Wichtelsingle! Du entdeckst Hinweise darauf, dass Dein Vorgesetzter die Tat begangen hat. Kollegen von Dir können ihn entlasten. Die Stimmung in der Abteilung ist angespannt. Wer versucht hier wem Schaden zuzufügen?
Dafür vergebene Note: 12
'
Das kann nicht sein! Das kann und darf nicht sein!'
Olga stand vor dem Büro von Laiza Harmonie, und das bereits seit zehn Minuten. Sie hatte die Hand zum Klopfen erhoben und starrte das Holz an.
'
Ich kann das nicht tun. Nie und nimmer!'
Frustriert ließ sie die Hand sinken.
'
Undenkbar! Von der Umsetzbarkeit einmal völlig zu schweigen. Nein, nein, und nochmals nein! Soll doch ungesühnt bleiben ...'
Sie drehte sich um und lehnte sich erschöpft gegen die Tür.
'
Eher frieren die Niederhöllen zu, als dass ich ...'
Aber sie musste. So etwas Unerhörtes konnte nicht straflos bleiben.
Hinter der Tür räusperte sich Laiza.
"Da du bisher noch kein einziges 'Äh' gesagt hast, bist du vermutlich nicht der Späher Goldwart. Ich wette, du bist Olga. Falls ich recht habe: Komm doch rein. Ich habe gerade einen frischen Tee aufgesetzt."
Schüchtern sank sie in sich zusammen und drückte ganz langsam die Klinke der Tür herab.
"Was kann ich für dich tun, Hauptgefreite?", erkundigte sich die Abteilungsleiterin und lächelte gewinnend.
"Ich ... ich ... ich komme später wieder", erwiderte die Tatortwächterin.
"In welcher Angelegenheit?"
Sie schluckte schwer und betrat Laizas Büro.
*"Ich verstehe." Laiza ließ gedankenverloren ihre Tasse mit dem Löffel klingen. "Das sind schwere Anschuldigungen."
Mit hochrotem Kopf saß die Hauptgefreite ihr gegenüber und nickte bedrückt.
"Gut, dass du nicht sofort zu I.A. gegangen bist. Dann hätten wir jetzt auch noch den alten Knollenbeißer zu bewirten." Erneut klang die Teetasse, als umgerührt wurde. "Wir gehen ihn einfach fragen."
Mit weit aufgerissenen Augen sah Olga ihrer Vorgesetzten ins Gesicht. "Wir? Ich dachte, ..."
Laiza stand auf, ging zur Tür, öffnete sie und sah zum Schreibtisch. "Komm, Hauptgefreite."
Starr vor Schreck saß Olga auf dem Stuhl. Ihre Gedanken rasten, suchten nach einer Möglichkeit, das nicht bis zum bitteren Ende über sich ergehen lassen zu müssen.
"Hauptgefreite?"
Schweren Herzens stand sie auf und verließ den Raum wie jemand, der zur eigenen Exekution schreitet und die Waffe tragen muss.
'
Warum ich?'
* Drei Tage zuvor ...Waldemier Hammer von der Palastwache legte seine Karten vor sich ab.
"Halbe Zwiebel. Ich glaube, das Geld geht schon wieder an mich."
Murrend gaben seine Kollegen ihm Recht und Waldemier schob seine Gewinne über den alten Holztisch mit einer großen Bewegung zu sich.
"Warum hast du heute so gute Laune?", fragte Franz Almsing.
Sein Kollege Jürgen Maibaum nickte. "Ja, warum? Du bist doch sonst eher ..."
"Ich hab unseren
geschätzten und hochverehrten Kollegen von der Stadtwache ein Schnippchen geschlagen. Daran werden sie zu knabbern haben."
Jürgen und Franz schwiegen grinsend.
[1]"Wollt ihr gar nicht wissen, was mir gelungen ist?", fragte Waldemier entnervt.
"Hast du ihren Kaffee mit Rhizinusöl und Froschpulver versetzt?", fragte Julius von Büttlingen, der Vorgesetzte der Leg-Herrn-Zwiebel-Rein-Gesellschaft.
In einem Wimpernschlag standen die drei Palastwächter kerzengerade. Die Karten lagen trotzdem so, dass sie jederzeit wieder aufgenommen werden konnten.
"Ihr habt zu arbeiten und nicht Karten zu spielen!"
"Ja, Sör", kam die Antwort aus drei Mündern.
Julius kratzte sich an seinem stoppligen Kinn. "Und macht hier mal sauber."
"Ja, Sör."
"Weitermachen."
Grinsend setzten sich die Palastwächter wieder an ihren Tisch. "Ja, Sör."
*"Sillybos, wir müssen reden", sagte Laiza, als sie durch die Tür zu seinem Büro trat.
Der Philosoph verkniff sich ein Grinsen. "Müssen wir das nicht alle, um zu Erkenntnis ..."
"Spar dir die schlauen Sprüche für später", seufzte die Abteilungsleiterin und setzte sich. "Olga", sie deutete auf die Hauptgefreite, die noch immer schüchtern im Türrahmen stand, "hat Schwerwiegendes vorzutragen."
Stille folgte. Man konnte das Gelärme der Wache aus den anderen Büros dringen hören, die Tauben auf dem Dach gurrten gedämpft, sogar Schnappers Stimme klang leise über den Hiergibtsallesplatz.
"Ja?", fragte Sillybos.
"Der Mord in der Unkengasse. Du bist es gewesen", flüsterte Olga leise.
Dem Oberfeldwebel klappte vor Überraschung die Kinnlade herab.
*Tags zuvor ...An der Wand hing eine Leiche. Der Täter war brutal vorgegangen, hatte das Opfer mit langen Metallbolzen in der Mauer verankert und den resultierenden Blutverlust als Tintenersatz missbraucht. Ein langer latitianischer Satz stand an die Wand geschmiert.
[2]Olga, die des Latitianischen nicht mächtig war, seufzte kaum hörbar. Mittlerweile fand sie solche Tatorte nicht mehr so abstoßend, wie damals, als sie vor sechs Jahren - war es wirklich schon so lange her? - der Wache beitrat. Mit geübten Handbewegungen streifte sie sich Einweg-Papierhandschuhe über, zog den Ikonographen aus ihrer Umhängetasche und machte fünf Bilder.
Ihr Blick blieb in der Ecke des Zimmers, am Kamin, hängen. Ein Buch lag dort. Darauf waren Blutspritzer. Es wirkte völlig deplatziert; es war das einzige Buch im ganzen Zimmer. Als sie es vorsichtig aufhob, sah sie, dass die Blutspritzer auch darunter waren.
Sie gab ihrer Neugier nach, schlug es auf und erbleichte.
*"Eine interessante These", sagte Sillybos und strich sich durch den Bart. "Tatsächlich fehlt mir auch '
Die neueren Lehren des Herrn Liebaug', seit etwa drei Tagen. Und die Widmung, die du beschrieben hast, stimmt mit derjenigen überein, die Hegelkant mir damals in sein Geschenk
[3] geschrieben hat. Aber er kann bestätigen, dass ich in den letzten Tagen nicht einmal ansatzweise in der Nähe der Unkengasse gewesen bin."
Laiza nickte langsam und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. "Sicher kann er das. Er steht allerdings auch zu dir in einem Abhängigkeitsverhältnis - er ist dein Lehrling, wenn ich mich nicht irre -, was seiner Aussage die Kraft rauben würde." Sie hielt inne und blickte den Schreibtisch an. "Versteh mich nicht falsch; ich glaube nicht, dass du tatsächlich diesen Mord begangen hast, sonst säßen jetz nicht Olga und ich sondern der Kommandeur und sein knollenliebender Agent auf diesen beiden Stühlen. Kannst du jemanden nennen, der absolut wasserdicht bezeugen kann, dass du ..."
"... vorgestern nicht in der Unkengasse warst", beendete Olga den Satz. Auf die fragenden Blicke hin, sagte sie: "Todeszeitpunkt und Aussagen von schaulustigen Nachbarn."
Sillybos tippte mit dem Finger auf den Schreibtisch. Dreimal. Viermal.
"Kannst du?", löcherte ihn seine Abteilungsleiterin.
Er nickte. Dann sprach er: "Magane."
*"Was ist eigentlich schlimm daran, wenn zwei Wächter mal ausnahmsweise gemeinsam ihre Freizeit verbringen?", fauchte Korporal Magane und richtete einen anklagenden Zeigefinger auf Laiza. "Immerhin ist es ja nicht so, dass wir ein ... ein
Däit oder so hatten! Ich bin eine glücklich vergebene Frau! Wir haben einen Klacker gesehen und uns dann unterhalten. Silly ist ein verständnisvoller Gesprächspartner, der ..."
Der Oberfeldwebel hob die Hand, was Magane schweigen ließ. "Niemand macht hier Anschuldigungen, dass ihr beide eine Affaire hättet. Die Frage ist nur, ob du bestätigen kannst, dass Sillybos vorgestern in deiner Nähe und nicht in der Unkengasse verbracht hat."
Zähneknirschend antwortete Magane: "Das tat er. Aber nicht so nahe, wie du vielleicht denkst."
* Drei Tage zuvor ...Es war hell in der Tonne des alten Philosophen, die von Waldemier gemustert wurde.
Regulierungen, Gesetze und Vorschriften zischten durch seinen Kopf. Schließlich gab er auf. Er konnte die Tonne nicht einfach so entfernen lassen; es stand ein kleines Schild davor, auf dem 'kain Spärrmühl' stand.
Schließlich warf er einen flüchtigen Blick hinein und grinste.
Der Palastwächter zog die schwarzen Lederhandschuhe aus der Tasche und stülpte sie über die Hände.
Da hatte wohl jemand doch Besitz ... nur wie konnte er dieses Wissen bestmöglich gebrauchen, um der Stadtwache eins auszuwischen?
Er überlegte kurz, dann nahm er das Buch mit. Es war zwar kein Sperrmüll, aber nach Eigentum sah es nun wirklich nicht aus.
*Ein Zwerg stand im Flur vor Laizas Büro. Er trug den Bart geflochten, einen Helm auf dem Kopf und einen Werkzeuggürtel um die Hüften. Unschlüssig musterte er das Muster an der Wand.
"Sebulon", stellte die SUSI-Abteilungsleiterin fest. "Hier drüben, im Büro. Die Tür ist offen, ich kann dich sehen. Du stehst schon eine ganze Weile dort."
Eilig holte der Zwerg sein Salutier-Ritual nach und nickte etwas verlegen. "In der Tat, Ma'am."
"Dann komm endlich rein und sag, was du willst."
Zögerlich betrat er das geräumige Büro. Es schien aus seiner Sicht so viel Platz zu haben, dass er fühlte, wie sich sein Inneres gegen die Haut drückte, weil es sich im Raum ausbreiten wollte.
Aus dem Fenster konnte er den Pseudopolisplatz sehen. Geschäftig ging es dort unten vor sich; hektisch, wild und anonym. Wie in seinem Kopf. Ein Gedankengang beschäftigte sich mit der Anordnung der vorhandenen Schränke und Bücherregale. Ein weiterer optimierte die Anordnung der Bücher selbst (die Struktur nach Größe und Beschaffungsdatum fand Sebulon ungenügend) und wiederum einer versuchte, die Gedanken die Abteilungsleiterin anhand ihrer Mimik zu erahnen.
"Also?", fragte Laiza und bohrte mit dem Bleistift ein frustriertes Loch in ein Schmierblatt.
"Ma'am", machte der Korporal. Und dann noch einmal, als wüsste er nicht, wie er beginnen sollte: "Ma'am."
"Soll ich dir einen Kamillentee machen lassen?"
Er schüttelte den Kopf und schwieg.
"Na, wenn du nichts zu sagen hast, sollte ich dich besser wieder an die Arbeit gehen lassen. Du bist bei GRUND, nicht wahr?"
"Ich habe mir für heute und morgen frei genommen."
Neugierig hob die Abteilungsleiterin eine Augenbraue. "Und warum bist du dann hier, wenn ich ...?" Als die Erkenntnis einsetzte, stockte sie und sah ihn scharf an. "Nein. Nein, ausgeschlossen. Wie du eben gesagt hast: Du hast Urlaub. Geh und genieß ihn, weit weg von allen Angelegenheiten, die SUSI intern haben mag."
"Also glaubst du, dass Sillybos den Mord begangen hat?", fragte Sebulon leise, fast im Flüsterton.
"Nein, natürlich nicht! Und überhaupt: Wer hat dir davon erzählt?!"
Sebulon ignorierte die Frage. "Und ihr seid der Angelegenheit gewachsen?"
"Auf jeden Fall!"
"Dann ist ja gut."
Einige Herzschläge lang beobachteten sich die beiden Wächter.
Schließlich durchbrach Laiza die Stille: "Bitte geh jetzt."
"Du weißt, wo du mich finden kannst, Ma'am."
Unausgesprochen schwebten, als Sebulon salutierte, noch zwei weitere Sätze durch den Raum:
'
Ich werde dich in dieser Angelegenheit nicht kontaktieren! Auf keinen Fall!'
'
Wir werden sehen.'
*Tags zuvor ...Sie fand die Blume am Morgen auf der Türschwelle, kurz bevor sie das Haus verlassen wollte, um den Dienst anzutreten.
Eine dunkelrote Karmeliterrose, beinahe völlig ohne Dornen; feinste Zuchtarbeit, wie sie nur in Quirm zur gärtnerischn Perfektion gelangen konnte. Der Stiel war dünn und doch elasisch genug, um der Dame des Herzens (ohne Schaden an der Pflanze) um den Finger gewickelt zu werden. Feinadrige satt-grüne Blätter zweigten hier und dort vom Stengel ab, keines zu lang oder zu dick. Keines der kräftig leuchtenden Blütenblätter klebte am Nächsten fest; keines zeigte auch nur im Geringsten Anzeichen von Lausbefall oder Wassermangel. Und der Duft, den sie absonderte, war so süß und kräftig, wie es sonst nur Damenparfüms mit ihren künstlichen Trägerstoffen schafften. Diese Rose war genug, um einen überdurchschnittlichen Gärtner noch vor Neid erbleichen zu lassen. Mit dieser Rose gewann man Damen; ja sie schien lautlos zu flüstern: 'Ich bin das Abbild der inneren Schönheit, die in dir verborgen liegt. Wenn du dich meiner würdig erweist, lasse ich dich
vielleicht für mich sorgen - denn wir sind für einander bestimmt!'
Leider entging Olga der deutlich überwiegende Teil dieser Beobachtungen, als sie mit morgendlichem Schnupfen die Tür öffnete und beinahe in die Pflanze hineintrat. Sie bückte sich, hob die Blume auf, musterte sie flüchtig, sah zurück in das gemeinsame Schlafzimmer und rief: "Donna, da ist Post für dich!"
Während sie wartete, zählte sie die Jahre, seit sie das letzte mal selbst einen Verehrer hatte. Es waren zu viele. Aber andere Dinge waren eben auch wichtiger gewesen, sagte ihre Vernunft; wichtiger als sinnlose Romantik und optionale Fortpflanzung ...
Als keine Antwort kam und sich Donnatella stattdessen nur mit regelmäßigem Atem bewegte, seufzte die kleine Schwester, brachte die Rose in die kleine Küche, goss ihr etwas Wasser in ein benutztes Glas und ließ sie zurück.
Arbeit wartete.
*Die Hauptgefreite Inös saß in der Kantine und starrte vor sich hin. Sie hatte sich nichts zu essen geholt, spürte auch keinen Hunger. Stattdessen beobachtete sie den Salzstreuer. Das Salz war schon etwas feucht geworden; man hatte Reiskörner beigegeben, um das völlige Verkleben zu verhindern.
Dieser Streuer war zu beneiden, fand sie. Streute man das Salz, machte er glücklich; war er leer, füllte man ihn nach. Er machte Essen genießbar - und in Bezug auf Kantinenessen hieß das schon etwas.
Sehnsüchtig dachte sie an ihre Kindheit zurück. Alles war so einfach gewesen. Aber jetzt ...
"Hallo, Olga", sagte Sebulon und stellte zwei gefüllte Tabletts auf den Tisch. "Du musst wohl hungrig sein; ich habe dir eine Portion mitgebracht."
... jetzt saß ein redseliger Korporal neben ihr und gab ihr das Gefühl, im falschen Klicker zu sein. Dass sie keinen Hunger hatte, machte die Sache noch schlimmer.
"- und dann hat Sillybos mit Kanndra geredet, Kanndra mit Braggasch - naja, ich will dich auch nicht langweilen. Jedenfalls wollte ich dir meine Hilfe anbieten."
Sie starrte schweigend auf das Essen vor ihr, das noch dampfte und schon wieder unappetitlich aussah.
"Weil nämlich", meinte er und nahm genüsslich einen großen Happen von etwas, das nach heißem Rattenmus mit Fellstücken aussah, "ein Püschologe in dieser Angelegenheit gute Dienste leisten könnte."
Sie atmete tief durch. "In welcher?"
"Wie bitte?", fragte Sebulon, völlig aus der Bahn geworfen.
"In welcher Angelegenheit wäre ein Püschologe nützlich,
Sör?", wiederholte sie in genervtem Tonfall.
"Oh, das meinte ich gar nicht. Nenn mich einfach Sebulon. Ich trage diese ganzen Haken auf meiner Schulter erst seit Kurzem."
Innerlich verdrehte sie die Augen. Korporäle waren einfach kein leichter Umgang, egal wie sehr man sich mühte. "Von welcher Angelegenheit redest du also?"
"Na von dem Mord natürlich." Er beugte sich etwas näher und flüsterte: "Den Sillybos nicht begangen hat."
In Gedanken ging sie ihre Optionen durch. Sie könnte ihr Wissen leugnen. Aufstehen und fortgehen. Ihn mit dem Tablett ohnmächtig schlagen - obwohl, das würde bei einem Zwerg schwierig werden. Ihm das Salz in die Augen streuen, weglaufen und hoffen, dass er sich nicht an ihren Namen erinnern würde. Ihn ignorieren und so tun, als wäre er gar nicht da. Um Hilfe rufen.
Sie entschied sich dazu, wortlos wieder an die Arbeit zu gehen.
"Wenn du nichts dagegen hast, komme ich mit", bot Sebulon an.
Olga ignorierte ihn und war bereits aus dem Zimmer, als er noch eben die Tabletts wegräumte.
*'
Warum vefolgt er mich?', fluchte Olga in Gedanken. '
Was habe ich getan, dass er mich nicht in Ruhe lassen kann?'
Sie war mehrere Umwege gelaufen, hatte eine Viertelstunde auf dem Damenabort verbracht (was sie tatsächlich mehr gestört hatte als ihn); ihr war sogar in den Sinn gekommen, Frau Willichnicht zu besuchen und einen kleinen Plausch zu halten, nur um ihn loszuwerden.
[4]Nun stand sie vor dem nämlichen Haus in der Unkengasse, das sie in seiner ganzen morbiden Grauheit musterte. Innerlich tobte ein Sturm.
"Das ist das Haus, in dem der Mord passiert ist?", fragte Sebulon und steckte sein Notizbuch weg.
Innerlich zerbrach der letzte Widerstand und sie seufzte. Dann nickte sie.
"Fein. Das sollte aufschlussreich sein."
Sie warf ihm einen Blick zu - den ersten seit einer vollen Stunde, die sie ihn nach Menschenmöglichkeit ignoriert hatte -, der ausdrückte: '
Wehe, du fässt etwas an!'
"Ich beobachte nur", kommentierte Sebulon und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. "Nach dir, Hauptgefreite."
Wut und Ärger auf diesen Zwerg schäumten in ihr auf. So eine
Anmaßung war ihr schon lange nicht mehr begegnet.
Sie kletterte unter dem rot-weißen Absperrband hindurch, das sie vor wenigen Tagen selbst angebracht hatte und zog sich die Handschuhe an.
Der würde sich noch wundern.
* Drei Tage zuvor ...Waldemier wartete an einer dunklen Straßenecke auf einen alten Bekannten.
Als der Alte Tom die elfte Abendstunde herbeischwieg, kam ein rauchender Mann mit dunklem Hut und langem Mantel kam auf den Palastwächter zu, der sich vorsorglich zivil gekleidet hatte. Im Schein der Laterne funkelten die Augen des Ankömmlings kalt und grau; sie schielten und zitterten, wann immer sie etwas zu fixieren versuchten - wie beispielsweise jetzt die Ohren Waldemiers.
Die beiden Männer nickten sich kurz zu. Ein kleiner Geldbeutel wechselte den Besitzer.
"Du hast einen Auftrag für mich?", fragte es unter dem Hut hervor. Die Augen leuchteten wahnsinnig. Die Zigarette glühte auf.
"Nicht ganz. Du sollst nur etwas für mich liegenlassen, wenn du das nächste Mal deinen Neigungen nachgehst."
"Ich stehle nicht mehr."
"Das habe ich auch nicht behauptet."
Der Geldbeutel wurde prüfend in der Hand gewogen. "Und um welchen Gegenstand handelt es sich?"
* Als sie heimkam, war sie fertig mit den Nerven. Er hatte zu allem etwas zu sagen. Schlimm genug, dass dieser dämliche Zwerg eine rechthaberische Ader hatte, aber musste er tatsächlich auch bei Dingen recht behalten wollen, die für geistig Gesunde unsichtbar waren?
Hinter Olga fiel die Tür schwer ins Schloss.
Endlich daheim!
Das Zimmer war nicht besonders groß und grob in zwei Hälften geteilt. An jeder Wandseite stand ein Bett, daneben jeweils eine verhältnismäßig kleine Kommode. Die beiden Zimmerseiten schienen sich die Waage halten zu wollen: Was Donnatella an Chaos zum gemeinsamen Wohnen beitrug, grenzte ihre eigene Hälfte mit Ordnung und einer gewissen Leere spürbar ein. Bei der Wächterin konnte man den Boden sehen, bei ihrer Schwester fand man umso mehr Kleider, Schminke, Unterwäsche, Parfüm, Haarbürsten, Haarspangen, alte Liebesbriefchen, Notizzettel, Schuhe verschiedenster Formen, Tücher und dergleichen mehr.
Schwer atmend ließ sich die Hauptgefreite auf ihr Bett fallen. Einige Haare hatten sich bereits aus der Strenge ihrer Frisur zu befreien begonnen und nahmen der erschöpften Frau ein wenig die Sicht.
Siedendheiß fiel ihr ein, dass sie noch nicht eingekauft hatte. '
Brot von vorgestern', fluchte sie innerlich, '
Und Wasser. Kein Essen, das meinen Tag noch verschönern könnte.' Grimmig lächelte sie, als ihr auffiel: Besser als in der Kantine war es allemal. Bei Brot wusste man, woran man war; je älter und härter, umso mehr.
In diesem Moment bemerkte Olga, dass ihre Schwester nicht außer Haus war - als sich nämlich Donnatella schwungvoll und ohne großartig um Erlaubnis zu fragen, mit auf das schmale Bett setzte.
"Der ist für dich, Olli", kicherte sie und holte hinter ihrem beeindruckend schlanken Rücken einen verschwenderisch großen Blumenstrauß hervor.
"Ach, Donna", machte die Wächterin und stöhnte, als ihr Rücken sich meldete. Sie atmete tief durch und rückte dann ihre Brille auf der Nase zurecht. "Aber ich habe doch heute gar nicht Geburtstag und wenn du meinst, dass du damit die Schulden bei mir begleichen kannst ..."
"Der ist doch nicht von mir", quietschte die magere Frau vergnügt. "Der ist von deinem Freund!"
"Meinem ..."
"... Freund! Hier steht eine Widmung auf dem Schildchen, schau! Ach, Olli, ich freu' mich so für dich! Wo hast du ihn kennen gelernt?"
Die Augen der Hauptgefreiten weiteten sich. Dann wurden sie sehr schmal.
* "Bitte eintreten und frei sprechen zu dürfen, Sör Korporal, Sör", knurrte eine wütende Tatortwächterin durch Sebulons Bürotür hindurch.
"Aber natürlich. Komm doch rein. Ich räume gerade noch ein bisschen auf. Kann ich dir etwas anbieten, vielleicht einen ..."
"
Was fällt dir ein!", fauchte sie und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen. "Erst verfolgst du mich, bis ich ein nervliches Wrack bin. Dann kritisierst du jeden Zentimeter meiner Arbeit. Und jetzt sendest du mir Blumensträuße! Bist du völlig verrückt geworden? Ich will einfach nur in Ruhe gelassen werden, merkst du das nicht?" Die Zornesröte breitete sich langsam von ihrem Gesicht her auf den Rest ihrer Haut aus. "Ich habe einiges von dir toleriert,
Sör, und ich bin mir sicher, dass dir das nicht entgangen ist. Offen gesagt bist du arrogant, von dir eingenommen und über alle Maßen plemplem. Nichts für ungut. Aber ein Blumenstrauß? Meine Schwester wird sich wochenlang das Maul über meinen 'kleinen Freund' zerreißen! Schäm dich, Samaxsohn, eine Frau so zuzurichten! Und das Gedicht kannst du dir das nächste Mal dahin stecken,
wo die Sonne nicht scheint!"
Sie knallte das Widmungskärtchen auf den Tisch und noch ehe Sebulon etwas erwidern konnte, war sie bereits gegangen.
Verwundert darüber, wie sehr ein einfaches Bukett eine Frau zurichten konnte
[5], näherte er sich dem gefalteten Zettelchen und glättete es. "Geliebte Olga ... das Licht deiner Augen, den Zauber der Stimme ...", las er leise und kratzte sich am Kinn. Interessante Wortwahl, etwas altertümlich anmutend. Die Handschrift passte aber nicht so recht dazu. Das hatte ein junger Kerl geschrieben, definitiv ein Mann. Linkshänder. Und er hatte sich große Mühe beim Abschreiben gegeben.
Bedächtig drehte Sebulon die Karte ein wenig in die eine, dann in die andere Richtung. Schließlich zuckte er mit den Schultern.
Was ging es ihn an, wenn jemand um die Hauptgefreite warb? Er würde nur sichergehen müssen, dass das nächste mal nicht
er dafür verantwortlich gemacht wurde, wenn sie über Geschenke ihres Liebhabers ausrastete.
Konzentriert streckte er die Zunge aus dem Mundwinkel, nahm sich einen Bleistift begann ein Blatt mit Beobachtungen zu füllen.
* Als Olga am nächsten Morgen in ihrem Büro aufwachte, brauchte sie einige Momente, um sich zu orientieren. Weshalb lag sie hier und nicht ... oh, richtig, ein Blumenstrauß, den ihre Schwester ihr überreicht hatte. Die düstere Vorahnung dessen, womit Donna sie hätte ausfragen können, war genug gewesen, um die Wächterin von dem Appartment über Nacht fern zu halten.
Müde gähnte sie, streckte sich, richtete mit geübten Griffen die Haare und rieb sich erst dann die Augen.
"Na, ausgeschlafen, Schlafmütze?", brummte jemand.
Mit einem Schlag schreckte sie hoch und war zwar nicht hellwach, wohl aber aufnahmefähig.
"Erwarte ja nicht, dass ich dir auch noch einen Kaffee hole. Dazu müsste ich nämlich wieder in die Kantine runter und die ist so elendig weit weg für jemanden in meinem Alter und mit meinen kurzen Beinen. Nein, an Zwerge denkt natürlich niemand, wenn ein Wachehaus renoviert wird ..."
"Glum, was tust du hier?"
"Das heißt Sör, Hauptgefreite."
Irritiert wanderte der Blick der Wächterin zu seinen Rangstreifen. "Aber wir bekleiden doch den gleichen ..."
"Papperlapapp, ich bin dienstälter."
Die Irritation wich völliger Verblüffung. "Du bist doch nicht einmal fünf Jahre in der Wache ..."
"Ich sollte mit dem Kommandeur noch einmal über den Senior-Dienstgrad reden", brummte Glum beleidigt. "Ich finde, solche Diskussionen sind schon seit einem Jahrhundert unter meiner Digni... Dick..." Zweifelnd sah er hinab auf sein Bein und musterte sein Knie. "... unter meiner Würde."
"Wenn du Korporal Magane suchst: Sie ist noch nicht da."
"Ich lege ihr einfach diese Mappe hin", seufzte Glum und packte ein dickes Papierbündel auf ihren Schreibtisch. "Und gehe dann, damit nicht der Eindruck entstünde, dass ich extra wegen dieser Nachforschungen von der Dienststelle hierhergekommen wäre, denn sonst würde ja am Ende noch jemand 'danke' für meine Arbeit sagen oder mir ein wenig Wertschätzung zukommen lassen."
Kurz darauf war Olga wieder allein im Zimmer und entspannte sich merklich.
'Wahnsinn ist ansteckend', dachte sie.
* "Scheff, warum sind wir hier?", fragte Luan Blutarm und wirkte noch etwas bleicher als sonst.
Sebulon sah zu seinen sechs Rekruten hinüber und lächelte. "Um gemeinsam etwas nachzudenken. Hier ist ein Verbrechen geschehen ..."
"... und wir sollen herausfinden, wer das Opfer war?", unterbrach ihn Timotheus voll Tatendrang.
"Leider falsch. Ihr Name lautet Magdalena Zweiffel. Mit Zwei 'f'. Und könnte bitte einer von euch dem guten Käsemeyer an die frische Luft helfen? Nicht du, Fröhlich; du bist ein Gnom, das hat auch Nachteile. Luan und Alois, ich glaube, ihr solltet eurem Kollegen helfen."
"Geht klar, Scheff", schnauften die Angesprochenen und schwankten zusammen mit Käsemeyer nach draußen.
Einen Moment lang beobachtete der Ausbilder beeindruckt das Licht- und Schattenspiel durch die geöffnete Haustür, bevor er sich wieder umwandte. "Wie ich gerade andeutete", fuhr er fort, "geschah hier ein Verbrechen."
"Ein Mord?", rief Fröhlich Dreufl und klatschte begeistert in die Hände.
"In der Tat, Fröhlich. Der Umriss der Leiche dort drüben an der Wand scheint mir ein hinreichender Hinweis zu sein."
Als der Gnom realisierte, was die Kreidestriche bedeuteten, hob er seine Hand zum Mund und bewegte sich mit beeindruckender Geschwindigkeit zum Ausgang.
"Scheint so, als würden wir zu dritt nachdenken, Sir", stellte Jakob Fluss fest und sah seinen jungen Mitrekruten an.
Dieser nickte langsam aber gefasst. "Zu dritt, Sir."
* Als sie am Schildkrötenweg stand und gerade in die Unkengasse einbiegen wollte, räusperte sich jemand neben ihr. Sie sah sich um und war verblüfft, dass sie einem Palastwächter gegenüberstand. In einem hastigen Versuch, höflich zu sein, nickte sie ihm begrüßend zu.
"Da ist wohl jemand in der Unkengasse gestorben", meinte der Mann. "Äußerst brutal, scheint's."
Olgas Gedanken rasten. '
Arbeiten Palastwächter nicht im Palast? Was macht der also hier? Woher hat der diese Informationen? Wieviel darf ich verraten? Warum müssen seltsame Sachen in der letzten Zeit immer mir passieren?' "Kann sein", sagte sie und versuchte gefasst zu klingen. "Und selbst wenn nicht - was tut ein Palastwächter hier?"
Ein vornehmes, zynisches Lächeln schlich sich auf seine Lippen. "Verzeihung, ich habe mich gar nicht vorgestellt. Waldemier Hammer der Name. Mitglied der ehrenvollen zweiten Abteilung der Palastwache und stets zu Diensten." Mit einer fließenden Bewegung machte er einen tiefen Diener vor der Wächterin.
Ihre Instinkte sagten ihr, dass er etwas im Schilde führte. Um Zeit zu gewinnen entschloss sie sich, in sein Spiel einzusteigen. "Olga-Maria Inös, Hauptgefreite, Tatortwächterin der Abteilung
Suchen und Sichern der ehrenvollen Stadtwache von Ankh-Morpork", stotterte sie zusammen und machte einen halben Knicks. "Habe die ... Ehre." Als sie wieder aufgerichtet war und ihre schlotternden Beine spürbar besser unter Kontrolle hatte, fragte sie: "Also was bringt dich hierher, Herr Hammer?"
Lachend sprang in diesem Moment ein kleines, kurzgeschorenes Kind nackt und barfuß an ihnen vorbei, das eine auf dem Boden klappernde Blechdose an einem Faden hinter sich her zog und beiden zuwinkte.
Eine lange Sequenz der Stille und des intensiven Augenkontakts schloss sich an, als es um die Ecke war. Aus Angst, dass ihre Knie noch stärker schlottern könnten, verbat sie sich, auch nur als Erste zu blinzeln.
Gerade als das Prickeln im Auge unerträglich wurde, meinte der Palastwächter: "Ein Spaziergang. Ich wünsche noch einen schönen Abend, Frau Inös."
Dann verneigte er sich erneut und ging.
* "Was sagt es uns, dass die Leiche nicht auf dem Kopf fixiert war, oder mit der Stirn zur Wand, sondern 'richtig herum'?", fragte Sebulon und ließ einen Schraubenzieher zwischen seinen Fingern kreisen.
"Was, war das schon wieder nicht richtig?", beschwerte sich Timotheus. "Ich fand die Idee mit Schlägen in der frühen Kindheit plausibel."
Schweigend verdrehte Jakob die Augen und deutete an die Stelle, wo man bei der Kreidezeichnung das Gesicht erwartet hätte. "Er wollte seinem Opfer in die Augen sehen. Oder aber die Leiche sollte seinen Mörder im Blick behalten, je nach Sichtweise, Sör."
Knarrend öffnete sich die Tür und Olga betrat den Tatort.
"Draußen stehen vier Rekruten", bemerkte sie mit einem anklagenden Unterton. "Sie sagen, dass sie Schmiere stehen."
Jakob räusperte sich, und erklärte: "Der Begriff 'Schmiere stehen' scheint äußerst misslich gewählt. Die Rekruten dort draußen wollten Ihnen nur Arbeit abnehmen, Mä'äm. Wären sie drinnen geblieben, hätten Sie schon wieder sauber machen müssen."
Der Alte Tom schwieg die volle Stunde ein und verschluckte die pikierte Antwort der Tatortwächterin.
"Wie dem auch sei", quittierte Sebulon den aufkeimenden Streit und sah seine Kollegen an, "dieser Fall ist wirklich verzwickt. Den Mörder finden ist schon ohne dieses Buch kompliziert genug."
Timotheus setzte zu einer umfassenden zynischen Tirade auf den Geisteszustand seines Ausbilders an, der mindestens doppelt so viele Indizien sah, wie jede Person mit gesundem Verstand - doch dann entschied er, dass es widersinnig wäre, den Püschologen ausgerechnet in einer seiner rar gesäten geistig klaren Phasen aufzuscheuchen. Stattdessen sagte er: "Sör, ich schlage vor, wir holen die Jungs draußen ab und machen dann eine Pause."
Der Blick des Rekruten Fluss schweifte noch einmal durch das Zimmer, in dem noch immer hier und dort Blutspritzer auszumachen waren, und nickte dann finster. "Man sollte noch einmal mit Abstand auf diese Angelegenheit blicken. Mit Kaffee in der Hand."
Bevor sie den Tatort verließen blieb Sebulon neben Olga stehen.
"Ist etwas?", fragte er. Als eine Antwort ausblieb, fügte er an: "Falls dir das zu nahe geht, ..."
"Nein. Nein, ich habe nur vorhin vor dem Haus jemanden von der Palastwache getroffen."
Sebulons Augenbraue hob sich. "Hier, in der Unkengasse?"
"Gewissermaßen, ja."
Mit einer unerwartet flinken Handbewegung steckte Sebulon den Schraubenzieher weg, den er die ganze Zeit über in seiner Hand gehalten hatte, starrte jedoch die Hauptgefreite weiterhin an. "Dann wird es wohl kaum schaden, wenn wir ein Wörtchen mit den Palastjungens wechseln."
Olgas innere Alarmglocken schrillten: '
Wir??'
* Vor dem Palast des Patriziers standen zwei sauber rasierte Wächter und hielten nach gefährlichen Bürgern Ausschau. Sie hatten gute Laune, denn es war bereits ausgemacht, was sie mit dem ersten gefährlichen Zivilisten anstellen würden, der ihnen zu nahe kam.
Franz sah zu seinem Kollegen Jürgen hinüber und grinste, als er die beiden Stadtwächter bemerkte.
"Nicht hier", zischte der Eine. "Wir sind im Dienst und man könnte uns beobachten. Sei einfach dein strahlendes, natürliches Selbst. Und denk daran: Das sind keine Zivilisten."
Der Andere nickte und setzte einen äußerst geschäftigen Blick auf.
Als die Stadtwächter herangekommen waren, präsentierten die beiden Palastwächter ihre äußerst umständlich wirkenden Hellebarden.
"Na, was treibt zwei junge, hübsche Damen zu dieser Tageszeit an den Palast?", feixte Jürgen.
Sebulon schmunzelte, während Olga errötete, und erwiderte: "Keine Ahnung, aber die Hellebarden stehen ihnen. Wir beide hingegen sind nur auf einem Spaziergang. Das ist die Hauptgefreite Inös, ich bin ..."
"Jürgen und Franz, hocherfreut", gähnte Franz und begleitete diesen geballten Ausdruck seiner Langeweile durch ausschweifendes mit-der-Hand-vor-dem-Mund-Wedeln.
Die Stadtwächter tauschten einen kurzen Blick aus. Als er etwas länger dauerte und die beiden Wachhabenden schon breit über gemutmaßte Verliebtheit zu grinsen begannen, akzeptierte der Zwerg, dass er wohl die Gesprächsleitung übernehmen musste.
"Wir sind hier, weil ein Mord passiert ist, der den Pseudopolisplatz in Atem hält."
"Richtig, in der Unkengasse, nicht wahr?", kommentierte Jürgen und bohrte sich mit dem kleinen Finger im Ohr. Sein Daumen streifte dabei den Ohrrand, er entdeckte eine alte Kippe, zog sie hervor und betrachtete sie interessiert. "Hat denn euer Herr Oberfeldwebel ein gutes Alibi vorweisen können?"
Olga merkte auf. Woher wusste die Palastwache, wer im Tatverdacht stand? Niemand aus ihrer Abteilung würde solch delikate Informationen preisgeben, Sebulon war zwar halb irre aber keine Tratschtüte und die Rekruten hatten sie im Dunkeln gelassen. Wer hatte also geplaudert??
Sebulon setzte zu einer Antwort an, brach dann jedoch ab, kniff die Augen zusammen und sah sich um. "Ihr habt nicht zufälligerweise einen Eimer Wasser hier herumstehen, oder?"
"Nein, warum?"
"Wenn ich richtig liege, werdet ihr bald einen brauchen."
Die Palastwächter lachten herzlich. "Soll das eine Drohung sein?"
Olga nahm allen Mut zusammen und setzte ihr 'ich bin völlig unbeteiligt'-Gesicht auf. "Unsere Ermittlungen sind schon weiter fortgeschritten, als euch bewusst ist. Oberfeldwebel Sillybos wurde ...", sie sah Sebulon zu und nickte ihn bestätigungsheischend an, "... in seinem Alibi bestätigt. Er hat den Mord nicht begangen."
Der Püschologe war keine Hilfe. Er sah einen Meter rechts an den Palastwächtern vorbei und betrachtete amüsiert, was sich auch immer in seinem kranken Zwergenkopf abspielte.
"Ist das so", meinte Jürgen und zog aus einer Schlaufe an seinem Gürtel einen erstaunlich kleinen Drachen hervor. Einen Druck später leuchtete der Rest seiner Zigarette auf und er steckte den Handdrachen an seinen Platz zurück.
Sebulon beobachtete noch immer in eine andere Realität, allerdings schien sein Blick auf einigen Tauben zu ruhen, die etwa zehn Meter weit weg nach Brotresten pickten.
"Etwas neben sich, oder?", spekulierte Franz.
"Er ist ... Vogelkundler", presste Olga verzweifelt hervor. Sie hoffte inständig auf seine schlafwandlerische rechthaberische Penetranz, die sie in den letzten Tagen beinahe um den Verstand gebracht hätte und wurde nicht enttäuscht.
"Der korrekte Ausdruck lautet Ornithologe", korrigierte Sebulon geistesabwesend.
Die Tatortwächterin schluckte schwer und nickte. "Falls ihr jedenfalls relevante Informationen über den Fall haben solltet, wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, um sie uns zu geben." Als die beiden Palastwächter sie musterten, schob sie hinterher: "Kollegen."
'
Das klappt nie!', fluchte sie innerlich. '
Ich kann nicht gut lügen! Und sie haben auch keinen Grund, uns zu helfen! Nicht mal bei einer Chance von eins zu hunderttausend ...'
"Wie es sich so ergibt, haben wir einen Tatverdächtigen", meinte Franz und spuckte auf den Boden. "Hat einige interessante Sachen gestanden, war aber nicht ganz zurechnungsfähig, also haben wir ..."
"Hicks", machte der Handdrachen leise und eine kleine Feuerzunge leckte nach Jügens frisch gebügelter Uniform.
"Oh verfluchtverfluchtverfluchtverfluchtmistmistmistmistmist ...", rief der Palastwächter, der bis eben noch zufrieden geraucht hatte, und warf sich auf den Boden, um die Flammen im Staub zu ersticken. Das widerum nahm ihm der Handdrachen übel und fauchte noch einmal, diesmal mit mehr Nachdruck. Die Flamme verzehrte fast augenblicklich Hose und einen großen Teil der Stiefel.
Olgas Überlebensinstinkt ergriff die Gelegenheit, um ein wenig Initiative zu zeigen: Sie griff ihren noch immer in der falschen Richtung grinsenden Kollegen am Arm und zog ihn mit Nachdruck vom Palast weg. "Hoffe, ihr findet einen Eimer. Schönen Tag noch."
Als sie außer Hörweite waren
[6], wieder in den städtischen Tumult untertauchen konnten, sah Olga ihren Kollegen mit einer Mischung aus Unglauben und Frust an. "Dass der Drachen Schluckauf kriegen würde ... woher wusstest du das, Sör?"
"Ach", meinte Sebulon, "purer Zufall."
* Das Schlappen von nachdenkenden Rekrutenstiefeln vertrieb mit einer beruhigenden Regelmäßigkeit die Stille aus dem Besprechungsraum in der Kröselstraße.
"Wir haben alle losen Enden probiert", fluchte Luan und ließ seinen Frust mit einem Tritt am Tisch aus. "Das Buch hat innen keine Flecken, wurde also kurz nach der Tat, als die Leiche noch heftig blutete, hinterlegt. Aber nicht gelesen! Wie kam dieses elende Buch nur zu diesem Blutbad?"
"Dürfen wir den Oberfeldwebel von der Tat ausschließen?", wollte Timotheus Trinitas wissen.
Der Püschologe nickte. "Sillybos hat diesen Mord mit Sicherheit nicht begangen. Du wirst also keine Rückschlüsse auf seine frühe Kindheit erzielen können, so leid es mir tut. Trotzdem müssen wir seinen Namen erst noch reinwaschen. Vorschläge?"
"Vielleicht ist der Mörder an den Ort des Verbrechens zurückgekehrt?", dachte Jakob Fluss laut und sah aus dem Fenster.
Sebulon schüttelte den Kopf. "Das kommt zwar häufig vor, allerdings nicht so kurz hintereinander. Weitere Optionen."
"Und warum sollte er das Buch mitbringen und es dann liegen lassen?", fügte Olga leise hinzu, die am Schreibtisch saß und auf den Obduktionsbericht starrte.
Fröhlich Dreufl wippte auf seinen Füßen auf und ab; er wirkte dabei wie ein Flummi, der viel zu langsam dabei war auszudribbeln. "Aber, aber was, wenn es gar nicht der Gleiche war?", fragte er aufgeregt.
Die Schritte verhallten und geballte Aufmerksamkeit war auf den Gnom gerichtet.
"Was", fuhr er mit einem Mal sehr ruhig fort, "wenn wir es hier mit einer postalen Lieferung zu tun haben und der Postbote vor Schreck weggerannt ist?"
Diesmal runzelte Jakob die Stirn. "Dafür wurde das Buch von der Eingangstür aus zu weit weg gefunden. Es sei denn, der Postbote wäre durch das Fenster eingestiegen." Es dauerte einen Moment, bis sich setzte, was er gerade festgestellt hatte. "Was natürlich eine Möglichkeit wäre."
Zwei Zwergenhände klappten aneinander. "Sehr gut, Rekrut Fluss. Das ist eine neue, noch nicht erforschte Variante. Und", er sah seine Rekruten an, "was machen wir, wenn wir eine neue Option gefunden haben?"
"Fluchen, verdammich", meinte Käsemeyer, der bis dahin noch kein Wort gesagt hatte.
"Leider falsch. Fröhlich?"
Der Gnom hibbelte bereits wieder und rief: "Valdimieren! Valdimieren!"
Alois gab ihm eine sanfte Kopfnuss und flüsterte: "Du meinst validieren, du Schlumpf! Untersuchen und Überprüfen."
Beleidigt antwortete der Gnom: "Wenn ich's gemeint hätte, hätte ich's auch gesagt."
"Untersuchen und Überprüfen, richtig", lenkte Sebulon auf die Aufgabe zurück.
"Das soll uns jetzt
was sagen?", warf Käsemeyer ein.
Der Ausbilder strich sich über den geflochtenen Bart. "Das bedeutet", erläuterte er gravitätisch, "dass ihr am besten jetzt die Beine in die Hand nehmt und dem Rekruten Fluss folgt, der gerade schon den Raum verlassen hat, um mit ihm das Fenster zu untersuchen und Abstände zu ...-
zieht euch Handschuhe an!"
Als der letzte Rekrut stolpernd den Besprechungsraum verlassen hatte, seufzte der Zwerg und griff seinen Kakao. "Hier, in der Kröselstraße, sind die Getränke einfach besser, findest du nicht, Olga?"
"Sör."
"Als wir vorhin ins Haus gekommen sind, habe ich eine Brieftaube losgeschickt und Jack Narrator gebeten, bei der Palastwache vorzusprechen und eine Unterhaltung mit deren Tatverdächtigem anzufordern."
Sie nickte.
Nachdenklich betrachtete er seinen Werkzeuggürtel und zog dann zwei Schraubenzieher heraus. Er legte sie, parallel zueinander, vor sich auf den Tisch und sah dann die Hauptgefreite an. "Du fragst dich, weshalb ich so viel Wert darauf lege, diesen Fall zu lösen", spekulierte er.
Ein abfälliges Lachen, das sie nicht zurückhalten konnte, drang aus ihrer Kehle. "Ich weiß es und es gefällt mir nicht."
"So?", sagte Sebulon und folgte mit den Augen einem blauen Hasen, der in der Realität jedoch nicht über den Fußboden hoppelte.
"Um mir nachzustellen!", brachte die Hauptgefreite hervor, bevor sie die Beherrschung wiedererlangte und mit einem leisen "Sör" schloss.
Der Hase löste sich in eine kleine blaue Wolke auf, als der Püschologe die Augen zusammenkniff. "Interessanter Gedanke, jedoch völlig abwegig. Ich bin kein Linkshänder." Er zog die beschriebene Grußkarte aus seiner Brusttasche und legte sie vor sich zwischen die Schraubenzieher. "Der Skribant dieser Verse allerdings schon. Ich kann dir noch das eine oder andere über ihn verraten, wenn du ..."
Es war dem Korporal verwehrt, seinen Satz zu beenden, da in diesem Moment mit einem Knall die Tür geöffnet wurde.
"Sör! Der Fluss hat Spuren gefunden!"
* "Gebt der Hauptgefreiten etwas Raum zum Atmen!", rief Sebulon, als er mit seiner Kollegin zum wiederholten Male an diesem Tag den Tatort erreichte. Die Rekruten bildeten an der Seite des Hauses einen Pulk vor dem Fenster. "Sie ist Fachfrau! Lasst sie durch!"
Zögerlich wichen die Wächter von ihrem Aussichtspunkt ab und beäugten neugierig, wie Olga ihre Handschuhe überstülpte.
"Einer von euch holt mir bitte den Ikonographen. Schnell", meinte sie.
Der Ausbilder gab Alois Kühn einen deutlichen Wink, woraufhin dieser beflissentlich die Beine in die Hand nahm.
"Hier ist nicht viel übrig zum untersuchen", seufzte sie und besah sich das niedergetrampelte Gras. "Im Übrigen habe ich das hier schon einmal untersucht und nichts gefunden."
"Vielleicht kann ich an dieser Stelle behilflich sein", lächelte der Altrekrut und zog eine kleine Tüte aus seiner Hosentasche. Mit der Andeutung einer Verbeugung überreichte er sie der Tatortwächterin. Darin lagen zwei gerauchte Zigaretten.
"Wo hast du das gefunden?", fragte sie erstaunt.
Er deutete auf die Oberkante vom hochgeschobenen Fenster. "Da drauf, Mä'äm. Hat vermutlich keiner außen auf der Kante geguckt."
'
Ich werde unachtsam, mit den Jahren', dachte sie frustriert, wiewohl sie von der charmanten Art des Rekruten beeindruckt war. "Dann werde ich das mal ins Labor bringen. Vielleicht kann jemand von dort etwas Licht in diese dunkle Angelegenheit bringen." Sie sah den Rekruten an und lächelte ein tiefes, dankbares, entlastetes Lächeln. "Soweit ich weiß raucht der beschuldigte Wächter nicht. Das hier könnte ihn ausreichend entlasten. Gute Arbeit, Rekrut Fluss."
"Ich diene, wo ich kann, Fräulein Inös."
Als die Hauptgefreite fort war, tippte Luan Blutarm dem Ausbilder auf die Schulter. "Du, Sör, ich glaube, ähm, ich weiß, wer das Buch hinterlegt hat."
"Du ... WAS?"
* Mit langsamen, bedächtigen Bewegungen polierte er ein dreckiges Metallstück mit einem noch bedeutend dreckigeren Lappen.
Es klopfte an sein Büro in der Kröselstraße. Kurz überlegte er hin und her, ob er einige der Metallteile beiseite räumen sollte, doch dann entschied er sich dagegen. Er wollte nicht, dass die Hauptgefreite das Gefühl bekam, er würde ihr zuliebe Ordnung schaffen - um neuen Wutanfällen der Wächterin vorzubeugen.
"Komm rein", sagte er, "die Tür ist offen." Langsam und wie ein scheues Tier betrat Olga den Raum und blieb auf der Türschwelle stehen, als sie des kleinteiligen metallenen Chaos auf Boden und Schreibtisch gewahr wurde. Es erinnerte sie an den Teil ihres Zimmers, der Donnatella gehörte. "Sör, ..."
"Sebulon."
Sie verkniff sich einen Kommentar. "Sör Sebulon, ..."
"Nein, Sebulon reicht, Olga. Du hast Ergebnisse aus dem Labor?"
Ihr Körper straffte sich merklich, als sie fortfuhr. "Wir haben einige Rückstände gefunden, ja. Nach einem Datenabgleich mit den Akten können wir nun mit Sicherheit sagen ..."
"... dass ein gewisser Herr Gilbert Gomraus als vermeintlicher Tatzeuge identifiziert werden konnte?"
Die Hauptgefreite stand völlig baff in der Tür und lehnte sich ein wenig an, um nicht völlig das Gleichgewicht zu verlieren. "Sör."
"Ich sage dir doch, Sebulon reicht." Er stand auf und legte den Lappen aus der Hand. "Ein Rekrut - Luan, du hast ihn vorhin kennengelernt; er ist der mit dem pechschwarzen Haar und der hellen Haut; nicht unbedingt einer von der schnellen Sorte - Luan jedenfalls konnte in dieser Sache weiterhelfen. Er hatte vor einigen Tagen mit einem seltsamen Kautz zu tun, der unter anderem zum Hobby hat, Leichen zu beobachten. Ein durchgeknallter Kerl mit morbiden Interessen; mordet aber nicht selbst, meint der Rekrut. Und ein Kettenraucher, der an einem Tag eine ganze Schachtel geleert hat, darum musste Luan an ihn denken. Allerdings hätten wir vermutlich in Quirm mehr Glück, ihn zu finden, als hier. Gomraus, meine ich."
"In Quirm ...?"
"Gomraus hat vor zwei Tagen erst die Stadt verlassen. Und den Zellentrakt der Wache übrigens auch."
Frustriert schlug Olga mit der flachen Hand gegen den Türrahmen. Diese Tage unter ständigem Druck hatten Gefühle aufbrechen lassen, die sie sonst mit aller Macht zurückgehalten hätte. "Dieser Mistkerl! In Quirm haben wir keine Jurisdiktion ..."
"Oh, ich habe vorsorglich mal einen Fahndungsgesuch rausgeschickt. Wenn ihn dort ein Wächter erkennt, wird er uns wohl benachrichtigen. Möchtest du jetzt reinkommen?"
Verhalten nickte sie. Mit Bedacht und großen Schritten manövrierte sie sich bis zu einem leeren Stuhl und ließ sich dankbar hineinfallen. Als sie tief durchgeatmet hatte, sah sie den Zwerg an. "Ich habe lange überlegt, weshalb jemand einen Mord so inszeniert, dass gerade ein Wächter in den Verdacht gerät."
Der Korporal zuckte mit den Schultern. "Morde passieren, zumal in dieser Stadt."
Nachdenklich nickte die Hauptgefreite. "Also musste man Gomraus nur das Buch in die Hand drücken und hoffen, dass bald ein Mord 'ganz von alleine' geschieht - bevor der Verlust des Buches weithin bekannt wurde."
"Exakt." Sebulon holte ein Glas aus dem Schrank und füllte es mit Wasser aus einem Porzellankrug. "Eigentlich müsste man Leute wie Gomraus für die Wache gewinnen. Dann würden wir viel mehr Morde aufklären."
"Hast du nicht gesagt, dass er ein kranker Kerl", sie sah ihn nach Worten ringend an, "mit morbiden Interessen ist?"
"Auch wieder wahr." Er stellte ihr das Glas hin hin. "Da sind noch zwei ungeklärte Angelegenheiten", brummte er, ging zur Tür und schloss sie. Dann stapfte er zurück an den Schreibtisch. "Du hattest gefragt, weshalb ich unbedingt in diesem Fall aushelfen wollte."
Sie schluckte, dann nickte sie.
"Mir war langweilig." Er lächelte schief. "Mit Rekruten arbeiten ist nicht schlecht, aber es ist nicht meine Erfüllung. Ich brauchte einen
richtigen Fall. Und es bot sich an, den Jungs mehr zu liefern als eine Simulation, an der sie sich die Zähne abstoßen können. Die Hörner ausbeißen. Egal ..." Kurz hielt er inne, um seine Gedanken zu sortieren. "Und, obwohl wir nie viel miteinander zu tun hatten, habe ich großen Respekt für den Oberfeldwebel; dass er schuldig an einem Mord sein sollte, war mir einfach zu suspekt." Er senkte den Blick. "Auch wenn du mit meiner Art nicht klar kommst."
Sie schwieg. Sie hätte vieles sagen können, von 'ach was' über 'Sör' bis zu 'ich will dich nie wieder sehen', doch nichts davon schien wirklich angebracht.
"Da fällt mir ein: Er heißt Jaque du Nomdenom. Er kommt aus Klatsch, ist adelig, Linkshänder, ein junger Bursche. Von ihm waren die Blumen." Der Zwerg runzelte die Stirn und ging zur Wandseite des Raums, griff in die Nische, holte einen auf die passende Höhe hin abgesägten Besen hervor und begann den Boden freizukehren. "Ich habe ein paar Kontakte spielen lassen und könnte dir jetzt auch sagen, wo er wohnt." Strich um Strich leerte sich der Boden, während Olga vor sich auf das Wasserglas starrte. "Allerdings vermute ich, dass du es nicht hören willst; nicht so direkt jedenfalls. Also habe ich es dir aufgeschrieben." Er griff in seine Hosentasche, holte ein gefaltetes Stück Papier heraus und legte es vor sie auf den Tisch. Dann widmete er sich wieder dem Kehren.
Schließlich erlangte Olga ihre Fassung zurück, griff nach dem gefalteten Zettel und steckte ihn unbesehen in die Tasche. Sie stand auf, drehte sich zur Tür und sagte: "Nichts für ungut: Ich bin froh, dass nicht du mein heimlicher Verliebter bist, Sör." Dann verließ sie das Zimmer.
Sebulon seufzte, legte den Besen beiseite, griff an seinen Gürtel und zog den Kneifinsbein heraus. Erinnerungen kamen in ihm hoch, wie Braggasch ihm das Geschenk überreicht hatte; wie sie Rücken an Rücken gefesselt waren; wie einer dem anderen das Leben verdankt hatte. Er sah die geschlossene Tür an und flüsterte: "Viel Glück euch beiden"
* Zwei Tage zuvor ..."Na, Herr Gomraus, das wär's dann", sagte Luan Blutarm und blickte auf die Formulare. "Du bist wieder ein freier Mann."
"Komm raus, Herr Gomraus ..." Frech grinsend kam der Mittvierziger aus der Zelle und dehnte seine kaum genutzten Muskeln.
"Ich hoffe, wir sehen uns hier drinnen nicht wieder", sagte der Rekrut lächelnd und reichte ihm seine Habe - einen schwarzen Hut, einen dunkelblauen Mantel, eine leere Packung, die vor der Inhaftierung des Mannes mit Zigaretten noch fast gefüllt gewesen war, und einen kleinen Geldbeutel, der dem Klang nach einiges enthalten musste.
"Mhm", machte der Mann, deutete einen ironischen Diener an und klackerte der Treppe entgegen. "Ich will mein Glück in einer anderen Stadt versuchen. Quirm vielleicht. Dort sollen die Brücken hübsch sein."
Aus einer anderen Zelle streckte ein Achzigjähriger die Hand und quiekte: "Hey, ich bin auch Herr Gomraus! Bruno und ich sind die Gebrüder Gomraus! Ihr habt den Falschen erwischt!"
"Ja, Herr Wanne, ich weiß."
Seufzend massierte Luan seine Nasenwurzel. Dieser Gefangene namens Gomraus hatte nur Unsinn im Kopf. Dass er die Messingbrücke zu stehlen versuchte, war nur der Anfang. Man fasste ihn und lochte ihn ein. Vierundzwanzig Stunden lang hatte er nun schon Rekruten, die hier unten Dienst schoben, mit schlechten Witzen und uninteressanten Anekdoten gepeinigt. Und mit seinen Beobachtungen an Leuten, die gerade erst gestorben waren. Dieser Kerl konnte sich richtiggehend darüber ereifern. Luan hoffte inständig, dass sie nur erfunden und Gomraus' äußerst widerlichen Phantasie entsprungen waren. Gut, dass die Rekruten ihn endlich los waren. Es gab noch genug Chaoten, die in der Wache einen kurzen halbfreiwilligen Aufenthalt
[7] genossen, um die man sich zu kümmern hatte.
Er schloss die Zellentür wieder ab, machte einen Vermerk im Protokoll und stieg dann die Treppe hinauf. Er hatte sich den Feierabend mehr als verdient.
[1] Weshalb, das kann man in der Live Nr. 393 "Und was ist mit Tee?" nachlesen.
[2] Geschmiert war der korrekte Ausdruck. Worte waren wieder durchgestrichen und mit verbesserter Grammatik oder Rechtschreibung in die Zeilenzwischenräume gezwungen worden.
[3] Es war eine lange Diskussion zwischen dem Philosophen und seinem Diener gewesen, bis Sillybos schließlich aus rein freundschaftlicher Verbundenheit diesen materiellen Besitz akzeptierte. Insgeheim freute er sich ein wenig, dass er es jetzt nicht mehr besaß.
[4] Sie hatte es dann doch nicht getan. Frau Willichnicht hätte sie vermutlich den Rest des Tages in Beschlag genommen.
[5] Er vermutete, dass es am Namen lag:
Buh-Kee. Eigentlich kein Wunder, dass ein derart benanntes Ding jemanden erschrecken konnte. Aus dem selben Grund mied Sebulon auch
Buh-letten und
Buh-Theken. Er hatte in der letzten Zeit bereits genug Überraschungen erlebt
[6] Gegenseitig. Die Schmerzensschreie von Jürgen Maibaum waren durchaus über den Ankh-Morporker Lärmpegel hinweg eine halbe Meile weit zu hören.
[7] Luan ging davon aus, dass Menschen, die Verbrechen verübten, sich der Konsequenzen bewusst waren. Wenn sie also ungeschickt genug waren und sich fassen ließen, war der Kelleraufenthalt am Pseudopolisplatz die naheliegende Folge. Er konnte nicht verstehen, weshalb diese Leute trotzdem immer riefen, dass sie schuldlos seien und unverzüglich ihren Anwalt zu sprechen gedachten.
Zählt als Patch-Mission für den Püschologe-Patch.
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