Das Greisenalter, das alle zu erreichen wünschen, klagen alle an, wenn sie es erreicht haben. - Marcus Tullius Cicero -
Dafür vergebene Note: 11
Beim Eintreten umfasste der neugierige Blick des Gefreiten ein weites hohes, aber nur dämmrig erleuchtetes Timmer. Die Tapete zeigte Landschaften und Seebilder in buntem Wechsel. Der eirunde Tisch war von spiegelnder Blankheit, hochmütig steife Stühle reihten sich an der Wand. Zum wiederholten Mal sog er den Duft eines enggeschlossenen, sonnenlosen Assassinenzimmers ein, den Duft von Menschen, Tabakrauch und diversen Giften.
An der Stirnseite des Tisches, gegenüber der Tür saß, mit einem verdrossenen und bösen Blick, der dem Gast galt, einer jener Schüler, denen es seit kurzem gestattet war Schwarz zu tragen, wenn auch in erheblich blasserer Form, als es die älteren Gildenmitglieder zu tragen pflegten. Er legte seine Feder zur Seite und erhob sich, deutete eine schulmäßige Verbeugung an.
Dann murmelte er zwischen den Zähnen: "Der Diener der Neuen."
Der Gast stutzte, gesellte sich jedoch neben den Schüler.
"Nehmen Sie zur Kenntnis, dass Sie hiermit verhaftet sind...warum ist das zum Lachen?"
Nach einem kurzen Augenblick des Staunens brach der Assassine in ein raues, unerzogenes Lachen aus und dann, als finge er an, der Aussage Geschmack abzugewinnen, zeigte er mit seinem Finger auf ein beschriebenes Blatt.
"Wissen Sie etwa, was das heißt?"
Der Wächter beugte sich vor.
"Halt ftill, fonft wird ef nur noch flimmer!"
"Mit dem Dolch im Gewande, sage ich da nur!
Gnngh."
Nad Steinwerfer würdigte seinen zum Krankenbett umfunktionierten Schlafplatz im Vorbeigehen keines Blickes. In diesem lag ein zeternder Zwerg, gelegentlich stöhnend mit entblößtem Oberkörper und ließ sich von der Igorina den Rücken mit Jod betupfen. Breda Krulock lehnte an der nebenstehenden Kommode und hatte verstimmt die Arme verschränkt.
"Zum Glück kam Hatscha gerade noch ins Zimmer, zum Donner."
"Kein Wunder. Immerhin solltest du erfahren genug sein, einem Assassinen, auch wenn es nur ein Schüler ist, niemals den Rücken zuzuwenden. Die sind gerissen.", gab Breda Kontra, was ihr einen zerknirschten Blick bescherte.
"Und woher soll man bitteschön wissen, was die alles für Tricks auf Lager haben? Die haben doch immer etwas Neues."
"Indem deinereiner ab und zu ein Handbuch liest. Oder eine Informationsbroschüre." Giftig stützte sie die Arme nun in den Rücken und beugte den Kopf leicht vor. "Außerdem sind Dolche in Gewändern nichts Neues. Schau in die Handbücher. Da ist alles haarklein beschrieben! ...Im Archiv natürlich.", beantwortete sie Glums unausgesprochene Frage.
"
Grrrngh!"
"Ich fagte ja auch, du follft ftillhalten."
"Zwei Stiche und drei Schnitte. Ich hätte tot sein können!"
"Den Risiken solltest du dir seit bereits einem Jahr klar sein, die so eine Ermittlungsarbeit mit sich bringt, Gefreiter. Vielleicht solltest du an deinen Fähigkeiten zweifeln, anstatt an der Qualität deiner Fälle."
"Jetft wollen wir daf einmal nicht herabwürdigen. Bifher hat Glum ja alle feine Fälle löfen können."
Mit ernster Miene tupfte Rogi auf dem verbissenen Glum fort, von der inzwischen verärgerten Breda scharf ins Visier genommen.
"Da sag ich ja auch nichts gegen. Das Ziel ist erreicht, aber der Weg bleibt steinig."
"Was erwartest du bitte?", entgegnete Glum. "Ermittlungsarbeit ist nun einmal kein Zuckerschlecken, was dir bereits seit mehreren Jahren geläufig sein sollte."
Man konnte nicht sagen, dass der nervige Zwerg einer der besten Ermittler innerhalb der Wache war. Oder der besonnenste. Oder taktvollste. Aber er war gewiss nicht der schlechteste. Seine direkte und unverblümte Art sorgte des Öfteren für Situationswendungen, mit denen niemand gerechnet hätte. Das war bezeichnend für ihn, dem nichts zu klein war in seiner Arbeitswut, um sich nicht persönlich um Delegationsversuche zu bemühen, und nichts zu groß, sich nicht davor zu drücken.
Als seine GRUND-Ausbildung abgeschlossen war und Glum sich nunmehr einen vollwertigen Wächter nennen durfte, wurde aus dem bedeutungslosen Rekruten, der bisher nur durch seine Rangesmissachtung und Tabakbrösel aufgefallen war, mit einem Schlage ein Gildenobservator. Er erklärte seinen Vorgesetzten, dass er in Zukunft mehr Freiheiten bräuchte, um seine Fähigkeiten weiter entfalten zu können.
Dazu gehörten produktive Schlafpausen und monatlich selbst erstellte Lohnbilanzen. Er provozierte, bagatellisierte und banalisierte jedwede Handlung und legte eine erstaunliche Portion Verdrießlichkeit an den Tag. Die stellvertretende Abteilungsleiterin konnte es jedoch halten wie sie wollte, aber Fakt war: Glum war als Ermittler unentbehrlich. Und das war ein Grund zur Beunruhigung. Von daher war sie nur milde überrascht, als dieser sich um eine Spezialisierung zum Moloss beworben hatte.
"Na du bist gut, Stiefel. Ich erinnere mich noch an die Sache mit dem geheimen Treffen der Alchimistengile vor drei Monaten. Hatscha hat mir davon erzählt. Sie kann sich bis heute noch nicht dazu durchringen mit dem Schaudern aufzuhören, wenn die Sache zum Gespräch kommt."
"Die reinste Katastrophe. Die Mixtur hätte mich zu Kleinholz verarbeitet."
"Aber nur weil du die Formel nicht korrekt befolgt hast."
"Dreißig Formelzeichen. Wer soll sich denn so was merken?"
"Sie stand schließlich auch in dem Chemiebüchlein, dass Lady Rattenklein dir gegeben hat."
Rogi ließ vor Schreck ihr Jodfläschen fallen, als Glum jäh hochfuhr.
"Büchlein? Für den Wälzer hätte ich mir eine Schubkarre ausleihen müssen. So ein Watz war das. Damit kann man doch nicht als Ermittler aufkreuzen."
"Von einem Spezialisten kann man doch erwarten, dass er nicht ein Gedächtnis hat wie das sprichwörtliche Sieb, oder? Niemand hat verlangt, dass du das Ding mit zur Gilde nimmst."
"Mein Gedächtnis ist fabelhaft!"
"Du informierst dich nicht ausreichend!"
"Soll ich den Gaunern und Verrätern etwa sagen: 'Geduld bitte. Ich will eben noch die richtige Methode nachschlagen, euch bewusstlos zu schlagen.' Hm?"
"Warum ftudierft du fie nicht vorher und lernft aufwendig, waf du wiffen mufft?"
"Seh ich aus wie Leonard von Quirm? Das währen ja immer wieder einige hundert Seiten Unverdauliches in Dünndruck!"
"Alfo ef fmertft mich faft fu fehen, wie fehr ich deinen Verftand überfätft habe."
"Mir schmerzt gerade etwas ganz anderes. Bist du fertig? Das brennt."
"Pah! Wer sich Ermittler nennen will, der muss auch damit rechnen, dass er seine Einsatzziele kennen und für eine ausreichende Selbstverteidigung sorgen muss. Aber bitte, ich bin sicher, du kommst auch so zurecht."
"Ja, Ftiefel, ich bin fertig. Vielleift ift der Moloff ja auch daf Geeignetere für dich."
"Ach ja?", begehrte die recht gelöste Breda auf.
"O ja!", gab Glum provozierend zurück.
"Wirklich?"
"Wirklich!"
"Gut!"
"Gut!"
"
FLUFF JETFT!!"
Lance-Korporal und Gefreiter blickten die Igorina verdutzt an.
"Ich gebe ja fu, daff Glumf Vorbereitungen mehr alf dürftig find, aber bereitf in feiner Aufbildung habe ich gemerkt, daff Improvifation feine Ftärke ift. Feine Fälle beweifen daff. Nichtf deftotrotf...", mahnte Rogi weiterhin, als Glum bereits ein triumphierendes Grinsen zur Schau stellte: "...erfordert die Moloff-Fpetialifierung ein gewiffef Maf an Felbstdiffiplin und Vorbereitung. Wenn auch wefentlich allgemeiner, weil gefährlicher. Aber daff kann dir Helmi beffer erklären!"
"Ach ja."
Breda strich sich die Haare glatt und straffte die Schultern. "Helmi erwartet dich um sechs in seinem Büro. Kannst du aufrecht laufen? Es tut mir Leid, aber ich kann dich leider gerade nicht zurückbringen."
"Dann leihe ich mir eben einen Rekruten."
Unschuldig huschte Nyria Maior vorbei.
Helmi fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Ein Bild aus vergangener Zeit war mit einem Schlage vor sein Bewusstsein getreten. Die Umrisse des Zimmers verschwammen vor seinen Augen. Das war ja beinahe wie damals, bei seiner Ausbildung. Der Schock war für ihn gewesen, als er erfuhr, was ihn als Moloss alles erwarten würde, doch niemand hatte ihm damals gesagt, dass er selber einmal jemanden darin ausbilden sollte. Zugegeben, die Sache hatte schon eine gewisse Fährniss. Er und Glum waren gute Freunde, seit ihrer gemeinsamen Ausbildung vor über einem Jahr, was die Sache wiederrum erleichterte und außerdem verfügte Glum ja bereits über die meisten wesentlichen Erfahrungsaspekte, die man im Ermittlungsbereich benötigte. Es mangelte lediglich an den Feinheiten. Und am Training. Damals hatte der Zwerg es geschafft, sich erfolgreich am Armbrusttraining vorbei zu schmuggeln, auch seine Schwertkampfkünste ließen zu wünschen übrig. Seine Waffen waren Worte. Und im Notfall, ein Aspekt, auf den Helmi nicht wirklich stolz sein sollte
[1], da er ihn Glum damals selbst demonstriert hatte, war die hoch entwickelte Kunst des sehr schnellen Fortbewegens. Manche nannten es auch Flucht, aber Helmis Philosophie vertrat die Ansicht, dass es dem Selbstwertgefühl eher schaden würde, seine Fähigkeiten derart herabzuwürdigen. Und dem Selbsterhaltungstrieb. Immerhin konnte er nun behaupten als Ausbilder bereits erfolgreich gewesen zu sein. Auch er hatte seine eigene Molossausbildung immerhin gemeistert.
Und fast wie eine tröstende Gewissheit trat es wieder in sein Gedächtnis, wie ganz und gar er selber sich damals dem Unvermeidlichen gebeugt hatte; er blickte auf und suchte das Auge des alten Zwerges, der am Fenster stand und die Stirn an die Scheiben presste. Er war bereits gebeugt durch die Türe ins Büro gewankt. Und nur nicht gleich vornüber umgefallen, weil er von einer Stuhlkannte daran gehindert worden war. Und dann kam auch noch die Sache mit der verpatzten Heirat hinzu. Rogi weigerte sich bisher hartnäckig, ihm die Heiratsurkunde zu überreichen. Eine kleine Flamme Mitleid flackerte in ihm auf...
"Wir müssen noch einmal zusammenfassend über die Sache reden.", entschied er nach längerer Überlegung. Im dämmrigen Licht betrachtet, wirkte Glum tatsächlich sehr alt. Älter als er eigentlich war. Und dennoch: Von innen heraus war er Helmi immer wesentlich jugendlicher vorgekommen. Mit seinen 227 Jahren war Glum das älteste Mitglied der Wache. Älter, als Zwerge, Vampire und Mumien. Wie war es wohl für ihn, nach einem so langen Leben Befehle als, in diesem Sinne, niedrige Person annehmen zu müssen? Vielleicht kam daher seine Art mit anderen umzugehen. Unverschämt zu sein und sie auch manchmal vor den Kopf zu stoßen.
Glum seufzte, stöhnte und versuchte sich, so gut es ging zu strecken um seine Vorräte an Initiative und Lernbereitschaft wachzurütteln.
Und doch hatte Helmi ihn immer als einen so ruhigen und beherrschten Zwerg gekannt, immer bei ihm ein williges Ohr für seine manchmal kindischen Erzählungen, ein geschärftes Gedächtnis für die kleinen Tatsachen des Lebens gefunden, die von einigen anderen zu seiner bitteren Enttäuschung meist so schnell vergessen wurden. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Glum jemals in diesem Sinne ein 'alter Zwerg' werden könnte.
"Soll sein Helmi. Dann lass uns das hier auch schnell zu Ende bringen. Ich bin müde."
"Ähm...Glum mir kam da gerade ein Gedanke..."
"Hm?"
Der Zwerg ließ sich auf einen Stuhl nieder und blickte Helmi erwartungsvoll an.
"Ich weiß nicht recht, wie ich das sagen soll, aber...ich sage es jetzt einfach, wie es mir in den Sinn kommt: Bist du vielleicht deswegen immer so grantig, weil du nach deiner langen Lebenszeit bloß...Gefreiter bist?"
Peinlich berührt blickte Helmi zu Boden. Glum stammelte ein wenig irritiert.
Dann brachte er hervor: "Ich habe bei aller meiner Begeisterung doch immer mit beiden Beinen auf der Erde gestanden und nie mehr angestrebt als das, was ich als erreichbar erkannt hatte, während du deine Phantasie ins Blaue hinein schweifen lässt und bei deinem bekannten Mangel an Menschenkenntnis und kritischem Unterscheidungsvermögen einfach auf all die Fallen des Lebens hineinfallen wirst, wenn du weiter so unbesonnen arbeitest, wie bisher."
Helmi kannte diese Art der Antwort bereits: Offensives Kritisieren anderer zum Eigenschutz. Für Helmi war die Frage beantwortet. Er wollte deswegen jetzt nicht eingeschnappt reagieren, aber wenn er überall nur auf Verständnislosigkeit oder Ablehnung stieß, dann wollte er beweisen, dass er nicht mehr der träumerische willfährige Zwerg war...er hatte nun seit Wochen versucht, Glum auszubilden. Und das mit Methode. Er kannte Glums Art ja. Und er wollte verhindern, dass der Zwerg wieder alles so hinausschob, dass seine Tatkraft und Begeisterung glücklich wieder einschlief und man sich wieder in dem alten Hundetrab zurechtfand.
"Na schön, Glum. Na schön. Ich bin bereit, deine Ausbildung heute abzuschließen. Ich weiß, dass sich eine praktische Prüfung erübrigen wird...aus Erfahrung und aus gesundheitlichen Umständen...hm...wollen wir es mit Probefragen versuchen?"
"Du bist hier der Prüfer."
"Also schön, dann lass mal schauen..."
"Breda, du warft fu hart fu ihm.", stellte Rogi nach getaner Arbeit fest, als sie sich mit der stellvertretenden Abteilungsleiterin bereit für den Weg zum Boucherie Rouge machte.
"Du sagtest doch heute selber, dass ich ihm mangelnde Vorbereitung vorwerfen würde, Rogi. Du siehst das jetzt wirklich viel zu verkrampft aus Stiefels Blickwinkel."
Die Igorina schüttelte den Kopf.
"Fugegeben. Aber man muff auch bedenken, daff Ftiefel hier nicht mehr der Jüngfte ift."
"Na hör mal. Ich bin auch schon 207 Jahre alt. Und ich bekomme meinen Dschob auch noch wunderbar hin. Stiefel ist, in diesen zeitlichen Ausmaßen gesehen, nur unwesentlich älter."
"Glum und du ihr feid hier die älteften. In gewiffer Weife nun einmal die Erfahrenften. Blof fieht die Fache bei dir anderf auf. Als Vampir ift dem Alter keine Grenfe gefetft. Daf hat weniger etwaf mit Geift und Körper fu tun. Glum wird nun einmal biologif alt. Und dann noch die Fache mit der Urkunde..."
"Hm..."
Sie zogen sich nachdenklich die Mäntel an.
"Dann ist er vielleicht einfach schon zu alt für die Wache. Nicht, dass er noch senil wird."
"Denke if nicht. Er läfft fich fein Alter nicht anmerken. Da wirkt er noch mal fünffig Jahre jünger. Blof...ift er ef vielleicht gewohnt, sich nicht viel vorfreiben fu laffen und eher auf eigene Fauft fu handeln. Er arbeitet ja auch effifient..."
"Mag sein, ja."
"Du warft trotfdem unhöflich fu ihm."
"Ich bin nie unhöflich."
"Dein Geficht feigt aber etwaf anderef."
Breda versuchte ihre Nase anzuschielen.
"Verräter!"
Rogi lachte.
Sie gingen hinaus in die kalte Abendluft. Es schneite ein wenig und vielleicht würden die Schneematschpfützen ja für einige Momente von einer schönen, echten Schneedecke übertüncht werden. Kalt genug war es ja. Nyria Maior kam ihnen leicht schwankend entgegen. Sie schien bereits den ein oder anderen Glühwein getrunken zu haben, den einige der Händler, denen immer noch schweinachtlich zu Mute war die Tage immer noch vereinzelt verkauften. Es war ihr gutes Recht, immerhin hatte sie bereits Dienstschluss und sehr wahrscheinlich hatte er seinen Frust an ihr ausgelassen.
"Guten Abend, Rekrutin. Du haft getrunken."
Nyria salutierte.
"Das war auch nötig Määm. Verzei-heiung.
Chm...Geht wieder."
"Waf hat er gemacht?"
Man konnte die verblasste Verzweiflung in den Augen der Angetrunkenen immer noch erkennen.
"Määm, ich habe mir auf dem Rückweg Gedanken gemacht. Und ich glaube, ich kann es auf den Punkt bringen: Dieser...hinter dem steckt nichts als revolutionäre Phrasen - der ist der einzige, der vor den Augen der Vorgesetzten mit seinem Verhalten Gnade findet. Das ist wundervoll! Selber leistet man nichts, alles Bestehende reißt er herunter und bestimmt es ganz einfach nach Belieben. Er ist ein aufgeblasener Komödiant, der anderen Leuten Predigten über Verhaltensregeln hält und in seinem eigenen Leben die Unsittlichkeit in Person ist."
"Ja, ef erfordert einige Übung mit Glum umfugehen. Aber ich will dir einen Rat geben: Leifte erft einmal felber etwaf, ehe du mit folchen Urteilen über jemanden fprift."
"Er ist antiautoritär, Chief-Korporal."
"Ja...daf ift er wohl...Gute Nacht, Rekrutin Maior."
"Gute Nacht, Määm."
Sie verschwand im Wachhaus. Breda und Rogi gingen weiter durch das matschige Ankh-Morpork.
"Er feint mir verbittert, Breda."
"Nein...", erwiderte die alte Frau nach kurzem Schweigen. "Ich glaube nicht mehr, dass er ganz auf der Höhe seiner Zeit steht...Und ich will auch keinen Versuch mehr machen, dass zu begreifen..."
Ein Gefühl des unendlichen Müdeseins kroch in ihr herauf. "Aber es wäre mir lieber...", fügte sie im Stillen hinzu: "...wenn die Probleme mir nicht gerade, nachdem ich meine neuen Pflichten übernommen habe mir Tag für Tag aufgetischt würden."
"Also, Glum. Welche wichtigen Daten musst du Sammeln?"
"Äh... Eckdaten der Vereinigung, besondere Vorkommnisse, geschichtlicher Hintergrund der Vereinigung, Übersicht bisheriger Untersuchungen, äh...Ankündigungen diverser Vorhaben...und äh...war es das nicht schon?"
"Im gemeinen Sinne, ja. Wozu brauchst du die Informationen?"
"Ich muss mich in Zielgebiete begeben können, möglichst ohne Verdacht zu erregen. Außerdem bilden sie die Grundlage jeder Fallauflösung. Helmi das ist das Gleiche, wie bisher auch schon."
"Ja...aber da müssen wir beide durch. Dann mal etwas spezielleres: ...Situation. Ich bin...Attentäter einer Gemeinschaft, die von den Satzungen der Assassinengilde nicht viel hält und deshalb operieren wir auf eigene Faust. Die Wache weiß nichts über uns, außer dass wir bewusst nicht nachts ermorden, um den Assassinen nicht den Weg zu kreuzen. Woher holst du die Informationen über uns?"
Glum legte die Stirn in Falten.
"Von den Bettlern?", begann er etwas unsicher.
"Berta Bettelfried weiß aber nichts."
"Wer ist Berta Bettelfried nun wieder?"
"Die Bettlerin."
"Dann bitte ich sie liebenswürdig darum."
"Sie weiß aber nichts."
"Ich...suche in der Zeitung oder im...Wachearchiv, ob die Assassinengilde vielleicht bereits mit dieser Organisation zu tun hatte und wir Vermerke haben?"
"Es gibt sie erst seit kurzem."
"Tja...ich würde davon ausgehen, dass...wie verschafft sich diese Gruppe Aufträge?"
"Gar nicht. Sie mordet aus Spaß."
"Dann...lege ich mir eine Identität als Bonze zu, laufe durch die Stadt, prahle herum und hoffe, dass ich ein lukratives Ziel biete, um Mörder anzulocken."
Helmi schürzte die Lippen, nickte bedenklich und sagte: "Nett. Das wäre eine Variante. Aber eine gefährliche. Außerdem lockt man damit noch mehr Gesindel an. Räuber, Diebe...Bettler eben."
"Der Knackpunkt ist doch aber die Provokation an sich. Dann wendet man sich an die Zeitung. Mit so etwas wie '
Ich wette, dass die mich nie kriegen. ' und...ne warte, noch besser. Wir machen das anders. Wir wenden uns noch immer an die Zeitung oder lassen irgendwo etwas durchsickern, dass Ermittler in der Stadt sind und Jagd auf sie machen. Eine Kraftprobe. So etwas lockt Mörder an."
"Hm...kannst du das noch weiter ausbauen?"
"Klar kann ich."
Glum legte fieberhaft die Stirn in Falten.
"Wie kann man jemanden provozieren, der sein Geschäft auf Provokation aufbaut? Der bewusst eine Gilde an der Nase herumführt?"
Helmi hob eine Augenbraue.
"Hattest du das nicht schon?"
"Nein. Zweispurig fahren, dass ist es. Wir bleiben bei der Presse. Und da geben wir uns als Ermittler aus, die wir ja auch tatsächlich sind. Zweifelsohne wird die Assassinengilde ohnehin bemüht sein, ihre Gegenspieler aus dem Weg zu räumen. Aber wie viel verlockender wäre es für sie, wenn man sie dafür auch noch bezahlen würde. So läuft das nämlich: Wir nehmen nur den Schein an, etwas in Gang zu setzen, aber die wahre Arbeit lassen wir unsere Zielobjekte ausführen. Sie sollen sich gegenseitig ausspielen, sich dazu bringen, irgendetwas zu verraten, was sie normalerweise nicht tun würden. Dann packen wir sie."
"Normalerweise, Glum, gehen wir die Sache vorsichtiger und weniger publik an."
"So? Ich nicht! Es ist doch die Art Dinge anzugehen, die unsere Arbeit auszeichnet, nicht wahr?"
"Hm...du redest die ganze Zeit von
wir."
"Ja. Logisch. Wir, die Molosse."
"Genau. Und deshalb ist es wichtig, dass was...?"
"Dass man im Tiem arbeitet. Aber das muss nichts heißen."
"Wieso?"
"Ich habe im Tiem gearbeitet. Zwei Stiche, drei Schnitte."
"Ach du je..."
Helmi holte tief Luft.
"Na gut. Deine Ausrüstung..."
"...bleibt die gleiche, wie bisher. Ich habe nicht die Absicht, sie zu ändern."
"Hm...ein Gremium wird dich jährlich überprüfen. Außerdem musst du auch mit gelegentlichen Kontrollen rechnen...noch ein letzter Test: Kannst du mir sagen, was hier steht?"
Glum starrte müde auf ein Blatt. Dort stand ein Satz in leicht kryptisch wirkenden Symbolen.
"Ahm...Du...hatte...hast...bestan-...den. Du hast bestanden. Na fabelhaft. Es ist geschafft."
Glum sank in seinem Stuhl zurück, gerade soweit, dass ihm der Schmerz ein Röcheln entweichen ließ.
"Gut gemacht, Glum. Ich bin stolz auf dich!"
"Ich muss sagen, du hast dich wacker geschlagen, Helmi. Solche standhafte Direktheit hätte ich nicht von dir erwartet, wenn ich ehrlich bin."
Ein unnötiger Zusatz. Glum war immer ehrlich, dass machte die Problematik aus.
"Naja, wie gesagt, es ist ja nichts sonderlich Neues."
"Nein, Glum, ich fürchte da irrst du dich. Dieser Dschob will gelernt sein. Wer keine Erfahrung hat, macht nur Ärger!"
"Mag sein. Aber es ist ja nicht so, als ob man hier etwas anderes von mir erwarten könnte."
"Das ist selbstmitleid-..."
Helmi glaubte im selben Augenblick eine Spur Rechtfertigung zu hören.
"Glum..."
Er stand selbst auf und trat an den verletzten Zwerg heran, der sich bereits erhoben hatte, um in sein Büro zurückzukehren. Er legte die Stirn ein wenig in Falten und musterte sein Gegenüber.
"Glum, du bist verbittert! Das ist es. Ich habe es die ganze Zeit nicht erkannt. Dabei hat Schlumpi schon zu GRUND-Zeiten darauf hingedeutet. Und jetzt, wo du verletzt bist, wo man dir deine Fehler vorgehalten hat, wo Emilia dich nicht heiraten kann und will, wo deine Defensive bis zum Geht-nicht-mehr ausgereizt ist, lässt du es durchschimmern...Du...du bist ängstlich."
Helmi konnte nicht anders. Er musste ganz einfach lachen. Die Erkenntnis hatte ihn berauscht.
Glum zitterte.
"Ja, verdammt. Ich habe Angst. Weil es so scheint, als sei alles immer unwichtiger. Weil in letzter Zeit nichts mehr einen Zusammenhang zu haben scheint. Seit Schlumpi...wie soll ich das sagen? Nicht mehr...ganz abkömmlich ist, bist du hier mein bester Freund. Aber du glaubst nur etwas zu wissen, von dem du nichts weißt. Schlumpi weiß es auch nicht besser. Ich...hänge nicht am Alten, falls es das ist, was du schlussfolgerst..."
Glum ging überraschend aufrecht zur Tür.
"Aber glaubst du nicht, Helmi, dass die ältere und die jüngere Generation immer wieder hart aneinander geraten? Ich bin gewiss nicht eigensinniger und hänge nicht zäher am alten, als andere...Ich habe also bestanden?", ergänzte er niedergeschlagen.
Helmi schluckte.
"Ja, hast du. Ich gebe Humph Bericht und Bescheid...hm, es tut mir Leid, wenn dich das gekränkt haben sollte. Das wollte ich nicht. Du weißt ja...ich bin sonst immer der Schüchterne. Und unter uns..."
Er ging auf Glum zu und senkte verschwörerisch den Kopf. Dieser bemühte sich um dasselbe.
"Ich glaube einige hier haben deine Art nicht nur zu kritisieren...sie bewundern dein direktes Vorgehen. Magst du Kaffee?"
"Klar. Wenn ich schon erstochen und durch die kalte Stadt gehumpelt bin, warum sollte ich mir da nicht auch noch den Mund verbrennen?"
Helmi blinzelte.
"Ich bringe ihn dir dann. Du willst dich sicherlich ausruhen."
Bevor Glum die Türe hinter sich schloss ergänzte Helmi noch: "Und bitte: Denke noch einmal ein wenig über die Ausbildung nach."
"Ich bin zu alt, um nachzudenken."
Und dennoch musste Helmi schmunzeln. Das war er wieder. Eine seiner typischen Bemerkungen. Sicherlich würde er nun noch einige Tage beleidigt spielen, danach war er der wieder der alte Meckerbolzen. Glum hatte leise, aber mit vor innerer Erregung zitternder Stimme gesprochen; nun wandte Helmi sich um und einen Augenblick später umgab ihn wieder die von ihm so oft gepriesene, durch kein Geräusch unterbrochene Stille seines Arbeitszimmers.
Kurz darauf tauchte er halb willenlos die Feder ein, während der Kaffee zu kochen begann und setzte sich an seinen Bericht. Nach einem kurzen Augenblick warf er sie weg, das Blut stieg ihm heiß in den Kopf und seine Faust fuhr heftig auf den Tisch nieder.
"Meine eigene Schuld.", knirschte er. "Ich bin wieder viel zu schwach gewesen. Ich habe mich zusammengerissen..."
Vorsichtig öffnete Rogi die Bürotür und streckte den Kopf durch den Spalt.
"Darf ich reinkommen?"
"Wir Ausbilder sind heute alle viel zu nachgiebig, Rogi!"
Als zehn Minuten später Breda an Glums Türe klopfte, um ihm in Rogis Auftrag den Kaffee zu bringen, hatte Glum hinter seinem Sekretär mit gekrümmtem Rücken erst ein paar Zeilen niedergeschrieben. Sie erschrak ein wenig über den im Gegensatz zu heute Nachmittag so müden und sorgenvollen Blick, mit dem er seine Arbeit zur Seite legte, den man von ihm kaum kannte.
Aber doch zog ein flüchtiges Lächeln über sein Gesicht, als sie ihm die Tasse hinstellte.
"Nanu? Du arbeitest noch?"
"Nein, ich versuche zu arbeiten. Das ist viel anstrengender!"
"Weißt du...ich glaube, wir hatten beide keinen guten Start ins Jahr. Lass uns das bei Gelegenheit noch einmal versuchen, ja?"
"Na meinetwegen."
Er nippte vorsichtig an der heißen Flüssigkeit, die höchstwahrscheinlich die halbe Stadtwache am Leben erhielt. Und er verbrannte sich die Lippe. Das Gesicht seiner Vorgesetzten sprach Bände, während sie sich kunstgerecht mit der Pracht ihrer Röcke auf dem Stuhl gegenüber niederließ.
"Glum...wir sind beide nicht mehr die Jüngsten..."
"Aber sehen manchmal auch ganz schön alt aus."
"Du redest, wie du's verstehst.", fuhr sie mit verlegener Entrüstung fort. Dem armen Glum war das Blut in den Kopf geschossen. Sie sah ein unruhiges Zucken im Gesicht des Zwerges, mit dem sie sich erst vor kurzem noch gestritten hatte.
"Siehst du darin ein Problem, Määm?"
Bredas Blick wanderte flüchtig gen Boden. Sah sie darin wirklich eins?
"Weißt du...ich habe über diesen Punkt noch mit niemandem gesprochen...ich weiß auch gar nicht, warum ich damit jetzt ausgerechnet zu dir komme. Es ist albern."
"Nein, bitte - sprich dich aus. Es muss ja etwas dran sein, dass du darüber mit
mir reden kannst."
"Bilde dir nichts ein, Stiefel."
Glum suchte die Augen seiner blassen Vorgesetzten. Sie saß dort mit unwillig gerunzelter Stirn und mit einem beinah erzürnten Widerspruch in ihren Augen. Dann sackte sie irgendwie in sich zusammen.
"Ich meine...es tut mir Leid, Glum."
Der Zwerg legte den Kopf leicht schief. In diesem Augenblick erkannte er, dass er nicht die junge, lebhafte Vorgesetzte vor sich hatte, dass Breda eigentlich viel stiller und ernsthafter geworden war und nur mehr mit halbem Herzen auf seine bisherigen Späße und Scherze eingegangen war, die er in unerschöpflicher Erfindungskraft immer wieder parat hatte. Dabei kannten sie sich bisher nicht einmal großartig. Und sie hatte den Wunsch nach einer Aussprache empfunden; vielleicht wollte sie ihrer neuen Position wegen sein Vertrauen gewinnen. Aber noch schneller wurde ihm in diesem Moment, wo sie so geknickt wirkte klar, dass er hierüber wahrscheinlich gar nicht mit ihr sprechen konnte, dass ihr ganzes bisheriges Verhältnis auf kleinen Neckereien und Ärgernissen aufgebaut war und dass er den Ernst in sich selbst fürchtete, den Ernst, der aus ihm in den vergangenen zwei Jahrhunderten einen alten Zwerg gemacht hatte.
"Glum...ich habe mit Rogi geredet...über das Altsein. Wir glauben, dass du damit erhebliche Probleme hast..."
"..aber...eigentlich..."
Glum kniff die Augen zusammen.
"...und nun, wo diese Gedanken ins Rollen geraten sind...ist dir etwas aufgefallen?"
Breda nickte betroffen.
"Glum, das ist für mich jetzt nicht einfach: Ich glaube, wir erwarten nicht mehr viel von dem was noch vor uns liegt."
"Wie alt bist du?"
"Kaum zwanzig Jahre jünger als du. Und dabei habe ich...öfter das Gefühl, dass...ja, dass wir unserem Alter nicht gerecht werden. Kannst du dir vorstellen, wie deprimierend es manchmal sein kann, von jemandem zurechtgewiesen zu werden, den man um Generationen überlebt hat? Und dann nehmen sie zu oft auch noch den Mund voll...Glum, was machen wir eigentlich bei der Wache? Hatten wir vorher keinen Platz im Leben? Warum orientieren wir uns an dieser Stadt? Ich bin in einer Zeit groß geworden, als es noch völlig in Ordnung war, dass wir Vampire Menschenblut trinken."
"Breda...was soll ich da sagen? Die Vergangenheit ist eine Sache, über die sich nur schwer reden lässt..."
Ein Wirbelsturm verwirrter Erinnerungen raste in einer Sekunde durch seine Gedanken und ihm schwindelte.
"...und ich bin mir auch gar nicht sicher, ob ich mir darüber Gedanken machen will..."
Breda wusste nun, warum sie ausgerechnet mit ihm darüber reden wollte. Sie wusste, dass sie sich anderen gegenüber damit nur etwas vormachte. Ihr Alter sah man ihr nicht an, auch Glum sah nicht so alt aus, wie er eigentlich war. Aber mit den meisten anderen wäre es zu keinem ernsthaften Gespräch gekommen. Hübsche, lebensfrohe junge Männer würden gar keinen Wert darauf legen, mit einer alten Vampirin über solch ernste Dinge zu reden. Sie würden ihr Artigkeiten über ihre Toilette, ihre Frisur, ihre Garderobe sagen, sich vielleicht noch ein paar Neckereien ausgedacht haben, um sie aufzuheitern. Sie würden ihr sagen, dass doch alles gar nicht so schlimm sei und dabei einen Ausdruck scheuen Respekts in den Augen tragen, dem gegenüber man sich häufig verwirrt und ängstlich fühlen konnte. Und es war Glums...gebrochener Blick gewesen, in dem die gleichen Gefühle zu liegen schienen, wie in ihren.
"Bitte, Breda...Ich möchte heute nicht mehr über...alte Sachen reden."
Breda nickte bedenklich.
"Dann ist es ja gut. Ich nämlich auch nicht."
Nyria Maior löschte im Schlafsaal ihre Kerze. Bevor sie sich die Decke über den Kopf zog, fiel ihr noch einmal etwas ein. Sie hatte am Abend noch Ausbilderin Kathiopeja etwas gefragt. Nachdem sie auf einiges Unverständnis hinsichtlich des Gefreiten gestoßen war, den sie ins Boucherie hatte bringen müssen, war ihre Neugierde geweckt worden.
'
227 Jahre.', schoss es ihr durch den Sinn. '
Wer wird denn so alt?'
[1] Er war es dennoch.
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