Der Kutscher

Bisher hat keiner bewertet.

von Obergefreiter Huitztli Pochtli (SUSI)
Online seit 08. 06. 2009
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Dafür vergebene Note: 13

Ein Wort vorweg:
Ich bitte die geneigte Leserschaft diese Single auch unter dem Gesichtspunkt der Patchwürdigkeit zu bewerten. Vielen Dank.
Ich hoffe, ihr habt genauso viel Spaß beim Lesen, wie ich beim Schreiben.

Ein besonderer Dank geht an Pis, für ihr Korrektur lesen!

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Vorwort
Eine Menge hat mich zu dieser Single inspiriert: Zum einen ein gewisser rasanter Kurierfahrer und dann zwei gewisse Polizeibeamte, denen ich im Geiste für die Spur unaufhörlicher Zerstörung von Behördeninventar die Ehrenwächterwürde verleihen möchte. Welche das sind, überlasse ich eurer Kombinationsgabe.
Ich warf diese Dinge in einen Topf, köchelte sie unter ständigem Rühren bei kleiner Flamme und heraus kam dies...


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0.
MI


Holzscheite knisterten im Feuer und Funken stoben Glühwürmchen gleich bei jedem Knacken in den Raum. Neben dem flackernden Licht des Kamins erhellte nur ein Kerzenständer den kleinen Schreibtisch, an dem ein Mann vornüber gebeugt saß. Eine Schreibfeder kratzte über Papier. Feine Tröpfchen der schwarzen Tinte verunstalteten das sonst makellose Schriftbild, als sie sich von der Feder lösten und über das Blatt stoben. Der Autor indes ignorierte diesen Umstand und schrieb ruhig weiter.
"Meine Name ist Ekk", schrieb er in gezierten Minuskeln, "und ich bin der Mann, der Bescheid weiß. Ich bin der Einzige, der Bescheid weiß, denn...ich lebe noch."
Der Mann sah auf und starrte die Wand an, als ob sie ihm etwas zuflüsterte.
"Es begann in jener Nacht"
, fuhr er zu schreiben fort, "und es begann mit einer Frau. Es beginnt immer mit einer Frau ..."

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Der Morgen dämmerte herauf und verlieh dem Regendunst mehr Kontur. Die fallenden Wassertropfen verwischten die Umrisse der Häuser, als hätte eine gigantische Hand über ein noch feuchtes Ölgemälde gewischt. Nass glänzte das Straßenpflaster und reflektierte das Licht der Fenster rund um die Tollen Schwestern. Wasser plätscherte in Regentonnen und tropfte von Vordächern. Lautlos vermeldete der Alte Tom den Anbruch der fünften Stunde des Tages. Der Platz war bis auf den einen oder anderen Spätheimkehrer leer und außer ein paar Ratten, die aus der Kanalisation gekrochen waren, regte sich kaum Leben.
Im Halbdunkel eines Mietstalls an der Ecke zum Hohen Schlag dösten zwei Zugtiere vor einem Karren. Der mattschwarz lackierte Karren schluckte alles Licht und verschmolz praktisch mit der Dunkelheit. Die Gestalt auf dem Kutschbock war kaum auszumachen. Dingidängidängdöngeling-Dingidängidängdöngeling-Dingidängidängdöngeling klang es dumpf aus dem Umhang der Person. Sie griff in die Innentasche und zog einen nagelneuen Disorganizer im Miniaturformat hervor. Nach einem kurzen Dreh am Kopfende des zylinderförmigen Gerätes gab es ein leises Knacken von sich und das Läuten verstummte. Der Unbekannte steckte das Objekt wieder ein und förderte mit der anderen Hand zwei schwarze Lederhandschuhe zutage. Sorgfältig streifte er sie über seine Hände und schloss die Riemchen am Handgelenk. Das gedämpfte Schnauben signalisierte ihm, dass die beiden Tiere aus ihrem Dösen erwacht und bereit waren, ihre Aufgabe zu erfüllen. Eben wollte er die Bremse lösen, als zwei Schatten aus dem Dunkel traten und sich dem Karren von zwei Seiten näherten.
"Nun sieh mal einer an, was wir hier haben..." kratzte die heisere Stimme des Linken der beiden. Trotz des übelriechenden Atems, der ihm entgegenschlug und an billigen Fusel und eines von Schnappers Würstchen im Brötchen denken ließ, zeigte der Unbekannte keine Reaktion. Lediglich seine wachsamen Augen taxierten die beiden Kerle innerhalb von Sekundenbruchteilen.
Der zweite, wesentlich kleinere Dieb, richtete eine kleine Armbrust auf den Kutscher.
"Absteigen, mein Freund! Aber schön vorsichtig!", falsettierte er.
Mit langsamen und bedächtigen Bewegungen kletterte der Mann vom Kutschbock und blieb neben dem Karren stehen. Der Armbrustschütze kletterte auf den Karren und ergriff die Zügel.
Der Heisere drängte ihn mit der Spitze eines langen Dolches zu Seite und bestieg rückwärts kletternd ebenfalls den Kutschbock. Den Unbekannten ließ er dabei nicht aus den Augen. Er ergriff die Armbrust, die der Kleine hielt mit der linken Hand und zielte damit auf ihr jüngstes Opfer. Mit der der andere griff er unter sein Hemd und holte eine sichtlich nasse Quittung der Diebesgilde hervor. Die Götter mochten wissen, ob es nur feucht vom Regen war oder gar eine andere Feuchtigkeitsquelle dafür in Frage kam.
"Deine Quittung ..", griente der Große, knüllte den Zettel zusammen und warf ihn dem Mann vor die Füße. Der Kleine ließ die Zügel knallen und beide machten sich auf den Ruck des Anfahrens gefasst, doch nichts bewegte sich. Die Zugtiere kauten weiter gemütlich auf ihren Trensen.
"Hüa!", rief der Kleine und schnalzte mit der Zunge, "Bewegt euch, ihr verdammten Biester!"
Wieder ließ er die Zügel knallen, doch die Esel bewegten sich noch immer keinen Zentimeter. Das linke Tier ließ seiner Verdauung freien Lauf.
"Sie bewegen sich nur, wenn man den geheimen Code kennt", sagte der Mann ruhig.
Der zuletzt Zugestiegene sprang vom Bock und zielte mit der Armbrust auf den Kopf des Mannes, während der andere einen Totschläger aus der Gesäßtasche zog und sich neben ihn stellte.
"Dann rück raus damit, bevor wir dich durch die Mangel drehen!", fiepte der Kleine und ließ den Totschläger rhythmisch in die Handfläche klatschen.
"Das kommt nicht in Frage, der Wagen ... ist brandneu", gab der Mann im Brustton der Überzeugung zurück.
"Dann prügeln wir es eben aus dir raus!"
Der Kleine wollte gerade vorwärts stürmen, als der Mann die Hand hob.
"Moment! Der Umhang kommt gerade frisch aus der Reinigung!"
Er öffnete die Schnalle am Hals und schwang mit einer fließenden Bewegung den Umhang auf die Ladebordwand. Er duckte sich und entging dadurch dem Totschläger des Kleinen. Dessen Bewegungsmoment ausnutzend fasste er sein Handgelenk und führte die kreisförmige Schwungbewegung weiter, so dass dieser das Gleichgewicht verlor und hart auf dem Rücken landete. Der andere war einen Moment verblüfft und riss den Abzug der Armbrust zu spät durch. Sirrend schnellte der Bolzen in die Dunkelheit davon und klatschte gegen eine Ziegelmauer, deren Mörtel geräuschvoll zu Boden bröckelte. Wütend schleuderte der Große die Armbrust in Richtung des Kutschers und zog seinen Dolch aus dem Gürtel.
Stöhnend richtete sich der Kleine auf und fummelte in seiner Kleidung auf der Suche nach einer anderen Waffe, bis er fündig wurde. Er zog einem mit scharfen Spitzen besetzten Schlagring hervor, verhedderte sich jedoch in seiner Kleidung.
Kurz darauf machte seine Genitalregion Bekanntschaft mit den recht schweren Stiefeln des Kutschers. Mit einem leisen Ächzen klappte der Kleine bäuchlings auf dem Pflaster zusammen und regte sich nicht mehr.
Mit einem wütenden Knurren stieß der Große mit seinem Dolch nach dem Kutscher, verfehlte ihn jedoch knapp, da dieser sich zur Seite gedreht hatte. Der Kutscher packte sein Handgelenk und drehte es nach oben. Mit der anderen stieß er den Dieb gegen die Brust und brachte ihn so aus dem Gleichgewicht. Der Kutscher ließ sich auf ein Knie fallen und zwang den Ellenbogen des stürzenden Diebs genau auf sein Kniegelenk. Das derbe Knacken des mit einem hässlichen Knirschen brechenden Ellenbogengelenks war das Letzte, dass der Dieb bewusst erlebte, bevor er in die gnädige Bewusstlosigkeit sank.
Der Kutscher stand auf, griff seinen Umhang und legte ihn sich wieder um. In aller Ruhe erstieg er wieder den Kutschbock, ergriff die Zügel und löste die Radbremse. Er pfiff eine merkwürdig unheimliche Melodie. Die Tiere zogen an und leise rollte der Karren aus dem Stall in die Dämmerung hinaus.

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TMSIDR Schnapper stand fassungslos vor einer kleinen Imbissbude. Ein Schild an seiner Front verkündete "WIEWUNDERLANDGENÜSSE aus ZABINGO".
Hinter der Theke wienerte ein kleiner Mann mit einer unerhört weißen Kappe den Tresen, während ein anderer Gemüse aller Art in kleine Streifen schnitt.
An der Rückwand drehten mehrere angekettete Dämonen einen großen Fleischspieß. Andere träufelten eine undefinierbare Sauce auf das Fleisch oder schaufelten frische Kohle auf den Grill.
Schnappers Blick wanderte zwischen der Imbissbude und seinem Bauchladen hin und her. Die geruchliche Diskrepanz zwischen seinen modrigen Würstchen und dem köstlichen Bratenduft war mehr als offensichtlich. In ihm reifte eine Idee.

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William de Morgue hockte patschnass auf dem Bock des Wachekarrens. Von Frühling konnte nach wie vor nicht die Rede sein. Tagsüber blieb es meist diesig und das Thermometer kletterte selten über 15 Grad. Nachts fiel es auf 6 Grad und vor zwei Tagen hatte es sogar noch einmal Nachtfrost gegeben. Die Nachtschicht war glücklicherweise fast vorüber und William freute sich schon sehr auf ein trockenes und warmes Plätzchen in seinem Bett und den darauffolgenden freien Tag. Sein innerer Antrieb, der familiären Tradition des zielstrebigen Erreichens eines Offizierspatents gerecht zu werden, hatte im Laufe der Nacht etwas gelitten. Zwar hatte er eine Position gefunden, die maximale Bequemlichkeit und minimale Regenwasserzufuhr in seinen Kragen ermöglichte, doch inzwischen hatte die Feuchtigkeit sämtliche Bastionen der Trockenheit seiner Kleidung erobert. Neben ihm schnarchte der Gefreite Weufolt Garnichgut leise vor sich hin. Den größten Teil der Nacht hatte er verschlafen, was einerseits an der von William geschickt gewählten Standort für ihre "verlängerten Streife" an der Ecke Mormiusstraße und Darmkollerpfad lag und andererseits an Weufolts Talent immer und überall schlafen zu können. Nicht einmal der Regen, der kurz nach Mitternacht eingesetzt hatte, hatte ihn geweckt. William streckte die kalten und steifen Beine und neigte den Kopf erst zur einen und dann zur anderen Seite, um die Müdigkeit ein wenig zu vertreiben. Er fror am ganzen Körper und bemühte sich, das Zitterten zu unterdrücken . Als er die Augen wieder öffnete, sah er, dass sie ein schwarzer Eselskarren passiert haben musste, denn er fuhr beinahe geräuschlos die Mormiusstraße in Richtung Stadtmauer hinauf. Dass er ihn nicht bemerkt hatte, schrieb William seiner Müdigkeit zu. Nur noch etwa eine Viertelstunde, dann würden sie zum Wachhaus zurückkehren und endlich Feierabend machen können.
Feierabend, sinnierte William, Eigentlich müsste es doch eher Feiermorgen heißen ... Er gähnte herzhaft.


1.
HUN


Oberfeldwebel Harmonie lehnte am Türrahmen zur Gerichtsmedizin und sah dem Obergefreiten Pochtli angeekelt bei der Arbeit zu. Die sehr toten Augen eines kleinen Kerls starrten an die Decke, während schwarze Onyxhände die Bauchdecke öffneten und die allzu oft wiederholte Geschichte eines typischen Lebens in den Straße Ankh-Morporks offenbarten, die von schlechten Lebensumständen, miserablem Essen und tagtäglicher Gewalt berichteten. Und von einer Vorliebe für Kohl, dem Geruch nach zu urteilen. Der Kerl stank entsetzlich. Huitztli beglückwünschte sich für seine Unempfindlichkeit gegenüber Gerüchen aller Art.
Laiza trat zögernd an den Tisch und betrachtete einen blutigen Schlagring in einer Nierenschale, wobei sie versuchte, die Leiche so wenig wie möglich anzusehen.
"Ist das die Todesursache?"
Huitztli nickte ohne auf zu blicken "Ja, aber etwas ist trotzdem komisch dabei, Feldwebel". Er blickte auf. Die neuen Schulterklappen auf Laizas Uniform leuchteten auf dem bereits etwas abgetragenen Stoff, wie ein blendend heller Leuchtturm auf einer Landzunge.
"Ober-feldwebel", korrigierte er sich.
Laiza blickte belustigt auf ihre rechte Schulter und grinste.
"Was ist den nun merkwürdig?", bohrte sie nach.
"Nun, zunächst einmal scheint das sein eigener Schlagring gewesen zu sein. Seine Finger steckten drin, als man ihn fand."
Laiza sah irritiert nochmals in die Schale und betrachtete die Waffe eingehender.
"Da sind dunkelgraue Fasern dran."
"Ja, Wolle. Stammt von seinem Pullover, soweit ich feststellen konnte. Scheint sich darin verfangen zu haben, als er ihn rausholen wollte. Genauer wissen wir es aber erst nach der Analyse im Labor."
"Ok, ok. Offenbar ist er an Verletzungen gestorben, die er sich mit seinem eigenen Schlagring beigebracht hat. Selbstmord kommt wohl nicht in Frage, oder?"
Huitztli schüttelte den Kopf "Nein, ich glaube eher, dass ihn der andere Schlag so außer Gefecht setzte, dass er auf seine eigene Waffe gestürzt ist."
"Der andere Schlag? Wo denn?"
"Äh ... nun ... er hat ein paar deutliche Blutergüsse im Bereich seiner Kronjuwelen, wenn du verstehst, was ich meine, Oberfeldwebel."
Er hob das Laken an, welches den Beckenbereich bedeckte.
"Ja ... ich denke ... ich verstehe." Laiza errötete leicht und straffte den Oberkörper, "So ... nun ... dann ... Irgendwelche Hinweise auf die Identität des Toten?"
"Ja, ein lizenzierter Dieb."
Huitztli ließ das Laken fallen und griff in den Kleiderstapel hinter sich. Er reichte ihr die schmutz- und nun auch blutverkrustete Lizenz des Toten.
"Kleinbart Siggmaul. Dieb in Ausbildung", laß Laiza von der Lizenz ab "Eine disziplinierende Maßnahme der Gilde wegen des unerlaubten, gefährlichen Schlagrings können wir wohl ausschließen. Die hätten ihn deswegen nicht umgebracht. Hat keinen Lerneffekt so was."
Huitztli nickte stumm, trennte die Leberaorta und -vene durch und durchschnitt den Gallentrakt. Mit einem satten Schmatzen löste sich die Leber aus der Bauchhöhle. Laiza bemühte sich nach Kräften, ihr Frühstück bei sich zu behalten.
"Nun, das wird die Diebesgilde nicht erfreuen. Haben wir irgendwelche Hinweise auf den Täter?"
Der Gerichtmediziner verzog das Gesicht und zuckte mit den Schultern.
Laiza drehte sich zu ihm um, da sie seine Antwort nicht mitbekommen hatte, als die Leber in die Waagschale klatschte.
"Meine Güte, Obergefreiter, kannst du damit nicht warten, bis ich wieder draußen bin?", stieß sie würgend hinter der vorgehaltenen Hand hervor.
"Entschuldigung, Chef. Der Fundort war ein Mietstall bei den Tollen Schwestern. Wagenspuren, frischer Dung, Blut von diesem Opfer ..."
Laiza unterbrach ihn: "Woher weißt du das? Ich meine, dass es sein Blut war?"
"Er lag drauf. Aber ganz genau wissen wir es natürlich erst, wenn Lady Rattenklein auch das untersucht hat. Kann aber dauern. Ist ziemlich überlastet die Ärmste."
Er griff erneut in die Bauchhöhle und holte die Gallenblase heraus. Laiza flüchtete nach draußen und erbrach sich dankbar in den von Huitztli für solche Gelegenheiten bereit gestellten Metalleimer im Gang.

~ | ~


Der Alte Tom hatte gerade 6 Uhr verkündet, als ziemlich schnell und rücksichtslos ein schwarzer Eselskarren mit zwei Zugtieren davor den Streifenkarren von William de Morgue und Weufolt Garnichgut im Geldfallenweg überholte, wo sie in Schrittgeschwindigkeit auf ihrer dritten Route dahin zuckelten. Der Luftzug des vorbeirasenden Karrens fegte die Einzelteile von Williams Frühstücksbrötchen davon, in das er eben genüsslich hatte beißen wollen.
"So ein verdammter Mistkerl!", schimpfte er.
Weufolt, der an den Zügeln saß, schaute kurz zu William hinüber und ließ dann die Zügel knallen. Hektik erfasste Frederike, als sie erschrocken mit wegrutschenden Hufen versuchte, den Karren zu beschleunigen.
Der Vorsprung des schwarzen Karrens vergrößerte sich trotz des inzwischen nicht unerheblichen Verkehrs dennoch zusehends. Der Lenker des schwarzen Karrens nutzte sämtliche Lücken und scheute sich nicht davor, auch den Gehsteig als Fahrbahn zu nutzen. William verlor den Karren schließlich aus den Augen, und nur die wüsten Beschimpfungen und panischen Schreie wiesen in etwa den Weg. Er stemmte die Füße gegen das Frontbrett und krallte sich auf seinem Sitz fest, als sich Weufolt mit wachsender Begeisterung bemühte, an dem Karren dran zu bleiben. Williams Schreie gingen im Lärm und dem Fahrtwind unter. Er wusste nicht, was schlimmer war: Der Höllenritt oder das entrückt-wahnsinnige Grinsen auf Weufolts Gesicht, dass ihm mitteilte: Entweder kriege ich dich, du Bastard, oder gehe beim Versuch drauf!.
Als sich Weufolt urplötzlich nach links neigte, blieb William nur Sekundenbruchteile zu erkennen, dass er vorhatte, scharf links abzubiegen. Er bemühte sich, es Weufolt gleich zu tun. Im letzten Moment konnte er verhindern, dass sich sein Helm selbstständig machte, und er versuchte verzweifelt, den Kinnriemen mit nur einer Hand zu schließen. Sie erreichten die Augentroststraße und bogen erneut in halsbrecherischer Manier nach links ab, wobei ihr Karren den Bordstein streifte. Funken stoben von den Radreifen. Die sich ängstlich an die Häuserwände drückenden Leute lieferten den Beweis, dass sie nach wie vor auf der richtigen Spur waren. Zu spät jedoch hörten sie die empörten Rufe aus der Quergasse rechts von ihnen und fuhren daran vorbei. Weufolt ließ die Zügel nochmals schnalzen, um Frederike noch mehr Geschwindigkeit zu entlocken. Als sie die Hauptverbindungsstraße erreichten, die von der Endlosen Straße her kam, riss Weufolt am Bremshebel und zwang Frederike rechts abzubiegen. Mit blockierten und Funken sprühenden Hinterrädern schleuderte das Heck des Karrens nach rechts. Weufolt löste die Bremse, als das Heck halb um die Kurve herum war und folgte dem Flüchtigen auf Parallelkurs.
"Das wollte ich schon immer mal ausprobieren!", brüllte Weufolt zu William hinüber, "Hab ich im letzten Buch mit Dem Kutscher gesehen!"
William blickte nach rechts, als sie die nächste Querstraße passierten und erhaschte dabei einen Blick auf den schwarzen Karren, der soeben über die Kreuzung raste.
Einer Eingebung folgend, stemmte William seinen linken Fuß gerade noch rechtzeitig in den linken Fußraum, als Weufolt wieder am Bremsgriff zog und noch einmal den Karren rechts herum schleudern ließ. Sie erreichten die Esoterische Straße, in die der irre Karrenlenker nunmehr links abbog. Als sie in die Straße hineinrutschten, rammte ihr Karren einen dort geparkten Wagen und schleuderte ihn gegen die Hauswand. Der Lenker war im letzten Moment abgesprungen und hatte sich in die Markise des Ladens verkrallt, den er eben belieferte.
Beide Karren näherten sich der Straße der Geringen Götter, und William hoffte vergeblich auf die Vernunft des Unbekannten vor ihnen. Mit unverminderter Geschwindigkeit raste der auf die um diese Zeit üblicherweise vollkommen verstopfte Hauptverkehrsverbindung zum Platz der Gebrochenen Monde zu. Als sie sie erreichten, sah es aus, als habe der schwarze Karren förmlich eine Schneise geschlagen. Sie rollten durch die Trümmer diverser Karren und Ladungen. William glaubte sogar, ein oder zwei Karren in Flammen gesehen zu haben. Das Vorwerk huschte an ihnen vorüber und schon waren sie am drehwärtigen Breiten Weg angelangt, als Weufolt erneut den Bremshebel an sich riss und den Karren nach rechts zwang.
"Nein! Nicht zurück zur Straße der Geringen Götter!", brüllte William aus Leibeskräften, was jedoch im Fahrtlärm komplett unterging. Unüblicherweise konnten sie in die Straße einbiegen, da sich ihnen ausreichende Lücken boten. Der schwarze Karren hielt nunmehr auf den Oberen Breiten Weg zu. Sein Lenker machte dabei keine Anstalten, langsamer werden zu wollen.
"Nicht der Breite Weg! Nicht der Breite Weg! Hrrrraaaaaaahhhhhh!", schrie William nur noch ganz eins mit der Panik. Am rechten Fahrbahnrand kam ein großer Lastkarren in Sicht, der seine Ladung von einer halben Tonne Kartoffeln verloren hatte, als die Deichsel plötzlich gebrochen war. Innerhalb kürzester Zeit war die Ladung in den Besitz von unbeteiligten Zuschauern übergegangen, die sich über die Spende einer Wochenration Erdäpfel natürlich herzlich freuten.
Der Irrsinnige Nummer Eins vor ihnen - William hatte innerlich beschlossen, ihn nur noch so zu nennen - hielt voll auf genau diesen Karren zu, dessen Heck auf der Fahrbahn auflag und mit seiner Ladefläche eine Rampe bildete.
Irrsinniger Nummer Zwei neben ihm verringerte auch jetzt die Geschwindigkeit kein bisschen. William sah den Karren vor ihnen abheben. An die nachfolgenden Ereignissen kann sich William bis heute nur unvollständig und in Zeitlupe erinnern. Der schwarze Karren flog quer über alle vier Fahrspuren des Oberen Breiten Wegs hinweg und prallte in Höhe des Tempels des Schicksals wieder auf der Straße der Geringen Götter, wobei er mit den Hinterrädern noch eine Rikscha zertrümmerte, die ihren Fahrgast soeben dort abgesetzt hatte. Dem verblüfften Rikschafahrer blieben nur die Trümmer und zwei Handgriffe von seinem einst stolzen Gefährt. Einen Augenblick später versuchte Weufolt es dem Irrsinnigen Nummer Eins gleich zu tun, wobei es in Ihrem Fall beim Versuch blieb. Nachdem es ihnen nämlich gelungen war, die ersten beiden Fahrbahnen zu kreuzen, zeigte sich deutlich, dass Frederike nicht mehr die Jüngste war. Sie schlugen inmitten des Gegenverkehrs in Richtung Mittwärtiges Tor auf einem Dungkarren auf, was allen Dreien das Leben rettete. Das Letzte, an das sie William erinnern konnte, bevor selige Bewusstlosigkeit ihn umfing, waren die vier Räder ihres Karrens, die in unterschiedliche Richtungen davon rollten und Frederike, die in der Luft hängend immer noch ihre Beine vorwärts bewegte.

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Etwa zweieinhalb Stunden später vermeldete der Dungkarren auf dem Innenhof des Wachhauses am Pseudopolisplatz unmissverständlich seine Anwesenheit. Kommandeur Breguyar stand am Fenster des SEALS Büros Nr. 7 im 2. Stock und betrachtete die Szenerie weiter unten. Die Rekrutin Brekzie Regolith hob gerade die kümmerlichen Reste des Wachekarrens inklusive der vollkommen erschöpften Frederike vom Dungkarren.
Bregs bemühte sich sichtlich, nicht die Fassung zu verlieren. Es hätte so ein schöner Tag werden können. Und dann kam sowas. Er knirschte mit den Zähnen.
Der Hauptgefreite Kannichgut Zwiebel zuckte sich hinter dem Schreibtisch zusammen, an dem er gerade sein Dossier über Kontaktaufnahmen vervollständigte.
Ohne sich umzudrehen grollte Bregs, "Suche Oberfeldwebel Dubiata und sag ihr, dass ich sie so schnell wie möglich in meinem Büro sehen will."
Kannichgut verließ fluchtartig den Raum und sprang die Treppenstufen zum Erdgeschoß hinunter.

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TMSIDR Schnapper lugte um die Ecke. Er war erst seit etwas weniger als zehn Minuten hier, doch inzwischen hatten bereits vier Leute etwas an der Hütte erstanden und mit offensichtlichem Genuss verspeist. Einer der vier war sogar ein zweites Mal wieder gekommen. So was passierte ihm nie. Nun ja, zumindest dauerte es eine Weile, bis die Zeit gnädig ihren Mantel des Vergessens über die Erinnerungen an ranzigen Duft, Bauchgrimmen und qualvoll durchgebrachte Nächte auf dem Abort breitete und die Kraft der Suggestion erneut über den Verstand siegte. Er fragte sich, wie sie das mit dem Geruch hinbekamen. Ihm war dazu nur Senf eingefallen. Der überdeckte so einiges. Grübelnd verzog er die Mundwinkel und kaute an dem Bleistiftstummel. Er notierte Fleisch und schaute wieder auf. Ein fünfter Kunde biss gerade in einen vor Inhalt überquellenden Fladen und ging mit seligem Blick an Schnapper vorbei.
In der Imbissbude reichte der Besitzer seine Teeschale nach unten.
"Der dürre Mann mit den Dämonenwürstchen ist wieder da. Möge Umsunk seine Eingeweide verdorren lassen!"
"Was will er?"
"Er steht da an der Ecke und starrt zu uns herüber."
"Noch Tee, Oh Vater unserer Kinder?"
"Gerne, schenke bitte nach, Oh Blume der Wüste."
Schnapper überlegte. Sie füllten offenbar Teigfladen mit Fleisch und Gemüse. So schwierig sah das nun wirklich nicht aus. Aber er wollte das nicht einfach kopieren. Schließlich hatte er einen Ruf zu verlieren. Nein, hier war der berühmte Schnappersche Geschäftssinn gefragt. Bilder zogen an seinem geistigen Auge vorüber. Gefüllte Tauben, gefüllte Stiefel, gefüllte Brötchen ... Die Möglichkeiten schienen schier endlos zu sein. Und das Rohmaterial für seine Kreationen war beinahe überall verfügbar. Oft genug lagen verendete Tauben auf der Straße, Leute warfen ihre unbrauchbare Fußbekleidung weg. Er brauchte sie nur aufzuheben! Seine Augen begannen zu leuchten.

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"Was bei den Göttern ist mit dem Wachekarren passiert? Und warum weigert sich der Gefreite de Morgue noch immer, die Hände vom Sitzbrett zu lösen?" fragte Bregs aufgebracht, als Rea Dubiata nach etwa zwanzig Minuten das Büro des Kommandeurs betrat.
"Was wir bis jetzt wissen, ist nicht viel. Es hat wohl eine Verfolgungsjagd gegeben. Die beiden Gefreiten de Morgue und Garnichgut haben einen rücksichtlosen Karrenlenker verfolgt", zitierte Rea aus dem kurzen Bericht auf ihrem Klemmbrett. "Der Fahrer der Dungfuhre hat ausgesagt, dass erst ein schwarzer Karren über ihn hinweg geflogen ist und kurz darauf der Wachekarren auf seinem Ochsenkarren landete. Ich habe Lance-Korporal Bleicht und den Hauptgefreiten Zwiebel zum Unfallort geschickt. Aus de Morgue ist im Moment nicht viel heraus zu bekommen. Rogi kümmert sich bereits um ihn. Garnichgut scheint sich bei dem Unfall den Kopf angeschlagen zu haben. Er ist bewusstlos. Ettark ist momentan beim ihm."

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Gegen Nachmittag rollte ein Ochsengefährt auf den Innenhof. Auf seiner Ladefläche lag der Kartoffelkarren vom Breiten Weg. Mit vereinten Kräften wuchteten mehrere Wächter den Karren herunter. Kannichgut drückte Herrn Lubscher, dem Karrenlenker, etwas Geld in die Hand und verabschiedete sich von ihm. Geruhsam zuckelte der Ochenkarren vom Hof.
Lady Rattenklein kletterte die Deichsel entlang bis zu der Stelle, wo sie durchgebrochen war.
"Wurmstichig. Ist voller Löcher", sagte Kannichgut.
"Müssen zum Teil schon sehr wählerische Holzwürmer gewesen sein", antwortete Ratti sarkastisch, "und hochmodern obendrein. Einige haben einen Bohrer benutzt"
Sie zeigte sie auf die betreffenden Bohrlöcher, deren Kanäle entlang der Bruchstelle deutlich zu sehen waren. Sie zerrieb etwas helles Holzmehl zwischen den Fingern und füllte dann Proben in ein kleines Probengläschen.
"Einige Löcher gehen gerade ins Holz, andere sind unregelmäßig. Sieht schon wirklich komisch aus."
Etwas später untersuchte Lady Rattenklein die Holzmehlproben unter dem Mikroskop.
"Hmm", sagte sie zu sich selbst und notierte ihre Beobachtungen in dem Bericht.
Huitztli sah ihr interessiert zu.
"Deine Proben habe ich noch nicht fertig. Du musst leider noch mal wieder kommen."
"Kein Problem. Was hast du da?"
"Holzmehl von der Deichsel des Kartoffelkarrens im Hof."
"Und?"
"Jemand hat anscheinend Löcher da rein gebohrt. Aber nur wenige und mit einem sehr dünnen Bohrer. Aber die paar Löcher hätten die Deichsel nicht brechen lassen. Dann sind da aber noch ein paar Holzwürmer, die haben sich die Deichsel richtig schmecken lassen und sie weiter durchlöchert. Und dadurch ist sie dann irgendwann gebrochen."


2.
CA


Rea Dubiata inspizierte den Altarbereich von Knorkus, Gott des wiederkehrenden Staubes, im Tempel der Geringen Götter. Er lag etwas abseits in einem Seitenflügel der Tempelanlage. Gegenstände deren Verwendungszweck sich ihr nicht ohne weiteres offenbarten, lagen kreuz und quer darauf herum. Obst und andere Nahrungsmittel waren bei dem Diebstahl offenbar zu Boden gefallen. Rechts und links davon standen mit anderen Gegenständen vollgestopfte Regale. Zum Teil waren sie aus den Regalfächern gefegt und zu Boden geworfen worden.
Mühsam unterdrückte sie ein Gähnen. Gestern war ein langer Tag gewesen, und sie hatte die Nacht auch noch dran hängen müssen. Nachtschichten waren nun wirklich nichts für sie. Warum ausgerechnet sie das Glück haben musste, kurz vor Feierabend dann noch einen Fall rein zu bekommen, mochten die Götter wissen. Ohne es recht zu bemerken, rieb sie ihre gerötete Wangennarbe. Bis sie hier fertig war, würde es mit Sicherheit sechs Uhr und Wachwechsel sein. Und dann wartete da immer noch ein Bericht darauf, geschrieben zu werden. Ihre Gedanken glitten zum Nachmittag zurück. De Morgue war schließlich aus seiner Starre erwacht und hatte ihr einen etwas wirren Bericht abgeliefert, was am Morgen auf der Oberen Breiten Straße abgelaufen war. Mit dem sehr enthusiastischen Bericht von Weufolt Garnichgut hatte sich schließlich ein vages Bild geformt, das in etwa die Ereignisse erahnen ließ. Die meisten der hereingekommenen Beschwerden betrafen den Lenker des schwarzen Karrens und nicht den der Wache, was das einzig positive an der Sache war.
"Diese Frevler! Wie sie hier gewütet haben!" Die Stimme des jungen Mannes klang verzweifelt und brachte Rea wieder zurück. Sie seufzte.
"Was wurde denn gestohlen?"
"Nur ein Gegenstand scheint zu fehlen, soweit ich erkennen kann. Und der ist eigentlich nicht wirklich wertvoll. Die Leuchter und Opferschalen sind wesentlich wertvoller. Warum hat man die nicht mitgenommen?"
Er knetete mit fahrigen Bewegungen seine Hände. Die saubere Kutte, die er trug, stand in deutlichem Gegensatz zu der schmutzigen Kleidung darunter. Seine Haare waren ungepflegt und der ihm entströmende Geruch machte Rea deutlich, einem Naturtalent in Hygienevermeidung gegenüber zu stehen.
"Das ist nur ein Teilzeitaltar, musst du wissen. Das wird sicher Ärger geben. Vater Schuhbändl vom Krächzerorden und Frau Rubenia von den Schwestern der Kirche der heiligen Insomnia warten schon ungeduldig, weil sie ihren heiligen Verrichtungen nicht nachkommen können!"
Er deutete in Richtung der Absperrung, die von zwei Rekruten bewacht wurde. Ein älterer Mann mit weißem Bart in einem bodenlangem Kartoffelsack und einer schmutziggelben Fellmütze auf dem Kopf unterhielt sich erregt mit einer dicklichen Matrone in einem knappen Negligé und einem Schlafhäubchen.
Jetzt wurde ihr auch klar, wofür in dem Regal Zahnputzbecher, Nachtcreme und Waschläppchen gelegen hatten. Offenbar stritten die beiden, wer von ihnen als nächster den Altarraum benutzen durfte.
Der junge Mann war den Tränen nahe. Rea schüttelte den Kopf und rollte mit den Augen. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Tatort zu.
Staub lag auf dem Altar. Kleine Kreise waren dort zurück geblieben, wo die Kerzenständer umgekippt waren. Am rechten Altarrand waren noch die Umrisse eines länglichen Gegenstands im Staub zu erkennen.
"Ist der gestohlene Gegenstand so in etwa sechseckig?" fragte sie und deutete die Form mit den Händen an.
"Woher weißt du ..", staunte der Jungpriester auf Probe, wie Rea an der kleinen blauen Kokarde am Talarsaum mit dem silbernen PaP darauf erkannte.
"Und hat hier gelegen", stellte sie fest und deutete mit der rechten Hand darauf.
Der Priester nickte heftig und Rea umwehte ein leichter Schleier aus Haarschuppen. Sie hielt die Luft an und zog sich hinter den Altar zurück. Auch hier war Staub zu sehen - und Fußabdrücke.
"Wie erkläre ich das bloß Erzvater Tubbel? Die Aufnahme in das Angestelltenverhältnis kann ich wohl vergessen." Er kratzte sich ausgiebig an seinem Hinterteil.
Rea blickte zu Olga-Maria Inös hinüber, die gerade den Ikonographen ausmistete.
"Hast du alles?", deutete sie auf den Altarbereich.
Olga-Maria nickte und klopfte auf die Ledertasche an ihrer Hüfte "Ich habe Bilder gemacht ..."
Dumpfer Protest aus dem Inneren des Ikonographen unterbrach sie.
"Ich-habe-Bilder-gemacht ..", äffte der Dämon sie mit gedehnt zuckersüßer Stimme nach.
"... von allen Seiten. Auch von oben", setzte sie ihren Bericht fort.
"Du könntest nicht mal ein Strichmännchen auf die Leinwand bringen, wenn dein Leben davon abhinge!", brüllte der Dämon und trat gegen die Wartungsklappe. Olga-Maria seufzte.
Rea nickte zustimmend: "In Ordnung, das war's dann für uns soweit."
Sie winkte den beiden Rekruten, die das Absperrband aufrollten.
Sie wandte sich zu dem Priester: "Kommen Sie bitte heute Nachmittag zur Wache am Pseudopolisplatz, damit wir Ihre Aussage aufnehmen können."
Der Mann nickte und bescherte dem Tempel einen weiteren lokalen Schneesturm.
Rea drückte das Kreuz durch und strebte dem Ausgang zu. Hinter ihr hob ein lautstarker Streit über die erhebliche Unordnung und Chaos an, dass der Jungpriester angeblich zu verantworten habe. Man werde sich bei der Tempelleitung beschweren und so weiter und so fort. Sie war froh, dass die schweren Eingangstüren des Tempels das Gezeter verstummen ließen.

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Unentschlossen stand die Gruppe von Zwergen in der Nähe des Empfangstresens der Wache am Pseudopolisplatz. Nahe genug, um wahr genommen zu werden und doch weit genug weg, dass sich die diensthabenden Wächter fragten, ob die Gruppe ihrer Aufmerksamkeit bedurfte. Die Zwerge steckten die Köpfe zusammen und schließlich wurde einer von ihnen nach vorne geschubst. Als er den Tresen erreichte, war nur noch sein Helm zu sehen.
Die Rekruten Nimmer und Gänseknecht sahen sich fragend an. Nikola Nimmer erhob sich und sah über die Theke.
"Kann ich etwas für dich tun, Herr?", fragte er höflich.
"Wir ... ich möchte etwas zur Anzeige bringen", sagte der Zwerg so schnell, dass Nikola Mühe hatte, ihn zu verstehen.
"Natürlich, Herr. Um was handelt es sich?"
"Einen Diebstahl. Es gibt doch auch Zwerge in der Wache, oder?"
"Ja, Herr."
"Können wir bitte mit einem Zwerg über die Angelegenheit sprechen?"
Er klang beinahe verzweifelt.
"Öhm, ja...ich denke schon."
Nimmer schaute seinen Kollegen an, der mit den Schultern zuckte.
"Wenn du bitte dort drin Platz nehmen würdest."
Nimmer wies mit der Hand auf den Warteraum.

"Zwerge, sagst du. Haben sie gesagt, um was es geht?", fragte Sebulon kurze Zeit später. Ein Buch klemmte unter seinem Arm. Nikola konnte nur einen Teil des Titels erkennen: Phobbien aller Art unnter der besonderen Berücksichtigunk der Spe ....
"Um einen Diebstahl. Mehr hat er nicht gesagt", antwortete der Rekrut etwas lahm, während er angestrengt den Kopf schräg hielt, um den Buchtitel besser entziffern zu können.
Ungeduldig schnippste Sebulon mit den Fingern vor Nikolas Augen und holte ihn so in die Wirklichkeit zurück.
"Du weißt schon, dass ich Püschologe bin?", wandte er ein "Das ist eher was für einen Ermittler."
"Äh ja, ich weiß, aber er verlangte ausdrücklich nach einem Zwerg."
Nach einem kurzen in gereiztem Ton und auf zwergisch geführten Gespräch, nahm Sebulons Gesicht einen grimmigen Ausdruck an. Es dauerte jedoch eine weitere halbe Stunde, in der Sebulon auf die Zwergengruppe einredete, bis sich die erregten Gemüter etwas beruhigt hatten. Entnervt verließ er den Warteraum und wischte sich mit seiner Hand über das Gesicht.
Kurz darauf stand Sebulon im Büro von Romulus von Grauhaar und berichtete von seinem Gespräch mit den Zwergen.
"Das ... Arsch Knurr Lahn wurde entwendet? Nie gehört, was ist das?"
"Einer der am meisten verehrten Gegenstände unseres Volkes. Nun, zumindest einem Teil unseres Volkes. Es ist uralt. Beinahe so alt, wie die Steinsemmel."
"Und sie sind nicht begeistert davon, wenn nicht-Zwerge in dieser Sache ermitteln?"
"Es ist eine schwierige Angelegenheit, Herr. Der betreffende Gegenstand..."
"... das Arsch Knurr Lahn", ergänzte Romulus genüsslich.
"Ja ... genau", atmete Sebulon schwer durch. "Diesem Objekt wird nicht von allen Zwergen dieselbe Bedeutung zugemessen."
"Du meinst, ein Teil der Zwergengemeinde interessiert sich überhaupt nicht dafür, dass er gestohlen wurde?"
"Ja, und der andere Teil ist darüber nicht sehr erfreut. Es könnte zu einigem Bärteziehen kommen."
Romulus sah Sebulon erstaunt an.
"Ich habe die Herren auch darauf hingewiesen, dass ich für Ermittlungen nicht in Frage komme und konnte sie schließlich überzeugen, einen Menschen zu akzeptieren."
"Einen Menschen?"
"Ja, Herr. Tut mir leid, Herr. Das soll keine Beleidigung sein, aber sie sind eher konservativ, was die Anwesenheit eines Werwolfs in ihrer unmittelbaren Nähe angeht", bemühte er sich zu erklären und ergänzte hastig "Oder eines Vampirs!"
"Gut gut, schick Kolumbini zu mir. Soll er die Sache übernehmen."
Sebulon salutierte und verließ erleichtert das Büro des Feldwebels.

Fred Kolumbini betrat seufzend das Büro des Abteilungsleiters.
"Komm rein Fred. Ich muss dir leider noch einen Fall aufhalsen. Zwergenangelegenheit. Wir haben den Diebstahl des ..", Romulus beugte sich kurz vor und warf einen Blick auf die Notiz vor ihm, "Arsh'Knurlan zu untersuchen. Keine Ahnung was das ist."
"Klingt irgendwie anrüchig."
"Nun ja, die Sache ist die: das Ding ist nur einer kleinen Fraktion der Zwergengemeinschaft wichtig. Den Übrigen scheint es wohl am Arsch vorbei zu gehen."
"Ah ja ..."
"Unten wartet eine Gruppe von Zwergen. Lauter Arsh'äologen."
"Hmm, gut. Ich geh mal und schau mir die Sache an."
Kolumbini tippte kurz mit Zeige und Mittelfinger an die Schläfe und stapfte aus dem Büro.


3.
OC


Ein scharfer Pfiff einer Trillerpfeife verkündete das Ende der Mittagspause. Das Schlachthofgelände belebte sich wieder und zum Blöken und Muhen der Schlachttiere gesellte sich das Geschrei und Gefluche der Treiber und Karrenlenker. Cedrik Tropfen begutachtete das soeben geschliffene Ausbeinmesser, als Wunschmeier Anbrecht mit seinem Ochsenkarren auf den Hof gerollt kam. Von weitem winkte er Cedrik zu und brachte den Karren mit einem lauten "Ho!" zum Stehen.
Wunschmeier steckte das Messer in die Scheide an seinem breiten Ledergürtel und trottete zum Karren hinüber.
"Sind das die Opferziegen?", fragte er überflüssigerweise, obwohl er genau wusste, dass dienstags immer Opferziegen geliefert wurden.
Cedrik ließ sich Zeit mit der Antwort, da ihm die intensiven Bohrungen in seiner Nase allemal interessanter erschienen, als die tiefschürfende Konversation, die Wunschmeier soeben angestoßen hatte. Er grunzte nur, zumal Wunschmeier nicht wirklich eine Antwort erwartet hatte. Der Schlachter drückte das Kreuz durch und fuhr sich mit seiner schmutzigen Hand über das Gesicht, auf dem er die Blutspritzer weiter verteilte.
"Na dann wollen wir mal", seufzte er und packte das erste Tier bei den zusammengebundenen Beinen. Es blökte hingebungsvoll und herzzerreißend. Er hängte es an einen Rollhaken, der auf einer Schiene unter der Decke lief und griff nach dem nächsten Tier. Nach dem sechsten und letzten gab er den Tieren einen Stoß, so dass sie in das Halbdunkel im Inneren des Gebäudes glitten und eine auf dem Kopf stehende Welt kennen lernten.
"Na dann bis Morgen", verabschiedete er sich.
Cedrik grunzte erneut und presste sich ein: "Morgen", heraus, ehe er den Karren wendete und vom Hof rollte.
Wunschmeier schlurfte in die Halle und blieb verdutzt stehen. Seine sechs Ziegen waren nicht zu sehen. Die Laufschiene für die Schlachttiere verzweigte sich im Inneren, Weichen führten in die unterschiedlichen Abteilungen, je nachdem, welche Art Tier geschlachtet werden sollte. Er stapfte von der Ziegen- über die Schaf- bis zur Rinderabteilung. Doch seine sechs Ziegen blieben verschwunden. Einer Eingebung folgend ging er die Ratten- und Hühnerabteilung ab. Die Zwerge, die in der Rattenabteilung arbeiteten, beäugten ihn argwöhnisch. Sie mochten zwar Beruf und Arbeitsort teilen, nicht jedoch die Einstellung. Die menschlichen Schlachter nahmen die Rattenschächter nicht für voll, und die Zwerge ignorierten die traditionslosen, grobmotorischen Barbaren, die eine Ratte nicht von einem Hamster hätten unterscheiden können. Ungewöhnlicherweise hatte Wunschmeier mit einem Ankh-Morpork-Zwerg trotzdem so etwas wie Freundschaft geschlossen. Sie war aus dem gegenseitigen Respekt erwachsen, nachdem er einmal heimlich Zuckgut Schleifeisen bei seiner Arbeit zugesehen hatte. Die Fingerfertigkeit beim Ausbeinen der Ratten hatten ihn beeindruckt und auf dem Heimweg hatte er Zuckgut darauf angesprochen. Wie sich herausstellte, hatte auch dieser, entgegen den vorurteilsbeladenen Ansichten der Kollegen, seine Neugier im Bezug auf ihre gemeinsame Tätigkeit nicht zügeln können und jedes Mal, wenn Wunschmeier eine Ladung frischer Ziegen herein bekam, sein Schlachtermesser schleifen müssen, wofür er an Wunschmeiers Bank vorbeikam und bisweilen stehen blieb. Zuckgut und Wunschmeier hielten ihre Freundschaft dennoch in einem stillschweigenden Übereinkommen lieber geheim und gaben vor, sich gegenseitig auf dem Schlachthof vollkommen gleichgültig zu sein. Wunschmeier warf einen fragenden Blick in Richtung Zuckgut. Der blickte zur Laufschiene hoch und ruckte mit dem Kopf in Richtung Hühnerschlachtung. Wunschmeier kniff fragend die Augenbrauen zusammen, und der Zwerg hielt eine Hand mit fünf und die andere mit einem erhobenen Finger hoch. Sein Mund formte wortlos eine Sechs. Wunschmeier verzog den Mund zu einem dankbaren Lächeln und trottete weiter in die eigentlich stillgelegte Hühnerabteilung. Seit sich die Schlachterei in erster Linie auf Opfertiere aller Art spezialisiert hatte, hatte man die Hühnerabteilung als Lager benutzt. Sie stand voller Kisten und Holzkäfige. Dort wo die Laufschiene verlief, standen weniger Kisten, rechts und links davon stapelten sie sich jedoch bis unter die Decke. Wunschmeier kam das irgendwie komisch vor und er begann die Kisten in der Mitte zu besteigen. Nach nur wenigen Metern eröffnete sich ihm ein Hohlraum, der vom Inneren des Gebäudes aus nicht zu sehen gewesen war. Er stieg auf der anderen Seite der Kistenwand herunter und lief bis zum Ende der Schiene, wo sechs leere Haken auf ihn warteten. Er drehte sich im Kreis und suchte nach weiteren Hinweisen. Auf dem vor Dreck starrenden Boden erkannte er Wagenspuren, die offenbar sehr frisch waren und direkt bis vor die Rückwand der Halle führten. Er kratzte sich am Kopf und brachte verklebte Haarbüschel in eine neue Position. Die Rückwand wies kein Tor auf. Zudem standen Tische vor der Wand und Regale hingen daran.
"Das wird Herrn Senkwurst aber gar nicht gefallen." murmelte er halblaut vor sich hin.

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Rea seufzte und griff nach dem Berichtsformular Bericht über Ermittlung am Tatort. Sorgfältig übertrug sie alle Informationen, die sie sich notiert hatte. Als sie zur Beschreibung des gestohlenen Gegenstandes kam, stutzte sie.
"Oooolga!", brüllte sie laut.
Kurz danach steckte Olga-Maria Inös ihren Kopf durch die Tür.
"Ja?"
"Wie hieß noch gleich diese Maske, die gestohlen wurde? Ich habe es hier irgendwo notiert, kann es aber nicht finden." sagte Rea genervt.
Ungeduldig blätterte sie durch ihre Notizen.
"Buh!"
"Wie bitte?" sah Rea auf "Was soll denn das nun wieder heißen?"
"Buh! So heißt diese Maske. Angeblich soll das den Laut wiedergeben, den man macht, wenn man Staub wegpustet."
"Für mich hört sich das eher nach Erschrecken an."
Olga-Maria zuckte mit den Schultern.
"Noch was?"
"Äh, nein. Danke."
BUH! schrieb sie in die Zeile Gegenstand der Ermittlungen.

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Huitztli watschelte durch den Flur in die Pathologie und wollte eben ins Büro der Gerichtsmediziner weiter gehen, als er die deutlich zu vernehmende Stimme von Frau Willichnicht aus dem Schacht des Leichenaufzugs zu ihm dran. Er horchte auf.
"...Pastinaken, meine Liebe, Pastinaken. Es gibt nichts Besseres!"
"Bist du sicher?" fiepste Erna Elfriede Piepenstengels Stimme. Man hatte den Eindruck, dass in ihrem molligen gedrungenen Körper anstelle von Stimmbändern einer dieser Quäker saß, wie sie üblicherweise in Puppen und Bären verbaut wurden.
"Wenn ich es dir doch sage!", kam Frau Willichnichts Stimme wieder "Etwas besseres und preisgünstigeres wirst du als Füllung nicht finden!"
"Na, ich weiß nicht. Vielleicht sollte ich doch lieber wieder meinen Hackbraten machen."
"Erna Elfriede! Wann habe ich dir jemals einen schlechten Rat gegeben? Nicht einmal die Wache kommt ohne meine tatkräftige Unterstützung aus! Pastinaken sind nahrhaft und bestens geeignet, als Füllung für eine Gans."
"Du hast ja recht, verehrteste Amalie. Entschuldige bitte. Pastinaken also ..."
Huitztli war irritiert. Offensichtlich ging es hier um das Kochen. Er hatte schon oft davon gehört und war auch häufiger Gast in der Kantine. Frau Piepenstengel hielt die Küche jedoch streng verschlossen und ließ niemanden herein. Aus dieser Richtung war also keine Unterstützung zu erwarten.
In den Gesprächen mit seinen Wächterkollegen hatten viele ihre Hobbies offenbart. Beschäftigungen, denen sie in ihrer Freizeit nachgingen. Das war ein neues Konzept für ihn und ihm war aufgefallen, dass er seine Zeit bisher nur auf seiner Dachwohnung verbracht hatte, wenn er nicht arbeitete.

~ | ~


Kolumbini und Sebulon erreichten in Begleitung des Sprechers der Zwergengruppe ein unscheinbares Fachwerkhaus in der Schwarzmanngasse. Das schäbige Äußere des Hauses stand im krassen Gegensatz zu den beiden schwerbewaffneten Zwergen, die den Eingang bewachten. Die Fenster des Hauses waren mit eisernen Läden verschlossen. Die Nieten darauf ließen keinen Zweifel an ihrer Stabilität aufkommen. Die Helme der Wachen bedeckten ihren Kopf vollständig und wiesen nur einen schmalen Schlitz für die Augen auf. Das Blitzen darin vermittelte deutlich die Botschaft: Du hast die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten. Weitergehen und Schmerz, Schmerz, Schmerz.
Oben auf den Helmen war eine Verzierung angebracht. Er erinnerte entfernt an ein Brötchen.
Ihr Begleiter nickte den beiden Zwergen zu und der linke von ihnen pochte mit dem Stiel seiner Axt gegen die massive Eingangstür. Auch im Inneren hielten sich Zwergenwachen auf und musterten die beiden Angehörigen der Stadtwache wie etwas, dass die Katze von ihrem nächtlichen Jagdausflug mitgebracht hatte. Der Sprecher führte sie in einen kleinen Raum im rückwärtigen Teil des Gebäudes. Für einen bedeutungsvollen Ort, war dieser Raum erstaunlich schmutzig. Staub lag in allen Ecken. An der Stirnseite befand sich ein leeres steinernes Podest mit einer etwa ein Meter hohen Säule.
"Der Gegenstand hat also hier gelegen?" fragte Kolumbini und deute auf die Säule..
Der Sprecher nickte.
"Wie groß ist denn dieses Arsh'Knurlan?"
"Er ist ... nun ... äh ..."
Der Zwerg fuchtelte mit den Händen herum und versuchte dabei einen in etwa ovalen Gegenstand zu beschreiben.
"Gehe ich recht in der Annahme, dass der betreffende Gegenstand in etwa so groß ist, wie zwei Melonen?"
"Honigmelonen, Korporal. Ja, Honigmelonen trifft es."
Der Raum war schmucklos und bis auf das Podest an der Stirnseite der Wand vollkommen leer. Farbe blätterte von den Wänden. Fackeln blakten in den Halterungen rechts und links des Podestes und rußten dabei vor sich hin.
Sebulon trat vor das Podest und betrachtete es von allen Seiten. Eine Spinne hatte ihre Fäden rechts zwischen Wand und Säule gesponnen. Staub hatte sich inzwischen darauf abgelagert. Trotz der Windstille in dem kleinen Raum bewegten sich die Spinnweben in Wellen auf und ab. Der Luftzug war deutlich zu spüren, als Sebulon seine Hand vor das Netz hielt.
Er packte die Säule mir beiden Händen und wuchtete sie mit größter Kraftanstrengung beiseite, wobei er sich beinahe das Podest ins Gesicht gerammt hätte. Die Säule bestand anscheinend aus Pappmaché. Dahinter war ein schmaler Spalt zu sehen, der jedoch groß genug für einen Menschen war.
"Nun sieh mal einer an", sagte Kolumbini und trat mit einer Fackel in der Hand näher, "Was befindet sich auf der anderen Seite?"
Der Zwerg trat konsterniert näher.
"Ei... eine Bäckerei, glaube ich."


4.
CAN


Kolumbini blies über die heiße Tasse Tee, während er den auf dem Tisch liegenden Bericht aus dem Schlachthof studierte. Ayure Namida trat ins Büro und ließ sich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch fallen. Ihre grauen Augen wirkten etwas eingefallen, und sie erschien noch etwas blasser als sonst.
"Und? Irgendetwas Neues?", fragte er, kaum dass sie sich gesetzt hatte.
"Also sagen wir es mal so: ich glaube nicht, dass es besonders hungrige Diebe oder gar Konkurrenten von Senkwurst gewesen sind", seufzte sie.
"Aha, und was bringt dich zu dieser Annahme?"
Sie zog ihr Notizbuch aus der Hosentasche, schlug es auf und las einen kurzen Moment.
"Die Vorbereitung und Ausführung. Gestohlen wurden sogenannte Cigga-Opferziegen. Der oder die Täter müssen dafür Tage benötigt haben. Die Rückwand lässt sich inklusive der Tische und Regale nach außen aufschwenken. Ist von Innen aber nicht zu sehen."
Kolumbini sog an seiner erloschenen Pfeife und verzog das Gesicht.
"Und wie geht es dir? Du siehst etwas blass aus um die Nase."
"Ist nur der Stress. Bin froh wenn heute Feierabend ist."
"Das bin ich auch. Diese Zwergensache ist alles andere als ein Zuckerschlecken. Hmmm. Wenn jemand sechs Ziegen raubt, kann man entweder auf großen Hunger tippen oder Bereicherung vermuten. Du hast nicht zufällig den derzeitigen Hehlerpreis für Opferziegen im Kopf, oder?"
Sie schüttelte etwas abwesend den Kopf.
"Andererseits, wenn jemand sechs Opferziegen stielt, dafür einen enormen Aufwand treibt, wollte er den Diebstahl wahrscheinlich verheimlichen oder zumindest mysteriös erscheinen lassen..."
Nachdenklich tickte er mit dem Pfeifenstiel gegen die Zähne.
"Geh noch mal hin. Es muss doch Zeugen geben, die gesehen haben, dass sich jemand an dem Gebäude zu schaffen gemacht hat. So ein Umbau braucht seine Zeit."
Ayu erhob sich stöhnend und verließ das Büro.
Kolumbini spitze nachdenklich den Mund und schaute auf die Aktennotizen zu den letzten Diebstählen. Die Sache mit den Zwergen war alles andere als einfach. Trotz Sebulons abweichenden Tätigkeitsfeldes, hatte er ihn in den Fall eingebunden. Zumindest das hatte er sich später bei Romulus von Grauhaar ausbedungen.

~ | ~


Herr Blömsche kratzte sich nachdenklich am Kopf und brachte das schon schüttere Haar durcheinander.
"Du willst kochen? Auf dem Dach da oben?"
Huitztli nickte.
"Ich dachte immer, ihr Wasserspeier begnügt euch mit frischen Tauben?"
Für den Bruchteil einer Sekunde huschte ein Schatten schmerzlicher Erinnerung über das Gesicht des Gerichtsmediziners. Den Gebrauch des Wortes Tauben im direkten Zusammenhang mit dem Adjektiv frisch fand für die Verhältnisse in Ankh-Morpork mehr als unangemessen.
"Nun, nicht immer", antwortete er ausweichend.
Huitztli hatte Herrn Blömsche nach wie vor nichts von seiner Abneigung gegen den Taubenverzehr gesagt. Früher oder später würden die Taubenhorden der Stadt herausfinden, dass von ihm keinerlei Gefahr für sie ausging. Spätestens dann würde er sich wahrscheinlich eine neue Bleibe suchen müssen.
"Na, mir soll es recht sein. Solange du mir dabei das Dach nicht abfackelst."


5.
HO


Jack Narrator saß gelangweilt in seinem Büro zusammen mit William de Morgue und klopfte mit seinem Bleistift auf der Akte herum.
"So, du hast also ängstlich wie ein Muttersöhnchen, auf dem Karren gehockt ..."
William warf ihm einen giftigen Blick zu.
"Was hat dich eigentlich hierher gebracht?"
"Ich habe nicht ängstlich auf dem Karren gehockt, und ein Muttersöhnchen bin ich ebenfalls nicht! Meine Hände waren so verkrampft vom Festhalten, dass ich sie nicht mehr lösen konnte, das war alles!"
William war aufgesprungen.
"Langsam, langsam Gefreiter. Ich zitiere nur aus dem Bericht hier", stichelte Jack weiter und blätterte demonstrativ durch die Akte.
"Steht da auch was über inkompetente Püschologen?"
Jack funkelte ihn böse an.
"Wenn einer in den Genuss deiner zweifelhaften Untersuchungsmethoden kommen sollte, dann dieser Verrückte Garnichgut. Der hat doch nicht mehr alle Nadeln am Baum!", ereiferte sich William weiter.
Jack verzog den Mund und eine Augenbraue wanderte nachdenklich nach oben.
"Keine Sorge, der ist gleich nach dir dran, mein Freund. Und bevor du dich weiter an den Rand der Insubkoordination begibst, sollte ich vielleicht darauf hinweisen, wofür wir das Ganze hier eigentlich veranstalten. Von meiner Beurteilung hängt ab, ob du weiterhin Streife fahren darfst oder in den Innendienst versetzt wirst, falls du nicht gleich aus der Wache fliegst."
William wollte schon zu einer scharfen Antwort ansetzen, schluckte seinen Zorn jedoch herunter.
Sollte er hier und jetzt einen weiteren Tadel kassieren, würde sein Vater alles andere als begeistert sein. Außerdem war Rache schließlich ein Gericht, das am besten kalt serviert wurde.
Er wechselte zu dem oft erprobten hochmütigen de-Morgue-Blick und nahm wieder entspannt Platz.
"Nun? Was hat dich hierher gebracht?"
"Möchtest Du einen ausführlichen Bericht, Sir? Falls ja, werde ich bei Oberfeldwebel Dubiata um meine Personalakte bitten. Du wirst dort alles finden, was meinen bisherigen Werdegang angeht."
"Ich habe nicht nach deinem Werdegang gefragt, sondern nach deinen Motiven. Wieso kommt einer wie du zur Wache?"
William überlegte. Sollte er tatsächlich diesem Vertreter der unteren Bevölkerungsschicht die Wahrheit sagen? Dass er aus Unachtsamkeit den Plänen seines Onkels zugestimmt hatte und eher unfreiwillig in diesem Haufen Kretins gelandet war? Er entschied sich für einen Mittelweg.
"Ich habe mich der Empfehlung meines Onkels folgend bei der Stadtwache beworben." Das war die Wahrheit.
Jack blickte erstaunt auf und machte eine Aktennotiz.
"Mein Onkel hat die größte Achtung vor der Stadtwache." Immer noch die Wahrheit.
"Dein Motiv ist also, dem Wunsch deines Onkels gerecht zu werden?"
Autsch!, dachte William, pass auf, dass er dich nicht aufs Glatteis führt.
"Nein, den Eintritt habe ich selbst aus freien Stücken gewählt." Weil du keine andere Wahl hattest. Gegen deinen Onkel hättest du dich niemals durchsetzen können. "Aber es stimmt: Meine Entscheidung ist seitens meines Onkels mit Wohlwollen aufgenommen worden."
"Gut, du bist also bestrebt, deine Fähigkeiten und Fertigkeiten auch weiterhin dem Wohl der Stadt zur Verfügung zu stellen?"
"Selbstverständlich!" Unglaublich, aber die Wahrheit.
"Warum hast du dann deinen Kollegen nicht daran gehindert, wie ein Irrer dem anderen hinterher zu rasen? Es hätten Bürger verletzt werden können!"
"Meine Bemühungen, nicht vom Karren geschleudert zu werden, haben bedauerlicherweise meine gesamte Aufmerksamkeit erfordert, Sir."
William bemerkte, dass er den Sitzrahmen seines Stuhles umklammert hielt, als die Erinnerung an den gestrigen Tag zurückkehrte. Langsam löste er die schon weiß gewordenen Finger von der Sitzfläche und hoffte, dass Jack davon nichts bemerkt hatte.
"Zudem hielt ich es für meine Pflicht, die Verfolgung des Irren, wie du richtigerweise bemerktest, aufzunehmen."
"Nun, die Untersuchung wird zeigen, ob das wirklich gerechtfertigt war."
"Und zu deiner zweiten Frage, Sir: Bürger der Stadt waren durch uns zu keiner Zeit in Gefahr."
Das war nur so ein Schuss ins Blaue und William wusste sehr genau, dass sie nur aus purem Glück niemanden über den Haufen gefahren hatten.
"Das war keine Frage. Das war eine Feststellung."
"Bei allem Respekt, Herr. Diese Tatsache müsste zunächst bewiesen werden. Oberfeldwebel Dubiata hat mir gegenüber bestätigt, dass keine Beschwerden von Bürgern gegen uns erhoben wurden."
Jack nickte und schlug die Akte zu.
"Das wäre alles, Gefreiter."
William zögerte, entschied sich aber dann doch aus Stolz dagegen, Jack nach seinem Befund zu fragen. Er salutierte und verließ das Büro.
Jack klopfte wieder mit seinem Bleistift auf der Akte herum. Dann rang er sich zu einer anderen Entscheidung durch, als die, welche ihm zuerst vorgeschwebt hatte und notierte Keine Bedenken aus püschologischer Sicht - Tauglichkeit nicht eingeschränkt. auf dem Ergebnisformular. Er kramte nach der Akte des Gefreiten Garnichgut. Sie erwies sich als mehr als dünn.

~ | ~


Lady Rattenklein klopfte an den Türrahmen zum Gerichtsmedizinerbüro. Huitztli sah von der Akte auf, die er gerade um seinen Bericht ergänzte. Er kämpfte gerade mit der Orthografie.
"Ah, hast du meine Proben?"
"Jepp. Deine Vermutung war richtig. Das Blut unter dem toten Dieb war sein eigenes."
Sie reichte ihm ein Blatt nach oben.
"Ah, OK. Danke."
Huitztli legte das Blatt in den Aktendeckel und streckte sich.
"Was Neues in Sachen Holzwürmer?"
Sie schüttelte den Kopf.
"Nein. Irgendwie bereitet der Fall Rea Kopfzerbrechen. Diese komische Verfolgungsjagd. Der kaputte Karren scheint dem Flüchtigen wie gerufen gekommen zu sein. Als wäre die Deichsel genau im richtigen Moment gebrochen. Aber das ist doch nicht möglich."
"Wie meinst du das?"
"Na, Holzwürmer brauchen doch ihre Zeit, bis sie sich durch so was durchfressen. So was dauert lange. Sehr lange. Wochen und Monate. So genau kann man das nicht planen."
"Moment, mir fällt das was ein..", kramte Huitztli auf dem Schreibtisch herum, "Wo ist sie nur? Ah ja, da ist sie ja."
Er zog eine dicke Akte aus dem Stapel. 'Ahmaisen' stand auf der Vorderseite. Rasch blätterte er durch die Seiten.
"Ich habe hier doch die Adresse von einem Insektenkundler drin, den ich wegen dieses Falles hier aufgesucht habe. Ja, hier. Pierre Toit, Institut für Naturkunde, Schimmergasse 24b. Vielleicht kann er was zu deinen Holzwürmern sagen."
Er schrieb die Adresse auf einen Zettel und reichte sie Lady Rattenklein nach unten.
"Danke. Ich gebe die Anschrift Rea. Sie kann ihn ja mal aufsuchen."

~ | ~


Regen setzte ein und spülte den Dreck des Tages davon, als Rea Dubiata am Institut anlangte. Sie wrang das Wasser aus ihrem Zopf.
"Guten Abend", grüßte sie den Igor, der auf ihr Läuten hin geöffnet hatte und tippte mit der rechten Hand an den Helm. Er hielt eine Nähnadel zwischen den Fingern. Ein Faden verlief von der Nadel zu einer frischen Naht am Kopf.
"Stadtwache. Ich möchte bitte zu Professor Toit", sagte sie etwas steif und starrte die Nadel und den Faden an.
"Der Profeffor ift noch im Hauf. In welcher Angelegenheit?"
Der Igor ignorierte ihre erstaunten Blicke. Sie riss sich zusammen.
"Eine Offizielle. Die Wache benötigt die Expertenmeinung des Herrn Professor."
"Fehr wohl, Frau Oberfeldwebel. Wenn du mir bitte folgen möchteft", lispelte er und eierte davon. Das Institut schien keinen Mangel an Gönnern und Mäzenen zu haben. Die Einrichtung atmete Erhabenheit.
"Bitte beurteile Herrn Profeffor Toit nicht nach dem Ort seiner Wirkungfftätte. Fein untadeliger Ruf fteht in keinem Verhätnif zu der unerhörten Behandlung durch die Inftitutfleitung", sagte der Igor, als sie eine lange Treppe hinunter gestiegen waren und das Kellergeschoss erreichten.
"Oh, keine Sorge", gab Rea zurück und konnte sich dennoch nicht vollends des Eindrucks erwehren, dass der empfohlene Experte womöglich doch nur ein abgedrehter Spinner war. Der Keller stand in erheblichem Kontrast zur Eingangshalle. Abgedeckte Möbel, Bilder, Kisten und anderer Unrat verstopften den Gang.
"Daf Inftitut leidet momentan unter einer Vakanf der Leitungffpitfe, und der Herr Pfrofeffor verfügt fwar über ein umfangreichef Wiffen der Infektenkunde, aber leider nicht über die, fagen wir 'Ellenbogen', um feine Pofition in der Inftitutfhierarchie zu verbeffern. Er hat nicht fehr viele Führfprecher in der Chefetage. Und felbft die, welche ihm nicht ablehnend gegenüber ftehen, haben nicht viel übrig für Lebewesen die mehr als fwei Arme und Beine aufweifen."
Rea wunderte sich etwas über die Redseligkeit des Igors. Vertreter seines Standes achteten doch sonst so sehr auf Diskretion.
Sie durchwanderten lange Gänge, an deren Wänden Schaukästen mit präparierten Käfern, Schmetterlingen und Spinnen hingen.
Der Igor steuerte eine schmale Tür zwischen zwei klobigen Aktenschränken an.
"Einen Moment bitte", bat er und klopfte formvollendet.
"Herein!", erklang es von Innen und der Igor trat ein. Nach einem kurzen Moment öffnete sich die Tür wieder und der Igor trat heraus.
"Herr Profeffor läfft bitten", verbeugte er sich und wies mit einladender Geste in den Raum. Das Zimmer war kaum breiter, als der Türrahmen. Langgezogen und voller Krempel, der sich bei näherer Betrachtung, als Exponate unterschiedlichster Art herausstellte.
Professor Toit war ein kleiner Mann in einem alten, aber gepflegten dunkelgrauen Anzug. Die Augen hinter seiner Nickelbrille blitzten neugierig. Er streckte die Hand aus.
"Was kann ich für die Stadtwache tun, Teuerste? In letzter Zeit, scheint es einen Mehrbedarf an Insektenkunde zu geben, wie mir scheint. War nicht Letztens erst ein Kollege von Ihnen bei mir?"
"Wir hoffen, dass sie uns bei der Analyse dieser Probe mit ihrem Wissen unterstützen können", hob Rea die kleine Papiertür hoch, "Unser Labor hält es für Holzwürmer, aber wir hätten da gerne ihre Expertenmeinung, wenn es keine Umstände macht."
"Aber nein, kein Problem. Wollen doch mal sehen."
Er nahm ihr das Tütchen ab und lief den Gang weiter hinunter. In einer Ecke zwischen einem ausgestopften Leguan und einem undefinierbaren Wollknäuel mit Pfoten dran, stand ein kleiner runder Tisch, auf dessen weißer Spitzentischdecke ein Mikroskop aus Messing stand. Toit legte die Probe auf einen Objektträger und sah durch das Okular. Gleich neben dem Tischchen ruhte ein Ohrensessel aus dunkelgrünen Plüsch. An der Wand hing ein Flanellpyjama mit Bienenmotiven.
"Oh, nun sie mal einer an. Wie ungewöhnlich."
"Herr Professor?", kehrte Rea etwas erschrocken in das Hier und Jetzt zurück.
"Anobium punctatum rasanz sindicata. Hätte nicht gedacht, sie hier anzutreffen."
"Verzeihen sie meine Unwissenheit. Um was handelt es sich denn genau?", fragte Rea leicht ungeduldig.
"Oh, verzeihen sie. Wie sie schon bemerkten, handelt es sich um die Vertreter der Anobiidae, umgangssprachlich wegen der Aktivität der Larven auch Holzwürmer genannt. Es ist eine Art der Nagekäfer. Diese hier kommt in Ankh-Morpork eigentlich nicht mehr vor, da sie die konkurrierende Anobium punctatum lenta gremia vollkommen verdrängt hat."
"Mit Verlaub, Herr Professor: Ich kann ihnen nicht folgen."
"Ich muss sie erneut um Entschuldigung bitten. Ich vergesse zu oft, dass nicht jeder meine Begeisterung für diese possierlichen Tierchen teilt."
Rea blickte kurz zur Seite und schluckte beim Anblick der Mandibeln die aus der Vorderseite des Wollknäuels heraus standen. Sie waren ihr vorher gar nicht aufgefallen. Der Begriff possierlich war das Letzte, was ihr dazu eingefallen wäre.
"Die Anobium punctatum rasanz sindicata oder auch der 'gewerkschaftlich organisierte fleißige Holzwurm' ist vor allem für ihre Eigenart bekannt, nur zu den gewerkschaftlich festgelegten Zeiten am Holz zu nagen. Das aber dann mit enormer Hingabe an ihre Aufgabe. Sie waren damit ihrer Konkurrenz, den Anobiidae der Unterart der Gilde-organisierten Holzwürmer ein Dorn im Auge, die ihre Tätigkeit mit einer, sagen wir, größeren Gelassenheit betrachtet. Sie verdrängten aufgrund ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit die Sindicata."
"Moment. Wollen sie damit sagen, dass man sich quasi darauf verlassen kann, dass diese ... Würmer nur zu einer bestimmten Zeit ... bohren?"
"Oh ja, und das in einer unglaublichen Geschwindigkeit. Als Student habe ich gelegentlich über die Strenge geschlagen. Ich impfte einmal den Aktenschrank der Fakultät mit diesen kleinen Freunden hier. Sie haben ihn innerhalb von vier Stunden zu Holzmehl verarbeitet. War sehr lustig", gluckste Toit versonnen.
"Wo haben sie sie eigentlich gefunden?", fragte er.
"Sie befanden sich in einer Deichsel eines Eselskarrens. Jemand scheint sie dort platziert zu haben."
Toit hob erstaunt die Augenbrauen.


6.
UAC


Die Kolonne wartender Karren reichte von der Baustelle in der Saitengasse bis in den Bogen der hufeisenförmigen Zupferstraße. Sie alle warteten auf ihre Fuhre Bauschutt und Erdaushub. Anders als sonst hörte man hier kein Gekeife und Geschrei der Karrenlenker. Das hier war ein sicherer Verdienst. Mindestens drei Fuhren am Tag wurden vom Auftraggeber garantiert und er bezahlte einen sogar täglich und nicht erst am Ende der Woche. Die Temperatur war an diesem Tag deutlich gestiegen. Es war, als habe der Frühling erschrocken auf den Kalender geschaut und versuchte nun, das Versäumte mit doppeltem Eifer nachzuholen. Die Fuhrleute unterhielten sich während sie warteten, spielten Leg-Herrn-Zwiebel-rein, aßen und tranken oder hielten sogar ein kurzes Nickerchen auf der Ladefläche. Im Park, den die Zupferstraße umschloß, legten ein paar Trolle gerade neue Wege an, während zwei Golems eine Grube für einen kleinen Teich aushoben.
Im allgemeinen Lärm der Baustelle, wo etliche Trolle dabei waren, die Mauern der Gebäude des G-förmigen Areals einzureißen, ging der dumpfe Knall unter, der vom spiegelbildlich gegenüberliegenden Gelände kam. Die Karrenkolonne schob sich langsam vorwärts. Karren für Karren wurde mit Abraum beladen und rumpelte staubend die Saitengasse wieder hinunter Richtung Parkgelände an der Zupferstraße. Verwundert schaute Sums Bärbein dem Wagen hinterher, der anstatt nach Links zum Baugelände, nach rechts in die gegenüberliegende Sackgasse abbog. Der Fahrer lag schnarchend auf der Ladefläche und hatte sich in die Abdeckplane gekuschelt.
"Hey Du!", rief er ihm hinterher und wedelte mit den Armen, bis ihm sein Tun lächerlich vorkam, da der Angesprochene ihn ja gar nicht sah, "Das ist die falsche Richtung! Du musst hier lang!"
Der Mann schlief jedoch weiter und hinter Sums wurden die Leute unruhig. Er drehte sich zu seinem Kollegen um, zuckte demonstrativ mit den Schultern, ließ die Mundwinkel herabsinken und zog eine Fluppe.
"Hat er eben Pech gehabt und muss sich wieder hinten anstellen", schnarrte sein Hintermann.
Sums ließ die Zügel knallen und trieb die Ochsen an.
Eine dumpfes Krachen ließ die Erde erzittern, als eine weitere Wand aus Ziegeln ihre Position von der Senkrechten in die Waagrechte fand. Niemand nahm daher die Detonation wahr, die erneut vom gegenüberliegenden Gelände zu hören war. Man hielt es für ein Echo.
In der Teichgrube des kleinen Parls stellten die beiden Golems die Arbeit ein, wandten sich erst einander und dann der Richtung zu, aus der die Detonation gekommen war. Hupert Jupert, Gartenarchitekt in der dritten Generation, stutzte, als das vertraute Schaben aus der Grube ausblieb. Er blickte von seinem Bauplan auf und schaute in Richtung Grube. Er näherte sich dem Rand, um nach dem Rechten zu sehen. Die beiden Golems darin gestikulierten, schrieben immer wieder auf ihre Schiefertafeln und hielten sie dem jeweils anderen vor die rotglühenden Öffnungen, die als Augen dienten.
"Ähm...gibt es ein Problem da unten?", fragte Hupert zögerlich, "Schwierigkeiten mit dem Boden?"
Die Golems sahen zu ihm auf. Nach einem kurzen Moment blickten sie sich kurz an und drehten dann ihre Oberkörper mehrmals nach rechts und links, ihrer Version des Kopfschüttelns. Sie griffen wieder nach den Schaufeln. Hupert seufzte erleichtert und schaute zur Großbaustelle hinüber. Die Architekten-Brüder Jenkins, Jenkins, Jenkins und Schmalzlocke, hatten dort einen weiteren dicken Fisch an Land gezogen und inzwischen fast die gesamten Ressourcen an Personal, Baugeräten und Material in Ankh-Morpork gebunden. Misstrauisch kniff er die Augen zusammen. Seine Golems und Trolle würden sie nicht bekommen, schwor er sich.

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Ayu stapfte durch den Matsch an der Hinterseite des Schlachthofs von Herrn Senkwurst. Der vom Regen der Nacht völlig aufgeweichte Boden saugte bei jedem Schritt an ihren Stiefeln. Wenn es hier Spuren gegeben hatte, waren sie jetzt mit Sicherheit nicht mehr da. Sie sah sich um. Die Gasse war eben breit genug für einen Karren. Rechts und links erstreckten sich Gebäude, Mauern und Zäune der angrenzenden Schlachthöfe. Gedämpftes Blöken, Gackern und Muhen drang von allen Seiten auf sie ein. Fenster, die zur Gasse hin lagen, waren durchweg schmutzverkrustet und schienen schon seit Ewigkeiten nicht mehr geöffnet worden zu sein, falls sie sich überhaupt öffnen ließen. Ein zufälliger Zeuge, der heimlich eine schnelle Zigarette am Fenster geraucht hatte, war also eher unwahrscheinlich.

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Mit einer Ratte am Spieß trottete Sebulon neben Kolumbini den Kiesweg entlang. Der Tag versprach warm zu werden, kein Wölkchen zeigte sich am Himmel über dem Hidepark.
"Also Gefreiter. Nun mal raus mit der Sprache. Was hat es denn mit diesem Zwergending auf sich, dass du es mir nicht in der Wache erklären konntest?"
Sebulon hörte auf zu kauen und schluckte umständlich.
"Ich habe dir ja schon gesagt, Korporal, dass nicht alle Zwerge, das Arsh'Knurlan als wichtiges Erbe unseres Volkes betrachten. In der Tat", er blickte sich verstohlen um, ob nicht andere Zwerge in der Nähe waren, "verhält es sich so, dass die meisten Zwerge die Anhänger dieses Kultes für Spinner halten. Selbst die Tiefener."
"Ja und weiter? Was ist das überhaupt für ein Ding? Ist es das, was ich vermuter?"
Sebulon ließ den Kopf hängen und brummelte kaum hörbar in seinen Bart, "Ja, leider. Diese Fraktion ist der Meinung, dass nicht nur die Steinsemmel traditionell wichtig ist, sondern auch die Abdrücke, die auf ihr hinterlassen wurden. Sie werden B'rian Blutaxt zugeschrieben."
"Du willst mir also sagen, sie haben einen Abguß von seinem Allerwertesten gemacht und verehren den nun auch?"
Der Zwerg nickte nur. Kolumbini war stehen geblieben und hielt sich die Hand vor die Augen, Wart's nur ab, mein lieber Romulus. Das bekommst du wieder ..., dachte er grimmig.

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Sums Karren rumpelte schwer beladen vom Gelände und zog eine Staubwolke hinter sich her. Trotz des Tuchs über dem Mund, fiel ihm das Atmen schwer und er musste ständig Husten. Aus der gegenüberliegenden Sackgasse rollte gerade ein dunkler Karren, der ihm merkwürdig vertraut vorkam. Der Karren fädelte sich hinter ihm ein, wobei er die Bahn der zur Baustelle fahrenden Karren kreuzte. Sums rechnete nach. Es war noch nicht einmal zehn Uhr und dies war schon seine vierte Fahrt heute. Wenn alles gut ging, würde er bis heute Abend sicher noch einmal doppelt so viele Fuhren machen können. An einem Tag soviel verdient, wie sonst nur in einer Woche, freute er sich. Er folgte den anderen Karren, die der Zupferstraße in Richtung des Hinkenden Tors folgten. Ihr Ziel waren die Schutthalden etwa zwei Meilen vor der Stadt.
Aus dem Augenwinkel heraus nahm er eine Bewegung wahr, die dem üblichen Bewegungsmuster der Schuttkarren widersprach und drehte den Kopf. Der Karren des Typen, der vorhin falsch abgebogen war, fuhr nun schon wieder falsch. Er wollte eben etwas sagen, überlegte es sich dann doch anders. Der Typ würde sicher wissen, was er tat. Und falls nicht, mochte sogar noch eine weitere Fuhre für ihn heute drin sein.
Der Kutscher kreuzte die Kickelburstraße und folgte der Endlosen Straße weiter. Das Glück lachte ihm wie ein leckeres Stück Kuchen. Aber nur, bis er die Verlierende Straße erreichte. Hier biss er auf einen Kirschkern, einen Kirschkern in Form von Weufolt Garnichgut.

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Bregs überflog die Ergebnisse der Püschositzungen, die Jack mit William und Weufolt abgehalten hatte. Es gab keinen Beweis für Verstöße gegen das Gesetz oder die Dienstvorschriften der Wache und damit auch keine rechtliche Handhabe, dienstliche Beschränkungen auszusprechen. William war wieder zur Streife eingeteilt worden. In Ermangelung eines Wachekarrens musste er dies zunächst zu Fuß tun. Weufolt lief eine andere Route zusammen mit Damian. Jack hatte empfohlen, Weufolt im Auge zu behalten. Das war alles. Seufzend rieb sich der Kommandeur über das Gesicht. Was würde er jetzt für einen kräftigen Schluck geben. Doch ein Treffen mit Gildenvertretern beim Patrizier stand an. Seine Lordschaft wollte die wichtigsten Repräsentanten der Stadt über die Fortschritte seiner Modernisierungspläne informieren. Verdammter Vetinari!, dachte er grimmig, Verdammter Vetinari!

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Damian und Weufolt spazierten gemütlich die Verlierende Straße in Richtung der Endlosen Straße und genossen die ersten warmen Sonnenstrahlen, die ihren Weg durch den Dunst auf die Oberfläche der Scheibenwelt gefunden und sich nun fragten, womit sie das eigentlich verdient hatten.
Damiens Neugier war beinahe unbezähmbar, aber Oberfeldwebel Dubiatas Anweisung war eindeutig gewesen: "Behalte Weufolt im Auge und berichte mir nachher, wie er sich so macht. Ich weiß, du bist Szenekenner und kein Verkehrexperte, aber die Liste unserer Verkehrexperten ist kurz und William de Morgue hat heute frei. Lauf Streife mit ihm und mach ihn mit dem ein oder anderen vertraut. Ach, und kein Wort zu ihm über den geschrotteten Wachekarren!"
Und so arbeiteten sie sich die Straße herunter, blieben dann und wann vor einem Schaufenster eines kleinen Ladengeschäftes stehen und hielten ein kurzes Schwätzchen mit Leuten auf der Straße. Gelegentlich hatten sie einen Karren kontrolliert und die Lizenz des Lenkers überprüft. Der Tag versprach, sich so friedlich fortzusetzen wie er begonnen hatte.
"Kennst du eigentlich den von dem Troll und dem Zwerg?", fragte Weufolt gerade und Damien japste nach Luft, da der letzte Witz noch in seinem Zwerchfell steckte.
"Nein", hechelte er, wischte sich die Tränen aus den Augen und sah Weufolt an.
"Da soll mich doch ...", murmelte Weufolt und Damien stutzte angesichts dessen starrenden Augen. Er folgte seinem Blick. Ein staubbedeckter Karren fuhr die Endlose Straße in Richtung Ankh hinunter. Als sich Damien wieder zu Weufolt umdrehte, stand dieser schon mehrere Meter entfernt bei einem Karrenlenker und hielt ihm seine Dienstmarke unter die Nase.
Der konsternierte Mann kletterte auf die Straße und Weufolt war auf den Bock gesprungen. Einen Wimpernschlag später stand der Karren neben Damien.
"Was ist? Komm schon! Wir müssen den Kerl diesmal schnappen!", rief er ihm aufgeregt zu.
Damien klappte den Mund zu und kletterte hinauf.
Mit einer Hand hielt er sich am Kutschbock fest, während er mit der anderen die Glocke läutete.
Der Verfolgte schaute kurz über seine Schulter und ließ dann die Zügel knallen. Sein Karren beschleunigte und die Passanten auf der Straße stoben panisch auseinander. Damien bemerkte, dass der Gaul vor dem von Weufolt requirierten Karren nicht zu der Sorte alter Klepper gehörte, in welche auch Frederike eingeordnet werden konnte. Der hier hatte Feuer und zeigte es auch. Der Abstand zum Unbekannten schrumpfte sichtlich. Der Verkehr entlang der Stadtmauer war geringer, als im Stadtinneren. Der Kutscher trieb seine Tiere an und es gelang ihm zumindest, den Abstand zu Weufolt und Damien zu halten.
Damien ging auf, wen sie da verfolgten. Der Schweinestallhügel flog vorbei, ebenso der Sattelweg, die Kurze Gasse und Bescheidene Straße. Unvermittelt bog der Unbekannte nach rechts in den Schlachthof Weg ab und Weufolt hatte es im letzten Moment gesehen und ihm folgen können. Seine Flucht führte in die Hinterbackenstraße.
"Was will er im Hafen?", brüllte Damien Weufolt zu.
"Keine Ahnung. Diesmal kriegen wir dich, du Mistkerl!"
Der Kutscher trieb seine Zugtiere nochmals an und steuerte genau auf einen Stapel großer Kiste zu, die direkt am Haftbecken standen. Weufolt und Damien sahen sich fragend an und gaben beide einen verblüfften Laut von sich, als der Mann mit seinem Karren einfach in die Kisten hinein fuhr und sie sich plötzlich in Dunst auflösten. Direkt dahinter lag eine Rampe, die bis ins Hafenbecken hineinragte. Der Karren hob ab und überbrückte die kurze Strecke zur nächstgelegenen Mole. Drei erschrocken in den Ankh springende Angler auf der Mole, waren die einzigen Kollateralschäden, die er dabei verursachte. Hinter ihm brach die Rampe zusammen und klatschte auf dem Wasser auf. Weufolt trieb den Gaul an und lenkte ihn nach unten, um den Verbindungsweg zur Mole zu erreichen.
"Er will zur Fähre!", schrie er Damien zu. Sie näherten sich bereits der Anlegestelle, an der sich merkwürdigerweise kaum Kundschaft aufhielt. Die Fähre legte ab und die Entfernung zur Mole vergrößerte sich zusehends. Weufolts Gesichtsausdruck machte Damien deutlich, dass er jetzt nur noch die Wahl zwischen Festhalten oder nass bzw. dreckig werden hatte. Ersteres machte das Erleben von unmittelbaren Problemen wahrscheinlich, Letzteres garantierte sie.
Er schloss die Augen und öffnete sie erst, als das Hufgetrappel und Poltern der Räder erstarben und nur noch der Fahrtwind zu hören war.
"Raaaaaahhhhh!", entrang sich beiden Kehlen, als deutlich wurde, dass der Abstand der Fähre größer war, als das Sprungvermögen des Pferdes. In seiner Gedankenwelt, die in erster Linie aus einer ordentlichen Portion Hafer täglich und einer regelmäßigen Verdauung bestand, genügte es, wenn er die Fähre erreichte. Das Interesse der Personen hinter ihm, teilte er indes nicht.
"Hilfe!", schrie Damien aus Leibeskräften, als das brackige Ankwasser in den Fußbereich des Karrens drang. Beide zogen die Füße an und in ihre flehenden Mienen mischte sich Verzweiflung, als der Fährmann das einzig in seinen Augen richtige tat und das Pferd rettete. Er schnitt das Zaumzeug durch und der mitgeschleifte Karren blieb hinter der Fähre zurück.
Damien und Weufolt hatten sich auf die Ladefläche geflüchtet und trieben langsam in Richtung Flusstor davon.

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"Er hat was getan?", ächzte Bregs und war hinter seinem Schreibtisch aufgesprungen.
"Herr ... er hat schon wieder einen Karren ... geschrottet", duckte sich Rea zusammen.
"Aber ich hatte dich doch angewiesen, ihn auf Fußstreife zu schicken!"
"Das habe ich auch getan. Aber, als er den Verdächtigen sah, hat er einen Karren konfisziert und mit diesem die Verfolgung aufgenommen."
"Wo ist er jetzt?", schnaubte Bregs.
Rea wies mit dem Daumen über ihre Schulter in Richtung Gang.
"Soll ich ihn reinrufen?"
Bregs atmete tief durch und schüttelte dann den Kopf.
"Nein. Du machst das. Sorg dafür, dass er diesmal keinen Ärger mehr anrichtet. Versetze ihn in den Innendienst. Und den Karren bekommt er von seinem Sold abgezogen!"
Rea nickte, hob grüßend die Hand und verließ das Büro des Kommandeurs.
Bregs konnte ihr lautes Organ hören. Er sank auf seinen Stuhl und legte sein Gesicht auf die Arme, die er auf den Schreibtisch übereinander gelegt hatte.
Ich bekomme eindeutig zu wenig Sold für das alles hier..., fuhr es ihm durch den Kopf.
"Auf die Füße, Gefreiter! Eins-Zwei-Eins-Zwei! In mein Büro, aber dalli!", schallte Reas Gebrüll von draußen durch die geschlossene Tür.

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Kolumbini betrachtete die zerschmetterte Vitrine und verstreute Auslage. Glassplitter knirschten unter seinen Schuhen.
"Der Täter muss genau gewusst haben, was er wollte", sagte Korporal Ophelia Ziegenberger mit dem Gefreiten Kadwallader Janders im Schlepptau.
"Wie kommst du darauf? Das wertvolle Zeug ist doch noch da", deutete er auf ein paar Münzen, Kerzenhalter und silberne Schüsseln.
"Laut Aussage des Besitzers dieses Museums, fehlen zwei sakrale Gegenstände."
"Bist du sicher, dass er nicht einfach nur gestört wurde und schnell verschwinden musste?"
Ophelia schüttelte den Kopf, "Frag ihn selbst."
Sie wies in die entsprechende Richtung. Kolumbini sah auf und im schummrigen Licht nahm er zwei glühende Punkte wahr, die etwa zwei Meter über dem Boden schwebten.
"Der Besitzer ist ein Golem?", fragte er leise.
Sie nickte. Kolumbini trat auf den Golem zu.
"Meine Kollegin sagte mir, dass keine wertvollen Gegenstände gestohlen wurden."
Der Golem griff nach der Schiefertafel um seinen Hals, schrieb kurz mit dem Griffel darauf und zeigte sie Kolumbini.
"Das Stimmt So Nicht. Die Beiden Wertvollsten Ausstellungstücke Wurden Gestohlen."
"Und welche sind das?"
"Dashuf Die Modellierkelle Des Erschaffens Des Hohepriesters Mach-Es-So Und Eatham Der Heilige Pinsel Der Ewigen Lasur Der Heiligen Acrylata Fehlen."
"Was denn? Ein Bauwerkzeug und eine alte Quaste? Das Zeug da drüben ist doch mindestens hundert Mal wertvoller", sagte er überrascht.
"Das Ist Nur Gold Und Silber. Es Hat Nicht Wirklich Eine Bedeutung Für Uns."
"Und mit uns meinst du ... euch Golems", fragte er vorsichtig und zog dabei eine Augenbraue nach oben. Der Golem sagte nicht, doch sein Stillschweigen hatte jene Qualität, die einer Antwort in nichts nachstand. Kolumbini fuhr sich irritiert durch die Haare.


7.
UUC


Der Hauptgefreite Septimus Ebel, Oberfeldwebel Sillybos und Oberfeldwebel Rea Dubiata standen gemeinsam in der Asservatenkammer und betrachteten die von SUSI sicher gestellten Beweisstücke. Straßensperren in rot, gelb und schwarz und ein Hinweisschild mit der Aufschrift

Fährenweg wegen Bauarbeiten gesperrt
Fähre außer Betrieb
Amt für Bauwesen - AM


"Das Siegel?", fragte Rea.
"Ist echt. Das Labor hats geprüft. Das Schild ist ein Rohling aus dem Stadtamt. Den Text hat wohl der Verdächtige aufgemalt", antwortete Sillybos.
"Es wurden identische Absperrungen an allen drei Zufahrten zum Fährenweg gefunden", zitierte Septimus aus einem Bericht.
"Irgendwas geht hier vor, Silly. Ich spürs", raunte sie leise.
"Ich habe Romulus gebeten, ein paar verdeckte Ermittler einzusetzen. Wir wissen nicht, wo der Kerl her gekommen ist. Kolumbini hat einen Fall auf dem Tisch, bei dem es um verschwundene Opferziegen geht, kann aber nicht sagen, ob es das was mit diesem Fall zu tun hat. Zumindest die Wagenspuren passen zusammen."
"Opferziegen? Hmmm ... Ich habe vor kurzem einen Diebstahl einer heiligen Maske im Tempel der geringen Götter untersucht. Leider ohne Ergebnis bisher. Außer ein paar Spuren im Staub, haben wir nichts. Aber Diebstahl passiert in dieser Stadt ja andauernd. Kann sein, dass die Fälle miteinander zu tun haben. Kann aber auch sein, dass es Zufall ist."
Sie wandten sich zum Gehen.
"Weufolt?", fragte Sillybos wispernd, als er und Rea etwas Abstand zu Septimus hatten.
"Sortiert derzeit Strafanzeigen. Da kann er wenigstens nichts kaputt machen. Jedenfalls nicht sehr. Hoffe ich", seufzte sie leise.

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Die Stände und Marktbuden auf dem Hier-gibts-alles-Platz quollen über Waren aller Art. Geräuschkulisse und Geruchspegel konkurrierten um die besten Plätze. Die einzigen beiden Zutaten, die sich Huitztli aus dem Gespräch, das er zwischen der Wacheköchin und Frau Willichnicht belauschten hatte, waren Gans und Pastinaken. Das Federvieh hatte er schnell ausgemacht. In kleinen Pferchen rannten Herden aus sechs oder sieben Tieren aufgeregt von einer Seite des Pferchs zur anderen.
"Was darf es für sie sein, der Herr?", fragte eine kräftige Frau mit wettergegerbtem Gesicht neben dem Pferch. Sie überragte Huitztli um drei Haupteslängen.
"Was kosten denn die Gänse?", fragte er schüchtern.
"Was, alle?"
"Äh, nein. Tschuldigung, nur ein Tier."
"Sechs AM Dollar für die jungen. Neun für die ausgewachsenen Exemplare. Bekommen nur das beste Futter bei uns, musst du wissen."
"Wenn ich eine gefüllte Gans machen möchte, die für", er rechnete kurz nach, "vier Personen reichen soll, was würden Sie mir da empfehlen?"
"Na, auf jeden Fall eine große. Es sei denn, ihre Gäste haben Zeit und können warten, bis sie ausgewachsen sind", lachte sie heiser und offenbarte das trauriges Schicksal ihrer persönlichen Dentalgeschichte.
"Ist schon was echt Leckeres. Mit Buttersauce übergossen, ordentlich gesalzen und gepfeffert."
Huitztli entschied sich für ein ausgewachsenes Exemplar und machte geistige Notizen für Butter, Salz und Pfeffer.


8.
UAXAC


"Die Timef, der Ikonograph und der Blick auf Ankh-Morpork, meine Herren", lispelte der livrierte Diener und präsentierte ein silbernes Tablett.
"Ah."
Eine Hand kam hinter dem dunklen Ledersessel hervor und schwebte unentschlossen über den drei Tageszeitungen hin und her, während sich die Finger wie die Beine einer Spinne bewegten.
Geziert ergriffen sie schließlich die Times und zogen sie vom Tablett.
"Igor, gib uns bitte Bescheid, wenn die Gäste eintreffen."
"Fehr wohl, meine Herren."
"Ist das letzte Paket eingetroffen?"
"Jawohl, meine Herren. Ef wurde wie angewiefen im Keller deponiert."
"Der Kutscher ..."
"... hat feinen nächften Auftrag erhalten", vollendete der Igor den Satz.
Die Hand erhob sich abermals und vollführte eine Geste des Entlassens.
Der Igor verneigte sich und verließ den Raum. Satt fiel die Tür ins Schloss.
Papierenes Rascheln kündete vom Aufschlagen der Zeitung.
"Ah ha ha ... köstlich!"

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Schwer rumpelte der Aufzug nach unten in das Kellergeschoss und stoppte mit einem dumpfen Pochen. Pismire und Huitztli hieften die Leiche auf die Pritsche. Pismire nahm das Klemmbrett, das oben auf der Leiche lag.
"Unbekannter Toter. Der Ankh hat ihn gegen den Brückenpfeiler der Ankh-Brücke gedrückt. Auf der Mumpitzstraßenseite."
Er gähnte. Der Leichnam stank entsetzlich. Es klopfte an der Tür und gleich darauf öffnete sie sich einen Spalt.
"Hallo", kam es zögerlich von draußen, "Ich bringe die Rekruten wegen des Anatomieunterrichts."
"Bring sie nur rein, Kathiopeja", sagte Pismire laut.
Die Tür wurde vollends aufgestoßen und eine Hand voll Rekruten in den Raum geschoben.
Zwei Zwerge, vier Menschen und ein Troll.
"Nun nun, es wird zwar etwas eng werden hier drin, aber ich denke, es wird schon gehen", begrüßte Pismire die Unglücklichen, "Der Obergefreite Pochtli wird die Autopsie leiten und eure Fragen beantworten."
Kathiopeja war an der Tür stehen geblieben und mied den Blick auf den toten, aufgedunsenen Körper.
"I...ch warte so lange draußen", stotterte sie und schloss rasch die Tür, dankbar, dass sie momentan bei GRUND eingesetzt war.
Huitztli winkte einen der menschlichen Rekruten heran, "Hilf mir mal eben."
Zögerlich näherte sich der Rekrut Schelum Zwang der Pritsche.
"Wir müssen ihn erst mal auf den Tisch heben."
Mit spitzen Fingern suchte Schelum nach einer Stelle an der Leiche, die den geringsten Verschmutzungsgrad aufwies.
"Hier", reichte Pismiere dem Rekruten ein paar Stulpenhandschuhe aus Gummi. Dankend zog er sie über und packte dann richtig zu. Mit einem satten Quatschen landete der Körper auf dem Seziertisch. Huitztli rückte sein Schemelchen zurecht und kletterte darauf.
"Nun meine Herren, nur keine falsche Scheu. Treten sie näher", forderte er sie munter auf.
Zentimeterweise näherten sie sich dem Tisch, jeder bemüht, nicht der erste zu sein.
"Herr ..."
"Zwang, Herr. Schelum Zwang", sagte der Rekrut schnell.
"Das Herr kannst du weg lassen, Schelum. Ich bin nur Obergefreiter. Nenn mich Huitztli."
Schelum nickte.
"Also, dann wollen wir mal."
Huitztli tippte gegen den Dict-D-mon, der über dem Tisch hing.
"Aufnahme bitte", sagte er und eine kleine Hand erschien und hielt den Daumen nach oben gereckt.
"Autopsie Nummer Eins am 05.03. im Jahr der hysterischen Blattlaus. Ausführender Gerichtsmediziner Obergefreiter Huitztli Pochtli. Vor uns liegt eine männliche, menschliche Leiche mittleren Alters. Das Alter schätze ich auf etwa vierzig Jahre. Der Fundort war der äußerste Brückenpfeiler der Ankh-Brücke auf der Seite der Mumpitzstraße. Genauere Details sind dem Bericht der ermittelnden Beamten zu entnehmen. Die Kleidung entspricht der in Ankh-Morpork gebräuchlichen für jemanden aus der unteren Mittelschicht."
Er suchte die Taschen ab, fand sie jedoch leer.
"Der Tote hat keine identifizierenden Gegenstände in seinen Taschen."
Huitztli öffnete das Hemd, zog es vom Leichnam und legte es in eine große Wanne neben dem Tisch.
Nachdem der Körper entkleidet war, griff Huitztli nach einer Gießkanne und ließ einen Strahl klaren Wassers über die Leiche laufen.. Nachdem der Körper vom gröbsten Schmutz gereinigt war, sprang Huitztli von seinem Hocker und schob einen kleinen Tisch heran, auf dem das Sezierbesteck bereit lag. Schelum und die andren schluckten. Nur der Troll blieb ungerührt stehen.
"Zunächst begutachten wir den Körper äußerlich auf mögliche Wunden, Prellungen, Würgemale und ähnliches", dozierte er. Mit seinen schwarz-weiß-marmorierten Händen tastete er Knochen für Knochen ab und inspizierte die fleckige Haut des Mannes. Dann packte er die Seite des Toten und wuchtete in hoch, "Halte bitte mal fest, Schelum."
Der Rekrut legte die Hände an die Taille des Toten und schloss die Augen. Huitztli untersuchte den Rücken genauso sorgfältig, fand aber auch dort keine Hinweise auf eine äußere Gewalteinwirkung.
"Der Tote zeigt keine solchen Verletzungen", stellte er fest.
Huitztli griff nach dem Skalpell. Mit dem ersten Schnitt in Höhe des Solarplexus verfärbte sich die Gesichtsfarbe der Rekruten ins grünliche. Die des Trolls blieb so grau wie zuvor.
"Ich setze einen Y-Schnitt und eröffne damit die Bauchhöhle."
Es schmatzte schleimig, als Huitztli die Hautlappen zurückklappte und hier und da mit dem Skalpell nachhelfen musste. Der erste Zwerg übergab sich auf den Boden. Huitztli blickte zu der Stelle.
"Ratte am Spieß, wie? Sehr ungesund", bemerkte er und fuhr fort.
"Die Rippen sind unversehrt und zeigen keine Frakturmerkmale", fuhr er mit seiner Hand über die mit Blut und anderen Flüssigkeiten verschmierten Knochen. Mit einem sägeähnlichen Instrument traktierte er die Rippen des Toten, hob das heraus getrennte Stück hoch und drehte es im Licht. Dann legte er es auf ein metallenes Tablett.
Er griff ins Innere des Toten und wühlte darin. Drei der Menschen übergaben sich nun ebenfalls und der zweite Zwerg fiel in Ohnmacht.
"Ich eine Frage habe", grollte der Troll und hob die wuchtige Hand.
"Ja?", fragte Huitztli, erfreut endlich den Wissensdurst von jemandem stillen zu können, der sich womöglich für die Karriere eines Gerichtsmediziners zu entscheiden gedachte.
"Es nicht unhygienisch ist, zu tun dies ohne Handschuhe wie diese?"
Er zeigte auf die Stulpenhandschuhe, die sich Schelum vor die Brust gepresst hielt, wie ein Boxer seine Deckung.
"Wieso?", schaute Huitztli überrascht, "Er ist doch schon tot. Der kann sich bei mir nichts mehr holen."
"Ah", sagte der Troll, dankbar für die Auskunft. Schelum lächelte gequält und wünschte sich an einen seligeren Ort. Zum Beispiel die Schatten oder in die geflickte Trommel inmitten einer Kneipenschlägerei.
Fünfundzwanzig Minuten und drei weitere Bewusstlose später, war die Autopsie beendet. Backstein hatte sich seiner Mitrekruten angenommen und sie nach draußen getragen, wo sie nun blass und mit entleerten Mägen auf den Bänken im Flur saßen.
"Na, das ist ja besser gelaufen, als ich zu hoffen gewagt habe", zwinkerte Pismiere Huitztli zu.


9.
BOLON


Die schwarzblaue Kutsche rauschte in der Abenddämmerung Des-Königs-Daunen herunter und strebte Dunkles Tor entgegen. Brigham de'Jarrodd nahm die Rennbahn als vorbeihuschenden Schatten wahr und streckte die Beine durch. Er gähnte. Quirm war wie stets seinem Ruf die dösigste Stadt der Scheibenwelt zu sein, wieder einmal gerecht geworden. Nirgends vermochte er so zu entspannen und sein inneres Gleichgewicht wieder zu finden, wie auf dem Landsitz seiner Großmutter. Mehr als drei Tage waren nicht nötig, um von der Nervosität der Großstadt auf Kriechgang und Langeweile zu schalten. Und nach drei Tagen des Nachsinnens über die weiteren Schritte im Vorhaben, erreichte er auch regelmäßig den Punkt, an dem sein Partner vor Ungeduld zu platzen schien und es an der Zeit war, wieder aufzubrechen. Großmutter hatte kein Verständnis für sein Faible, das pulsierende Ankh-Morpork der heiteren Gelassenheit Quirms vorzuziehen. Doch er hatte herausgefunden, dass sie auf die Verpflichtung den Traditionen und der Familie gegenüber ebenso viel Wert legte wie auf den natürlichen Anspruch der Überlegenheit Quirms gegenüber der Metropole am Ankh. Brigham hatte auf den Umstand verwiesen, dass die Liegenschaften der Familie in Ankh-Morpork seiner Obhut bedurften und daher den Segen seiner Großmutter erhalten. In ihren Augen grenzte es geradezu an Wagemut, sich der nervenzerfetzenden Hektik dieser Großstadt zu stellen.
"Heute ist das nächste Paket fällig", flüsterte sein Partner.
"Ich weiß", sagte Brigham laut und gähnte herzhaft.
"Irgendwie irritiert es mich, dass deine Großmutter deine offenen Gespräche mit mir ignoriert."
"Eine Frage der Erziehung, schätze ich. Sie zieht es vor, nur die Dinge wahrzunehmen, die ihrer Meinung nach ihrer Aufmerksamkeit wert sind."
Er gähnte erneut und schloß die Augen.
"Ihr Quirmianer seid schon ein merkwürdiges Völkchen", stellte sein Partner fest, erhielt aber nur noch ein leises Schnarchen zur Antwort. Ich hasse es, wenn er das tut!, grollt er.


10.
LAHUN


Karl hatte das Abflußrohr erklommen und hing jetzt unterhalb eines Simses im vierten Stock. Den Kletterhaken hatte er nur ungenügend im bröckeligen Mauerwerk verankern können und war froh, seine praktische Prüfung längst hinter sich zu haben, denn dies hätte sicherlich zu Punktab- und eventuell Lebensentzug geführt. Er zog einen weiteren Haken aus dem Innenfutter seines Umhangs und trieb ihn zwischen zwei Backsteine.
Direkt über ihm war Faustus Ungewandt gerade dabei, Leben und Tod einem neuerlichen Preis-Leistungs-Vergleich zu unterziehen. Zum dritten Mal in diesem Monat. Sein dürrer Leib zitterte in der neblig-feuchten Abendluft. Gerade noch rechtzeitig war er mit dem Abwasch und Staubwischen fertig geworden. Die Kittelschürze hatte er sorgfältig zusammen gefaltet und auf den Hocker gleich neben der kurzen Trittleiter drapiert, die er für seinen Ausstieg durch das Fenster benutzt hatte. Gerlinde Ungewandt, eine geborene zu Dohm-Inanth und seit nunmehr dreieinhalb Jahren seine Angetraute, hatte sein Leben verändert. Nein, das stimmte nicht ganz, der richtigere Ausdruck war wohl umgekrempelt. Sie würde es ihm hoffentlich nachsehen, dass er auf seinem Weg nach draußen das Fenster aus begreiflichen Gründen nicht hatte schließen können. Leichter Nieselregen erzeugte einen trüben Schleier und ließ die Straßenlaternen leise zischen. Faustus blinzelte in die Dämmerung hinaus. Die erleuchteten Fenster des Gebäudes gegenüber leuchteten fahl durch den Dunst, wie die Laternen auf dem Friedhof beim Tempel der Geringen Götter.
Karl seufzte. Als er in die Assassinengilde eingetreten war, hatte ein fest definiertes Bild seine Vorstellung von einem Vertreter seines Standes geprägt. Dieses Bild hatte in letzter Zeit einige Risse und unpassend grelle Striche auf die sonst in morbiden Brauntönen gehaltene Leinwand erhalten. "Eigeninitiative und frisches Denken!" war plötzlich verlangt. Oh ja, und wie er sich den Kopf zermartert hatte! Aber es hatte sich keine wirklich innovative Idee einstellen wollen. Doch dann, nach dem er mit dem einzigen Freund in seiner Abschlussklasse, Jeremias Taktlos, in der Bahre ein paar Gläser Winkels getrunken hatte, war ihm die geniale Idee gekommen! Und diese versuchte er hier und jetzt an den Mann zu bringen.
"Alles klar da oben?"
"Wie bitte? Wer ist da?", erschrocken presste sich Faustus an die Hauswand und versuchte die Quelle der Stimme im Nebel auszumachen. Als Brillenmacher war es ihm unpassend erschienen, seinen Zwicker der Gefahr physischer Schäden auszusetzen. Wenn die Gläser aus dieser Höhe auf das Pflaster prallten, würden sie sicher in tausend Scherben gehen. Er hatte sie daher auf der Kittelschürze abgelegt.
"Mein Name ist Karl. Ich bin dein persönlicher Assassine für den heutigen Abend."
"Mein persönlicher Assassine? Hat dich etwa meine Frau geschickt?"
"Deine Frau? Äh, nein, nein, keineswegs."
Karl blickte nach unten, "Echt unangenehm so ein Sprung in die Tiefe. Kann einem wirklich den Tag vermiesen. Nicht den Sprung meine ich. Der geht noch. Aber die abrupte Ankunft ist da schon eher ein Problem."
"Woher willst denn du das wissen? Sprichst du etwa aus Erfahrung?"
Karl fühlte, dass es nicht allzu gut für ihn lief mit seinem ersten Kunden. Ihm entglitt die Gesprächsführung.
"Aber nein", er räusperte sich, "Äh ...". Es raschelte kurz, als Karl einen leicht zerknitterten Zettel aus der Westentasche zog und entfaltete. Die Lichtverhältnisse erschwerten das Lesen. "Nun, die Assassinengilde ... entbietet dir ... ihre besten Grüße und beglückwünscht dich als ... Genosse, nein, Gewinner des heutigen Ausseneinsa ... Auswahlverfahrens. Aus hunderten von Bürgern Ankh-Morporks, welche eine Selbstinhumierung für sich in ... Betteltracht ... Betracht gezogen haben, wurdest du ausgelost: Du erhältst deine persönliche Inhumierung durch einen qualifizierten Assassinen. Und das alles zum Selbstkostenpreis."
"Eigeninitiative? Betteltracht? Selbstkostenpreis? Was soll denn das nun wieder heißen?"
"Öhm ... Warte!", fuhr Karl fort, "Das ist noch nicht alles! Da du unter den ersten zehn Kunden innerhalb der Einführungsphase bist, gilt für dich nicht nur der Supersondertarif für Kurzentschlossene in letzter Minute. Nein! Du erhältst auch noch dieses wunderschöne Necessaire."
Er zog ein kleines hellbraunes Lederetui hervor, auf dessen Mitte das Emblem einer kleinen Nagelfeile und eines Nagelklipsers zu sehen waren. Die Worte Assassinengilde - wenn Stil gefragt ist prangten darunter.
"Ähm ... Ich mag mich irren, aber: wenn ich tot bin, kann ich mir wohl kaum die Nägel feilen, oder?"
"Das ... ist ... ein Argument", sagte Karl nachdenklich.
"Und außerdem, warum sollte ich für etwas bezahlen, was ich umsonst haben kann?"
Er deutete nach unten. Plötzlich flutschte Karl das Etui durch die Finger und hastig versuchte er es zu fangen, was ihm jedoch misslang. Etui und Inhalt traten den Weg nach abwärts an.
"Hoppla ...", sagte er halblaut und sah der Kundenprämie hinterher. Er begann in seiner Umhängetasche zu kramen, "Lass mich mal sehen ... wir hätten da noch ... diese geradezu bezaubernde Kerzenhalterset aus Silberimitat, dass..."
Verwirrt vernahm er das Zuklappen eines Fensters. Der Sims war plötzlich verwaist und das Fenster, mit den flatternden Vorhängen, geschlossen.
Er fluchte.
"Wieder nichts! Verdammter Mist! Ich war so nah dran!", sagte er sich und hielt sich die aneinander gepressten Zeigefinger und Daumen vors Gesicht.


11.
BULUC


Kolumbini betrat das holzgetäfelte Schreibzimmer, nachdem er dem Rekruten am Eingang seine Dienstmarke vorgezeigt und seinen Namen in die Liste eingetragen hatte. Das erste, was er wahrnahm, war der Geruch nach lauwarmem Rauch und Harz aus der Richtung des Kamins. Reste eines Feuers glommen noch darin, spendeten jedoch keine Wärme mehr. Und noch ein weiterer Geruch drängte in seine Nase. Etwas Metallisches und leider allzu Vertrautes. Der dunkle Onyx von Huitztlis Körper reflektierte das Licht der Laternen, die zwei Wächter in seiner unmittelbaren Nähe in der Hand hielten. Er untersuchte einen leblosen Körper, der neben dem Schreibtisch auf dem Boden lag. Die verkrampfte Hand hielt noch immer den Kerzenständer umklammert. Wachstropfen klebten im Haar und auf der Kleidung des Toten.
"Hallo Fred", grüßte der Wasserspeier.
"Hallo, Huitztli. Was haben wir denn hier?"
"Auf den ersten Blick würde ich sagen, dass er erschlagen wurde. Aber ..."
Huitztli zögerte und schüttelte langsam den Kopf.
"Was denn?"
Huitztli gab sich einen Ruck und erhob sich.
"Ach, was solls. Genaueres werden wir erst nach der Autopsie wissen."
Eine Blutlache hatte sich um den Kopf herum gebildet. Einzelne Seiten lagen verstreut auf dem Boden herum und waren zum Teil vom Blut überdeckt worden. Der Mülleimer neben dem Schreibtisch quoll über.
"Kannst du was zum Todeszeitpunkt sagen?"
"Moment, erst noch die Bilder", gab Huitztli zurück und schob Fred sanft aus dem Aufnahmebereich. Mehrere Male hintereinander blitzten die Salamander von Avalania von Gilgorys Ikonograph auf wie ein stummes Gewitter und offenbarten mehr von dem Raum. Ölgemälde mit den Portraits von Familienangehörigen hingen an den Wänden. Die dunkle Holzvertäfelung umlief den gesamten Raum. Auch die Decke war mit Holz verkleidet.
"Hast du eine Nahaufnahme vom Kopf?", fragte der Gerichtsmediziner.
Avalania nickte nur und packte alles zusammen. Huitztli ergriff die Seite des Toten und drehte den Leichnam auf den Rücken. Seine Flügel zitterten dabei vor Anstrengung. Das Gesicht des Verblichenen starrte teilnahmslos ins Leere.
"Dann wollen wir mal", seufzte der Obergefreite und öffnete die große Ledertasche. Ein langer Metallstab kam zum Vorschein, dessen eines Ende spitz zulief. Das andere Ende wies ein Gewinde auf. Huitztli setzte den Stab an der linken Bauchdecke an und rammte ihn mit einem beherzten Ruck hinein. Fred schluckte betreten, zwang sich jedoch, seinen Blick nicht abzuwenden.
Huitztli nestelte an seiner Weste herum und holte ein beinahe winziges Holzkästchen heraus. Er schraubte es auf den Stab.
"Jetzt müssen wir nur kurz warten", sagte er zu niemandem im Besonderen.
Nach ein paar Sekunden öffnete sich eine kleine Seitenklappe und ein kleines Megaphon erschien.
"Tütelüüt. Tütelüüt", krähte es.
Huitztli hielt ein Vergrößerungsglas über das Kästchen und beobachtete die Finger der Hände, welcher der Dämon aus dem vergitterten Fensterchen streckte.
"Zwei. Neun. Komma. Sechs", zählte er mi,. "OK, danke."
Die winzige Hand schloß die Klappe wieder.
"Neunundzwanzigkommasechs Grad", murmelte er, "Hmmm..."
"Und?"
"Der Körpertemperatur nach ist er erst ein paar Stunden tot. Aber da brannte möglicherweise noch das Feuer im Kamin."
"Und das verfälscht das Ergebnis, meinst du?"
"In gewisser Weise. So würde ich sagen, etwa vier Stunden. Aber bei dem Feuer im Kamin, wahrscheinlich sechs bis acht Stunden. Außerdem ist das Blut hier schon recht trocken."
Er zeigte auf die Blutlache, deren Oberfläche bereits eine honigartige Konsistenz offenbarte.
"Ihr könnt ihn einpacken, Jungs", nickte er den beiden Laternenhaltern zu.
Kolumbini drehte sich herum und sondierte das Zimmer. Es knackte unter seinem linken Stiefel und er trat einen Schritt zurück. Eine zerbrochene Troll-Figur lag auf dem Boden. Das Klonk-Brett war mit seinen Spielfiguren von einem umgekippten niedrigen Tischen gefegt worden, welcher zwischen zwei gemütlich anmutende Sesseln stand.
"Hier hat der Streit vermutlich begonnen", vermutete er.
Olga-Maria Inös reichte ihm einen Stapel Blätter, die sie vom Boden aufgehoben hatte.
"Äh, Korporal? Sehen sie mal hier. Der Tote scheint in die Diebstahlsfälle dieser heiligen Gegenstände in letzter Zeit verwickelt zu sein."
Fred griff nach den Seiten und überflog den Inhalt.

... habe ich Informationen erhalten, nach denen ein skrupelloser Schurke ... Opferziegen ... Antlitz des Knorkus ...

Fred sah auf und schaute zu dem Toten herüber, der eben auf die Trage gebettet wurde. 'Armer Kerl', dachte er, 'Wo bist du da bloß reingeraten?'


12.
LAHCA


Der Igor läutete am Hintereingang zu einem mondänen Anwesen. Kurz darauf öffnete ein Igor die Tür.
"Guten Tag Igor, ef ift erfreulich dich fu fehen. Geht ef dir gut?"
"Danke der Nachfrage, Fwager. Leider fehe ich mich heute in der Rolle def Erfüllungfgehilfen def letften Willenf meinef Herrn."
"Oh nein. Er war fo ein wunderbarer Mann", bemerkte er erst jetzt die schwarze Armbinde.
"Folche wie ihn findet man nur fehr felten in difer Ftadt."
"Ein weiterer Auftrag?"
"Ja. Der Letfte."
Der Igor übergab einen dicken Umschlag.

~ | ~


Huitztli beendete seinen Bericht und blies über die Seiten, um die Tinte zu trocknen. Er schnaufte und schloss die Augen für einen Moment. Das künstliche Licht der Petroleumlampen in ihrem Kellerbüro ermüdete seine Augen. Mit einem leisen Klappen schloss er die Akte und verknotete das Verschlussbändchen. Dann hopste er aus dem Stuhl und watschelte in das Eckbüro von Abteilungsleiterin Harmonie im ersten Stock hinauf.
Die Tür stand offen und Huitztli klopfte an den Türrahmen, was sich anhörte, als schlüge jemand einen Nagel ins Holz.
"Chef? Hab die Autopsie von Herrn Ekk fertig."
Laiza hatte die Ellenbogen auf den Tisch und ihr Gesicht in die Hände gestützt. Sie blickte dem Wasserspeier entgegen.
"Und? Was besonderes?", fragte Laiza eher beiläufig und gelangweilt, ohne das Gesicht von den Händen zu nehmen.
"Ja, so einiges."
Laizas Augenbrauen gingen nach oben.
"Bin gespannt."
"Also, er hat sich selber umgebracht."
"Echt?", setzte Laiza sich aufrecht hin.
"Ja, er hat sich selber erschlagen. Sowas habe ich echt noch nie gesehen. Und er hat sich offenbar auch gegen sich selbst zur Wehr gesetzt. Die Abwehrverletzungen zeigen das deutlich."
"Das klingt doch absurd. Bist du dir da absolut sicher?"
"Kein Zweifel. Der Winkel des Einschlags auf seinem Schädel stimmt mit den Marken auf dem Kerzenständer und der Haltung seiner rechten Hand überein. Oberleutnant Pismire hat es gegengeprüft und kommt zum selben Schluss. Und noch etwas."
"Was kommt denn jetzt?"
"Der Mann heißt nicht wirklich Johosua Ekk, sondern offenbar Brigham de'Jarrodd. Sein Name war in alle Kleidungsstücke eingenäht."
"de'Jarrodd, de'Jarrodd ... Klingt nach altem Adel. Das ist wohl der verkorkteste Fall, der mir je untergekommen ist. Mörder und Opfer in einer Person", schüttelte sie den Kopf.
Sie nahm die Akte aus Huitztlis Händen entgegen.
"Äh, Chef, ich hätte da noch eine Frage."
"Ja?"
"Ist eher privater Natur. Ich wollte fragen, ob du zu mir zum Essen kommen würdest."
Laiza schaute erstaunt auf.
"Ein Essen? Mit dir? Nun, ich glaube nicht, dass das angemessen wäre, Obergefreiter."
"Oh, entschuldige Oberfeldwebel, so hatte ich das nicht gemeint. Es ist ein Essen unter Kollegen. Ein paar andere habe ich schon gefragt und sie haben ihr Kommen zugesagt."
"Ah, nun... Ich weiß nicht. Wann soll das denn sein?"
"In einer Woche, Chef."
"Nun mal sehen. Wenn nichts anderes dazwischen kommt ..."
Der Wasserspeier ließ sein eindrucksvolles Gebiss sehen, als er Laiza freudig angrinste.


13.
OXLAHUN


"Das ist einfach hervorragend!", sagte Sorgenfrei Flimmer und blätterte aufgeregt auf die nächste Seite. "Möchte wissen, wie du das immer wieder schaffst."
Sein feistes Gesicht rötete sich vor Aufregung. Sein Kopf sah aus, als hätte jemand einen Ball auf einen größeren Ball montiert. Der größere Ball endete in zwei streichholzartigen Füßen, denen man gar nicht zutraute, das offenbar erhebliche Körpergewicht überhaupt tragen zu können. Seine geringe Körpergröße erleichterte ihnen jedoch die Arbeit.
"Betriebsgeheimnis", grinste Iasson Stattlich breit und lehnte sich gemütlich in den ledernen Ohrensessel. Das Licht brach sich vielfach an der bernsteinfarbenen Flüssigkeit in dem kleinen Kristallglas, das er in seiner linken hielt.
"Ich kann kaum erwarten, das fertige Manuskript in Händen zu halten!"
"Es wird furios, soviel kann ich schon sagen."
"Hast du eigentlich schon von diesem Nachahmer gehört? Da scheint es jemanden zu geben, der die Wirklichkeit mit der Phantasie verwechselt und deinen Helden nachahmt", Sorgenfrei wedelte mit dem Manuskript.
"Ist das so?", grinste Stattlich vielsagend.
"Wie auch immer. Das erhöht nur deinen Bekanntheitsgrad! Wir werden ein Vermögen machen!", gluckste der Verleger.
Geschäftig nahm Sorgenfreis Assistent Funkel Astbruch das Manuskript entgegen und deponierte es in einer mitgebrachten Kiste.
Kaum hatte er den Deckel geschlossen, begann die Kiste zu vibrieren. Stattlich schaute irritiert. Nach fünf Minuten schob sich an der Seite eine Schublade heraus, in der eine perfekte Kopie des Manuskriptes lag. Sogar die Fettflecken und Kaffeetassenränder waren darauf. Der einzige Unterschied war, dass es keine Knicke hatte.
Astbruch reichte sie an Iasson weiter. Verblüfft überflog er Seite um Seite.
"Eine dämonengesteuerte Truhe zur Vervielfältigung von Schriftstücken", lächelte Astbruch und hob den Deckel der Truhe. Darin lag noch immer das Original von Iassons Manuskript. Astbruch legte es in eine Aktentasche. Er klappte sie zu und drehte an einem kleinen Uhrwerk auf der Schnalle. Ein kurzes 'Ping!' ertönte.
"Was ist das denn nun schon wieder für eine neue Spielerei?", fragte Sorgenfrei interessiert.
"Oh, das ist noch eine tolle Erfindung. Sie erinnern sich doch sicherlich an den Verlust des dritten Romans von Fräulein Irritat Zion?"
"Wie könnte ich den schwärzesten Tag in meiner Karriere vergessen?", gab der Literaturagent stöhend zurück, "Bratwurstschälen für Jedermann hatte das Zeug zum Bestseller. Die Entschädigungszahlung an Fräulein Zion haben mich beinahe ruiniert."
"Genau. Und aus diesem Grund haben wir diese beiden Gegenstände angeschafft. Der Kasten kopiert das Manuskript. Ein Exemplar nehmen wir mit, das andere bleibt beim Autor. Unser Exemplar ist sicher in dieser Tasche verstaut."
"Sicher? Das soll wohl ein Witz sein! Diese Aktentasche kann doch jeder klauen", ereiferte sich der Autor.
"Klauen? Sicher. Öffnen?", grinste der Assistent hämisch, "Nein!".
"Wie meinst du das?"
"Wenn jemand versucht diese Tasche zu öffnen, ohne den richtigen Code zu kennen, hat er nur zwei Fehlversuche. Beim dritten fliegt ihm das Ding um die Ohren. Der Inhalt wird natürlich dabei vollkommen vernichtet, aber das ist ja kein Problem, weil sie ja noch das Original haben..."
Züge des Verstehens glitten über Stattlichs Gesicht.
"Das gefällt mir. Ja, das gefällt mir außerordentlich."
Dann lachte er lauthals.


14.
CANLAHUN


Kanndra führte eine Gruppe Rekruten die Treppe ins Kellergeschoß hinunter. Wie im Gänsemarsch stiegen sie die Stufen hinab. Nur der Gnom rutschte auf dem Handlauf des Geländers entlang. Fähnrich Kanndra steuerte auf das Archiv zu. Als recht eindeutige Säge- und Schmatzgeräusche aus der Pathologie drangen, beschleunigte die Truppe unwillkürlich ihre Schritte. Hastig schloss Kanndra die Tür des Archivs hinter ihnen.
Die Gruppe bestand aus zwei Menschen, einem Zwerg und einem Gnom.
"Hier werden die Akten zu allen bearbeiteten Fällen archiviert. Sowohl die Gelösten, als auch die Ungelösten", erklärte sie.
Thelema und Adalgrim Eisele betrachteten interessiert die hohen Schränke, die voller Akten steckten, während Zu-arm-für-einen-Namen auf einen Aktenwagen geklettert war, der neben der Eingangstür stand. Tonfonimus Sproing beugte sich ebenfalls darüber.
"Darf ich da mal reinsehen?", fragte der Gnom und deutete auf die Akten.
Kanndra nickte, "Nur zu. Später werdet ihr tagtäglich mit Akten zu tun haben. Ein nicht unerheblicher Teil der Ermittlungsarbeit passiert hier in den Büros beim Aktenstudium."
Der Gnom wuchtete ein Schreibbrett hoch, auf dem eine Liste klemmte.
"Und das hier?"
Kanndra trat näher und schaute kurz auf die Liste. Suchanforderung nach Querverweisen stand auf dem Kopfende der Liste, Verweise zu folgenden Stichpunkten suchen: direkt darunter. Tabellarisch waren Stichpunkte untereinander notiert, weitere Stichpunkte, das Aktenzeichen des Falles und der anfordernde Ermittler.
Tonfonimus begann laut vorzulesen.

Laufliste - Suchanforderung nach Querverweisen

Verweise zu folgenden Stichpunkten suchen:


  • Dashuf - ED - Werkzeug, Bau, Künstler, Ton, heilig - Kolumbini
  • Stiefel - zA - konfiszierter Gegenstand, Restaurantkritiker - Schneidgut
  • Glasauge - D - Abort, Affe - Ziegenberger
  • Buntbarsch - kG aus Erbstreit - ausgestopft - Bjornson
  • Eatham - ED - Werkzeug, Bau, Künstler, Ton, heilig - Kolumbini
  • Holzbein - M - Bluteiche, lackiert - Kolumbini
  • Arsh'Knurlan - ED - zwergisch, Honigmelonen-groß, sakral - Kolumbini
  • Gildenquittung, gefälscht - B - Diebesgilde, Wimmler & Rolle - al Nasa
  • Cigga - D o. R - Opfertier(e), geweiht - Namida
  • Buh! - ED, Maske, Staub, sakral - Dubiata

  • Was sind das denn für Abkürzungen?", deutete der junge Mann auf die entsprechenden Stellen auf dem Blatt.
    "Nun, Rekrut Sproing, kommst du vielleicht von alleine drauf?", versuchte Kanndra den jungen Mann zum Nachdenken anzuregen.
    "Also Eh Dee steht wohl für Einbruchdiebstahl, oder?"
    "Sehr gut, nur weiter", lobte sie.
    "Emm ist das ... Mord?"
    Sie lächelte zufrieden.
    "ka Gee ... Hmm... Keine Gilde?", fragte er zaghaft.
    "Nein, nicht ganz, kG bedeutet konfiszierter Gegenstand. Das bedeutet, dass das betreffende Objekt von der Wache beschlagnahmt wurde und sich in der Asservatenkammer befindet. D heißt Diebstahl, zA bedeutet zivile Angelegenheit, also wenn von anwaltlicher Seite ein offizieller Antrag auf Aktenauskunft gestellt wurde. Das passiert, wenn es eine Zivilklage gibt, die mit einer amtlichen Ermittlung in Zusammenhang steht."
    "Deh oh punkt Err ... Heißt das vielleicht Diebstahl oder Raub?"
    "Richtig, Rekrut. Du hast es erfasst."
    "Und B ist Betrug, stimmts?", schnarrte der Gnom.
    "Ja, so ist es."
    "Äh, Frau Fähnrich?"
    "Ja?"
    "Kann das sein, dass diese Fälle miteinander zu tun haben?"
    Der Gnom zeigte auf die Einträge.
    "Wie meinst du das?"
    "Na, diese Sachen hier scheinen alle irgendwie heilig zu sein. Und dem Alphabet scheinen sie auch zu folgen: Arsh'Knurlan, Buh!, Cigga, Dashuf, Eatham."
    "Da soll mich doch ...", sagte Kanndra leise und hielt sich dabei die Hand vor den Mund.
    "Das war sehr aufmerksam von dir, Rekrut. Ich bin sehr zufrieden."
    Der Gnom schien vor Stolz um mehrere Zentimeter zu wachsen.

    ~ | ~


    Die dunkelbraunen Flügel zur Toreinfahrt an der Rückseite der Stadtvilla öffneten sich geräuschlos und ein von zwei Maultieren gezogener Karren verließ Stattlichs Grundstück. Zügig, aber ohne Hast rollte er an der makellos weißen Mauer entlang und näherte sich der Messingbrücke. Im Geiste malte er sich aus, wie das Ende seines Romans ausfallen würde. Es würde Aufsehen erregend sein. Soviel war sicher. Furios und Aufregend. Iasson Stattlich fiel der Wechsel in die Rolle des Kutschers inzwischen ebenso leicht, wie das Herumdrehen eines Schlüssels. Sie war ihm wie eine zweite Haut. Den Maximen seines Romanhelden folgend, hatte er stets die Diskretion gewahrt, nie den Namen seines Auftraggebers wissen wollen oder welcher Natur die Ware war, die er zu transportieren hatte. Und sollte dereinst sein Autorenstern im Sinken begriffen sein, hätte er ein lukratives zweites Standbein.

    ~ | ~


    Weufolt Garnichgut war sich nicht sicher, was er falsch gemacht hatte. Immer wieder hatte er sich die Aktionen durch den Kopf gehen lassen, konnte jedoch nicht erkennen, an welcher Stelle es schief gelaufen war. Nun gut, er hatte beide Karren geschrottet. Doch eigentlich war das im Einsatz geschehen, und er empfand es als mehr als ungerecht, jetzt auch noch den Schaden von seinem ohnehin schon mageren Sold abgezogen zu bekommen.
    Seufzend legte er den Stapel abgearbeiteter Verkehrsverstöße auf den Aktenwagen und griff einen weiteres Bündel Strafzettel und Anzeigen. Die bürokratischen Schritte, die er bei der Bearbeitung durchzuführen hatte, waren ihm inzwischen in Fleisch und Blut übergegangen. Anzeige nehmen, Protokoll dazu ausfüllen, Anzeige anheften, fortlaufendes Aktenzeichen und Weiterleitungsvermerk eintragen und sortiert auf Stapeln ablegen. Nach einer Dreiviertelstunde und vierzig bearbeiteten Anzeigen, bemerkte er, dass der Stapel der Anzeigen für rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr deutlich angewachsen war. Er nahm sie sich noch einmal vor und bei etwa einem Dutzend von ihnen war die Beschreibung des Karrens immer wieder dieselbe gewesen: schwarz, zwei Zugtiere, keine weiteren Merkmale, Fahrer konnte nicht ermittelt werden.
    Plötzlich stutzte er. Diese Wagenbeschreibung kam ihm bekannt vor. Er sprang auf und durchwühlte die bereits bearbeiteten Anzeigen. Akte um Akte ließ er achtlos zu Boden fallen, die nicht das Gesuchte enthielt. Schließlich fand er was er suchte. Ein Strafmandat wegen Parkens in zweiter Reihe. Der Fahrer hatte keine Lizenz vorweisen können und daher hatte der Wächter eine Beschreibung des Wagens notiert. Schwarz, zwei Maultiere. Später war der Fahrer auf der Wache erschienen und hatte die Lizenz vorgelegt. Sie war in Ordnung gewesen und die Strafe hatte er auch direkt bezahlt. Weufolts Augen wurde zu Schlitzen und er griff zu seinem Stift.


    15.
    HOLAHUN


    Viele Bewohner der Stadt am Ankh spürten erst ein Zittern, bevor sie die Druckwelle erreichte und mit ihr der Detonationsknall. Viele waren panisch auf die Straße gelaufen, aus Angst, ihre Häuser könnten über ihnen zusammen stürzen. Andere hatten in ihren Kellern Schutz gesucht, weil sie die Rückkehr des Drachen befürchteten. Vögel stiegen überall in der Stadt erschreckt auf und Hunde jaulten und bellten wie verrückt.
    Kurze Zeit später erreichte die Einsatztruppe der FROGs den Ort des Geschehens. Trümmer lagen überall herum. Die zerstörten Fenster gaben den Häusern das Ausehen von leeren Augenhöhlen. Sie suchten nach Verletzten oder gar Toten, fanden jedoch zunächst nur einen enormen Krater.
    Bregs setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen, als auch er eine halbe Stunde später den Ort der Explosion in Augenschein nahm. SUSI war kurz nach den FROGs eingetroffen und gerade mit der Beweismittelsicherung beschäftigt. Die sich sofort sammelnden Gaffer, hielten diesmal einen gehörigen Abstand. Anscheinend war die Heftigkeit der Detonation vielen einfach zu unheimlich gewesen, und sie hatten entschieden, dass man auch aus hundert Metern Entfernung sehr gut sehen konnte.
    Die Platanenstraße glich einem Schlachtfeld. Trümmer unterschiedlichster Größe lagen verteilt herum. Fensterscheiben ringsum waren zu Bruch gegangen. Zwei der Häuser in unmittelbarer Nähe des Explosionsherdes schwelten noch. Ihre Dächer waren zum Teil abgedeckt worden. Die Flammen hatten ein paar wie aus dem Nichts erschienenen Golems schnell und sorgfältig gelöscht. Auf der Straße waren an den Stellen, bei denen Sand und Erde das Kopfsteinpflaster bedeckte, deutliche Radspuren zu erkennen. Ein Karren war gegen ein Hindernis geprallt, einen Prallstein an der Hausecke. Dort klaffte jetzt ein eineinhalb Meter tiefes Loch im Boden. Am Boden des Loches fanden sich Holzsplitter des Karrens. Schwarze Holzsplitter. Überreste des Zaumzeugs und die beiden Zugtiere lagen vor dem Loch. Zwei der Räder hatte man völlig unbeschädigt drei Straßen weiter gefunden. Eines lag in einem öffentlichen Brunnen. Das andere konnte bei dem Betreiber einer gennuanischen Taverne beschlagnahmt werden, der es gerade als Verzierung an die Hauswand montieren wollte. Wo sich die übrigen beiden Räder befanden, ließ sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Es erschien wie ein Wunder, dass die beiden in Mitleidenschaft gezogenen Gebäude leer gestanden hatten. Das eine war ohnehin eine Ruine und unbewohnt gewesen. Das andere wurde gerade renoviert. Beide würden jetzt abgerissen werden müssen. Charlie Holm und Magane verteilten Nummernkärtchen an den Stellen, an denen Beweise lagen. Huitztli untersuchte eine undefinierbare Masse, die im Rinnstein lag, als Charlie auf der Suche nach weiteren Beweisen nach oben sah. Er winkte Magane heran und zeigte auf die Hauswand. Bregs beschleunigte seine Schritte und stellte sich neben die Beiden.
    "Was ist denn?", erkundigte er sich.
    "Da oben steckt was Glänzendes, Sir", sagte Charlie ohne den Blick abzuwenden.
    "Wo denn?"
    Bregs konnte nichts entdecken.
    "Direkt im Balken oberhalb des dritten Fensters von links. Zweiter Stock. Siehst du es?", deutete er nach oben.
    Bregs folgte seinem Arm und sah nun auch etwas Goldfarbenes in der Sonne glitzern. Huitztli war inzwischen zu ihnen getreten.
    "Ich schaue mir das mal aus der Nähe an", sagte der Wasserspeier und kletterte die Wand hoch. Er zog das Objekt aus dem Balken und trat den Rückweg an.
    Unten angekommen öffnete er seine Klauenhand und offenbarte einen reichlich deformierten Gegenstand. Die Zahlen '100187-B-20' waren gerade eben noch so erkennbar. Ruß und Schmiere klebten daran.
    "Das ist eine Dienstmarke", stellte Magane heiser fest.
    Bregs atmete schnaufend. Diese Dienstnummer kannte er gut. Oft in letzter Zeit hatte er sie vor Augen gehabt. Zu oft für seinen Geschmack. Und dennoch schämte sich ein Teil von ihm, dass er für Weufolt Garnichguts offensichtlichen Tod nicht mehr Bedauern aufbringen konnte. Aber es war nur ein verschwindend geringer Teil.

    ~ | ~


    "Bist du mit dem Vermissten verwandt oder verschwägert?", leierte der Gefreite Machwas herunter.
    "Was ist los mit dir Mann? Ich habe doch schon gesagt, dass der Vermisste mein Mitarbeiter ist!", ereiferte sich ein kleiner dicklicher Kerl in einem dunkelroten Samtanzug.
    "Ich muss die Fragen in ihrer Reihenfolge stellen, wie sie hier auf dem Formular stehen. Is' Vorschrift", leierte der Gefreite ungerührt weiter.
    "NEIN! Ich bin nicht mit ihm verwandt! Aber er hat etwas exorbitant Wertvolles bei sich! Ein Tasche!"
    "Seit wann wird der Vermisste vermisst?"
    "Seit heute Morgen!"
    "Dann ist die 24-Stunden Frist noch nicht abgelaufen. Du musst morgen wiederkommen."
    "WAAAAS?", brüllte der Mann jetzt und war aufgesprungen. Selbst im Sitzen konnte Michael noch auf ihn heruntersehen.
    "Die meisten vermissten Personen tauchen innerhalb von 24 Stunden wieder auf. Eine Bearbeitung ist erst möglich, wenn die Frist abgelaufen ist", erklärte er, "Ihn vorher zu suchen, wäre Zeitverschwendung und die Vergeudung öffentlicher Mittel."
    Das Gesicht des Mannes hatte inzwischen in rötliche gewechselt und er wirkte wie ein Vulkan kurz vor der Eruption. Die Eingangstür zur Wache flog auf und vier Rekruten in Begleitung von Oberleutnant Pismire und Oberstabsspieß Harry betraten das Wachhaus. Die Rekruten trugen Bahren mit Fundstücken vom Explosionsort. Machwas legte das Formular in das Berichtsbuch für den kommenden Tag.
    "Komm Morgen wieder, Herr. Falls dein Angestellter nicht wieder auftauchen sollte. Das Formular lasse ich schon mal hier drin."
    Zeternd und schnatternd verließ der Aufgebrachte die Wache.

    ~ | ~


    Rea Dubiata klopfte an die Tür zu Breguyrs Büro. Nach einem kurzen Moment wiederholte sie ihr Klopfen. Als sie noch immer keine Antwort erhielt, drehte sie sich um und wollte eben wieder zurück in ihr Büro, als der Kommandeur um die Ecke kam. Sein Gesichtsausdruck sagte deutlich, dass er für weitere schlechte Nachrichten keinesfalls empfänglich war.
    "Was gibt's?", raunzte er.
    Rea hielt als Antwort ein Bündel leicht angekokelten Papiers hoch. Stellenweise war es ausgefranst oder sogar zerfetzt.
    "Was ist das?"
    "Alles Anzeigen. Sie lagen am Ort der Explosion von heute Morgen. Und sie betreffen alle einen gewissen schwarzen Karren. Weufolt Garnichgut hat sie bearbeitet."
    "Garnichgut? Verfolgt mich dieser Kerl denn sogar über seinen Tod hinaus?", murmelte Bregs säuerlich.
    "Er mag ja nicht der hellste Wächter gewesen sein, aber wie sagt man so schön: Ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn."
    "Wie meinst du das?"
    "Er hatte offenbar einen Verdächtigen ermittelt und seinen Namen draufgeschrieben", Sie hielt ihm die betreffende Anzeige hin, Iasson Stattlich stand darauf, mit einem Kringel darum.


    16.
    UACLAHUN


    Am nächsten Morgen erschien ein deutlich veränderter Sorgenfrei Flimmer auf der Wache. Der Verleger hatte offensichtlich eine schlaflose Nacht hinter sich gebracht. Sein Anzug, den er immer noch trug, war voller Flecken, Knitter und Falten und erzählte beredt von einer Tour seines Besitzers durch einen Großteil der Kneipen Ankh-Morporks.
    "Was kann ich für dich tun, Herr?", fragte der Hauptgefreite ag Moloch fröhlich, prallte jedoch etwas zurück, als er die Fahne wahrnahm.
    "Vermissdnenanseige", lallte er. Sein Atem verströmte das Aroma verschiedener hochprozentiger Destillate. Ag Molochs Augen begannen zu tränen.
    "Wie ist dein Name, Herr?"
    "S...s...Sockenlos Flimm...Flimm... Nein, ssdimmt nich ... Sorgenlos? Sorgenfrei! Sorgenfrei Flimmer! Das is mein Name, jawoll!"
    Ag Moloch erinnerte sich, ein Formular im Wachbuch gesehen zu haben und holte es hervor.
    "Du kommst wegen der Vermisstenanzeige eines", er las kurz, "Astbruch, Funkel. Ist das richtig?"
    Der Verleger reckte den Daumen seiner rechten Hand nach oben. Die andere, an den Tresen gekrallt, verhinderte, dass er umfiel.
    "Würdest du hier bitte unterschreiben?", deutete Ruppert auf die gepunktete Linie am Ende des Formulars und hielt dem Verleger eine Schreibfeder hin. Sorgenfrei griff mehrfach ins Leere, bis es ihm gelang, sich für die richtige der beiden Federn zu entscheiden. Sorgfältig malte er ein Kreuz an die besagte Stelle. Ruppert packte das Formular in einen Behälter und übergab ihn der Rohrpost.
    Als er sich wieder umwandte, lag Sorgenfrei mit dem Oberkörper auf dem Tresen und schnarchte.

    ~ | ~


    Der Igor hatte sich nicht beeindruckt von Bregs Dienstmarke gezeigt. Der Kommandeur kam sich vor wie ein Bittsteller, als er in den kleinen Salon des Anwesens gesetzt worden war. Alles in diesem Haus strahlte Reichtum aus. Porzellangeschirr ruhte neben Kristallgläsern in einer Glasvitrine aus kostbarem Edelholz. Ein einziger dieser Trinkpokale kostete mehr, als Bregs in einem ganzen Jahr an Sold verdiente.
    "Herr Ftattlich ift leider unpäfflich und kann dich bedauerliche Weife nicht empfangen", sagte die Stimme des Igors plötzlich hinter ihm.
    Bregs drehte sich nicht um. Der Igor hatte dem Ruf seines Standes zwar alle Ehre gemacht und sich vollkommen lautlos angeschlichen, doch der Kommandeur hatte ihn im Spiegelbild der Vitrinentür gesehen.
    "Sag seiner Unpässlichkeit, dass er entweder mit mir oder später mit seiner Lordschaft reden wird. Aber erst, nachdem meine Männer mit ihrer Untersuchen fertig sind."
    Er wies in weiten Geste ins Rund des Raumes.
    "Ich werde fehen, waf ich tun kann, Herr."
    Drei Minuten später wurde Bregs in ein Schlafzimmer geführt, in das seine Wohnung zweimal gepasst hätte.
    Stattlich lag auf seinem Bett. Die Hände waren dick mit Mullbinden umwickelt. Ein Arzt war bei ihm. Der Autor hatte schon bessere Tage erlebt. Ein Teil seiner Haare fehlte. Eine Binde bedeckte die Augen. Sein Gesicht war gesprenkelt mit dunklen Punkten. Der Arzt packte eben seine Sachen zusammen.
    "Du möchtest mit Herrn Stattlich sprechen?", wandte er sich an den Kommandeur.
    Bregs nickte.
    "Was ist mit ihm?"
    "Über die Ursache ist mir nichts bekannt. Nur soviel kann ich sagen. Herr Stattlich wird sicher keine weiteren Romane schreiben."
    Der Arzt zog sein schwarzes Jackett wieder an.
    "Wie meinst du das?"
    "Er hat das Augenlicht verloren und im Wesentlichen auch die Finger an beiden Händen."
    "Kann ich mit ihm reden?"
    "Im Moment schläft er. Ich musste ihm wegen der Schmerzen ein starkes Beruhigungsmittel verabreichen. Du wirst wohl Morgen wiederkommen müssen."
    Er wandte sich zum Gehen und wurde vom Igor zur Tür begleitet.
    Bregs starrte verkniffen auf den leblos Wirkenden. Neben dem Bett lagen geöffnete Briefe. Bregs schaute verstohlen zur Tür, doch der Igor war noch beschäftig. Hastig zog er den Brief heraus und überflog den Briefkopf. Gustaffus Ekk, Wurstbauallee 247, AM. Ein weiterer Blick zur Tür versicherte ihm, dass er noch immer mit Stattlich allein im Raum war. Bregs steckte den Brief ein.
    Im selben Moment kehrte der Igor zurück.
    Auf dem Weg nach draußen warf er einen fragenden Blick auf den Narben übersäten Diener.
    "Ich weif waf du denkft, Herr. Warum flickt der Igor seinen Herren nicht wieder fufammen?"
    "Der Gedanke ist mit tatsächlich gekommen."
    "Es verhält fich fo, daf ef mir vertraglich unterfagt ift. Herr Ftattlich hat ef fur aufdrücklichen Bedingung gemacht, alf er mich einftellte."
    "Ich mag mich irren, aber ich glaube, inzwischen denkt er etwas anders darüber."
    "Wir werden fehen", antwortete der Igor hoffnungsvoll und öffnete die Haustür. Seiner Erfahrung nach, gab es angesichts furchtbarer Schicksalsschläge nur selten Atheisten und Prinzipienreiter.


    17.
    UUCLAHUN


    Lady Rattenklein rückte das Vergrößerungsglas zurecht und trat ein paar Schritte zurück. Sorgsam suchte sie die Überreste von etwas ab, dass einmal eine Ledertasche gewesen sein mochte. Das weiche Leder wirkte hochwertig und musste teuer gewesen sein. Sie war in unmittelbarer Nähe des Explosionsherdes gefunden worden war. Auf der Vorderseite des Objekts befanden sich die Überbleibsel einer zerkratzten und deformierten Schnalle. Der Verschluss wirkte irgendwie viel zu wuchtig für eine Tasche. Außerdem schien das, was einmal das Schloss gewesen war, von innen heraus zerstört worden zu sein. Ratti ergriff einen langhaarigen Pinsel und tauchte ihn in ein Glas mit blauem Puder. Dann strich sie vorsichtig über das Schloss und das übrige Leder. Die Abdrücke von mehreren Fingern wurden deutlich sichtbar. Sie machte ein paar Aufnahmen mit dem Mini-Ikonographen. Als die Tasche umdrehte, fiel ihr Blick auf eine Prägung im Leder.
    Pustekuchen und Cie. Feinste Lederwaren aller Art. Sie sagen es - wir machen es Sie machte einen Eintrag in den Laborbericht.

    ~ | ~


    Laiza Harmonie stöhnte auf, als sie des Aktenberges ansichtig wurde, der sich auf ihrem Schreibtisch gebildet hatte. Sie war nur kurz in der Kantine gewesen, um eine Tasse Tee und ein Schinkenbrötchen zu holen und schon stapelte sich neue Arbeit. Nicht mal am frühen Morgen war einem etwas Ruhe vergönnt.
    Resigniert setzte sie sich und überflog zunächst einmal die Aktendeckel. Ein SUSI Laborbericht, ein Memo von SEALS. Sie blätterte durch den Laborbericht und fühlte, wie Kälte ihren Rücken hinaufkroch. Die Lady hatte auf einem der Untersuchungsobjekte, einer Aktentasche, die Fingerabdrücke von drei Personen gefunden. Eine Person konnten zweifelsfrei als Weufolt Garnichgut identifiziert werden. Seine Abdrücke befanden sich auf der Schnalle. Abdrücke der zweiten Person befanden sich außen auf den Taschenresten, die der dritten sowohl außen, als auch innen. Das war aller wahrscheinlichkeit nach der Besitzer der Tasche.
    Das SEALS Memo bezog sich auf einen Hinweis von Lady Rattenklein, Ermittlungen beim Hersteller der Tasche anzustellen. Chi Petto hatte den Ladenbesitzer ausfindig gemacht und Erhellendes über Tasche und Käufer erfahren. Die Tasche war an den Flimmer-Verlag verkauft worden. Flimmer ... Flimmer ..., dachte Laiza und kniff nachdenklich die Augen zusammen, Wo habe ich das schon mal gelesen?
    Sie zog die Schublade ihres Schreibtischs auf und kramte darin herum. Zwischen all dem Inhalt, den zu ordnen sie sich schon mindestens mehrere Dutzend Mal vorgenommen hatte, fand sie ein schmales zerfleddertes Heft. Der Kutscher IV, und darunter, Flimmer-Verlag. Ein weiterer Name stach ihr ins Auge: I. Stattlich.
    "Verdammt!" sagte sie laut und erntete neugierige Blicke von Hauptmann Llanddcairfyn, der überrascht vor iherer offenen Bürotür stehen geblieben war.
    "Nanu, warum dieser Ausbruch?", fragte er.
    "Ach, ich stolpere anscheinend ständig über dieselben Leute."
    "Was denn für Leute?"
    "Iasson Stattlich, Weufolt Garnichgut, Irgendwer Flimmer ...", sie seufzte.
    "Flimmer? Is ja komisch, der war doch gestern Morgen hier und hat eine Vermisstenanzeige aufgegeben."
    "Echt? Wen vermisst er denn?"
    "Einen seiner Mitarbeiter, soweit ich weiß. Er musste in eine der Zellen gebracht werden, weil er vollkommen dicht war. Hat seinen Rausch ausgeschlafen. Vielleicht ist er ja noch da."
    Laiza sprang auf, hastete am Hauptmann vorbei, rief "Danke!" und lief den Gang entlang Richtung Treppe. Immer drei Stufen auf einmal nehmend, erreichte sie kurz darauf das Kellergeschoss. Im Zellenbuch stellte sie erleichtert fest, dass ihr 'Gast' noch nicht ausgecheckt hatte.

    ~ | ~


    "Er hat also den Safe im Verlagsbüro leer geräumt vorgefunden. Sein Assistent war verschwunden. Er hatte aber, bis du ihn vorhin geweckt hast, keinen Verdacht, dass ihn sein Assistent womöglich bestohlen haben könnte. Das ist ihm erst vorhin gedämmert?"
    Bregs warf Laiza einen Blick über die Schulter zu und wandte sich dann wieder der Betrachtung der Tauben im Taubenschlag zu. Sie nickte.
    "Er hat uns davon erzählt, dass sein Assistent eine spezielle Aktentasche bei Pustekuchen und Cie gekauft hat, um unveröffentlichtes Material des Verlages besser zu schützen. Pustekuchen hat ein Patent auf einen TND angemeldet, der im Schloss der Tasche steckt."
    "TND?", fragte Romulus von Grauhhar neugierig, der Laiza am Tisch gegenüber saß. Für ihre Konferenz hatte der Kommandeur Raum 214 mit Beschlag belegt. Kolumbini saß neben Romulus und kaute an seiner Pfeife.
    "Ja, ein sogenannter Tri-Nitro-Dämon. Wenn man den zu sehr reizt, geht er hoch. Er ist auf Zahlen fixiert. Wenn man die falschen Zahlen am Schloss einstellt, explodiert er."
    Fassungslos schüttelte der Kommandeur den Kopf, "Was noch?"
    "Wir haben inzwischen die Abdrücke sowohl des Gefreiten Weufolt Garnichgut, des Autors Iasson Stattlich und von dem vermissten Assistenten identifiziert. Der Assistent heißt Funkel Astbruch. Weufolt, Astbruch und Stattlich haben offenbar um die Tasche gerungen."
    "Stattlich kann noch immer nicht vernommen werden. Seine Verletzungen sind so schwerwiegend, dass es noch Wochen dauern kann. Er kommt als der ominöse Kutscher in Frage."
    Laiza und Kolumbini sahen sich an.
    "Wir haben in einem Stall von Stattlichs Anwesen Zaumzeug für zwei Tiere gefunden. Eher für kleine Pferde geeignet, zu groß für Esel. Wahrscheinlich Maultiere. Sie sind identisch mit den Resten, die vor dem Explosionskrater gefunden wurden", berichtete Kolumbini.
    "Auf dem Boden in des Stalls fanden wir einen Umschlag", ergänzte Laiza, "Er war leer, aber das Labor hat Tintenabdrücke im Inneren des Umschlags entdeckt und konnte ein Wortfragment e'Jarro rekonstruieren."
    "Stattlich steht im Zusammenhang mit den Diebstählen der geweihten Gegenstände. Wir vermuten aber, dass er sie nicht selbst entwendet hat. Die Zeitfenster zwischen den Sichtungen seines Karrens sind einfach zu eng. Er hat wohl nur die Beförderung erledigt", warf Kolumbini wieder ein, "Das nur verehrte, geheiligte oder sakrale Gegenstände gestohlen wurde, hat mich erst vermuten lassen, dass das Ganze einen religiösen Hintergrund hat. Aber Fähnrich Kanndra wies mich vor zwei Tagen auf eine weitere Möglichkeit hin."
    "Und die wäre?" fragte Romulus neugierig.
    "Der Dieb beziehungsweise die Diebe und oder der Hintermann beziehungsweise die Hintermänner sind alphabetisch vorgegangen."
    "Kein Dieb stiehlt nach dem Alphabet. So was ist doch ...", Laiza tippte sich mit dem Finger an die Stirn.
    "Genau. Ich habe bei Jack ein Püschogramm erstellen lassen. Er vermutet eine gestörte Persönlichkeit mit Angst vor Kontrollverlust."
    "Aber was hatte Stattlich da zu suchen?", wunderte sich von Grauhaar.
    "Zufall vermuten wir", gab Kolumbini zurück, "Direkt neben dem Tempel für religöse Freizeitgestaltung liegt das Verlagshaus von Flimmer. Vermutlich ist er Astbruch dort begegnet."


    18.
    UAXCLAHUN


    Araghast Breguyar betrachtet die vergoldeten Putten im Vorzimmer zum rechteckigen Büro des Patriziers. Die Figurinen fügten sich in das überdekorierte Ambiente, wie ein weiteres paar Ohrringe in eine volle Schatztruhe. Das unmittelbar daneben gehängte Gemälde zeigte eine unbekannte stattliche Dame, die dem Betrachter den Rücken zuwandte. Ein Teil der Fahne Ankh-Morporks hüllte ihre Kehrseite ein oder versuchte dies zumindest. Bregs sah zurück zur Figurine und stutzte. War die Öffnung des Füllhorns nicht eben noch auf der anderen Seite gewesen? Er wollte gerade danach greifen, als sich der lautlos zu ihm getretene Drumknott vernehmlich räusperte.
    "Seine Lordschaft lassen jetzt bitten, Herr."
    Bregs klemmte den Helm unter den anderen Arm und betrat das Büro des Patriziers.
    "Ah, Herr Kommandeur. Willkommen. Es freut mich, dass du es einrichten konntest."
    "Herr", sagte Bregs und nahm Haltung vor dem Schreibtisch an. Er starrte auf einen Punkt neben Vetinaris linkem Ohr, um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen.
    "Es wird die Vertreter der Geistlichkeit sicher freuen zu hören, dass die verabscheuungswürdigen Diebstähle von Sakralgegenständen ein Ende gefunden haben."
    "Herr."
    "Wie ich den Akten entnehme, ist ein Wächter bedauerlicherweise in der Ausübung seiner Pflicht getötet worden?"
    "Das ist richtig Herr. Der Gefreite Weufolt Garnichgut kam bei einer Verfolgungsjagd ums Leben."
    "Ein Mann der Straße, was man so hört. In seinem speziellen Fall ...", Vetinari studierte erneut eine Passage des Berichtes, "... ein Mann gleich mehrerer Straßen. Seine Körperteile waren über drei von ihnen verteilt."
    "Eine Explosion, Herr. Der Verfolgte hatte eine Aktentasche mit explosivem Inhalt bei sich, die der Gefreite offenbar sicherstellen wollte. Im Handgemenge muss es zu der Detonation gekommen sein."
    Vetinari schloss die Akte und erhob sich. Mit verschränkten Armen trat er ans Fenster und blickte auf die Gartenanlage hinaus.
    "Verstehst du etwas von Pferden, Kommandeur?", fragte er unvermittelt.
    Bregs stutzte, "Pferde, Herr?"
    "Ja, Pferde. Ich habe immer viel Gefallen an ihnen gefunden. Ihre Anmut, ihre Eleganz und ihre Kraft haben stets Bewunderung bei mir hervor gerufen. Wusstest du, dass die Balancierenden Mönche an die Wiedergeburt glauben?"
    Bregs war sich der Existenz dieser religiösen Gemeinschaft durchaus bewusst, hatte sich jedoch noch nie großartig für sie interessiert. Genauso wenig, wie für irgendeine andere Religion.
    "Für mich hat der Gedanke, als Pferd wiedergeboren zu werden, etwas sehr reizvolles."
    Wenn du wiedergeboren wirst, dann wohl eher als Geier, dachte Bregs grimmig, verzog dabei aber keine Miene.
    "Konntet ihr diesen rücksichtlosen Fahrer inzwischen dingfest machen?"
    Vetinaris Gedankensprünge überraschten Bregs ein weiteres Mal.
    "Äh, nein, Herr. Es gibt zwar einen Verdächtigen, aber leider kann er wegen seiner Verletzungen nicht befragt werden. Richtige Beweise gegen ihn, haben wir nicht. Der Kutscher war bei verschiedenen Gelegenheiten der Wache gegenüber im Vorteil. Seine Taten waren von langer Hand vorbereitet und er verfügte über ausgeklügelte Fluchtpläne. Aber wir haben inzwischen seinen Auftraggeber ermittelt. Zumindest scheint er in die Angelegenheit verstrickt zu sein."
    "Brigham de'Jarrodd?"
    "Du kennst ihn, Herr?"
    "Ein alter ... Studienkollege. Ich kann ihn mir nur schwer als Täter vorstellen. Du kannst ihn sicher ausklammern, Kommandeur."
    "Herr?"
    "Es wäre bedauerlich, wenn der altehrwürdige Name der Familie de'Jarrodd unter Gerüchten zu leiden hätte, denen die Basis von Beweisen fehlt. Gibt es denn Beweise für eine Mittäterschaft?"
    "Nun, euer Lordschaft, es gibt Schriftstücke, in denen die gestohlenen Gegenstände erwähnt werden. Wir fanden Sie bei seiner Leiche."
    "Solche, wie diese hier."
    Vetinari griff nach einem Brief in der Handschrift de'Jarrodds und reichte ihn Bregs.


    Und so bitte ich nochmals um Vergebung für mein Handeln in dieser Sache, aber die offensichtliche Wirkungslosigkeit der Ermittlungsarbeit der Sicherheitsorgane dieser Stadt veranlassen mich, der Stadtregierung auf diesem Wege zur Kenntnis zu bringen, dass sich kriminelle Kräfte mit konkreten Plänen beschäftigen, die den Diebstahl der Knusperblüte zum Ziel haben.

    "Knusper ..blüte?", Bregs hob eine Augenbraue.
    Der Patrizier nickte und reichte ein weiteres Schreiben an den Kommandeur weiter.


    Eure Lordschaft mögen verzeihen, aber wann gedenkt die Stadtverwaltung etwas in der Angelegenheit des Unrats in den Straßen zu unternehmen? Seit Jahren schon verschlimmern sich die Zustände und haben nicht zuletzt seit eurem Amtsantritt jedes Maß überschritten. Auf meine vorangegangen Schreiben mit den Plänen für eine sortenreine Deponierung der Abfälle wurde nicht reagiert. Es ist meine unerschütterliche Überzeugung, dass es für unsere Stadt abträglich ist, ja, sogar das Bild, welches wir für die übrige Welt abgeben erheblich in Mitleidenschaft zieht, wenn es in den Straßen unserer schönen Stadt drunter und drüber geht.

    "Er hat vorgeschlagen, den Müll in den Straßen zu sortieren?"
    "Oh ja, und einen Plan dazu hat er auch ausgearbeitet", der Patrizier hielt eine dicke Schriftrolle hoch.
    "Heißt das, dass Brigham de'Jarrodd ... plemplem war?"
    "Etwas drastisch ausgedrückt, aber ich komme nicht umhin, deinen Eindruck zu bestätigen."
    "Aber was ist mit den Hinweisen auf die Diebstähle dieser frommen Gegenstände?"
    "Besteht die Möglichkeit, dass es sich hierbei um Informationen handelt, die Brigham zu Ohren kamen und die er notierte, um sie später der Wache zur Verfügung zu stellen?"
    "Wir können es zumindest nicht ausschließen, Herr."
    "Dann solltest du auch davon ausgehen. In dubio pro reo, Kommandeur."
    "Herr?"
    "Das wäre dann alles. Danke, dass du die Zeit gefunden hast, mich persönlich ins Bild zu setzen."
    Bregs salutierte und marschierte aus dem Büro. Das Knirschen seiner Zähne war noch hören, als er bereits die Treppe erreicht hatte.
    Vetinari lächelte und schloss die Akte. Er nahm die Arbeit an dem Brief an Lady de'Jarrodd von Quirm wieder auf.

    Durch die unermüdliche Ermittlungsarbeit der Stadtwache konnte eine Diebstahlsserie zur Aufklärung gebracht werden. Brighams Wagemut inspiriert uns alle, dem Verbrechen jeden Tag aufs Neue die Stirn zu bieten. Selbstverständlich habe ich darauf gesehen, dass seine Rolle in dieser Sache nicht öffentlich wird, ganz so, wie er es sich gewünscht hätte.

    Mit den verbindlichsten Grüßen
    und auf ein baldiges Wiedersehen

    Dein H.

    Der Patritzier verschloss den Umschlag und läutete. Augenblicke später erschien Drumknott in der Tür.
    "Herr?"
    "Drumknott, sei bitte so freundlich und sorge dafür, dass dieser Brief die Frühkutsche nach Quirm erreicht."


    19.
    BOLONLAHUN


    Kanndra und Braggasch saßen etwas verloren auf kleinen umgedrehten Fässchen, die Huitztli aus dem Hinterhof der Molkerei geholt hatte. Ihnen war nicht ganz klar, was der Wasserspeier hinter den beiden großen Kaminen eigentlich trieb und immer wenn er ihnen den Rücken zudrehte, warfen sie sich Blicke des Unbehangens zu. Das Dach war voller Vogelkot und sie versuchten, ihre Hände nicht ungewollt irgendetwas berühren zu lassen. Beide starrten in die Becher, deren Inhalt ihnen mehr als suspekt erschien.
    "Wie war dein Tag?", versuchte Kanndra die Stimmung aufzulockern.
    "Oh, eher wenig ereignisreich", antwortete der Gerichtsmediziner knapp.
    "Äh ... war meiner auch ...", sagte Braggasch und verstummte.
    Schwere Schritte kamen aus Richtung der Dachluke, und kurz darauf erschien Sillybos bärtiges Gesicht.
    "Hallo zusammen", sagte er jovial, "Bin wohl noch rechtzeitig zum Essen gekommen, wie?"
    Er rieb sich die Hände: "Bin schon mächtig gespannt!"
    Lucius Fromm, der Vorarbeiter der Spätschicht der Molkerei kam hinter Sillybos die Leiter hoch.
    "Herr Huitztli? Wir machen gleich Feierabend, soll ich ihnen von Herrn Blömsche ausrichten."
    "Ja, danke", sagte der Wasserspeier und lächtelte den Vorarbeiter an, "Schönen Feierabend und ein schönes Wochenende wünsche ich."
    Der Vorarbeiter lüftete kurz seine Mütze und begann seinen Abstieg vom Dach.

    ~ | ~


    Bregs starrte auf die kurze Nachricht in seiner Hand. Sie offenbarte ein weiteres offenes Ende eines Falles und er grübelte, ob es Sinn machte, weiter Zeit und Energie der Wache in die Aufklärung des Falles zu stecken.

    GeME Memo Nr. 10034

    Jason Stattlich in den frühen Morgenstunden verstorben. Ursache wahrscheinlich innere Blutungen infolge der Explosion. Obduktion erwünscht?
    gez. Pismire, ObLt., GeMe



    Bregs knüllte den Zettel zusammen. Er hasste es, wenn sich die wichtigen Figuren eines Falles im letzten Moment davonstahlen.

    ~ | ~


    Die Flammen fraßen gierig das trockene Papier, welches Narbenhände nun schon seit dem frühen Morgen im Kamin des Hauses de'Jarrodd verbrannten. Für dieses Haus zu arbeiten, war ganz nach dem Geschmack des Igors gewesen. Sein Herr war irre genug gewesen, um es behaglich und heimelig zu machen, und verfügte dennoch über ausreichend Selbstkontrolle, die jene Aufmerksamkeit vermied, die einem ungemeldete Besucher bescherte, die mit Fackeln, Knüppeln und Forken zur Überraschungsparty erschienen.
    Sein Herr war ein Mann mit mehr als einem ausgeprägten Charakter gewesen und es schmerzte ihn, seine Anweisung, alle Aufzeichnungen zu vernichten, ausführen zu müssen. Aber Igors halten nun mal eisern an Traditionen fest. Gegen ihre Auffassung von Pflichtbewusstsein, rückte die Härte eins Diamanten in die Nähe von Gips.
    Glimmende Fetzen wurden vom warmen Aufwind durch den Kamin getragen, verließen den Schornstein und trafen auf prasselnden Regen. Die Reise ging das Dach hinunter, die Dachtraufe entlang und das Fallrohr herab in die Regentonne. Die sorgfältig in einem Kreis gezeichneten Tetzumanischen Hieroglyphen verblassten zur Unkenntlichkeit und mit Ihnen die Worte: Dashuf tokaj miyejkan ipan nin tlamemelmej Eatham'tli uan ka itenko nin tlapechmej.
    Igor richtete sich mühsam auf. Jetzt war nur noch der Verschlag im Keller auszumisten. Blieb die Frage: wohin mit diesen verdammten Ziegen?

    ~ | ~


    "So, noch schnell die zerlassene Butter darüber und dann können wir schlemmen", ließ sich Huitztli in seiner Kochnische vernehmen.
    Ein schweres Tablett in Händen kam er hinter den schmutzverkrusteten Backsteinen des Rauchabzugs hervorgewatschelt.
    "Zu Tisch!", lächelte er glücklich und voller Stolz.
    Seine Gäste hatten jedoch Mühe ihre aufgerissenen Augen von dem merkwürdigen Etwas auf dem Tablett zu nehmen. Butter troff von einem unförmigen gefiederten Ding, welches auf dem Rücken liegend seine Füße in die Luft streckte. Der Kopf baumelte auf der Vorderseite herunter. Die Brust zierte eine sorgfältig ausgeführte Y-Naht.
    "Also, das Füllen hat mir wirklich Mühe bereitet. Immerhin sind da ja jede Menge Organe drin und daher ist da gar nicht so viel Platz, wie man annehmen möchte. Ich musste die Lunge etwas zusammendrücken, damit die Pastinaken reingepasst haben."
    Sillybos fand als erster seine Sprache wieder.
    "Ähm ... Huitztli, ich ... Du hast nicht zufällig eine Karte von Zipnaps Klatschianischer Pizzawelt da?"
    Zählt als Patch-Mission für den Gerichtsmediziner-Patch.



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    Feedback:

    Von Jargon Schneidgut

    21.06.2009 17:48

    Einfach wundervoll! Die Geschichte hat mich vom Aufbau sehr an einen der Scheibenwelt-Romane von der Stadtwache erinnert: Anfangs nur Bruchteile, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben und am Ende wird alles klar. Leider haben ein paar Rechtschreib - und Zeichensetzungsfehler das Ganze gestört, aber das hat nicht allzu viel ausgemacht.

    Von Braggasch Goldwart

    21.06.2009 17:48

    Ich glaube, man muss nach dieser single Patches an sehr viele Wächter verteilen, nicht nur an dich. :D Nun im Ernst: Mich hat die story erheitert - wenn ich sie auch zu lang für das passierte fand. Viele Dinge haben sich mir bis zum Schluss nicht offenbart und letztendlich fand ich den ganzen Fall auch etwas... abstrakt. Aber es war alles sehr angenehm geschrieben und mit wirklichen guten Witzen verziert.

    Von Valdimier van Varwald

    21.06.2009 18:37

    Also ich fand die Geschichte richtig genial. Schön geschrieben, lustig, das Zusammenspiel der Charaktere hat super gepasst.... Was will man mehr :D Negativ fand ich nur den etwas konstruiert wirkende Aufbau der Geschichte. Die Ortswechsel kamen für mich ab und zu zu oft und zu schnell und hinterließen so ein leichten "Checklistenflair". Aber das ist meckern auf hohem Niveau :) Nur knapp an der vollen Punktezahl vorbei.



    Mach weiter so.

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