Von Wächtern und Wölfen

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von Chief-Korporal Venezia Knurblich
Online seit 20. 11. 2000
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Ein sonderbarer Brief ging im Wachhaus ein.
In dem Brief stand, daß einer angeblich beobachtete, wie Hauptgefreite Valeriaa einen unschuldigen Passanten ohne Grund umgebracht haben soll.
Ist diese Beschuldigung eine Lüge oder doch sogar die Wahrheit?

Dafür vergebene Note: 14

"...außerdem sind Vitamine gesund für den Körper, du solltest da wirklich noch einmal drüber nachdenken, Venezia." Rascaal Ohnedurst, der wahrscheinlich erste und einzige vegetarische Vampir der Scheibenwelt blickte die auf dem Schreibtisch sitzende Gnomfrau an. Die beiden hatten Innendienst in der Wache, und da es sonst nicht viel zu tun gab und auch kein Bürger ein Verbrechen zu melden hatte, versuchte der Vampir verzweifelt, die Gnomin davon zu überzeugen, daß Gemüse im Allgemeinen und rote Beete im Speziellen gesünder für sie war als Schnappers Würstchen. Das tat er nicht nur, weil er wirklich ernsthaft um ihre Gesundheit besorgt war, sondern auch zum Teil aus Eigennutz, hatte er doch immer diesen furchtbaren Geruch in der Nase, wenn sie auf seiner Schulter eine Mahlzeit zu sich nahm. Von den Fettflecken auf seinem Umhang ganz zu schweigen!
"Ja, ja!" murmelte sie, während sie sich noch die Fettreste des letzten Abendessenwürstchens von den Fingern lutschte. "Gib auf, Ras! Schon meine Eltern haben vor etwa 140 Jahren versucht, mir klar zu machen, daß Wurzeln gesünder für mich sind als Kaninchenfleisch, und auch sie haben es nicht geschafft. Außerdem: Abgesehen davon, daß rote Beete meiner Meinung nach schmeckt wie schon mal gegessen, was soll mir das bringen den Fraß runterzuwürgen?" Veni zog eine Augenbraue hoch. "Willst du mir etwa erzählen, daß ich davon groß und stark, vor allem groß werde?!?" Mit einem strengen Seitenblick auf den Vampir tastete sie nach ihrem Säbel.
Rascaal schluckte eine Erwiderung runter, er hatte keine Lust, sich mit der Gnomin schon wieder über ihre Eßgewohnheiten zu streiten, wie schon so oft führte es zu nichts.

Die beiden waren gerade dabei Berichte von Fällen der anderen Wächter aufzuarbeiten. Einige der Anderen waren ja nun wirklich fleißig, aber ihre or... ortho... na ja, ihre Kenntnisse, wie man Dinge richtig schrieb und so tangierten gen Null. Also hatte Rince, der ja nun auch schon mehr als genug zu tun hatte (wie er immer sagte...), die Wächter der Nachtschicht, die Innendienst hatten, dazu verdonnert, die Berichte noch einmal aufzuarbeiten und in genormter Form auf genormte Blätter zu übertragen.
Die Gnomin hielt das für reine Schikane, da diese Akten eh nie wieder gelesen wurden, sondern irgendwo in den tiefsten Tiefen des Archivs verschwanden.

Wie man sieht, versprach es also ein lustiger Abend zu werden, und die beiden Wächter waren ob der zu leistenden Arbeit seelisch und moralisch auf dem Tiefpunkt angekommen.
Doch plötzlich wurde die Tür geöffnet. Nicht mit einem lauten Knall oder mit im Hintergrund zuckenden Blitzen, sondern ganz normal. Ein dicker Zigarre rauchender Mann betrat den Raum und erst als er "Korporal Knurblich, Leutnant Rascaal, erhebt euch gefälligst, wenn ein Vorgesetzter den Raum betritt!" brüllte, wurde den beiden klar, daß es sich bei der Person um Rince handelte. Der Grund, warum sie ihn nicht auf Anhieb erkannt hatten, war, daß er keine Rüstung trug, und man kann sich gar nicht vorstellen, das so eine Metallrüstung alles an Übergewicht kaschieren kann. (Wegen eben dieses Effekts tragen sehr adelige sehr ausladende Frauen oft ein Korsett...)
Sofort erhoben die angesprochenen Wächter sich hektisch und gaben sich größtmögliche Mühe, angemessen zu salutieren. (Venezia klatschte Rascaal dabei den Inhalt ihres Kaffeebechers ins Gesicht, den sie vergessen hatte, abzustellen, bevor sie den Arm hob.)
"Gut, reicht", brummte Rince zufrieden. "Ihr dürft euch rühren."
Venezia hopste sofort vom Schreibtisch, um sich neuen Kaffee zu holen, während Rascaal grummelnd nach einem Taschentuch griff, um sich die Tropfen von der Nase zu wischen. (Wie gut, daß in einen Gnomenbecher nicht besonders viel reinpaßt!)
"Öhm, Rince? Sir? Wie kommen wir zu der Ehre dieses späten Besuchs?" Rascaal blickte den Kommandeur fragend an.
Auch Venezia hatte inzwischen ihren Stammplatz wieder erreicht und blickte gespannt in Rinces Richtung.
"Also Leute, die Sache ist folgende: Ich habe einen Brief bekommen, und der Inhalt ist... nun, ich möchte sagen, ein wenig brisant. Fidelio Grottengrund, ein Bürger dieser Stadt, hat ihn geschickt. Er berichtet, daß er heute früh Valeriaa gesehen hat, wie sie sich in einen Werwolf verwandelte und einen Marktschreier ohne ersichtlichen Grund angegriffen und umgebracht hat. Fidelio ist ein ehrbarer Bürger, er hat sich nie was zu Schulden kommen lassen. Ihr beide werdet das untersuchen, aber unauffällig! Ich möchte nicht, daß andere Wächter etwas davon mitbekommen, das wäre alles andere als gut für die Truppenmoral."
Rince knallte einen dicken Ordner auf den Tisch. "Das ist die Akte zu diesem Fall. Ich möchte, daß ihr ihn immer bei euch behaltet und niemand Einblick darin hat."
"Öhm, Rince. Sir?" meldete sich Rascaal zu Wort. "Wenn niemand Einblick darin haben soll, wie sollen wir dann wissen, was wann wo wie passiert ist?"
Rince verdrehte genervt die Augen. Warum nur waren Wächter in der Nachtschicht immer so schwer von Begriff?! "Außer euch natürlich, Leutnant! So, ich gehe jetzt nach Hause, meine Frau wartet mit dem Essen, außerdem bin ich müde. Ich erwarte morgen früh euren Bericht."
Während Rince das Gebäude verließ, knurrte Venezia unterschwellig ob der seelischen Grausamkeit des Kommandeurs, sie wußte wie gut Frau Kommandeur kochte.
Aus den Augenwinkeln beobachtete Ras seine Partnerin und sein geübtes Wächterauge bemerkte, wie sich die Gnomin gedankenverloren eine kleine Narbe auf ihrem rechten Oberarm rieb.
Er nahm sich die Akte und fing an zu blättern, wohl wissend, daß seine Partnerin viel zu neugierig war um noch viel länger vor sich hin zu knurren. Sie würde sich sehr schnell lieber auch dem Inhalt des Ordners zuwenden.

2 Stunden später, die Beiden hatten sich den Inhalt des Ordners zu Gemüte geführt und eigentlich nicht besonders viel daraus erfahren (der Bericht von Fidelio nahm 6 Seiten in Anspruch, allerdings nicht, weil er so furchtbar informativ war, sondern weil der Mann sich offensichtlich unheimlich gern selber reden hörte und der Diktierdämon genau mitgeschrieben hatte), standen die beiden Wächter in der Leichenhalle von Ankh-Morpork.
Befistor Tunichtgut, ein ehemaliger Obstverkäufer und nun eine ziemlich tote Leiche, lag aufgebahrt auf einem dicken Eichentisch. Tiefe Klauenspuren bedeckten seinen Körper und sein Gesicht machte den Eindruck, als hätte jemand versucht, mit Gewalt seine Augen an den Hinterkopf zu plazieren, und zwar, indem er die Abkürzung direkt durch den Kopf nahm.
Rascaal stand in der hinteren Ecke des Raums, die Lippen fest aufeinandergepreßt und der Teint präsentierte ein ungesundes Grün.
Venezia war auf den Tisch geklettert und stand mit in die Hüften gestemmten Händen direkt neben dem Kopf des Toten. Mit kritischem Blick fing sie an, neben dem Körper auf dem Tisch auf und ab zu gehen, um den Mann genauer zu untersuchen.
Nach etwa 10 Minuten wurde die Stille von einem Rascheln unterbrochen, das daher rührte, daß Venezia sich ein fettiges Würstchen aus einer Papiertüte zog und gedankenverloren anfing, daran zu knabbern.
Das reichte Rascaal; eine nicht besonders ansehnliche Leiche konnte er gerade noch mit viel Beherrschung verkraften, aber seine Partnerin, die daneben eins von Schnappers Würstchen futterte, das war auch dem stärksten Vampir zu viel. Hastig verließ er die Leichenhalle...

...und stieß prompt vor der Tür mit Haufen Hubert zusammen.
"Rascaal, was machst du denn hier?" fragte dieser sichtlich überrascht über die Anwesenheit des Vampirs.
Dieser holte draußen erst einmal tief Luft, und als sein Magen ein paar Minuten später nicht mehr wie wild Alarmstufe rot meldete, setzte er Haufen Hubert über den Vorfall und den Grund seiner Anwesenheit in Kenntnis.
"Hmmm, mein Lieber, das ist merkwürdig. Ich habe die Leiche zwar nicht gefunden, aber mein Kollege, Stapel Stan, erzählte mir, daß der Mann in der Sirupminenstraße, dort wo die Ankertaugasse beginnt, gefunden hat. Vielleicht solltet ihr euch da einmal umsehen."
Er nickte Rascaal noch einmal zu. "So mein Lieber, ich muß noch arbeiten, habe heute wieder viele Leichen abzuladen. Aber der Termin morgen in der Trommel steht?"
"Aber natürlich Hubert, vorausgesetzt, ich habe bis morgen diesen Fall gelöst, dann werde ich da sein", erwiderte der Vampir.
Die beiden verabschiedeten sich noch und Haufen Hubert verschwand in der Leichenhalle.
Wenige Minuten später verließ Venezia eben diese, in der Hand die Würstchenpapiertüte.
"Ras, sieh dir das mal an", sie wedelte mit der vor Fett triefenden Tüte vor Rascaals Kniescheibe rum. Trotzdem das Alarmbarometer seines Magens bei dem Geruch, der emporschwebte, sofort wieder ausschlug, nahm er die Gnomin hoch und setzte sie wieder auf seine Schulter. "Was ist das, Veni? Es stinkt nach Würstchen!"
Die Gnomin verdrehte die Augen. "Natürlich riecht es nach dem wunderbaren Aroma von Schnappers Würstchen. Das könnte daran liegen, daß es sich hierbei um eine Würstchentüte handelt. Aber ich meine den Inhalt. Der hat nämlich mit Würstchen nicht mehr viel zu tun."
Rascaal nahm die Tüte mit spitzen Fingern entgegen, hielt die Luft an (was ihm den Göttern sei Dank nicht besonders schwer fiel) und schaute skeptisch hinein. In der Tüte lag ein weißes Haarbüschel. Nun ja, es wäre zumindest weiß gewesen, wenn es nicht fast vollständig blutdurchtränkt gewesen wäre. Entsetzt blickte er seine Partnerin an. "Meinst du, das sind Valeriaas Haare?" Venezia legte die Stirn in Falten. "Wieviele weiße Werwölfe kennst du denn sonst noch? Auch wenn es mir schwerfällt, aber als gute Wächter müssen wir wohl erst einmal davon ausgehen, die Indizien sprechen für sich."
Rascaal seufzte. "Ich weiß jetzt übrigens, wo die Leiche gefunden wurde. Wir sollten uns da einmal umschauen", setzte er seine Kollegin in Kenntnis.
Und die Beiden machten sich auf den Weg zum Rand der Schatten.

"Es sieht fast so aus, als wenn jemand die Leiche hier für spätere Zwecke verstaut hätte", murmelte Rascaal.
Die beiden Wächter standen vor dem Verschlag, den Haufen Hubert dem Vampir beschrieben hatte. Ein paar Bretter waren gelöst, und in der Dunkelheit stank es nach gammeligem Fleisch und Blut.
Venezia konnte hier aufrecht stehen, Rascaal mußte auf allen Vieren hereinkriechen und war sehr darauf bedacht, nicht in irgendwelche schleimigen Rückstände Von dingen, die er eigentlich gar nicht so genau beschrieben bekommen wollte, hereinzufassen.
"Oh-oh!" ließ die Gnomin sich vernehmen, als sie mit ihrem Säbel in einigen Haufen herumstocherte. "Oh-oh?" fragte der Vampir, gespannt auf die Entdeckung, die seine Partnerin wohl gemacht haben könnte.
"Ja, Oh-oh. Ich meine, wenn der Werwolf die Leiche hier versteckt hat und nicht weiß, daß Stapel Stan sie gefunden hat, meinst du nicht, er könnte wiederkommen, um sie- wie auch immer- zu verwenden?" "Oh-oh!" setzte der Vampir an und wollte gerade noch etwas sagen, da wurde er von einem kehligen Knurren unterbrochen.
Vor dem Verschlag stand ein Werwolf. Ein Werwolf, den beide Wächter eindeutig als Valeriaa identifizierten.
Knurrend kam er auf den Bretterverschlag zu, an Flucht war nicht zu denken...

...dies ist eigentlich der Punkt, an dem eine Werbeunterbrechung folgen müßte...

...Knurrend kam er auf den Bretterverschlag zu, an Flucht war nicht zu denken. Venezia zückte ihren Säbel. Sie wußte, daß sie damit wohl kaum etwas gegen Valeriaa ausrichten konnte, aber wenn sie schon sterben mußte, dann wollte sie es ihrem Gegner so schwer wie möglich machen.
"Laß den Blödsinn!" zischte Rascaal. "Steck das blöde Ding weg und halt dich an meinen Schultern fest." Den Bruchteil einer Sekunde war die Gnomin verwirrt. Er würde doch nicht kampflos aufgeben wollen? Dann erhellte sich ihre Miene. Klar, warum hatte sie daran nicht früher gedacht? Schnell tat sie, was der Vampir ihr gesagt hatte.
Die Wölfin war inzwischen fast am Verschlag angekommen, die beiden Wächter konnten schon den Speichel von ihren Lefzen tropfen sehen....

Die Wölfin duckte sich, setzte zum Sprung an, stieß sich ab, öffnete das Maul... und ließ ihre Kiefer um Luft zuschnappen. Verwirrt ließ sie sich zu Boden sinken, sie war sich sicher, daß hier eben noch ein kleiner und ein großer Appetithappen gekauert hatten.
Eine große Fledermaus erhob sich über ihr in die Lüfte, auf ihr eine Gnomin, die sich den Schweiß von der Stirn wischte, war sie doch gerade dem Tod von der Schippe gesprungen.

Die Fledermaus gab sich offensichtlich größtmögliche Mühe, viel Raum zwischen sich und den Ort des Geschehens zu bringen.
"Ras, wo willst du hin?" schrie die Gnomin auf seinem Rücken. "Dreh um, verdammt noch mal! Wir müssen sie aufhalten, dreh sofort um!" Die Gnomin fing an, wie wild an seinen Flügeln zu zerren, was beinahe zu einem Absturz geführt hätte.
Der Instinkt sagte dem Vampir, daß er schnellstmöglich so weit wie möglich weg wollte, aber die Ehre sagte ihm, daß seine Partnerin Recht hatte. Man mußte Valeriaa aufhalten!
Geschickt flog er eine Kurve um einen Schornstein und flog zurück. Er wußte zwar nicht so ganz, was die Beiden schon ausrichten konnten, aber wenigstens im Auge behalten mußten sie die Wölfin.
Schon von Weitem konnten die Wächter das Tier heulen hören. Ras sauste die Sirupminenstraße entlang, und tatsächlich, dort saß sie auf der Straße und heulte den Vollmond an. Offensichtlich trauerte sie darum, daß man sie um ihr Abendessen gebracht hatte. Ras flog einmal in rasender Geschwindigkeit genau über sie weg... und merkte zu spät, daß das Gewicht auf seinem Rücken ganz plötzlich fehlte.
Das gab ihm einen ungewollten Auftrieb, und er segelte erst einmal über die Dächer davon, nicht in der Lage, seinen Flug zu steuern.

So schnell er konnte drehte er. Die verdammte Gnom würde doch nicht... sie konnte doch nicht wirklich..!
Ein Hausdach versperrte ihm noch die Sicht, aber er realisierte, daß das Heulen aufgehört hatte und durch ein Knurren einerseits und ein mehr als undamenhaftes Fluchen andererseits ersetzt wurde. Gut, seine Partnerin lebte also noch, im zerfleischten Zustand konnte man nicht so fluchen!
Dann sah er sie Beiden: Venezia hatte sich offensichtlich auf den Rücken des Tieres fallen lassen. Dort saß sie, schlug immer wieder mit dem Knauf ihres Säbels auf den Kopf und die Schnauze der Wölfin ein und schrie bei jedem Schlaf wüste Beleidigungen. Das Tier drehte sich im Kreis und versuchte, mit ihren Fängen die Quelle ihres Schmerzes zu erwischen, aber sie konnte sie nicht erreichen. Inzwischen taumelte sie schon, Sterne tanzten vor ihren Augen und es würde nicht mehr lange dauern, daß sie das Bewußtsein verlieren würde.
Ras war inzwischen schon fast wieder da. Plötzlich wurde ihm klar, was Venezia vorhatte: Sie wollte Valeriaa gar nicht töten, dafür würde sie die spitze Seite ihres Säbels benutzen. Sie wollte sie nur ausschalten, in die Ohnmacht prügeln. Und... verdammt noch mal... so wie es aussah, würde sie sogar Erfolg damit haben!!!

Dann passierte es! Venezia holte zu einem weiteren Schlag aus, doch die Wölfin geriet ins Straucheln. Die Gnomin konnte ihr Gleichgewicht nicht mehr halten und rutschte vom Rücken der Wölfin. Diese schnappte blitzschnell zu und erwischte Venezia am Bein.
Ein schmerzerfüllter Schrei war alles, was Ras noch hörte, bevor er rot sah. Venezia! Dieses verdammte Mistvieh hatte Venezia gebissen!!!
Ras gab einen Ton von sich, den das menschliche Gehör zwar nicht wahrnehmen konnte, der aber an diesem Abend für einen kurzen Augenblick von Himmel regnende Fledermäuse, welche die Orientierung verloren hatten, erklärte. Auch Valeriaa war von diesem Schrei betroffen, Blut floß aus ihren Ohren und sie heulte auf. Dann schoß etwas auf die Wölfin zu, etwas, was aussah, wie eine schwarze Kanonenkugel. Es traf sie genau an der Seite. Es war nicht groß und bestimmt nicht besonders schwer, aber die Wucht des Aufpralls schleuderte sie gegen die nächste Wand, wo sie gnädigerweise das Bewußtsein verlor.
Auch der kleinen schwarzen Kanonenkugel namens Rascaal wurde schwarz vor Augen, der Aufprall war zu hart, als daß er sich dagegen hätte wehren können...

..."Ras? Ras, geht es dir gut?" Der Vampir (nachdem er in Ohnmacht gefallen war, hatte er sich -wohl wegen des Schocks oder so etwas- wieder in seine menschliche Gestalt verwandelt.) schlug die Augen auf. Verschwommen konnte er Venezia wahrnehmen, die sich über ihn beugte. "Was..? Wo..? Sind wir tot, sind wir im Paradies?" Verwirrt blickte er sich um, alles in seinem Kopf drehte sich.
"Nein, wir sind nicht tot", die Gnomin schüttelte den Kopf. "Naja, ich bin zumindest nicht tot, aber bei dir ist das ja der Normalzustand. Und wenn das hier das Paradies ist, dann will ich auch bitte niemals sterben!"
So langsam erinnerte der Vampir sich wieder. Und jetzt, wo sich sein Blickfeld wieder etwas klärte, konnte er auch feststellen, daß er sich immer noch in der Sirupminenstraße befand.
"AAAAARGH!!!!" schrie er auf und sprang auf die Beine. "Wo ist sie? Wo verdammt nochmal ist sie???" Hektisch drehte er sich im Kreis und blickte sich um.
"Sie liegt da drüben, sie ist ohnmächtig. Und... sie hat sich zurückverwandelt, es ist... tatsächlich Valeriaa." Betroffen blickte die Gnomin zu Boden.
"Veni? Venezia! Geht es dir gut?!?" Der Vampir beugte sich voller Sorge zu der Gnomin herunter.
"Naja, sie hat mich erwischt, aber es ist nur ein Kratzer. Also alles in Ordnung."
"...alles in Ordnung", murmelte der Vampir und sein Blick glitt sorgenvoll zwischen Venezias blutendem Bein, Valeriaa und dem Vollmond über der Stadt hin und her. "...alles in Ordnung..!" Der Vampir schüttelte sich. "Wir müssen zur Wache. Sofort, bevor sie erwacht und bevor du... ich mein, bevor sie erwacht..."
Verdammt, das konnte doch nicht... sie würde doch nicht... seine Veni... ein Werwolf?!? Er wollte gar nicht drüber nachdenken!
Schnell hob er Venezia auf seine eine Schulter, schmiß sich Valeriaa (deren Gesicht übrigens aussah, wie eine rot angemalte Kraterlandschaft, Venezia hatte ganze Arbeit geleistet) über die andere und bewegte sich im Eiltempo zum Pseudopolisplatz in die Wache.

Kurze Zeit später, unten im Keller bei den Zellen:
"Venezia, würdest du bitte gucken, ob die Zelle da vorne frei ist?" Rascaal setzte die Gnomin auf dem Boden und öffnete die Zellentür. "Klar doch, kein Problem" sagte diese und humpelte in die Zelle. Der Vollmond beleuchtete durch das Fenster den Raum, so daß es sehr leicht war, zu sagen, ob dort jemand war. "Alles klar, hier ist niemand dr..." fing die Gnomin an, wurde jedoch unterbrochen von der ins Schloß fallenden Zellentür. "Ras? Ras, das ist nicht witzig. Mach die Tür auf." Die Gnomin wartete, doch nichts passierte. "Ras? RAS!?! Du verdammter! Laß mich raus! Verflucht und Verdammt! Laß mich sofort raus hier!" Die Gnomin fing an zu toben. "Wenn du mich nicht sofort rausläßt, dann... dann breche ich dir das Genick, dann drehe ich dir den Kopf einmal um, daß du deinen toten Arsch siehst, und dann halte ich ihn fest, bis er wieder festgewachsen ist! Dann kannst du dir immer dein Hinterteil ansehen, und dann hoffe ich, daß du jeden verdammten Laternenmast in dieser verdammten Stadt anrempelst, weil du ihn nicht siehst! Verflucht! Verdammt! Mach die beschissene Tür auf! Mach..."
Das Gezeter aus der Zelle nahm kein Ende. Traurig schüttelte der Vampir den Kopf. Wenn sie wirklich zu einem Werwolf geworden war, dann....
Schnell sperrte er Valeriaa in eine der anderen Zellen und schlurfte die Treppe hoch. Müde setzte er sich an den Schreibtisch in der Empfangshalle und genehmigte sich einen Kaffee. Von hier oben war es zwar leiser, aber er konnte die Gnomin immer noch heftig fluchen hören. Es tat ihm leid, es tat ihm sooo leid, aber was sollte er denn tun? Tat er das Richtige? Warum nur war keiner hier, der ihm sagen konnte, was er tun sollte!
"Wasn hier los?"
Ras zuckte herum. Auf der Treppe stand ein nicht wirklich ausgeschlafener Lewton, das Hemd nur halb in die Hose gesteckt, beide Schnürsenkel offen und die Haare (die bei Vollmond immer ganz besonders sprossen) wild um den Kopf verteilt.
"Lewton! Den Göttern sei Dank, Lewton!!!" Der Vampir sprang auf, und den Tränen nahe, begann er schluchzend wie ein Wasserfall von vorne bis hinten zu erzählen.

"Venezia, beruhige dich doch!" Lewton stand vor der Zellentür und redete beruhigend auf die Gnomin ein.
"Ich WILL mich aber nicht beruhigen! Dieser verdammte Knollensauger, Dieser verfluchte Flattermann! Wenn er nicht sofort...." wieder drang eine Schimpftriade aus der Zelle.
Lewton wandte sich Rascaal zu. "Also, ich verstehe zwar nicht warum, aber sie ist definitiv kein Werwolf. So wie sie sich aufregt und das auch noch bei Vollmond, hätte sie sich schon lange verwandeln müssen. Also ich werde sie jetzt rauslassen. Allerdings denke ich, es wäre besser, wenn du dich nicht hier befindest, wenn sie da raus kommt. Laß sie ich erst mal wieder beruhigen und mich ihr die Situation erklären. Geh ein bißchen frische Luft schnappen."
Wortlos nickte Rascaal und verschwand die Treppe rauf.
Vorsichtig öffnete Lewton die Tür.... und wurde sehr unschön gegen die Wand gequetscht, als die Gnomin sie ganz aufstieß. Mit irrem Gesichtsausdruck und schwer atmend stand sie im Zellenflur. "Wo ist er? Wo verdammt nochmal ist er?!?"
"Öhm, Veni?" fragte Lewton und schälte sich erst einmal von der Wand. "Bleib mal ruhig, laß mich erklären!"
Eigentlich wollte die Gnomin gleich wieder ansetzen, aber sie war von den Ereignissen heute Nacht und vor Allem von dem Kampf mit Valeriaa so fertig, daß sie erst mal wieder zu Atem kommen mußte.
Lewton nutzte die Gelegenheit und sprach ohne Punkt und Komma: "Hör zu es ist so Ras hatte Angst daß Valeriaa dich bei ihrem Biß mit Lykantropie angesteckt hat und weil heute Vollmond ist und weil frische Werwölfe ihre Verwandlung nicht kontrollieren können und so weiter und so fort hielt er es für sicherer dich einzusperren damit du nicht irgendwelchen Mist anstellst und es dir hinterher Leid tut und du womöglich jemanden umbringst und so und ja das war es eigentlich."
Nachdenklich nickte Venezia. "Ja, gut. Ich glaub, ich hab mich wieder beruhigt. In Ordnung."
Dann blickte sie Lewton erschrocken an. "Soll das etwa heißen, ich bin ein verdammter WERWOLF?!?"
"Öhm, nein. Frag mich nicht warum, aber irgendwie nicht. Na komm, laß uns hochgehen."

Die Beiden saßen oben, tranken einen Kaffee nach dem Nächsten und Lewton beantwortete Venezia geduldig ihre Fragen über Lykantropie und versicherte ihr immer wieder, daß sie sich nicht angesteckt hatte, als plötzlich die Tür aufflog.
Im Türrahmen stand Ras, weiß wie die Wand und mit einem Gesichtsausdruck, als sei ihm ein Geist begegnet.
"Wa... Wa... Valeriaa.... kommt.... da!" wild fuchtelte er mit einem Arm in Richtung Straße. "Ist... da... kommt!"
Venezia war aufgesprungen, stand nun mit gezücktem Säbel auf dem Schreibtisch. Lewton zog Ras hinter den Tisch und bezog Stellung.
Keine Minute später wurde die Tür geöffnet und eine unverletzte und unverbeulte Valeriaa betrat den Raum. "Morgen!" flötete sie und wollte in die Umkleide gehen, als Venezia sie anschnauzte. "Was machst du hier und wie kommst du hier her? Und rühr dich gefälligst nicht von der Stelle!"
Verwirrt blieb die Wächterin stehen und blickte die Gnomin fragend an. "Was ich hier mache? Ich hab Frühdienst. Uns wie ich hierher komme? Na, ich bin zu Hause aufgestanden und bin über die Messingbrücke hierhergelaufen. Wieso, stimmt was nicht?"
"Mitkommen! Fuhr die Gnomin in rauhem Tonfall fort, sprang vom Schreibtisch und verschwand in Richtung der Zellen. Verwirrt aber doch neugierig folgte Valeriaa ihr.

Valeriaa, also die andere Valeriaa in der Zelle war inzwischen erwacht und starrte finster vor sich hin. Wie konnte das nur passieren? Sie hatte sich von einer Gnomin und von einem verdammten Vampir überwältigen lassen. Grob wurde sie aus ihren Gedanken gerissen, als sich die Tür zu den Zellen öffnete.
Valeriaa trat zusammen mit Venezia in den Kerker, und nach einem kurzen Blick in die Zelle erstarrte ihre Miene. Blechern wandte sie sich Venezia zu. "Läßt du mich bitte für einen kurzen Augenblick mit ihr allein?"
Venezia hätte gerne widersprochen, aber etwas in Valeriaas Gesichtszügen verriet ihr, daß es wohl besser war.

Eine halbe Stunde später, die drei anderen Wächter warteten schon gespannt auf das Wiedererscheinen von Valeriaa, öffnete sich die Kellertür tatsächlich. Valeriaa stapfte energisch raus, nahm sich einen Kaffee und setzte sich zu den Anderen.
"Gut Leute. Wie ihr ja sicher schon festgestellt habt, bin das in der Zelle nicht ich. Habt ihr euch nie gefragt, warum ich Valeriaa mit zwei a heiße? Das liegt daran, daß ich die Erstgeborene von zwei Schwestern bin. Zwillingen, um genau zu sein. Und weil meine Eltern noch nie besonders kreativ waren, bin ich Valeriaa und das in der Zelle ist Valeriab. Sie ist kein Humanist wie ich es bin, sie folgt eher dem Uberwalder Standart, daß die Werwölfe über die Menschen herrschen sollten und daß Menschen nur Vieh sind. So, das war's, Ende der Geschichte. Entschuldigt mich bitte, ich gehe in mein Büro!" Valeriaa erhob sich und verschwand die Treppe hoch.
Nachdenklich saßen die drei anderen da. Aus den Augenwinkeln beobachtete Rascaal, wie Venezia sich wieder gedankenverloren die kleine Narbe auf dem rechten Oberarm rieb. Jetzt hielt er es nicht mehr aus, die Neugierde war zu stark: "Veni, woher stammt eigentlich die Narbe da?" Venezia zuckte zusammen, war sie doch gerade in Gedanken gewesen. "Was? Oh... die." Sie zuckte mit den Schultern. "Ach, die ist von Lewton, das war die Sache mit dem B-Wort. Da wäre ich beinahe Amok gelaufen hier, und er hielt es für besser, mich rauszubringen, also hat er mich gepackt. Aber er hat wohl etwas zu fest zugebissen, er war ja selber wegen der B-Sache betroffen, so daß er sich wohl nicht ganz unter Kontrolle hatte. Aber das ist nur ein kleiner Kratzer, nicht weiter schlimm. Ihr wißt doch, Kampfnarben sind Ehrennarben. Aber ich geh nun nach Hause. Feierabend! Bis nachher."
Die Gnomin sprang vom Tisch, zuckte noch einmal zusammen, als sie auf dem verletzten Bein aufkam und verschwand durch die Luke in der Tür.
Rascaal blickte Lewton an, der den Blick erschrocken erwiderte. Dann starrten sie der Gnomin nachdenklich hinterher....



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