Auge um Auge, Milz um Milz

Bisher hat keiner bewertet.

von Korporal Lilli Baum (RUM)
Online seit 01. 05. 2010
PDF-Version

 Außerdem kommen vor: Sebulon, Sohn des SamaxCharlie HolmOphelia ZiegenbergerRomulus von GrauhaarBjorn BjornsonKolumbiniValdimier van VarwaldPyronekdan

Die Bürger gründen eine Miliz und mischen sich in die Angelegenheiten der Wache ein. Kein Fall scheint mehr lösbar...

Dafür vergebene Note: 11

Es war ein schöner Tag. Die Sonne schien und ein mildes Lüftchen wehte durch das Fenster hinein, so dass der Raum überaus angenehm klimatisiert war. Draußen konnte man einige Vögel zwitschern hören, drinnen ein fröhliches Pfeifen.
Er fühlte sich nach getaner Arbeit immer so heiter und entspannt. Lächelnd füllte er eine Schale mit etwas Wasser, das er in einem Krug fand und tröpfelte einige Tropfen Seifenlösung hinein. Ein echtes Igorprodukt. Er krempelte seine Ärmel hoch, plätscherte dann mit einer Hand im Wasser, um ein wenig Schaum zu erzeugen, und tauchte einen Lappen in die Lauge. Anschließend machte er sich daran, das Blut wieder weg zu wischen, das bei der Aktion auf den Boden getropft war.
Ein leises Stöhnen unterbrach ihn in seiner Tätigkeit. Wurde der Kerl etwa schon wieder wach? So was Unhöfliches aber auch! Er warf den Lappen in die Schüssel, deren Flüssigkeit schon einen roten Farbton angenommen hatte, und holte eine Spritze aus seiner Tasche, die er mit etwas Betäubungsmittel aufzog und es seinem Patienten injizierte. Der zuckte kurz und bewegte sich dann nicht mehr.
Der Igor warf noch einen Blick auf die frische Operationsnarbe und wandte sich dann wieder seiner Waschschale zu. Sorgfältig reinigte er jedes seiner Instrumente und packte dann wieder alles in seine Tasche ein. Er entleerte die Wasserschüssel in einen Blumentopf und betrachtete dann lächelnd das Gefäß, in dem die beiden Ohrmuscheln lagen. Was für hübsche Exemplare!
Er nahm seine Sachen an sich, ging zur Tür, hielt kurz inne, um dem Bewusstlosen kurz zum Abschied zu winken, und verließ dann das Gebäude. Es würde nicht lange dauern, bis es hier vor Schnüfflern wimmeln würde.

"Nicht schon wieder", murmelte der Ermittler. Eine Gruppe von Leuten blockierte Romulus den Weg zum Tatort, und mit nur wenig Erfolg versuchte er, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. "Hey, was treibt ihr hier?"
"Wir sind die Miliz von Ankh-Morpork!", verkündete ein sommersprossiger Jüngling, dessen improvisierter Helm ihm über die Augen rutschte. Geistesabwesend schob er den Topf wieder in Position und meinte strahlend: "Wir haben bereits den Tatort untersucht, ihr Wächter müsst euch überhaupt keine Sorgen machen!" Fröhlich wedelte er dabei mit seiner Hellebarde herum und traf beinahe seinen Kumpanen, der neben ihm Wache stand. Der quittierte das nur mit einem resignierten Grunzen, als wäre er das schon gewohnt.
Romulus marschierte kommentarlos an den beiden vorbei zum Haus, aus dem ihm Charlie Holm entgegenkam. Der Tatortwächter gestikulierte so wild mit seiner Pfeife, dass der Tabak durch die Gegend flog. "Mir reicht's!", fauchte er. "Ich kündige! Unter diesen Bedingungen kann ich einfach nicht arbeiten!"
"Beruhige dich!", entgegnete Romulus und hob beschwichtigend die Hände.
"Ich will aber nicht!", maulte Charlie.
Beim Feldwebel schrillten sämtliche Alarmglocken. Wenn der Tatortwächter sogar schon kindisch wurde, dann war er wirklich verdammt verärgert. Plötzlich erschien auch die Drohung mit der Kündigung nicht mehr so leer wie vor einem Moment.
"Aber wir brauchen dich!", versuchte Romulus den aufgebrachten Kollegen zu beruhigen. "Wie sollen wir jemals ohne SUSIs besten Spurensicherer auskommen?"
"Pah", entgegnete Charlie. "Selbst ein Genie wie ich ist mit seinem Latitianisch am Ende, wenn sich eine wild gewordene Herde Nashörner über den Tatort hergemacht hat!"
Er zog einen Beutel aus der Tasche und wedelte damit vor Romulus' Nase herum. "Siehst du das? Das nennen die einen Beweis! Ein Centstück! Ein ordinäres Centstück! Erstens taugt das als Indiz überhaupt nichts, und zweitens haben sie haben es auch noch alle angetatscht, mit ihren dreckigen... dreckigen... Rhinozeroshänden!"
Romulus entschied sich dagegen, seinen Kollegen auf seinen zoologischen Irrtum aufmerksam zu machen. Das hätte in dieser Situation nur zu einem neuen Wutausbruch geführt.
"Den ganzen Tatort haben sie auf den Kopf gestellt! Wenn es auch nur die Spur einer Spur gab, dann ist sie nun weg! Wie soll ich so arbeiten?"
Der Ermittler seufzte nur und stützte sich an einer Wand ab.
"Charlie", versuchte er es wieder, und suchte nach den richten Worten.
Der Tatortwächter verschränkte die Arme: "Oh nein, diesmal nicht! Ein paar Mal hast du es geschafft, mich bei meinem Gewissen zu packen, aber jetzt reicht es mir wirklich! Das ist schon der achtzehnte, der achtzehnte Tatort, an dem diese Miliz gewütet hat! Entweder sorgt ihr dafür, dass diese Typen nicht überall herumpfuschen, oder ihr könnt mich auch abschreiben. Und wenn du hundertmal Spurensicherer anstatt Tatortwächter sagst, so leicht kannst du dich nicht bei mir einschmeicheln."
"Was soll ich denn deiner Meinung nach unternehmen?"
"Was weiß denn ich? Nehmt sie fest, oder so. Hauptsache, SUSI kann wieder arbeiten."
"Du weißt ganz genau, dass das nicht in meiner Hand liegt, Charlie. Bregs hat schon die ganze Abteilung FROG abkommandiert, damit sie uns die Leute vom Hals halten, aber es sind einfach viel zu viele! Und der Patrizier ist auch keine große Hilfe. 'Es wird sich von alleine regeln', dass ich nicht lache!"
"Und - ist das etwa meine Schuld? Lass mich mal Klartext reden, Romulus. Wir wissen doch eigentlich ganz genau, wer uns diesen ganzen Mist eingebrockt hat: Deine Abteilung! Wenn ihr nicht so unfähig sein würdet, endlich diese Sache mit den gestohlenen Körperteilen aufzuklären, dann hätten diese Volltröten nie einen Grund gehabt, sich zusammen zu rotten. Nur, wenn diese Sache endlich aufgeklärt wird, werden die wieder Ruhe geben! Die Leute haben Angst. Und weißt du was? Mir geht es genauso, ich finde die Vorstellung, eines Tages aufzuwachen und dann festzustellen, dass ich keine Hände mehr habe, auch nicht gerade einladend."
"Du willst allen Ernstes RUM die Schuld geben?!"
"Nein, Romulus, ich will sie dem Abteilungsleiter von RUM geben. Ich war bei jeder einzelnen Spurensicherung dabei, als die Sache angefangen hat, und wir haben eine Tonne Anhaltspunkte gefunden. Ich kann mich noch daran erinnern, wie du letzte Woche noch herumgetönt hast, dass ihr kurz vor einem Durchbruch seid. Was ist daraus geworden? Arbeitet ihr überhaupt noch an der Sache?!"
"Ich kann doch auch nichts dafür, dass wir keine neuen Informationen mehr finden! Ist dir auch aufgefallen, dass die uns bei jedem einzelnen Tatort in der letzten Zeit zuvor gekommen sind? Als ob der Täter der Miliz Bescheid geben würde, wo das nächste Opfer wartet!"
"Na dann ermittle doch mal in der Richtung."
"Glaubst du wirklich allen Ernstes, dass wir das nicht schon lange tun?"

Die Luft war stickig und von einem gewissen Dunst erfüllt. Es stank nach Schweiß, kaltem Rauch und Alkohol. Der Wächter, den es hierher verschlagen hatte, fühlte sich alles andere als wohl, und es kam ihm so vor, als würde ihn die halbe Kneipenkundschaft mit ihren Blicken durchbohren.
Unsicher trat er an den Tresen, wartete einen Moment lang ab, bis der Wirt ihn ansah und sagte dann: "Ich... ich hätte gerne ein Bier!"
"Soo? Willst du das?" Der tiefe Bariton klang unheilsschwanger.
Pyronekdan schien um einige Millimeter zu schrumpfen. "Ja... will ich... gibt es etwa ein Problem?"
"Ja", erwiderte der Wirt und starrte Pyronekdan in die Augen. "Und ob es das gibt. Wir haben siebzehn verschiedene Sorten Bier. Schließlich ist das hier eine Taverne mit Klasse."
Aus dem Hintergrund konnte man ein paar zustimmende Grunzer vernehmen.
"Ähm... haben Sie dunkles Weizen?", fragte der Zauberer nervös.
"Klar", entgegnete der Wirt, und griff sich ein Glas und eine Flasche. Mit den Zähnen öffnete er das Bier, spuckte den Kronkorken in einen Eimer und schenkte das Getränk in einer fließenden Bewegung ein. Dann stellt er das Glas vor dem Zauberer ab, der das Schauspiel fasziniert betrachtet hatte. Das Bier war so klar, dass man hindurch sehen konnte.
Er griff nach dem Glas und leerte es in einem einzigen langen Zug. Dann stellte er es ab, wischte sich über den Mund und lächelte zufrieden. Er fühlte sich nun schon viel weniger nervös. Das Bier erinnerte ihn an die Unsichtbare Universität.
"Noch eins!", verlangte er mit deutlich gestärktem Selbstvertrauen und der Wirt kam seiner Aufforderung gerne nach.
Der Zauberer ließ seinen Blick über den Kneipenraum schweifen und setzte sich schließlich an einen noch unbesetzten Ecktisch. Dann ging er Dutzende von Variationen durch, was als nächstes geschehen würde.
Jemand setzte sich neben ihn und prostete ihm mit seinem Glas zu: "Zum Wohl!"
Pyronekdan schreckte aus seinem Gedankengang hoch und trank eilig einen großen Schluck, um seine Tarnung aufrecht zu halten. Der Typ vor ihm hatte fettiges Haar und einen glasigen Blick, keine zwei gleichen Knöpfe am Hemd, zum Ausgleich aber einen faulig riechenden Atem. Nicht gerade die Sorte Mensch, die dem Zauberer sympathisch war.
"Solche Leute wie dich sieht man nicht oft hier", meinte der Mann. Prompt verschluckte sich der Wächter und erlitt einen heftigen Hustenanfall. Verdammt! War er wirklich so leicht zu durchschauen? Er zählte innerlich bis 7a und fragte dann in einem möglichst unverfänglichen Tonfall: "Leute wie mich? Wie kommst du darauf, dass ich kein normaler Gast bin?"
"Also, das ist doch offensichtlich."
'Mist', dachte Pyronekdan. 'Mist, Mist, Mist.'
"Wer, außer einem Zauberer, trägt schon einen Hut mit Monden und Sternen?"
Innerlich atmete der Wächter auf. Anscheinend konnte man ihm doch nicht sofort ansehen, dass er für die Stadtwache arbeitete.
"Das stimmt", erwiderte der Kontakter und lächelte erleichtert. "Aber auch als Magus der Extraklasse will man ab und zu mal an die frische Luft. Ich bin ja kein Student oder so..." Er hielt sich eine Hand halb vor den Mund und fügte in einem verschwörerischen Tonfall hinzu: "Aber der Erzkanzler muss ja trotzdem nichts davon erfahren."
Der Kerl lachte auf und schlug dem Wächter in einer kameradschaftlichen Geste so kräftig auf den Rücken, dass ihm einen Moment lang die Luft weg blieb. "Du gefällst mir, Magier. So einen wie dich könnten wir in der Miliz brauchen."
Pyronekdan bemühte sich, möglichst beiläufig zu antworten. "Miliz? Joa, von der habe ich schon das eine oder andere gehört..." Er trank schnell einen weiteren Schluck Bier, um sich nicht versehentlich zu verplappern.
"Die ist toll! Endlich sind wir nicht mehr auf diese dämliche Wache angewiesen, sondern können die Dinge selbst in die Hand nehmen. Seien wir doch ehrlich, im Grunde sind doch diese Wächter nur dahergelaufene Taugenichtse, denen man einen Helm auf den Kopf gesetzt hat und die sich nun für die allergrößten Kriminologen und Weltretter halten."
"Stimmt", pflichtete ihm der Zauberer bei. Da hatte der Mann nicht einmal ganz Unrecht.
Sein Gegenüber sah ihn abschätzend an. "Und, kannst du dir vorstellen, der Miliz beizutreten?"
"Warum eigentlich nicht? Erzähl mir doch mehr darüber!", entgegnete Pyronekdan. Er fischte ein Taschentuch aus seiner Tasche und tupfte sich damit einige Schweißperlen von der Stirn. Der Anfang wäre geschafft. Aber warum musste eigentlich ausgerechnet er sich in diese dämliche Miliz einschleusen?

Sebulon brütete angestrengt über einem Haufen mit Unterlagen, die sich auf seinem Schreibtisch angehäuft hatten. Vergeblich hatte er versucht, Ordnung in das Chaos zu bringen und eine ganze Pinnwand mit Notizen bepflastert, was zur Folge hatte, dass die Aufhängung unter der Last nachgegeben hatte und der Boden des Ausbilderbüros komplett mit Papier bedeckt war.
Natürlich hätte er ein paar Rekruten zum Sortieren einteilen können - den Umgang mit wichtigen Dokumenten konnten die nicht früh genug erlernen - aber dieser eine Fall, den er nebenbei für RUM bearbeitete, der war doch etwas zu heftig für seine Auszubildenden.
Von wegen nebenbei - fast seine ganze Zeit ging für diesen Mist drauf! Welches Hirngespinst hatte ihn nur geritten, Romulus anzubieten, während seiner Abordnung als Ausbilder weiterhin als Püschologe bei seiner Stammabteilung auszuhelfen? Er erinnerte sich vage an einen blauen Affen und schüttelte dann den Kopf um den wirren Gedanken zu vertreiben. Dann starrte er auf das Blatt vor sich, auf dem alles stand, was er bisher aus den Fallakten und den SUSI-Berichten hatte ableiten können.
Er sah eine große, weiße und vor allem leere Fläche. Nichts! Bisher hatte er nichts relevantes herausfinden können! Seit einer Woche verging kein Tag, an dem die Zeitungen nicht mit neuen blutrünstigen Details und Spekulationen über den 'Metzger von Morpork", wie er genannt wurde, aufmachten, aber die Wache hatte noch gar nichts. Gut, der Täter ging immer gleich vor, erst betäubte er das Opfer und dann nahm er sich ein, zwei Gliedmaßen oder Organe, aber ansonsten konnte er kein festes Schema erkennen, weder in den Tatorten, noch in der Auswahl der Opfer oder der entnommenen Teile. Das einzige nennenswerte war die Tatsache, dass es sich wohl um einen Igor handeln musste. Erstens waren alle Opfer am Leben geblieben, und kein normaler Mensch konnte dermaßen gut operieren, und zweitens war der Tatort hinterher stets makellos sauber und aufgeräumt gewesen. Aber um auf die Idee zu kommen, brauchte man keinen Püschologen, da reichte ein bisschen gesunder Menschenverstand. Nein, sie hatten nichts - keine Spuren, keine Zeugen, keine Hinweise. Keines der Opfer konnte sich an irgend etwas erinnern.
Das rosa Kaninchen, das neben ihm in der Luft schwebte, grinste ihn höhnisch an. Wie nebenbei zog Sebulon einen Briefbeschwerer unter dem Dokumentenberg hervor und schleuderte ihn in Richtung Hirngespinst, das sich daraufhin in Luft auflöste.
Unter seinem Tisch heulte Jado kurz auf, und er kraulte seinen Hund beruhigend hinter den Ohren.
Vielleicht sollte er doch ein paar Rekruten an die Sache heran lassen? Die waren noch frisch und unverbraucht, die ließen sich von einen unlösbaren Fall bestimmt nicht so schnell einschüchtern. Dann schüttelte er erneut den Kopf und verwarf den Gedanken wieder. Wahrscheinlich würden sie so reagieren wie die halbe Belegschaft von SUSI, die frustriert in den Streik getreten war, weil ihr an jedem Tatort diese dämliche Miliz herumpfuschte.
Konnten sie die Sache nicht einfach auf sich beruhen lassen? Nun gut, es lief ein organraubender Igor durch Ankh-Morpork, aber wenn sie einfach etwas abwarten würden, dann ließe sich das doch irgendwann wie von selbst lösen. Die Wache würde sich einfach lang genug zurückhalten, bis der Igor sich in Sicherheit wiegen würde und unvorsichtig wurde, und dann, wenn er nicht mehr damit rechnete, die Ermittlungen wieder aufnehmen. Oder sie konnten die Arbeit wirklich der Miliz überlassen und die Rolle von unbeteiligten Zuschauern übernehmen. Die paar Opfer, die noch anfallen würden... selbst schuld, wenn man sich keinen Wachhund zulegte!
Jado schaute zu dem Zwerg auf und Sebulon verspürte ein hartnäckiges Schuldgefühl. So leicht war es leider nicht. Warum konnte der blöde Kerl nicht einfach Zeug klauen, an dem die Leute nicht so furchtbar hingen? Wertsachen und so? Wobei ein richtiger Zwerg ja eher seinen linken Arm als seine Brieftasche hergeben würde.
Moment mal! Hastig fischte der Zwerg einige Mappen aus seinem Aktenberg und überflog sie. Er brauchte nicht lange, um zu finden, was er suchte: Die Akte von Steini Goldstein, einem stadtbekannten Zwerg, dem der Metzger alle Zähne gezogen hatte. Steini genoss einen zweifelhaften Ruf als Halsabschneider und Kredithai. Und zufällig hatte Sebulon mal bei einem nächtlichen Kneipenbesuch mitbekommen, dass Steini jede Münze, die ihm zwischen die Finger kam, prüfte - indem er sie in den Mund nahm und auf sie biss. Wahllos packte der Zwerg eine andere Akte und hoffte, dass sich seine Vermutung bestätigen würde. Manny Regenschirm, ein verarmter Gemüsehändler, der sich nie etwas zu Schulde kommen hatte lassen, außer übermäßigen Alkoholkonsum. Ihm war eine Niere entnommen worden. Sebulon konnte sich sehr gut vorstellen wie die Niere eines Mannes aussah, der jeden Tag literweise Bier in sich hineinkippte. Die Leber war hinüber, aber die Nieren wären in einem fantastischen Zustand.
Wieso war ihm das nicht schon eher aufgefallen? Anscheinend ging der Täter doch nicht völlig wahllos vor! Er pickte sich die besten Teile raus! Das musste er sofort überprüfen.
Sebulons Ehrgeiz war geweckt. Er setzte sich gleich auf die Schulter des Zwerges und feuerte ihn in feinster Hirngespinstmanier an.

Pyronekdan befand sich wieder in einer Kneipe. Das war nicht überraschend, da er ja auf der Suche nach der Miliz war, und der Dozent für arkane Volkswissenschaften hätte wohl darauf hingewiesen, dass solche Einrichtungen eine quasi-magische Anziehungskraft auf gewisse Bevölkerungsschichten ausübten[1]. Die Bar war überraschend hell, holzgetäfelt und roch nach Fichte. Köpfe von erjagten Tieren - Elche, Hirsche, Nilpferde und ein lila Tentakel - hingen an der Wand. Darunter stand auf goldlichen Plaketten von wem, wo und wann das Tier erlegt worden war. Das Wieso stand leider nicht dabei.
Irgendwie fühlte er sich nicht wohl in seiner Haut, und das lag nicht nur daran, dass er ein kleines bisschen angetrunken war.
Sein Führer, der ihn aus der vorigen Kneipe hierher mitgenommen hatte, schlängelte sich mit ihm im Schlepptau durch die Menschenmassen zur anderen Seite der Schankstube. Pyronekdan nahm seinen Hut vom Kopf und wedelte sich etwas Luft zu. Waren verdeckte Ermittlungen immer so schweißtreibend? Mit einem Male war er heilfroh, nur ein Kontakter zu sein, da konnte er das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Mit anderen Worten: Er konnte sich in der Unsichtbaren Universität den Bauch mit üppigen Mahlzeiten vollschlagen und wurde von der Wache dafür auch noch bezahlt.
Sein Führer klopfte an eine unauffällige Tür, die mit "Privat" beschriftet war, und schob den Zauberer dann hinein. Die Tür knallte hinter ihm zu. und schnitt den Trubel und den Lärm aus dem Hauptraum komplett ab. In dem Raum saß auf einem plüschig aussehenden Sessel - auch dieser hatte eine goldliche Plakette - ein Mann. Nach dem, was sein Führer ihm gesagt hatte, musste es sich um den Anführer der Miliz handeln.
Unbewusst ballte der Zauberer seine Fäuste. Jetzt kam es drauf an! Jetzt konnte er beweisen, dass er ein genialer verdeckter Ermittler war! Jetzt könnte er... ähm... die Scheibenwelt retten? Oder die Stadt? Warum, bei den Kerkerdimensionen, musste er sich eigentlich bei der Miliz einschleichen? Und warum konnte das nicht ein Wächter machen, der Ahnung von dem hatte, was er tat?
"Oh, hallo!", begrüßte ihn der Mann, und sah von einem Stapel Papiere auf, der vor ihm auf einem Tisch lag. "Ich bekomme selten Besuch von Zauberern." Er stand auf und streckte dem Wächter eine Hand entgegen. "Mein Name ist Edgar."
Die Stimme klang wie Honig in Pyronekdans Ohren, und der Zauberer fühlte sich wie petrifiziert. Von diesem Mann ging mehr Charisma aus als thaumische Strahlung von einem Stein der Weisen.
Schlagartig war der Wächter stocknüchtern und hochkonzentriert. Niemand konnte so dermaßen unverschämt anziehend sein. Der Kerl musste doch irgendwie nachgeholfen haben! Der Zauberer kniff die Augen zusammen, damit ihm auch nicht das allerkleinste oktarine Schimmer entgehen konnte - aber da war nichts.
"Setzen Sie sich doch!", forderte Edgar ihn sesseldeutend auf. Pyronekdan setzte sich in den überraschend bequemen Sessel und schaute dann den Milizführer mit einem abschätzenden Blick an. Dieser schenkte ihm so entwaffnendes Lächeln, dass der Dolch, den er in einer unauffälligen Scheide an der Seite trug, beinahe zu Boden gefallen wäre. "Was treibt denn einen Zauberer in unser Hauptquartier?"
"Nun", begann Pyronekdan, suchte kurz nach ein paar passenden Worten und antwortete dann: "Ich halte die Miliz für die beste Einrichtung in Ankh-Morpork seit der Erfindung des zweiten Frühstücks und will deshalb schon seit Tagen beitreten! Oh, das ist ja alles so aufregend!"
"Das ehrt uns aber, dass Sie so eine hohe Meinung von uns haben, Herr Zauberer. Darf ich fragen,wie Sie heißen?"
"Pyro-" begann er, wurde sich seines Fehlers bewusst und versuchte zu retten, was zu retten war: "-man... us. Genau. Meister Pyromanus."
Edgar lächelte. "Nun, es freut mich sehr, dass Sie sich für die Miliz interessieren, Meister Pyromanus. Ein Zauberer würde unserer Gruppe natürlich gleich viel mehr... Respektabilität verleihen. Wenn ein Magier dabei ist, wissen die Leute, dass die Sache wichtig sein muss."
"Nun, das sollte man meinen", erwiderte Pyronekdan. "Unter uns gesagt finde ich, dass man als Zauberer oft noch zu wenig respektiert wird. Ich bekomme nicht mal mehr Sold als meine Kollegen!"
"Sold?"
"Ähm... ja... ich... ähm... gebe Nachhilfe. In Mathematik und so. Sie wissen schon, der ganze wissenschaftliche Hokuspokus. Nichts, wo man jetzt viele Fragen darüber stellen muss, weil es nämlich total unwichtig und ohne Belang ist."
"Natürlich", nickte Edgar und Pyronekdan atmete innerlich auf. Er musste besser aufpassen, sonst kam man ihm noch auf die Schliche.
"Als Magus der Extraklasse hat man es wahrlich nicht leicht", sagte er, um das Thema zu wechseln. "Ständig sind da diese Studenten, die etwas von einem wollen, selbst wenn man gar kein Dozent ist, und kaum jemand weiß die ganze Arbeit, die man tut, wirklich zu würdigen. In der Miliz wäre das sicher anders. Ich könnte so viele nützliche Fähigkeiten einbringen: Nicht nur mein reichhaltiges Wissen an Zaubersprüchen, sondern ich kann auch mit einem Blick erkennen, ob bei einem Verbrechen Magie im Spiel war. Sie wissen ja sicher, dass wir Zauberer die Farbe der Magie sehen können. Zum Beispiel..." Der Zauberer nestelte kurz in seiner Tasche und holte eine kleine Schatulle heraus, die er öffnete und einen Anhänger entnahm. "Dieses Schutz-Oktagramm mag auf Sie ganz normal wirken, aber für mich leuchtet es in einem blendend hellen Oktarin."
"Ach wirklich?", fragte Edgar und beugte sich näher zu Pyronekdan hin, das Kinn auf eine Hand gestützt. "Das klingt wirklich äußerst nützlich. Erzählen Sie mir mehr."

Valdimier von Varwald runzelte die Stirn. "Ich finde es ja nett, dass Romulus uns einen seiner Leute überlässt, um uns zu unterstützen, aber wieso ausgerechnet dich?"
Lilli zuckte mit den Schultern.
Der Abteilungsleiter warf nur noch einen zweifelnden Blick auf die Nachricht, die ihn sein Kollege von und mit der verdeckten Ermittlerin hatte bringen lassen. Dann lehnte er sich zurück, verschränkte die Arme hinter den Kopf und starrte an die Decke.
Was sollte er denn mit einer verdeckten Ermittlerin? Deren Tätigkeitsbereich war doch so ziemlich das Gegenteil von dem, was sie bei FROG taten. Nun gut, beide agierten sie nicht weithin sichtbar, aber der Unterschied war trotzdem bestechend. Sie bei FROG schlichen sich als eingespieltes Team an ihre Ziele heran. Verdeckte Ermittler hingegen verkleideten sich und marschierten dann vollkommen ungedeckt in die Höhle des Löwen. Das grenzte doch fast schon an Wahnsinn. Zugegeben, die wurden, wenn alles gut ging, von den Subjekten nicht als gefährlich wahrgenommen, schon weil sie kein schweres Kaliber bei sich trugen. Aber auch das konnte er wiederum nicht nachvollziehen. Er würde nie ohne seine Pistolenarmbrüste auf einen Einsatz gehen.
Er musterte Korporal Baum missmutig, worauf diese mit einem nervösen Grinsen reagierte. 'Großartig', dachte er sich: 'Ganz großartig...'
Er lehnte sich wieder in seinem Stuhl zurück, griff nach einer Schreibtischschublade, zog sie auf und entnahm eine Dose von 'Fledermaus' Beste - jetzt mit verbesserter Anti-Gerinnungs-Formel'.
Schließlich fällte er eine Entscheidung: "Nun, da du schon einmal hier bist, kannst du auch helfen. Du weißt ja, dass wir derzeit eigentlich nur noch damit beschäftigt, die Miliz im Auge zu behalten, in der Hoffnung, dass sie uns auf die Spur des Metzgers führt. Ich nehme dich zu meiner nächsten Schicht mit, dann kannst du dir selbst ein Bild machen, was Sache ist. Deck dich am besten gleich mal unten im Arsenal mit einer vernünftigen Ausrüstung ein."
Lilli salutierte und verließ den Raum. Valdimier seufzte und schaute hinterher. Dass Romulus ein bisschen daran zweifelte, dass die FROGs alles taten, was in ihrer Macht stand, konnte er ja verstehen, aber dass er schon eine seiner Leute dazu benutzte, ihn quasi auszuspionieren, war nicht in Ordnung.

Seppl schob seinen Kochtopfhelm zurecht und schaute zu seinem Partner, der etwas genervt wirkte. Eigentlich handelte es sich ja um seinen Nachbarn, den alten Fritz, aber bei der Miliz waren solcherlei Details unwichtig.
"Ich finde wir haben fantastische Arbeit geleistet", behauptete der Jüngling und schwang fröhlich seine Hellebarde hin und her, die sich bei genauerer Betrachtung als entstellter Besen entpuppte.
"So, haben wir das?", fragte Fritz und kratzte sich. "Ich hatte bisher den Eindruck, dass wir eigentlich nur die ganze Zeit herumstanden und gar nichts getan haben."
"Das war wichtiger Wachdienst!", behauptete Seppl im Brustton der Überzeugung. "Unsere Kollegen können doch gar nicht richtig arbeiten, wenn wir nicht das gemeine Volk von den Tatorten abhalten."
"Ich habe das Gefühl, dass wir vor allem die Wache abhalten."
"Die Wache, pah! Was hat die denn bisher schon geleistet? Seitdem wir die Sache in die Hand genommen haben, geht es der Stadt viel besser. An keinen der Orte, an dem wir Patrouille gegangen sind, hat es bisher einen Vorfall gegeben - und wir haben bisher jedes Mal die Tatorte entdeckt, bevor die Wache überhaupt wusste, dass der Metzger wieder zugeschlagen hat!
"Ja, das ist ein erstaunlicher Zufall, nicht wahr? Hör mir mal genau zu, Junge, wenn du mal dein Hirn einschal-"
"Moooment! Muss eben mal was machen!"
Der Knabe stellte sich an eine Hauswand und öffnete seine Hose.
Der alte Fritz runzelte die Stirn. "Hat dir das deine Mutter beigebracht, gegen Wände zu schiffen? Mach die Hose zu und verkneif es dir, bis wir wieder zuhau-"
Auch diesen Satz konnte er nicht beenden, weil er schon wieder unterbrochen wurde: "Aha, haben wir euch also erwischt, Gesetzesbrecher!"
Er drehte sich zur Quelle der Unterbrechung und sah drei Wächter, ein Zwerg und zwei Damen. Die Frau, die sie angesprochen hatte, war an ihren Zähnen eindeutig als Vampirin zu erkennen.
Seppl lief rot an und knöpfte eilig seine Hose wieder zu. Fritz hingegen schüttelte den Kopf: "Es gehört sich zwar nicht, was der Junge hier macht, aber es ist auch nicht illegal. Was für ein Verbrechen sollen wir denn begangen haben?"
Bjorn nahm beiläufig eine mechanische Uhr aus seiner Tasche und schaute darauf. Mina von Nachtschatten stemmte sich einen Arm in die Seite und machte einen verächtlichen Laut. "Das wisst ihr doch ganz genau! Tut nicht so unschuldig, ihr benutzt die Miliz doch nur, um einen Deckmantel für eure Vergehen zu haben!"
"Nein!", empörte sich Seppl, und wischte sich seine Hände an der Hose ab. "Wir wollen die Stadt besser machen! Und diesen Typen fangen, der die Leute ausschlachtet! Wir stehen doch alle auf der Seite der Guten!"
"So, tun wir das?", fragte Mina in einen provozierenden Tonfall. "Wieso weigert sich dann die ganze Miliz, mit uns über ihre Quellen und ihre Arbeitsweise zu sprechen?"
"Fünf Minuten", stellte Bjorn in einem sachlichen Tonfall fest, bevor einer der beiden antworten konnte.
"Damit habt ihr den Tatbestand des Blockierens eines Verkehrsweges dritter Klasse erfüllt", erklärte Mimosa, die sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, und zückte einen Notizblock. "Das wird eine saftige Strafe geben, so viel ist sicher."
"WAS?! Aber... aber... das ist totale Polizeiwillkür! So ein Vergehen gibt es doch gar nicht!", jaulte Seppl auf und stürzte sich auf die Wächterin. Diese konnte seinem Besenstil gerade noch ausweichen, und ehe sich der Jüngling versah, hatten ihn Mina und Bjorn vorbildlich nach Lehrbuch verhaftet. Mimosa holte Handschellen heraus und legte sie ihm um: "Hiermit bist du festgenommen!"
Der alte Fritz schlug sich mit der Hand vor die Stirn. "Junge, ein tätlicher Angriff auf einen Wächter zählt ganz sicher als Vergehen. Ich würde sagen, du bist denen voll in die Falle getappt." Er streckte die Hände nach vorne. "Nehmt mich auch fest, irgendwer muss ja auf ihn aufpassen."

Wenig später fanden sich die beiden in einem Verhörraum wieder. Der Raum war karg eingerichtet und hatte nur ein kleines vergittertes Fensterchen. Seppl zitterte ein wenig vor Empörung und Angst, aber der alte Fritz blieb ganz gelassen.
Schließlich öffnete sich die Tür, und ein Wächter betrat den Raum. Er schlenderte durch den Raum, stellte sich an den Tisch, an dem die beiden saßen, stütze sich an ihm ab und durchbohrte die beiden mit seinem Blick. "Mein Name ist Narrator. Ich werde jetzt ein paar Fragen stellen. Und ihr werdet sie schön brav beantworten, verstanden?"
Der Junge ballte die Fäuste. "Ihr habt gar kein Recht dazu! Ihr habt uns eine Falle gestellt! Das ist total unfair!!"
"Sei mal einen Augenblick still, mein Junge", sagte der alte Fritz leise zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter. "Jetzt wollen wir Erwachsenen uns unterhalten." Er schaute Jack an: "Nur zu, was wollen Sie wissen, Herr Narrator?"
Jack hob eine Augenbraue. "Schön, es mal mit jemanden zu tun haben, der vernünftig ist."
"Man tut, was man kann."
"Also, was ist eigentlich der Sinn hinter dieser Miliz?"
"Das wüsste ich auch gerne."
Seppl zitterte: "Was soll das heißen? Wir kämpfen für ein besseres Ankh-Morpork! Für Freiheit, Gerechtigkeit und organische Vollständigkeit!"
Jack hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. "Nächste Frage: Wieso haben wir bisher aus keinem von euch ein vernünftiges Wort herausgekriegt? Ihr drückt uns sogenannte "Spuren" in die Hand, nachdem ihr die Tatorte verwüstet habt, aber wenn wir nähere Fragen stellen, seid ihr stumm wie Karpfen."
"Unser Anführer meint, die Wache würde uns nur hindern, wenn wir zu viele Details über unsere Vorgehensweise verraten würden."
"Und wer ist dieser Anführer?"
"Er nennt sich Edgar. Den Nachnamen weiß ich nicht."
"Das geht diesen dämlichen Wächter gar nichts an!", zischelte Seppl.
Jack beugte sich zu ihm vor: "Willst du wegen Beamtenbeleidigung eingebuchtet werden? Unsere Zellen sind derzeit sehr gut gefüllt, aber wir haben noch einen Platz in der Zelle mit dem menschenfressenden Troll, der ist gerade erst frei geworden."
Der Junge erbleichte und schien förmlich in sich zusammen zu schrumpfen.
"Was wisst ihr über diesen Edgar?", hakte Jack nach.
"Nicht viel. Nach dem, was man so hört, ist er Gärtner, aber das ist alles."
"Und was genau ist eure Aufgabe in der Miliz?"
Seppl hatte sich etwas erholt und antwortet,e bevor der alte Fritz reagieren konnte: "Wir sind die Leute, die die wichtigsten Arbeiten für die Miliz erledigen. Wir das Fundament, auf dem die ganze Arbeit unser ehrenvollen Truppe fußt!"
"Genau genommen", übersetzte Fritz, "bewachen wir entweder Zeug oder erledigen irgendwelche Botengänge. Das ganze Zeug, für das man weder Muskeln noch Hirn braucht."
"Gar nicht wahr!", maulte Seppl. "Der Chef hat mir selbst erklärt, wie wichtig jeder einzelne von uns ist."
"Verstehe", entgegnete Jack. Er ging ein paar Schritte im Raum auf und ab. "Sagt euch 'der Metzger von Morpork' etwas?"
Fritz' Gesichtsausdruck verhärtete sich: "Wie könnte es nicht? Das ist die meistgehasste und meistgefürchtete Person in der Stadt!"
Jack nahm sich einen freien Stuhl und stellte ihn so vor dem Tisch ab, dass er sich rücklings auf ihn setzen und das weitere Gespräch auf Augenhöhe halten konnte. Seppl entspannte sich ein wenig, weil Jack auf ihn nun etwas weniger gefährlich wirkte, Fritz jedoch ließ sich nicht so leicht täuschen.
"Ich sage euch jetzt der Reihe nach ein paar Namen", sagte Jack im Plauderton. "Ihr werdet mir sagen, was auch immer euch dazu einfällt. Verstanden?"
"Hältst du mich für dumm, oder was?", maulte Seppl. Fritz aber nickte nur, ohne erkennen zu lassen, auf welche der beiden Fragen dies die Antwort war.
"Steini Goldstein."
"Nie gehört."
"Manny Regenschirm."
"Ha, da war ich dabei, als wir den gefunden haben!", rief der Junge strahlend. Fritz schüttelte nur traurig den Kopf, und meinte schließlich, als Jack nicht fortfuhr: "Ich kenne ihn. Ist Gemüsehändler, gleich bei mir um die Ecke. Der arme Kerl hat in seinem Leben schon viel durchmachen müssen. Erst verließ ihn seine Frau, dann die Sache mit seiner Hand, und dann hat die Händlergilde die Handelsbezirke umstrukturiert, so dass er seinen Stand verlegen musste. Kein Wunder, dass er schon seit Jahren trinkt - und jetzt auch noch dieser Angriff..."
"Wie war das mit der Hand?", unterbrach ihn Jack.
"Eine ganz scheußliche Geschichte. Er wollte klatschianische Killergurken verkaufen, doch schon die Probegurke fiel ihn an. Die halbe Hand war weg. Zum Glück bekam er aber Ersatz von einem Igor."
Jack wäre beinahe von seinem Stuhl aufgesprungen. "Von einem Igor?"

Spärliches Licht fiel in den staubigen Flur. Die Luft knisterte vor Spannung. Schlumpi Wurzelbach huschte lautlos um eine Ecke, gab dann ein Handzeichen. Valdimier wiederum gab Norti Rabenpelz ein Signal. Der Alchemikexperte schlich sich an die Tür heran und brachte rund um das Schloss etwas Sprengmasse[2] an. Er drückte eine Lunte in die Substanz und brachte sich dann in gebührenden Sicherheitsabstand. Schließlich schaute er in Valdimiers Richtung.
Der flüsterte: "Sieht so aus, als wären alle Vorbereitungen abgeschlossen. Carisa hält Wache auf dem Gebäude gegenüber, falls er durch das Fenster türmt. Die Treppe hinter uns sichert Angelhart ab. Bleib hinter mir, Korporal Baum, und versuche, niemanden in die Schussbahn zu kommen. Und vergiss nicht, deine Augen zu bedecken." Valdimier wartete keine Antwort ab, sondern gab Norti das Zeichen zum Zünden.
Quälend langsam fraß sich der Funken die Lunte entlang. Dann folgten ein greller Lichtblitz und ein ein ohrenbetäubender Knall.
"Los, los, los!", schrie Valdimier und die Frösche stürmten die Wohnung. Mit der Armbrust im Anschlag liefen sie von Raum zu Raum, bis der Vormarsch schließlich ins Stocken geriet. "Wo ist er?"
Valdimier spürte, wie ihm jemand auf die Schulter klopfte und sah, dass Lilli auf eine Schuhspitze zeigte, die unter einem Bett hervorschaute.
"Wir haben dich gefunden, Igor!", rief Valdimier. "Komm unter dem Bett hervor, und keine faulen Tricks! Diese Armbrüste haben kein Problem mit ein bisschen Stoff, Holz und Stroh."
"Tut mir nichtf, tut mir nichtf!", bettelte der Igor und kroch unter dem Bett hervor: "Ich habe nichtf getan, ich fwöre!"
"Das werden wir noch sehen", entgegnete Valdimier und legte ihm persönlich die Handschellen an. Er zog den Igor in die Höhe und sagte dann an seine Leute gewandt: "Guter Einsatz, Truppe, so lob ich mir das. Schlumpi, du bleibst hier und hältst die Stellung, bis SUSI auftaucht. Der Rest geleitet mit mir den Typen ins Wachhaus." Und zum Igor gewandt fügte er hinzu: "Du darfst dich freuen, der Kommandeur selbst will dich verhören."

Es war der Morgen des nächsten Tages, und Ophelia kaufte gerade ein Säckchen Melonensamen an einem Stand auf dem Pseudopolisplatz, als sie es es laut scheppern hörte. Scherben fielen auf den Bürgersteig, dann folgte zu ihrer großen Überraschung der Abteilungspokal der Wache. Sie schaut kurz hinauf zum Fenster von Romulus' Büro, bevor sie sich wieder ihren Einkäufen widmete. Dies war eine dieser Situationen, die Professionalität erforderten, auch wenn sie am liebsten einfach ins Wachehaus gestürmt wäre. Sie war einen Blick auf die neben ihr offen abgestellte Handtasche - nein, Septimus war noch nicht wieder zurück.
Oben im Büro steckte Kolumbini den Kopf durch die Tür. "Ist was passiert?", fragte er. Ich habe ein Klirren ge..." Er beendete den Satz nicht, sondern ging vor einer fliegenden Dose in Deckung.
"Ob etwas passiert ist?! OB ETWAS PASSIER IST? Hast du zufällig heute in die Zeitung gesehen?"
Kolumbini sah vorsichtig in den Raum."Nein, noch nicht. Hat der Kommandeur etwa etwas falsches im Interview gesagt?"
Der Abteilungsleiter antwortete nicht, sondern pfefferte ihm die Times vor die Füße. Kolumbini sammelte sie auf und warf dann einen Blick auf die Schlagzeile. Seine Augen weiteten sich und er sah seinen Vorgesetzten an. "Das ist ein Scherz, oder? Eigentlich müsste da doch ein Interview mit dem Kommandeur zur Festnahme des Igors stehen. Oder ist das eine alte Ausgabe?"
"Schau auf das Datum."
Das tat Kolumbini. Es war das von heute. Nicht gut. Alles andere als gut. Zur Sicherheit las er die Überschrift noch einmal: "Erstes Todesopfer! Metzger von Morpork hat wieder zugeschlagen! Wache machtlos, kann uns die Miliz retten? Lesen Sie mehr auf Seite 2, 4-8 und 10-12!!"
Kolumbini sah zu Romulus, der vor Zorn zitterte. "Man hielt es nicht einmal für nötig, die Wache zu informieren. Ich habe erst durch die Zeitung davon erfahren."
"Aber wie das? Wir haben dem Igor, den wir festgenommen haben, doch Beziehungen zu allen Opfern nachweisen können. Es hat doch alles gepasst!"
"Nun, entweder haben wir es mit einem wirklich guten Trittbrettfahrer zu tun, oder wir haben uns geirrt."
"Na ja, hier steht was von einem Todesopfer. Der Metzger hat seine Opfer immer am Leben gelassen. Vielleicht ist er es ja wirklich nicht?"
"Aber die restlichen Spuren passen. Alles genau so ordentlich und sauber. Und jemandem das Herz zu entnehmen, ohne eine fürchterliche Sauerei anzurichten, das erfordert Talent."
"Hat die Miliz die Leiche gefunden?"
"Nein, die Vermieterin des Opfers. Natürlich ist die sofort zur Miliz gerannt." Er gab seinen Papierkorb einen Tritt, so dass der gegen die Wand knallte. Einige Dosen kullerten heraus.
"Du bist ja schon gut, informiert, dafür, dass du es erst durch die Zeitung erfahren hast."
"Das muss daran liegen, dass alles in dem Artikel drinsteht. Wir müssen handeln, und zwar sofort. Als erstes schickst du ein Memo an alle Abteilungsleiter raus, falls jemand die Zeitung von heute noch nicht gelesen hat. Schreib dazu, dass die Observierung bis auf weiteres fortgesetzt wird. Dann suchst du die anderen und wartest dann mit denen auf mich im Besprechungsraum."
Sie hörten wie jemand auf den Gang angelaufen kam, und kurz darauf polterte Amok Laufen in den Raum. "Sir, Lance-Korporal Ebel war gerade hier. Es gab ein Todesopfer!"
"Ich weiß", entgegnete Romulus. "Komm erstmal wieder zu Atem, dann komm mit in den Besprechungsraum. Ich will jedes kleine Detail hören, das unsere verdeckten Ermittler seit unserem letzten Kontakt erlebt haben."
Amok salutierte und verließ das Büro.
"Ich kümmere mich um das Memo", meinte Kolumbini und wandte sich zum Gehen. An der Tür blieb er stehen und hob die Hand, als ob ihm noch etwas eingefallen wäre. "Eine Frage habe ich da noch", meinte er und drehte sich noch einmal zu Romulus um.
"So? Was denn?"
"Wo ist eigentlich der Abteilungspokal hin? Stand der nicht immer auf dem Regal dort?"

Lautlos huscht der Igor durch die Halle, bis er an dem Thron ankam, auf dem sein Meister saß, der gerade die aktuelle Ausgabe der Times studierte. Das Sitzmöbel war aus schwerem Holz, die Polster aus exquisitem rotem Samt. Manche Leute hätten das als protzig empfunden, aber sein Meister fand das genau angemessen.
"Mir gefällt nicht, was ich hier lese", meinte der Meister und blätterte eine Seite weiter."Kannst du mir vielleicht erklären, was das hier soll? Hatte ich mich klar und deutlich gesagt, dass du die Leiche verschwinden lassen sollst?"
"Ja, Meifter, aber ef war nicht meine Fuld! Ich konnte ja nicht ahnen, daff die Vermieterin -"
"Still! Kein Wort mehr! Bisher ist alles perfekt gelaufen, aber jetzt haben wir keinen Sündenbock mehr, also müssen wir doppelt vorsichtig sein. Ruiniere nicht kurz vor dem Ziel noch alles! Wir müssen uns beeilen. Ich will die fehlenden Teile spätestens im einer Woche haben! Perfektes Leben kreiert sich nicht von selbst!"
"Aber, Meifter, ich -"
"Schluss damit! Ich will Ergebnisse sehen, sonst..." Sein Meister sprach nicht weiter, sondern bedachte den Igor mit einem eisig kalten Blick, der ihn erschauern ließ. Er musste gehorchen, sonst würde es nicht nur ihm schlecht ergehen.

Pyronekdan stand an der Seite des Milizchefs vor dem Plakettierten Eber, der Stammkneipe der Miliz, und hörte zu, wie dieser seinen Leuten den aktuellen Streifenplan präsentierte. Aus Langeweile visualisierte der Zauberer vor seinem inneren Auge einen Stadtplan, auf dem bunte Linien alle Routen darstellen. Edgar hatte wirklich Ahnung von der Stadt: Die Miliz deckte alle wichtigen Straßen und Wege ab, und ging an jedem wirklich wichtigen Punkt in regelmäßigen Abständen vorbei. Gut, die aktuelle Aufteilung hatte eine kleine Lücke im Bereich der Oper, aber wahrscheinlich war es unmöglich, wirklich jeden Punkt der Stadt effektiv zu überwachen. Außerdem musste man an der Miliz vorbei, wenn man an einen dermaßen zentral gelegenen Ort wollte. Der Wächter gab es ungern zu, aber die Miliz war wirklich gut organisiert.
"Um Mitternacht machen wir dann das Treffen hier im Eber. Ich weiß, das ist deutlich später als sonst, aber nach dem letzten Vorfall müssen wir unsere Bemühungen noch mehr verstärken! Schließlich ist es für die Stadt!"
"Jawohl, Sör!", salutierte der Untermilizführer und begab sich zu seiner Gruppe, um sich auf den Weg zu machen. Der Zauberer sah ihnen hinterher und verzog dann das Gesicht, als sein Blick auf ein aufgetakeltes Frauenzimmer fiel, das sich einen Weg durch die Menge zu Edgar boxte und sich ein wenig nach Luft japsend vor ihm aufbaute.
"Ich bin ihr grööößter Fan!", behauptete sie und klimperte mit offensichtlich falschen Wimpern: "Und ich habe zufällig gehört, dass Sie Gärtner sind! Würden Sie mir ein Autogramm auf meine Melonen geben?" Bevor Edgar antworten konnte, zog sie ein kleines Säckchen aus ihrer Schürzentasche, das sie Edgar hinstreckte. "Diese Samen hier meine ich natürlich, nicht, was Sie jetzt denken, hihi!"
"Na, wenn sie möchten", entgegnete Edgar charmant. "Aber leider trage ich keinen Stift bei mir."
"Oh, das macht nichts, ich habe einen dabei! Sie griff mit der rechten in ihr eigenes Dekolletee und zog dann einen von diesen neuen, schon mit Tinte gefüllten Stiften heraus. Pyronekdan verzog das Gesicht. Dieses Weibsbild war einfach nur billig.
Edgar nahm den Stift entgegen und versuchte, das Säckchen zu signieren. Als keine Farbe heraus kam, begann er das Schreibgerät zu schütteln und mit einem Sprotz spuckte der Stift einen großen Tintenfleck auf sein Hemd.
"Oh nein, wie konnte das nur passieren!", jammerte die Frau und zog noch ein Taschentuch aus ihrem Dekolletee. "Am besten, Sie ziehen sofort Ihr Hemd aus, damit ich es sauber machen kann!"
Abwehrend hob der Milizführer die Hände. "Aber nein, das wäre zu viel Aufhebens. Ich gehe kurz in den Eber, der Wirt wird mir sicher einen feuchten Lappen borgen. Warten Sie doch bitte hier kurz auf mich."
Die Frau seufzte, aber er warf ihr nur ein Lächeln mit seinen strahlend weißen Zähnen zu, ehe er in dem Gebäude verschwand.
Der Zauberer musterte diese Frau mit einem abschätzigen Blick und konnte sich ein Urteil nicht verkneifen: "Das haben Sie doch absichtlich gemacht!"
"Natürlich, Pyro, was hast du erwartet?", antwortete die Frau zwinkernd.
Der Mund des Zauberers klappte auf und wieder zu. Wie kam diese Frau dazu, ihn dermaßen vertraut anzureden? Und woher kannte sie seinen Namen? Verunsichert warf er einen Blick an sich herunter, um zu prüfen, ob er versehentlich ein Namensschild trug.
"Wir haben nicht viel Zeit. Romulus hat beschlossen, dass wir uns jetzt die Miliz noch genauer unter die Lupe nehmen sollen. Deswegen soll ich diesen Edgar jetzt ein bisschen näher kennen lernen."
Das war eine Kollegin? Pyronekdan starrte die verdeckte Ermittlerin vor sich mit großen Augen an. "Mimosa?", fragte er. "Oder Mina?" Er stockte einen Moment. "Lilli?!"
Ophelia lachte. "Oh, ich bin besser als ich dachte, wenn du nicht einmal deine stellvertretende Abteilungsleiterin erkennst. Aber genug geplaudert. Mach du einfach weiter wie bisher, ja?"
Der Zauberer war verwirrt. "Aber... was hat das denn zu bedeuten? Seit wann bist du auch mit dabei? Wieso muss ich diesen Job dann noch machen?"
Ophelia lächelte. "Pyro, du kannst mir glauben, du bist der perfekte Mann für das, was du tust. Und mach dir nicht zu viele Sorgen, dass du als Wächter auffliegen könntest, ja? Wir passen auf." Sie öffnete kurz ihre Handtasche und der Blick des Zauberers fiel auf Septimus Ebel, der es sich darin gemütlich eingerichtete hatte.
Er wollte gerade eine weitere Frage stellen, als sich die Tür der Kneipe öffnete und Edgar wieder nach draußen trat. Dieser reichte ihr das unterschriebene Säckchen und den Stift. Ophelia bedankte sich kichernd und meinte: "Ich bin übrigens die Klara. Sie haben mich bestimmt schon gesehen, ich arbeite in der Untergruppe von Hannes Steinwiesel. Ich sollte langsam mal los, wir patrouillieren ja heute im Hafen. Davon werde ich immer so müüüüde!" Sie kam ihm näher und hauchte in sein Ohr: "Sie sind bestimmt nach einem langen Arbeitstag auch schrecklich müde. Wie wäre es mit einem schön entspannenden Abend? Ich wohne in der Pension Palastblick. Ich würde mich über Herrenbesuch freuen!" Sie lächelte ihn an und ließ einen Schlüssel in seine Hosentasche gleiten, dann stöckelte sie davon.
Ja, wenn jemand in der Miliz Angst vor Spitzeln der Wache hatte, dann würde der Verdacht bestimmt erst auf Pyronekdan fallen. Damit konnte einerseits sie ungestört ihrer Arbeit nachgehen, und andererseits konnten sie diese Person vielleicht finden, indem sie nur den Zauberer im Auge behielten.
"Wo gehen wir jetzt eigentlich hin?", fragte Pyronekdan den Milizchef, nachdem Ophelia verschwunden war.
"Einfach ein bisschen durch die Gegend. Als repräsentative Persönlichkeiten der Miliz müssen wir uns ja in der Stadt sehen lassen. Außerdem können wir auf die Weise auch ein paar Punkte abklappern, die sonst nicht richtig erfasst werden würden."
"Wie die Oper?"
"Die Oper?"
"Nun ja, mir fiel auf, dass im Bereich der Oper keine Streife unterwegs ist."
"Wirklich? Ein Glück, dass Sie auf unserer Seite sind, Meister Pyromanus! Am besten machen wir uns gleich auf den Weg dorthin."

Der Besprechungsraum der Abteilung RUM war gut gefüllt. Interessiert lauschten die Wächter dem Streitgespräch zwischen Jack und Sebulon.
"Wenn ich es doch sage - bisher hatte der Metzger nie gemordet. Wenn er jetzt einen umgebracht hat, dann wird er sich schon bald nicht mehr nur an die Patienten von "unserem" Igor halten."
"Das ist doch völliger Blödsinn, Herr Zwerg! Gut, er hat eine Grenze überschritten, aber das heißt jetzt nicht, dass mit ihm auf einen Schlag ein amoklaufender Irrer wird!"
"Das behaupte ich doch gar nicht, aber Fakt ist, was auch immer ihm dazu getrieben hat, jetzt zu morden, kann ihn auch dazu veranlassen, es wahllos zu tun. Die Grenze von Körperverletzung zu Mord ist weitaus bedeutender als die von "nur bestimmte Personen" zu "wahllos jedermann"."
"Immer dieses Gerede von Grenzen. Du kategorisierst zu sehr, Sebulon!"
"Es geht hier immerhin um einen Igor, denen sind Regeln und Gesetze schon von klein auf eingeimpft worden!"
"Schön und gut, aber man sollte auf Nummer sicher gehen, oder nicht? Ich bin immer noch dafür, die von mir als gefährdet eingestuften Personen zu überwachen. "
"Und dafür die Leute von der Überwachung der Miliz abziehen? Ich halte das für keine gute Idee, dass würde die bisherige Arbeit vollkommen zunichte machen. Wenn sich deine Vermutung als falsch herausstellt Jack, dann wird es doppelt schwer, dieser Spur zu folgen."
"Und wenn deine Vermutung falsch ist, Sebulon, gefährdest du das Leben unschuldiger Menschen!"
Romulus räusperte sich laut. "Hört auf zu streiten, ihr beiden! Die derzeitige Situation ist verzwickt, aber nicht unlösbar. Sebulon, lass ein paar Rekruten Jacks Liste abklappern und die Leute warnen, sie sollen aufpassen und sich, wenn ihnen etwas auffällt, sofort bei der Wache melden. Die Miliz werden wir erst einmal weiter beobachten - ich bin immer noch sicher, dass die wissentlich oder unwissentlich in der Sache mit drinstecken."

Der Opernplatz war überraschend leer, als Pyronekdan und Edgar ihn erreichten. Der Zauberer ließ seinen Blick schweifen. Alles vollkommen unverdächtig. Er schaute nach oben und meinte, auf einem Dach ein paar Gestalten zu sehen, doch dann waren sie auch schon wieder verschwunden. Gerade wollte er Edgar darauf hinweisen, als sein Blick an einem Fenster im zweiten Stockwerk in einem anderen Gebäude hängen blieb. Darin konnte er ein helles oktarines Gleißen in der Struktur eines Schutzzaubers erkennen.
"Ist etwas?", fragte Edgar,als der Zauberer abrupt stehen blieb.
"Irgend etwas magisches", entgegnete Pyronekdan kurz angebunden. "Warten Sie hier!" Er lief am Milizchef vorbei auf das Gebäude zu. Seine Wächterinstinkte hatten die Kontrolle übernommen.
"Halt, warte!", rief ihm Edgar hinterher. "Du weißt doch gar nicht, was dich dort erwartet!"
"Egal!", brüllte Pyronkdan zurück und stürmte ganz allein in das Haus, dessen Tür offen stand.
Schnaufend erklomm er die Treppe bis er im zweiten Stock war. Dort gab es von der Treppe aus nur eine Tür, und an ihr hing ein Schild mit "Betreten verboten, Zuwiderhandlung auf eigene Gefahr!"
Der Zauberer wäre kein Zauberer gewesen, wenn er sich von so etwas abhalten lassen. Im Gegenteil, er fühlte sich nun nur noch mehr beflügelt, dem seltsamen Licht auf den Grund zu gehen. Eilig tastete er den Türstock ab, in der Hoffnung dort einen Schlüssel zu finden und er wurde tatsächlich fündig. Schnell schob er den Schlüssel ins Schloss, öffnete die Tür und betrat den Raum.
Was er auf der anderen Seite sah, drehte ihm den Magen um - und als Zauberer hatte er schon viele Abscheulichkeiten gesehen.
Es war kühl - so kühl, dass er seinen eigenen Atem sehen konnte. Das Zimmer war anscheinend eine Art Mischung aus Labor und Abstellkammer. Regale dominierten den Raum, gefüllt mir unzähligen Einmachgläsern. Aber in ihnen befanden sich nicht etwa eingelegtes Gemüse oder dergleichen, sondern...
"Was ist denn das?", hörte er eine Stimme hinter sich. Einen Aufschrei unterdrückend fuhr er herum, aber es war nur Edgar, der lautlos hinter ihm erschienenen war.

Manchmal behaupteten die Leute, dass Pronekdan nicht in der Lage sei, dass Offensichtliche zu erkennen, dass er seine Aufmerksamkeit auf Banalitäten richten würde. Man sagte, dies sei sein größter Makel als Ermittler, doch das war falsch. Es war seine größte Stärke.

"Du...!",entfuhr es dem Wächter. Unwillkürlich machte er einen Schritt rückwärts in den Raum hinein.
"Was denn?", fragte Edgar und trat ein paar Schritte vor, wobei er wie beiläufig mit der einen Hand die Tür zuwarf.
"Du warst es!", rief der Zauberer aus und griff nach seinem Dolch.
"Wir kommst du denn auf so eine absurde Idee?", fragte Edgar, während er entspannt dastand und die Hände in den Hosentasche hatte.
Wie ein verschrecktes Huhn fuchtelte Pyronekdan mit dem Dolch herum. "Es passt alles zusammen! Oh, es war wirklich ein genialer Schachzug, dass muss ich zugeben, aber hast du geglaubt, dass dir nie jemand auf die Schliche kommen wird? Wer trieb sich immer in der Nähe herum, wenn ein neues Opfer gefunden wurde?"
"Na und? Ich bin nun einmal Chef der Miliz! Natürlich bin ich sofort vor Ort, wenn mir etwas über eine neue Tat zu Ohren kommt. Das Kommunikationssystem der Miliz ist nun einmal besser und schneller als das der Wache. Wir haben mehr Waschweiber."
Pyronekdan antwortete nicht. Er hatte die Ursache des oktarinen Leuchtens gesehen - auf dem Fensterbrett lag ein ihm nur allzu gut bekanntes Schutzamulett. Es gab nur eine Erklärung, wie es dorthin gelangen konnte: Edgar musste es ihm gestohlen haben, um ihn damit in diesen Raum zu locken.
"Lass mich doch erklären", begann Edgar beschwichtigend, zog dann in einer blitzschnellen Bewegung ein Skalpell aus seiner Hosentasche und warf es. Pyronekdan war zwar auf einen Angriff vorbereitet gewesen, diese plötzliche Bewegung überrumpelte ihn jedoch derart, dass er gerade noch einen halben Schritt zur Seite machen konnte. Ein brennend scharfer Schmerz fuhr durch sein Bein, er verlor das Gleichgewicht und stürzte.
"Sei mir nicht böse, Meister Pyromanus", hörte er Edgars Stimme, "aber ich brauche deine Augen. Nur die Augen eines Zauberers sind gut genug für ein perfektes Wesen." Er ging zu einem Regal mit Fläschchen und Spritzen und zog eine auf. "Du musst keine Angst haben. Ich werde dich nach allen Regeln der Kunst betäuben, und wenn du wieder aufwachst, wirst du dich an nichts mehr erinnern!"
Pyronekdan versuchte vor Edgar wegzurobben, aber der Schmerz in seinem Bein raubte ihm beinahe den Verstand. Seine letzte Chance war ein Levitationszauber, aber dazu brauchte er Zeit, Zeit, Zeit!
"Der Metzger von Morpork ist doch ein Igor! Du siehst gar nicht aus wie einer."
"Nun, ich war ein Versuchskaninchen. Der erste Versuch meines Meisters. Aber das hat ihm nicht gereicht. Er meint, für wirkliche Perfektion muss man von Grund auf neu beginnen. Aber falls es dich interessiert - ich selbst habe mich eigentlich nie so gefühlt, als wäre ich perfekt." Er kniete sich neben Pyronekdan nieder. "Das einzige, was mir wirklich Freude bereitet, ist das Gefühl nach einer erfolgreichen Operation..."
"Ach ja?!", entgegnete der Zauberer und führte die magischen Gesten für seinen Levitationszauber aus. Ein Glas mit Ohren kam angesaust, verfehlte den Igor völlig und krachte durch das Fenster.
"Daneben", stellte Edgar mit einem schmallippigen Lächeln fest und rammte Pyronekdan punktgenau die Spritze in den Arm.
Die Welt des Zauberers füllte sich mit Schwärze.

Als er wieder erwachte, war die Welt zu seinem Erstaunen nicht ein einziger schwarzer Brei, sondern eher... nass. Sein Oberkörper triefte vor Wasser. Schützend hielt er den Arm vor sein Gesicht: "Nein, nicht!"
Dann sah er, dass eine seiner Kolleginnen von RUM sich besorgt über ihn beugte, in der einen Hand ein Wassereimer. Pyronekdan brauchte ein paar Augenblicke um sich zu orientieren. Er war immer noch in dem Zimmer mit den gestohlenen Körperteilen. Schlagartig kehrte die Erinnerung zurück.
Er schaute sich um und stellte fest, dass Igor Edgar neben ihm lag. Er war tot, offensichtlich durch einen gezielten Bolzenschuss in den Kopf. Am Fenster stand der Triffinsziel und Abteilungsleiter der FROGS, Valdimier von Varwald. Er ließ gerade eine Taube fliegen. Dann drehte er sich zu dem Zauberer um. "Wieder wach? Sehr gut. Am besten bleibst du ruhig liegen, ich habe eben Verstärkung und einen Sanitäter angefordert."
Pyronekdan stellte fest, dass sein Bein gar nicht mehr wehtat. Er schaute an sich herab und stellte fest, dass die Wunde fachmännisch versorgt worden war. Dann schaute er zu Lilli auf. "Was genau ist passiert?"
Die rollte nur mit den Augen und deutete dann auf Valdimier. Der räusperte sich kurz. "Nun, wir haben gesehen, wie du mit dem Milizmann hier in das Gebäude bist. Als dann aber durch das Fenster ein Glas mit Ohren geflogen ist, haben wir sofort eins und eins zusammengezählt und sind hierher. Es ist bedauerlich, dass ich den Kerl töten musste, weil er bestimmt eine Menge zu erzählen hatte, aber ich weiß nicht, was er dir sonst angetan hätte. Ich musste sofort reagieren. Du kannst von Glück reden, dass Romulus mich gebeten hat, dich im Auge zu behalten."
Pyronekdan schluckte. Er fühlte sich alles andere als wohl. Wenn der Igor ihm sofort seine Augen entnommen hätte, statt zuerst die Skalpellwunde zu versorgen... er wollte gar nicht daran denken.
Was für ein Ende für einen Fall der sie alle so auf Trab gehalten hatte. Aber zumindest hatten sie das Problem mit der Miliz nun auch gelöst. Ohne Anführer würde die sich bald auflösen und er konnte dann endlich wieder seine Tage damit verbringen, seine universitären Kontakte zu pflegen, vorzugsweise bei einer leckeren Mahlzeit.

Romulus arbeitete sich gerade durch einige Akten, als es an seiner Tür klopfte. Es war Charlie Holm, unter dem Arm eine Kiste geklemmt, mit dem anderen hielt er eine Akte. "Ich habe hier denn SUSI-Bericht zu den Körperteilen. Alles, was gestohlen worden war, befand sich dort in dem Raum.
"War das alles?", fragte Romulus, doch Charlie schüttelte den Kopf: "Rate mal, was ich einigen übereifrigen Rekruten abgenommen habe?" Er nahm den Abteilungspokal aus dem Karton und stellte ihn vor Romulus auf den Tisch: "Der Sturz scheint sogar eine von den älteren Dellen wieder entdellt zu haben."
"Danke, hatte mich schon gefragt, wo der abgeblieben ist."
"Gern geschehen."
Die beiden schauten sich einige Augenblicke lang an.
"Gehst du nun endlich?", fragte Romulus schließlich. "Wie du sehen kannst, habe ich noch eine Weile zu arbeiten."
Ohne weitere Worte ging Charlie Holm. Das seine Arbeit für die Wache nie geschätzt wurde! Aber im Grunde seines Herzens war er froh, dass alles wieder beim Alten war.
[1] und der musste sich auskennen, gehörte er doch selbst dazu

[2] Eine Erfindung von ihm. Bestand aus Pulver Nummer 2 und altem Fett aus Frau Piepenstengels Küche. Hatte die Konsistenz von Knete und machte ordentlich RUMMS.




Für die Inhalte dieses Textes ist/sind alleine der/die Autor/en verantwortlich. Webmaster und Co-Webmaster behalten sich das Recht vor, inhaltlich fragwürdige Texte ersatzlos von der Homepage zu entfernen.

Feedback:

Von Jargon Schneidgut

01.06.2010 17:42

Schöne Geschichte mit einer prima Idee! Ich fand's gut, dass sich am Ende alls so zusammengereimt hat, allerdings war es meiner Meinung nach etwas komisch, Pyronekdan als verdeckten Ermittler zu benutzen. Wie sagt man? Nur ein richtig guter Schauspieler kann es so aussehen lassen, als würde er schlecht Schauspielern... oder so.

Von Araghast Breguyar

01.06.2010 17:42

Erst einmal - Die Idee der Geschichte war wirklich nicht schlecht. Ein Igor, der Körperteile zusammensucht um daraus einen neuen Menschen zu erschaffen - das ist Mad Science vom Feinsten.Allerdings hat es meiner Meinung nach bei der Umsetzung noch ziemlich gehapert. Erst einmal habe ich mir Charlie Holms Art immer anders vorgestellt. Worte wie z. B. 'Volltröten' passen für mich nicht in das Bild unseres fleißig deduktierenden Spurensicherers.Außerdem zeugt es in meinen Augen nicht gerade von Professionalität, wenn sich zwei verdeckte Ermittler mitten in einer Menschenmenge lautstark über ihren Einsatz unterhalten. Und auch Ophelia wirkt eher wie ein X-beliebiger Wächter, der zufällig die zugedachte Rolle spielt, als wie die richtige Wächterin Ophelia Ziegenberger. Selbst wenn sie verdeckt unterwegs ist und ihre Rolle spielt, ist sie immer noch Ophelia und nicht irgendjemand. Deshalb mein Tipp - setz dich vor deiner nächsten Geschichte mal etwas gründlicher mit den Charakteren deiner Mitwächter auseinander, das tut der Geschichte nur gut.

Von Ophelia Ziegenberger

01.06.2010 17:42

Eine solide Pokalsingle. Die Abteilung kam auf jeden Fall zur Geltung und die Vorlage wurde ebenfalls umgesetzt. Mir fiel natürlich vor allem Ophelias atypisches Verhalten auf. ;)

Von Breda Krulock

01.06.2010 17:42

Ein sehr schön ausgetüftelter Plot! Hat mir sehr gut gefallen wie alles am Ende zusammenspielte und die Idee ansich ist klasse (umgesetzt).Nur die Szene mit Ophelia hat mir nicht gefallen. Ich denke nicht, dass Ophelia sich so verhalten würde. Auch nicht im Einsatz als verdeckte Ermittlerin.

Von Braggasch Goldwart

01.06.2010 17:42

Eindeutig bisher die schöne Pokey. Du hast die Vorgabe in einen hervorragenden Plot umgewandelt, auch wnen manch einer vielleicht behaupten könnte, dass die Miliz selber zu selten vorkam, aber das ist nur ein gedanke aus meiner Sicht, kein Mängel. Mit am besten Gefällt mir, dass Lilli selber nicht hervorsticht, sondern neben anderen Abteilungsgenossen fast unwichtig wirkt - und soweit ich das feststellen konnte, sind alle sehr gut und richtig charakterisiert. Eine Wortverdreher und falsche Satzzeichen lassen den Lesefluss stocken, aber das ist auch wirklich alles, was ich negatives zu dieser single sagen kann.

Von Rogi Feinstich

01.06.2010 19:34

Schöne Idee und gut umgesetzt nur was mich irritiert hat, dass Rogi nicht zu rate gezogen wurde. Nein ich will nicht in jeder Geschichte dabei sein, aber grade bei dem Fall ist es mir aufgefallen. ;)

Mir hätte schon ein Satz gereicht nach dem Motto "Rogi hört sich in ihrer Familie um..." so im dialog der Besprechung...

Kolumbinis Igor hätte es auch getan mir hat einfach gefehlt, dass kein "Experte" in der Richtung dabei war

Von Lilli Baum

01.06.2010 23:18

zur Darstellung von Charlie: Da Harry so freundlich war, für mich Korrektur zu lesen und mir beim Kürzen zu helfen und sich nicht beschwert hatte, denke ich mal, dass das so in Ordnung war. Er hatte sogar seine Charakterisierung eine Anmerkung hinzugefügt.



So im Nachhinein muss ich sagen, dass ihr mit Ophelia recht habt. Die Art wie Ophelia die Rolle in der verdeckten Ermittlung gespielt hatte, war eher die Art, wie mein Charakter solche Ermittlungen angeht, und irgendwie habe ich das dann auf Ophelia übertragen, schon allein, weil ich die Vorstellung höchst amüsant fand, dass Ophelia überzeugend ohne mit der Wimper zu zucken so eine Person spielt. Leider ist die Geschichte erst recht spät fertig geworden, so dass nicht wirklich die Möglichkeit zur Rückmeldung bestand. Im Normalfall bemühe ich mich eigentlich, Charaktere möglichst akkurat darzustellen.



Pyro war zum verdeckten Ermitteln eingeteilt worden, weil er als Ablenkungsmanöver diente. Die Miliz musste ja damit rechnen, dass ein Wächter eingeschleust wurde; und dadurch, dass relativ klar war, dass er der Wächter war, waren so andere weniger gefährdet, aufzufliegen. Und natürlich, weil es mich reizte, diesen Charakter in diese Situation zu setzen. :D



Brags, Lilli spielte eigentlich in fast jeder meiner Pokalgeschichten keine allzu große Rolle. Ich versuche den Schwerpunkt eher auf die anderen Charaktere der Abteilung zu legen, in dieser Geschichte war der Hauptprotagonist in meinen Augen eindeutig Pyronekdan.



Rogi... ich hatte dich schlichtweg vergessen O:-) Und ich fürchte, selbst wenn ich an dich gedacht hatte, dann wäre die Chance groß gewesen, dass so was beim Kürzen wieder rausgeflogen wäre. Ich war von den Wörtern her ziemlich nah am Limit. Und wenn ich es recht bedenke, wenn ich Rogi als Experten in die Geschichte eingebaut hätte, dann hätte sie wohl in etwa die Rolle eingenommen, die Sebulon ausgefüllt hat. Ich baue ja gerne auch abteilungsfremde Charaktere in meinen Geschichten ein, aber das klappt halt nicht immer.



Vielen Dank an alle fürs Lesen und Kommentare schreiben :)

Die Stadtwache von Ankh-Morpork ist eine nicht-kommerzielle Fan-Aktivität. Technische Realisierung: Stadtwache.net 1999-2024 Impressum | Nutzungsbedingugnen | Datenschutzerklärung