Diese winzige Single soll den ersten Schritt zur Wachezeitung symbolisieren, denn so wie, stellvertretend, Braggasch geht es sicherlich einigen Wächtern. Es wird sich zeigen.
Dafür vergebene Note: 10
Wenn er Geschichten erzählte, weilte er in einer anderen Welt.
Dann erschien er den Zuhörern wie ein neues Wesen.
Tief in Gedanken vergraben war er erst wirklich frei.
Geboren von Feuer und Eisen. Tief im Schlund der Erde. Ein Zwerg.
Von den Göttern beschenkt, von den Urkräften durchflutet, vom Schicksal erwählt.
Seine Anverwandten erzogen ihn zu Ehrlichkeit und Bescheidenheit, zu Reinheit und Treue, denn einem Jeden der Goldwartsippe lagen diese Eigenschaften im Blut.
Er wuchs, zum Stolz seiner Eltern. Er rettete und veränderte Leben. Verhinderte Stolleneinstürze. Vertrieb Feinde. War ein Held.
Doch trotz all der Anerkennung, trotz dem Flehen seiner Sippe fühlte der Zwerg mit den unglaublichen Kräften, dass seine Zukunft nicht unter der heimischen Erde lag.
So brach er auf. Folgte seinem Gefühl und wanderte in Richtung der großen Stadt. Dem Schmelztiegel. Dem Ort, der Helden wirklich dringend brauchte.
Die Kohlfelder zogen vorbei wie blinde Wesen, die nur den Kopf aus der Erde streckten, um einen Hauch des zarten Sonnenscheins zu erhaschen, der die Welt in diesem ausklingenden Winter bedeckte. Und näher, immer näher kam das große Insektennest. Bis hierher konnte der Zwerg das steige Brummen hören, die Bewegung, die Hektik, das viele Leben, welches gelebt wurde, ohne nach rechts und nach links zu sehen. Es roch nach üblen Machenschaften, nach Untreue, nach Aberglaube und nach Egoismus.
Das Portal ragte vor dem Helden auf. Ein gewaltiges Maul in dem Kiefer der rauen Granitbrocken, die eine Stadtmauer bildeten. Dunkle, misstrauische Augen starrten ihm entgegen, doch keiner hielt ihn auf, als er mit festen Schritt durch das Tor trat.
Gerechtigkeit bildete einen glänzenden Panzer um seinen Körper.
Braggasch Goldwart würde diesem Sündenpfuhl in seiner Ruchlosigkeit Einhalt gebieten.
Doch die Schurken waren hier zahllos wie Heuschrecken, die das satte Korn der hart und ehrlich arbeitenden Bevölkerung abfraßen und nur den Stiel übrig ließen. Alleine würde selbst er nicht damit fertig werden - doch auch andere vor ihm hatten den Ruf vernommen: Wackere Helden im Kampf gegen die Umtriebe der Gesellschaft. Der Zwerg wusste, dass sie ihren Weg hierher gefunden hatten, eine Gruppierung eingerichtet hatten, es konnte nicht anders sein.
Und so begab er sich auf die Suche. Er durchstreifte drei Tage und drei Nächte die Straßen der Stadt und schließlich, am morgen des vierten Tages, fand er sie.
Sie hatten viele Namen. Manche der Bürger aus weiter entfernten Staaten riefen sie: The fantastic ninety-five. Andere sprachen von den W-Men. Wieder andere von der "nearly justice league".
Doch von den meisten Bewohnern wurden sie schlicht als die Liga der außergewöhnlichen Außergewöhnlichen bezeichnet.An dieser Stelle konnte Menélaos nicht mehr an sich halten. Brüllend vor Lachen ließ er die flache Hand auf den Kneipentisch herabsausen. Tränen der Freude standen in seinen Augen und der starke Duft von frisch gebackenen Kuchen strömte ihm aus jeder Pore.
Auch Sebulon und Jargon schlossen sich dem Gelächter an.
Schließlich stieß der ehemalige Konditor schnaubend hervor: "Ehrlich, Brag... Ich kann nicht mehr... Liga der außergewöhnlichen Außergewöhnlichen? ... Wie kommst du auf so einen Blödsinn?"
Burkhards Sohn sah peinlich berührt zu Boden. "Ich, äh, weiß nicht. Es kommt mir einfach wenn ich... äh... erzähle."
"Meinst du nicht das ganze ist ein wenig zu... pathetisch?", neckte ihn sein Freund Sebulon grinsend.
"Also ich find's super!", schaltete sich Jargon ein. "Halt so richtig heldenhaft und so."
Samax Sohn zwinkerte dem jüngsten aus ihrer Runde zu. "Das steht außer Frage."
Menélaos Schmelz nahm einen großen Zug von seinem Bier und forderte dann mit einer Handbewegung: "Tut mir leid, das ich dich unterbrochen habe, bitte, erzähl weiter!"
Erfolglos versuchte Braggasch, seinen Bart zu glätten, als er fortfuhr. "Also..."
Der junge Goldwart betrat das verborgene Kellergewölbe und sah sich sofort von einer Vielzahl seltsamer Gestalten umstellt. Große und Kleine jeder Rasse und Farbe, Kultur und Einstellung.
So stark sie auch waren, so groß war ihre Furcht vor Entdeckung, denn das große Böse der Stadt würde jede Information nutzen, um sie zu zerschmettern. Doch sie spürten die Macht, die von dem Zwerg ausging, die stählernen Knochen, Blut, dass Lava gleich durch die Adern strömte, Muskeln, gewaltig wie Felsen und unaufhaltsam wie Plattentektonik.
"Wer bist du?", fragte eine.
"Braggasch Goldwart ist mein Name.", antwortete der Held.
Großes Gemurmel brandete auf, bis die Sprecherin die Hände hob. "Und was willst du hier?"
"Ich bin gekommen, um die Stadt von allem Übel zu befreien."
Sekundenlang war es totenstill in den versteckten Hallen.Burkhards Sohn nutzte die kleine Pause, um einen ausgiebigen Schluck Bier zu nehmen. Die anderen schwiegen erwartungsvoll.
Dann begannen alle Wesen schallend zu lachen. Der Zwerg aber stand, wie die Berge, aus denen er gekommen war, reglos
und wartete der Dinge, die da folgen mögen.
"Ich fürchte, du bist hier falsch.", entgegnete die Frau.
"Warum?"
"Wir sind Realisten."
Braggasch bedachte die Frau, die anscheinend alle Hoffnung verloren hatte, mit einem mitleidigen Blick.
"Sag mir deinen Namen.", forderte er sanft.
"Kanndra Mambosamba nennt man mich. Meines Zeichens Voodoopriesterin."
"Was ist deine Aufgabe, Tochter der fernen Hexerei?", entgegnete Goldwarts Spross.
"Ich kümmere mich um die Neuen.", sprach sie.
Der Zwerg hob die Arme.
"Sieh in die Sterne, Kanndra Mambosamba. Schließ die Augen und sieh in die Sterne, ich weiß, du kannst es."
Zuerst schien es, als wolle die Frau sich seinen Worten widersetzten, doch dann tat sie, wie geheißen. Und siehe da - ihr entglitten die Gesichtszüge, als sie erblickte, wessen sie nie zu hoffen gewagt hätte.
"Siehst du den neuen Stern, Kanndra Mambosamba?", wollte Braggasch nun wissen. "Den neuen Stern, der heller brennt als alle um ihn herum?"
Sie nickte.
"So leih deine Gabe jenen um dir. Du bist stark. Ich werde dir helfen."
Mit diesen Worten führte der Ehrenwerte ihre Hand, bis sie die Stirn des Nachbarn berührte.
"Schließ auch du die Augen", befahl der junge Sohn Burkhards. "Schließ die Augen und sieh. Dann gib es weiter an jenen neben dir."
Und so ging es herum. Ein jeder begehrte den Stern zu sehen und niemand ward enttäuscht. So schien es, als würde die Kraft des neuen Sterns auf sie überspringen und ihre eigenen Sterne zu hellerem strahlen anregen.
Manche liefen und erzählten es anderen, bald war die ganze Stadt erfüllt von seinem leuchten.
"Du bist der, auf den wir gewartet haben.", rief Kanndra Mambosamba aus. "Du bist unser Mess-"Jetzt hör aber auf, Brag.", unterbrach ihn Sebulon mürrisch.
Sein Freund schien aus einem Traum zu erwachen. "Äh... wa... äh... was?"
"Du hörst dich schon an wie die albernen Priester dieser menschlichen Tempel."
"Lass ihn doch weitererzählen!", fuhr Jargon den Püschologen an.
Samax Sohn hob einen Finger. "Hör zu, Schneidgut. Er ist ein Zwerg. Zwerge haben keine Götter und erst recht keine Messiasse. Wenn er sich selbst in einer erfundenen Geschichte als solchen beschreibt, und dabei auch noch derart in Trance gerät, könnte das äußerst gefährlich für seine Püsche sein, verstehst du?"
Der Rechtsexperte i.A. murmelte etwas, was starke Ähnlichkeit mit: "Als ob bei ihm noch viel kaputt gehen könnte..." hatte, doch der junge Mann war schlau genug um es nicht laut zu sagen.
Braggasch vergrub sich indes voller Peinlichkeit in seinem Bierkrug.
"Mach dir nix draus, Brag, es war eine schöne Geschichte. Ich könnte mir so was nicht wie aus der Sahnetube geschossen ausdenken. Du hast es nur vielleicht ein bisschen übertrieben..."
"Genau, das Ding war richtig schön, vielleicht solltest du so was öfters machen?"
Der blonde Zwerg erschauderte. "Bloß nicht, äh, hinterher wollen dann noch ganz viele zuhören."
"Na und?"
Goldwart schüttelte den Kopf. "Nein, äh, nein. Ich bin nicht dafür geschaffen, äh, vor Publikum zu reden."
"Aber Jargon hat recht.", nahm Sebulon den Faden wieder auf. "An sich wäre es schade, diese Begabung zu vergeuden. Vielleicht solltest du anfangen, Geschichten zu schreiben?"
"Und, äh, für wen?"
"Es gibt die Schreibergilde."
Wieder verneinte der Späher. "Wir... äh... dürfen doch in keine Gilde, das weißt du besser als ich."
"Stimmt." Nachdenklich zwirbelte der Püschologe seinen Bart.
Es verstrichen einige Sekunden, in denen die Vier still ihre Biere schlabberten.
"Äh... ich hatte so gute Ideen.", murmelte Braggasch unvermittelt. "Ich wollte alle zu Superhelden machen. Oberfeldwebel Tut'Wee, äh, hätte zum Beispiel alle seine Bandagen, äh, abwickeln und als zusätzliche Arme gebrauchen können... äh... und der Kommandeur wäre unheimlich schnell gewesen, äh, und Harry hätte mit seinen Gedanken Dinge bewegen können und Glum wäre, äh, geflogen, und, äh, du, Jargon hättest Illusionen erstellen können, und Sebulon wäre ein, äh, Supererfinder gewesen, der, äh, ein Haus mit Beinen gebaut hätte, und du, Menélaos, wärst ein riesiges Pfefferkuchenmännchen gewesen-"
"Vielleicht ist es doch ganz gut, das du nicht zuende erzählt hast.", unterbrach der ehemalige Konditor ihn.
Sebulon, der nur mit Mühe einen Lachanfall zurückhalten konnte, stand auf und keuchte: "Ich hole mal den Wirt, wir sollten noch einen trinken."
Goldwart stützte sich mürrisch mit den Armen auf den Tisch. "Es wäre, äh,
gut geworden. Irgendwann finde ich eine Möglichkeit, die Geschichten zu veröffentlichen."
"Bestimmt.", nickte Jargon eifrig. "Aber jetzt: trinken wir erst mal. Ich wette, wir haben alle morgen genug zu tun."
"Wohl war, wohl war."
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