Die Assassinengilde bietet den RUM-Mitgliedern seit neuestem Fortbildungskurse an. Während einer Vorlesung über "Spitze Waffen und Löcher, die sie hinterlassen", wird der Dozent ermordet. Die Assassinen behaupten ein Wächter wäre der Mörder. Finde den echten Mörder und stelle den guten Ruf der Wache wieder her.
Dafür vergebene Note: 11
"
... und spitze Waffen", sagte Habermilch Benimmdich und hob seinen antiken Dolch aus dem Jahrhundert der Wankelmütigen Wiesel empor, "
kann man im allgemeinen ..."
"Ich wünschte, der würde endlich zum Punkt kommen", brummte Kolumbini und bohrte mit dem kleinen Finger im Ohr. "Er redet jetzt schon seit einer halben Stunde über die Spitze von seinem dummen Dolch. Als wenn wir noch nie einen gesehen hätten."
"Richtig", knurrte Jack Narrator, der immer wieder ungeduldig auf die Uhr an der Westfront schaute. "Hätte ich gewusst, dass er so ein Langweiler ist ..."
"Psst!", zischte Kadwallader Janders. "Ich will das hören!"
"
... an ihrer Spitze erkennen, die normalerweise ..."
"... dann hätte ich abgesagt", flüsterte Jack.
"Der Kurs ist obligatorisch", entgegnete Pyronekdan.
"Dann wär' ich eben krank gewesen. Es ist ja eh nur die Hälfte von RUM hier ..."
"Psssst!", zischte der Gefreite erneut.
"Jaja, schon gut."
"
... und für gewöhnlich, nun ja, recht spitz ist ..."
"Ich geh mal eben aufs stille Örtchen", brummte Jack und erhob sich.
In der letzten Reihe des Raumes saß Sebulon allein und hörte frustriert zu. Überraschenderweise hörte er nicht nur den Vortrag über 'Spitze Waffen und Löcher, die sie hinterlassen', der bisher noch nicht bei den Löchern angekommen war, sondern zeitgleich auch einen Vortrag über 'Gifte und geeignete Projektile'. Sein Blatt war über und über voll mit Notizen aus beiden Vorträgen.
Frustriert war der Zwerg jedoch nicht, weil beide Referenten
[1] den gleichen langatmigen Redestil hatten, sondern vor allem, weil er in jedem Satz herauszuhören meinte, wie sehr Herr Benimmdich mit seiner Beziehung unzufrieden war. Als Püschologe zu arbeiten hatte eben auch Nachteile.
"
... obschon der Terminus 'spitz' ja relativ zu verstehen ist ..."
Jack hatte den Raum gerade verlassen, als Sebulon auffiel, dass auch der Kontakter i.A. Glimbal Stur nicht mehr im Raum war. Offensichtlich konnte sich nicht jeder aus der Abteilung gut auf den Vortragenden konzentrieren.
"
und hängt nicht nur von Faktoren wie Beschaffenheit der Waffe, Stumpfheit und, nun ja, Kraft ..."
Kadwallader hob gerade die Hand, um eine Frage zu stellen, als ein Heulen ertönte, das Fenster zersprang, jemand schrie, Herr Benimmdich zu Boden fiel und Blut aus ihm zu strömen begann.
Sebulon würgte, Kadwallader fluchte, Pyronekdan sprang auf und auf den verletzten Dozenten zu - doch es war zu spät.
Er war bereits tot.
Es gab ein Krisengespräch mit den Assassinen in einem Büro am anderen Ende des Flurs.
Beide Seiten bedauerten den Tod des alten Benimmdich.
Bis jemand den Verdacht gegen die Wächter aussprach. Ein Wächter ging so weit, die Assassinen ihrerseits zu beschuldigen und ehe man verstand, was vor sich ging, war eine Anwesenheitspflicht über die Wächter verhängt, bis der Fall geklärt wäre.
"Und wie sollen wir unsere Unschuld beweisen, wenn wir den Raum nicht verlassen dürfen?", fragte Jack.
"Unschuld?", fragte Gernot Kleinschnitt mit einem kalten Blick.
[2]"Ich hätte - ich hätte einen Vorschlag", sagte Kadwallader Janders vorsichtig.
"So?", fragte Kolumbini, "und welchen?"
"Wir bilden drei Vierer-Teams: Je zwei Assassinen und zwei Wächter. Dann kann der Mord aufgeklärt werden und niemand kommt in die Gefahr, mit dem Mörder ganz alleine zu sein."
"Was ist das für ein Mist?", brummte Jack. "Ich habe noch Aufgaben, die regulär auf mich warten."
"Die müssen wohl von der anderen Abteilungshälfte bearbeitet werden", seufzte Glimbal. "Ich befürchte, wir haben, was das hier angeht, keine Wahl."
"Haben wir Verdächtige?", fragte Freund Beuteltasche und grinste in die Runde.
Kolumbini rückte das Monokel zurecht und sagte: "Jeder, der nicht im Raum war, ist potentiell, ich möchte sagen: wahrscheinlich an der Tat beteiligt."
"Und jeder, der sich auf zeitgesteuerte Mechanik versteht", gab Jack zu bedenken, "denn dann könnte man während des eigentlichen Mordes im Raum sitzen und wäre über Zweifel erhaben."
"Es ist aber auch jeder verdächtig, der jemanden kennt, der sich auf zeitgesteuerte ...", gab Sebulon zurück.
"Gut, gut, wir sind also alle verdächtig", brach Gernot Kleinschnitt ab. "Plus der obligatorische Unbekannte. Hat jemand von uns einen Grund gehabt, ihn zu töten?"
Stille lag auf dem Raum. Vier von sechs Wächtern fluchten in Gedanken, weil sie dem langweiligen Dozenten insgeheim einiges an den Hals gewünscht hatten.
Gernot dachte einen Moment über den Charakter des ehemaligen Assassinen nach und fügte dann hinzu: "Einen guten Grund?"
Alle im Raum anwesenden schüttelten den Kopf.
"Na dann, meine Herren: Bitte formt Vierer-Gruppen. Wir haben einen Mord zu klären."
"Wonach suchen wir?", fragte Glimbal.
"Nach allem, was unpassend aussieht", meinte Sebulon geistesabwesend.
"Oder bösartig", sagte Freund Beuteltasche und lächelte auf seine spezielle Art, die einem das Gefühl gab, nackt zu sein.
"Oder nach Mord", sagte der Assassine Helmchen Brand, der leise und mit etwas Abstand hinter den Dreien herlief.
Glimbal sah seine Begleiter nacheinander an und murmelte: "Ihr meint das ernst, oder?"
"Warum sollten wir nicht?", fragte der Püschologe.
"Hallo? Wir sind bei den Assassinen, schon vergessen? Mord, bösartig, auch unpassend - diese Worte beschreiben schon die Gilde an sich. Nichts für ungut, meine Herren."
"Kein Problem", antwortete Herr Beuteltasche heiter.
"Also", fuhr Glimbal fort, "könntet ihr etwas genauer sagen, wonach ..."
Die vier Männer blieben stehen.
An der Wand vor ihnen war in großen Lettern geschrieben worden. Mit roter Farbe. Blutrot.
"Das sehr hoch", knarrte Tillit, als er schwerfällig über das Dach kletterte.
"Du hast Höhenangst?", fragte Kolumbini, der betont langsam vor dem Troll kletterte. "Warum, bei Offler, ist dir das nicht eingefallen, als wir noch unten waren?"
"Unten es nicht hoch gewesen."
"Verstehe", sagte Kolumbini und rückte sein Monokel zurecht. Er hatte genug Erfahrung mit Trollen, um ihre Logik aushalten zu können - wenn auch mit Mühe. "Trotzdem dachte ich, ihr Assassinen habt in der Ausbildung Klettern standardmäßig zu lernen!"
"In der Tat", meinte Auchgut Müller ausdruckslos, "verhält es sich so, dass wir auch Angriff Aus Hohen Höhen belegen müssen, und dass zur abschließenden Prüfung ein Hindernislauf über die mitunter recht instabilen Dächern der Stadt gehört."
"Noch immer hoch ist", knarrte Tillit. "Besser wieder umkehren."
"Das wirst du nicht, Troll", ächzte Jack, der als Letzter das Dach erklomm. "Wenn ich es bis hier oben geschafft habe, wirst du das auch packen!"
"Jetzt wo ich drüber nachdenke", meinte Auchgut und sah sich zum Troll um, "fällt mir auf, dass du es mir nie erzählt hast. Wie hast du eigentlich deinen Abschlusstest bestanden, Tillit?"
"Dächer gemieden", meinte der Troll.
"Das war so klar!", keuchte Jack.
"Was ist das hier?", fragte Kolumbini.
"Hoffentlich etwas, was diesen Höllentrip wert war", fluchte der Püschologe und versuchte am Troll vorbeizusehen.
"Ich würde es für eine zeitgesteuerte Schussvorrichtung halten", sagte Auchgut und besah sich den Apparat. Dann sah er Jack in die Augen und sagte mit einem zynischen Lächeln: "Wie interessant. Deine Hypothese einer Zeitsteuerung stimmte. Was für ein bemerkenswerter Zufall." Ohne eine Antwort abzuwarten wandte er sich seinem Kollegen zu. "Habe lange keine mehr gesehen. Was meinst du, Tillit?"
"K-17 Unterspann", analysierte der Troll. "Halber Bolzen. Reichweite etwa F3."
"Was?", fragte Kolumbini.
"Wenn ich meinen Kollegen richtig verstehe, kann dieses Ding hier auf eine Entfernung von zirka ... 17 Meter präzise töten." Mit einer eleganten Bewegung zog Auchgut ein weißes Taschentuch hervor und putzte sich flink die Nase. "Er ist zwar nicht eloquent aber sein Gedächtnis ist präzise."
Als die Wächter wieder im Besprechungsraum waren, legte jedes der drei Tiehms ein Blatt Papier mit Notizen auf den Tisch.
"Jemand hat seinen Tod angekündigt", sagte Helmchen Brand. "Sebulon hier meint, dass die Schrift zu einem kühlen, planmäßigen Kopf passt. Und dass eine Mordankündigung gegenüber von den Toiletten reichlich geschmacklos ist, was ich durchaus mit tragen würde. Die Wand, an der wir die Ankündigung gefunden haben, ist jedenfalls zerkratzt und scheinbar mit Blut beschrieben."
"Scheinbar?", fragte Pyronekdan. "Hat jemand eine Probe mitgenommen?"
Rundum Zackig nickte und sagte dann: "Wir haben auch etwas gefunden: Auf dem Hinterhof steht ein Karren. Dreispänner, abgenutztes Kennzeichen, die Pferde ausgeruht. Der Mörder ist also noch auf dem Gelände, obwohl er eine Flucht vorbereitet hat."
"Karren?", fragte Glimbal. "Mit drei Pferden? Ist das dann nicht eher eine Kutsche?"
"Schon", räumte Pyronekdan ein, "nur stellst du dir unter einer Kutsche etwas Nobles vor, oder?"
"Wie dem auch sei, das Subjekt wurde durch eine zeitgesteuerte Bolzenschleuder Typ K17 inhumiert", schloss sich Auchgut an. "Vom Dach gegenüber."
"Ähm", meinte Kadwallader, "seid ihr nicht etwas schnell mit euren Schlussfolgerungen?"
Elf Blicke richteten sich auf den Gefreiten.
"Ich meine, nunja, vielleicht gehört der Wagen auf dem Hof jemand anderem, oder so?"
"Möglich", meinte Rundum, "aber unwahrscheinlich. Ich kenne die Leute, die hier arbeiten, und ihre Gefährte. Der gehört keinem Assassinen. Und ihr seid zu Fuß gekommen. Also ..."
Sebulon hielt sich die Stirn. Es war nicht leicht, zwei Gesprächen zu folgen, die sich gegenseitig widersprachen. In der einen Besprechung gab es enorm viele Hinweise, in der anderen fast keinen einzigen. Er sah auf und kniff die Augen zusammen. Da lagen noch immer die Notizen auf dem Tisch, also war scheinbar
diese Besprechung real. Aber es war schon seltsam, dass es so viele Hinweise auf den Tathergang gab. So gut verteilt. Und so zeitnah.
"... und ich sage, dass es jemand in diesem Raum gewesen sein muss!", rief Auchgut. Er beugte sich etwas vor und senkte die Stimme. "Es könnte jeder sein. Es könnte der junge Zackig hier sein, es könnte einer von diesen beiden Zwergen dort sein, es könnte sogar ich ...- Helmchen, nimm bitte den Dolch von meinem Hals."
"Wieso?", fragte Helmchen Brand trocken. "Das war doch gerade ein Geständnis, oder?"
Kolumbini räusperte sich. "Meine Herren, wenn ihr bitte eure Aggressionen hintanstellen würdet, bis wir den Mörder an Herrn Benimmdich gefunden haben." Zögerlich verschwand ein Dolch wieder unter einem Ärmel. "Danke. Was wir jetzt brauchen ist nicht nur etwas kühle Luft - Glimbal, würdest du bitte das Fenster öffnen? Danke - sondern auch handfeste Motive."
Glimbal stand schlecht gelaunt auf.
'
Handfeste Motive', dachte Sebulon.
Glimbal griff nach dem Fensterriegel.
Augen weiteten sich, als die Assassinen realisierten, was passierte.
Kadwallader meldete sich. "Ähm, das klingt zwar vielleicht dumm, aber was haltet ihr davon, wenn wir uns ...-"
Das Fenster öffnete sich quietschend.
"
Ducken!", brüllte Tillit und warf sich vor das Fenster. Fünf Pfeile, zwei Dolche und ein Armbrustbolzen blieben in ihm stecken. Ein weiterer Dolch, zwei Wurfsterne und eine Axt zierten Wand und Tisch, als der Troll sich nach seinen Kollegen umsah. Die Wächter hatten sich - in Sicherheit - unter den Tisch geworfen; die Assassinen saßen kerzengerade auf ihren Plätzen und lächelten unberührt.
"Gute Ware", sagte Gernot Kleinschnitt und legte behutsam einen weiteren Dolch auf den Tisch. "Der hier ist vergiftet. Man hat sich nicht lumpen lassen."
Während die Assassinen nach und nach aufgefangene Waffen auf dem Tisch drapierten und Tillit sich unter leisem Stöhnen einzelne Wurfwaffen aus der Trollhaut zog, kletterten die Wächter wieder unter dem Tisch hervor.
"Bemerkenswert", sagte Pyronekdan.
"Standard-Diebesvorkehrungen", brummte Freund Beuteltasche.
"Also kein Anschlagsversuch?", fragte Jack Narrator.
Die Assassinen schüttelten den Kopf.
"Hier bricht nur so selten jemand ein, dass wir scheinbar alle vergessen hatten, dass das Fenster alarmgesichert ist", sagte Auchgut Müller fröhlich. "Scheinbar hat die Diebesgilde ihre Lektion gelernt."
'
Ob es wirklich alle vergessen haben?', dachte Sebulon.
"Ist diese Sicherheitsvorkehrung in allen Räumen installiert?", fragte Kolumbini.
"In allen", bestätigte Freund Beuteltasche.
"Dann muss jemand gezielt im Hörsaal eure ... Diebesvorkehrungen gesichert haben. Klingt recht professionell, nicht wahr, das Vermeiden von unnötigen Verwundungen? Und nach einem Kenner der Gilde ... vorhin ist jedenfalls nichts derartiges passiert."
Schweigen lag auf dem Raum.
Misstrauische Blicke wurden ausgetauscht.
Kadwallader runzelte die Stirn. "Ich habe gerade einen eigenartigen Gedanken: Wir könnten, was unseren Fall betrifft, mal anwenden, was wir heute gelernt haben."
"Die Fenster keinesfalls öffnen?", vermutete Glimbal.
"Wände gründlich reinigen, wenn sie rot sind?", fragte Helmchen.
"Wir nicht klettern sollen, weil hohe Höhen oft oben?", knarrte Tillit.
"Nein, ich dachte mehr an den Vortrag. Über spitze Waffen. Warum guckt ihr mich so an?"
Freund Beuteltasche musterte Kadwallader mit bösem Blick. "Was ist dein Vorschlag?"
"Wir könnten die Leiche inspizieren."
"Tja, damit erledigt sich wohl erstmal die Frage, warum bisher niemand den Korpus untersucht hat", kommentierte Kolumbini. "Allerdings sieht es so aus, als ob der SUSI-Saubertrupp hier gewesen wäre und ganze Arbeit geleistet hätte ..."
Je sechs Wächter und Assassinen standen in einem blankgeputzten Hörsaal.
"Wo ist die verdammte Leiche?", brüllte Rundum Zackig.
"Weg", konstatierte Jack mürrisch.
"Das sehe ich auch,
Wächter."
Sebulon räusperte sich. "Nur für mich, zum Verständnis: Wir haben keine Leiche, aber jede Menge Anklagen des Mordes; wir haben keine Tatwaffe - nicht einmal mehr einen Tatort - aber eventuell eine Tatwaffen-Hilfsapparatur, wenn ich das so sagen darf. Wir haben eine Mordankündigung und einen versteckten Fluchtwagen. Zumindest bis jetzt. Mich würde interessieren, ob die noch immer an Ort und Stelle sind."
Auchgut nickte Tillit, Jack und Kolumbini zu. Leise und schnell verschwanden sie.
"In jedem Fall", fuhr Sebulon fort, "ist jetzt bewiesen, dass keiner von uns den Mord begangen haben kann - oder er hat fleißig für ihn schrubbende Komplizen, die auch ein kaputtes Fenster wieder einsetzen können. Wir sollten also davon ausgehen, dass der Mörder nicht aus unserem Kreis kommt - und das heißt, er muss ein Motiv haben. Wenn wir das finden ..."
Während sie auf den Hof hinausliefen murmelte Kolumbini vor sich hin.
"Was denken?", fragte Tillit.
"Oh, nun ja, mir scheint, dass jemand aus unserem Kreis in die Tat verwickelt sein
muss", sagte der Korporal. "Es gibt einfach zu viele Zufälle, die zeitlich gut abgestimmt sind. Es könntest sogar du sein; immerhin warst du vorhin bei der Besprechung beeindruckend schnell am Fenster. Nicht persönlich gemeint."
"Denken langsam. Erinnern präzise. Damit ich Vorteil in Rettung von Wächter."
"Und du warst auch körperlich ziemlich schnell ..."
"Tillit Mitglied von Gilde. Wir trä-niert."
Kolumbini nickte. "Da ist etwas, was mich ohnehin interessiert hat: Wie kam es, dass du Assassine geworden bist? Nimmt die Gilde jetzt für die Quote ..."
"Aber wann geputzt haben wurde Raum?", knarrte der Troll, ignorierte die Frage Kolumbinis vollständig und öffnete stattdessen höflich die Tür zum Hof.
"Vielen Dank", sagte der Korporal. Er beschloss, diesen Punkt nicht weiter zu verfolgen, der offensichtlich den Troll unangenehm berührte. Stattdessen lächelte er Tillit an und gab zu bedenken: "Sieh es doch einmal anders herum: eine zeitgesteuerte Mordwaffe benutzt man nur, wenn man sich ein Alibi verschaffen will."
Sie traten hinaus und Kolumbini rückte das Monokel zurecht.
"Fluchtpferde noch da", bemerkte der Troll.
"In der Tat. Aber sag mir, Tillit, weshalb sollte jemand die Pferde stehen lassen und nur mit dem Fluchtkarren verschwinden?"
Zeitgleich bei den Toiletten:
"Weißt du, was ich denke?", fragte Jack.
"Nein", entgegnete Auchgut und betrachtete die Wand neugierig.
"Uns will jemand ganz mächtig vorführen."
"Wem?"
Jack Narrator blinzelte.
"Nun, der Stadt. Dass wir es nicht schaffen, diesen Mord zu klären, weil unsere Hinweise nach und nach verschwinden. Diese Wand hier ist wie saubergeputzt. Was daran verstehst du nicht, Herr Müller?"
"Soweit es mich angeht, war es kein Mord, wenn niemand gestorben ist. Und bisher habe ich keine Leiche gesehen; wir haben uns ja im Besprechungsraum zuerst gesehen."
Langsam nickte Jack. "Entweder ist tatsächlich kein Mord passiert oder aber wir werden durch die Hinweise absichtlich in die Irre geführt. Momentan habe ich das Gefühl, wir haben rein gar nichts in der Hand."
"Da wäre ich mir nicht so sicher", sagte Auchgut lächelnd und strich mit dem Finger über eine der Rillen im Putz. "Diese Wand wurde mit einer spitzen Waffe bearbeitet, und zwar absichtlich. Das ist, wenn du mir diese Bemerkung gestattest, Herr Narrator, für die Assassinengilde - ungewöhnlich."
Kurz darauf stand die komplette wackere Ermittlungstruppe vor der eingekerbten Wand und betrachtete sie mit geteiltem Interesse.
"Vom zwergischen Standpunkt her ist es eine langweilige Serienwand", brummte Sebulon und schielte über seinen ausgestreckten Daumen.
"Kann uns noch jemand etwas über diese Wand verraten, was uns weiterhelfen könnte?", kommentierte Jack Narrator.
"Nicht aufdrängen ich will - das sein Spuren von Waffe spitzer", grollte Tillit.
"Stimmt", meinte Kolumbini. "Bemerkenswert. Mit einem stumpfen Gegenstand wären die Linien deutlich breiter."
"Eine spitze Stichwaffe", sagte Gernot Kleinschnitt kühl, "präzise: ein Dolch, würde ich meinen. Schaut her: Hier in der Kurve ist die Linienführung sehr präzise. Größer als ein Dolch war es jedenfalls nicht, womit diese Wand bekratzt wurde."
Kadwallader meldete sich. "Könnte", sagte er und schielte auf ein Blatt, das er in der linken Hand hielt, "äh, könnte es ein Dolch aus dem Jahrhundert der, hmm, Wankelmütigen, also, Wiesel gewesen sein? Das war nämlich die Waffe, über die uns Herr Benimmdich unterrichtet hat."
Die Assassinen betrachteten die Wand erneut und diesmal eingängiger.
"Eine ganz schön verwegene Vermutung", meinte Pyronekdan und paffte an seiner Pfeife. "Aber wenn ich die Gesichter von unseren sechs Waffenexperten hier richtig deute, dann hast du genau ins Schwarze getroffen, Kleiner."
"... und das kann nur eines bedeuten", schloss Kolumbini seine Zusammenfassung im Besprechungsraum, "und zwar, dass wir getestet wurden. Meine Herren, hier ist kein Mord passiert. Wir wurden an der Nase herumgeführt, um uns zu beweisen, was wir bisher gelernt haben. Da wir nun herausbekommen haben, dass Herr Benimmdich das alles nur inszeniert hat, könnt ihr Herren Assassinen ihm einen Gruß ausrichten, wenn er sich wieder zeigt."
"Vermutlich sitzt er auf einem Dach und lacht sich kaputt", kommentierte Jack. "Normalerweise verlasse ich einen Tatort nicht, ohne handfeste Beweise zu haben aber wir haben wirklich besseres zu tun, als die Späße eines eurer Dozenten auszusitzen. Und nicht zu vergessen ..."
"auf uns wartet noch eine Menge Arbeit", beendete Glimbal Stur den begonnenen Satz. "Einen schönen Tag noch."
Geschlossen verließen die sechs Wächter die Beratung und traten ihren Heimweg an.
Zwei Tage später standen sie im Büro des Kommandeurs.
"Was sagt euch der Name Benimmdich?", fragte Araghast Breguyar.
"Das ist der Name des Dozenten für 'spitze Waffen und Löcher, die sie hinterlassen' in der Assassinengilde, Sör", antwortete Kadwallader Janders blitzschnell.
"In der Tat. Erwarte nicht, dass ich dich dafür lobe."
"Nein, Sör."
"Wisst ihr, wieso ich ihn nicht dafür lobe?", fragte Araghast mit einem steinernen Lächeln auf dem Gesicht und nahm seine Füße vom Schreibtisch.
Betretenes Schweigen herrschte im Raum.
"Gefreiter Stur, was ist, wenn jemand nach zwei Tagen noch immer nicht auftaucht?"
"Eine Vermisstenanzeige wird aufgegeben, Sör", flüsterte Glimbal.
Langsam ging er um den Schreibtisch herum und an den RUM-Wächtern einzeln vorbei. Seine Eckzähne funkelten gefährlich.
"Es soll eine Leiche gegeben haben, die jedoch ebenfalls verschwunden ist. Wir sprechen hier von in-tel-li-gen-tem Mord. Und wisst ihr, wer die Hauptverdächtigen sind?"
Sebulon hob den Kopf ein wenig und fragte: "Wir, Sir?"
Der Kommandeur fuhr zu ihm herum. "Oh, Glückwunsch, ein Geistesblitz!"
Sebulon ließ den Kopf wieder sinken.
"Wie kamt ihr nur auf den
dummen Gedanken, ohne Ergebnisse zu gehen? - Nein, ich will nichts hören. Ihr seid mit dem Fall beauftragt, bis ihr Ergebnisse habt, und zwar echte Ergebnisse, klar?"
Er atmete einmal durch, sah dann die Korporäle an und sagte in etwas milderem Tonfall: "Ich halte euch für zwei Tage den Rücken frei, damit man euch nicht sofort vor ein Tribunal zerrt. Anstandshalber. Und jetzt raus aus meinem Büro."
Sechs Wächter saßen auf den Stufen vor dem Wachehaus und tranken Kakao.
"Wo fangen wir an?", fragte Pyronekdan. "Soweit ich sehen kann, haben wir gar nichts ..."
"Jeder macht Fehler, alter Freund", meinte Kolumbini und klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter. "Vor allem Entführer und Mörder. Lasst uns einmal gemeinsam beiseite nehmen, was wir nicht wissen, und zusammenfassen,
was wir wissen." Er nahm eine Handvoll Steine vom Boden und legte einen vor sich hin.
Klick. "Wir wissen, dass Herr Benimmdich verschwunden ist." Er blickte in die Runde und sah sie fragend an. "Was noch, Leute? Kommt schon, was wissen wir?"
"Wir wissen, dass wir mächtig an der Nase herumgeführt wurden", brummte Glimbal.
"Richtig", sagte Kolumbini, "aber wie?"
"Man hat uns einen Mord gezeigt und dann alle Spuren in kürzester Zeit wieder beseitigt", meinte der Gefreite.
"Stimmt", nahm Sebulon den Faden auf, "aber was bleibt, sind wir. Wir haben den Mord gesehen und Herr Benimmdich ist weiterhin verschwunden."
Ein Stein wurde auf den Boden gelegt.
Klick.
"Wir fanden ein Fluchtgefährt. Die Pferde sind noch immer da - aber der Karren wurde entfernt."
"Die Kutsche."
"Wie auch immer."
Klick.
"Eine Mordandrohung, geritzt mit dem Dolch des Dozenten, aber die Rille in der Wand blieb."
Klick.
"Eine zeitgesteuerte Mordapparatur."
"Ob die noch auf dem Dach ist?", fragte Pyronekdan und schlürfte seinen Kakao. "Wenn ich der Mörder wäre, würde ich die verschwinden lassen, zusammen mit den Pferden."
Klick.
"Wir wurden mit bedeutendem Aufwand an der Nase herumgeführt. Das braucht eigentlich ein Motiv, und zwar ein gutes", sagte Glimbal.
"Oh, ich könnte dir fünf oder sechs nennen, wenn du welche hören willst", sagte Jack im Püschologen-Tonfall und grinste. "Aber du hast Recht, an dem Motiv müssen wir noch arbeiten. Legst du einen Stein dazu? - Danke."
Klick.
"Gut, gut! Denkt nach", meinte Kolumbini und senkte seine Stimme ein wenig. "Was wissen wir noch?"
Kadwallader schnalzte mit der Zunge. "Wir haben an diesem Tag niemanden in der Assassinengilde gesehen, außer Herrn Benimmdich und unseren sechs Begleitern."
"Ich dachte, es wäre ein Betriebsausflug oder so", brummte Jack.
"Das wäre möglich", meinte der Ermittler i.A. und strich sich durch den Vollbart. "Aber würde so ein Ausflug auch den Pförtner einschließen?"
"Na, also, nein, ich war die ganze Zeit hier", stotterte der Pförtner und sah aus seinem kleinen Bürofenster zu den beiden Wächtern hinaus.
"Tatsächlich?", fragte Sebulon und starrte ihm ohne zu blinzeln in die Augen. "Ich könnte schwören, dass hier niemand war, als wir das Haus vor zwei Tagen betreten haben."
"Hm, also, tja, was soll ich sagen: ich war hier."
"Das macht dich suspekt, weißt du das?", warf Jack ein, der mit verschränkten Armen neben Sebulon stand.
"Nein, äh-hm, das wusste ich nicht."
"Und wen hast du vor zwei Tagen gesehen? Wer war im Haus?"
"Das waren, denke ich, nicht viele."
"Auffällig wenige?", fragte Jack.
"Jetzt wo du es sagst ... äh, ..."
Ungeduldig tappte der Korporal mit dem Fuß. "Kannst du uns bitte Namen nennen?"
"Äh-hm-tja", machte der Pförtner und schlug ein Notizbüchlein auf, "da wären, äh, nunja, ich. Hähä ..."
Jack verdrehte die Augen.
"... ach, also, hmm, da kamen sechs Mitglieder der, hmm, Stadtwache, tja, Abteilung RUM, davon ein, äh, Zwerg und fünf - also, ich würde sagen, das seid ihr und, äh, wie soll ich sagen, eure Kollegen, nicht wahr, äh, tja, ..."
"Das wissen wir bereits, Mann!", fuhr ihn Jack an. "Wen hast du sonst gesehen?"
"Nun, äh, da wären, ich meine, da waren Herr Zackig, der junge Brand, Herr Zackig - oh, den, äh, den hatte ich wohl schon, haha -, dieser Tillit-Troll war da, die Beuteltaschen und schließlich der ungehobelte, hmm, Kleinschnitt - ich muss schon sagen, der ist wirklich ..."
"Moment", unterbrach ihn Sebulon, "hast du gerade 'die Beuteltasch-en' gesagt?"
"Äh, also, hmm, tja-ja, das hab ich wohl."
"Soll das heißen, es gibt mehr als
einen Freund Beuteltasche?"
"Ja, freilich, sein jüngerer Bruder, also, wie hieß er gleich ... Hans ... Hick ... Horst ... Heft Beuteltasche. Ah-ja, das, ist es."
"Hans-Hick-Horst-Heft?"
"Nein, äh, nur Heft. Wie, tja, wie der Buch."
"
Das Buch", korrigierte ihn der Zwerg.
"Nein, der, äh, Vater von Freund und Heft. Buch Beuteltasche."
Der Hauptgefreite seufzte, notierte den Namen und stockte dann. "Sag mal, hast du Herrn Auchgut Müller gesehen?"
"Äh, was? Oh, äh, hmm, Müller ... Müller ... nein, tut mir leid, den, äh, habe ich nicht gesehen."
'Meine Güte, der ist mit seinem Rumdrucksen ja schlimmer als Braggasch', dachte Sebulon. Laut sagte er: "Dann setzen wir dich hiermit in Kenntnis davon, dass wir gemäß Paragraph 29 a-b-Alpha Unterpunkt drei Absatz ..."
"Jajaja", winkte Jack ab. "Wir führen eine Untersuchung durch und du verlässt gefälligst das Gebiet der Assassinengilde nicht, damit wir dir nochmal Fragen stellen können, sonst kommst du in den Kerker. Verstanden?"
Der Pförtner nickte.
"Nun, das war einfach", grinste der Korporal. "Einen schönen Tag noch."
Die Wächter betraten gemeinsam den Hörsaal. Herr Witwenmacher stand bei ihnen. Das Gildenoberhaupt hatte die Arme verschränkt.
"Schön, dass du Zeit hattest, Herr Witwenmacher", sagte Kolumbini und rückte sein Monokel zurecht. "Wir glauben, dass wir mit ein paar Fragen an die Hauptverdächtigen bereits jetzt den Fall abschließen können."
'
Falls es kein geplantes Gruppenunternehmen war', dachte Sebulon grimmig.
Kadwallader ging zur Tür und öffnete sie.
"Herr Müller", sagte Jack und machte eine einladende Geste.
Durch die Tür trat der angesprochene Assassine und lächelte zynisch. "Die Herren" sagte er, sah jedoch nur Herrn Witwenmacher an. "Wie kann ich helfen?"
"Du warst derjenige, der dabei war, als wir die Mordapparatur gefunden haben", sagte Kadwallader. "Korrekt?"
"In der Tat, ich war mit auf dem Dach."
"Sie ist nicht mehr da. Du hast sie verschwinden lassen, korrekt?"
"Wie bitte?"
Sebulon trat einen Schritt auf den Assassinen zu. "Nachforschungen haben uns erstaunliche Unregelmäßigkeiten bezüglich deines Erscheinens in der Gilde feststellen lassen. Kannst du sie uns erklären?"
"Oh, ihr denkt, ich habe den Mord begangen, richtig? Es tut mir sehr leid, dass ich euch enttäuschen muss, doch ich bin es nicht gewesen", sagte Auchgut und hob die linke Hand zum Herzen. "Und bitte, zweifelt nicht an meinem Wort. Selbst wenn ihr es nicht glaubt: ein Assassine hat seine Ehre."
"Aber wie kommt es, dass der Pförtner dich vor zwei Tagen nicht gesehen hat?"
"Es gibt hier einen Pförtner?", fragte Glimbal verwirrt.
"Um ehrlich zu sein: es verwundert mich, denn ich
habe ihn gesehen, als ich die Gilde betreten habe", meinte Auchgut freundlich.
"Hört, hört", brummte Jack.
"Vor fünf Tagen. Ihr könnt ihn fragen. Ich habe die Gilde seitdem nicht verlassen. Es gibt eben viel zu tun und die Küche hier ist verhältnismäßig gut."
Sebulon seufzte. Er konnte diese Einstellung verstehen.
"Herr Witwenmacher", sagte Jack, "du warst nicht auf der Liste derjenigen, die am gewissen Tag die Gilde betreten haben. Überhaupt waren sehr wenig Gildenmitglieder im Gebäude. Kannst du uns das erklären?"
Herr Witwenmacher faltete die Hände und fragte in neugierigem Tonfall: "Werde ich gerade irgendeiner Tat verdächtigt?"
"Das wird sich zeigen", murmelte Sebulon leise.
"Stell doch bitte einfach dar, wo du warst und was du vom Verbleib deiner Gilde an jenem Tag weißt", sagte Jack betont freundlich.
"Es war ein Betriebsausflug angesetzt."
'
B'ka'ar't'k' fluchte Sebulon gedanklich.
"Selbstverständlich war ich dabei. Ausgenommen waren lediglich einige Assassinen, die im Haus Aufgaben zu erledigen hatten - ich glaube, es erübrigt sich sie aufzuzählen, da ihre Namen bereits auf der Liste des Pförtners vorliegen müssten. Selbstverständlich war Habermilch für den Ausflug entschuldigt, da er die Herren Wächter schulen sollte."
"Wenn das so ist", meinte Sebulon skeptisch. "Vielen Dank. Damit rückt ein weiterer Verdächtiger ins Licht der Untersuchungen."
"So?", fragte Herr Witwenmacher. "Erleuchte uns. Wer soll es diesmal getan haben?"
Der Zwerg machte eine dramatische Pause, bevor er weitersprach. "Wisst ihr, was mir an Herrn Benimmdich an seinem letzten Tag aufgefallen ist?", fragte er und sah in die Runde. "Er stotterte irgendwie. Drückte sich nicht klar aus. Aber nicht natürlich, sondern eher so, als würde er jemanden zu imitieren versuchen."
"Das war nun mal Herr Benimmdich", entgegnete Auchgut. "Worauf willst du hinaus, Wächter?"
"Uns ist noch jemand begegnet, der unentwegt stottert und herumdruckst: der Pförtner."
Blicke wurden ausgetauscht.
"In der Tat", gab Kadwallader zu, "der Pförtner war da und wir haben ihn den ganzen Tag lang nicht gesehen. Und es ist wahr, dass er ebensowenig auf den Punkt kommt, wie Herr Benimmdich seinerzeit."
Die Wächter begannen leise zu flüstern.
"Bemitleidenswert aber kein Motiv", stellte Kolumbini schließlich mit entwaffnender Präzision fest und verschränkte die Arme.
"Aber das perfekte Double für einen inszenierten Abgang" sagte Sebulon und grinste breit.
Zehn Minuten später stand der Pförtner vor der versammelten Untersuchungsgruppe im Hörsaal. Man hatte ihn dringend gebeten, ein paar Fragen zu beantworten und erklärte ihm kurz den Gedankengang.
"Was?", fragte der Pförtner empört. "Ich, also, ich soll den, nun, Habermilch, äh, umgebracht haben?"
"Viel perfider", sagte Sebulon und grinste. "Du
bist Habermilch Benimmdich. Gestehe: Du hast den Pförtner gezwungen, eine langweilige Vorlesung abzuhalten und ihn ermordet!"
"Gefreiter, das ist genug", schnappte Jack.
"
Hauptgefreiter, bitteschön. Und ihr müsst zugeben, dass der Pförtner der ideale Täter ist. Er hat alle Schlüssel, verfügt über Überwachungsdämonen, um unsere Bewegungen zu kontrollieren und er ist so unauffällig, wie ein gut ausgebildeter Assassine."
"Zu unauffällig", sagte Glimbal nickend.
"Zudem ist er im Haus angestellt", fuhr der Zwerg fort, "und ihr wisst ja: der Mörder ist immer ..."
"Ich, äh, war es nicht. Es, tja, ist eine gewissermaßen haltlose Unterstellung, hmm, nach der anderen! Verzeiht, nunja, aber ich, also, muss zurück an ..."
"Hast du ein Alibi?", fragte Pyronekdan?
"Äh-hm, ein, waswardas, A-äh-libi?", fragte der Pförtner
"Jemanden, der beweisen kann, dass du am Mord völlig unschuldig bist."
"Soso. Ja. Äh, ich. Und meine, hmm, Dämonen, denn die können, tja, mich nicht, hmm, leiden. Die würden, äh, quasi so alles tun, um mich, hmm, bei irgendwem anzuschwärzen. Aber, äh, eigentlich sollte euch mein, also, Ehrenwort genügen."
"Ich glaube, wir sollten einfach jeden fragen, ob er uns sein Ehrenwort geben kann, dass er es nicht war. Wer übrig bleibt, muss der Mörder sein", spottete der Zwerg.
"Abgesehen davon", sagte das Gildenoberhaupt trocken, "wüsste ich nicht, was unseren Pförtner bewegen könnte, um eine Vorlesung an Stelle von Herrn Benimmdich zu halten. Genau genommen kenne ich unseren Pförtner schon seit dreißig Jahren, in denen er einen tadellosen Eindruck auf mich gemacht hat. Es besteht kein Zweifel, dass er gerade vor uns steht. Dies ist definitiv
nicht Herr Benimmdich."
Kolumbini nickte düster. "Du kannst gehen."
Als der Pförtner den Raum verlassen hatte, erhob Herr Witwenmacher das Wort. "Gibt es weitere aus der Luft gegriffene Anschuldigungen, meine Herren?"
"Ich glaube, wir haben nichts mehr in der Hand", sagte Sebulon leise.
Die Wächter schwiegen.
"Einen Verdächtigen hätte ich noch", sagte Kadwallader.
Ein in assassinen-typisches Schwarz gekleideter, dünner Mann betrat den Hörsaal. In seiner Hand hielt er ein Blatt Papier, eingerollt. "Ich", sagte er. Seine Stimme klang hoch.
"Wer bist du?", fragte Jack.
"Heft Beuteltasche", entgegnete der junge Assassine und verneigte sich höflich. "Und ich habe es getan."
"Oh", meinte Kadwallader überrascht.
'
Meine Güte', dachte Sebulon, '
der ist bestenfalls vierzehn Jahre alt.'
"Ich habe es getan", wiederholte Heft.
"Du alleine?", fragte Pyronekdan ungläubig.
"Das geht dich nicht an, Herr Pyronekdan", gab der Angesprochene würdig zurück.
"Wenn du es gewesen bist: Warum der ganze Aufwand?", fragte Kadwallader. "Warum all diese sinnlosen Hinweise, die dann doch wieder verschwunden sind? Wozu die Nachricht an der Wand? Weshalb gerade ein Dreispänner, wenn du ihn doch nicht benutzt? Warum hast du die Sicherungsvorrichtungen im Fenster des Hörsaals ..."
"Weil ich gut bin, Herr Janders", sagte Heft mit einem genießerischen Lächeln. "Ich wollte demonstrieren, was ich kann. Und ich glaube, es ist mir gelungen. Außerdem war es recht amüsant, euch bei euren 'Ermittlungen' hier und dort etwas in die Irre zu führen, findet ihr nicht?"
"Und du wagst es, uns kaltblütig entgegenzutreten?", knurrte Jack und krempelte die Ärmel hoch. Langsam ging er auf den jungen Assassinen zu. "Bürschchen, dafür wanderst du für mindestens zwanzig Jahre in den ..."
"Vielen Dank, hier übernehmen wir", unterbrach ihn Herr Witwenmacher. "Das ist jetzt ein gildeninternes Problem. Wir werden mit diesem Schüler so verfahren, wie wir es für richtig erachten. Einen schönen Tag noch, die Herren."
Araghast Breguyar schüttelte den Kopf.
"Ihr habt keine gute Arbeit geleistet. Ich hoffe, euch ist das klar."
"Sir, ...", begann Sebulon.
"Ruhe!" Langsam ging er an der Reihe seiner Wächter vorbei. "Ich habe genug von deinen wilden Phantasien,
Gefreiter. Wir sind Wächter und wir machen unsere Arbeit nicht, um Bürger einzuschüchtern, sondern, um Schuldige zu finden. Ihr habt in den letzten Tagen für viel Furore gesorgt und das gefällt mir nicht. Ich möchte nicht, dass meine Wache in den Klatschartikeln der Times übermäßig oft auftaucht."
"Ja, Sir", sagten die Wächter leise.
"Ihr habt Glück, dass sie nicht über die Assassinengilde schreibt, wenn es um ein internes Problem geht, weil ihnen das zu brisant ist. Sonst würde die Wache jetzt deutlich schlechter dastehen, als es der Fall ist."
Die Wächter schwiegen.
"Bevor ihr geht: Ihr sollt wissen, dass Herr Witwenmacher bekannt gegeben hat, dass Herr Heft Beuteltasche ..."
Er sah die Wächter einzeln an, bevor er weitersprach.
"... lediglich einen offiziell vorliegenden Auftrag ausgeführt hat. Er war einer der besten Schüler von Herrn Benimmdich und hat für seine außergewöhnliche Arbeit sogar eine gildeninterne Beförderung bekommen ..."
"Außergewöhnliche Arbeit?", fragte Glimbal. "Er hat einen Mord begangen, uns bloß gestellt ..."
"Falls dir das nicht aufgefallen ist: Ich rede gerade, Herr Stur", sagte der Kommandeur im Plauderton.
Sechs Wächter verkniffen sich bissige Kommentare. Unterlippen begannen zu bluten.
"Wie ich bereits sagte: Er wurde für die exemplarische Ausführung einer Exhumierung befördert. Wie sie in der Gilde üblich ist, weshalb man in diesem Zusammenhang auch nicht von Mord spricht. Daran gibt es rechtlich nichts auszusetzen, denn die Gilde existiert ebenfalls im Rahmen des Gesetzes. Und nein, ich sage nicht, dass mir das gefällt."
Araghast machte eine kurze Pause, um die Worte sacken zu lassen. Dann setzte er sich hinter seinen Schreibtisch und fuhr ausdruckslos fort: "Er wird die nächste Fortbildung der Gilde für die Wache anbieten. Ihr versteht sicher, dass ich euch daran teilnehmen sehen möchte."
"Jawohl, Sir", sagten die Wächter leise.
"Weil ihr eine Menge von ihm lernen könnt. Technisch, nicht moralisch." Er nickte ihnen zu. "Noch Fragen?"
Glimbal meldete sich.
"Ja, Stur?"
"Wer hat den Inhumierungsauftrag ausgelöst, Sör?"
Araghast schmunzelte. "
Das ist endlich mal eine gute Frage." Schlagartig wurde er wieder ernst und blickte Glimbal in die Augen. "Die Antwort ist banal und entspringt der Gildenpolitik: Herr Benimmdich war Angestellter der Assassinengilde und unterwarf sich gewissen Maßnahmen der Qualitätssicherung
[3], als er die Stelle annahm ..."
"Wie hoch war die Summe?", hakte Glimbal nach. Sein Tonfall gab zu verstehen, dass er angewidert war.
"Vergleichsweise symbolisch", schloss der Kommandeur. "Noch Fragen? Gut. Wegtreten."
Langsam verließen die Wächter das Büro.
"Ach, und Sebulon", fügte der Kommandeur an. Der Zwerg blieb auf der Türschwelle stehen und drehte sich um. "Dir obliegt die Ehre, mit dem Abteilungsleiter über diesen Fall zu sprechen. Du hast so viele Unterstellungen gegen ehrbare Gildenmitglieder vorgebracht wie kein anderer. Verstanden? Gut. Du kannst gehen."
Der Zwerg blinzelte. Dann nickte er und verneigte sich.
"Das nächste Mal, wenn du das machst, kriegst du von mir eine Ohrfeige", knurrte Araghast neben dem Ohr des Hauptgefreiten.
"Ich, ich habe dich gar nicht aufstehen gehört; wie, wie ..."
"Salutieren ist in Ordnung. Verbeugungen nicht. Wegtreten", flüsterte der Halbvampir.
Sebulon wirbelte herum, griff mit zitternder Hand nach der Tür und ließ sie hinter sich ins Schloss fallen.
[1] Den zusätzlichen Herrn Benimmdich bildete er sich vermutlich in seinem fortgeschrittenen Wahnsinn nur ein, doch das änderte ja nichts an der Qualität der Informationen beider Dozenten. Das hoffte Sebulon zumindest. Er würde seine Notizen später einmal mit jemandem von SUSI besprechen, um sicherzugehen.
[2] Kadwallader vermutete, dass Gernot im Seminar '
Böhse Blicke unt ihrre Bedeutigungen' eine ausgezeichnete Hausarbeit verfasst hatte. Der Gedanke daran, unter welchen Umständen dieser Assassine seine Blicke übte, ließ den Gefreiten schaudern.
[3] Herr Witwenmacher findet es zwingend logisch, dass ein Dozent nicht mehr lehren sollte, wenn er von seinem Schüler übertölpelt werden kann. Qualitätssicherung bedeutet in der Assassinengilde auf besonders drastische Weise 'den Weg für größere Kompetenz frei machen'.
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