Glück und Glas, wie leicht bricht das...

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von Gefreite Olga-Maria Inös (SUSI)
Online seit 26. 04. 2009
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Recht und Gerechtigkeit sind nicht dasselbe und Spuren können in die Irre führen...

Dafür vergebene Note: 12

Olga-Maria Inös zog den Mantel enger um sich. Das Wetter war schon seit Tagen miserabel, eiskalt, windig, verregnet. Glücklicherweise hatte der Regen gerade etwas nachgelassen, so dass Olga-Maria nicht völlig durchnässt am Tatort ankam.
Das war bereits der dritte Tatort an diesem Tag. Erst hatte sie die Spuren eines vermeintlichen Diebstahls sichern müssen. Dabei hatte sie die gestohlene Perlenkette sehr schnell zwischen den gerüschten Sofakissen entdeckt. Die "Bestohlene" hatte sie dann mit den Worten: "Ach, dann muss die Katze die dort versteckt haben" vor die Tür gesetzt.
Danach hatte sie mit ihren Kollegen Oberfeldwebel Sillybos und Korporal Holm den Tatort eines Mordes untersucht. Viel hatte sie dort nicht zu tun gehabt. Ihr ehemaliger Ausbilder Charlie Holm hatte sie den Raum des Hauses untersuchen geschickt, der am weitesten vom Tatort entfernt war und sie war sehr schnell fertig gewesen. Die Gefreite hatte ihre Ergebnisse ins Wachhaus gebracht und diverse Blut- und Haarproben, die ihre Kollegen aufgenommen hatten, im Labor vorbei gebracht. Danach hatte sie ihren Bericht über den angeblichen Diebstahl schreiben und einige andere Berichte zu Ende bringen wollen, doch nach wenigen Sätzen wurde sie als Tatortwächterin erneut für einen Diebstahl angefordert.
Also hatte Olga-Maria Inös ihr S.T.Au.B gepackt, den Mantel wieder angezogen und sich zur angegebenen Adresse begeben.
Sie stand vor einer Villa im prächtigen Ankh. [1] Olga-Maria drückte das eiserne Tor auf und hastete den Kiesweg entlang. Sie wollte schnell dem trüben Wetter entkommen.
In ihrer Anfangszeit als Wächterin war sie die Wege zu den prächtigen Häusern noch voller Ehrfurcht entlang geschritten, aber mittlerweile hatte sie zu viele Verbrechen in eben solchen Häusern gesehen.
Die Gefreite huschte rasch unter das Vordach über der Haustur und betätigte den Türklopfer.
Während sie wartete, betrachtete sie den Garten. Das Unkraut wucherte, einige leere Steintöpfe verschwanden fast im hohen Grasmeer, die Hecken...
Hinter Olga-Maria wurde die Tür geöffnet und sie unterbrach ihre Beobachtungen und drehte sich hastig um.
"Ich bin von der Stadtwache. Gefreite Inös. Ich... Ich glaube, ich werde erwartet?"
Sie machte sich daran, ihre Dienstmarke hervorzuholen, doch ihr Gegenüber trat bereits beiseite, um die junge Frau hereinzulassen. Olga-Maria trat in die dunkle Eingangshalle und streifte die Kapuze ab. Sie musterte kurz den Mann, der sie hereingelassen hatte. Sein schlohweißes Haar leuchtete fast in der dunklen Halle und sein faltiges Gesicht war ausdruckslos. Er war bereits im Greisenalter, so schätzte die Tatortwächterin, aber er hielt sich sehr aufrecht und machte Anstalten, ihr den Mantel abzunehmen. Das war Olga-Maria etwas unangenehm, aber sie ließ es geschehen, um nicht unhöflich zu erscheinen.
"Ein Kollege müsste schon hier sein, nicht wahr?", erkundigte sie sich.
Der Diener nickte: "Ich werde Sie ins Arbeitszimmer geleiten. Bitte folgen Sie mir."
Er durchquerte die Halle und stieg etwas schwerfällig die Treppen hinauf.
Olga-Maria folgte ihm. Die Stufen knarrten unter ihren Schritten. Die Wand war mit riesigen Portraits in protzigen Rahmen geschmückt, doch die abgebildeten Personen waren unter Staub und Spinnweben kaum zu erkennen.
'Das Hausmädchen hat wohl seinen Beruf verfehlt', dachte Olga-Maria.
Sie fragte sich außerdem, welcher Wächter bereits anwesend war. Da es sich um einen Diebstahl handelte, müsste es wohl jemand von S.E.A.L.S. sein. Die Tatortwächterin überlegte, wen sie von S.E.A.L.S. kannte...
Wehmütig dachte sie an Rea Dubiata, die Abteilungsleiterin von S.E.A.L.S. mit der sie sich durch die GRUND-Ausbildung gekämpft hatte. Damals waren sie Freundinnen gewesen, doch jetzt war Rea Oberfeldwebel und Olga-Maria hatte es nicht über den Gefreitenrang hinaus geschafft. Als Abteilungsleiterin war Rea natürlich andauernd sehr beschäftigt und die Freundschaft beschränkte sich auf einen hastigen Gruß, wenn die Frauen sich in den Wachhausfluren begegneten. In der Kantine saß Rea oft mit gleichrangigen Wächtern zusammen, da wagte sich die Gefreite nicht hinzuzutreten.
Außerdem hatte sie mal eine äußerst unangenehme Begegnung mit dem Verkehrsexperten William de Morgue gehabt, an die sie nicht denken wollte. [2]
Sie war im oberen Stockwerk angekommen und Olga-Maria sah zwei Personen im Gang stehen.
Bei der einen handelte es sich offensichtlich um einen Wächter, also musste der zweite Mann der Hausherr sein. Letzteren schätzte die Tatortwächterin auf Mitte Fünfzig, in seinem dichten, dunklen Haar waren bereits einige silbergraue Strähnen auszumachen. Er war gut gekleidet, schlank und wäre durchaus gut aussehend zu nennen, wenn sein Gesicht nicht diesen überheblichen Ausdruck getragen hätte. Momentan galt dieser Ausdruck dem Wächter, der ihm gegenüberstand. Olga-Maria kannte ihn vom Sehen, denn seine äußere Erscheinung war alles andere als unauffällig. Sie war nicht ganz sicher, wie er hieß, aber sie hatte schon oft andere Wächter von dem "Seltsamen Kerl mit dem Rock" reden gehört.
Dieser drehte sich nun zu Olga-Maria um.
"Du kommst von SuSi, richtig?"
Die Gefreite nickte nur.
"Ja, ich bin Hauptgefreiter Ruppert ag LochMoloch. Und du bist?"
"Gefreite Inös", murmelte Olga-Maria und überlegte kurz, ob es angebracht sei, ein "Sör" hinzuzufügen, doch da sprach der Hauptgefreite bereits weiter.
"Also, das hier ist Herr Sebastian von Schwarzenberg. Aus seinem Arbeitszimmer wurde wertvoller Schmuck entwendet und der Diebstahl wurde heute morgen entdeckt von Herrn von Schwarzenberg persönlich. Ich mache dann jetzt mit der Befragung weiter, du kannst dir das Arbeitszimmer ansehen."
Er deutete in das offene Zimmer und wandte sich dann wieder Herrn von Schwarzenberg zu.
Olga-Maria zog die Schuhüberzieher über ihre Stiefel, holte ihre Handschuhe hervor und streifte sie über, während sie den Raum betrat.
Es handelte sich um ein typisches Arbeitszimmer mit sehr dunkler Holzverkleidung an den Wänden. Neben den Fenstern hingen dunkle Vorhänge bis auf den Boden.
In der Mitte des Raumes stand ein riesiger, wuchtiger Schreibtisch mit einem Sessel dahinter und zwei Stühlen davor. Früher musste noch ein Teppich dort gelegen haben, denn auf dem Boden war ein großes, dunkles Rechteck zu sehen, wo die Sonne das Holz nicht ausgeblichen hatte. Es gab auch einige Regale, doch es standen nur wenige Bücher darin.
Olga-Maria wandte sich zu Herrn von Schwarzenberg um und unterbrach Rupperts Befragung.
"Verzeihung, wo befand sich der Schmuck denn?"
"Das hab ich doch gerade Ihrem Kollegen erklärt. Die Sachen waren in der Schreibtischschublade, deren einzigen Schlüssel ich besitze. Und ja, ich habe sie abgeschlossen."
Ruppert fragte weiter: "Und das Arbeitszimmer selbst? Hatten Sie das ebenfalls abgeschlossen?"
Der Gefragte schüttelte den Kopf.
Die Gefreite überließ die Befragung wieder ihrem Kollegen von S.E.A.L.S. und ging auf den Schreibtisch zu. Als sie drum herum ging, um sich die Schublade anzusehen, knirschte etwas unter ihren Füßen. Sie war auf Glasscherben getreten.

*****


Es war sehr dunkel. Das Fensterglas klirrte leise, als jemand eine Leiter an die Hauswand lehnte. Die vermummte Person erstarrte und wartete, ob sich etwas regte.
Nichts.
Erleichtert begann sie mit dem Aufstieg. Neben den Fenstern angekommen holte die Person einen kleinen Hammer aus der Jackentasche und schlug damit die Scheibe ein.
Als das laute Geräusch verklungen war und sich immer noch nichts regte, griff die Person vorsichtig durch das entstandene Loch, um das Fenster zu öffnen. Es schwang nach innen auf.


*****


Olga-Maria bückte sich und betrachtete die Scherben. Es waren wenige größere und unzählige kleine Splitter. Die Tatortwächterin richtete sich wieder auf und besah das Loch im Fenster.
"Also hat der Dieb die Scheibe eingeschlagen, um das Fenster zu öffnen. Aber warum ist es jetzt geschlossen?", murmelte sie.
Sie holte ihre Lupe hervor und betrachtete den Rand des Loches genauer. Doch sie konnte an den scharfen Rändern weder Stofffetzen noch Blut oder etwas anderes außergewöhnliches entdecken.
Sie besah sich den Fenstergriff näher. Ob sie dort Fingerabdrücke finden würde? Vermutlich hatte der Dieb Handschuhe getragen, aber einen Versuch war es wert.
Die Tatortwächterin legte die Lupe beiseite und suchte das Rußpulver und das dazugehörige Pinselchen in ihrer Tasche. Sie hatte beides schnell zur Hand, doch das Fläschchen mit dem Rußpulver war beinah leer. Sie hatte in den letzten Tagen viel verbraucht und sich kein neues besorgt.
"Hoffentlich reicht das noch", murmelte sie. Vorsichtig tunkte sie den Pinsel hinein und strich über den Fenstergriff. Es war nichts zu entdecken.
"Hätte ich mir ja denken können", seufzte Olga-Maria. "Aber ich wundere mich immer noch, warum das Fenster geschlossen ist. Wenn der Dieb das nach seiner Tat getan hat, wäre das aber sehr ungewöhnlich..."
"Hast du etwas gesagt?" Ruppert sah seine Kollegin fragend an.
Olga-Maria wurde etwas rot. "Nein, nein, nichts.. ich rede nur ab und zu beim Arbeiten... hilft mir, mich zu konzentrieren... Aber ich hätte noch eine Frage an Sie, Herr von Schwarzenberg. Als Sie den Diebstahl entdeckt haben, war das Fenster da offen?"
"Ja, das war es. Stand sperrangelweit auf", sagte er bestimmt.
"Äh... und wer hat es geschlossen?", erkundigte sich Olga-Maria.
"Das war ich selbst. Ich wunderte mich, warum es offen war und als ich es schloss, entdeckte ich das Loch und die aufgebrochene Schublade."
Die Gefreite nickte langsam. Sie warf einen Blick auf die Hände des Hausherrn. Sie waren erstaunlich groß und seine Finger lang und dünn.
"Und Sie tragen nicht üblicherweise Handschuhe?"
Herr von Schwarzenberg stutzte kurz, fast unmerklich, dann sagte er: "Nein, natürlich nicht. Aber als ich es geschlossen habe, da trug ich welche. Ich hatte mich ausgehfertig gemacht und wollte nur einige Papiere aus meinen Arbeitszimmer holen, die ich für einen Besuch bei meinem Anwalt brauchte. Den Termin habe ich selbstverständlich abgesagt, als ich den Diebstahl entdeckte."
"Und Ihr Anwalt kann uns das sicherlich bestätigen?", erkundigte sich Ruppert.
"Natürlich. Fragen Sie ihn nur, er wird alles bestätigen."
Er diktierte dem Vektor die Anschrift des Anwalts.
Olga-Maria betrachtete noch einmal die Scherben am Boden durch ihre Lupe.
"Na, was haben wir denn da?", murmelte sie. Nachdem sie eine Pinzette aus ihrer Tasche gekramt hatte, nahm sie vorsichtig eine größere Scherbe hoch und sah sie genauer an.
"Das ist doch Blut..."

*****


Die Person richtete sich auf und trat vorsichtig am Fenster vorbei.
"Aaartschhh..." Sie gab einen schmerzvollen Laut von sich, unterdrückte ihn jedoch rasch.
Vorsichtig hob sie das Bein und zog die Scherbe aus der Ferse. Sie ließ den Splitter achtlos fallen und humpelte langsam zur Tür.


*****


Olga-Maria beförderte die blutige Scherbe vorsichtig in ein kleines Glas und verstaute es sicher in ihrer Tasche, um das Blut später von den Laboranten untersuchen zu lassen.
Sie näherte sich noch einmal dem Hauptgefreiten und Herrn von Schwarzenberg.
"Und wer lebt noch in diesem Haus außer Ihnen selbst und Ihrem Diener?"
"Meine Tochter Felizitas kommt bald aus dem Internat zurück und wohnt dann wieder hier. Und bis vor einigen Tagen hatten wir noch ein Hausmädchen, aber ich habe sie entlassen. Sie war nachlässig und liederlich."
"Entlassen, soso...", murmelte der Vektor und notierte sich etwas.
Olga-Maria nutzte die kurze Pause und sprach den Hausherrn an: "Verzeihung, Herr von Schwarzenberg, eine Frage noch. Sind Sie in die Scherben getreten, die dort auf dem Boden liegen und haben Sie sich dabei verletzt?"
Der Gefragte sah sie etwas verblüfft an: "Ja, ich bin hinein getreten, aber ich sagte doch eben, ich war auf dem Weg zu meinem Anwalt. Ich trug bereits meine Stiefel. Die sind eine Maßanfertigung aus feinstem Leder aus Klatsch! Da können mich doch so ein paar kleine Scherben nicht verletzen."
"Natürlich nicht", antwortete Olga-Maria und machte sich daran, das Schreibtischschubladenschloss genauer zu untersuchen. Es war eindeutig mit Gewalt aufgebrochen worden und schwer beschädigt. Tiefe Kratzer im Holz deuteten darauf hin, dass der Täter ein kleines Stemmeisen benutzt haben könnte.

*****


Die Person näherte sich dem Schreibtisch und zog versuchsweise an der Schublade. Sie war fest verschlossen. Die Person nahm einen kleinen Schlüssel aus der Tasche und steckte ihn vorsichtig in das Schloss. Sie wollte ihn drehen, doch er rührte sich nicht.
Die Person seufzte leise, nahm den Schlüssel heraus und steckte ihn andersherum in das Schloss. Diesmal ließ sich die Schublade leicht öffnen.


*****


Die Tatortwächterin fertigte eine Ikonographie des beschädigten Schlosses an. Danach verewigte sie auch noch das Loch in der Fensterscheibe.
Olga-Maria konnte den Ikonographen für sich allein beanspruchen, da sie zurzeit nicht wirklich Teil eines Tatortwächterteams war. Das eine Team bestand aus Oberfeldwebel Sillybos und Korporal Charlie Holm, ihrem ehemaligen Ausbilder, vor dem sie immer noch einen Heidenrespekt hatte. Lance-Korporal Kathiopeja vertrieb sich ihre Zeit mit Rekruten.
Offiziell war Olga-Maria also in einem Team mit Korporal Magane, die ihre Auszubildende gewesen war. Viel hatte die Gefreite ihr nicht beibringen können und nun war Magane die stellvertretende Abteilungsleiterin. Daher arbeitete Olga-Maria meistens allein.
Jetzt packte sie die Ikonographien in ihre Tasche und zog vorsichtig die Schublade auf.
Es lagen einige Papiere und Zettel auf der rechten Seite. Links war die Schublade leer, hier hatte wohl das Diebesgut gelegen. Die Gefreite sah sich die Schublade genau an, konnte jedoch nichts Außergewöhnliches entdecken.
Als sie grade ihren Blick abwenden wollte, fiel ihr doch noch etwas ins Auge. Auf einem Zettel zwischen den Papieren las sie das Wort SCHULDS. Neugierig geworden zog sie den Zettel vorsichtig hervor. Mit einem schnellen Blick zur Tür vergewisserte sie sich, dass der Hausherr sie nicht beobachtete. SCHULDSCHEIN stand in großen Lettern auf dem Papier. Als Olga-Maria die Summe entziffert hatte, riss sie die Augen auf.
Herr von Schwarzenberg hatte enorme Spielschulden.
"Gut zu wissen", murmelte die Wächterin, als sie den Schuldschein vorsichtig in einen Beweismittelbeutel packte.
"Und gestohlen wurden insgesamt zwei Perlenketten, ein Paar Diamantohrringe mit Goldfassung, ein einfacher Goldring, ein einfacher Silberring, ein Goldring mit Rubin, ein goldenes Amulett und ein Briefbeschwerer aus massivem Gold mit silbernen Aufsätzen. Richtig?"
"Ja", bestätigte Herr von Schwarzenberg gerade dem Vektor, "und alles war in einer Schatulle aus Holz. Der Schmuck gehörte meiner verstorbenen Frau und zu seinem hohen materiellen Wert kommt auch noch der ideelle dazu! Deshalb müssen Sie den Schmuck unbedingt wieder finden!"
"Die Wache tut ihr Bestes, mein Herr", versprach Ruppert.
"Das will ich doch sehr hoffen!"
Olga-Maria murmelte sehr leise: "Das bezweifle ich."
Sie hatte sich auch die anderen Papiere näher angesehen und dabei sehr interessante Dinge gefunden.

*****


Die Person zog die Schublade auf und nahm die Schatulle heraus. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass der Schmuck darin war, packte sie die Schatulle in die mitgebrachte Tasche. Dann zog sie aus eben jener Tasche einige Blätter Papier und legte sie vorsichtig zwischen den Papierstapel in die Schublade.

*****


Olga-Maria betrachtete eine Versicherungspolice und die Abschrift eines Testaments.
Herr von Schwarzenberg hatte den Schmuck versichern lassen und interessanterweise entsprach der Betrag ziemlich genau der Summe auf dem Schuldschein.
Viel interessanter war jedoch das Testament. Es handelte sich um den letzten Willen von Bettina von Schwarzenberg und demzufolge gehörte der gestohlene Schmuck nicht ihrem Gatten sondern der gemeinsamen Tochter Felizitas.
Olga-Maria versuchte, das ganze in ihrem Kopf richtig zusammenzusetzen.
Herr von Schwarzenberg hatte Schulden. Augenscheinlich hatte er beinah das komplette Personal entlassen, Bücher und Einrichtungsgegenstände verkauft und seine Tochter aus dem Internat genommen. Er hatte den Schmuck seiner verstorbenen Frau nicht verkaufen können, weil dieser seiner Tochter vermacht worden war. Also musste er seiner Tochter einen Diebstahl vortäuschen. Und nicht nur ihr, sondern auch der Versicherung, bei der er den Schmuck hatte versichern lassen. Und natürlich der Wache.
Die Gefreite schüttelte den Kopf. Das passte aber nicht, denn wieso hätte er die belastenden Dokumente am Tatort herumliegen lassen sollen? Noch dazu so offensichtlich, dass man sie einfach finden musste! Das passte einfach nicht zusammen...

*****


Er stieg durchs Fenster in den Raum. Die Scherben knirschten unter den schweren Stiefeln. Er setzte ein kleines Stemmeisen an der Schreibtischschublade an.
Das Stemmeisen rutschte unter lautem Gepolter ab. Der Mann erstarrte.
Nichts war zuhören.
Er startete einen zweiten Versuch und diesmal gelang es ihm, die Schublade aufzubrechen.
Er griff hinein und fand... nichts!
"Was zum..."
Sebastian von Schwarzenberg riss sich die Maske vom Gesicht fort, um besser sehen zu können. Doch das änderte nichts, die Schublade blieb leer.
"Das darf doch nicht... Das kann doch... Ich fass es nicht!"
Er ließ sich in den Sessel hinterm Schreibtisch fallen. Jetzt musste er nachdenken.
Der Schmuck war fort, jemand war schneller gewesen. Jemand hatte ihn bestohlen!
Aber war das nicht überhaupt die Lösung? Er schreckte hoch und suchte hektisch nach einer Quittung der Diebesgilde. Nichts war zu finden. Ein unlizensierter Diebstahl, genau dagegen hatte er den Schmuck versichern lassen. Er hatte zwar vorgehabt, ihn selbst zu stehlen und neben der Versicherungssumme auch noch den Verkaufserlös zu kassieren, aber die Versicherungssumme würde auch reichen, um seine Schulden zu bezahlen.
Lächelnd nahm er das Stemmeisen an sich und kletterte aus dem Fenster.
Unter dem Schreibtisch regte sich etwas.


*****


Olga-Maria näherte sich Ruppert und Herrn von Schwarzenberg.
"Ah, Gefreite, bist du fertig mit der Spurensicherung? Hast du Hinweise auf den Täter gefunden?", erkundigte sich der Vektor.
Olga-Maria rückte ihre Brille zurecht.
"Der Dieb kam durchs Fenster. Er hat die Scheibe eingeschlagen und so das Fenster geöffnet. An einer der Glasscherben habe ich Blut gefunden, er hat sich wohl verletzt.
Das Schloss der Schublade wurde mit Gewalt aufgebrochen. Und ich vermute...", die Gefreite zögerte. Konnte sie es wagen, ihren Verdacht zu äußern?
"Ich vermute, dass Sie etwas mit der Sache zu tun haben, Herr von Schwarzenberg."
Die beiden Männer sahen sie an, der eine erstaunt, der andere mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Erschrecken. Der Beschuldigte polterte los: "Was soll das denn heißen? Was fällt Ihnen denn ein?! Das ist Verleumdung! "
Olga-Maria zog wortlos den Schuldschein, das Testament und die Versicherungspolice hervor. Als Herr von Schwarzenberg die Dokumente erblickte, wurde er blass.
"Wo haben Sie das her? Das ist kein Beweis! Ich habe mit der Sache nichts zu tun!"
Ruppert sah sich die Papiere an. "Also das sieht schon sehr belastend aus."
"Ich habe das alles in der Schublade gefunden", berichtete Olga-Maria. Daraufhin lachte Herr von Schwarzenberg laut auf: "Ha, in der Schublade! Das beweist doch, dass ich damit nichts zu tun habe! Warum sollte ich dann erst mühsam die Schublade aufstemmen und die Schatulle mitnehmen und dann belastendes Beweismaterial hinterlassen? Sie werden mich doch wohl nicht für so blöd halten. Außerdem sagten Sie doch eben noch, der Dieb hätte sich am Fuß verletzt, oder?" Er zog die Stiefel aus, streifte die Socken ab und präsentierte seine unverletzten Fußsohlen. "Sehen Sie? Nichts! Ich war es nicht!"
Ruppert nickte langsam.
"Das stimmt, Herr von Schwarzenberg, Sie sind es nicht gewesen. Aber damit haben Sie noch nicht bewiesen, dass Sie auch niemanden beauftragt haben, Ihnen bei dem Versicherungsbetrug zu helfen. Vermutlich haben Sie Ihren Komplizen verärgert und er hat diese Dokumente an den Tatort gelegt. Ich nehme Sie fest, alles Weitere werden wir im Wachhaus besprechen."
Der Vektor legte Herrn von Schwarzenberg Handschellen an. Dann nickte er Olga-Maria zu. "Das war sehr gute Arbeit!"
Die Gefreite wurde rot. Lobesworte hörte sie wirklich selten und sie freute sich sehr.
Sie packte ihre Sachen und die Beweismittel zusammen und versperrte den Raum mit Absperrband, damit ihn niemand betrat, falls sie im Verlaufe der weiteren Untersuchungen noch einmal nach weiteren Spuren suchen musste.
Sie führten Herrn von Schwarzenberg durch die Eingangshalle als plötzlich die Tür aufging und ein junges Mädchen mit einem Koffer eintrat.
"Papa, da bin ich! Was geht denn hier vor?"
Olga-Maria ging zu dem zierlichen Mädchen hinüber.
"Ich bin Gefreite Inös von der Stadtwache. Wir mussten... ähm... wir müssen deinen Vater leider mitnehmen, er steht unter Verdacht."
Sie erklärte Felizitas von Schwarzenberg in schnellen Worten, was geschehen war. Das Mädchen schaute sie betroffen an. "Der Schmuck meiner Mutter ist weg? Und Sie nehmen ihn jetzt mit? Was soll ich denn dann allein tun?"
Der Diener kam die Treppe hinunter. "Machen Sie sich keine Sorgen, Herrin, ich werde auf Sie Acht geben, solange Ihr Vater... nicht verfügbar ist."
"Nun, dann wäre das ja geklärt", sagte Ruppert und er und Olga-Maria verließen mit Herrn von Schwarzenberg das Haus.

*****


Der alte Diener legte Felicitas die faltige Hand auf die Schulter.
"War es das Richtige, Herrin?"
Das Mädchen nickte.
"Er hat es verdient, Albert. Er hat Mamas gesamtes Vermögen verspielt und nun wollte er mir auch noch die letzten Erinnerungsstücke an sie nehmen. Es war gut, dass Sie mir diesen Brief geschrieben haben. Jetzt bekommt er, was er verdient.
Ich muss Ihnen noch danken, Albert, ohne Ihre Hilfe hätte ich Mamas Schmuck nicht vor ihm retten können."
Sie griff in die Tasche ihres Mantels und holte ein goldenes Amulett an einer langen Kette hervor. Dann legte sie es um ihren Hals, öffnete sie es und betrachtete liebevoll die Gesichter einer jungen Frau und eines kleinen Kindes.
Der Diener Albert nahm ihren Koffer und trug ihn die Treppe hoch.
Sie folgte ihm still lächelnd. Wie gut, dass den beiden Wächtern ihr verletzter Fuß nicht aufgefallen war.


[3]

[1] Hier ist selbstverständlich der Stadtteil gemeint... nicht der Fluss.

[2] LIVE 309 Ein Herf und eine Feele

[3] Danke an Lilli, die mir Grundgerüst der Single und den Titel geschenkt hat!

Zählt als Patch-Mission für den Tatortwächterin-Patch.



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Feedback:

Von Jargon Schneidgut

03.05.2009 16:15

Hat mir sehr, sehr gut gefallen. Sehr detailliert beschrieben, und toller Plot (Gut gemacht, Lilli ;)). Meiner Meinung nach hast du den Patch verdient.

Von Breda Krulock

03.05.2009 16:15

Du hast einen wunderbaren Schreibstil, wirklich beneidenswert. Du schaffst es, mit wenigen Worten eine Atmosphaere zu schaffen, was andere mit 10.000 nicht schaffen, Hut ab!Die Fallidee und der Plot waren ebenfalls sehr gut, aber da weiss ich jetzt nicht inwiefern das dein Verdienst ist und wieviel von Lilli miteinfloss. Auf jeden Fall eine tolle Idee, die Ermittlungen dem tatsaechlichen Geschehen direkt gegenueberzustellen.Und wenn du mit dem Stil weiterschreibst, kannst du dich bestimmt bald zu Rea in der Kantine setzen ;)

Von Kannichgut Zwiebel

03.05.2009 16:15

Kurz und knackig, schön geschrieben. Die Einschübe brachten interessante Wendungen oder bestätigten den Verdacht.Lediglich ein paar Fakten kamen mir zu oberflächlich daher. Trotzdem eine vorbildliche Kurzgeschichte.

Von Glum Steinstiefel

03.05.2009 16:15

Deine Geschichte hatte etwas vom klassischen Krimi, in dem nicht die Spur zur These, sondern die These zur Spur gesucht wird. Hat mir sehr gut gefallen, oh ja ; )Zuerst dachte ich ja, du hättest das Prinzip eines Schuldscheins nicht verstanden, aber ein paar Zeilen weiter war dann wieder alles in Butter, was mir leider meinen Verdacht wiederum bestätigte, der sich in mir bereits bei den umgeputzten Bildern regte: Dass der Hausherr der Dieb ist. Tja, hat ja auch beinahe gestimmt. Da es zum Schluss dennoch diese Wendung gab, hatte die Geschichte einen kleinen 'Kick', der genau richtig war. Top!

Von Sebulon, Sohn des Samax

03.05.2009 16:15

Hat alles, was eine gute Geschichte braucht.Top.

Von Lilli Baum

03.05.2009 23:25

Mein Einfluss beschränkte sich nur auf das grobe Gerüst der Single, sprich die Idee: Spuren sichern im Wechsel mit Rückblicken, wie die Spuren entstanden. Die tolle Story ist allein auf Olgas Mist gewachsen!

Von Jargon Schneidgut

09.05.2009 22:46

Ach so ^^. Na dann... äh... Beide gut gemacht.

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