Alles Narretei!

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von Obergefreiter Braggasch Goldwart (FROG)
Online seit 28. 01. 2009
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 Außerdem kommt vor: Hatscha al Nasa

Ermittlungen anderer Abteilungen haben ein wichtiges Beweisstück in der Narrengilde identifiziert.
Leider hüten die Clowns es wie ihren Augapfel.
Der Kommandeur befiehlt F.R.O.G. die Beschaffung dieses Beweisstückes.

Dafür vergebene Note: 11

"Damit fängst du an, Braggasch Burkhardtssohn Goldwart: Wir haben von Bregs die Anweisung, ein solches Gebiss aus der Narrengilde zu holen. Der Auftrag liegt schon eine ganze Weile auf der Ablage, weil niemand, wie Bregs es ausdrückte: 'die Äkschpertiehse hat, um den Dschob durchzuziehen'. Ich denke, du bist geeignet. Such dir einen Experten in Verkleidungsangelegenheiten, informiere dich bei DOG - und dann viel Glück... Späher Braggasch." [1]

*

Sein erster Auftrag als ausgebildeter Späher. Das musste einfach gut laufen. Braggasch wusste, dass man ihn belächelte. Außer seinen Freunden und Mitrekruten Sebulon, Menélaos und Jargon gab es wohl niemanden in der Wache, der ihn für einen fähigen Wächter hielt, und er konnte es ihnen nicht einmal verdenken. Groß und dürr, mit den zerzausten hellblonden Haaren sah er mehr wie ein unförmiger Wischmopp als wie ein Zwerg aus. Dazu die helle Stimme und das Äh-Problem. Kein Wunder, dass ihn sein erster Auftrag in die Narrengilde führte - dort würde er nicht einmal auffallen. Das bedeutete es also, wenn die Vorgesetzten von Äkschpertiehse sprachen.
Braggaschs gute Laune verflog mit jedem Gedanken mehr und mehr. Seine Schritte verlangsamten sich.
Wenn das alles nur eine Taktik war, um ihn auf die Reservebank zu schieben?
Er konnte die Worte förmlich hören:
"Und was machen wir mit Gefreitem Goldwart?"
"Goldwart?"
"Ja, du weißt schon, der Kerl... ich glaube er ist ein Zwerg, der ständig behauptet, er sei ein Vampir."
"Oh nein! Meinst du den, der auf dem Friedhof eine Massenpanik auslöste, indem er den Kronleuchter von der Decke schoss?"
"Ja, genau der. Der überall einbricht."
"... Und dann behauptet, es wäre nur Einbrechen, wenn man etwas mitnimmt, ich erinnere mich. Hat der nicht mal Harry eingeschlossen?"
"Richtig, er kippte einen Schrank vor die Tür, glaube ich."
"Haben wir keinen Auftrag, der lange dauert und für so jemanden geeignet ist?"
"Wir hätten da die Sache mit dem Holzgebiss bei den Narren."
"Perfekt! Das dürfte ihn einige Zeit beschäftigen!"
Braggasch schüttelte sich, um die eingebildeten Worte zu vertreiben. Das war doch Blödsinn! Aus welchen Gründen auch immer Kanndra ihm diese Mission gegeben hatte, er würde die Sache verdammt noch mal so durchziehen, dass jeder sehen konnte, was für ein wertvolles Mitglied er für die Stadtwache war!
Von sich selbst unbemerkt war der Späher stehen geblieben, als seine Grübeleien allzu tiefgreifend wurden. Ein Rekrut, dessen Namen er nicht einmal kannte - ein Zwerg mit schwarzem, geflochtenen Bart - eilte vorbei und nickte ihm kurz höflich zu, bevor er um die nächste Ecke verschwand.
Erst als der Andere lange verschwunden war, kam Goldwart auf die Idee, zurück zu nicken. War das Ironie? Hat er mich nur verhohnepiepelt? Kursierten schon Geschichten über mich?, ging es ihm durch den Kopf. Kurz darauf schalt er sich einen Idioten. Der Rekrut war nur freundlich gewesen.
Langsam setzte sich Braggasch wieder in Bewegung. Um sich abzulenken, richtete er seine Gedanken auf den Fall: Wo sollte er anfangen? Dem Kommandeur musste er nicht Bescheid geben, darum hatte sich sicher Kanndra gekümmert, als letzte Amtshandlung sozusagen. Er musste sich noch ein passendes Kostüm besorgen, und er wusste auch schon, wer ihm dabei helfen konnte, außerdem sollte er sich den Fall des Gebisses durchlesen und des weiteren sprossen ganz eigene Pläne im Hirn des Spähers, auch hierzu wusste er schon den passenden Ansprechpartner, doch vorerst galt es sich über die Narrengilde zu informieren - sein Weg würde ihn also zu DOG führen.

*

Es dauerte eine Weile, bis der Zwerg jemanden gefunden hatte, der ihm bereitwillig den Weg zur Boucherie Rouge gewiesen hatte, und dann noch einmal einen nicht unbedeutenden Zeitabschnitt, bis man ihn aufgeklärt hatte, dass es momentan niemanden gab, der nur für die Narrengilde zuständig war. Aus diesem Grund schickte man ihn zu einer Tür in unbestimmtem Blauton, an der ungeschickt eine Holzplakette mit der Aufschrift 'Dobermann/div' befestigt worden war.
Aus reiner Spähergewohnheit legte Braggasch sein Ohr an das farbige Holz. Aus dem Raum war eine weibliche Stimme zu hören - sie schien etwas zu diktieren, denn ihre Sätze waren ebenso durch längere Pausen, wie durch gelegentliches Schniefen unterbrochen.
Völlig lautlos öffnete er die Tür. Das Zimmer bestand größtenteils aus einer großen Menge Akten, die in großen Wandschränken lagerten. Ein Schreibtisch stand in der Mitte, an ihm saß eine blasse Frau, in deren roten Haare eine orangefarbene Blüte steckte. Sie hatte die Zungenspitze zwischen die Lippen geklemmt und schrieb die Worte auf, die von einer anderen, schwarzhaarigen Frau, die mit dem Rücken zur Tür saß, abgelesen wurden. Hin und wieder schien die Schwarzhaarige dem Vorgelesenen etwas hinzuzufügen.
Braggasch stand unsicher an der Tür und trat von ein Bein aufs andere. Wie konnte er sich bemerkbar machen, ohne unhöflich zu wirken?
Satzbruchstücke wie 'jüngste Verluste', 'tragischer Unfall' und 'nach eigenen Aussagen dem verzweifelten Kampf gegen die Dummheit' schwebten durch die Luft.
Schließlich traf Goldwart eine Entscheidung und räusperte sich leise.
Erschrocken blickte die Rothaarige auf, während ihre Kollegin sich eher verärgert umwandte.
"Ja?", fragte sie barsch.
"Äh... Braggasch Goldwart, Späher in A...- Späher.", stellte sich der Zwerg vor. "Bist du Hatscha al Nasa?"
Statt zu antworten hob die Frau die Hand. Kurz verzog sich ihr Gesicht, bevor sie beeindruckend nieste. "Sieht so aus.", schniefte Hatscha und kramte ein Taschentuch hervor. "Was willst du?"
"Ich, äh, bräuchte Hilfe bei einem Fall."
"Ach?" Die Dobermann stand auf, sie war erstaunlich klein. "Und dafür schleichst du dich in mein Büro hinein? Wie konntest du überhaupt so leise die Tür öffnen? Normalerweise knarrt sie."
Der Späher zuckte mit den Schultern. Warum können Fische schwimmen, Vögel fliegen und Menschen seltsame Fragen stellen?
"Mit Türen komme ich, äh, gut zurecht.", antwortete er schlicht.
Hatscha sah ihn mit gerunzelter Stirn an. "Ich will dich nicht beleidigen, aber bist du dumm oder so?"
"Was?"
"Ich meine, wegen diesem Äh-Blödsinn."
Braggasch lief rot an und sah zu Boden. Undeutlich nuschelte er: "Ich... arbeite daran."
Die Chief-Korporal bedachte den Zwerg mit einem ungläubigen Blick, zuckte dann allerdings mit den Schultern. "Was kann ich für dich tun?"
"Äh... Ich bräuchte Informationen zur... Narrengilde."
Hatscha sah zu ihrer Kollegin, die stieß ein lautes Lachen aus.
"Habe ich etwas, äh, dummes gesagt?"
Die Belustigte beruhigte sich zwanghaft und erklärte: "Ich bin Dalja Blecher und noch in der Ausbildung. Das erste was man lernt ist: Du wirst es niemals schaffen alle Informationen zur Assasinen-, Diebes-, Kaufmanns- und vor allem Narrengilde zu sammeln und zu sichten. Weißt du, wie hoch deren Mitgliederverschleiß ist? Man könnte ebenso gut versuchen, Wasser mit der hohlen Hand durch die Stadt zu transportieren."
Der Späher zuckte mit den Schultern. "Um das Wasser zu transportieren bräuchte man nur eine gute klebende, fetthaltige Paste, die man sich vorher auf die Hände streicht, wie Waffenfett zum Beispiel, dann dürfte das kein Problem sein."
"Na gut, dann sagen wir es so: Du könntest auch versuchen, mit einem prallen Geldbeutel durch die Schatten zu laufen.", erwiderte die Dobermann in Ausbildung nach einem kurzen Blick auf ihre Ausbilderin.
"Wenn man eine, äh, große Waffe hat, sollte das eigentlich kein Problem-"
"Es ist nicht möglich, okey?", unterbrach ihn Dalja.
Braggasch zögerte. "Gut. Äh. Was könnt ihr mir denn sagen?"
Mit einem Schmunzeln trat Hatscha an eines der Regale und zog mit Mühe einen Ordner hervor, der die Ausmaße einer Gemüsekiste hatte. Goldwart wäre unter dem Gewicht beinahe zusammengebrochen, als sie ihm das Schriftstück in die Hand drückte.
"Das ist eine Zusammenfassung. Viel Vergnügen."
Goldwart starrte wortlos auf den Haufen Papier.
"Ach, und noch was:", fuhr Hatscha fort. "Die Gilde der Spaßmacher macht uns in letzter Zeit ziemlich viele Sorgen. Irgendetwas geht da vor, aber wir wissen nicht, was es ist, sei also vorsichtig!"

*

Genauer Name:Gilde der Narren und Witzbolde, Schule der Clowns
Motto:dico, dico, dico
Gildenhaus:Ecke Gottesstraße und Entgegengesetzter Breiter Weg
Leiter:Herr Weißgesicht
Gründung:1567 von Willibert Worthspiel
Sehenswürdigkeiten:Die rote Nase, das Gildenmuseum, die Dornenkammer, der Ring, das Büro des Spaßes und der Saal der Gesichter
Ausbildungen:Narren, Witzbolde, Blödmänner, Possenreißer und Pantomimen

Braggasch legte das schmale, irgendwie offiziell wirkende Blatt zurück in den Ordner und rieb sich die Augen. Hier kam er nicht weiter, das war Zeitverschwendung! Wie hatte er annehmen könne, das ihm die Informationen irgendwie helfen sollten? Allein die kleine Gebäudezeichnung auf der Rückseite wirkte sinnvoll, obwohl sich der Zwerg sicher war, das diese nur einen Teil der Anlage enthüllte. Es schien früher einmal ein Kloster gewesen zu sein...
Seufzend stand Burkhards Sohn auf. Es war an der Zeit, sich endlich wichtige Informationen zu beschaffen!

*

"Gürtel?"
Sebulon zuckte sichtlich zusammen, der Kneifinsbein rutschte aus seinen Fingern und fiel klirrend zu Boden. Als er aufsah, sah er in das besorgte, blondumlockte Gesicht seines Freundes.
"Brag! Was soll das? Willst du mich zu Tode erschrecken?"
"Tut mir, äh, leid, Sebu, aber deine Tür stand offen."
"Stand sie nicht."
Ein schuldbewusster Ausdruck huschte über Braggaschs Gesicht. "Äh..."
Samax Sohn stöhnte und hob sein Werkzeug wieder auf.
"Woran arbeitest du, äh, da?", versuchte der Späher das Thema zu wechseln.
"Erkennst du es nicht?"
Goldwart betrachtete den großen, grauen Kasten auf dem Schreibtisch in Sebulons Büro. "Ich entdecke Hydraulikheben und gleichzeitig Gewindekurbeln. Das ergibt keinen Sinn. Und da ist ein halber Flaschenzug der Marke Rollfix und da ein Spannhebel. Ich habe wirklich keine Ahnung, was das werden soll."
Sein Freund grinste ihn müde an. "Gut."
"Äh..."
"Du wirst es sehen, wenn es fertig ist."
Braggasch gab sich mit dieser Erklärung vorerst zufrieden, da ihm etwas anderes ins Auge gesprungen war. "Du, äh, zitterst, Gürtel. Ist alles in Ordnung?"
"Später, Goldi." Der Püschologe presste seine Hände auf die Arbeitsfläche. "Ich habe viel zu tun. Bist du aus einem bestimmten Grund hier?"
"Äh... ja. Kommst du an Informationen zu einem Fall ran? Es geht um, äh, einen Mord mit einem Holzgebiss, nehme ich an."
"Warum besorgst du dir die Sachen nicht selber?"
Der Späher druckste ein wenig herum, bevor er antwortete: "Ich habe noch etwas zu, äh, tun. Äh... außerdem kommst du am besten da dran, müsste ja von RUM, äh, untersucht worden sein."
Sebulon bedachte ihn mit einem ganz speziellen Blick, bevor er mit den Schultern zuckte. "Warum nicht. Komm in einer Stunde oder so wieder, dann werde ich schon was gefunden haben."
"Danke, Sebu."

*

Diesem ersten Besuch bei RUM folgte ein zweiter in der gleichen Abteilung, bevor Goldwart seinen FROG-Kollegen Norti Rabenpelz aufsuchte. Zwar fiel Braggaschs Bitte nicht unbedingt in dessen Aufgabenbereich, aber er war sich sicher, dass der explosive Zwerg besorgen konnte, was er brauchte.
Dann wieder bei Sebulon vorbei und schnell zu dem Schmied seines Vertrauens, um sein Vorhaben umzusetzen.
Am späten Nachmittag hatte er endlich alles nötige erledigt.

*

Nervös, von einem großbeschuhten Fuß auf den anderen tretend, stand Barggasch vor dem düsteren Gebäude der Narrengilde. Lilli Baum hatte sich schnell dazu bereiterklärt, ihm bei seinem Unterfangen zu helfen, und obwohl Horatius lauthals darauf bestanden hatte, dass der Zwerg ganz ohne Verkleidung am ehesten wie ein Narr aussähe, hatte die verdeckte Ermittlerin gute und gründliche Arbeit mit Hilfe von Schminke und bunten Stoffen geleistet. Burkhards Sohn trug rote Stiefel, die dreimal so lang waren wie seine Füße, eine weite, nur durch die labbrigen Hosenträger gehaltenen, blau gepunktete Hose, ein grellgelbes Hemd, an dessen Tasche eine ausladende Blume befestigt war und eine dunkelbraune Perücke, die im krassen Kontrast zu seinem fast weißen Bart stand. Zwei große, weiße Kreise auf der Stirn, mit falschen Augenbrauen, die ewig Fragend in die Höhe gezogen waren, dominierten sein Gesicht neben dem riesigen, schmerzhaft verzogenen Mund.
Von seiner ursprünglichen Ausrüstung hatte er nur zwei kleine Dietriche mitgenommen, da er es sich auf keinen Fall leisten konnte aufzufallen. Er musste sich also voll auf seine Fähigkeiten und Nortis Versprechen verlassen.
Verwundert hatte der Späher erkennen müssen, dass das Gildenhaus der Spaßmacher direkt neben dem der Assasinen gebaut worden war, wobei letzteres eindeutig den heitereren Eindruck machte. Den Plan, einfach in das Gebäude einzubrechen, hatte er beim Anblick der DOG-Informationen schnell aufgegeben - Dicke, hohe Steinwände umgaben den Innenbereich und es gab einfach zu viele Narren, die ihn hätten entdecken können. Was Lilli wohl dazu sagen würde, dass ich jetzt doch zum verdeckten Ermittler geworden bin?, schoss es ihm durch den Kopf.
Unsicher watschelte er zur Eingangstür. Aus den Unterlagen wusste er, dass die Clowns alle eingeschleusten Wächter recht schnell enttarnt hatten und nun kannten, er musste sich bei seinem Auftrag also beeilen.
Mit einem Blick erkannte Braggasch den Mechanismus, der die Glocke am Eingang mit einer kleinen Falltür über dem Türsturz verband. Er seufzte tonlos und zog daran.
Die - schon etwas eingetrocknete - Torte klatsche dem Zwerg auf den hingehaltenen Kopf und er zwang sich zu einem überraschten Lachen, aus dem er allerdings den quälenden Klang nicht ganz verbannen konnte.
Das Guckloch in der Tür wurde geöffnet. "Haha! Sie haben geläutet, der Herr?"
"Ja, äh, ha!"
"Wen haben wir denn da?", erwiderte die Stimme, und ihr Tonfall verriet, dass sie etwas ganz bestimmtes erwartete.
Beinahe hätte Goldwart die Augen verdreht. Lilli Baum - oder eher ihr Dämon - hatten ihn vor so etwas gewarnt. "Äh... Wolf."
"Wer? Wolf?", flötete die Stimme fröhlich.
"Harr. Harr.", knurrte Braggasch. Daraufhin verfielen beide in ein falsches, schrilles Lachen.
Der Kerl hinter der Tür räusperte sich. "Na gut.", meinte er mit völlig normaler Stimme. "Dann komm schon rein."
Ein Rattern ertönte, gefolgt von einem Klacken und einem, wohl lustig gemeinten, Quietschen. Die Tür schwang auf und der Späher sah sich einem Narren gegenüber, der erstaunlich schlichte Kleidung trug und als Maske einen einfachen, blauen Stern um sein rechtes Auge aufgelegt hatte. Die Tortenreste, die noch immer die Perrücke des Zwergs zierten, wurden von dem Pförtner geflissentlich ignoriert.
"Ich, äh, möchte gerne in die Gilde aufgenommen werden.", erklärte Burkhards Sohn sofort.
Der Clown bedachte ihn mit einem zweifelnden Blick. "Das war mir schon klar. Siehst auch ganz so aus, als würdest du hier her gehören."
"Äh..."
"Komm, ich führ dich erst mal ein bisschen rum. Mal sehen, ob du dann noch immer hier hin willst. Nenn mich Schtar."
"Jado.", nannte Braggasch seinen Namen. Sebulon war zwar dagegen gewesen, da er meinte, dass es die Würde seines Hundes herabsetzen würde, doch ein Besserer war ihm nicht eingefallen.
Schtar nickte und führte ihn durch dunkle, graue Korridore. Hier und da war ein krampfhaftes Lachen, oder auch ein verzweifeltes Schluchzen hinter den abgehenden Türen zu hören.
Ein offener, großer Raum, der nur aus Löchern in den Wänden zu bestehen schien, erregte die Aufmerksamkeit des Spähers.
Auf seine Nachfrage hin erklärte ihm sein Begleiter: "Das ist die Dornenkammer. Gehörte, glaube ich, schon zu dem Haus, als es gekauft wurde, aber funktioniert nicht mehr. Weiß gar nicht genau, wofür es gut is."
Fasziniert betrat Goldwart das Zimmer. Ehrfurchtsvoll fuhr er mit dem Finger am Rand eines der Löcher entlang und spähte hinein. "Ich nehme an, dieser Raum sollte zur Folterung, oder der Zerstückelung von Menschen dienen. Man kann undeutlich die langen Metallspieße erkennen, die in den Löchern stecken... Aber unterschiedlich tief und unterschiedlich dick... Ich nehme an, das ganze wurde durch ein großes Gegengewicht betrieben... Dann weisen die unterschiedlichen Ausmaße der Dornen darauf hin, dass sie in unregelmäßigen Abständen hervorstachen... Einfache Kolbentechnik... Dann war der Raum nicht zwangsläufig tödlich, bestimmt gab es ein Muster, den Speeren zu entkommen... Man müsste nur alles einmal kräftig ölen und das Gegengewicht finden, um es wieder aufzuziehen..." Braggasch unterbrach sich, als er Schtars Blick bemerkte. "Äh..."
"Sag mal, warst du Klempner oder so was?", murrte der Narr misstrauisch. "Wen interessiert denn schon so ein alter, rostiger Raum?"
"Äh... ich habe mal davon gelesen...", verteidigte sich der Zwerg schwach.
"Aha.", war die einzige Reaktion, die er daraufhin erhielt. "Können wir weiter?"
Still trabten sie weiter durch kahle Gänge.
Schließlich brach Schtar das Schweigen. "Sag mal, bist du ein Zwerg oder was?"
"... Ja... äh, warum fragst du?"
Der Spaßmacher nickte zufrieden. "Wegen dem Technikgefasel und so. Zwerge wissen so was." Plötzlich blieb er stehen. "Aber du bist doch keine Frau, oder?"
"Was? Nein!"
"Gut. Dachte nur weil ja auch die Frauen bei euch Bärte haben und so..."
"Wäre das denn, äh, schlimm?"
Entgeistert blickte sein Begleiter ihn an. "Du weißt gar nix, oder?"
"Äh..."
"Wir nehmen hier keine Frauen auf."
"Warum?"
Schtar schüttelte perplex den Kopf. "Es ist bewiesen, das Frauen keinen Humor haben!" [2]
"Äh... Ja.", sagte Braggasch schlicht.
Der Mann blinzelte kurz und setze sich dann wieder in Bewegung.
"Kennst du eigentlich den Witz mit der Zwergenfrau und dem Zwergenmann?", fragte er nach einer Pause.
"Nein."
"Oh... Schade..."
Wieder gingen sie in peinlichem Schweigen weiter, bis sie schließlich vor einer beeindruckenden Tür standen. Schtar richtete sich auf und intonierte feierlich: "Siehe nun, die heiligen Hallen des Spaßes, das Gewölbe des unerschütterlichen Humors, den Raum des ersten Schenkelklopfers! Jado, verneige dich vor dem Glanze des Gildenmuseums!"
"Äh... na gut. Es ist eine schöne Tür."
"Was?"
"Bisher sehe ich, äh, nur die Tür..."
"Pah." Mit einem ärgerlichen Gesichtsausdruck öffnete der Clown das Portal, und sie beide traten in einen großen, muffigen Raum. Vor Goldwarts staunenden Augen erstreckten sich bis in die Dunkelheit ragende, langgezogene Regale, vollgestopft mit Zetteln und Kleinkram. In der Mitte des Raumes hatte man mehrere Gestelle aufgebaut, Hosen, Perücken, ein ausgestopfter Hund und weiterer Tand wurde von ihnen aufrecht gehalten.
Schtar entzündete eine Fackel. "Da vergehen dir deine Scherze, nicht war? Ha! Hier siehst du die ersten und erfolgreichsten Witze, die Hose des Gildengründers Willibert Worthspiel, die ehemalige Nase der Gildenleiter, das Trampolin des Entsetzens, die Schnürsenkel des ewig stolpernden Jeff, die falsche Beule des-"
"Wohin führen die, äh, Türen?", unterbrach der Zwerg den Redefluss seines Führers und deutete auf eine Vielzahl stabil wirkender Türen, die kaum zwischen den Regalen zu entdecken waren.
Der Narr räusperte sich, augenscheinlich überhaupt nicht begeistert von der Unterbrechung. "Das sind die geheimen Kammern. Dahinter sind die Sachen... die so alt und zerbrechlich sind, dass man sie nicht ausstellen kann."
Bingo!, fuhr es Goldwart durch den Sinn.
"Wenn sich der feine Herr mit dem vorlauten Mund dafür nicht zu gut ist, könnte ich ihm jetzt den Saal der Gesichter zeigen.", riss Schtars Stimme ihn aus den Gedanken.
"Ja... äh... bitte."
So würdevoll wie möglich schritt der Mann durch die Museumshalle hindurch, auf einen Durchgang an dessen Ende zu. Zuerst dachte Braggasch, in einem Gruselkabinett gelandet zu sein: Starre, tote Clownsgesichter starrten ihn aus weiter Ferne grimmig an. Als der erste Schreck verklungen war - der Späher hatte hörbar nach Luft geschnappt, was Schtar zu einem schadenfrohen Grinsen verleitete - erkannte er im flackernden Licht der Fackel, dass die Gesichter gar nicht weit entfernt, sondern sehr nah und klein waren. Auf Hunderten, vielleicht Tausenden von Eiern waren verschiedene Masken gemalt worden, keine glich einer Zweiten. Die Fratzen erstreckten sich, soweit Burkhards Sohn blicken konnte.
"Interessant...", entfuhr es ihm. Dann deute er auf eines der Eier: "Die da ist, äh, ganz schön..."
"Jarmulkin Der Maler." sagte sein Begleiter sofort mit fester und feierlicher Stimme.
"Äh... Und der da?"
"Morta Della Der Etwas Eigene.", kam es wie aus der Pistole geschossen.
"Kennst du alle Gesichter?"
"Natürlich."
"Äh... der da?"
"Saladin Mit Den Großen Schuhen."
"Und der?"
"Boffo Der... nunja... Schlechte Imitator."
"Faszinierend!"
Der Narr lächelte eitel.
Sich umsehend kratzte sich Braggasch am Bart. "Hey, da ist ja... äh... dein Gesicht."
"In der Tat."
"Hast du schon mal eins der Anderen ausprobiert?"

*

Noch immer klingelten dem Zwerg die Ohren.
Erst hatte Schtar nicht verstanden, was er meinte, doch nachdem Braggasch es ihm - zu seinem Leidwesen - erklärt hatte, war der Clown vollkommen ausgerastet, hatte ihn sicherlich zehn Minuten lang angeschrien und ihm schließlich sogar eine Kopfnuss verpasst.
Dem Späher war noch immer nicht ganz klar, warum sich sein Begleiter so aufgeregt hatte, doch die Lust, weiter nachzufragen, war unerklärlicherweise nicht aufgekommen.
"Ich werde deinen Aufnahmewunsch jetzt unserem Gildenleiter mitteilen. Bleib hier und rühr nichts an.", hatte der Narr wütend gezischt und war abgerauscht, nicht wissend, dass er Goldwart damit den größten Gefallen tat, den er ihm je hätte tun können.
Sein Glück kaum fassend, rieb er sich den Kopf - das war die Schmerzen auf jeden Fall wert gewesen. Aber er musste sich beeilen? Das Gesuchte war ein Gebiss... klein genug, es überall zu verstecken. Er musste darauf vertrauen, dass man sie in die verbotenen Kammern gesteckt hatte.
Eine kurze Suche brachte die Erkenntnis, dass es sich um sieben verschlossene Türen handelte, die von dem Museum abgingen. Braggasch wählte eine von ihnen aufs Gradewohl.
Schnell zog er die beiden mitgebrachten Dietriche hervor und steckte sie vorsichtig in das kompliziert wirkende Schloss.
Den einen verkeilte er oben, kurz hinter dem Schlüsselloch, um damit die passende Drehung zu vollführen, mit dem anderen tastete er über die unten gelegenen, kleinen Kolben. Knappe drei Minuten leistete ihm der Verschluss wiederstand, dann schwang die Tür mit einem knarrenden Seufzer auf.
Der Zwerg spähte in die Dunkelheit. Die Fackel zu benutzen, welche Schtar in eine Halterung nahe des Hauptportals gesteckt hatte, wagte er nicht. Selbst wenn er es schaffte, rechtzeitig einen gerade durchsuchten Raum zu verlassen, sobald er Schritte hörte, würde er doch mit Fackel in der Hand erwischt, wofür er keine Erklärung haben würde.
Außerdem musste er endlich mal anfangen, sich auf seine Vampirsinne zu verlassen, wie sollten sich diese sonst entwickeln?
Also starrte Braggasch angestrengt in die Schwärze vor ihm, ohne erkennbare Verbesserung der Sicht zu erreichen.
Plötzlich wehte ihm warme Luft entgegen. Zwei rote Schlitze entstanden in der Finsternis und weiteten sich, bis ein Paar glühende Ovale in der Luft standen. Ein Geräusch war zu hören, wie ein Scharren...
Mit klopfendem Herzen schlug Goldwart die Tür zu und verschloss sie wieder mit zitternden Händen. Kurz darauf legte er den Kopf gegen die kalte Mauer und atmete tief durch. Diesen Raum würde er nur im äußersten Notfall wieder betreten - egal ob die glutroten Punkte nun Einbildung gewesen waren oder nicht.
Nachdem er sich wieder halbwegs beruhigt hatte, horchte der Späher. Nichts war in der staubigen Größe des Museums zu hören, deshalb beschloss er sein Glück noch hinter einer weiteren Pforte zu suchen.
Der Eingang, den er sich aussuchte, lies sich erstaunlich leicht knacken, was in Goldwart schon ein niedergeschlagenes Gefühl hervorrief - und tatsächlich: Die kleine Kammer dahinter beinhaltete nur Bücher, Folianten und Schriftrollen, ohne Ausnahme so trocken, das sie wohl bei der kleinsten Berührung in sich zusammenfielen.
Leise schloss er die Tür wieder, und überlegte gerade, ob ein weiterer Versuch sinnvoll sein würde, da vernahm er Schritte.
Mit einer verzweifelten IchHabeMichWirklichKeinStückVomFleckBewegt-Grimasse, die jedem halbwegs aufmerksamen Beobachter das genaue Gegenteil verriet, stand Braggasch dort, wo ihn Schtar zurück gelassen hatte, als sich das Portal öffnete.
Es war auch eben jener, der den Raum betrat.
Freundlich lächelte er auf Burkhards Sohn herunter. "Herr Weißgesicht hat deinem Gesuch nachgegeben."
"Äh... was?"
"Du bist in die Narrengilde aufgenommen." Das Lächeln des Spaßmachers wankte keine Sekunde.
Der Zwerg sah ihn ungläubig an. "Äh..."
"Natürlich muss noch ein kleiner Aufnahmeritus vollzogen werden.", flötete Schtar. "Wenn du mir bitte folgen würdest."
"Und, äh, was für ein Ritus?", fragte der verkleidete Gefreite, nachdem er sich zögerlich in Bewegung gesetzt hatte.
"Sloshi."

*

Er blickte in viele starr grinsende Narrengesichter. Sofort wallte Panik in ihm auf.
Sein Begleiter hatte ihn zu einem großen Ring geführt, der die Mitte des Gildengebäudes einnahm. Sicher wurde hier sonst das Jonglieren und Einradfahren geübt, doch nun war alles bunte von dem Platz entfernt worden, und die Gildenmitglieder bildeten rundherum eine Mauer mit ihren Körpern. Braggasch erinnerte sich, in seinen ersten Tagen in Ankh-Morpork, einen Hahnenkampf gesehen zu haben, dies hier wirkte jenem brutalen Wettstreit erschreckend ähnlich.
Schtar, dessen Hand seinen Oberarm wie eine Eisenfessel umklammert hielt, beugte sich zu seinem Ohr herunter. Jede Freundlichkeit war aus seiner Stimme gewichen, als er dem Zwerg zuzischte. "Weißt du eigentlich, woher die Tradition der Narren kommt?"
Burkhards Sohn schüttelte stumm den Kopf.
"Die Narren waren früher die Leibgarde des Königs. Sie waren unerbittlich: Erst riefen sie dem Feind schlechte Witze entgegen, dann schlugen sie den armen Verwirrten den Kopf ab. Tja..."
Der Späher erbleichte.
"Um unsere Vorfahren zu ehren, haben wir das Sloshi. Es ist ein Kampf. Alles ist erlaubt. Ein Paradesieg wäre es, wenn sich der Gegner zu Tode lacht... Viel Spaß!" Mit diesen Worten stieß der Clown Braggasch in den Ring hinein. Wie ein nasser Sack plumpste er zu Boden. Niemand lachte.
Unsicher kam Goldwart wieder auf die Beine. Ringsherum erblickte er nur lustige Gesichter, die ihn schmerzverheißend anstarrten. Dann teilte sich die Reihe, und ein kleiner, dicker Mann trat hervor. Er trug eine gigantische, rote Perücke, und ansonsten weiße, sehr dicke Kleidung. Sein eines Auge zierte ein großer, blauer Fleck, unter das andere waren mehrere Tränen gemalt.
Hörbar lies er die Halswirbel knacken.
Plötzlich hatten die Narren rings herum Gegenstände in der Hand: Springstöcke, Torten, rote Nasen, kleine Dreiräder, Gummischlangen und vieles mehr.
Sein Gegner schritt ohne Hast die Reihe ab und wählte eine große, falsche Sonnenblume, dann ging er auf Braggasch zu. Dieser wich zurück, wurde aber von der Menschenmauer hinter ihm aufgehalten. "Oh-oh, Blondlocke hört Warnglocke!", erklang eine Stimme aus der Masse. "Welche Figur hat dieser Zwerg? Ne Witzfigur!", fiel ein Anderer mit ein. Eine dunkle Stimme kicherte: "Los, kämpfe! Oder ist die das Dreirad zu groß?"
Kurz darauf etablierte sich ein Sprechchor. "Jado, Jado, Jado, mutig wie ne Awokadooo!"
Der Gefreite schluckte, sein Gegner war fast auf Schlagreichweite, doch statt ihn direkt anzugehen, versuchte dieser ihn anscheinend zu umrunden. Goldwart sah seine Chance und hechtete nach vorne. Ein leichter Hieb streifte sein Hinterteil. Die Narren johlten.
Blind griff sich der Späher einen Gegenstand aus den Reihen der Zuschauer und vollführte eine halbe Drehung, wie er es im Schwertkampfunterricht gelernt hatte. Seine Waffe traf gut, doch der Ballon hinterlies keine Spuren auf dem Gesicht seines Gegners. Braggasch starrte verblüfft auf den luftgefüllten Gummischlauch. Der Dicke grinste, drehte die Blume in der Hand und stach mit dem schmalen Ende nach Goldwarts Waffe. Dem Platzgeräusch des Ballons folgte das höhnische Lachen der Narren.
Wieder wich der Späher zurück. Lässig warf der Clown die Blume zu Boden und wählte sich den Hüpfstab als nächstes, den er bedrohlich, als wäre es ein Totschläger, in die hohle Handfläche klatschen lies. Braggaschs Gedanken rasten. Sollte er seine Geheimwaffe einsetzen? Aber es waren zu viele Leute anwesend, für alle würde das niemals reichen! Verzweifelt sah er sich um... dann lächelte er. Mit einer Geschwindigkeit, die ihn selber überraschte, und die er später dem Adrenalin zuschob, entriss er den Umstehenden das Dreirad und die Gummischlange, knotete Letzteres um die Lenkstange von Ersterem und sah sich nach einem geeigneten Projektil um. Als sein Gegner erkannte, was er vorhatte, beschleunigte er seinen Schritt, doch schon hatte eine große Clownsnase den Besitzer gewechselt und war in den behelfsmäßigen Bogen eingelegt worden.
Der Kämpfer verharrte.
Braggasch zog die "Sehne" zurück.
Es war totenstill geworden.
Mit einem schlabberigen Geräusch wurde die Nase abgeschossen. Der dicke Clown versuchte auszuweichen, doch war er bei weitem nicht schnell genug. Das rote Geschoss traf ihn mitten im Gesicht, prallte davon ab und flog in hohem Bogen über die Gildenmauer. [3]
Als sich Goldwarts Gegner wieder aufrichtete, zogen alle Narren, die ihn sehen konnten, kollektiv die Luft ein.
Einer hielt ihm einen Spiegel hin.
Ungläubig tastete der Dicke zu seinem Auge, wo die Clownsnase einen gossen Teil der Schminke verwischt hatte. Eine Ader begann an seiner Schläfe zu pochen.
Mit einem wütenden Schrei zerbrach er den Springstock und schnappte sich eine Torte.
Braggasch lies ängstlich den Dreirad-Bogen fallen.
Das Gesicht des Spaßmachers war wutverzerrt, als er die Sahnetorte mit ganzer Kraft in die Richtung des Zwergs schleuderte. Unfähig, sich zu rühren, musste dieser mit ansehen, wie sich im Flug Sahnestücke lösten, und den kleinen Amboss preisgaben, der darunter versteckt war.
Ein klassischer Scherz, der sehr genau auf seinen Kopf gezielt war.
Schmerzhafte Schwärze umgab den Späher.

*

Schmerzhaftes Licht umgab den Späher, als er unbestimmte Zeit später die Augen öffnete. Sofort schloss er sie wieder. Was ist passiert?
Mühsam hob er eine Hand und tastete sich über den Kopf. Keuchend zuckte er zusammen, als er die große Platzwunde erreichte, die ihn so großzügig mit Kopfschmerzen versorgte. Die Perücke hatte man Braggasch wohl abgenommen - eine kurze, tastende Untersuchung ergab, dass er keins seiner Kleidungsstücke mehr trug. Statt dessen hatte man ihn in ein schlichtes, graues Gewand gehüllt.
Der Zwerg fluchte. Also war auch seine Fluchtmöglichkeit in der Hand der Narren... ebenso wie seine guten Dietriche.
Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich soweit an das Licht gewöhnt hatte, dass er die Augen öffnen konnte. Die Lichtquelle war eine Kerze. Des weiteren erkannte er die harte Pritsche, auf der er lag, eine Art Nachttisch, das schaurige Bild eines Narren an der Wand und eine Tür. Der Raum maß vielleicht sechs Quadratmeter und war ansonsten leer.
Schwankend kam Goldwart in die Höhe. Man hatte zwar anscheinend die Zeit gefunden, ihn zu entkleiden, doch die Kopfwunde war nicht versorgt worden. Verdammte Clowns, fuhr es ihm durch den Sinn.
Vorsichtig tastete er sich an der Wand zum Eingang vor. Die dröhnenden Kopfschmerzen lähmten jede seiner Bewegungen. Natürlich war die Tür abgeschlossen.
Braggasch begann mit einer gründlichen Durchsuchung.
der Nachttisch hatte keine Schubladen, unter dem Bett stand nichts und auch das Bild wies keine ausgeschnittenen Augen auf.
Er betrachtete Kopfschüttelnd den Bronzerahmen. Dann nahm er das Bild von der Wand, stellte es an einer Ecke auf dem Fußboden ab und drückte von oben zu. Das Metall gab sofort nach.
Mit Hilfe der harten Bettpfosten, einigen Verkeilungen und sehr viel mechanischen Sachverstand hatte er bald zwei improvisierte Dietriche in der Hand.
Ruhig schob er die Bronzestangen in das Türschloss. Dank der Schmerzen und dem schlechten Material seines Diebeswerkzeugs brauchte der Gefreite ungewöhnlich lange, doch schließlich sprang die Tür mit einem leisen Klicken auf.
Goldwart spähte in den dunklen Raum dahinter. Zu hören war nichts, doch beschlich ihn das unangenehme Gefühl, nicht allein zu sein.
Unentschlossen kehrte er in sein Verließ zurück und holte die Kerze.
Als er sie Richtung Ausgang führte, erschien im Schein ein weißes, nur durch wenige schwarze Punkte unterbrochenes, Gesicht.
Braggasch stockte der Atem.
Jetzt ist es entgültig aus...
Dann bohrte sich eine Gewissheit durch sein panisches Bewusstsein.
"Bei allen Schrauben, du bist, äh, gut! Ich hatte dich gar nicht gehört!"
Der Pantomime nickte wage und legte den Finger an den Mund. Der Zwerg schaltete sofort einige Dezibelmaße tiefer.
"Äh... was machst du hier?"
Sein Gegenüber verdrehte entnervt die Augen.
"Ah, äh, natürlich. Du lernst, äh, hier?"
Ein Nicken.
Der Späher räusperte sich. "Und... äh... du bist hier um mich zu retten?"
Wieder ein Nicken.
Braggasch atmete erleichtert aus. Der Pantomime, der ihm gegenüberstand, und ihm nun winkte zu folgen, war ein flüchtiger Bekannter, den er einmal fast verhaftet hätte. [4]
"Weißt du, wie, äh, lange ich bewusstlos war?"
kurz schien sein Retter zu zögern, dann zuckte er mit den Schultern, wandte sich ab und ging vorraus.
Vorsichtig folgte der Gefreite ihm - nur wenige Schritt, dann standen sie vor einem weitern, versperrten Durchgang. Als er die Tür wage wiedererkannte, keimte Hoffnung in ihm auf. Erwartungsvoll sah er sich in der großen Halle um. Und tatsächlich: Ganz vage konnte er die Stangen eines überdimensionierten Trampolins erkennen. Ohne Zweifel, er befand sich im Gildenmuseum. Burkhards Sohn hätte fast laut aufgelacht. Sein Gefängnis war eines der kleinen Räume gewesen, die er noch nicht hatte durchsuchen können.
Breit grinsend schob er die Bronzedietriche in die Tür, welche im der Pantomime wies.
Dahinter kam eine Kammer mit Truhen zum Vorschein. Sein Begleiter eilte zu einem der unverschlossenen Behälter, und hob den Deckel.
Braggasch hätte es nie für möglich gehalten, sich einmal so sehr über sein Clownskostüm zu freuen. Mit fliegenden Fingern zog er die Sachen an. Es war alles noch da! Die Dietriche, die Perrücke, an der noch immer ein paar Krümel der Begrüßungstorte klebten, und sogar die Blume... die Blume...
Traurig sah er auf. "Äh, ich danke dir."
Der Straßenkünstler lächelte ihn an. Fast schien es Goldwart so, als wisse er, was nun passieren würde.
"Glaub mir, es ist zu deinem eigenen, äh, Schutz... äh... Wenn du hier einmal schnuppern möchtest..."
Eine dicke Gaswolke quoll aus der Blume, als er den versteckten Blasebalg betätigte. Fast augenblicklich fiel der Pantomime in Ohnmacht.
Ich hoffe nur, Norti hat recht gehabt, und das Zeug verursacht keine bleibenden Schäden... so wirklich schien er sich damit nicht auszukennen. In Wirklichkeit hatte der zwergische Alchemikexperte der FROG's beharrlich behauptet, ein kleiner Sprengsatz sei weit besser geeignet, doch Braggasch hatte auf seinem Standpunkt beharrt. Schließlich hatte Norti klein beigegeben und ihm das Gewünschte organisiert.
Umständlich zog er seinen bewusstlosen Bekannten vor die Tür seiner Zelle. "Niemand wird dich, äh...", begann er, wurde sich dann aber bewusst, wie dämlich es war mit einem Schlafenden zu reden, und eilte tiefer in die Halle hinein.
Vier Türen kannte er nun schon: Sein Verlies, den Raum mit seinen Sachen, die Kammer mit den alten Schriftstücken und das gruselige Zimmer mit den roten Augen. Also waren nur noch drei zur Auswahl.
Sein erster Versuch ergab einen schlicht und ergreifend leeren Raum mit einem Abfluss in der Mitte. Kopfschüttelnd schloss Goldwart ihn wieder ab.
Beim zweiten Mal hatte er - endlich - Glück. Mehrere Scherzartikel lagerten hier in einzelnen Spinden. Schon bald hatte der Zwerg einen Haufen falsche Zähne aus Holz gefunden.
Sich selbst zur Ruhe zwingend, breitete er jedes Einzelne auf dem Boden aus. Jetzt durfte er keinen Fehler machen!
Aus dem Bericht wusste er, dass ein Vampirgebiss gesucht wurde, doch das waren leider die meisten. Nacheinander führte Braggasch die Kerze nah an sie heran und suchte das, was er bei Kanndras Unterricht schon erwähnt hatte: Blutspuren.
Auch hier wurde er nicht enttäuscht. Nur eines der vielen Gebisse wies, erstaunlicherweise, deutliche Blutspuren auf. Entweder hatte das Holz die Spuren gut gehalten oder die Narren hatten nicht einmal versucht, sie fortzuwischen.
Umständlich schob er den Scherzartikel unter seine Perücke und räumte die übrigen Gebisse wieder in den Spind. Dann schloss er die Tür.
Auf seinem Weg nach draußen begegnete er keiner Menschenseele. Nicht einmal ein Pförtner war im Dienst. Doch der Späher war viel zu erleichtert, um sich darüber groß Gedanken zu machen.
So entdeckte er auch die beiden Schemen nicht, die ihm hinter einem Fenster nachsahen, als er der Gilde entfloh.

*

Braggasch hatte seinen Bericht geschrieben und das Gebiss im SUSI-Labor abgegeben, dann war er endlich bereit gewesen, seine Kopfwunde versorgen zu lassen. Nun saß er in der Kantine und genehmigte sich eine große Portion Rattenpüree.
Pismires Eintreten schenkte er erst Beachtung, als dieser direkt vor ihm stand.
Mit vollem Mund versuchte er verzweifelt aufzustehen und zu salutieren, doch der Oberleutnant unterbrach ihn mit einer Geste.
"Lass mal gut sein.", meinte er schlicht. "Du bist Gefreiter Goldwart, oder?"
Der Zwerg schluckte schwer und keuchte: "Ja, äh, Sör."
Pismire hob eine Akte, die er in der Hand hielt und sah darauf hinab. "Du hast das Gebiss vorbei gebracht?"
Er nickte.
"Gut. Ich war auf dem Weg nach Hause, und ich dachte mir, es interessiert dich vielleicht, dass es nicht kompatibel mit der Wunde ist."
"Was?"
"Anscheinend wurde dieses Gebiss nicht als Waffe gegen das Opfer verwendet.", erklärte der Gerichtsmediziner geduldig.
Braggasch versuchte, Worte zu finden. "Äh... aber, äh, es waren doch Holzsplitter in der Wunde, oder, äh, nicht? Das stand in dem Bericht. Und, äh, auf den Zähnen war, äh, Blut!"
"Ja, das stimmt soweit. Allerdings war es Kunstblut."
"Kunstblut?", echote der Späher tonlos.
"Ja. Du weißt schon, dieses Theaterzeug. Tja, sieht so aus als wären die Narren somit entlastet. Aber mach dir nichts draus, du hast gute Arbeit geleistet, soweit ich das beurteilen kann." Mit einem nicken verließ der Oberleutnant den total verdatterten Sohn von Burkhard wieder alleine.
Viel zu spät murmelte dieser ein. "Äh... danke..."
Die Narren waren entlastet? Das konnte nicht sein! Nach allem, was er in der Gilde erlebt hatte, war er sich so sicher gewesen...
Er schloss die Augen.
Hatte er einen Fehler gemacht? War er zu unsauber gewesen? Hatte er den falschen Leuten vertraut?
Er öffnete die Augen. Doch sein Blick galt nicht dem Kantinenraum, sondern einem simpel gesicherten Kerker, einem viel zu leerem Gildenhaus, welches ihm die Flucht zu einfach gemacht hatte... und dem kaum vertrauten Gesicht eines Pantomimen.
Verdammt!
Sollte er seine Vermutungen melden? Doch bestimmt waren die Offiziere bereits selbst darauf gekommen - sein Bericht enthielt ja alle Informationen. Aber hatte Pismire nicht erklärt, das die Narrengilde entlastet war? Ihm schwirrte der Kopf. Wahrscheinlich war das eines dieser Politik-Dinger, die er nicht verstand.
Er hatte den Narren nichts nachweisen können und damit war ja alles klar...
Er war sauber hereingelegt worden.
Braggasch Goldwart schob den Napf mit dem Püree von sich. Ihm war der Appetit vergangen.
[1] Ohne Absatz Ausbildungssingle von Braggasch Goldwart

[2] Bevor dem Autor hier diverses unterstellt wird: Diese Tatsache wird im Scheibenweltlexikon unter dem Stichpunkt "Narrengilde" sehr nachvollziehbar dargelegt...

[3] Als nette kleine Anekdote soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Nase zu äußerst skurrilen Diskussionen in der benachbarten Assasinengilde führte, aber das nur am Rande.

[4] Siehe Glücklos in Ankh Morpork

Zählt als Patch-Mission für den Späher-Patch.



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Feedback:

Von Jargon Schneidgut

04.02.2009 18:27

Eine sehr tolle Geschichte! Dein Schreibstil hat mir - wie immer - sehr gut gefallen. Außerdem konnte ich keine Rechtschreibfehler entdecken. Ich hoffe, dass die Fortsetzung bald folgt...

Von Kamillus Schimmlersohn

04.02.2009 18:27

Eine wunderschöne Geschichte, geschrieben in hervorragendem Stil.Sehr knapp und trotzdem mit Ruhe erzählt.Weiter so!

Von Sebulon, Sohn des Samax

04.02.2009 18:27

Schöner Run in die Gilde, finde ich. *lächelt* (Wir treffen uns dann hinten; ich lauf etwas langsamer.)

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