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Für Rekruten (erste Mission):
Du darfst einem SUSI-Wächter helfen und Beweisstücke in der Asservatenkammer sortieren. Was für ein langweiliger Job! Oder etwa doch nicht?
Dafür vergebene Note: 12
Es war ein ganz gewöhnlicher Winterabend in der Geflickten Trommel.
Die flackernden Kerzen in den Leuchtern, die an eisernen Ketten von den rußgeschwärzten Deckenbalken herunterhingen, erhellten den Schankraum nur ungenügend und ein fleißiger Sucher hätte in den schmutzigen Binsen auf dem Boden sicherlich ein kleines Vermögen an Ankh-Morpork-Cent, mehrere unentdeckte Tierarten und die ausgeschlagenen Zähne und abgehackten Finger der letzten fünf Schlägereien gefunden. In dem gewaltigen Kamin am Kopfende des Wirtshauses kämpfte ein loderndes Feuer gegen die in den Straßen der Stadt herrschende beißende Kälte an und die wenigen Besucher, die sich an jenem Abend in die Trommel verirrt hatten, scharten sich um die einzige Wärmequelle. An der Theke beschäftigte sich ein Orang-Utan hingebungsvoll mit dem Inhalt einer Schale Erdnüsse, während Hibiskus Dunhelm, der Besitzer der Taverne, sich die Zeit mit der für alle gelangweilten Wirte des Multiversums obligatorischen Tätigkeit vertrieb - er putzte mit einem schmierigen Lappen die Bierkrüge.
Raistan Quetschkorn mochte die Geflickte Trommel. Sie bildete eine unverrückbare Konstante im Strudel der Beinahe-Katastrophen, die Ankh-Morpork jeden Tag aufs Neue heimsuchten. Mochte auch anderswo wieder einmal der Untergang der Scheibenwelt drohen, hier konnte man sich darauf verlassen, dass Fettaugen in den Getränken schwammen, unflätige Worte zum Standardvokabular der Gäste gehörten und ein gebrochenes Nasenbein nach dem offiziellen Regelwerk des Tavernenkampfes mit drei Punkten belohnt wurde.
Mit von der Kälte geröteter Nase und steif gefrorenen Fingern schlüpfte Raistan an dem Zerreißertroll vorbei durch die Tavernentür und schlug die Kapuze seines Umhangs zurück. Ein olfaktorisches Bouquet von schalem Bier, kaltem Rauch, ungewaschenen Körpern und dem Ankh traf seine Geruchsnerven mit der Wucht eines Vorschlaghammers und reizte seine schwachen Lungen, doch er blinzelte die Tränen, die ihm in die Augen stiegen fort und sah sich um, bis er fand, was er suchte. Im hintersten Winkel des Schankraumes saß eine zierliche Person in der Uniform eines Rekruten der Stadtwache von Ankh-Morpork an einem Tisch und kritzelte eifrig auf einem Blatt Papier herum. Mehrere zusammengeknüllte Blätter bildeten bereits einen kleinen Haufen um den Bierkrug herum.
Raistan runzelte die Stirn, als er sich seinen Weg durch die Tische hindurch bahnte. Er kannte seine beste Freundin gut genug um zu wissen, dass sie Schreibarbeit verabscheute. Was mochte sie wohl dazu bewogen haben, den ganzen Kram zu ihrem wöchentlichen Tavernenabend mitzubringen?
Nyria Maior warf den Bleistift auf die Tischplatte und raufte sich das wirre, aschblonde Haar. Als sie Raistan sah, brachte sie ein gequältes Grinsen zustande, das ihr scharfes Gebiss funkeln ließ.
"Das wars." verkündete sie zur Begrüßung und fuhr sich mit der Handkante über die Kehle. "Morgen werfen sie mich raus."
"Was?" Raistan glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen.
"Setz dich." forderte Nyria ihn auf. "Das ist eine lange Geschichte."
Der junge Zauberer hängte seinen Umhang über die Stuhllehne und lehnte seinen Stab neben sich an die Wand. Dann nahm er gegenüber seiner Freundin Platz und pflückte einen der Papierbälle von der Tischplatte.
"Und was soll das werden, wenn es fertig ist?"
"Kunstschnee für das Wachhausdach." antwortete ihm Nyria mit Grabesstimme. "Nein. Ein eindrucksvolles Monument für mein Versagen."
Raistan faltete das Blatt auseinander und strich es mit der Handfläche glatt. Die Seite war zu einem Drittel mit Nyrias ungelenker Handschrift bedeckt.
"Zäh wie Sirup floss das Licht über den Rand der Scheibenwelt und kroch durch die Straßen der Zwillingsstadt Ankh-Morpork." las er vor. "Verlangen sie bei GRUND neuerdings auch noch von euch, Romane zu schreiben?"
Nyria schüttelte den Kopf und trank einen tiefen Schluck aus ihrem Bierhumpen.
"Fähnrich Mambosamba ist schon lange unzufrieden mit mir." erklärte sie und wischte sich den Bierschaum vom Mund. "Deshalb hat sie mir den Auftrag gegeben, die Asservatenkammer von SUSI aufzuräumen. Nach dem Umzug in den dritten Stock stand die Hälfte des Zeugs immer noch in Kartons verpackt herum. Und um, wie sie sich ausdrückte, mein ständiges Motivationsproblem zu beheben, soll ich einen Bericht von mindestens tausend Wörtern über meine Tätigkeit dort schreiben, sonst sorgt sie dafür, dass mein Dienst für ein- und allemal beendet ist. Verdammt, wie soll ich die bloß voll bekommen? Es gibt nur soundso viele Möglichkeiten, ein Einmachglas oder eine Schachtel in ein Regal zu heben und mit einem Zettel zu bekleben. Deshalb versuche ich gerade, den Text irgendwie zu strecken." Sie zupfte das Blatt unter Raistans knochiger Hand hervor und hielt es hoch. "Leider bisher nicht besonders erfolgreich, wie du siehst."
"Du wirst nicht rausfliegen." versuchte der junge Zauberer, ihr zu versichern.
"Doch." Nyria verzog das Gesicht. "Die Gardinenpredigt des Fähnrichs war sehr eindeutig. Das Schlimme an ihr ist, sie schreit dich nicht an, wie so mancher anderer Ausbilder. Nein, sie redet ganz ruhig mit einem und das, was sie sagt, schneidet einem so richtig ins Fleisch. Ich würde wetten, dass sie irgendwann mal bei unserem Herrn Kommandeur Stunden in püschologischer Kriegsführung genommen hat. Jedenfalls hat sie mir unter die Nase gerieben, dass ich nun schon seit fast zwei Jahren Rekrutin wäre und das nicht so weiter gehen könnte. Und da stehe ich jetzt, Nyria Maior, sogar zu unfähig, den Beruf auszuüben, der einem empfohlen wird, wenn man überhaupt nichts kann."
Raistan schluckte eine Bemerkung, dass sie es immer noch bei der Palastwache versuchen könnte, herunter. Der leise Stachel der Schuld prickelte in seinem Nacken. Er war es damals gewesen, der Nyria dazu überredet hatte, der Wache beizutreten.
"Wir könnten den Bericht zusammen schreiben." schlug er vor. "Ich bezweifle, dass der Fähnrich Spione ausgeschickt hat, um dich beim Verfassen zu beobachten. Tausend Wörter sind schaffbar. Meine Promotionsarbeit über n-dimensionale B-Raum-Theorie hatte über hunderttausend Wörter."
Er sah, wie sich Nyria sichtbar entspannte und der Geist ihres üblichen frechen Grinsens auf ihr Gesicht zurückkehrte.
"Danke." sagte sie und drückte über den Tisch hinweg seine Hand. "Ihr Zauberer seid doch die Besten, wenn es um die Lösung von aussichtslosen Problemen geht."
"Andererseits sind wir genauso gut darin, welche zu schaffen." bemerkte er trocken.
Nyria ließ das Blatt Papier auf den Tisch fallen. "Vielleicht sollte ich den Sirup wirklich vergessen." sagte sie. "Den Satz hatte ich eh nur aus einem Cohen der Barbar-Heft geklaut."
Hibiskus Dunhelm, der die Trinkgewohnheiten seiner Stammgäste auswendig kannte, und spürte, wenn sie lieber ungestört blieben, servierte Raistan wortlos seine Tasse Kräutertee und zog sich ebenso stumm wieder zurück. Nachdenklich schob der junge Zauberer die Fettaugen auf der Oberfläche seines Getränks mit dem Löffel herum.
"Wie wäre es, wenn du einfach damit anfängst, wie du aufstehst und dich für deinen Dienst fertig machst?" schlug er vor. "Damit dürften schon mal gut hundert Wörter zu schinden sein."
"Also, ich stehe auf, wasche mich, lege meine Uniform an und frühstücke." nahm Nyria den Faden auf. "Dann mache ich mich frohen Mutes auf den Weg zum Wachhaus am Pseudopolisplatz, weil ich mich so darauf freue, diese verfluchte Asservatenkammer aufräumen zu dürfen. Was hältst du davon, wenn ich unterwegs noch eins von Schnappers Würstchen esse, ausgiebig über den Preis verhandele und mich danach in den Rinnstein übergebe und dabei von einem Gildendieb ausgeraubt werde? Das gibt auch einige Wörter her."
"Ich weiß nicht, ob der Fähnrich dir das abnimmt." warf Raistan ein. "Du bist schließlich kein Grünschnabel aus Überwald, der gerade seinen ersten Tag in Ankh-Morpork erlebt."
"Viele Rekruten haben das in ihren Berichten geschrieben. Ich habe schon im Archiv gespickt. Wenn wir schon mal dabei sind, könnte ich mir auch ein intelligentes Haustier ausdenken. Mit dessen Taten bekomme ich sicherlich auch einige Wörter zusammen. Weißt du, ich wollte schon immer mal einen stepptanzenden vieldeutigen Puzuma, der gleichzeitig auch die Nationalhymne singen kann, haben."
Raistan lachte leise. Wenn Nyria erst einmal anfing, Blödsinn zu treiben, war die schlimmste Verzweiflung verflogen.
"Was willst du mit einem intelligenten Haustier?" fragte er. "Ich meine, bei Vollmond bist du doch selbst ein..."
"Untersteh dich!" Nyria ließ ein lang gezogenes Knurren hören und ein gelblicher Schimmer trat in ihre smaragdgrünen Augen. "Obwohl, eigentlich hast du ja recht. Ich könnte eine Verwandlungsszene in meinen Bericht einbauen. So lange ich kein wichtiges Beweismaterial fresse, ist das nichts, was mir Ärger einhandeln könnte."
"Was waren das eigentlich für Beweisstücke, die du einräumen musstest?" fragte Raistan.
Nyria schwieg für einen Moment und häufte ihre zerknüllten Entwürfe vor sich zu einer Pyramide auf.
"Komisches Zeug." sagte sie schließlich. "Und manches war auch richtig unheimlich, zum Beispiel der in Alkohol eingelegte Hamster. Auf dem Etikett des Glases hieß es, dass er aus dem Hals einer Rekrutin namens Suklanila entfernt wurde, die daran erstickt ist. Wie schafft man denn so etwas?"
"Ich habe nicht die geringste Ahnung." antwortete ihr Raistan wahrheitsgemäß.
"Kurzdrum, wenn die Wache mal dringend Geld braucht, sollte sie einfach ein Kuriositätenkabinett aus ihrer Asservatenkammer machen." bemerkte Nyria und widmete sich wieder ihrem Bier. "Es gibt Leute, die machen aus wirklich allem eine Mordwaffe. Wusstest du schon, dass es möglich ist, jemanden mit einer Ente oder einer Banane zu ermorden? Oder dass es mal einen Versuch gab, Mini-Steinkreise als Hex für alle zu verkaufen?"
Raistan schüttelte den Kopf, was sein langes Haar dazu nutzte, ihm wie eine Gardine vor das Gesicht zu fallen.
"Die Sache mit den Steinkreisen endete damit, dass eine Wächterin namens Venezia Knurblich das Lagerhaus, in dem der Händler seinen Vorrat aufbewahrte, einfach mit Pulver Nummer eins in die Luft gesprengt hat." Nyria sah träumerisch zur Decke. "Ich weiß nicht... so eine spektakuläre Szene könnte mein Bericht doch eigentlich auch gebrauchen. Nachher findet der Fähnrich ihn noch so langweilig, dass sie das wieder auf meine mangelnde Motivation zurückführt und mich rauswirft."
"Du willst doch wohl nicht schreiben, dass du die Asservatenkammer pulverisiert hast?"
"Nein." Nyria packte ihren Tabaksbeutel aus und begann, sich eine Zigarette zu drehen. "Ich dachte eher daran, dass ich ein ganz besonders geheimnisvolles Objekt finde, dessen verborgene Botschaft ich zufällig entziffern kann. Wenn es nur noch wenige Stunden sind, bis ein geheimnisvoller Kult die Scheibenwelt ins Verderben reißen will und ich nach irrsinniger Anstrengung, wo ich auch gut die Verwandlungsszene einbauen kann, in letzter Sekunde den geheimen Treffpunkt hochgehen lasse, kann Fähnrich Mambosamba mir wohl kaum mangelnde Motivation vorwerfen."
"Das nicht. Aber wie steht es mit hemmungsloser Übertreibung?" fragte Raistan skeptisch. Wenn Nyria erst einmal in Fahrt gekommen war, neigte sie dazu, ihrer Fantasie allzu sehr freien Lauf zu lassen.
"Die Explosion braucht ja nicht so groß zu sein, dass sie ein halbes Viertel in Schutt und Asche legt. Außerdem übertreiben manche andere Rekruten genauso. Vielleicht wurden sie ja deshalb nur so schnell befördert, weil sie ein paar Heldentaten in ihre Berichte eingebaut haben, die sie so gar nicht begangen haben? Wenn man nur schreibt, wie man jeden Tag zum Unterricht geht und die Berichte von Bagatellfällen abarbeitet, muss es den Ausbildern ja wie ein Motivationsproblem vorkommen, wenn die eigenen Berichte nie beschönigt sind, sondern den Alltag darstellen, wie er ist." Nyria klemmte ihre fertig gedrehte Zigarette in den Mundwinkel. "Vielleicht ist ein leichtes Beschönigen der Berichte ja wirklich das beste Mittel, um endlich Gefreite zu werden. Die ersten derjenigen, mit denen ich damals angefangen habe, sind mittlerweile sogar schon Unteroffiziere." Sie riss ein Streichholz an der Tischplatte an.
"Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast." sagte Raistan nachdenklich. "Was glaubst du, wie manche Zauberer ihre Forschungsergebnisse beschönigen, wenn der Quästor kurz davor ist, seine Runde zu machen. Wer weiß, vielleicht klappt es ja tatsächlich?"
Nyria blies eine Rauchwolke in die stinkende Luft der Geflickten Trommel und griff zum Bleistift.
"Und selbst wenn es der schlechteste Bericht aller Zeiten wird, er wird tausend Wörter haben und daran wird selbst der Fähnrich nicht rütteln können!" verkündete sie und wandte sich dem Papier zu wie ein barbarischer Held dem Eingang des Verließes.
Raistan beobachtete ihren Kampf mit den Wörtern und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Kaum jemand konnte nachvollziehen, wieso er sich ausgerechnet mit einer unsteten, chronisch arbeitsscheuen Werwölfin anfreunden konnte. Doch sie kannten Nyria nicht. Wenn es hart auf hart kam, konnte man sich sicher sein, dass sie einem zur Seite stand. Nachdenklich spielte der junge Zauberer mit seinem Teelöffel. Vielleicht würden auch ihre Vorgesetzten irgendwann Nyrias verborgene Qualitäten erkennen. Trotz eines hoffnungslos abstrusen Berichts von genau eintausend Worten.
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