Lantania saß schweigend grübelnd in der Kantine. Sie dachte darüber nach, warum sie ohne irgendeinen sichtbaren Grund schon den ganzen Tag in deprimierter Stimmung war. Vor ihr auf dem Tisch stand ein Teller Gulaschsuppe aber statt zu essen, stocherte Lanti nur geistesabwesend mit dem Löffel darin herum und starrte Löcher in den Tisch. (Selbiger fühlte sich unangenehm angestarrt und wünschte, er könnte noch wackeln. Wenn doch nur nicht die Untersetzer unter seinem etwas zu kurzen Bein lägen!)
Während die Rekrutin sich immer mehr in ihren Gedanken verlor, merkte sie nicht, dass ihr Ausbilder Sebulon ihr plötzlich gegenüber saß und fuhr heftig zusammen als er mit seiner sanften tiefen Stimme fragte: "Lantania, ist alles in Ordnung? Ich würde dich gern kurz was fragen."
Die Angesprochene atmete vor Schreck tief ein, hielt dann die Luft an, den Blick auf das Gesicht des Zwerges hebend und ließ die Luft langsam wieder herrausströmen: "Verzeihung. Wie bitte?"
Sebulon lächelte: "Entschuldige, es war nicht meine Absicht, dich zu erschrecken. Hast du dich schon entschieden, in welche Abteilung du nach deiner Beförderung willst?"
"Oh. Nein, Sör. Um ehrlich zu sein, habe ich mir darüber noch überhaupt keine Gedanken gemacht."
"Nun, das solltest du aber. Gib mir spätestens in einer Woche bescheid."
"Ja, Sör."
Er erhob sich: "Danke. Verträum' nicht den Unterricht nachher", sagte Samax' Sohn und ging.
Nach dem Unterricht, während dem Lantania es immerhin geschafft hatte, ihre Gedanken etwas zu verdrängen, wollte sie gerade den Raum verlassen, als ein Wächter mit Sprinttempo um die Ecke bog und sie gerade noch zur Seite wegspringen konnte um nicht umgerannt zu werden. "Sebulon!" sagte er außer Atem. "Hast du ein bis zwei Rekruten für mich, die mir bei meinem neuesten Fall helfen können? Entweder haben alle ihre eigenen Fälle oder Urlaub."
"Natürlich, Björn." antwortete Sebulon.
Und Lanti wusste, was jetzt kam, denn sie war die letzte Rekrutin im Raum. Gleich würde ihr Vorgesetzter sie zurückrufen. Und richtig: "Lantania, ich weiß, dass du nichts Sinnvolles zu tun hast. Hilf dem Obergefreiten Björnsson hier!"
"In Ordnung, Sör." Sie salutierte und wandte sich dann dem anderen Zwerg zu: "Wie kann ich helfen?"
"Komm erst mal mit in mein Büro. Danke, Sebulon."
Damit verließen die beiden den Raum.
Nachdem sie kurz im Büro des Obergefreiten seine Sachen geholt und Lantanias Schreibsachen und das Buch "Theorie zur Überwachung einer Großstadt" eben dort abgelegt hatten, verließen die beiden Wächter das Wachhaus am Pseudopolisplatz und liefen ohne Umweg zur Flachstraße 17, die unmittelbar am Hide Park lag. Die Luft roch nach Frühling und Ankh und auf einem nahestehenden Baum saß eine schwarz-braun-getigerte Katze und mauzte traurig vor sich hin.
[1]Da keine Klingel vorhanden war, klopfte Björn Björnsson an die Tür. Darauf hörten die Wächter ein ärgerliches "Und wehe, du versuchst, abzuhauen!", nach fünf polternden Schritten ging die Tür auf. Vor Björn und Lantania stand eine ziemlich große und sehr kräftige, aber nicht übergewichtig gebaute Frau, die den Eindruck machte, als hätte sie sich gerade aufgeregt.
"Sind Sie Wächter? Na endlich! Wie lange das dauert, bis hier mal jemand von Euch auftaucht wenn man Euch wirklich dringend braucht! Das ist doch wirklich nicht zu fassen! Sie stehen ja immer noch draußen, jetzt kommen Sie schon rein anstatt Knoten in der Tür zu bilden!" Ungeduldig winkte sie die Beiden von diesem recht unfreundlichen Wortschwall erschlagenen Gesetzeshüter ins Haus. Sie blieben jedoch gleich im ersten Raum, den sie betraten, wieder stehen.
Es schien eine Mischung aus Küche und Schlafzimmer zu sein. In der Ecke an einem Gitterbett mit Handschellen festgekettet entdeckte Lantania sofort einen sehr verzweifelt dreinblickenden Mann. Sie und Björn wechselten einen bestürzten und zugleich ungläubigen Blick. Der Mann war ein gutes Stück kleiner als die Frau, sah aber mindestens genauso kräftig aus und die Wächter wunderten sich ehrlich, warum er sich nicht gewehrt hatte, da sich im Allgemeinen kräftemäßig eher Männer gegen Frauen durchsetzen konnten als andersherum.
Es roch sehr stark nach Hund, jedoch war weit und breit kein solches Tier zu sehen, was sowohl Björn als auch Lantania gleichermaßen beunruhigte und beruhigte. Aber es roch auch nach Katze, was Björn egal war; Lantania jedoch freute und zugleich wunderte, da Hund und Katze eigentlich nicht die besten Freunde waren.
Bevor die Frau zu einem neuen Redeschwall Luft holte - und sie wirkte, als würde sie dies in den nächsten Sekunden tun - ergriff der Rechtsexperte lächelnd das Wort: "Vielen Dank für die freundliche Begrüßung! Ich bin Obergefreiter Björnsson und das ist Rekrutin vom Silberwald. Und Sie sind?"
"Ähm...Mehlwand. Sansita Mehlwand. Bitte nehmen Sie diesen ...", sie deutete auf den festgeketteten Mann, "... Schuft mit! Nur deshalb habe ich Sie gerufen. Ach so, und wo Sie schon mal hier sind, können Sie mir auch gleich meinen armen Inferi vom Baum da draußen holen. Dieser Kerl hat ihn zu Tode erschreckt! Jetzt kommt er da nie wieder freiwillig runter, solange sich dieser...dieser...dieser
Basdard noch auf freiem Fuß befindet! Und so einer ist auch noch mein Nachbar! Also bitte, entfernen Sie ihn jetzt sofort aus meinen Augen!"
Lantania fragte nach dieser langen Rede nur verduzt: "Inferi? Was macht denn die Unterwelt auf einem Baum?"
[2]"Unterwelt? Ach so! Nein, Inferi, so heißt mein lieber kleiner Kater. Der Name fasziniert mich einfach. Außerdem hoffte ich, dass er zur Abschreckung vor dem da am Bett hilft und ihn davon abhält, auch noch diesen meiner Kater und Katzen zu töten."
Nach dieser Information verkniffen sich beide Wächter mit größter Mühe ein Grinsen und nickten. Wie konnte man seiner Katze nur solch einen Namen geben! Und wenn es wirklich so war, dass der Mann dem Kater etwas Böses wollte, wäre dies der lebende Beweis dafür, dass die Hoffnung von Sansita Mehlwand umsonst war. Für Björn und Lantania war auch schon ohne eine Bestätigung klar, dass sie Sansitas Idee für absolut lächerlich hielten.
Dann sagte Lanti: "Also wenn wir Ihren Kater vom Baum retten sollen, befreien Sie bitte Ihren Nachbarn. Sie können doch nicht einfach unschuldige Menschen gegen ihren Willen festhalten!"
"Er ist nicht unschuldig!" keifte die Frau darauf.
"Hier ist noch überhaupt niemandes Schuld bewiesen, und solange das so ist, gilt er als Unschuldiger." entgegnete die Rekrutin trocken.
"Genau so ist es!" warf der Obergefreite ein, ehe die Auseinandersetzung der beiden Frauen noch weiter ausuferte. "Und nun begleiten Sie mich bitte beide auf die Wache, Frau Mehlwand und Herr...ähm...Nachbar. Ach, und Frau Mehlwand: Wenn Sie ihm nicht sofort die Handschellen abnehmen, bekommen Sie eine Anzeige wegen Widerstand gegen die wächterliche Gewalt. Lantania, du holst den Kater vom Baum und kommst dann nach. Du musst das Protokoll führen, also beeil dich!"
"Jawohl, Sör!" sagte Lanti, salutierte und verließ das Haus.
Sansita Mehlwand, von der drohenden Anzeige leicht eingeschüchtert, befreite missmutig ihren Nachbarn. Dann verließen auch Björn und die beiden Streitenden das Haus.
In diesem Moment war Lanti bei dem Baum mit dem Kater drauf angekommen und kletterte schnell und behände hinauf. Bei dem Tier, das mittlerweile das klägliche Mauzen eingestellt hatte, angekommen, nahm sie den Kater behutsam in den linken Arm, Inferi fing an zu schnurren, und kletterte den Baum geschickt wieder herunter. Nebenbei unterhielt sie sich mit Inferi:
Lanti: "Na du hübscher Kater? Ich hab selbst eine Katze und weiß genau, dass ihr eigentlich sehr wohl in der Lage seid von einem Baum wieder runter zu kommen. Also sag mir, warum du dich von mir retten lässt."
Inferi: "Ich wollte eigentlich erst nach den kommenden drei Nächten wieder runter kommen. Wollte mich vor Sansita in Sicherheit bringen, weil sie ein Werwolf ist und jetzt die Vollmondnächte kommen. Sie hat nämlich, ohne es zu merken, alle meine Vorgänger selbst umgebracht. Nachdem sie wieder in menschlicher Gestalt ist, weiß sie nicht mehr, was oder wen sie gefressen oder auch nur angegriffen hat."
Lanti: "Ach, so ist das! Deshalb der Hundegeruch im Haus obwohl keiner da ist und übrigens verstehe ich deine Angst sehr gut. Ich werde dich einfach in Sicherheitsverwahrung nehmen und nach den Vollmondnächten wieder nach Hause bringen. Jetzt nehm ich dich erstmal mit zur Wache. Aber lauf nicht weg!"
Inferi: "Nö, warum sollte ich? Wollte mich schon immer mal mit einem Menschen unterhalten."
Mittlerweile hatte Lantania das Wachhaus erreicht. Jedoch war ihr noch immer nicht eingefallen, wie sie die "Zeugenaussage" des Katers verwenden konnte, ohne ihre Fähigkeit zu verraten.
Björn war nur wenige Minuten vorher im Wachhaus am Pseudopolisplatz angekommen und hatte Sansita Mehlwand und ihren Nachbarn, dessen Namen Peter Störtnie er unterwegs endlich herausgefunden hatte, sofort in getrennte Verhörräume gebracht. Gerade wollte sich der Obergefreite einen Kaffee machen, da betrat Lantania mit dem Kater den Raum.
"Ihr seht aus, als wärt ihr ein Herz und eine Seele." meinte er lächelnd.
"Sind wir auch. Inferi ist echt lieb und dieser blödsinnige Name passt eher zu seiner Besitzerin als zu ihm." Die Rekrutin hatte eben beschlossen, Björn ihr Geheimnis anzuvertrauen, erstens in der Hoffnung, dass er ihr glauben würde und zweitens, dass er es nicht weiter erzählen würde.
"Wie meinst du das?" fragte der Zwerg.
Lanti wusste nicht recht, wie sie anfangen sollte, fragte dann aber: "Sör, würden Sie mir glauben, wenn ich ihnen sagte, dass ich mit Katzen reden kann?"
Zuerst sah Björn sie nur an und antwortete erst nach einigen Sekunden: "Ja, durchaus. Was hat Inferi dir denn erzählt?"
Lantania erzählte ihm ihr Gespräch mit dem Kater fast wörtlich, und bat den Obergefreiten danach, niemandem etwas von ihrer Fähigkeit zu sagen. Er nickte und meinte nur, er könnte es durchaus verstehen.
[3]Anschließend begaben sich die beiden Wächter in den ersten Verhörraum, um endlich mal ein paar Worte von Herrn Störtnie zu der Sache zu hören. Lantania schrieb das Protokoll.
Björnsson: "Warum hat Ihre Nachbarin Sie festgehalten?"
Störtnie: "Nun, sie ist der festen Überzeugung, ich hätte ihre Katzen auf dem Gewissen."
Björnsson: "Und, haben Sie das?"
Störtnie: "Natürlich nicht? Die sind mir völlig egal."
Björnsson: "Frau Mehlwand sagte ja vorhin, wie Sie sicherlich auch gehört haben, Sie hätten ihren Kater erschreckt. Was genau ist passiert?"
Störtnie: "Ich denke, sie sucht einen Verantwortlichen dafür, dass Haustiere anscheinend keine sehr lange Lebenserwartung bei meiner Nachbarin haben. Vorhin habe ich lediglich versucht, ihr zu helfen und wollte nur den Kater vom Baum holen. Der ist jedoch nur weiter nach oben geklettert. Da wurden mir die Äste zu dünn. Deshalb ist Sansita wohl der Meinung, Inferi hätte Angst vor mir, weil ich ihn erschreckt hätte, dabei war ich ganz ruhig! Ich wollte ihn bestimmt nicht umbringen und habe auch mit dem Tod der anderen Katzen nichts zu tun."
Björnsson: "In Ordnung. Ich glaube Ihnen. Was ist danach passiert? Hat Frau Mehlwand sie sofort in ihr Haus gebracht und Sie ans Bett gefesselt?"
Störtnie: "Ja."
Björnsson: "Ich frage mich nur eines: Warum haben Sie sich nicht gewehrt?"
Störtnie: "Das habe ich durchaus versucht - aber diese Frau hat unglaubliche Kräfte! Keine Ahnung, warum. Ich kam einfach nicht dagegen an. Womöglich hätte sie mir alle Knochen gebrochen, wenn ich noch mehr Widerstand gewagt hätte."
Björnsson: "Eine letzte Frage noch: Gab es irgendwelche Zeugen, die den Streit mit Frau Mehlwand beobachtet haben?"
Störtnie: "Soweit ich das mitbekommen habe nicht, nein."
Als nächstes stand das Verhör von Sansita Mehlwand an.
Björnsson: "Frau Mehlwand, bitte sagen Sie, was genau ist passiert, bevor und weshalb Sie uns Wächter gerufen haben."
Mehlwand: "Ich stand unter dem Baum, auf den Inferi geklettert war und rief ihm zu, er solle doch runterkommen. Ich hatte ihm gerade sein Mittagessen zubereitet. Wir essen nämlich immer zusammen, wissen Sie? Naja, dann jedenfalls kam Peter an, kletterte wie ein Wilder auf den Baum und schrie dabei, Inferi würde den gleichen Tod finden, wie alle meine Katzen. Inferi ist natürlich total verschreckt immer weiter nach oben geklettert, bis Peter nicht mehr hinterher kam. Als er wieder unten war, hab ich ihn sofort dingfest gemacht, denn das ist doch wohl der beste Beweis, dass er für das Ableben meiner geliebten Katzen verantwortlich ist!"
Björnsson: "Liebe Frau Mehlwand, das wäre durchaus
der Beweis, wenn wir nicht einen Zeugen hätten, der die Version der Geschichte Ihres Nachbaren bestätigen kann, in der sich alles ganz anders und ... fast völlig harmlos zugetragen hat. Der Zeuge möchte jedoch anonym bleiben. Er verriet uns - und zeigte uns die Liste, in der alle Werwölfe der Stadt aufgeführt sind, soweit deren Identität bekannt ist - dass sie einer dieser Werwölfe sind."
Mehlwand: "Das hat Ihnen doch Peter verraten, dieses Plappermaul!"
Björnsson: "Oh nein. Ihr Nachbar hat davon keine Ahnung. Er hat sich lediglich über Ihre gewaltigen Kräfte gewundert."
Mehlwand: "Schön und gut, ich bin ein Werwolf. Aber das hat überhaupt nichts mit dem zu tun, weshalb wir hier sind! Ich bleibe bei meiner Aussage, dass mein Nachbar, Peter Störtnie, meine Katzen umgebracht hat!"
Damit stand es offiziell Aussage gegen Aussage, was den Mord an den Katzen betraf. Schließlich konnte Inferi nicht wirklich als Zeuge auftreten. Trotzdem kam es zu einem Urteil:
1. Die Anklage gegen Peter Störtnie wurde, offiziell aus Mangel an Beweisen, aber inoffiziell, da die Wächter die Wahrheit kannten, fallen gelassen und Peter Störtnie wurde frei gesprochen.
2. Peter erhob Anklage gegen Sansita Mehlwand wegen Freiheitsberaubung und bekam Recht, da Sansita dies selbst zugegeben hatte. Sie bekam eine Geldstrafe von 2.000 AM$.
Mittlerweile war es spät am Abend als Björn und Lantania endlich ihren Bericht beendet hatten.
Lantania saß hinter dem Wachetresen und wartete darauf, dass irgendjemand in den Raum stürzte um ein Verbrechen zu melden. Der Einzige, der kam, war Björn, was natürlich wesentlich entspannter war als ein neuer Fall.
"Lantania, du bist ja noch hier. Danke für deine Hilfe heute."
"Kein Problem Sör, das ist doch mein Job." erwiederte sie.
"Natürlich. Trotzdem. Hast du schon mal daran gedacht, SEALS-V.E.K.T.O.R. zu werden? Könnte mir vorstellen, dass das zu dir passt."
Lanti lächelte: "Nein, aber ich werde auf jeden Fall darüber nachdenken. Danke, Sör. Ach, bevor ich es vergesse, kann ich Sie noch was fragen?"
"Nur zu."
"Gibt es diese Liste der Werwölfe und das Gesetz zum Widerstand gegen die wächterliche Gewalt wirklich?"
"Nein. Ich wollte damit lediglich erreichen, dass diese Frau ihre Zunge etwas im Zaum hält und das hat ja auch wunderbar funktioniert."
[1] "Ich komm nicht mehr runter!"
[2] inferi = lat. Unterwelt
[3] Schließlich konnte er selbst mit Hunden sprechen, auch wenn er, im Gegensatz zu Lantania bei Katzen, ihre Antworten nicht verstand.
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