Das Phantom

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von Fähnrich Kanndra (FROG)
Online seit 01. 02. 2010
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Es häufen sich die Anzeichen, dass ein seit langem gesuchter Meisterverbrecher nach Ankh-Morpork zurückgekehrt ist. Schafft es eure Abteilung, den Täter zu fassen?

Dafür vergebene Note: 12

Teil 1: Die Wache

Das Wachhaus brummte wie ein Wespennest, in das man hineingestochen hatte. Alle Abteilungen waren in heller Aufregung und fieberhafter Aktivität, seit vor ungefähr vier Wochen klar wurde, dass er zurück in der Stadt war. Der Verbrecher aller Verbrecher, das Phantom. Er passte in keine Schublade, ließ sich nicht einfach zuordnen und für die eigene Abteilung reklamieren. Diebstahl, Erpressung, Mord, Betrug - vor nichts schreckte er zurück und alles war bis ins Kleinste genial durchgeplant. Vor fünf Jahren war das Phantom dann plötzlich verschwunden, doch es bestand kein Zweifel, der Meisterverbrecher war wieder in der Stadt! Er hatte seine Visitenkarte deutlich genug hinterlassen. Eine vornehme Abendgesellschaft war überfallen und beraubt worden und in der Oper hatte es mehrere Verletzte gegeben, als sich ein Juwelier weigerte, seine Schlüssel herauszugeben und der Täter um sich schoss. Beide Male hatte er eine schwarze Halbmaske am Tatort hinterlassen, die die dienstälteren Wächter sofort erkannt hatten. Deshalb wurden Akten ausgegraben, über die längst der Staub der Vergessenheit gerieselt war, neue Kontakte geknüpft und alte aktiviert, püschologische Gutachten neu bewertet und gestellt, Besprechungen abgehalten und Streifen verstärkt.
Nur im Aufenthaltsraum der FROGs herrschte Ruhe. Allerdings war es die Ruhe einer gespannten Bogensehne.

Vor zehn Tagen war eine Anzeige in der Times erschienen:

10.000 AM-Dollar oder ich sprenge die Messingbrücke in die Luft! Anweisungen folgen! Das Phantom


Natürlich hatte der Patrizier sofort erklärt, dass die Stadt sich nicht erpressen lasse, doch drei Tage später kam eine weitere Anzeige:

Kleine Scheine, Dienstag um 11 Uhr von der Messingbrücke werfen. Das Phantom


Der Patrizier erklärte erneut, nicht auf die Erpressung eingehen zu wollen, genehmigte jedoch eine vorgetäuschte Übergabe, um den Täter dabei verhaften zu können.
Es hatte weder eine Übergabe noch eine Festnahme gegeben, denn zu dem Zeitpunkt war die halbe Stadt aufgetaucht, und die andere Hälfte drängelte von hinten nach. Die FROGs hatten schnell die Übersicht verloren und das angebliche Geldbündel, das nur aus wenigen Scheinen und viel Schmierpapier bestanden hatte, endete als Fetzen, die im Fluss, im Rinnstein und in verschiedenen Taschen einiger vermeintlich Glücklicher verschwanden. Die am schwersten Verletzten mussten anschließend ins Lazarett der Balancierenden Mönche gebracht werden.
Nun wartete die Eingreiftruppe der Wache darauf, wie der nächste Schritt des Phantoms aussehen würde. Und das schon seit zermürbenden fünf Tagen. Die Ausrüstung wurde überprüft, gewartet und geputzt, auf dem Schießstand herrschte Dauerbetrieb und es gab mehr Kartenspielrunden als im Kasino. Es war also eigentlich alles wie immer, nur dass sie seit fünf Tagen dabei wie unter Strom standen. Die Tätigkeiten, die sie ausführten, konnten nur einen kleinen Teil ihrer Aufmerksamkeit fesseln, der Rest kreiste um den Meisterverbrecher und seine Absichten.
Die Späher ließen die Brücke nicht aus den Augen und würden sie alarmieren, sobald etwas Verdächtiges geschah.

Kanndra blies sich in die Hände und trampelte mit den Füßen auf dem hart gefrorenen Uferstreifen des Ankh, der bei dieser Kälte ebenfalls eine Kruste aus kompaktem Schlamm und Eis besaß. Das kleine Feuer, das neben ihr brannte, konnte kaum die Kälte aus den Gliedern des Fähnrichs treiben. Zur Tarnung trug sie die fadenscheinige Kleidung einer Bettlerin, allerdings in mehreren Schichten. Das einzig Gute an dem Wetter war, dass sich der Gestank des Flusses in Grenzen hielt. Dem armen Braggasch oben am Rand der Brücke, der dort zum Schein einen Stand mit Bürsten betrieb, ging es auch nicht viel besser. Er hatte zwar wärmere Kleidung, konnte sich dafür aber kein Feuer machen. Auch die Taube auf Kanndras Schulter hatte sich dick aufgeplustert und ließ ab und zu ein klägliches Gurren hören.
"Schon gut, Elsa, mir gefällt es hier auch nicht", flüsterte die Wächterin und kraulte den Kopf der Taube. "Aber bald werden wir abgelöst. Hör, die Glocken der Lehrergilde fangen schon an zu schlagen." Sie ging in die Knie, um das Feuer noch ein wenig anzufachen und dabei ihre Hände zu wärmen, als ein merkwürdiger Laut sie aufschauen ließ. Es war eine Mischung aus einem dumpfen Knall und einem Platschen gewesen und als sie auf den Ankh schaute, sah sie in der Nähe einer der Pfeiler ein dunkles Päckchen liegen, das vorher nicht da gewesen war. Seufzend erhob sie sich wieder. Sie musste nachschauen gehen, denn wenn es sich um eine Bombe handelte, musste die Brücke sofort abgesperrt werden. Andererseits konnte sie nicht die halbe Stadt lahmlegen, nur weil jemand mal wieder seinen Müll hier entsorgt hatte.

Braggasch hörte einen Knall und sah an einer Stelle unter der Brücke Rauch aufsteigen. Sofort entließ er die Taube auf seiner Schulter Richtung Wachhaus und sah sich aufmerksam um. Da! Der junge Mann, der sich eben so auffällig weit über das Geländer gelehnt hatte, stand noch immer in der Nähe und feixte. Der Wächter ließ seine Bürsten im Stich und lief auf den Mann zu. Dieser sah ihn jedoch kommen und nahm die Beine in die Hand.
"Stehenbleiben ... äh ... Stadtwache!", rief der Zwerg und versuchte verzweifelt, gleichzeitig seine Dienstmarke aus der Tasche zu fummeln und den Anschluß an den Fliehenden nicht zu verlieren. Als ihm klar wurde, dass dieser scheinbar keinerlei Zweifel an seiner Identität als Wächter hegte, konzentrierte er sich auf das Laufen. Dennoch gewann der Andere an Vorsprung. Braggasch hoffte, dass seine Kollegin ihn bald eingeholt hatte.
Als er den jungen Mann bei der Bärengrube um die Ecke laufen sah, musste er eine Entscheidung treffen. Entweder er lief direkt zur Vertragsbrücke, in der Hoffnung, dass der Flüchtende ebenfalls dorthin unterwegs war oder er blieb ihm weiter auf den Fersen. Angesichts der unterschiedlichen Länge ihrer Beine entschloss sich der Späher, alles auf eine Karte zu setzen. Wie alle Wächter kannte sich Braggasch auf der Götterinsel besonders gut aus und nahm daher den Schleichweg durch Gärten und das Arsenal. Schwer atmend wartete er hinter einem Busch geduckt auf den Verfolgten. Doch der kam nicht.

Die herbei gerufenen FROGs hatten unter der Führung von Valdimier unterdessen die Messingbrücke erreicht, wo sie von einer von oben bis unten schlammbespritzten, geschockten, ansonsten aber unversehrten Kanndra empfangen wurden. Elsa hatte sich vor Schreck aus dem Staub gemacht.
"Ich war nur noch wenige Schritte von dem Sprengsatz entfernt, als er hoch ging", erklärte die Späherin ihren Kollegen. "Zum Glück gab es nur einen Knall, ein bisschen Rauch und ein paar Schlammspritzer. Nicht mal der Pfeiler, an dem die Bombe lag, hat etwas abbekommen. Sogar das hier habe ich unversehrt aus dem Schlamm gezogen." Sie hielt eine ursprünglich schwarze Halbmaske hoch, die freilich die gleiche Farbe wie der Fluss angenommen hatte.
Valdimier nickte erleichtert. "Zum Glück. Ich hätte dich ungern verloren, Kanny."
"Wo ist eigentlich Braggasch?", mischte sich Carisa ein.
"Das weiß ich auch nicht. Vielleicht hat er etwas gesehen und ist dem nachgegangen."
Der Abteilungsleiter blickte sich um."Da es außer für Norti hier nichts mehr für uns zu tun gibt, kehren wir zur Wache zurück. Wenn Norti und Braggasch auch wieder dort sind, machen wir eine Einsatz- und Lagebesprechung."

Die Besprechung fiel hitzig aus, weil sich niemand einen Reim auf die Vorkommnisse machen konnte. Jeder hatte eine eigene Meinung dazu. Fest stand, dass der Sprengsatz kaum die Rede wert gewesen war.
"Damit hätte er noch nicht mal den Hühnerstall meiner Oma in die Luft gesprengt", war Nortis verächtlicher Kommentar, "und der fällt schon fast von alleine auseinander."
Doch das Motiv blieb ihnen unklar. Die beliebtesten Theorien waren, dass es nur eine Warnung gewesen sei und bald der neue Erpressungsversuch kommen würde, dass es nur Teil eines größeren Plans des Phantoms sei, den sie jetzt noch nicht durchschauen könnten und dass er sie nur zermürben wolle.
"Oder es ist ein Trittbrettfahrer, der den Bogen noch nicht ganz raus hat", warf Mindorah ein.
"Wenn ich es mir überlege... Die Sache in der Oper war ja auch ein ziemlicher Reinfall."
"Und der Überfall auf die reichen Knacker hätte auch eleganter ablaufen können."
Nachdenklich nickte Braggasch. "Es war ein äh ... ziemlich junger Mann, den ich äh ... gesehen habe."
"Zu jung, um vor fünf Jahren schon aktiv gewesen zu sein?" Schlumpi zuckte die Schultern. "Vielleicht war er nur ein Helfer."
"Das Phantom arbeitet gern mit wechselnden Komplizen", bestätigte Kanndra.
"Jedenfalls so weit wir wissen."
"Möglich wäre auch, dass er gar nichts damit zu tun hatte und einfach nur vor der Wache weg gerannt ist, weil er etwas anderes auf dem Gewissen hatte." Valdimier hob resigniert die Hände. "Alles was wir tun können, ist ein Van-Thom-Bild des jungen Mannes zu erstellen."
"Sozusagen ein Phantom-Van-Thom-Bild", witzelte Steffan, aber niemandem war zum Lachen zumute.
"Vielleicht erkennt ihn jemand und zeigt ihn an. Ansonsten können wir nur auf den nächsten Streich warten."

Lange brauchten sie das nicht. Allerdings erfuhren sie zunächst nur aus der Klatschpresse davon und schenkten ihm auch nicht mehr Beachtung, als sie es jeder anderen Meldung dieser Art getan hätten. Die Regenbogenblätter meldeten, dass Remlan Kalender, ein stadtbekannter Neureicher mit glühendem Neid auf den Adel, eine neue Geliebte habe. Die Zeitungen druckten sogar eine, allerdings reichlich verschwommene, Ikonographie und gaben die Gerüchte wieder, nach denen es sich um eine tezumanische Prinzessin handelte, die einen schwer kranken Sohn und einen Anspruch auf den Thron eines exotischen Volkes besaß. Angeblich gab der Unternehmer große Summen für die Behandlung des Kranken aus. Die FROGs diskutierten die Schönheit der Prinzessin, spekulierten über die Krankheit des Sohnes und ob es Kalender gelingen würde, König des tezumanischen Stammes zu werden, befassten sich aber sonst nicht weiter damit. Bis eines Tages ein neues Gerücht die Runde machte: die Prinzessin sei samt ihres Sohnes und der Hälfte von Kalenders Vermögen spurlos verschwunden. Da gelassen hingegen hatte sie die schwarze Halbmaske, das Zeichen des Phantoms.
"Kalender soll Anzeige erstattet haben", wusste Steffan Angelhart.
"Wie ich hörte, ermittelt RUM bereits", mischte Sayadia sich ein.
Kamillus schüttelte den Kopf. "Und wir dürfen mal wieder hier rum sitzen und Däumchen drehen. Wer weiß, ob sie ihm nicht schon auf der Spur sind."
"Ich habe in der Mittagspause mit Mina geredet. Scheinbar sind sie völlig ratlos. Sie meinte, die Zeugenaussagen wären zwar eindeutig, enthüllten aber auch nicht mehr als schon in den Zeitungen gestanden hätte. Und das Phantom und seine Komplizen hätten sich so buchstäblich in Luft aufgelöst, als hätte es sie nie gegeben." Die Püschologin teilte sich eine Tüte Sonnenblumenkerne mit ihrem Vogel. "Und ich muss sagen, ich bin auch ziemlich verwirrt. Das Phantom von vor fünf Jahren war eine eitle Person, operierte aber größtenteils im Verborgenen. Die ersten drei Fälle der Gegenwart hingegen deuten auf eine nach Anerkennung lechzende Persönlichkeit, die geradezu das Risiko sucht. Denjenigen hätten wir wahrscheinlich bald gefasst. Aber..."
Steffan schnappte sich auch ein paar Kerne und sah Sayadia fragend an, als sie nicht weiter sprach. "Und der Prinzessinnen-Fall?"
"Das ist es ja gerade. Er passt nicht in das Muster. Ich kann noch keine genaue Einschätzung geben, aber dieser Coup wurde nicht von dem neuen Phantom geplant. Schon eher von dem alten. Aber auch damit habe ich ein komisches Gefühl."
Der Späher winkte ab. "Ach, der ändert nur ab und zu seine Taktik, damit ihr Püscho-Heinis ihn nicht so schnell durchschaut."

Zur gleichen Zeit brütete Hatscha al Nasa im Boucherie Rouge über der Beschreibung der "Gilde der historisch-kritischen Meeresforscher". Ihr lag eine Anfrage der Glodson-Bank vor, die den größten Teil des Vermögens der in der Stadt ansässigen Zwerge verwaltete [1] und der genannten Gilde einen Kredit in nicht unbeträchtlicher Höhe gewähren wollte. Nur waren Zwerge in Gelddingen sehr vorsichtig und wollten erst eine offizielle Bestätigung der Seriosität der Gilde von der Wache bekommen.
Der Chief-Korporal stieß bei den Meeresforschern aber auf die Schwierigkeit, dass sie eine sehr junge Gilde waren. Sie hatten sich erst vor zwei Wochen gegründet und DOG hatte noch nicht viel über sie herausfinden können. Einerseits hatte Hatscha bei ihrem Antrittsbesuch einen positiven Eindruck gewonnen, die Möbel wirkten gediegen, die Räume groß und die vom Patrizier unterzeichnete Gildengründungsurkunde echt. Andererseits hatte die Gilde angeblich fünfzehn Mitglieder, über die sie jedoch nichts wusste. Als Dobermann für diverse Gilden hatte sie natürlich noch jede Menge andere Vereinigungen zu betreuen und sie war noch nicht wirklich dazu gekommen, sich näher mit den Mitgliedern zu beschäftigen. Nur der Vorsitzende, ein Jakob Heizahn, hatte sich ihr vorgestellt und die Räumlichkeiten gezeigt. Die Gildenmitglieder seien aufgrund ihres Berufes viel unterwegs, hatte er ihr erklärt.
"Wird schon alles in Ordnung sein", murmelte Hatscha und verfasste eine kurze Mitteilung an die Bank.
Eine Woche später brachte ihr das einen erbosten Bankdirektor ein, der bei seinem Kunden vorbei gegangen war, um ihm "von den Sonderkonditionen für ein günstiges Bankdepot" zu berichten - und niemanden mehr vorgefunden hatte. Die imposanten Räumlichkeiten der Gilde stellten sich als eine private Villa heraus, dessen Besitzer längere Zeit im Ausland weilte. Von Jakob Heizahn oder einem anderen Meeresforscher fand sich keine Spur. Auf der Rückseite der Visitenkarte, die er dem Bankdirektor überreicht hatte, war eine schwarze Halbmaske abgebildet, was diesem aber erst im Nachhinein auffiel.

Dann wurde es eine Zeit lang still um das Phantom. Natürlich gab es trotzdem noch jede Menge zu tun, denn die übrigen Verbrecher gingen wie gewohnt ihren Berufen nach. Dennoch vergaßen die Wächter den Meisterverbrecher nicht.
"Er sinnt über einen neuen Plan nach", sagten die Einen.
"Er ist wieder abgehauen", meinten die Anderen.
Und so schwankte die Stimmung zwischen Spannung und Erleichterung, zwischen Enttäuschung und Erwartung.

"Seit einem Monat ist schon nichts mehr passiert." Mit finsterem Gesicht folgte Kanndra ihrem Abteilungsleiter auf dem Rückweg von einem Einsatz die Treppe zum zweiten Stock des Wachhauses hoch.
"Und was war das eben?", grinste der Vampir.
"Blinder Alarm", antwortete die Späherin ihrem Freund, denn sie waren umsonst ausgerückt. "Du weißt schon was ich meine. Ob er wirklich wieder verschwunden ist?"
Valdimier kam nicht dazu, ihr zu antworten, denn eine alte Frau mit Kopftuch kam ihnen entgegen und versperrte ihnen den Weg, als sie umständlich die Treppenstufen hinunter humpelte.
"Verzeihung, können wir Ihnen helfen?"
"Ne, ne, Jungchen. Habe nur meinen Enkel besucht. Ja, ja.", schnarrte die Alte.
"Ihren Enkel?"
"Ja, ja. Ist ein feiner Junge, aber so beschäftigt. Da musste ich eben bei ihm vorbei schauen, ja ja." Sie lachte ein krächzendes Lachen und schob sich mit mehr Geschick, als man ihr zugetraut hatte an den FROGs vorbei.
"Ach so, na dann noch einen schönen Tag!"
Das Gespräch der beiden wandte sich wieder der Arbeit zu und bald hatten sie die Begegnung vergessen, denn als sie in Valdimiers Büro kamen, lag auf seinem Schreibtisch eine Anweisung des Kommandeurs.
Alle verfügbaren Einsatzkräfte zur Glodson-Bank schicken! Habe Informationen, dass sie um drei Uhr heute Nachmittag überfallen wird. Höchste Priorität!
"Höchste Priorität? Das braucht er doch nicht noch extra betonen." Valdimier runzelte verärgert die Stirn, doch Kanndra grinste.
"Das heißt, das Phantom steckt dahinter! Garantiert!"
"Dann lass uns keine Zeit mehr verlieren."

Die Glodson-Bank war stilecht in einer Kaverne [2] untergebracht. Der einzige offizielle Eingang führte von der Straße durch eine niedrige Holztür eine lange Treppe hinunter direkt in den Schalterraum. Der Tresor und die Schließfächer waren jeweils in einer extra dafür aus dem Untergrund geschlagenen, dahinter liegenden Höhle. Niemand außer den Angestellten wusste, wieviele weitere Zugänge es über Stollen gab.
Valdimier, Kanndra und die übrigen FROGs im Einsatz hatten sich auf dem Weg in die Schmelzgasse bereits eine Strategie zurecht gelegt. Sie wollten die Angestellten in Sicherheit bringen und dann in der Bank verteilt auf den Täter warten. Braggasch und Kamillus würden die Bankleute spielen, Norti und Nyvania Kunden, während sich Valdimier, Kanndra und Steffan Angelhart verborgen halten würden. Stefan Mann überwachte den Eingang von einem gegenüberliegenden Dach. Doch in der Bank angekommen, stießen sie auf Widerstand.
"Kommt gar nicht in Frage", Ginnar Glodson, seines Zeichens sowohl Inhaber als auch Direktor der Bank, verschränkte die Arme in einer abwehrenden Geste und starrte die Wächter finster an. "Wir haben sowieso noch ein Hühnchen mit dem Kerl zu rupfen."
Der Vampir schüttelte fassungslos den Kopf. "Und wir können nicht zulassen, dass Sie sich da einmischen. Was ist denn, wenn jemand verletzt wird?"
"Ha! Das soll er erst mal versuchen. Wir haben jedenfalls unsere Äxte griffbereit." Glodson warf Kamillus und Braggasch einen verächtlichen Blick zu. "Außerdem können wir nicht einfach dahergelaufenen Wächtern das Gold unserer Kunden anvertrauen."
Valdimier sah, dass der Zwerg in diesem Punkt nicht zu Verhandlungen bereit war und nickte widerwillig. "Na gut..."
"Es kommt jemand", zischte Kanndra von der Tür her und sofort brach hektische Aktivität aus. Die Angestellten wurden hinter die Pulte gescheucht, und die zwergischen Späher gesellten sich dazu. Norti und Nyvania verteilten sich vor zwei der Pulte, der Rest schlüpfte in die vorgesehenen Verstecke.
Man hörte, wie sich die Tür öffnete und schloss, dann blieb es einen Augenblick still. Für die menschlichen Beobachter lag der Eingang zu sehr im Schatten, um etwas zu erkennen, doch der Vampir und die Zwerge sahen einen älteren Mann in unauffälliger Kleidung, der sich eine Maske umgebunden hatte, die nur die Augen bedeckte und eine Armbrust in der Hand hielt. Er ging zwei Stufen hinunter und nun konnten ihn auch die Menschen genau sehen.
"Er trägt die Maske des Phantoms", flüsterte Braggasch Kamillus zu, der bestätigend nickte.
"Hände hoch, das ist ein Überfall!", sprach der Mann die traditionelle Formel der Bankräuber. Er wirkte angespannt und schwenkte die Waffe von einer Seite zu anderen.
"Komm weiter runter, komm schon." Valdimier beobachtete den Täter voller Spannung.
Die Bank war die ideale Falle, allerdings nur, wenn der Täter bereits in der Schalterhöhle stand. In dieser Position konnten sie ihn nicht von hinten einkreisen und er wäre mit zwei Sätzen zurück auf der Straße. Dann konnten sie nur noch auf Stefan hoffen.
"Du da", er zeigte auf Kamillus, "pack hier so viel Gold rein, wie es geht." Das Phantom schwenkte einen Sack und stieg zwei weitere Stufen hinunter.
"Dazu müsste Sie schon näher kommen", erwiderte der Obergefreite und versuchte nicht zu seinem auf dem Pult versteckten achatenen Krummdolch zu schielen. Langsam nahm er die Hände wieder runter. "Ich kann nicht gut fangen."
Der Mann zögerte, schwenkte noch einmal die Armbrust und verlangte von den beiden "Kunden", sie sollten sich auf den Boden legen. "Und die anderen lassen schön die Hände oben."
Dann machte er den entscheidenden Fehler. Er kam die Treppe ganz herunter und ging zu Kamillus' Pult.
"Los, vollpacken! Aber schn..." Das Gefühl einer Armbrustspitze, die ihm im Nacken kitzelte, ließ ihn den Satz nicht beenden.

Teil 2: Das Phantom

Ich hatte beobachtet, wie sie ihn verhaftet hatten und so konnte ich jetzt frohgemut vor mich hin summend die Stadt auf meinem treuen Pferd verlassen. Sie würden sicher bald merken, dass sie den falschen erwischt hatten. Der Junge stellte sich einfach zu dämlich an, um das echte Phantom zu sein, auch wenn er sich eingebildet hatte, er könnte ihm das Wasser reichen. Bei dem Gedanken an die Zeitungsartikel, die ich zufällig in den zwei Tage alten Ausgaben der Times gelesen hatte, die der Händler um die Ecke bei uns verkaufte, sträubten sich mir noch jetzt die Nackenhaare. Als ich sah, dass der Ruf meines leider vor fünf Jahren verstorbenen Vaters derart in den Dreck gezogen wurde, musste ich einfach handeln. Aber jetzt hatte der Stümper dafür bezahlt und selbst wenn er nicht am Galgen landete, würde er sich hüten, noch einmal als Phantom aufzutreten.
Ich erinnere mich noch gut an den Tag, als ich herausfand, wer hinter diesem geheimnisvollen Namen steckte, den man schon oft in der Zeitung lesen konnte. Plötzlich passte alles zusammen: warum ich bei meinen Großeltern aufwuchs, die Angst vor meinem Vater hatten und sich deshalb nicht trauten, ihm die häufigen Besuche zu verbieten, die Abenteuergeschichten, die mein Vater bei diesen Gelegenheiten erzählte und vor allem die vielen "Übungstexte", die er mir gab und die ich in der selben Schrift genau kopieren musste, wie im Original. Er hatte wohl früh mein Talent für die Urkundenfälschung erkannt und für seine Zwecke genutzt. Ich sagte meinem Vater meine Erkenntnis auf den Kopf zu und er stritt sie nicht ab, sondern lächelte nur. Später nahm er mich sogar häufiger einmal mit. Zum Beispiel musste ich für ein paar Tage bei einer fremden Familie einziehen und so tun, als sei ich ein Waisenkind. Nunja, zumindest zur Hälfte stimmte das ja auch, denn meine Mutter war bei meiner Geburt gestorben.
Dank meiner Oma lernte ich aber einen ordentlichen Beruf, dann heiratete ich und bekam Kinder. Mein Vater wurde schließlich von etwas überlistet, das er nicht planen konnte: er starb an einer Lungenentzündung. Fünf Jahre lang hatte ich in Frieden in unserem Dorf gelebt und nicht mehr an das Phantom gedacht. Bis dieser unreife Bengel auftauchte, der aber auch wirklich gar keine Ahnung hatte, wie man einen vernünftigen Coup durchzog. Er war einfach in die Oper spaziert, hatte eine Armbrust gezogen und diesen Juwelier bedroht. Ohne einen Fluchtweg, ohne einen Plan der weiteren Vorgehensweise oder eine Alternative zu bedenken. Bei der Abendgesellschaft war es auch nichts anderes gewesen, nur hatte er dort mehr Glück. Selbst ich mit meinen spärlichen Erfahrungen krimineller Art konnte das besser, davon war ich überzeugt. Der absolute Tiefpunkt war jedoch der hirnrissige Plan, Vetinari mit der Sprengung der Messingbrücke erpressen zu wollen! Eigentlich hätte es mir nichts ausmachen dürfen. Mein Vater war tot und ich war schon lange "ehrbar". Trotzdem konnte ich es nicht ertragen, dass sich die Leute nur noch an den großen Stümper erinnern würden, nicht an den Künstler, der er war. Ich packte meine Sachen und ritt in die große Stadt zurück.
Es gab da jemanden, der mir noch einen Gefallen schuldete. Zusammen mit meinem gefragten, aber seltenen Fälschertalent öffnete mir das die richtigen Türen, um das neue Phantom schnell ausfindig zu machen. Ich war geschockt, als ich sah, wie jung er noch war. Er stellte sich mir als Martin Grieskopf vor. Zunächst war er mir gegenüber sehr misstrauisch, als ich jedoch mein berühmt-berüchtigtes Elternteil erwähnte, war er begeistert. Er hat es mir sofort geglaubt und zugegeben, ein großer "Fan" des Phantoms zu sein. Nur deshalb habe er angefangen, unter diesem Namen zu arbeiten. Ich hätte ihm gern einiges an den Kopf geworfen, doch ich wollte meine Rache. Also habe ich mich bei ihm eingeschmeichelt und die Prinzessinnen-Nummer mit ihm durchgeplant, um sein Vertrauen zu gewinnen. Es klappte besser, als ich erwartet hatte. Sowohl Kalender als auch Martin fraßen mir aus der Hand. Um ganz sicher zu gehen, um ihn quasi einzulullen, zeigte ich ihm noch einen eleganten Weg, eine Bank um einige Tausender zu erleichtern. Nebenbei, so suggerierte ich ihm, eine gute Gelegenheit, das Geldinstitut für einen Bankraub auszuspähen. Nicht zu fassen, dass er darauf auch noch eingestiegen ist, obwohl er doch schon gesehen hatte, dass es bessere Wege gab. Ich glaube, der Junge ist unbelehrbar.
Von dem Geld konnten wir eine Zeit gut leben und ich brauchte diese, um mich über die Wache kundig zu machen. Früher hatte ich mich nicht sonderlich für die Gesetzeshüter interessiert und in fünf Jahren ist auch einiges passiert. So gab es zum Beispiel einen neuen Kommandeur, dessen Unterschrift ich mir erst von einem öffentlichen Aushang besorgen musste. Noch schwieriger war es, eine Schriftprobe der übrigen Handschrift aufzutreiben, aber auch das gelang mir. Nun musste ich nur noch unbemerkt in das Büro des FROG-Abteilungsleiters gelangen. Diese wurden, so hatte ich mich erkundigt, in Fällen wie einem Banküberfall als erstes benachrichtigt. Ich kam unauffällig in das Wachhaus und konnte wenig später beobachten, wie der Vampir zufälligerweise gerade jetzt aus seinem Büro zu einem Einsatz stürmte. Gut, dass ich ein wenig nachgeholfen hatte. Er hatte es so eilig, dass er vergaß, die Tür zu schließen. Da war es ein leichtes, die vermeintliche Anweisung des Kommandeurs zu platzieren. Anschließend konnte ich allerdings eine Zeit lang das Büro nicht mehr verlassen, weil sich ein paar Wächter den Flur davor ausgesucht hatten, um ein Schwätzchen zu halten. So hätte van Varwald mich beinahe doch noch erwischt, doch die Tarnung als alte Frau ist immer noch die beste.
Ich atmete auf, als ich den Dunstkreis der Stadt endlich hinter mir hatte. Frische Luft! Der leichte Kohlgeruch war eine richtige Wohltat im Gegensatz zu dem Gestank von Ankh-Morpork. Allerdings hatte sich der Besuch dort gelohnt. Ich hatte dafür gesorgt, dass Grieskopf einen Denkzettel erhielt, den Ruf meines Vaters gerettet und Taschen voller Geld abgesahnt. Außerdem, so musste ich mir eingestehen, hatte es Spaß gemacht. Nein, meine Kinder brauchten mich, Grisel Donnerbalk, ihre Mutter. Andererseits würden sie mich nicht ewig brauchen.
Eines Tages, vielleicht...

[1] jedenfalls soweit diese ihr Gold einer Bank anvertrauten

[2] Hohlraum unter der Erde, nicht zu verwechseln mit einer Taverne, in der alkoholische Getränke ausgeschenkt werden. Obwohl die genauso stilecht gewesen wäre ;)

Zählt als Patch-Mission für den Späherin-Patch.



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Feedback:

Von Braggasch Goldwart

01.03.2010 11:53

Wie erwartet schönes Stück. Auch hier gefällt mir der für die Wache unbefriedigende Schluss. Allerdings gibt es kein wirkliches Spannungshoch, wobei es sicher ein leichtes gewesen wäre, die Bankszene in diese Richtung noch etwas auszubauen und mal richtig auf die Kacke zu hauen. Die Geschichte plätschert also ein wenig, könnte man sagen.

Von Breda Krulock

01.03.2010 11:53

Ich denke, du bist die einzige von uns Teilnehmern, die die Vorlage richtig umgesetzt hat :)Auch wenn ich während des Lesens ein wenig die Spannung vermisst habe, fand ich die Auflösung sehr gut. Und damit bist du auch meine persönliche Nummer 1 in dieser Runde.

Von Huitztli Pochtli

01.03.2010 11:53

Deine Ideen fand ich sehr gut. Doch leider wirkte das Ende etwas "gequetscht" auf mich, als ob du hast fertig werden müssen.

Von Ophelia Ziegenberger

01.03.2010 11:53

Auch dies eine ganz hervorragende Pokey! Vom Plot, über die Interaktion der Figuren, bis hin zu den zwei Erzählsichten eine runde Sache. Der im letzten Absatz versteckte Perspektivwechsel hat dem Ganzen noch die Krone aufgesetzt. Von mir gab es die volle Punktzahl.

Von Sebulon, Sohn des Samax

01.03.2010 11:53

Hmm ... mir war klar, dass es die Alte ist, seit sie zwischendurch so 'unauffällig' aufgetreten ist. Für mich hätte Teil 1 nicht stehen müssen. ;)

Von Kanndra

02.03.2010 17:26

Danke für die viele positive Kritik :). Ich war persönlich nicht ganz zufrieden mit der Single. So war mir der fehlende Spannungsbogen durchaus bewusst. Das lag hauptsächlich daran, dass ich sie lieber aus einer anderen Perspektive geschrieben hätte - aber dafür hätte ich wohl auch mehr Zeit gebraucht.

Die Bankszene wollte ich nicht noch mehr ausbauen, damit sie kein "Übergewicht" bekommt. Aber ich mag die Bank und habe sie auch ins Wiki eingetragen. Vielleicht hört man ja mal das eine oder andere noch von ihr ;)

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