Massenpolitik

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von Obergefreiter Jargon Schneidgut (SEALS)
Online seit 01. 05. 2010
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Die Bürger gründen eine Miliz und mischen sich in die Angelegenheiten der Wache ein. Kein Fall scheint mehr lösbar. Wie löst ihr dieses Problem?

Dafür vergebene Note: 11

Es ist Abend in Ankh-Morpork. Die zuvor Arbeitenden kehren nach Hause zurück und die, die vorher schliefen, erwachen und machen sich Kaffee. Doch heute Abend gehen manche ungewohnte Wege. Einige von ihnen besuchen Freunde oder Verwandte oder verlassen die Stadt, um in ihr Heimatdorf zurückzukehren. Aber wir konzentrieren unseren Blick auf eine ganz gewisse Gruppe: Diejenigen, die jetzt eigentlich zu ihren Wohnungen zurückkehren müssten, stattdessen aber in die Richtung eines speziellen Gebäudes gehen. Dieses Gebäude liegt in der Straße der geringen Götter, für alle sichtbar. Und doch weiß bisher kaum jemand, was sich hinter den Fassaden abspielt. Das wird sich bald ändern...

Die Tür öffnete sich.
"Passwort?"
"Schwertfi- äh, entschuldigung. Ich meine: 'FUVSWV'." Der Sprecher schien sich beim Aussprechen des Passwortes leicht unbehaglich zu fühlen.[1]
"Lass mich raten: du warst mal Mitglied in der 'Geheimen Gruppe rosafarbener Bonbons'?"
"Äh... nein."
"Der 'Galgenmännchenspieler'?" Der Türsteher hob eine Augenbraue.
"Auch nicht."
"Wo dann?"
"Ich war bei den 'Kohlrollern'."
"Oh. Egal. Sag mir einfach noch schnell, wofür FUVSWV steht und ich lass dich vorbei."
"'Für unsere Verbrechen sind wir verantwortlich'."
"Richtig. Tritt ein." Der Mann trat beiseite und ließ den ehemaligen 'Kohlroller' herein.
Thomas Gebiss betrat das Gebäude gemessenen Schrittes und folgte ihm in den Versammlungsraum. Bisher waren außer Thomas Frank Bäcker, Hubert Schuster, Alfred Bauer, Anne Schreiber und eine ganze Menge weiterer Bürger vertreten, bis hin zu Fred Graufall, von dem niemand wusste, was sein Gewerbe war. Fast alle Plätze an dem rechteckigen, langgezogenen Tisch waren besetzt. Thomas setzte sich an den Platz der ihm zugewiesen wurde und sah in die Runde. Die meisten Gesichter wirkten zuversichtlich, manche äußerst zufrieden.
"Sind alle da?", fragte der Mann, der ihn an seinen Platz gebracht hatte. Nach einem kurzem, zustimmenden Gemurmel setzte er sich schließlich auch an seinen Platz, der am Kopfende des Tisches war. Sich räuspernd holte er einige Blätter aus einer Tasche, die neben dem Stuhl stand.
"Beginnen wir also. Die Meisten von euch werden über den Anlass unseres Treffens bereits Kenntnis haben, aber für diejenigen, die von uns spontan ausgewählt wurden, verlese ich ihn nun noch einmal: Unsere Stadt ist voller Verbrechen, und ich spreche nicht von den lizensierten Dieben oder Assassinen." Er warf einen kurzen Blick in die Runde. "Ich meine die unlizensierten Verbrechen, die sich täglich vor unserer Nase abspielen. Ein Dieb, der ohne Ankündigung oder Quittung stiehlt, ein Assassine der ohne Erlaubnis mordet, ein Musiker der mit seiner Flöte in verwinkelten Seitengassen spielt, ohne eine offizielle Erlaubnis dafür zu haben: all das haben die Meisten bereits gesehen oder manchmal sogar am eigenen Leib erfahren müssen. Womit ich natürlich nicht von dem Fall des Assassinen spreche."
Ein trockenes Räuspern erklang. Der Sprecher setzte seine Rede leicht gereizt fort.
"Außer vielleicht bei Herrn Fallarm. Wie dem auch sei, trotz dass diese Stadt über einen funktionierenden Polizeiapparat verfügt, kommt so etwas immer wieder vor. Deshalb haben wir uns heute versammelt, um darüber zu entscheiden, ob wir diese Verbrechen nicht selbst in die Hand nehmen sollten. Immerhin", und man sah, dass er auf die folgenden Worte sehr stolz war, "sind es unsere Verbrechen. Also sollten wir sie auch aufklären!"
"Sie meinen", fragte Thomas, "dass wir eine eigene Wache bilden sollten?"
"Nicht doch", antwortete der Redner und winkte ab. "Wir wollen ja keine Ermittlungen, Spurensicherungen und dergleichen durchführen. Alles was wir tun ist, den Wächtern etwas unter die Arme zu greifen. Sie wissen schon, Verdächtige einfangen, Alibis überprüfen und dergleichen."
Die Runde schwieg für einen Moment. Jemand unterdrückte ein Husten.
"Wenn ich mir die Frage erlauben darf, Herr Tischler, wird denn der Patrizier damit einverstanden sein?"
Tischler lächelte gewinnend.
"Darauf können sie sich verlassen. Sehen sie nur!"
Er zog ein Blatt Papier aus dem Stapel und reichte es herum. Es war ein vom Patrizier höchstpersönlich unterschriebener Vertrag, der das bestehen einer 'unterstützenden Bürgermiliz' ausdrücklich erlaubte.
"Sie sehen meine Herren, wenn sogar der Patrizier selbst mit unserem Plan einverstanden ist, kann es sich nur um einen Guten handeln. Schreiten wir also zur Abstimmung: Wer ist dagegen?"

"Also für mich sieht das ganz klar nach unlizensiertem Raub aus", meinte Kolumbini und kniete sich auf den Holzboden neben die Leiche. "Der Geldbeutel fehlt, die Kehle aufgeschlitzt und keine Quittung. Außerdem hat jemand die Tür ziemlich rabiat aus den Angeln gehebelt."
"Wenn es ein lizensierter Raub gewesen wäre, hätte man ihn ja auch nicht umgebracht, oder? Kein Bauer tötet seine Milchkühe nach dem Melken", kommentierte Kadwallander Janders, der daneben stand und die Tatortwächter, die kurz nach ihnen eingetroffen waren, bei ihrer Arbeit beobachtete.
"Stimmt. Ich wollte nur sichergehen."
Der Ermittler erhob sich und nahm einen Zug aus seiner Pfeife.
"Wie du meinst", sagte sein Kollege und schrieb die Information auf seinen Notizzettel. "Den Fall aufzuklären stelle ich mir aber als große Herausforderung vor. So ziemlich jeder dritte Ankh-Morporkianer hätte das sein können."
Sein Ausbilder nickte und ging gemächlich um die Leiche herum.
"Jedenfalls war es ziemlich offensichtlich, dass hier etwas zu holen ist. Sieh nur", er zeigte auf einen schweren, vergoldeten Kerzenständer, der auf einer Kommode stand. "Wenn man vor dem Haus am Fenster steht, sticht er einem förmlich ins Auge. Der Räuber hat ihn wahrscheinlich nur dagelassen, weil er zu sperrig gewesen wäre."
"Das Einzige was wir tun können, ist, die Fingerabdrücke mit denen in der Kartei abzugleichen und mögliche Zeugen zu befragen." Kadwallander seufzte.
"Habt ihr schon was?", wandte er sich dann an Olga-Maria Inös, die ihre Untersuchungen vorerst abgeschlossen hatte und nun neben den beiden Ermittlern stand.
"Das wollte ich gerade sagen. Offenbar hat sich das Opfer ziemlich gewehrt. Wir haben mehrere Blutspuren gefunden, die vom Tatort wegführen. Magane untersucht gerade, bis wohin man sie zurückverfolgen kann. Möglicherweise führt uns der Täter gleich bis zu sich nach Hause."
"Prima", sagte Kolumbini und steckte sich seine Pfeife in den Mund.

"Guten Tag. Mein Name lautet Paul Knauf. Ich bin ein freiwilliger Helfer der Stadtwache, die im Moment unter Anderem in einem Mordfall ermittelt. Deshalb, äh- deshalb muss ich- äh, wollte ich- ähm, einen Moment bitte."
Der Mann zückte einen Zettel und warf einen Blick darauf. Seine Augen folgten langsam dem Verlauf der Schrift und seine Lippen bewegten sich, als er angestrengt las.
"Ist ihnen vor zwei Tagen abends etwas ungewöhnliches aufgefallen?"
"Ja, schon, aber..." Sein Gegenüber wirkte unsicher und lies den Satz unvollendet.
"Hm?"
"Du kannst mich ruhig duzen Paul. Wir sind Nachbarn, falls du es schon vergessen hast."
Paul zuckte leicht verlegen mit den Schultern.
"Schon, aber das hier ist offiziell, verstehste, Hannes?"
"Na schön." Hannes verschränkte die Arme.
"Also, was ist dir aufgefallen?"
"Ich habe einen Mann am Fenster vorbeirennen sehen."
"Schön schön." Paul sah wieder auf seinen Zettel. Sein Nachbar konnte hören, wie er leise "nähere Informationen erbitten" flüsterte als er den Text entzifferte.
"Woher kam er?", fragte der Hilfsermittler dann und sah auf.
"Aus der Henkelgasse. Er lief in Richtung Bauleiterstraße."
"Wann war das in etwa?"
"Das dürfte so um halb elf gewesen sein. Hör mal Paul, ich-"
"Ja, ist schon gut. Ich mach das ja nur für kurz", unterbrach ihn sein Nachbar und winkte ab.
"Gut, ich hatte nämlich schon Angst, dass-"
"Wie gesagt, morgen bin ich schon nicht mehr bei denen. Ich mach das nur wegen dem Geld, verstehste? Drei Dollar für ein paar Leute befragen ist schon ein guter Preis."
"Gut, dann bis morgen also." Hannes schickte sich an, die Tür zu schließen.
"Ja, bis morgen. Tschüss Hannes."
"Tschüss Paul."
Hannes schloss die Tür und lief eilig in die Küche. Schnell nahm er den Kochtopf vom Herd, in dem einige verdächtig aussehende Zutaten schwommen und kippte den Inhalt in den Mülleimer, bevor sich der Geruch von Geiferkraut[2] in dem Haus verbreiten konnte.
Sicher ist sicher, dachte er.

*


Franz Meister, Gründer und Leiter der offiziellen unterstützenden Milizeinheit Ankh-Morporks, stand auf einem kleinen Podest, das im Versammlungsraum aufgestellt war. Er hatte die Hände erhoben und lies so das Gemurmel der Anwesenden verstummen.
"Verehrte Milizionäre", sagte er laut, "heute war unser erster offizieller, erfolgreicher Tag. Wir haben mehrere Aufgaben, die wir von der Stadtwache aufgetragen bekommen haben, erfolgreich ausgeführt. Ich verlese nun die Ergebnisse unserer Bemühungen:
Ein unlizensierter Raubmord wurde aufgeklärt, nachdem mehrere Milizionäre erfolgreich nützliche Informationen von unseren Mitbürgern sammelten und außerdem selbst als Zeugen fungierten."
Gejubel erklang unter den Mitgliedern der Unterstützungstruppe.
"Außerdem konnten mehrere nicht lizensierte Diebe gefasst werden, weil die Mitglieder unserer Miliz die Alibis von Verdächtigten überprüften und mehreren Augenzeugen aufgrund ihrer persönlichen Beziehung mehr nützliche Informationen entlocken konnten, als ein normaler Wächter es hätte tun können."
Wieder erklangen Freudenrufe. Die Milizionäre waren ganz offenbar sehr zufrieden mit ihrer Arbeit.
"Unsere heutigen Soldauszahlungen belaufen sich auf drei Ankh-Morpork-Dollar pro Person!"
Das Freudengeheul wurde lauter. Man hörte vereinzelt Rufe wie "Und das alles nur weil wir ein paar Leute befragt haben."
Dann ertönte ein lauterer Ruf: "Wir sind ja wie echte Ermittler!" Auch diese Worte fanden lautstark Zustimmung.
"Brauchen wir die Wache überhaupt noch?!", rief ein anderer, weitaus übermütigerer Hilfswächter. Wie so oft in solchen Situationen reagierte die jubelnde Masse nicht so, wie man es von einem Menschen mit gesundem Verstand erwartete (also etwas in der Richtung wie "Natürlich! Wir haben bisher nur die Kleinarbeit erledigt. Wir wissen nicht einmal, wie man richtig ein Schwert führt oder ein Verhör durchführt. Wir sollten einsehen, dass wir trotz unserer bisherigen Erfolge keine ausgebildeten Wächter sind! Deshalb brauchen wir die Stadtwache noch!" antworten).
"Ja, genau!"
"Wir können das ja auch selbst in die Hand nehmen!"
"Wir zeigen's den Verbrechern!"
Solche und ähnliche Rufe wurden laut, Herrn Meister setzte man nach einigen erfolglosen Versuchen, die Milizionäre umzustimmen schlichtweg vor die Tür.

Die Tür öffnete sich und ein Mann hetzte herein. Er war außer Atem und sah keineswegs erfreut aus.
"Ausgeraubt hat er mich!", rief er und lief mit schnellen Schritten auf den Tresen zu. "Und keine Quittung hinterlassen!"
"Ganz ruhig, fang noch mal von vorne an." Der Mann hinter dem Tresen holte, fast schon routiniert, ein Blatt aus einem Kasten, der auf dem Tresen stand.
"Also, das war so: Ich bin ganz normal wie jeden Tag zum Bäcker gegangen, um meine Brötchen zu holen. Als ich dann in die Brauergasse eingebogen bin, ist mir jemand in den Weg getreten. Er hat gesagt 'Gib mir dein Geld!'. Und weil ich meine Gebühren im letzten Monat nicht bezahlt habe, habe ich das dann auch getan. Aber dann ist er einfach abgehauen, ohne mir eine Quittung zu geben!"
"Ein typischer Fall von unlizensiertem Diebstahl also."
Nach kurzem Schreiben hielt der Mann, der die Anzeige entgegennahm inne. "Hm, wir könnten ja theoretisch vorgefertigte Blätter drucken lassen... dann würde das Ganze schneller gehen", murmelte er. Dann schrieb er den Text schnell zu ende und erhob sich.
"Ich trommel' nur schnell die Jungs zusammen, die heute dran sind. Wenn wir den Dieb haben, melde ich mich bei dir", sagte er dann.
"Danke Gert. Du weißt ich zähle auf euch... den Leuten von der Wache habe ich noch nie vertraut, weißt du."
"Schon in Ordnung, Mos. Wir werden uns darum kümmern."
Mos verließ das Gebäude, während Gert in den Bereitschaftsraum der Bürgermiliz sah und meinte:
"Wir brauchen ein paar Jungs um einen unlizensierten Diebstahl aufzuklären."
Sofort erhoben sich drei Freiwillige.
"Prima, endlich gibts was zu tun!", rief einer von ihnen und setzte sich seine Brille auf, die er zuvor gelangweilt geputzt hatte.

Dreieinhalb Stunden später befanden sich die Milizionäre wieder im Aufenthaltsraum.
"Das ging aber schnell", meinte einer ihrer Kollegen, der verzweifelt versuchte, seine Schnürsenkel zu entknoten. Jemand hatte es ausgenutzt, dass er eingeschlafen war, während er auf einen Auftrag wartete.
"Tja, so ist das eben wenn man sich unter der Bevölkerung gut auskennt", antwortete der Mann mit der Brille.
"Wieso? Was war denn?"
"Naja, die Meisten von uns kennen sich in der Gegend gut aus, weißt du? Und deswegen wissen wir auch, wer am ehesten für so eine Tat in Frage kommt." Er lehnte sich mit einem selbstzufriedenem Gesicht zurück.
"Ah, verstehe. Wer war es denn?"
"Nachdem wir mehrere Leute befragt haben war der Fall eindeutig: Der Dieb war Theo Kleinschuh. Seit ich den kenne weiß ich, dass er sein Geld nicht immer mit ganz legalen Mitteln verdient. Man hat ihn oft nachts herumschleichen sehen, was mehrere Personen bestätigen konnten. Außerdem wurde er von unserem Opfer identifiziert."
"Na dann ist ja gut", meinte sein Sitznachbar und zog so fest an einem Schnürsenkel, dass er riss.
"Mist."

*


Zwei Tage später. Menélaos lief eine neblige, nur noch schwach durch das letzte Sonnenlicht des Abends erhellte Gasse entlang. Sein Ziel war eine kleine Taverne, die an einer Kreuzung stand. Die Fenster waren erleuchtet, das Schild mit der Aufschrift Zum blöden Barbaren schwang sanft im Wind und quietschte dabei. Der Szenenkenner sah sich schnell zweimal um und betrat dann die Spelunke.
Drinnen saßen schon die ersten Gäste, die Feierabend hatten und den Abend in Gesellschaft mit einigen möglichst starken Getränken verbringen wollten. Der Gefreite setzte sich an einen der stärker bevölkerten[3] Tische und warf einen Blick in die Runde, der sagte "Ich suche jemanden ganz bestimmtes und ich weiß dass ihr Jungs wisst wo er ist. Und wenn ihr mir das sagt, werdet ihr morgen einen schönen Tag mit eurem noch vorhandenem Gebiss verbringen." Solch intellektuelle Reden haltende optische Entitäten hatten große Überzeugungskraft.
"Kennt ihr einen gewissen 'Albert Schuhhauer'?"
Die drei Tischgenossen sahen sich kurz an. Sie entsprachen den perfekten Klischees der Taverneninformanten: Einer war dicklich, der Zweite hatte einen langen, weißen Bart und wenige Zähne und der Dritte hatte eine riesige Triefnase.
"Ja, durchaus", sagte der beleibtere Mann, der an diesem Abend erst ein Bier hatte.
"Wenn meine Kehle nicht so trock-"
"Wirt! Ein Bier für den Mann da. Die Rechnung geht auf mich."
"Äh, na schön, also, hör mir zu: Albert wohnt seit kurzem in einem verfallenem Haus in der Seestraße..."
Eine Pause entstand.
"...und?"
"Krächz", sagte der Triefnasige und die drei lachten.
"Äh, was?"
"Das heißt, dass die zwei Anderen ebenfalls trocke-"
"Wirt! Noch zwei Bier hierher!"
Der Mann mit den Informationen wirkte etwas perplex, bedeutete dann aber einem seiner Kumpanen, weiterzusprechen.
"Er ist dort vor allem Abends anzutreffen, die Hausnummer ist vierundzwanzig", sagte der mit dem langen Bart und schaute zum Wirt herüber, der mit geringer Sorgfalt Bier in einen Krug schüttete.
"Danke", sagte Menélaos schnell, knallte zwei Münzen auf den Tisch und rannte aus der Taverne.
"Was war denn mit dem los?", fragte der Dritte im Bunde und zog die Nase hoch.
"Keine Ahnung", meinte Dickliche, "alles was ich weiß, ist, dass er einen Dollar zuviel dagelassen hat."

Schmelz hetzte die Straße entlang, wich Menschen aus und drängte sich durch enge Gassen, um so wenig wie möglich aufzufallen. Schließlich erreichte er das Wachhaus und stürmte in den Bereitschaftsraum der S.E.A.L.S.
"Wer auch immer grade verfügbar ist, sofort in die Seestraße vierundzwanzig!", rief er völlig außer Atem, wankte in den Raum und sackte auf einen Stuhl. Verwirrt blinzelnd sahen ihn Calwyn Steinkerber und Michael Machwas an.
"Na los! Da ist ein Verdächtiger! Vielleicht hat ihn die Bürgermiliz noch nicht erwischt!"
Sofort sprangen die beiden Gefreiten von ihren Stühlen auf und rannten aus dem Wachhaus.
Verflixt, zu dumm dass ich nicht direkt dorthin kann, ohne meine Identität zu gefährden!

Kurz darauf erreichten die Wächter mit schmerzenden Beinmuskeln das Haus mit der Nummer vierundzwanzig. Es war keine Abteilung der Bürgermiliz in Sicht.
"Du siehst...nach einem Hintereingang, ich schau mal ob ich ihn dazu...bringen kann mich reinzulassen!", sagte Michael schwer atmend und klopfte an die Tür.
"In Ordnung!", antwortete der ebenso atemlose Calwyn und verschwand in der nächsten Seitengasse.
Es tat sich lange Zeit nichts, der Vektor klopfte erneut. Dann öffnete er vorsichtig die Tür, die verwunderlicherweise nicht abgeschlossen war. Nach kurzer Inspektion musste Michael leider feststellen, dass sich niemand in dem Haus befand.
Als er es wieder verließ, traf er Calwyn, der einen Zettel in der Hand hielt und betreten zu Boden blickte. Als der Gefreite ihn las, stampfte der Zwerg wütend mit dem Fuß auf.

Lieber Stadtwächter,
leider müssen wir dir mitteilen, dass wir den hier ansässigen Herrn Albert Schuhhauer bereits inhaftiert haben.
Mit freundlichen Grüßen,
die Bürgermiliz.
PS: Haha, wieder schneller!


*


Ein kühler Wind wehte an diesem Abend, und Jargon freute sich eher wenig auf seinen heutigen Nachtdienst.
Vermutlich werd' ich wieder nur rumsitzen und meine Akten sortieren, dachte er, als er die Tür zu seinem Unterschlupf abschloss und die Unbesonnenheitsstraße entlangging. Erstaunlicherweise schien heute recht viel los zu sein, Schneidgut beobachtete einige merkwürdig wirkende Leute, die in den Schatten ziemlich fehl am Platz wirkten. Sie standen vor einem Haus das, soweit er wusste, einem ehemaligen Soldaten gehörte. Bei näherem Hinsehen erkannte er an einem nach außen gewandtem Mann, der offenbar Schmiere stand, eine Marke, die auf Brusthöhe angebracht war. Jargon war seit einiger Zeit, wie er bemerkt hatte, eher kurzsichtig, und so konnte er nicht erkennen, was darauf stand. Deshalb ging er auf die verdächtig wirkenden Personen zu, um nachzufragen. Der Schmieresteher sah ihn und kam ihm entgegen.
"Was willst du?", fragte er auf halbem Weg mit lauter Stimme und stellte sich dem Wächter in den Weg.
"Ich wollte mich nur mal erkundigen, was ihr hier tut." Von dem Verhalten des Gegenübers ließ sich der Obergefreite wenig beeindrucken und stellte sich vor den unhöflichen Mann.
"Das ist ein Einsatz der offiziellen Bürgermiliz Ankh-Morporks! Hier gibt es für dich nichts zu sehen, also verschwinde, Zwerg!"[4]
Mit diesen Worten beugte er sich zu dem kleineren Mann hinab und sah ihn finster an. Jargon erwiderte den Blick genauso grimmig und stelle sich auf seine Zehenspitzen.
"Die Bürgermiliz also, was?" Seine Augen verengten sich. "Was wird dem Mann vorgeworfen?"
"Illegaler Handel mit Geiferkraut."
"Und woher habt ihr diese Information?"
"Das darf ich dir nicht sagen, das ist vertraulich! Und jetzt hau ab, das ist unser Job! Wir brauchen euch nicht mehr!" Offenbar hatte der Mann mittlerweile bemerkt, dass sein kleinerer Diskussionspartner zur Stadtwache gehörte.
"Ach ja? Das wollen wir doch mal sehen!" Jargon drängte sich an dem Milizionär vorbei und ging auf den Hauseingang zu, der immer noch so verschlossen war wie vor dem Gespräch. Er schob sich zwischen den überrascht wirkenden Kollegen des Schmierestehers vorbei und öffnete die Tür, die keineswegs abgeschlossen war.
Die sollten doch wissen, dass sich hier kaum jemand ein Türschloss leisten kann, dachte er, während er hastig den Gang entlanglief, dicht gefolgt von den Mitgliedern der Bürgermiliz, die den Verdächtigen offenbar vor ihm verhaften wollten.
Mich mal ausgenommen.
Er öffnete eine zufällige Tür, sah hinein und schloss sie wieder. Bevor er sich der nächsten zuwenden konnte, wurde er von den Konkurrenten zur Seite geschoben und überholt. Er hatte wohl kaum noch eine Chance, ihnen bei der Verhaftung zuvorzukommen, denn sie waren in der Überzahl. Allerdings beachteten sie ihn nicht mehr, also betrat er den Raum, den er zuvor kontrolliert hatte und der gar nicht leer war, wie die Milizionäre vermutet hatten. Das Zimmer war klein, dunkel, und von einem Geruch erfüllt, den Jargon mit seiner mittlerweile geübten Wächternase als illegal identifizierte.
"Herr...", der Obergefreite überschlug schnell seine Gedanken und versuchte, sich an den Namen des Mannes zu erinnern.
Dieser stand vor einer Kiste, offenbar immer noch erschrocken vom plötzlichen Öffnen, Schließen und erneutem Öffnen der Tür.
"Kiesinger", sagt er und setzte sich schnell auf den Behälter.
"Ja, Herr Kiesinger. Sie sind verhaftet wegen illegalen Drogenbesitzes." Mit Schwung holte der Wächter seine Dienstmarke heraus und zeigte sie dem verwirrten Mann.
"Ich muss sie bitten, mit mir zum Wachhaus zu gehen."
Ein triumphierendes Grinsen stahl sich auf sein Gesicht.

*


Nebel waberte in dieser Nacht zwischen zwischen den Häusern. Eine Stille herrschte, die man auf den größeren Straßen selten miterlebte. Es war eine der Gassen, in der vor allem Bürger lebten, die tagsüber arbeiteten und Nachts schliefen, in der sich Kamillus gerade aufhielt. Er stand dicht an die Wand gepresst und sah immer mal wieder hinaus auf die leere Handarbeiterstraße. Ab und zu sah er zu Steffan Angelhart hinüber, der ihn bei diesem Einsatz unterstützte und dicht hinter ihm stand.
Das wird hoffentlich gutgehen, dachte er aber der Junge hat seine Ausbildung ja schon hinter sich. Ich glaube, ich muss mir keine Sorgen machen.
Nach längerem Warten ertönten endlich Schritte, die aus einiger Entfernung näher kamen. Kamillus nickte Steffan zu, der die Geste erwiderte. Mehrere Gestalten marschierten an ihnen vorbei und bogen kurz darauf in eine Seitengasse ein. Die Wächter folgten ihnen vorsichtig und mit gebührendem Abstand. Schließlich erreichten sie ein erleuchtetes Haus, an dessen Tür laut geklopft wurde. Als sie sich kurz darauf öffnete, wurden plötzlich Stimmen und Rufe laut.
"Sie sind verhaftet, im Namen des Gesetzes!"
"Keiner rührt sich!"
"Hände hoch!"
All das wurde gerufen, und ein Aufruhr entstand. Möbel polterten, Fenster klirrten und jemand schrie.
Was ist denn jetzt los?!, dachte der Zwerg erschrocken. Mit einer knappen Geste bedeutete er seinem Kollegen, zu bleiben wo er war und schlich sich näher an das Haus heran. Jemand rannte an ihm vorbei, bemerkte ihn aber nicht. Schließlich spähte er durch ein Fenster, und was er sah, war der Alptraum eines jeden organisiert vorgehenden Wächters:
Die Bürgermiliz hatte zugeschlagen. Sie hatten eine Razzia durchgeführt, und dabei offenbar etwa die Hälfte der Personen festgenommen. Allerdings war ihnen die Andere Hälfte wohl entkommen. Bei näherem Hinsehen erkannte Kamillus, dass der Verdächtige, den er und Steffan seit Tagen verfolgten, nicht dabei war.
Toll gemacht, dachte er säuerlich und wandte sich zum Gehen.
Jetzt können wir grade wieder von vorne anfangen.

*


Es war 15 Uhr vierunddreißig, die beste Arbeitszeit für einen Stadtwächter. Um diese Zeit wurden nachgewiesenerweise die meisten Fälle gelöst oder die entscheidenden Hinweise gefunden, um sie zu lösen. Am heutigen Tag allerdings sah es nicht gerade so aus, als ob es viel zu tun gäbe. Der Innenhof des Wachhauses am Pseudopolisplatz war ungewöhnlich voll, und wenn man berücksichtigte, dass am heutigen Tag relativ gutes Wetter war, konnte man sich auch zusammenreimen, wieso.
Mehrere Gefreite saßen im Kreis auf dem Boden und spielten eine Partie "Leg-Herrn-Zwiebel-rein". Einige Wächterinnen lagen faul in hölzernen Liegestühlen und sonnten sich. Manche hatten ihren Arbeitsplatz nach draußen verlegt und sortierten seelenruhig ihre Akten, die es bestimmt nötig hatten.
Man sah ziemlich gut, dass keiner von ihnen etwas zu tun hatten. Manche blieben einfach zu Hause, aber das fiel niemandem auf. Nicht einmal die eifrigsten Mitglieder der Stadtwache arbeiteten tatsächlich, aus dem einfachen Grund, dass es einfach keine Aufträge für sie gab.
Jargon, der nie gelernt hatte, wie man "Leg-Herrn-Zwiebel-rein" spielt und die Frühlingssonne eher als unangenehm warm empfand, saß lieber in seinem Büro und blätterte lustlos durch eine seiner schon längst sortierten Akten. Das tat er nun schon seit einer ganzen Weile, und er wusste nicht, wieso er überhaupt hier war. Zu versuchen, der Bürgermiliz bei ihren Fällen zuvorzukommen hatte er schon längst aufgegeben (und, wenn er ehrlich zu sich selbst war, wollte es auch lieber nicht mehr versuchen, denn möglicherweise verbarg sich hinter einem der Milizionäre ein Nachbar, der bestimmt nicht gut auf ihn zu sprechen gewesen wäre).
Einige der Wächter taten es ihm gleich, aber trotzdem war der Großteil von Ankh-Morporks Polizeiapparat von der Bürgermiliz vertreten. Bisher gab es auch keine Probleme damit. Soweit Jargon wusste, hatte sich noch niemand über die Arbeit der Konkurrenten beschwert.
Immerhin, dachte er, ist die Sicherheit der Bürger sichergestellt.
Er seufzte und fühlte sich furchtbar nutzlos.

*


"Und wieder einmal haben wir einen Auftrag erfolgreich ausgeführt", meinte Robert Harthauer, Mitglied der Bürgermiliz, nachdem er einen weiteren überführten Verbrecher in eine der Zellen verfrachtet hatte, die sich im Keller des Gebäudes befanden.
Sein Kollege, Albert Graubeißer, kratzte sich am Kopf und nickte.
"Naja, schon."
Robert sah ihn verwundert an.
"Was ist denn?"
"Weißt du, ich... äh, es ist so, dass ich... hm, wie sag' ich das denn am besten?", sagte er mehr zu sich selbst als zu seinem Gegenüber, während sie die Treppe hinaufstiegen.
"Nur raus damit. Ich werde dir schon nicht den Hals umdrehen."
"Naja, also, es ist so- du weißt ja, weswegen wir den Bert eingesperrt haben, nich'?"
"Ja, wegen unlizensiertem organisiertem Glücksspiel... wieso?"
Albert sah betreten zu Boden. Sie blieben vor der Tür zum Aufenthaltsraum stehen. Endlich fiel der Groschen bei Robert.
"Du meinst doch nicht ernsthaft, dass...?"
"Naja, ich hätte gedacht, wenn wir ihn laufen lassen vergisst er die Schulden, die ich bei ihm habe."
"Aber er ist ein gesuchter Verbrecher!"
"Na und? Er ist einer von vielen. Der wird jetzt auch keinen Unterschied machen. Wir könnten einfach behaupten, dass er aus der Zelle ausgebrochen ist. Dann kriegen wir möglicherweise auch endlich den Zuschuss für die Renovierung. Wir würden zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen!"
Alberts Augen huschten zwischen dem Gesicht seines Kollegen und dessen Schlüsselbund hin und her. Robert seufzte.
"Na schön." Er hielt ihm den Schlüsselbund hin.
"Aber den habe ich dir nie gegeben, wenn du erwischt wirst!", sagte er mit erhobenem Zeigefinger.
"Klar, kein Ding", sagte der Verschuldete erleichtert, schnappte sich den Schlüsselbund und huschte in Richtung Treppe.

*


Weitere Wochen vergingen. Die Stadtwache konnte man getrost als inaktiv bezeichnen, denn kein Fall mehr wurde von ihrer Seite gelöst. Die wenigsten Wächter machten sich Sorgen darüber, jedenfalls solange, bis der Kommandeur überraschend eine Versammlung einberief, die in der Kantine abgehalten wurde. Überraschenderweise bekam jeder einen Platz, und als sich Araghast erhob, um zu reden, verstummten die Wächter, um ihm zu lauschen.
"Verehrte Mitwächtevernichten oder unkenntlich machen. r und Mitwächterinnen", begann er, "so Leid es mir auch tut, euch aus eurer freudigen Apathie zu reißen, aber die Lage ist ernst. Der Patrizier hat in den letzten Tagen mehrmals angedeutet, die Gelder zu kürzen und Personal zu entlassen, falls nicht bald wieder Normalbetrieb herrscht. In den letzten Wochen kommen wir so ziemlich gar nicht mehr dazu, irgendeinen Fall zu lösen. Das wird allerdings immer dringlicher. Vor allem eine Verbrecherbande, die in den letzten Wochen für Unruhe sorgte, muss so schnell wie möglich gefasst werden. Bisher konnten weder wir noch die Bürgermiliz etwas gegen sie ausrichten. Wir allerdings eher weil die Milizionäre uns immer wieder dazwischenfunken. Das heißt zum Beispiel, dass sie uns oft Informationen vorenthalten oder Spuren und Hinweise durch ihre ungestüme Art, an Tatorten aufzutauchen,
Die Bande überfällt vornehmlich Banken, Postkuriere und Geldtransporte. Merkwürdigerweise scheint die Miliz immer zu den Tatzeiten an der falschen Stelle zu sein. Nun habe ich eine Vermutung." Er machte eine kurze Pause. "Jemand füttert die Miliz mit falschen Informationen, wahrscheinlich ein Mitglied dieser Bande, das sich eingeschleust hat. Meine Idee wäre jetzt, dass wir selbst jemanden in die Miliz integrieren. Dieser Jemand muss herausfinden, wer die falschen Informationen weitergibt und, vor allem, wie wir dafür sorgen können, dass wir nicht völlig aufgelöst werden. In den letzten Tagen habe ich oft bemerkt, dass auch die Milizionäre nicht immer einen guten Job machen."
"Hört sich gut an", meinte Romulus und kratzte sich am Kinn.
"Glücklicherweise habe ich genug verdeckte Ermittler, die diesen Fall übernehmen können."
"Ich könnte bestimmt noch ein paar Szenenkenner beisteuern", ergänzte Rea.
"Dann ist es also beschlossen", meinte Araghast und rieb sich die Hände, "wer meldet sich freiwillig?"

Kurz darauf saßen außer Araghast, Rea und Romulus nur noch Nyria, Menélaos, Damien und ein großer Teil des RUM-Mitgliederstabes in der Kantine. Keiner von ihnen hatte sich ausdrücklich freiwillig gemeldet.
"Sehr schön", meinte Bregs und lehnte sich auf seiner Bank zurück. "Da wir uns jetzt im kleinen Kreis befinden, werde ich euch wörtlich wiedergeben, was mit Vetinari gesagt hat." Er legte die Fingerspitzen aneinander und räusperte sich. "'Herr Kommandeur', sagte er, 'mir scheint, die Stadtwache hat in letzter Zeit einiges an bürgerlichem Ansehen und Priorität in der Stadt verloren. Wenn dieser Zustand weiterhin so anhält, werde ich mich gezwungen sehen Maßnahmen zu ergreifen. Es scheint mir, dass die gewöhnlichen Bürger der Stadt mit einem kleineren Budget dazu in der Lage sind, eine genausogute, wenn nicht sogar noch bessere Arbeitshaltung an den Tag zu legen wie die Stadtwache.'"
Die Zuhörer erschauerten.
"Maßnahmen", murmelte Romulus im Tonfall von 'Massenvernichtungswaffen' und bekam eine Gänsehaut.
"Wie ich sehe erfasst ihr den Ernst der Lage. Deswegen will ich euch nochmal ausdrücklich darauf hinweisen, dass eure Aufgabe nicht nur darin besteht, den falschen Informanten auszumachen. Ihr solltet außerdem versuchen, an Informationen zu kommen, die die Bürgermiliz nicht gut dastehen lassen. Das ist zwar nicht die feine ankhische Art, aber wenn wir die Stadtwache weiterhin erhalten wollen, müssen wir eben selbst... Maßnahmen ergreifen."
Nyria meldete sich zu Wort.
"Das heißt dann so viel, dass wir gucken sollen ob die Dreck am Stecken haben, richtig?"
"Kann man so sagen." Araghast erhob sich. "Ich wünsche euch viel Glück. Denn wenn wir es nicht schaffen, Vetinari von unserer Wichtigkeit zu überzeugen, werden wir bald alle auf der Straße stehen."

Es war schon später am Abend, als sich die Tür zum Sitz der Bürgermiliz öffnete und eine schmale Gestalt hereinschlurfte, gefolgt von einer Zweiten, etwas größeren. Beide waren nicht gerade so gekleidet, wie man es von einem ehrenhaftem Bürger erwartete: Die schmale Gestalt, die sich als Frau herausstellte, trug eine grüne Hose und ein Hemd mit einer Weste darüber. Ihr Begleiter, der eine nahezu krasse weiße Hautfarbe hatte, trug schmutziges Schwarz. Die Beiden marschierten zielstrebig auf den Tresen zu, und der momentan im Dienst befindliche Milizionär blickte sie erwartungsvoll an.
"Was kann ich für euch tun?", fragte er höflich und lächelte sie an.
"Ich und mein Freund hier", die Frau zeigte auf ihren Begleiter, "möcht'n uns freiwillig melden", antwortete sie und erwiderte das Lächeln nicht ganz so enthusiastisch.
"Wofür?"
"Für den Miliz-Dienst."
"Gibt's dafür bestimmte Gründe? Also, warum ich euch nehmen sollte?" Er beäugte das Duo kritisch.
"Durchaus", meinte der bleiche Mann und nickte. "Erstens mal kennt sie hier sich prima in Ankh-Morpork aus und hat gewisse Verbindungen."
"Außerdem", setzte die Frau fort, "macht mein Kumpel ordentlich Eindruck, wenn's darum geht, Leute auszufragen. Wie Se seh'n hat er ne ganz schön blasse Hautfarbe, was ihn wie nen Vampir ausschauen lässt. Er ist aber keiner."
"Wirklich nicht?"
"Definitiv nicht. Ich hatte bisher jedenfalls noch keinen Drang dazu, Leute zu beißen, ahaha", erwiderte der Bleiche.
"Hm, in Ordnung, das reicht mir. Immerhin sind wir hier nicht bei der Stadtwache."
"Richtig", antwortete der Definitiv-Nicht-Vampir.
"Gut, ihr könnt euch da hinten im Aufenthaltsraum hinsetzen, bis ein Auftrag reinkommt. Wenn ihr einen kriegt, zieht die hier an." Er zeigte auf eine Kiste, in der mehrere aus Holz geschnitzte Dienstmarken lagen. "Bis dahin könnt ihr machen was ihr wollt."
Die zwei neuen Milizionäre taten wie ihnen geheißen und betraten den Raum, in dem sich momentan nicht viele ihrer Kollegen aufhielten. Nur ein älterer, hutzliger Mann saß auf einer der Bänke und las in einem Buch...

"War ein Kinderspiel, Mäm", meinte Damien, als sie am nächsten Tag Bericht erstatteten. Nyria, die die Zweite im Bunde gewesen war, nickte.
"Man kann kommen und gehen wie und wann man will. Sofern man etwas nützliches zum Fall beiträgt, darf man sich ein paar Münzen am Tresen abholen, sobald man nach Hause geht. Je nachdem inwieweit die erhaltene Information den Fall beeinflusst kriegt man mehr oder weniger", erklärte sie. "Der Mann hinterm Tresen führt eine Liste."
"Ich muss schon sagen", erwiderte Rea, "organisiert sind sie ja."
Sie sah von Damien zu Nyria und trommelte mit ihren Fingern auf den Schreibtisch.
"Als nächstes werden die von Rum jemanden einschleusen. Ich denke, wir werden nicht alle unsere Szenenkenner rekrutieren lassen, es könnte sonst vorkommen, dass die Milizionäre Verdacht schöpfen. Und das müssen wir um jeden Preis verhindern."

*


"Ich habe eine neue Information erhalten, was diese Verbrecherbande angeht", sagte Berk Schleicher, der im Moment an der Reihe mit Reden war. Es war eigentlich ziemlich ungewöhnlich, eine Versammlung einzuberufen, denn normalerweise war das nicht nötig. Allerdings hatte die Miliz in der letzten Zeit Schwierigkeiten damit, eine ganz bestimmte Verbrecherbande festzumachen, und deshalb kam man zusammen, um wichtige Informationen zu teilen.
"Aber Berk", ertönte eine Stimme in der Versammlung, "deine Informationen haben sich bisher immer als falsch herausgestellt!"
"Das mag ja sein", meinte der kleinwüchsige Mann, "aber diesmal bin ich mir ziemlich sicher. Ich habe jetzt nämlich eine andere Quelle, und der vertraue ich um einiges mehr als der Alten. Vertraut mir. Nur dieses eine Mal noch."
"Na schön", antwortete der Besitzer der Stimme, "dieses eine Mal noch. Aber wenn sie sich wieder als falsch herausstellt, müssen wir dich leider das nächste Mal ignorieren."
"Gut", antwortete Berk und räusperte sich. "Ich habe erfahren, dass die Räuberbande in zwei Tagen versuchen wird, den Nebensitz der Ankh-Morporkianischen Zentralbank auszurauben. Meine Quelle ist, wie ich bereits sagte, sehr zuverlässig. Wir müssen also nur einige Milizionäre bereitstellen, die den Überfall abwarten und dann überraschend zuschlagen. Die Räuber werden keine Chance haben!"

Einige Minuten später hatte man sich auf Berks Plan geeinigt. Die Milizionäre begaben sich wieder an ihre Tätigkeiten. Der Aufenthaltsraum war wieder einigermaßen stark bevölkert, und ein kleines Gespräch entspann zwischen einem neuerem Mitglied der Bürgermiliz und einem der erfahreneren Mitgliedern.
"Sag mal, dieser Berk... ist der sowas wie euer offizieller Informant oder so?" Der Kerl mit der fast weißen Haut wirkte interessiert und hatte einen unschuldigen, fragenden Blick.
"So könnte man es ausdrücken, ja", antwortete der Gesprächspartner und kratzte sich an seinem Bein. Es war bekannt, dass er Flöhe hatte, und sein bleicher Kollege hielt respektvoll Abstand zu ihm.
"Wie meinst du das?"
"Naja. Wenn es eine Versammlung gibt, so bringt er meistens die präzisesten Informationen ein, und an die halten wir uns auch. Jedenfalls liegt er so ziemlich nie falsch, außer jetzt bei der Sache mit diesen Bankräubern." Der Flohmann zuckte mit den Schultern.
"Verstehe."

"Was gibt's, Lance-Korporal?", fragte Rea ein wenig überrascht, als Damien eine halbe Stunde später plötzlich in ihr Büro gestürmt kam. Nach kurzem Salutier-Austausch begann er mit den Worten "Ich weiß jetzt, wer der Bürgermiliz falsche Informationen zukommen lässt!"
Dann berichtete er das zuvor Gehörte.
"Gut gemacht, Bleicht!", sagte die Abteilungsleiterin, nachdem er seinen Bericht beendet hatte. "Aber wir sollten nicht zu überstürzt handeln. In den letzten Tagen haben wir selbstständig Informationen gesammelt. Die decken sich zwar tatsächlich nicht mit denen, die dieser Berk eingebracht hat, aber das muss ja nichts heißen." Sie sah ihn scharf an. "Wir müssen uns erst sicher sein, bevor wir Irgendjemanden festnehmen. Sonst könnte uns das Vetinari verübeln, und dann wären seine Maßnahmen nicht weit."
"Verstanden, Mäm."

Zwei Nächte später war der große Tag. Sowohl Stadtwache als auch Bürgermiliz überwachten eine Bank - allerdings zwei verschiedene. Während mehrere Milizionäre möglichst unauffällig und mit leichten Waffen ausgerüstet vor und in dem kleineren Abkömmling der Zentralbank wachten, wurde von der Stadtwache die um einiges kleinere, private Karlsbank am Platz der gebrochenen Monde bewacht. Es war des Weiteren noch zu sagen, dass Letztere eine um einiges organisiertere Bewachung vornahm: Auf allen umliegenden Dächern waren FROGs postiert, die SEALS und DOGs lauerten in mehreren Seitengassen während RUM die Hauptbewachung unternahm. Von ihr aus wurden mehrere Wächter, als harmlose Bürger verkleidet, in der Bank postiert. Es konnte eigentlich nichts schiefgehen.
Eigentlich.

Es war dreizehn Uhr zwölf. Um diese Uhrzeit hielten sich die wenigsten Bürger in den Banken auf, es war Mittagessenszeit. Es war, wenn man so wenige Zeugen wie möglich haben wollte, der perfekte Zeitpunkt für einen Banküberfall. Und das war offenbar auch die Meinung der Bankräuber, die genau zu diesem Zeitpunkt einen Überfall auf den Nebensitz der Ankh-Morporkianischen Zentralbank starteten.
"Hände hoch, das ist ein Überfall!"
"Hände hoch, im Namen des Gesetzes!"
Mehrmals erklang das Twäng, das von einer schießenden Armbrust stammte, es ertönten laute Rufe und Schreie, Metall knallte auf Metall.
"Friss das, du naiver Miliztrottel!"
Blut spritzte. Jemand fiel zu Boden, dann wurde ein anderer Milizionär von einer schweren Keule gefällt. Die Räuber stürmten zum Tresen, schlugen den Kassierer nieder und stürzten an ihm vorbei in Richtung Tresorraum. Dann konnte niemand mehr um Hilfe rufen.

*


Stille herrschte in der Kantine des Hauptsitzes der Bürgermiliz. Es war eine Versammlung einberufen worden, um den Toten, die es bei dem Überfall gegeben hatte, Ehre zuzusprechen. Doch kaum jemand wollte die Stimme heben. Berk Schief war nicht anwesend. Niemand wunderte sich. Plötzlich ertönte eine Stimme.
"Ich will nicht mehr."
Niemand antwortete. Der Sprecher erhob sich, verließ das Zimmer und schloss die Tür.
"Er hat recht", sagte Jemand. "Ich will auch nicht mehr."
Doch er verließ das Zimmer nicht. Nach kurzem Schweigen erhob er sich.
"Wir hätten es wissen sollen", fügte er hinzu, und plötzlich hob er seine Stimme.
"Wir hätten es wissen sollen!"
Weiteres, tiefes Schweigen.
"Wir haben wirklich geglaubt, wir wären der Stadtwache überlegen. Aber wisst ihr was? Wir waren es nie." Er kletterte auf eine der Bänke und sah zu seinen Kollegen herab.
"Wir wurden nie ausgebildet. Ich habe nie gelernt, mit einer Waffe umzugehen - und die, die gestern ihr Leben ließen, nur spärlich. Wir wurden nie wirklich organisiert. Niemand weiß, welche Fälle bisher von uns gelöst wurden, weil wir die Blätter einfach fortgeworfen haben. Wir waren nie bereit." Der Redner lies traurig den Kopf hängen.
"Trotzdem haben wir versucht, unsere Fälle zu lösen. Aber wisst ihr was? Ich bin mir nicht einmal sicher, ob wir überhaupt welche gelöst haben. Ich jedenfalls wohl kaum. Alles, was ich getan habe, war, auf das Getratsche der Anderen zu hören und daraus zu schließen, wer als ehestes als Täter in Frage kommt. Ich habe nie Fingerabdrücke abgeglichen. Ich habe nie Blutspuren verfolgt. Und dennoch habe ich Menschen eingesperrt, ohne mir ihrer Schuld überhaupt sicher zu sein."
Er zog seine Marke aus und ließ sie auf den Boden fallen.
"Ich will nicht mehr."

*


"Verehrte Wächter", begann Araghast seine Rede während einer erneuten Wächterversammlung, "ich bin fast froh, euch mitzuteilen, dass sich die Bürgermiliz aufgelöst hat. Aber nur fast." Er holt tief Luft. "Wie ihr alle wisst, war der Anlass dafür alles andere als erfreulich. Deswegen kann man ihre Auflösung wohl kaum als Erfolg bezeichnen. Sie haben aufgrund dieses Massakers eingesehen, dass sie eigentlich überhaupt nicht dazu gemacht sind, Kriminalfälle zu lösen. Die Meisten von ihnen waren einfache Bürger, Familienväter, Arbeiter. Mehrere derjenigen, die vor zwei Tagen ihr Leben lassen mussten, hinterließen Kinder und Frauen. Als Wächter ist man, so hart es klingt, darauf eingestellt. Wir wissen, was für Gefahren unser Beruf mit sich bringt. Aber ein einfacher Bäcker oder Metzger? Sie rechneten wohl kaum damit, die Kehle aufgeschlitzt zu bekommen, oder einen Schädelbruch zu erleiden, wenn sie sich nur ein paar Dollar nebenher verdienen wollten. Ich möchte, dass ihr das Alle einseht. Jeder von euch. Es gibt nichts zu feiern."
Der Kommandeur schüttelte traurig den Kopf.
"Es gibt nur Tote zu betrauern."
[1] Jeder weiß, dass das einzig richtige Passwort 'Schwertfisch' lautet.

[2] Eine illegale Droge, die den Konsumenten Speicheltreibende Halluzinationen beschert. Vor allem bei sich abmagernden Näherinnen beliebt, die so ihren Drang nach Essen stillen, ohne zunehmen zu müssen.

[3] Das kann man ruhig wörtlich nehmen. Der Wirt kannte das Wort 'Hygiene' nur als Synonym für 'mehr Arbeit', was etwa so viel hieß wie 'lieber nicht'.

[4] Die Beleidigung hätte mehr Wirkung erzielt, wenn Zwerge nicht mittlerweile eine durchaus wichtige Stütze der Ankh-Morporkianischen Gesellschaft gewesen wären.




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Feedback:

Von Braggasch Goldwart

01.06.2010 17:41

Meiner Mienung nach diene bisher mit Abstand beste single. Ein feiner Humor und eine interessante story mit einem schönen und überraschenden Ende. Hier und da solltest du noch stärker auf Wiederholungen achten und diese vermeiden und auch nicht jedes Wort braucht ein Adjektiv oder Adverb - aber dennoch, wie oben schon angedeutet, mit ganz oben in der Pokeywertung. :)

Von Breda Krulock

01.06.2010 17:41

Hübsch geschrieben, aber mir fehlte ein wenig der Pepp. Die Idee war da, aber ein bisschen mehr Spannung in der Umsetzung wäre schön gewesen. Es gab keine *trommelwirbel* Spannungskurve.Aber als Pokal fand ich sie sehr gut!

Von Ophelia Ziegenberger

01.06.2010 17:41

Eine ordentliche Pokalsingle mit vollständigem Plot und passend wiedergegebenen Charakteren. Die Vorlage wurde gut eingebracht. Mir gefiel der Ansatz, dass die Bürger über ganz eigene Kontakte und dadurch durchaus viele Ermittlungsmöglichkeiten verfügten, dass sie die Arbeit gut erledigten. Gleichzeitig empfand ich den Gedanken folgerichtig weiter gesponnen und das tragische Ende als logisch und wunderbar konsequent.

Von Sebulon, Sohn des Samax

01.06.2010 17:41

"Verehrte Mitwächtevernichten oder unkenntlich machen. r und Mitwächterinnen", begann er?Naja. Passiert.War eine klasse Single, fand ich. Hut ab. *zieht den Hut*

Von Sillybos

01.06.2010 17:41

Eine schöne Mission. Du hast viel Potenzial, das du auch immer häufiger zeigst. Weiter so! Man merkt deinen Szenen an, wenn du dir Mühe gibst, und das ist bei der Mehrzahl der Szenen der Fall. :-) Du schreibst (meistens) in einem schönen Stil, auch wenn deine Sätze manchmal etwas zu abgehakt wirken für meinen Geschmack. Aber das ist Geschmackssache.Meine Kritik richtet sich eher auf die Gesamtkonzeption. Deine Idee und den Schluss fand ich sehr gut, aber leider viel zu abrupt. Die Geschichte mit der Bande hast du nicht wirklich aufgelöst, auch sonst bleiben viele Fragen offen. Darüber hinaus gab es ein paar grobe Vereinfachungen und Pauschalisierungen im Plot, die bisweilen etwas unrealistisch waren. Aber mit ein bisschen mehr Sorgfalt bei der Ausarbeitung des Plots sollte das kein Problem mehr darstellen. :-)

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