiv müsst, solltet ihr langsam mal losgehen. Vielen Dank für die Benutzung des..."
"Okay, danke!", unterbrach Alois. "Aber Recht hat er. Lasst uns los."
Ich verschluckte mich fast am Kaffee, den ich gerade an die Lippen geführt hatte. Er war sehr heiß und die anderen standen jetzt auf. Schnell setzte ich ihn wieder ab.
"Jetzt wartet doch", sagte ich, nachdem meine Lippen wieder abgekühlt waren. "Lasst mich noch eben meinen Kaffee auftrinken." Ich nahm die Tasse wieder in die Hand und sah hinein.
In der Tasse lag ein großer kaffefarbener Eisblock. Diese dämlichen Eiszauber, dachte ich.
"Ach, vergesst es", sagte ich zu den anderen, die in der Tür stehengeblieben waren, kippte im Vorbeigehen den Eisblock in den Mülleimer und stellte die Tasse zu den sauberen beim Dämon. Dann verließen wir das Wachhaus in Richtung Pseudopolisplatz.

-


Bjorn betrat das Archiv und nahm die Lampe von dem Tisch. Er zündete sie an und sah sich um. Alles sah aus wie beim letzten Mal, als er hier war.
Er ging tiefer in die Regalreihen hinein. Es war dunkel und stickig. Bjorn musste unwillkürlich husten.
Den Zettel mit dem Fall legte er auf den Tisch in der Mitte des Archivs. Der Tisch war in einer Art Raum, begrenzt durch die hohen Regale, um ihn standen zwei Stühle. Eine Akte lag auf dem Tisch. Eine Akte musste auf dem Tisch liegen, sonst war es kein gutes Polizeiarchiv. Es war dieselbe Akte wie seit mindestens anderthalb Jahren. Sie war noch immer auf derselben Seite aufgeschlagen und lag an exakt derselben Stelle wie seit einer halben Ewigkeit.
Bjorn suchte nach den Akten, die die Rekruten für den Fall brauchen würden und sah nach, ob sie an der richtigen Stelle lagen und vollständig waren. Es war ein Glücksfall, dass dieser Fall noch nicht abgeschlossen war und so die neu gewonnenen Informationen noch nicht in den Akten eingetragen worden waren.
Jetzt fehlten nur noch die Rekruten.

~~~Vor dem Archiv des Wachhauses~~~


Grade noch rechtzeitig sind wir angekommen, es war Punkt viertel nach vier, soweit sich das beurteilen ließ. Gerade sind wir die Treppe heruntergekommen, da kam auch der Gefreite aus dem Archiv.
"Hereinspaziert", sagte er und hielt uns die Tür offen. Wir gingen hinein und fanden einen Tisch mit zwei Stühlen. Ich schaffte es, einen Stuhl zu kriegen und setzte mich. Grummel schnappte sich den zweiten. Alois blieb murrend stehen.
Bjornson war uns gefolgt und stellte sich jetzt vor uns. Er sah auf eine Liste.
"Grummel Grummelich?", sagte er und deutete auf Grummel.
"Ja", grummelte Grummel.
"Alois Kühn?", fragte der Zwerg und sah Alois an.
"Ja", sagte der.
"Und Lantania vom Silberwald", sagte er.
Ich nickte.
"Gut", begann der Zwerg. "Wie ihr wisst, zeige ich euch jetzt das Archiv. Ich möchte euch deutlich machen, wie wichtig das Archiv für Ermittlungen sein kann. Ihr habt doch sicher von dem Fall gehört, wo vier Männer die Spielergilde überfallen haben, mitten während eines Leg-Herrn-Zwiebel-Rein-Turniers, und Unmengen an Geld erbeutet haben?"
Ich nickte. Ich hatte tatsächlich davon gehört. Ich hatte einen Gesprächsfetzen von zwei RUM-Wächtern in der Kantine aufgeschnappt. Wonach es sich anhörte, war, dass sie in einer Ermittlungssackgasse standen. Ich glaube, dass muss vorgestern gewesen sein.
"Nun, wollen wir doch mal sehen, ob ihr den Fall nicht mithilfe des Archivs lösen könnt. Ihr habt eine Stunde Zeit. Und das wissen wir: Es waren vier Männer. Sie kamen gegen halb drei in die Gilde gestürmt, mit Armbrüsten bewaffnet. Sie trugen Strumpfhosen über den Köpfen, sodass ihre Gesichter nicht zu erkennen waren. Ein Zeuge sagte, er habe bei einem Mann langes blondes Haar gesehen, andere haben dies bestätigt. Der Kassierer konnte einem Täter eine Aktentasche entwenden - er schien Übung darin zu haben, still Dinge verschwinden zu lassen, die unter Tischen standen -, die einer der Täter mit bloßen Händen angefasst hatte. SuSi hat einen Fingerabdruck gesichert, und zwar diesen hier." Bjornson legte ein Blatt Papier mit zwei Fingerabdrücken auf den Tisch. "Außerdem hat ein Zeuge das Kennzeichen des Fluchtfahrzeugs angeben können. Es besteht aus diesen Symbolen." Der Gefreite legte einen zweiten Zettel auf den Tisch. "Und das war's. Auf geht's!" Er drehte ein Stundenglas um. Der Sand begann zu rieseln.
Ich stand auf und sah mir die nächsten Regale an.
Alois fragte: "Und was sollen wir jetzt tun?"
"Da wirst du noch grade selber drauf kommen", sagte der Zwerg. Er setzte sich auf Grummels Stuhl, nachdem auch der aufgestanden war. "Es ist hier alles logisch sortiert."
Ich suchte die Abteilung, wo das Karrenverzeichnis lag. 'Er wird uns wohl kaum das Kennzeichen eines Karrens geben, wenn es kein Karrenverzeichnis gibt', dachte ich.
Es befanden sich kleine Schilder an den Borden, die Buchstaben beinhalteten. Ich stand vor ROT-RRA. Also machte ich mich auf zu KAR.

-


Lantania schien ein wenig motivierter zu sein als die anderen. Sie bewegte sich langsam in Richtung Karrenverzeichnis, während die anderen beiden jetzt schon seit knapp drei Minuten vor ein und demselben Regal standen. Alois Kühn starrte auf PRA-PTE und Grummelich auf SCH-SCH, das untere der drei, die so hießen. Bjorn hatte ja den starken Verdacht, dass sie gar nicht hinsahen, sondern die Augen geschlossen hatten.
Bjorn beschloss die beiden aufzuwecken. Er stellte sich hinter sie und tippte sie an, Grummel auf die Schulter und Alois in den Rücken. "Na?", sagte er. "Schon was gefunden?"
Sie zuckten fast zu Tode erschreckt zusammen. Danach drückten sie sich um eine Antwort und gingen zu anderen Regalen.
Bjorn sah, wie sie ihre Köpfe wieder an das Holz lehnten.
Das mit dem Begeistern hatte nicht funktioniert. Obwohl...
... wenn er Lantania beobachtete...

~~~In der Nähe des Karrenverzeichnisses~~~


Es war unter KAR tatsächlich zu finden. Ich nahm den großen Stapel und hievte ihn zu dem Tisch, an dem Bjornson noch immer saß und jetzt mich beobachtete. Ich weiß nicht, wieso, aber die Art, wie er mich ansah, gefiel mir nicht. Es erinnerte mich irgendwie an... Hund. 'Seltsam', dachte ich und dachte nicht weiter darüber nach.
Auf dem Zettel stand das Kennzeichen, BL-52-WZC. Ich schlug es nach und fand einen Namen, Istan Hinterschloss, und den Vermerk, dass der Besitzer sein Fahrzeug als gestohlen gemeldet hatte.
'Na toll', dachte ich. 'Eine Sackgasse. Das wird das sein, worüber die RUM-Leute gesprochen hatten'
"Es schadet nicht, Sachen gegenzuprüfen", sagte Bjornson. Er schien mein enttäuschtes Gesicht gesehen zu haben.
"Okay?", sagte ich und brachte das Verzeichnis zurück an seinen Platz. Dann ging ich zu HIN.

-


"Und vielleicht kannst du deine Kollegen ermutigen, auch mal was zu tun", rief Bjorn ihr hinterher.
Das weckte die beiden wieder auf, und sie begannen sofort mit der Suche nach einem neuen Regal für ihre Köpfe.
Hoffnungslos, dachte Bjorn.
Er nahm die Akte vom Tisch, die, die gewissermaßen zum Mobiliar gehörte. Sie lag hier wirklich schon eine Ewigkeit. Sie war fast unsichtbar, verschmolz fast mit dem Tisch. Bjorn führte das auf die Staubschicht auf der Akte zurück, die eine ähnliche Farbe besaß wie das Holz der Tischplatte. Jetzt hob er die Akte an, und der Staub rieselte in Sturzbächen zu Boden und auf Bjorns Hose. Der Zwerg schloss die Akte, legte sie auf den Tisch, stand auf und klopfte sich die Hosenbeine ab.
Dann sah er auf den Deckel der Akte und las: Tod.

~~~Bei HIN~~~


Istan Hinterschloss war ein oft vorbestrafter Betrüger und unlizenzierter Dieb. Ich wollte ihm nicht mehr abnehmen, dass sein Wagen gestohlen worden war. Wahrscheinlich hatte er den Karren aus der Stadt gebracht, war zu Fuß zurückgekehrt und hatte das Gefährt später als gestohlen gemeldet. Also gab es bereits einen dringend Tatverdächtigen, aufgrund seines Vorstrafenregisters. Ich las noch ein wenig in der Akte, fand aber nichts Interessantes mehr. Das einzige, was mir auffiel, war ein Muster in der Vorgehensweise seiner Diebstähle. Dies war ja ein Raub. Damit hatte er keinerlei Erfahrung vorher gesammelt.

-


Name: Tür
Vorname: Bill
Rufname: Tod
Geburtstag: unbekannt
Status: lebend, auf der Flucht
Familienstatus: ledig, nicht liiert, Tochter (Herzogin Ysabelle Sto Helit(verst.)), hat Haustiere (Katzen)
Vorstrafen: keine
Gesucht wegen: viehlfacher Beihilfe zu unlizenziertem Mord, viehlfacher Beihilfe zu unlizenziertem Totschlag, viehlfacher Beihilfe zu schwerer Körperverletzung mit Todesfolge, viehlfacher Beihilfe zur Körperverletzung mit Todesfolge, viehlfacher Beihilfe zu unlizenziertem Raubmord, viehlfacher Beihilfe zu unlizenzierter Tötung auf Verlangen, viehlfacher Verweigerung der Zeugenaussage, viehlfachen Nichtbefolgens der Anweisungen eines Wächters, viehlfachen Nichtbefolgens der Anweisungen eines Wacheoffiziers
Anmerkungen: Es ist noch nicht geklärt, ob die gesuchte Person unter die Jurisdiction der Stadt fällt. Hinweise dafür sind, dass er in Harga's Rippenstube als Koch gearbeitet hat, Hinweise dagegen sind, dass sein Wohnsitz außerhalb der Stadt liegt.

Bjorn las weiter. Es war auf den folgenden Seiten mancher Todesfall notiert, mit dem Verweis darauf, dass der Sensenmann zugegen hätte sein müssen, da es sich um seinen Arbeitsplatz handele, er sich aber jedes Mal versteckt hielt, auf Anweisung des Wächters vor Ort, der sich irgendwann in einen Wacheoffizier verwandelte, sich nicht zu erkennen gab und die Zeugenaussage verweigerte. Entweder hatte der entsprechende Wächter, dessen Name Bjorn nicht bekannt vorkam, einen Spaß erlaubt, oder er meinte es wirklich ernst. Bjorn hätte es sich selbst nicht zugetraut, eine solche Akte zu erstellen, auch wenn er sich selbst, ebenso wie viele andere, als versessen auf Regeln betrachtete. [1]
Bjorn suchte ein Bild, doch er fand keins. Ist auch wohl gut so, dachte er und sah wieder auf.
Plötzlich bemerkte er Lantania, wie sie sich näherte. Er öffnete die Akte auf der Seite, auf der sie aufgeschlagen auf dem Tisch lag, legte sie auf dem Tisch und verteilte gleichmäßig Staub vom Boden auf dem Papier.
"Na, schon vorangekommen?", fragte Bjorn.

~~~


"Ich würde an dieser Stelle zu dem Besitzer des gestohlenen Karrens, Istan Hinterschloss, gehen und ihm einige Fragen zu dem Diebstahl stellen", sagte ich und dachte an unangenehme Fragen zu dem Diebstahl des Wagens, die bestimmt einige Lücken in der Geschichte aufdecken würden.
"Nun, gut, dass wir das schon gemacht haben", sagte Bjorn. "Es stellte sich heraus, dass er bei tiefergehenden Fragen zum Diebstahlhergang sehr ins Schwitzen kam, bis er schließlich zugab, den Wagen zur Tarnung als Gestohlen gemeldet zu haben. Wir boten ihm an, als Kronzeuge auf Strafnachlass hoffen zu können, er sagte aber, er könne seine Kameraden nicht im Stich lassen."
"Gut." Ich stand ein wenig verblüfft da, da Bjornson etwa zwei Stunden mal eben so kurz zusammengefasst hatte, wobei ich mir dennoch jede einzelne Minute gut vorstellen konnte. Ich sah mir also die Fingerabdrücke an und fragte mich, ob es wohl ein Fingerabdruckverzeichnis gab. 'Nun', dachte ich. 'Dass es eins gibt, ist ja wohl klar. Sonst hätte uns Bjornson wohl kaum Fingerabdrücke gegeben.' Aber wie man Fingerabdrücke logisch sortieren sollte, wenn nicht nach den Namen der Besitzer, war mir schleierhaft. Und eine Sortierung nach den Namen der Inhaber hätte mir nicht viel genützt. Wahrscheinlich musste man ein SuSi sein, um das vernünftig hinzubekommen.
Ich ging trotzdem zu FIN.

-


Bjorn nahm eine Akte aus einem Regal in der Nähe. Er fand es immer interessant, einen alten Fall zu lesen und in der Wachegeschichte zu stöbern. Er tat das öfter. Außerdem wollte er möglichst schnell die Akte auf dem Tisch wieder vergessen. Er stöberte in ihr und versank in Gedanken.
Plötzlich spürte er etwas Weiches an seinem Bein.
Bjorn sprang fast in die Höhe, als er es spürte. Dann fasste er sich schnell wieder. Er sah an seinem Bein herab und erblickte eine Katze- oder einen Kater. Bjorn streckte die Hand nach der Katze aus und versuchte sie zu streicheln. Aber die Katze fauchte und schlug nach seiner Hand. Mit ausgefahrenen Krallen, wie Bjorn spürte.
"Au", sagte er und wunderte sich. In letzter Zeit fauchten ihn alle Katzen an. Früher war das anders, da war er mit Katzen wie mit allen anderen Tieren klar gekommen, jetzt fauchten sie nur, wenn er sich ihnen bewusst näherte. In Bjorn erhärtete sich die Vermutung, dass es irgendwie mit dem Mops-Vorfall zusammenhängen könnte.

~~~Bei FIN~~~


Ich weckte meine beiden Kollegen, die sich fast zu Tode erschreckten, aber still blieben.
"Sagt mal, wollt ihr den gar nichts tun?", fragte ich.
"Ach", Alois winkte ab. Leicht verschlafen legte er eine Pause zum Nachdenken ein. "Wenn das ein Fall für RUM ist, warum schlagen wir uns dann damit RUM?" Er grinste.
"Weil er auch etwas mitzureden hat, wenn es um unsere Beförderung geht", sagte ich, obwohl das nicht war, was mich antrieb. Ich wollte den Fall lösen, um des Falles Willen. Warum wusste ich noch nicht so genau.
"Hast du schon was rausgefunden?", fragte Grummelich.
"Ja, und ich bin bald fertig mit dem Fall", sagte ich. "Einen Täter habe ich schon."
"Wen denn?", frage Alois. Ich zweifelte, ob ich es ihm sagen sollte. Ich tat's dann aber doch.
"Istan Hinterschloss heißt er",berichtete ich. "Aber jetzt strengt euch doch auch mal ein bisschen an."
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich die beiden, fast schlafwandelnd, zu HIN bewegten.
Ich nahm eine Schublade aus dem Regal, die mit "Fingerabdrucksverzeichnis SuSi" beschriftet war. Ich stellte ihn auf den Boden und setzte mich davor. Dann öffnete ich ihn und eine Menge Staub kam mir entgegen. Vielleicht hatte ihn keiner geöffnet, aber an diesem Ort würden wahrscheinlich auch zwei Tage reichen, um den Kasten komplett mit Staub zu füllen. Einmal kräftig pusten und der Staub war weg. Ich zog den Index, die erste Akte, aus den Halterungen und sah mir die Spalten an.
'Interessant', dachte ich, als ich sah, wie die Fingerabdrücke sortiert waren. 'Die lassen sich in Kategorien einteilen. Wie cool. Grundmuster, grobe Merkmale, Minutzien, Porenstruktur, Unregelmäßigkeiten... Toll.'
Dann verglich ich das Indiz mit den Standardtypen im Inhaltsverzeichnis. 'Ein Wirbler, eindeutig.' Direkt hinter dem nun freien Fach für den Index war die Wegweiserakte für Wirbler. Darin wurden die Fingerabdrücke noch weiter kategorisiert. 'Wer das entdeckt hat', dachte ich. 'Dass man die so kategorisieren kann, der war ein echtes Genie. Und er hat mir meine Arbeit sehr viel leichter gemacht.'
Die Wegweiser führten mich zu einer Akte, in der etwa zehn Zettel lagen. Ich schaute mir den ersten an. Auf ihn waren untereinander drei mit Namen beschriftete Bilder geklebt. Unter den Bildern war jeweils ein Streifen Papier mit zehn Fingerabdrücken geklebt, offensichtlich von jedem Finger einer. Ich begann, meinen Fingerabdruck zu vergleichen. Dass es kein Daumen war und auch kein kleiner Finger, war mir schnell klar. Auf dem ersten Zettel passte keiner sehr gut, auch wenn sie sich alle sehr ähnlich waren. Denn auf jedem der Fingerabdrücke waren besondere Merkmale mit Bleistift umkreist, irgendwelche Narben, Unregelmäßigkeiten im Muster und so weiter. Auf dem zweiten Zettel passte auch keiner, und ebenso bei den nächsten drei auch nicht. Auf dem sechsten wurde ich aber fündig. Eine Unregelmäßigkeit erkannte ich an einem Zeigefingerabdruck wieder. Er passte fast perfekt, zumindest die Teile, die auf dem Indiz deutlich erkennbar waren.
Ich sah auf den Namen. "Rigel, Schlack", stand dort. Auch das Gesicht auf der Ikonographie wirkte sehr überwaldisch. Nur wegen des Kommas konnte ich erkennen, welcher von den beiden Bestandteilen der Nachname war. Ich verstaute die Akten, die ich aus der Schublade genommen hatte, wieder an ihrem Platz, legte den Deckel auf den Kasten und hievte ihn in das Regal zurück. Dann hörte ich Delilah.

-


Das ging aber nicht. Die Katze - oder der Kater - konnte nicht hier bleiben, er musste raus. Bjorn stellte sich vor, dass das Tier ein paar Akten aus den Regalen zog, um zu schauen, ob es dahinter etwas zu essen gab. Er wusste nicht, ob dort nicht irgendwer zum Beispiel einen Fisch vergessen hatte, und wenn das Tier etwas fand, würde es weitersuchen. Ein nicht zu tolerierendes Risiko.
Er ging also dahin, wo die Katze verschwunden war.
Langsam strich sie durch die Reihen von Regalen, fast bedächtig. Als würde sie eigentlich nur einen Spaziergang machen. Als Bjorn um die Ecke in die Regalreihe trat, in der sich die Katze befand, drehte sie den Kopf und beobachtete den Zwerg misstrauisch. Wirklich seltsam, dachte Bjorn. Er näherte sich ihr.
Bjorn sah regelrecht, wie die Katze ihre Krallen ausfuhr und zum Sprung ansetzte.

~~~Immer noch bei FIN~~~


"Miaaunz!", hörte ich. Und es kam mir sehr bekannt vor. Dann ein Fauchen und ein Ratschen. Ich hastete in Richtung der Geräusche, den Zettel mit dem Fingerabdruck noch in der Hand.
Dann sah ich Delilah und Bjornson, der auf dem Boden lag und mit den Händen versuchte, meine Katze loszuwerden, und dessen Ärmel wohl das Ratschen verursacht hatte, so wie er aussah.
"Aah!", gab der Zwerg von sich und versuchte, Delilah von sich zu drücken. Es gelang ihm nur mäßig.
"Delilah!", rief ich meiner Katze zu. "Lass das!"
"Er hat mich angegriffen, dieser Hund!", sagte sie, hörte aber auf zu kratzen. Ich schaute verwundert.
Bjornson, der immer noch auf dem Boden lag, mit Delilah wachsam auf seinem Bauch, bemerkte das wohl und sagte: "Was ist los?"
"Sie sag..." Ich zögerte. "Das ist meine Katze, entschuldigung."
"Was hat sie gesagt?", fragte er. Und er sagte es, als sei es etwas, was man ständig macht, mit Katzen reden.
"Ähm..." Ich war ein wenig verwundert. "Sie sagte, du hättest sie angegriffen", sagte ich ganz langsam, damit es nicht vorwurfsvoll klang.
"Sie hat mich sofort angegriffen, als ich sie nur berührt hatte." Er versuchte sich aufzusetzen, doch Delilah fauchte bedrohlich.
"Er riecht nach Hund", verteidigte sie sich. Das hatte ich auch schon bemerkt. Daher auch dieses Gefühl zu Beginn der Stunde. Das war mir bei den Gelegenheiten, bei denen ich ihn früher schon mal gesehen hatte, nicht aufgefallen.
"Hast du einen Hund als Haustier?", fragte ich ihn. 'Was habe ich zu verlieren?', dachte ich dann und fügte hinzu: "Und warum wundert es dich nicht, dass ich mit meiner Katze sprechen kann?"
"Ich kann mit Hunden sprechen", erzählte er. "Ich war mal für eine halbe Stunde oder so ein Hund, und wenn ich etwas zu einem Hund sage, dann versteht er mich komplett. Ich kann ihr Gebelle nicht verstehen, aber sie verstehen meine Sprache."
"Moment", wollte ich nochmal auf einen ganz speziellen Punkt zurückkommen. "Du warst ein Hund?"
"Ja, animalimorphische Magie. Ein paar Gangster, die uns überfallen hatten, hatten sich einen Spaß erlaubt. Ich war dann für eine halbe Stunde ein Mops, bis mich ein Gott zurückverwandelt hat. Eine sehr lange Geschichte. Wie kommt es, dass du mit Katzen sprechen kannst, wenn ich fragen darf?"
Ich zweifelte, ob ich ihm die ganze Geschichte erzählen sollte. Ich entschied mich dann für die Sparversion. "Vererbt. Alle in meiner Familie können das."
"Ein Gott in der Familie, wie?", fragte er wissend.
"Keine Ahnung. Meine Mutter..." Ich brach ab.
Bjorn schaute mich eindringlich an. Er schien in meinen Kopf sehen zu wollen. Es bereitete mir ein wenig Unbehagen.

-


Wenn jemand bei den Wörtern Meine Mutter abbricht, dachte Bjorn. Dann hat das meistens einen Grund. Die Person hat entweder kürzlich seine Mutter verloren oder ist noch nicht darüber hinweg. Das begegnete Bjorn nicht zum ersten Mal. Und in Verhören ist es immer hilfreich, diese Zeichen zu erkennen. Es ging ihm selber so, zwei Wochen lang, als seine Mutter verstorben war.
Bjorn sah, wie Lantania eine Träne unterdrückte. Er versuchte möglichst vorsichtig zu sprechen. "Wie ist es denn passiert?"
Die Katze schien etwas zu sagen, aber Lantania ignorierte sie und begann zu sprechen, musste sich aber erst räuspern, bevor ihre Stimmer ihr richtig gehorchte. "Keine Ahnung. Deswegen bin ich hier."
"Im Archiv?", fragte Bjorn.
"Nein, in der Wache."
"Ah." Bjorn kam eine Idee bezüglich der Lektion. "Dann bist du aber auch hier im Archiv richtig. Vielleicht ist der Täter hier irgendwo verzeichnet. Wenn er schon vorher unlizenzierte Morde begangen hat und sich hat erwischen lassen, dann hat er hier eine Akte."
Lantania sah sich fasziniert um. Offensichtlich hatte sie die Träne schon vergessen.
"Wärst du vielleicht so nett", äußerte sich Bjorn. "Deiner Katze zu sagen, sie soll meinen Bauch verlassen?"
"Oh, ja klar." Lantania wandte sich an die Katze. "Jetzt geh schon runter."
Die Katze verließ nur widerwillig ihren sicheren Kontrollplatz. Bjorn richtete sich wieder auf. Sein Rücken hatte schon angefangen zu schmerzen. Der Boden des Archivs war nicht für ein Nickerchen gedacht.
"Warum hattest du sie angefasst?", fragte Lantania. Wieder sehr darauf bedacht, nicht anklagend zu klingen. "Ohne anklagend klingen zu wollen." Auf einmal sind alle erstaunlich vorsichtig, wenn sie mit einem Omnianer wie mir über irgendetwas Anfassen sprechen, dachte Bjorn.
"Falls du denkst, ich hätte irgendeinen Einfluss darauf, ob ihr eure Ausbildung besteht, da kann ich dich beruhigen. Das habe ich nur insofern, dass ich berichte, was ihr so gemacht habt. Solltest du nicht im Stehen eingeschlafen sein..." Er warf einen hinweisenden Blick in Richtung der HIN-Regale. "Dann kann ich nicht mehr Einfluss darauf nehmen." Er fuhr fort zur ersten Frage. "Ich hatte Sorge, dass sie etwas durcheinanderbringen könnte. Wenn du sie rausbringen oder auf sie aufpassen könntest, wäre ich dir sehr dankbar."
"Mach ich", sagte Lantania und ging in die Tiefen des Archivs zurück.
Die Katze folgte ihr, aber nicht ohne einen warnenden Blick auf Bjorn zurückzuwerfen.

~~~Bei RIG~~~


'Rigel ist ein Dieb und Räuber. Sein Profil passt perfekt in das Tatbild, ebenso die Vorgehensweise. Und er ist schon öfter mit Hinterschloss zusammen verhaftet worden. Sie waren erst letzten Monat zusammen in einer Zelle gewesen. Wahrscheinlich der perfekte Moment, um einen neuen Coup zu planen. Und weil die Räuber nach Rigels üblichen Schritten vorgegangen sind anstatt zum Beispiel denen von Hinterschloss, ist wohl Rigel der Kopf des Ganzen.', dachte ich. Ich ging also wieder zu Bjorn.

~~~Im Zentrum des Archivs~~~


Bjornson saß wieder an seinem Tisch. Ich behielt Delilah neben wir genau im Auge. Ihre Nackenhaare sträubten sich. Ich konnte es ihr nicht verübeln, schließlich mag ich auch keine Hunde.
"Und?", sagte der Zwerg und sah von der Akte auf, in der er gerade geblättert hatte. "Schon weitergekommen?"
"Ich wette, ihr wart auch schon bei Schlack Rigel", sagte ich. Mir drängte sich immer mehr der Verdacht auf, dass der Fall schon gelöst war. So schnell, wie ich die Sackgasse überwunden hatte, müsste ein RUM das doch im Schlaf schaffen.
"Warte", sagte Bjornson und kramte in seinen Unterlagen, bis er einen Zettel fand. "Ah, ja." Er überflog ihn bis zu einer bestimmten Stelle. "Herr Rigel hat sich sehr kooperativ gezeigt, weil er beeindruckt war, wie schnell wir ihn gefunden hatten, sagte er. Er gestand alles, verriet aber weder seine Mittäter noch den Ort der Beute. Er nannte seine Bande die Überwald-Combo. Er meinte, er wolle gerne wissen, wie schnell wir die finden würden. Die Beute fanden wir auf seinem Dachboden. Er wirkte sehr enttäuscht."
"Das nennst du kooperativ?", fragte ich. Er hatte doch eigentlich gar nichts gesagt.
"Du meinst doch nicht wirklich, dass ein Fingerabdruck reicht, um jemanden zu verurteilen. Wenn jemand gesteht, erspart uns das einiges an Verhören und Ermittlung."
"Und die anderen zwei Täter?", fragte ich, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten.
"Ich bin gar nicht hier", sagte Bjornson in einem seltsamen Ton. Er vertiefte sich wieder in seine Akte und ignorierte meine Anwesenheit völlig.
Ich nahm den Zettel mit dem Tathergang nochmal in die Hand und las ihn mir gründlich durch. Es war nichts Neues dabei, auf den ersten Blick. Doch ganz plötzlich fiel mir etwas auf. Die Räuber sind direkt zum Hinterausgang gerannt. Sie wussten, wo der Hinterausgang war. Sie haben niemanden gefragt, denn alles, was gesagt wurde, war vermerkt. Sie hatten aber keine Ahnung, wo das Geld war. Dazu sind sie zuerst am falschen Schalter gewesen. Sie kannten also das Gebäude wohl von außen, aber nicht von innen. 'Sehr spekulativ', dachte ich. 'Bestimmt stimmt das nicht.' Aber eine andere Spur hatte ich nicht. Ich setzte mich also wieder in Bewegung.
"Ach", sagte Bjorn so plötzlich, dass ich etwas zusammenzuckte. "Weck doch bitte deine Kollegen nochmal. Ich habe Angst, dass sie umfallen und sich den Kopf aufschlagen."

-


Bjorn sah, wie Lantania die beiden, die immer noch vor dem Regal von Hinterschloss standen, aufweckte. Offenbar erzählte sie ihnen dann von Rigel, denn sie gingen in Richtung der R-Abteilung, lehnten ihre Köpfe dann aber gegen das Regal mit RIE. Lantania ging aber zu ADR. Eine sehr gute Idee. Sie war auf genau dem richtigen Weg.
Im Gegensatz zu ihren Kollegen, dachte Bjorn und stand auf.

~~~Bei ADR~~~


Im ersten Fach des Adressenverzeichnisses, das ebenso eine Schublade zum Herausnehmen war wie das Fingerabdruckverzeichnis, war ein Stadtplan untergrbracht. Das Gebäude der Spielergilde war gut zu erkennen.
Der Hinterausgang ist manchmal verschlossen. So hieß es in dem Tathergang. Und das in regelmäßigen Abständen. Die Täter müssen also beobachtet haben, wann die Tür offen war und wann nicht. Dazu brauchen sie ein Fenster, dass zum Hinterausgang hinauszeigt.
Die Karte war sehr detailliert. Die Hausnummern waren an jedes Gebäude drangeschrieben. Es war eine entsprechend große Karte. Ich hatte sie auf dem Fußboden ausgebreitet und dann auf den interessanten Kartenausschnitt zusamengefaltet. Ich machte mir keine Gedanken darüber, ob ich sie nachher wieder richtig zusammenfalten könnte.
Es waren zwei Gebäude, die in Frage kamen. Abgesehen davon, dass die Fassade des HEM an der Rückseite der Spielergilde lag, gab es noch zwei Wohnhäuser in der Pfirsichblütenstraße, die Sicht auf die Spielergilde von hinten hatten. Die große Mauer um die Universität verhinderte die Beobachtung durch Zauberer, und Nicht-Zauberer hätten sich nie freiwillig in das HEM getraut. Die Nummern 4 und 5 der Pfirsichblütenstraße kamen also nur in Frage.
Ich sah im Verzeichnis nach. Nur die Pfirsichblütenstraße 5 war verzeichnet. Das war das Haus mit der besseren Sicht. Der Bewohner hieß Ding Fest. Dass es sich wieder um einen überwaldischen Namen handelte, stimmte mich zuversichtlich.
Natürlich hatte das nichts mit Vorurteilen zu tun.
Delilah strich mir um die Beine. Ich stetzte mich auf den Boden und strich ihr durch das Fell. "Was machst du eigentlich hier", fragte ich sie. "Ich dachte, du bleibst zuhause."

-


"Wir, äh, wir suchen...", stotterte Alois und versuchte sich zu erinnern, was er suchte.
"Riegel", fiel es Grummel wieder ein. "Wir suchen Herrn Riegel."
"Hier?", fragte Bjorn.
"Ja, bei RIE." Alois zog eine Schublade aus dem Regal und ging durch die Akten. "Riegel... Riegel. Komisch, der ist hier gar nicht."
"Was für einen Riegel sucht ihr denn? Den Besitzer des Süßigkeitenladens in der Straße Schlauer Kunsthandwerker?"
"Ähm..."
"Der hat sich noch nichts zuschulden kommen lassen. Den wirst du hier nicht finden."
"Schlack!", rief Grummel. "Das war sein Vorname."
"Ach, Schlack Riegel." Bjorn grinste innerlich. "Wo habt ihr denn seinen Namen her?"
"Ähm", sagte Alois vorsichtig. "Aus dem - Fingerabdruckverzeichnis?"
"Na, da ist euch doch bestimmt was aufgefallen, oder?"
Bjorn sah geradezu, wie es in Alois' Kopf ratterte. Eine Idee erhellte ganz plötzlich seine Miene.
"Ach, stimmt. Jetzt wo du's sagst. Der wird bestimmt anders geschrieben?"
"Ach", sagte Bjorn ironisch. "Wie schrieb er sich denn noch gleich?"
"Ohne e?", vermutete Alois.
"Riegl?", schlug Bjorn vor.
"Ähm..."
"Wisst ihr wenigstens noch, an welchem Fall ihr arbeitet?", fragte Bjorn.
"Jaja", beteuerte Alois.
Eine Stille trat ein.
"Und welcher?", fragte Bjorn dann.
"Den... Überfall auf die... Spielergilde?"
"Gut geraten", sagte Bjorn. "Holt euch einen Kaffee aus der Cafeteria und kommt dann zurück. Ihr habt noch eine Viertelstunde Zeit, den Fall zu lösen."
Die beiden hasteten davon. Bjorn setzte sich wieder an den Tisch und wartete.

~~~Bei FES~~~


Herr Fest war Dieb und Räuber, beides unlizenziert. 'Was für eine Überraschung', dachte ich, bevor mir klar wurde, dass ich vermutlich mit meiner vagen Vermutung Recht hatte. Ich las mir die Akte weiter durch und entdeckte Hinterschloss. Die beiden kannten sich und hatten auch schon gemeinsam Dinger gedreht. Ich las weiter, auf der Suche nach einem weiteren Namen. Und ich fand auch einen. Regelmäßig beging er Verbrechen mit einer Frau namens Ainke Sperrt. Ich machte mich auf den Weg zu SPE.

-


Es ist echt ein Glücksfall, dass die letzte Akte sich nahe des zentralen Tisches befindet, dachte Bjorn und prüfte den gedachten Satz sorgfältig auf Grammatikfehler. So kann ich hier warten, bis einer kommt. Alois und Grummel waren noch nicht wieder da. Sie würden wahrscheinlich auch in den nächsten zehn Minuten nicht wieder auftauchen. Aber ihre Ausbilder würden davon nicht in Unkenntnis bleiben, da war sich Bjorn sicher.
Und jetzt kam Lantania, näherte sich der letzten Akte, nahm sie aus ihrem Fach und las sie sorgfältig durch. Das Bild von Ainke Sperrt, eine Frau mit langem blonden Haar, hing daran. Dann legte sie sie zurück und sagte zu Bjorn: "Ich habe alle Täter. Sie sind Ding Fest, Ainke Sperrt und Hinterschloss und Rigel."
"Nun, Hinerschloss und Rigel haben wir ja schon, aber bei den anderen waren wir noch nicht. Zu wem würdest du zuerst gehen?"
"Keine Ahnung, zu... Fest?"
"Wir sind zuerst zu Sperrt gegangen. Ist näher dran."
"Eine Frage", unterbrach Lantania. "Wer sind 'wir'?"
"Nun..." Bjorn zögerte. Er hatte das Personalpronomen völlig unbewusst gebraucht. Als Ausbilder musste man das doch benutzen. "Eigentlich meine ich damit die Wächter von RuM."
"Aber du bist ein Seal. Wieso zählst du dich dazu?"
"Nun..." Bjorn war sehr zurückhaltend, wenn es darum ging, Menschen aus einer besseren Gruppe auszuschließen. "Wir... ausgebildeten Wächter."
"Dann bin ich auch bald 'wir'. Lange kann es nicht mehr dauern, dass ich auch zur Gefreiten befördert werde." [2]
"Es ist auch nicht viel besser als Rekrut, außer dass man nicht mehr ausgebildet wird."
"Wie lange bist du schon Gefreiter, wenn ich fragen darf?"
"Darfst du. Mittlerweile müssten es drei Jahre sein." Bjorn sank enttäuscht in seinen Stuhl ein.
"Oha." Lantania wechselte schnell das Thema. "Also, was habt ihr aus Sperrt herausbekommen?"
Bjorn richtete sich wieder auf. "Nichts. Sie sagte, sie würde ohne ihren Anwalt nichts sagen."
"Und Fest?"
"Ebenso. Sie haben wohl Wind gekriegt. Hinterschloss oder Rigel haben sie wahrscheinlich gewarnt."
"Was hat Rigel nochmal erzählt."
Bjorn nahm den obersten Zettel von seinen Unterlagen und las vor. "'Er war beeindruckt, wie schnell wir ihn gefunden hatten. Er verriet uns aber weder Ort der Beute noch Mittäter. Er sagte, er sei gespannt, wie lange wir brauchen würden, um die zu finden.'"
"Dann gehen wir doch nochmal zu ihm hin und sagen ihm, wir hätten Fest und Sperrt gefasst."
"Gut. Sehr gut." Bjorn war wirklich beeindruckt. Sie war schnell. Oder aber sie hatte sich vorher schon Gedanken gemacht. "Er war wieder erstaunt und sagte, wir hätten gute Arbeit geleistet. Wir konnten ihm mit geschickten Fragen ein direktes Geständnis zu den Mittätern entlocken."
"Und das wars", sagte Lantania.
"Ja", sagte Bjorn. "Unsere Zeit ist auch um", bemerkte er mit einem Blick auf die Sanduhr. Lantania folgte seinem Blick, genau als das letzte Sandkorn fiel.
"Gut, die Stunde ist um. Deine Kollegen sind wahrscheinlich in der Cafeteria. Du darfst ihnen jetzt hinterhergehen."

~~~


"Danke", sagte ich und ging.

[1] Der Wächter, der diese Akte erstellt hatte, trug den Namen Möhre. Er hatte eines Tages schließlich in einem alten Lagerhaus erreicht, was er sich wünschte. Tod hatte sich gezeigt und ihm Rede und Antwort gestanden zu dem Todesfall, der in dem Lagerhaus stattgefunden hatte. Leider war Möhre selbst das Opfer. Die Akte wurde nach Möhres Tod nicht weitergeführt. Möhre selbst hatte sie auf den Tisch gelegt, um sie zu vervollständigen, als er plötzlich zum Lagerhaus seines Schicksals gerufen wurde. So, wie er sie verlassen hatte, blieb die Akte auf dem Tisch liegen, bis Bjorn sie gerade eben dort entfernte.

[2] Unverschämt, oder? Dass sie sich befördern lässt, während ich diese Geschichte über sie schreiben muss. Naja, sie kann ja nichts dafür. Herzlichen Glückwunsch von dieser Stelle. murmel, unverschämt, murmel...




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Feedback:

Von Harry

14.06.2010 19:20

Die Idee, einen Kriminalfall nur mit Hilfe von Archivarfbeit zu lösen, gefällt mir gut - aber man hätte aus der Idee noch ein bisschen mehr machen können, denke ich. Dadurch, dass Lantania immer nur auf die Punkte gestoßen ist, die Bjorn sowieso schon gekannt hat, blieb das ganze ohne größere Überraschungsmomente.

Von Lilli Baum

14.06.2010 19:20

Eine nette Geschichte. Dass du den Teil mit Lantania aus ihrer Sicht geschrieben hast, kam mir zwar erst etwas seltsam vor aber es ist eigentlich ein ganz geschickter Schachzug gewesen, weil man sich so ihr gleich viel näher gefühlt hat. Schön auch die Verbindung, die du zwischen ihr und dir gezogen hast.Das du eine Rekrutenvorlage verwendet hast, finde ich sehr nett, die Karteilleiche war amüsant - auch wenn ich mich frage, ob du weißt, dass Tod mal Kommandeur gewesen ist.

Von Ruppert ag LochMoloch

14.06.2010 19:20

Ich fand die Geschichte absolut gelungen! Die aberwitzige Ablage der Wache wo alles alphabetisch sortiert ist ... perfekt, so stelle ich sie mir vor. Dazu hast Du die Charaktere sehr gut dargestellt und immer wieder nette Nebenhandlungen eingebaut (Die Akte von Tod, die verpennten Rekruten ...).Natürlich war der Fall vollkommen konstruiert - aber in diesem Fall brachte das erst die richtige Stimmung hinein.

Von Sebulon, Sohn des Samax

14.06.2010 19:20

Wow, schicke Geschichte - darf ich Obergefreiter sagen? ;)Ich hätte gern die beiden mit der kompletten Lösung zurückkehren sehen, denn RUM hat den Fall ja gelöst und in der Kantine sitzt immer irgendwer RUM ... aber mit Glanzparade für Lantania isses auch hübsch.Großartig, einen Fall komplett im Archiv zu lösen, finde ich. :)Hoffentlich nimmst du bald deine Away-Nachricht raus; ich möchte mehr von dir lesen ...

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