Dichter-Dusel

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von Gefreiter Menélaos Schmelz (SEALS)
Online seit 01. 02. 2010
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Es häufen sich die Anzeichen, dass ein seit Langem gesuchter Meisterverbrecher nach Ankh-Morpork zurückgekehrt ist. Schafft es eure Abteilung, den Täter zu fassen?

Dafür vergebene Note: 12

"Jaja...und dann hab ich nach dem Daunen-Krieg bei meinem Vater auf dem Hof den Acker bestellt."
"Soso."
"Der ist aber nie geliefert worden..."
Mit einem Seufzen nippte der greise, alte Mann an seiner leeren Kaffeetasse. Menélaos atmete auf. Er liebte seinen Beruf als Szenekenner, aber manche seiner Informanten waren so labil, abhängig, gesellschaftlich untragbar, alt oder alles zusammen, dass es ihn an den Rand seiner immensen Geduld brachte. Gerade was Julius Branches anging, lagen die Nerven des gelernten Zuckerbäckers blank.
"Raspeln und Sahnesteif! So spät schon? Julius, ich danke dir für den Kaffee und das nette Gespräch. Wir sehen uns nächste Woche. Halt die Augen offen, ja?"
Ein säuselndes Schnarren und der Speichelfaden aus Julius' Mund waren für Menélaos Antwort genug. Er nahm seine Notizen, brachte das Geschirr in die Küche und verließ die kleine Wohnung in der Schimmelnicht-Gasse am Rande der Schatten. Seit zwei Monaten half er R.U.M. nun bei der Jagd nach einem Erbschleicher, der sich für keine mehr oder weniger wohlhabende, ältere Dame zu schade war und bei deren häufigen und reichlichen Gebrechen er gerne geschickt nachhalf. Es war keine einfache Aufgabe aus den verwirrten Erinnerungen und dem steten Wasserfall aus mehr oder minder senilem Klatsch und Tratsch sinnvolle Indizien für weitere mögliche Opfer oder sonstige Hinweise zu finden.
"...aufpassen wo du hingehst!"
Menélaos schüttelte sich. Das Gefasel des pensionierten Kammerdieners hatte ihn so eingelullt, dass er doch tatsächlich seinem alten "Gebrechen" anheimgefallen war.
"Tut mir Leid, Dolf, ich war mit den Gedanken woanders."
Dolf zog seine Schirmmütze aus dem Gesicht und stemmte die Hände auf die Hüften, mehrere gerollte Plakate unter dem Arm.
"Schon gut, Dicker. Ach, bloß wieder das jährliche Poetrislem. Was auch immer das sein mag.", murmelte der untersetzte, kleine Mann und machte sich daran, eine Hauswand mit Kleister voll zu schmieren. Er rollte eines der Plakate aus und presste es lieblos auf die klebrige Masse.
"Poetrislem?"


Poetrislem Ankh'Morpork

Sonnabend, 20 Uhr in den Hallen der Dichter-Gilde
Startgebühr oder Eintritt: 10 Dollar; Anmeldungen vorab erwünscht!


"Hab ich ja noch nie von gehört." Menélaos kratzte sich am Kopf und murmelte die Namen, die neben den Informationen in ein Kästchen am unteren Ende des Plakats gekritzelt wurden, vor sich hin. "Mumfred Kaligrass, Edgon Speichelschläger, Kalkenstein..."
"Platz machen!"
Menélaos drehte sich um und konnte gerade noch verhindern, unter die Hufe zu kommen, als William de Morgue auf einem Dienstross einen vermeintlichen Falschparker abschleppte.
"Hallo William!"
"Ich kann mich nicht entsinnen, dass wir über 'Sir de Morgue' hinaus waren. Aber ja, sei auch du gegrüßt."
Menélaos war müde und hatte keine große Lust, sich mit dem seltsamen Gefreiten zu unterhalten und er wusste: William ging es ganz genauso.
"Morgen Sitzung, mh?"
"Ja, freut mich, dass du uns auch mal wieder beehren wirst."
"Hatte viel mit R.U.M. zu tun in den letzten Tagen. Naja, ich denke, ich werde noch Bericht erstatten und..."
"Tue das. Wir sehen uns dann wohl morgen."
Der quietschende Karren zog vorbei und William schüttelte den Kopf. Man konnte ihm schon am Rücken ansehen, was er vom Dienst in den Schatten hielt.
Der Halb-Epheber seufzte vor sich hin und ging zurück in Richtung Stadtwache.

Die späte Sonne warf ein rot-oranges Licht durch den Dunst der Stadt und Menélaos hatte die Türe zur Hauptwache erreicht, als er vom oberen Stockwerk bereits lautes Fluchen und Schimpfen ausmachen konnte. Den Rekruten am Wachtresen schien das wenig zu stören und Menélaos schleppte sich offensichtlich verwirrt in die Abteilung von R.U.M.. Im Flur hatte er zunächst Mühe, einer gekonnt geworfenen Tabak-Pfeife, einem Stapel Akten und dem Rest eines vermeintlich durchschnittlich delikaten Mittagessens auszuweichen.
Menélaos verharrte in geduckter Haltung und spähte konzentriert durch den Gang. Ein Schnaufen verriet dem jungen Halb-Epheben, dass sich der Sturm anscheinend etwas gelegt hatte.
"Sir, Korporal Kolumbini, ist alles in Ordnung?" rief er vorsichtig in den Flur.
"Nein. Ach und weh, nein!" Menélaos betrat das Büro des Ermittlers, salutierte und schaute sich um. Das Büro schrie nach Arbeit und überall lagen Akten, Notizen und Fahndungsbilder herum. Aber auf der Mitte des Tisches, gleich neben den verschränkten Armen und dem darin verhüllten Gesicht von dem völlig überarbeiteten Korporal Kolumbini, lag eine Notiz auf dem ansonsten nicht mehr sichtbaren Holzschreibtisch. Interessiert beugte sich Menélaos nach vorne, als Kolumbini aufschreckte und sich schüttelte.
"So. Was gibt's, Gefreiter?" Der Korporal sah wirklich müde aus. Seine Augenränder sangen einen Nekrolog auf den nahezu gebrochenen Willen wachzubleiben und sein beiger Mantel war mit den Ärmeln über den Schultern zusammen gebunden und schien schwer auf dem kurzen Mann zu lasten.
"Ähm...." Menélaos wirkte etwas irritiert, den sonst etwas zerstreuten R.U.M.-Ermittler so gerädert vorzufinden.
"Mach hier nicht den Goldwart, sondern raus mit der Sprache."
"Tut mir Leid, Sir..."
"Schon gut, ich nehme an, es geht um den Fall "Krasser Casanova. Der wurde soeben auf Gleis 2 geparkt, Gefreiter."
"Gleis 2?"
"Redewendung aus Sto Lat. Es heißt, wir haben jetzt wichtigeres zu tun. Etwas viel wichtigeres."
Kolumbinis Augen resignierten vor den Gedanken, die sich hinter ihnen abspielten. Menélaos brannte darauf zu erfahren, was auf dem Zettel stand und was so beunruhigend war, dass es sogar monatelange Arbeit unterbrechen ließ.

Erschöpft ließ sich Dunkan in die Sitzecke auf der improvisierten Bühne fallen. Er schnaufte hörbar und seine Bandagen hingen in Fetzen von den kräftigen Armen herab. Das dunkle, verlassene Theater war voller Staub und die Mittagshitze staute sich in dem kleinen Saal. Ein Loch im Dach tauchte den muskulösen, jungen Mann mit dem langen Spitzbart und dem kahlen Schädel in ein seltsames Licht.
"Das war gut, Dunkan."
Dunkan hörte die Stimme hinter dem pulsierenden Blut in seinem Kopf nur vage. Die zerfetzte Strohpuppe auf der anderen Seite bestätigte die Worte seines Trainers.
"Das Von Fleischeslust und Völlerei von Albrus Prengeldick ging daneben."
"Ja. Das ist unverzichtbar, da wirst du wohl nochmal dran müssen. Der Einband hat Schlagseite und die Metallbeschläge tun ihr übriges. Du wirst dich ranhalten müssen. Einen 600er danebengehen zu lassen kann dich alles kosten."
Dunkan holte tief Luft.
"Hol die 900er. Wir machen noch ein paar Griffübungen. Beeil dich."
Dunkan stand auf und gehorchte. Er musste einfach weiter machen. Er konnte sich nicht allein auf den Mann in Rot verlassen.

"Guten Morgen Wächter! Schön, dass ihr so zahlreich erschienen seid."
Der freundliche Gruß wurde überschattet von der ernsten Miene von Oberfeldwebel Rea Dubiata und der besorgten Duftschwade aus Zitrone und Himbeere. Bis auf wenige Ausnahmen waren die SEALS komplett. Lance-Korporal Bleicht war wie so oft im Einsatz und Ettark Bergig hatte zusammen mit Chi Petto Streifendienst. Es war still im Besprechungsraum.
"Ich komme schnell zur Sache: Ein Mitglied der Dichter-Gilde hat sich vertrauensvoll an uns gewandt, um einen nicht zu unterschätzenden Umstand bei einer wichtigen Veranstaltung zu besprechen. Das ist auch der Grund, warum Korporal Kolumbini heute an unserer Besprechung teilnimmt."
Sie nickte dem kleinen Mann mit der Pfeife im Mund zu.
"Gefreiter Sproing, bitte die Kopien."
Mit einem verächtlichen und sichtlich gequälten Blick stand der junge Gefreite auf und verteilte unter der strengen Aufsicht der Abteilungsleiterin die Blätter.

Rosen sind rot, Veilchen sind blau
es gibt ein Problem, wir wissen genau
das dunkle Schatten,oh Graus, oh Weh
sich legen wie über weißen Schnee,
auf unseren festlichen Dichter-Abend
dem Poetrislem am Sonnenabend,

Wir haben begründeten Verdacht
das jemand in unsere Vorstellung kracht
nicht irgendwer, nicht irgendwie
mit Mord und Totschlag, der rote Louie!
Drum kommet geschwind und helft uns aus
verhindert den Einzug dieser blutrünst'gen Laus
.


"Laus? Das ist ein lyrisches Faux-Pas. Die Dichtergilde hat sich auf Teufel komm raus dem Reim verschrieben." murmelte de Morgue und schob sein Kinn vor.
"Wer ist denn der rote Louie?" fragte Jargon Schneidgut und kratzte sich am Kopf. Das SEALS-Gemurmel brach aus und Rea sah für die nächsten Minuten gnädig darüber hinweg. [SEALS-Gemurmel zeichnet sich durch Kommentare, Missverständnisse, Zank, Klugscheißerei und ängstliche Hysterie aus und ist so durchdringlich wie eine Gestechsrüstung aus Kupferkopf. ]
"Steinschlag nochmal, was für eine gequirlte..."
"....Schande! Der rote Louie? Das hat uns gerade noch gefehlt. Ich dachte, der wäre..."
"... ganz langsam geköchelt worden. Ein Gaumenschmaus sage ich dir. Mit den Zwiebeln konnte man ganz einfach..."
"...den Buckel runter rutschen! Du hast doch keinen blassen Schimmer von Lyrik!"
Rea schaute über die Köpfe ihres Wächter-Tiems hinweg, direkt in die besorgten Augen des anwesenden R.U.M. Ermittlers. Ihr Gespräch vom Vorabend war überaus beunruhigend verlaufen. Die Schwierigkeiten, was Zuständigkeiten in den Hoheitsgebieten der autonomen Dichter-Konsortien angeht, waren nur eines von vielen möglichen Problemen. Sie griff zu der schweren Ersatzhaarspange an ihrem Gürtel und klopfte auf das Pult, bis sich die Lage beruhigt hatte.
"Wir machen das wie immer. Wer eine Frage hat, der hebt die Hand."
Jeder Wächter hatte mindestens eine Hand oben.
"Hauptgefreiter ag LochMoloch war der Erste. Bitte."
"Was ist ein Poetrislem?"
Die Hälfte der Hände wurde runtergenommen.
"Ein neumodischer Sport, der unter Dichtern sehr beliebt ist. Er kommt alljährlich nach Ankh-Morpork und bisher ist weder mir noch irgendeinem anderen Wächter viel darüber bekannt. Deshalb habe ich uns ein paar bewegte Bilder besorgt, mit einer Dokumentation über diesen neuen...Sport. Die Herren und Damen von der Bibliothek und der Kurbeldreher-Gilde haben uns da schnell etwas zur Verfügung stellen können." Sie ging zur Türe.

Marygrin Ohnmacht, der älteste Mann im Vorstand des Konsortiums, blätterte gedankenverloren in einem alten Schinken eines unbedeutenden Dichters, in dem irgendetwas über irgendwem drin stand. Seine Gedanken drehten sich allein um die Bürde, die ihm der Lyrikus auferlegt hatte. Es war ein riskanter Versuch gewesen, der Stadtwache eine Nachricht zukommen zu lassen. Das Konsortium ging in der Regel recht harsch mit solchen Regelbrüchen um und Marygrin fürchtete um Kopf und Kragen. Der alte Dichter saß an seinem Arbeitstisch und faltete die Hände hinter dem haarlosen Kopf zusammen. Sein roter Gehrock und die dunkle Seidenweste waren zerknautscht und der Herrentöter hatte auch schon standhaftere Tage gesehen. Er seufzte und nahm den Zwicker von der dicken Nase, um langsam die Gläser zu polieren, wiederum um seine Nervosität zu kaschieren.
"Es gibt keinen Grund, das Buch von der Zensurliste zu nehmen."
"Aber..."
"Bitte, ich habe jetzt keine Zeit mich noch länger mit Seitenschärfe und Gewicht auseinanderzusetzen. Die giftgetränkten Kanten sind absolut untragbar in einem offiziellen Slem."
"Es ist..."
"Kommt mir nicht schon wieder mit der Ausrede, es sei Teil des Werkes, um den allegorischen und metaphorischen Ergüssen von diesem Lucius Vogel...Dings Nachdruck zu verleihen. Geht jetzt bitte, ich habe zu tun."
Verärgert zog der gedrungene Mann seine Kapuze auf, nahm das Buch und marschierte aus dem Büro.
"Das war jetzt schon der fünfte heute." murmelte Marygrin und zog sich die Handschuhe aus. Den ganzen Tag über wurde er von irgendwelchen Slem-Teilnehmern, Trainern oder Sponsoren wegen Dopingversuchen, Werbeeinnahmen, Bestechung oder neuen Ideen behelligt. Er hatte genug eigene Probleme mit den Sicherheitsvorkehrungen. Das Konsortium hatte eine Abteilung der hauseigenen Sicherheitskräfte vorbeigeschickt, die an jenem Abend Kontrollen an den Teilnehmern und ihren Werken durchführen sollte und für die nötige Ordnung zu sorgen hatte. Doch das Gerücht, dass die Leute des Konsortiums dekadente, unzuverlässige Bolzen seien, ging nicht erst seit kurzer Zeit durch die Reihen der Dichtergilde Ankh Morporks. Sollte der Mord an den Strafvollziehern des Konsortiums wirklich auf Kosten der Rache des roten Louie gehen, wäre das nur der Beginn eines blutigen Feldzuges durch die Reihen der kreativsten und besten Dichter-Köpfer Ankh Morporks.
Er schaute durch das Fenster seines Zimmers nach draußen. Der Drang, eine Ode an den lieblichen Dunst seiner Heimatstadt zu schreiben, überkam ihn und er hatte Mühe seine Hand nicht in die Nähe des Federkiels wandern zu lassen. Es wurde Zeit für den Termin mit Fräulein Dubiata.

Das Licht wurde wieder angemacht, die externen Leute rausgeschickt und Rea zupfte sich ihre Kleidung zurecht.
"So."
Die Gesichter der Wächter waren geprägt von unverhohlenem Unglauben, Irritation und hochgezogenen Augenbrauen, aber auch Interesse und seitens Kannichgut Zwiebels sogar ein Funken Begeisterung. Rea selbst hatte mit jedweder Spinnerei gerechnet und konnte ihre eigene Verwunderung seriös verbergen.
"So viel zum Poetrislem. Dazu noch Fragen?"
Das Doku-Material war recht einschlägig und ließ wenige Fragen offen.
"Andere Fragen?"
Die zweite Hälfte der Hände erhob sicher erneut.
"Ja, Amalarie?"
"Wer ist dieser rote Louie?"
Die Hände gingen erneut zurück.
"Dazu hat Kolumbini aus seinen bisherigen Akten ein improvisiertes Curriculum Vitae vorbereitet..."
Die Hände schnellten hoch.
"Einen Lebenslauf."
Die Hände schnellten zurück.
"Er steht auf der Rückseite des ausgeteilten Bogens."
Die Wächter widmeten sich fleißig der Lektüre.



Name: Louie
Spitznamen: der rote Louie, Schandlouie, handloser Louie.
Herkunft: Unbekannt
Alter: ca. 42
Rasse: Mensch
Merkmale: dunkle Haare, spitzer Kinnbart, Federkiel hinter dem linken Ohr, rote Zunge
Größe: ca. 1,60
Augenfarbe: grün
Strafbestand und weitere Informationen:
Der rote Louie wurde vor 4 Jahren vom autonomen Konsortium der Dichter verfolgt, in Ankh Morpork gefangen genommen und verurteilt. Korporal Kolumbini wurde offiziell vom Konsortium als begleitender Ermittler hinzugezogen. Grund für die Festnahme war ein Mord an einem Ausschussmitglied der Dichtergilde Ankh Morporks (Hickebot Weiherstein), sowie an seiner Ehefrau und Dichterfreunden des verstorbenen Vorstandmitgliedes. Gründe für den Mord war der ehrlose Ausschluss Louies aus der Dichtergilde aufgrund eines umstrittenen Werkes und mangelnder Seriosität. Beschlossen wurde jener Ausschluss von Hickebot und den drei anderen Mitgliedern des damaligen Vorstands.
Hickebot und Louie hatten eine gemeinsame Vergangenheit als Vortrags-Duett. Nach einem Streit, der aus der sich steigernden Rivalität der beiden resultierte, kam es bei einem gemeinsamen Vortrag vor einem Publikum, welches anscheinend wichtige Lektoren, Schauspieler und Theaterbesitzer fasste, zu einem Vorfall. Den Aussagen des roten Louie zufolge soufflierte Hickebot während eines Vortraghängers seinem Partner etwas Falsches zu, was ihn vor dem gesamten Publikum lächerlich machte. Hickebot beendete souverän den Vortrag alleine und wurde vom Publikum und den Kritikern gefeiert, während Louies Karriere stockte und dann abbrach. Hickebot hingegen konnte nicht mehr befragt werden, jedoch gilt es in Dichterkreisen als Fakt, dass Louie den Fehler sich selbst zuzuschreiben hatte.
Während seiner Festnahme schwor er Rache an allen für seinen Ausschluss verantwortlichen Mitgliedern des Konsortium-Vorstandes und an der ungerechten Dichterwelt Ankh Morporks.
Das Konsortium verurteilte den roten Louie zur Höchststrafe, dem Abschlagen der Schreib-Hand und zwanzig Jahren Gefängnis in einer Strafanstalt des Konsortiums in Sto Lat.

Notiz: Es wurden Gerüchte laut, dass der rote Louie ausgebrochen und verschwunden sei. Das Konsortium hält sich bezüglich solcher Informationen bedeckt und bestätigt keines der kursierenden Gerüchte. Eine Nachricht des Vorstandmitglieds Marygrin Ohnmacht, welcher bereits zur Tatzeit Mitglied des Vorstandes war, bestätigt die Befürchtung einer baldigen Rückkehr des Mörders.



"Ja, Ruppert?"
"Was ist das für ein autonomes Konsortium?"
"Viele Dichtergilden weltweit haben sich vor vielen Jahren zu einem Konsortium zusammengeschlossen. Sie haben einen eigenen Bürokratie-Apparat und eigene Gesetze, die an die Gesetze der jeweiligen Gildenhäuser und ihren Ort angepasst werden, aber im Kern erhalten bleiben. Das bedeutet im Falle unserer Stadt, dass wir dort keinen Zuständigkeitsbereich haben und die Angelegenheiten der Dichter unter ihnen ausgemacht werden."
"Aber wieso?"
"Ich bin kein Geschichtsexperte oder Kunsthistoriker, aber offiziell heißt es unter anderem, der Katalog der möglichen Vergehen sei zu immens und unterscheide sich zu sehr von den offiziellen Strafmaßen. Aber wenn ihr mich fragt, ist da ganz einfach eine ganze Stange Dollars in die richtigen Hände geflossen. Das tut jedoch nichts weiter zur Sache."
"Was haben wir dann damit zu tun?" ignorierte William de Morgue das Meldegebot.
"Tja, die Konsortiumsvertretung in Ankh Morpork hat eine Anfrage der Stadtwache zur Unterstützung abgewiesen. In einem Schreiben heißt es, man habe keinen Bedarf an zusätzlichen Schutzmaßnahmen. Die eigenen Sicherheitskräfte seien ausreichend. Marygrin Ohnmacht fürchtet um sein Leben und möchte es nicht in den Hände einer, mit Verlaub, verrufenen, bestechlichen und dekadenten Schutztruppe wissen. Der Poetrislem am kommenden Sonnabend ist ein Silbertablett für mögliche Racheaktionen."
"Das klingt aber eigentlich eher nach einer Sache für FROG oder nicht?" meldete sich Kannichgut Zwiebel.
"Da gebe ich dir Recht. Aber die Auslastung von FROG und RUM ist zur Zeit sehr hoch. Eine Kooperation ist jedoch nicht ausgeschlossen. Außerdem habe ich neben Korporal Kolumbini noch püschologische Unterstützung in Form von Lance-Korporal Sebulon, Sohn des Samax angefordert. Er trifft in Kürze ein. Gefreiter Menélaos, hör auf zu kichern. Das wird eine komplizierte und irgendwie zivile Angelegenheit. Es wird nicht reichen, das Gebäude von außen mit Streifen abzusichern. Ich denke, das ist euch allen klar. Wir haben zu wenig Zeit, genauer gesagt zwei Tage."
Rea Dubiata machte eine kurze Pause. Die Gesichter ihrer Truppe und der aufmerksame Geruch nach Plätzcheni zeigten ihr, dass sie jetzt bereit für weitere Instruktionen waren. Die Türe öffnete sich und ein Zwerg kam herein, salutierte zackig und brummte ein "Morgen." in seinen Bart.
"Sehr gut, dann können wir ja anfangen..."

Der Tag neigte sich dem Ende zu und auf dem Dach eines kleinen Hauses saß ein kleiner Mann in einen dunkelroten Umhang gehüllt und schaute durch das Fenster der Dichter-Gilde. Seine Augen fixierten einen kräftigen, jungen Mann mit blonden, pomadigen Haaren, der aus einem schweren Regal Bücher heraussuchte.
"Er sieht aus, wie sein Vater..."

Jargon Schneidgut schluckte schwer beim Anblick der mächtigen Türe der Dichtergilde. Er hatte seine Unterlagen zusammen mit seinen Zetteln fest unter den Arm geklemmt und sein bestes Hemd angezogen. Er war bestens vorbereitet für seine Mission. Dennoch war er in letzter Zeit nur selten vor die Türe gekommen und wenn, dann schon gar nicht alleine. In der Besprechung war sein Part des Plans schnell klar geworden und der gefiel ihm überhaupt nicht. Er sah sich im frühen Licht des neuen Tages um und sah nahezu niemanden auf der Straße. Die Gilde lag am südlichen Ende der Stadt und das Gebäude war ziemlich groß, reichlich mit Stuck verziert und auf dem Dächerrand prangten die Büsten verschiedener Dichterinnen und Dichter. Er gab sich und seinem Mut einen Ruck und klopfte an. Ein wortloser junger Mann im Frack bedeutete ihm ohne großen Augenkontakt einzutreten und führte Jargon durch einen kurzen Flur in einen Aufenthaltsraum. Der Raum war mit einem herrlichen Fries verziert und Stuck ragte aus allen Ecken der Decke hervor. Es standen kleine kaminrote Sessel auf dem mit Steinfliesen ausgelegten Boden und Jargon machte mindestens zehn Kamine aus. In den Sesseln saßen gut gekleidete Leute mit Büchern oder Schriftrollen, mit Federkielen oder Graphit-Stiften. Generell machte die Gilde einen recht wohlhabenden Eindruck und Jargon hatte Mühe seine Kinnlade im Scharnier zu lassen. Der junge Diener deutete am Ende des Raumes auf eine Türe. Rechts- und Gesetzesangelegenheiten: Konsortium der Dichter, Adelheid Schnapp
Jargon lächelte den jungen Mann unsicher an und öffnete die Türe. Ein schwerer Schwall aus blumigem Parfum knallte dem jungen Gefreiten in die Nase und benebelte für kurze Zeit seine Sinne. Das Licht in dem Raum war gedämpft und überall standen Kerzen und kleine Laternen. Der Raum wurde fast vollständig von einem großen Schreibtisch ausgefüllt. Dahinter ragte ein großes Bücherregal aus dunklem Holz hervor und verdeckte mehr als die Hälfte des einzigen, kleinen Fensters. Jargon hustete und seine Augen gewöhnten sich langsam an das Zwielicht.
"Mit wem habe ich die Ehre?" knarzte es hinter dem Schreibtisch hervor. Jargon, der eine rege Fantasie hatte, hatte kurzzeitig den Eindruck, der Tisch selber hätte gesprochen, wurde aber beim Anblick der fetten Kröte hinter dem Schreibtisch eines besseren belehrt. Adelheid Schnapp, eine Frau mittleren Alters mit dem Gewicht eines vollgerüsteten Zwergenstoßtrupps und der Ausstrahlung eines verbrannten Käsekuchens. Jargon fand, dass sein Kröten-Eindruck gar nicht so unpassend gewesen war. Er zwang sich zu einem Räuspern.
"Jargon Schneidgut mein Name. Stadtwache Ankh Morpork." winselte er. Die Situation, einem Monster von Frau gegenüberzusitzen und der gemeine Parfum-Anschlag hatten ihn aus dem Konzept gebracht.
"Paragraph 22 im großen Buch der Rechtsprechung, Anmerkung 2 unter Ankh Morpork: Es ist den städtischen Institutionen nicht erlaubt, ihre Wirksamkeit auf Gebiete des Konsortiums zu lenken und dort zu handeln." schnarrte Adelheid ohne von ihrem Wälzer aufzublicken. Sie leckte ihre fetten, bemalten Finger an und blätterte um.
"Ähm...ich bin hier...."
"und damit haben Sie bereits gegen 3 Paragraphen verstoßen und 2 richterliche Beschlüsse aus dem Ankh..."
"Stop!" Jargon unterdrückte den Wunsch, ihr an die massige Kehle zu springen. Wenn er eines nicht ausstehen konnte, dann war es der energische Versuch eines Rechtsexperten, ihn mit allen Mitteln in eine unbegründete Defensive zu pressen. Adelheid Schnapp schaute auf und entblößte ein gelbschwarzes Lächeln.
"Was denn? Ich habe bloß das große Buch zitiert. Und habe, wie immer, Recht."
"Erstes Gesetzbuch von Ankh Morpork, neueste Auflage, Paragraph 234 besagt, dass sämtliche Gilden, ohne Ausnahme, von unbewaffneten, rechtskräftig nicht zum Strafvollzug bevollmächtigten Beamten besucht werden können, wenn es sich nicht um gildeninterne Angelegenheiten handelt."
Touché. Adelheid hatte sichtlich nicht damit gerechnet, einem Individuum gegenüberzusitzen, das die Paragraphen des ersten Gesetzbuches von Ankh'Morpork kannte, noch dazu die über 150, wo es richtig zäh wurde.
"Nun, wo Sie schon einmal hier sind. Darf ich sie auf die zeitliche Beschränkung ihres Aufenthalts aufmerksam machen, sowie die im Konsortiumsmanifest festgelegten..."
Jargon hörte ihr aufmerksam zu. Jetzt begann der heiße Tanz der Paragraphen und er hatte sich genau darauf vorbereitet. Diese Adelheid hatte keine großen Anstalten gemacht, sich großartig auf Jargon einzustellen, ihn vorher mit irgendwelchen Phrasen zu flankieren und aus der Reserve zu locken. Ihre Präsenz, das Licht und das drückende Parfum war ein erster, einziger Angriff gewesen. Er hatte seine Wut unter Kontrolle gebracht und die Fäuste zum Block hoch gerissen. In seiner Hand hielt er Auszüge aus allerlei Gesetzestexten, sowie Abschriften diverser Urkunden. Das waren sein Schild und sein Schwert.
Adelheid fügte ihrem Seitenhieb auf die begrenzte Aufenthaltszeit einige leichte Geschütze aus den klatschianisch-morporkischen Dichter-Abkommen zu. Jargon hielt mit dem Stadtmanifest von 1968 dagegen und mauerte sich einen hübschen Wall gegen jeden Versuch, ihn vorzeitig aus dem Gebäude entfernen zu können. Das Schachspiel war eröffnet, der Paragraphenritt begann.
Jargon hielt sich zunächst in der Defensive und wich den teilweise trivialen Gesetzhaubitzen von Adelheid aus, begann aber spätestens, als es um den Schutz der Nicht-Gilden-Mitglieder auf Gildenveranstaltungen ging, mit dem eigenen Feuer. Das war sein Spezialgebiet. In rechtlichen Grauzonen schwamm Jargon wie ein Fisch. Adelheid verschaffte sich immer mehr Verschnaufpausen, indem sie immer wieder in irgendwelchen Büchern nachschlug. Jargon tupfte sich gerade etwas Schweiß von der Stirn, als sie auf einmal aufschrie.
"Aha! Da haben wir es ja. Der Vertrag von 1988 mit den Schutzinstitutionen der Stadt von Ankh Morpork. Paragraph..."
Das war ein Haken. Jargon taumelte innerlich, denn mit einem Stich aus dem eigenen Dolchschrank hatte er nicht gerechnet. Es stimmte, es gab einige Abkommen u.a. mit der Wache. Jargon überlegte und kramte in seinen Aufzeichnungen und Notizen. Adelheid Schnapp lächelte bereits triumphierend, als sie den jungen, nervösen Wächter kramen sah. Jargon wurde immer nervöser. Bitte, bitte, nur dieser eine Absatz...Jargon, du kennst ihn doch. Adelheid klappte ihr Buch zu und besiegelte damit den Sieg über den Rechtsexperte der SEALS. Jargon sah nur zufällig auf den Titel des Buches und wollte schon aufgeben, als ihm eine Idee kam.
"Frau Schnapp, sie erinnern sich sicher an den von ihnen zitierten Paragraph 22 aus dem großen Buch der Rechtsprechung, oder?"
Adelheid Schnapp blickte verwirrt auf ihr Buch und dann in das Gesicht des Wächters.
Drei, zwei, eins...
Adelheid riss ihre gelben Augen auf.
"Nein! Anmerkung 1!"
"Genau, Anmerkung 1."
Sie verstummte. Das krötenhafte Gesicht schien in sich zusammenzufallen.
"...die besagt, dass die 1988 beschlossenen Gesetze im Bezug auf diese Angelegenheit rechtmäßig entkräftet werden, wenn..." fuhr die Kröte fort, doch Jargon führte den Triumph zu Ende.
"...Wenn es sich um eine städtische Inspektion des Gildengebäudes handelt. Das bedeutet, dass die Wache bis zu 2 Wächtern für 24 Stunden zur Inspektion der Instandhaltung des Gebäudes als Vertreter des ausgelasteten Bauamtes in das betroffene öffentliche Gebäude schicken darf. Zum Schutze des Volkes.Termin wird von der Behörde gestellt. Sonnabend 20 Uhr, ich empfehle mich."
Schachmatt.

"Hier bitte, das ist die Liste mit den Teilnehmern für morgen Abend."
Marygrin gab Rea eine säuberliche, von Menschenhand abgeschriebene Kopie der Teilnehmerliste für den Poetrislem.
"Besteht die Möglichkeit, dass der rote Louie sich als falscher Teilnehmer eingeschrieben hat?"
"Unmöglich! Jeder der Teilnehmer ist bei mir persönlich vorstellig geworden. Außerdem habe ich jeden Teilnehmer Gustav Scheinbeins Zungentango[1] vortragen lassen."
"Gut. Gibt es sonst etwas, was wir über die Teilnehmer wissen sollten?"
Rea und Marygrin hatten sich in der Stadtwache am Pseudopolisplatz getroffen und der alte Dichter putzte ständig seinen Zwicker.
"Nunja, es sind viele berühmte Slem-Teilnehmer dabei. Die wenigsten von ihnen sind selbst große Dichter und das ganze ist ausgesprochen...Naja, jedenfalls gibt es, wenn sie mich fragen, zwei deutliche Favoriten. Der eine ist Dunkan McScotchegg, ein junger, neuer Athlet, der schnell zu einem Favoriten avancierte. Tja und da gibt es noch Frick Weiherstein."
Rea schaute ihn verwundert an.
"Verwandt mit dem Mordopfer von damals?"
"Sein Sohn, ja, und vermutlich eines der gefährdeten Individuen an diesem Abend."
"Man muss ihn warnen."
"Nutzlos, er stempelt die Gerüchte als eben das ab, was sie für das gesamte Konsortium sind. Als Gerüchte." Marygrin seufzte und sah aus dem Fenster in das helle Mittagslicht, gebrochen durch die Dreckwolken, die über den Pseudopolisplatz wehten. Seine Hand tastete wie von selbst in der Luft nach einem imaginären Federkiel [2]
"Gut, dann wird Ruppert ein Auge auf ihn haben. Er wird zivil, als Gast dort sein. Ein oder zwei Wächter in Zivil fallen sicher nicht auf."
"Übertreiben Sie es nur nicht. Der Lyrikus ist gut informiert, was das Publikum angeht und würde vermutlich schnell merken, wenn ein Sprachberserker...ich meine ein Wächter oder ein ähnlicher Fremdkörper im Plenum sitzen würde."
"In Ordnung. Heute Abend erfahren wir mehr. Zwei meiner Männer sind unterwegs, um die beiden pensionierten Vorstandsmitglieder zu warnen. Ich hoffe Menélaos konnte die beiden ausfindig machen. Wieso kennt denn niemand ihre Namen?"
"In der Dichtergilde ist es Tradition, sich einen Künstlernamen zu geben. Wenn man sich eines Tages zurückzieht, ist es schick, den alten Namen wieder anzunehmen und keinerlei Werke mehr zu veröffentlichen. Das dient der Legendenbildung."
Marygrin schien auf den letzten Punkt besonders stolz zu sein und wippte mit den Füßen vor und zurück, ein breites Grinsen im Gesicht.
Träumer...
"Nun gut. Wir werden sehen. Wenn..."
Die Tür öffnete sich und ein abgekämpfter, dehydrierter, blasser Jargon Schneidgut wankte herein.
"Gefreiter Schneidgut, warst du erfolgreich? Du siehst ja schrecklich aus." Jargon salutierte erschöpft und drückte seiner Vorgesetzten einen Zettel in die Hand, verschwand dann aber in einer der Umkleiden.
Rea las etwas verdutzt, aber aufmerksam, das Formular. Marygrin blickte neugierig auf das ihm bekannte Siegel. Der rechte Mundwinkel verzog sich nach oben.
"Herr Ohnmacht, ich hoffe, Ihre Gilde hat sich beim Häuserbau keine Schlampigkeitsfehler erlaubt."

"Und du hast deine Ausbildung wirklich schon beendet, Rekrut? Merk' ich mal noch nicht viel von."
Ettark Bergig und Menélaos Schmelz marschierten nun schon den ganzen Tag und den halben Abend durch die Stadt und klapperten in Zivil die wenigen Kontakte von Menélaos ab, die er in der Welt der Dichter und Denker hegte. Ihnen fehlten noch immer einer der beiden echten Namen der Ex-Dichter. Den ersten hatten sie bereits aus einem Chronisten der Dichtergilde herausbekommen und sie waren gerade auf dem Weg zu ihm. Menélaos hatte es derweil aufgegeben, Ettark davon zu überzeugen, dass er seit bereits einigen Monaten Gefreiter war. Für den glatzköpfigen, scheinbar stets mürrischen Wächter war die Sache klar. Als Informantenkontakter konnte er mit Federschwingern und Schöngeistern nicht viel anfangen. Einseitige Kritik war daher an der Tagesordnung.
"Das nächste paar Sohlen zieh' ich dir von deinem Lohn ab, Rekrut!"
Kirschkrokant und Zuckerrahm!
"Ja Sir, wir sind gleich da. Da vorne ist es."
Sie blieben vor einem kleinen, unscheinbaren Fachwerkhaus stehen und klopften an. Nach ungefähr drei Minuten machte ein verfilzter Mann in Unterwäsche auf und spuckte aus. Er wollte gerade etwas sagen, doch Obergefreiter Bergig hatte bereits die Initiative ergriffen und die Wohnung halb betreten.
"Stadtwache Ankh..." Der schmächtige Körper des Mannes kollidierte mit dem kräftigen Ellenbogen des Wächters. "...Morpork. Wir suchen jemanden."
Bravo, Nerven wie Drahtseile der Mann. Mit dem Souffle in den Ofen fallen.
Der Mann schaute verwirrt auf die Marke an der Brust des Obergefreiten.
"Ähm, mich?"
Menélaos räusperte sich und duftete aufgrund des ruppigen Auftrittes seines Vorgesetzten peinlichst nach Fenchel.
"Sind Sie Thadeus Pinkel, ehemals Thadeodorus Bächlein?"
"Ähm...nein, der wohnt oben. Soll ich ihn holen?"
"Wir machen das schon.", antwortete Ettark anstelle des Gefreiten und hatte bereits die ersten Stufen der Holztreppe erklommen. Menélaos zog beschämt seine Kochschürze glatt, nickte dem Mann mitfühlend zu und folgte dem Obergefreiten nach oben. In dem engen Haus roch es muffig und nach Katzen. Die Wände waren oberhalb des Erdgeschosses im ganzen Flur behangen mit Bildern und Gemälden, vorwiegend Porträts eines älteren Mannes in verschiedenen Garderoben. Am Ende der Treppe erwartete sie eine schmucklose Holztüre. Ettark Bergig zögerte nicht lange und hämmerte dagegen.
"Hallo? Herr Bachdings?"
Keine Antwort. Auch ein zweiter Versuch blieb unbeantwortet.
"Vielleicht ist er nicht zu Hause?"
Ettark schnaubte und griff beherzt an den Türknauf, verharrte jedoch augenblicklich, als esKlick machte. Er tauschte einen erstaunten Blick mit dem Gefreiten aus und öffnete vorsichtig die gut geölte Türe. Eine kleine Wohnung voller Regale mit Büchern und Schriftrollen lag vor ihnen. Ein altes Bärenfell begrüßte die Wächter mit einem offenen Maul. Es gab nur wenige Türen und lediglich ein größeres Fenster am Ende des Raumes. Dort stand ein großer Schreibtisch, auf dem der leblose Körper eines älteren Mannes lag. Aus seinem Rücken ragten mehrere Federn. Auf dem Tisch lag eine Brille mit ausgesprochen dicken Gläsern, die von schweren Problemen mit der Sehstärke zeugte, sowie einige Bücher und Lupen. Mit eiligen Schritten polterten die Wächter durch die Wohnung.
"Herr Bächlein! Sagen Sie doch was."
"Der ist hinüber, Rekrut."
Ettark zog vorsichtig an einem der Federkiele, die in dem Rücken des Mannes steckten. Er war blutrot und seine Spitze mit einer geschwungenen Metallkappe versehen, die irgendwie die Form einer Zunge hatte.
"Rekrut, schnell, hol den Kerl, der uns aufgemacht hat und frag nach, wer vor uns zu Besuch war. Ich schau mich hier um."
Menélaos eilte zur Treppe, blieb jedoch plötzlich wieder stehen.
Der Mann in Unterwäsche!
Menélaos stürmte weiter die Treppe runter in die Erdgeschosswohnung. Sie war vollkommen leer, nur ein paar alte Klamotten und ein Umhang lagen auf dem Boden. Er beugte sich zu den Kleidungsstücken herunter und musterte den grünen Gehrock. Er hatte einige kleine Löcher mit roten Blutkränzen auf der Rückseite. Der Innensaum enthielt ein Etikett.
Gandobalus Traumtänzer
Menélaos rieb sich das Nasenbein und fluchte leise. Sie waren zu spät.

"Herein!"
Rea Dubiata hatte seit circa 3 Stunden auf eben dieses Klopfen gewartet und hatte sich die halbe Nacht um die Ohren geschlagen, als nun endlich die beiden Wächter eintraten und ausgesprochen müde salutierten.
"Na endlich. Was hat Eure Suche ergeben?" Ettark Bergig legte den SUSI-Bericht auf den Tisch.
"Ma'am, wir sind im Waschraum, wenn es Ihnen nichts ausmacht."
Sie nickte und widmete sich, mit einer bösen Vorahnung in der Magengegend, dem Bericht.
Als sie die drei Seiten durchgelesen hatte, stand sie auf und ging zum Fenster. Der Mond leuchtete hell und ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Beide Dichter tot. Hatte sie die Sache mit dem roten Louie unterschätzt? Sie hatte ja kaum Zeit gehabt, einen gut durchdachten Plan aufzustellen. Nur zwei Tage reichen da nicht. Zwei Tage und der erste davon hatte so gut angefangen. Jetzt waren es noch etwas mehr als 14 Stunden, die den Wächtern blieben, um den roten Louie von weiteren blutigen Taten abzuhalten. Die Gilde von den Morden des roten Louie zu überzeugen wäre so gut wie sinnlos. Sie würden alles daran setzen, die geplante Slem-Veranstaltung nicht aufzugeben. In der Gesellschaft der Dichter wimmelt es nur so vor Neidern und was manche pensionierte Autoren alles inszenierten, um ihre Legendenbildung voranzutreiben, hatte Marygrin ihr ausführlich berichtet. Da war vom Märtyrertod bis zum öffentlichen Selbstmord alles dabei. Ein Geräusch von draußen erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie öffnete das Fenster und ein betrunkener Zwerg sang das Lied vom Rattenreiter. Sie überlegte an einer mündlichen Ermahnung wegen Ruhestörung, doch dann kam ihr eine Idee. Sie musste schnell zu Sebulon ins Büro, um sie zu besprechen.

"Oh, ich nehme an, die Herren von der Inspektion?"
Der junge Pförtner schaute die beiden wohl gekleideten und seriösen jungen Männer mit den Marken auf der Brust genau an und konnte die Situation scheinbar nur schwer einschätzen.
"Sie sind reichlich früh dran."
"Keine falschen Ausflüchte, mein Herr, so etwas sehen Inspekteure einer städtischen Behörde überhaupt nicht gerne. Wenn Sie nun den Schneid und den Anstand hätten, uns hereinzubitten, werde ich über eine persönliche Beschwerde aufgrund mangelnder Etikette beim Gildenvorstand verzichten."
William de Morgue zauberte einen verbalen Degenhieb zur Begrüßung hervor und schaffte dabei den Spagat zwischen Ungeduld und gut verpackter eitler Schnoddrigkeit geradezu meisterhaft. Endlich mal eine Aufgabe nach seinem Geschmack. Mit dem Gefreiten Tonfonimus Sproing an seiner Seite, der ebenfalls durch beachtliche Haltung auffiel, konnte der Einsatz nun beginnen. Sie hatten sich kurz mit einigen Begriffen aus dem Gebiet der Statik eingedeckt und von Rea die Anweisung bekommen, sich vor allem in der Nähe der Ausgänge und die Gänge zu den Logenplätzen und Fenstern im oberen Gang der Empore des Saals aufzuhalten.
Der Pförtner riss eilig die Türe auf und trat einen Schritt zur Seite.
"Verzeihung, die Herren, ich werde Sie auf der Stelle zu Herrn Wortbrecht, dem Lyrikus bringen."
Sie stapften durch den Empfangs- und Aufenthaltssaal, der beinahe leer war, einen Gang auf der rechten Seite entlang, direkt in einen mittelgroßen Saal hinein. Dort waren allerlei Leute damit beschäftigt, die Wände und die Bühne zu schmücken, die Sitze zu reservieren oder Anweisungen auszuführen. Nur ein Mann stand in der Mitte des steinernen Saals und stach wie ein Dirigent hervor, während er unermüdlich mit den Armen seine Lakaien durch den Saal scheuchte. Er hatte langes, blondes Haar, einen mächtigen Bauch und trug einen blonden Schnurrbart über den fleischigen Lippen. Seine goldgewirkte Samtrobe war seit Jahren aus der Mode, doch einem exzentrischen Schöngeist galt Mode nun einmal als zweitrangig. Der junge Diener brachte die beiden Wächter zu ihm und sprach leise ein paar Worte mit dem schwitzenden, schweren Lyrikus. Der tupfte sich die Stirn ab, nickte und drehte sich zu den beiden Herren um, die in gebührlichem Abstand scheinbar miteinander fachsimpelten und auf die Decke zeigten.
"Die Herren von der Stadtwache also! Wie überaus unpassend. Schrecklich, dass Sie ausgerechnet diesen Termin wahrnehmen mussten, ausgerechnet heute, ausgerechnet an diesem Abend! Sie sind selbstverständlich mit den Gepflogenheiten des Konsortiums vertraut."
Die kehlige Stimme des Mannes hatte tatsächlich einen ungehaltenen Anklang und sein Blick sprach Bände. William de Morgue räusperte sich vernehmlich.
"Entschuldigen Sie bitte, ehrenwerter Gildenvorsitzender und Lyrikus, aber die Sicherheit der Gäste bei diesem doch recht aufwändigen Spektakel liegt uns sehr am Herzen und daher duldet die Angelegenheit absolut keinen Aufschub."
Bephold Wortbrecht rieb sich am Kinn und musterte abwechselnd die beiden Wächter, die souverän, ihre Pläne und Zollstöcke unter den Arm geklemmt, in seine Augen blickten.
"Wie dem auch sei. Sie halten sich bitte gegen Abend von der Bühne dort fern. Das ist absolutes Tabu!"
"Wir werden sehen, was die Bühne an Mängeln birgt. Versprechen können wir nichts. Wir interessieren uns viel mehr für Empore und die Gänge zu den Logen. Die Statik hat in den höheren Lagen und Etagen eines Gebäudes diesen Alters seine Weh-Weh-chen."
William lächelte freundlich und verbeugte sich tief. Tonfonimus tat es ihm gleich.
Darauf stehen die verwöhnten, fetten Adelneider doch. Wie erniedrigend.
Der Lyrikus nickte zögerlich und tauschte einen schnellen Blick mit einem der schicken, blau gekleideten Wachmänner aus. William verstand das Zeichen sofort. "Sie haben ein Auge auf die Herren vom Amt."
"Tonfonimus, gibst du mir bitte den 8,5 Zoll Stab? Wir fangen gleich an die Auswirkungen der Deflektionstheorie zu überprüfen." Sie entfernten sich von dem ungemütlichen Gildenvorsitzenden und machten sich scheinbar an die Arbeit.
"Jetzt heißt es durchhalten, Gefreiter."
William grinste. Er freute sich auf die Tirade an Nörgeleien und die Flut an kleinen Mängeln, die bereits auf seiner Zunge ruhten.
"Komm, wir gehen hoch."

Ruppert zog den Kragen seines muffigen Anzugs zurecht, klopfte sich die Hose ab und trat aus der Gasse. Er hatte ein Kurzschwert mit klebrigen Harzleinen an seinen Unterschenkel geklebt und war bereit, seine Beinbehaarung im Notfall für das Leben eines Menschen zu riskieren. Es war Abend und vor der Dichtergilde hatte sich bereits ein ganzer Pulk aus Lebemännern, adeligen Damen, Schöngeistern und Dichtern versammelt. Es standen aber auch, etwas weiter abseits, einige junge Männer und Frauen, die sich aufgeregt unterhielten und Hemden trugen, auf denen in seltsamer Schrift verschiedene Zitate aus irgendwelchen Werken standen. Er stellte sich wortlos und nervös in der Schlange vor der Gilde an. Wachmänner in blau standen am Eingang und schäkerten mit den Damen, grinsten in die Menge und rauchten ungestört. Gestandene Männer, tz.
Ruppert ag LochMoloch war froh, dass ihn niemand besonders bemerkte oder sich für ihn interessierte. Er hatte vor, sich einen praktischen Platz zu suchen, von dem aus er schnell eingreifen konnte, sollte etwas Unerwartetes vorfallen. Bevor er das Gebäude betrat, schaute er sich auf dem Platz vor der Gilde um. Er konnte zwei Wächter bei der Streife ausmachen und einen weiteren am Eingang einer Gasse. Zufrieden atmete er auf. Rea's übereilter Plan war sicher nicht wasserdicht, aber er hatte Hand und Fuß. Er war nun an der Reihe und eine junge, hübsche Frau schaute ihn fragend an.
"Einmal bitte."
"Name?"
"Ruppert ag LochMoloch"
Die Dame notierte den Namen auf ein goldenes Kärtchen und der Vektor gab ihr das Eintrittsgeld. Ein Wächter schaute ihn schräg an. Seine Blicke sprachen Klartext. Stadtwache, mh? Pass bloß auf. Den Anzug und das Geld für den Eintritt hatte die Wache finanziert. Rote Absperrungen aus dicken, knotigen Seilen markierten den Weg in den Saal.
Na dann bin ich ja mal gespannt.
Er setzte sich und schaute in das Programmheft. Dort waren die Duelle in einen Turnierbaum eingezeichnet. Er gähnte herzhaft und zwang sich zur Aufmerksamkeit. Auf der Empore sah er William und Tonfonimus rumwerkeln. Er grinste und widmete sich wieder der Bühne.
"Herzlich willkommen, meine Damen und Herren, zum diesjährigen Poetrislem in unseren bescheidenen Hallen!"
Die Stimme tönte weit hinaus in das Gebälk des großen Saals. Der Lyrikus stand auf der Bühne und hinter ihm wurden Bücherregale auf die Bühne gerollt.
"Ich möchte Sie auch gar nicht weiter langweilen, schreiten wir zur Tat! Ich übergebe das Wort an Bert Rübenschlau, dem Kommentator des heutigen Abends."
Zwischen Empore und Parkett gab es eine kleine Kanzel und ein Salamanderleuchter wurde auf einen kleinen Mann mit circa 5 Haaren und einem freundlichen Gesicht gelenkt. Er winkte dem applaudierenden Publikum zu und nahm einen Trichter vor den Mund.
"Ich grüße Sie herzlich, meine Damen und Herren, zu diesem wunderbaren Sport der schönen Künste. Ich rufe die ersten Teilnehmer auf: Ginsegun Ur und Talisman Traufenstein! Applaus!"
Ruppert beobachtete, wie eine riesige Frau mit kurzen, schwarzen Haaren, Bandagen an den Händen und in einem Ring in der Nase auf die Bühne stapfte. Hinter ihr, am linken Rande der Bühne, befand sich offensichtlich ihr Trainer. Ihr gegenüber stand ein bulliger Schlägertyp ohne Haare, mit einem riesigen Folianten auf der Brust tatöwiert.
Bei allen guten Geistern...
Der Kommentator zählte Kampfgewicht, Siegesquote und Herkunft der beiden Athleten, wie er sie nannte, auf und gab dann den Ring frei. Die Frau ging zu dem Regal auf ihrer Seite der Bühne und zog ein dickes Buch heraus, breiter als lang und das Publikum jauchzte auf. Ausgenommen Ruppert, der sich irritiert umsah.
"Ohhhh, Ginsegun wählt das Schweineleben von Poliana Polipo. Eine seltene Eröffnung!"
Talisman Traufstein begab sich in eine geduckte Haltung und Poliana stemmte das schwere Buch in die Höhe. Das reflektierende Licht auf dem Einband verriet Ruppert, dass er scheinbar aus Metall bestand. Poliana schrie auf und schmetterte das schwere Buch auf ihren Gegner. Talisman sprang zur Seite und das Buch schlug in das Holz der Bühne ein. Das Publikum jubelte ungehalten. Ruppert hatte Schwierigkeiten, sich vor der kreischenden Frau neben ihm zu retten und versuchte sich zu konzentrieren.
Die haben doch alle einen an der...
"Unglaublicher Sprung! Talisman Traufenstein mit einem gewagten Satz nach vorne. Weiter so!"
Ruppert beobachtete gebannt das Schauspiel auf der Bühne. Es entwickelte sich zu einer brutalen Art von Völkerball, gespickt mit demütigenden Zitaten aus den verschiedensten Werken diverser Dichter. Die Bücher hatten allerlei sonderbare Merkmale: Stachel, Kanten, Metallbeschläge, Rasierklingen, Bleigewichte und vieles mehr. Ein Kampf folgte dem nächsten. Die Dokumentation aus der Besprechung mit Rea war schon einschlägig, aber das hier war noch viel brutaler.
"Und jetzt Dunkan McScotchegg gegen Mumfred Kaligrass!"
Das Publikum jauchzte, als Dunkan auf die Bühne kam. Der charismatische junge Mann strotze vor Muskeln und Selbstbewusstsein und winkte dem Publikum zu, während sein Gegner vom Schlage eines Talisman Traufenstein war, nur mit mehr Haaren und mehr Fett auf den Rippen. Dunkan begann das Duell, griff sich eine schwere Literaturgeschichte und schmetterte sie souverän und mit unglaublicher Geschwindigkeit seinem Gegner an den Kopf. Er ging zu Boden. Das Publikum raste!
"Haben Sie das gesehen, meine Damen und Herren? Einen 900er Einband so zu werfen, dazu bedarf es Mut und Geschick. Das war zu viel für den gestandenen Kaligrass."
Der Trainer des Verlierers holte den Mann von der Bühne und schleppte ihn hinter die Vorhänge zu einigen Sanitätern. Ruppert nickte anerkennend und so langsam bekam er einen Blick für die ganze Sache. Er schaute in den Programmplan der ersten Runde. Als nächstes war dieser Sohn von Hickebot Weiherstein dran.

Rea schaute sich auf dem Platz vor der Dichtergilde um und sah alle Wächter auf ihren Posten. Die Abteilungsleiterin stand auf dem Balkon einer leerstehenden Wohnung. Menélaos und Ettark saßen in einer kleinen Spelunke am Fenster, Miriel Gerfurt und Zwerg Bjornson standen zivil gekleidet in zwei kleinen Gassen nördlich der Gilde und Calwyn Steinkerber ging Streife. Sie atmete auf, als es auf einmal in der Gilde krachte. Eine Scheibe klirrte und ein Schemen schwang sich aus dem Fenster davon. Rea schaute panisch zu Bjornson herüber, der sofort durch die Gasse verschwand und dem Schemen folgte, der irgendwo bei ihm in der Nähe heruntergekommen war. "Er ist es! Hinterher!" William de Morgue stand auf dem kleinen Balkon, aus dem der Schemen hervorgebrochen war. Der Wächter hielt sich die blutende Brust und deutete mit der freien Hand in eine Gasse. Miriel huschte etwas unsicher hinterher und Ettark sprengte mit übertriebener Wucht die Türe der Spelunke auf und eilte hinaus, Menélaos im Schlepptau. Rea hatte Mühe, die Situation nicht aus den Augen zu verlieren. Sie kletterte an einem Seil den Balkon hinab und gab Ettark und Menélaos das Zeichen, in die Gasse westlich zu eilen. Sie rannte unter den Balkon der Gilde, auf dem William stand. Leute strömten panisch aus dem Gebäude, unter ihnen auch einige feige Konsortium-Wächter.
"Was ist passiert?!"
"Er hat Tonfonimus erwischt. Er hat sich um den westlichen Gang gekümmert und konnte mich gerade noch warnen. Dolchverletzung, er blutet stark."
Rea wurde schwindelig.
"Was ist denn nun passiert!?"
William hustete und knüpfte gekonnt ein langes rotes Seil an den Balkon. Er spähte zurück in die Gänge außerhalb des Fensters.
"Ich muss mich um den Gefreiten kümmern. Komm hoch!"
Rea kletterte so schnell es ging das dicke Seil hoch und zog sich auf den Balkon. Sie eilte in den Gang und sah weder William, noch Tonfonimus. Sie betrat eine der nun leeren Logen und hatte einen guten Überblick über die gewaltige Anarchie im Saal. Zuschauer eilten gen Ausgang und schrien panisch. Auf der Bühne ragte Ruppert ag LochMoloch aus einem riesigen Loch im Boden und regte sich nicht. Vor ihm wankte ein junger, blonder Mann. Ein verzweifelt schreiender Mann auf einer kleinen Kanzel rief durch den Trichter:
"Das gibt es nicht! Der rote Louie! Der legendäre 3000er! Das grenzt an Mordversuch. Wie besonnen der fremde Zuschauer sich auf die Bühne geworfen hat! Wie mutig sich dieser tapfere Kerl auf den bedrohten...Leib...von Frick Weiherstein geschmissen hat."
Ruppert...3000er? Oh nein...
Sie eilte die Treppen hinab und flehte innerlich, dass ihre Leute dieses Monster fassen mögen! Rea presste sich durch die Flut an Menschen und sprang ungeschickt über die leeren Plätze. Auf der Bühne angekommen sah sie, wie zwei starke Männer und eine leicht verletzte Frau mit Oberarmen wie Baumstämme ein riesiges Buch aus dem Boden der Bühne zogen. Der blonde junge Mann hob Ruppert vorsichtig aus dem Loch.
"Stadtwache Ankh Morpork! Was ist geschehen?" Rea ahnte es bereits.
Der junge blonde Mann blickte sie traurig an und nickte.
"Er hat mich von der Bühne geworfen und wurde von diesem riesigen Buch getroffen. Das verbotene Buch. Es hat 3000 Seiten aus dünnen Kupferstichen und..."
"Ruppert..." Rea hatte Schwierigkeiten, ihre Fassung zu wahren. Der Leib des armen Wächters war blau und gequetscht. Die Rippen vermutlich gebrochen. Der Anzug war an einigen Stellen gerissen.
"Ich bringe ihn raus zu den Sanitätern. Das ist das mindeste, was ich noch tun kann."
Rea blieb zurück. Sie blickte hoch in den Saal. Ein Funken Hoffnung regte sich in ihr, als sie sah, dass niemand auf den obersten Stützbalken neben den Lüftungsfenstern zu sehen war.

Der rot-schwarze Schemen landete auf dem Dach und rannte so schnell es ging. Er fluchte leise über den Mann, der das Finale seines ersten, großen Rachestreichs versaut hatte. Die Wache war besser vorbereitet als er dachte. Auf das Konsortium und dessen Gesetze war kein Verlass mehr. Sein Umhang lastete schwer auf seinen Schultern, er wunderte sich, rannte jedoch weiter wie der Wind über Dächer und sprang beherzt in eine der Gassen. Er schlug Haken und versuchte jeden möglichen Verfolger abzuschütteln. In seinem Kopf sponnen schon Rachegelüste munter ihre Pläne für einen weiteren Anschlag. "Ich kriege dich Frick."
Ein krächzendes Fiepen ertönte direkt hinter ihm. "Autsch!"

Bjornson eilte so schnell er konnte die Gassen entlang. Seine Lungen schrien vor Schmerzen und er hatte Mühe mit dem Gleichgewicht. Das Gerücht, Zwerge seien eher zu kurzen Sprints geeignet, entpuppte sich als Fakt. Ein Schatten in einer Seitengasse ließ ihn hart abbremsen und es schmetterte ihn hart auf den Boden. Er rappelte sich auf und spähte in die Gasse. Er hatte sich nicht geirrt. Verwirrt zog er seine Dienstwaffe und wunderte sich darüber, das nichts geschah.
"Im Namen....der...Stadtwache....von..." keuchte er.
Der Mann antwortete mit einer piepsigen Stimme.
"Ankh Morpork nehme ich dich fest!"
Bjorn schnaufte und kniff die Augen zusammen, bohrte mit dem Finger in den Ohren und war einfach ein Abbild der Konfusion.
"Was zum...?"
Hinter dem Kopf des bleichen Mannes lugte der Kopf einer kleinen Frau hervor.
"Hallo Bjorn! Zu spät!" Sie streckte ihre kleine Zunge heraus, die Ratte auf der sie saß tat es ihr gleich. Bjorn fiel ein Stein vom Herzen.
"Amalarie! Gut gemacht."
Erschöpft lehnte er sich gegen eine Wand, nicht ohne den wie versteinerten Louie im Auge zu behalten. Bjorn war sich ganz sicher, dass der Mörder alles an seiner Kehle wähnte, nur keine Nagelpfeile.
"Man hast du eine rote Zunge! Das ist ja abartig. Mitkommen."

Die Türe von Rogis Station ging auf und heraus traten ein verbundener Gefreiter Tonfonimus. Er wirkte geknickt und hatte sichtlich Schmerzen. Hinter ihm humpelte ein in Salbe getränkter Ruppert ag Lochmoloch in seinem Gipskorsett und lächelte der Abteilungsleiterin unter Anstrengungen ins Gesicht. Rea saß auf einem Stuhl im Flur und sie atmete auf, als sie die beiden lebendig sah.
"Daf follte ef gewefen fein." sprach Rogi, die sich die Hände abtrocknete und im Türrahmen stehen blieb.
"Danke Rogi, vielen Dank."
"Haben wir ihn?" fragte Ruppert.
"Wir haben ihn." antwortete Rea und musste lächeln.
"Ruht euch aus." sprach sie und nickte den dreien zu, drehte sich um und spazierte in ihr Büro, die Melodie des Rattenreiters auf den Lippen...

Ruppert saß das erste mal ohne sein Korsett am Schreibtisch und genoss ein Stück Kuchen. Er konnte wieder tief einatmten und genoss seine neue Freiheit. Es klopfte.
"Herein!"
Ein fremder Mann kam herein und salutierte ungeschickt.
"Ähm, hallo. Ich habe eine Sendung aus der Dichtergilde für Sie."
Er legte ein Paket auf den Schreibtisch und nickte zum Abschied.
Ruppert sah erstaunt auf das silbrige Papier und nahm das Paket in die Hand. Er hob es hoch. 200er kam es ihm in den Sinn und er musste lächeln. Er öffnete das Päckchen und lachte das erste mal wieder schmerzfrei auf.

Ruppert ag LochMoloch - Eine Ballade von F. Weiherstein und M. Ohnmacht.
[1] Der beliebte Zungentango ist ein fünfminütiges Sonett, das ausschließlich aus labiodentalen Lauten, unterbrochen durch explosionsartiges, regelmäßiges Zungenflattern besteht. Die Vortragsweise variiert sehr, da der Autor keinen Unterkiefer besaß und daher sein eigenes Stück nie vortragen konnte.

[2]  Marygrin sollte nie erfahren, dass er den vermutlich peinlichsten doppelten Rittberger in dem Fettnapf seines Lebens nur dadurch vermied, dass Rea Dubiata geschickt ihren Oberkörper aus der Greifzone des zerstreuten Dichters gebracht hatte.

Zählt als Patch-Mission für den Szenekenner-Patch.



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Feedback:

Von Braggasch Goldwart

01.03.2010 11:53

Nach deiner Eigenkritik hatte ich ja schlimmes befürchtet - aber es bewahrheitete sich nicht. Ich finde die Geschichte schön. Dein Schreibstil, ganz besonders der Humor, gefallen mir noch immer unverändert gut. Nicht zu sagen Hervorragend. Doch, wie schon erwartet mischten sich Beschleunigungsfehler ein, die du wahrscheinlich sonst nicht gemacht hättest. Hinten raus wirkt die Story gequetscht, während sie anfangs noch schön ausführlich war. Auch kommen immer mal wieder unschöne Wortwiederholungen vor. Dennoch eine Arbeit, auf die du stolz sein kannst. Schön, mal wieder was von dir gelesen zu haben. :)

Von Huitztli Pochtli

01.03.2010 11:53

Meiner Meinung nach die beste Single im Wettbewerb. Guter Plot, schöne Umsetzung in eine spannende und unterhaltsame Geschichte. *daumenhoch*

Von Ophelia Ziegenberger

01.03.2010 11:53

Eine schöne Idee, konsequent umgesetzt. Ein solides Stück Arbeit und eine gute Pokey.

Von Sebulon, Sohn des Samax

01.03.2010 11:53

Ich will eine Abschrift des Zungentango! *bettel*Ehrlich, ich hab schon lange nicht mehr in einer Single so gelacht.Vielen, vielen Dank.Nur ... was hat Sebulon denn genau gemacht? o.O

Von Kanndra

02.03.2010 17:21

Mir hat die Single gut gefallen. Eine originelle Idee gut umgesetzt und damit hast du dir die Note 12 redlich verdient, es hätte sogar mehr sein können, finde ich. Allerdings - mit der Vorlage hatte sie aus meiner Sicht so gut wie gar nichts zu tun .

Von Menélaos Schmelz

02.03.2010 17:56

Ja ich habe den "meisterhaften Aspekt" etwas gedehnt und nicht genug ausgearbeitet. Das lag u.a. auch an meiner knappen Zeit (mea culpa) und ich hätte Louie gerne noch etwas gefährlicher dar gestellt und ihn schon länger auf freiem Fuß lassen sollen.

Aber danke für die tolle Bewertung und die Feedbacks!! :daumenhoch:

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