Nun war es so weit, ich war in der Wache und gerade auf dem Weg zur Arbeit. Ich erinnerte mich noch genau daran, was dieser Ausbilder Harry am vorigen Tag zu mir gesagt hatte: "Rekrut, du bist Morgen pünktlich da, pünktlich verstanden? Am ersten Arbeitstag zu spät kommen kann böse Folgen haben! Du hast den Großteil der Kurse absolviert und morgen sollst du mal die richtige Arbeit einer Wache miterleben!". Mit einem Lächeln auf den Lippen ging ich durch die Straßen und dachte daran, welche Heldentaten ich noch vollbringen würde und wie ich dann schließlich genauso wäre wie mein größtes Idol: Harry.
Unsanft wurde ich von meinem Organizer aus den Gedanken gerissen: "Hat dieser Giftzwerg gestern nicht gesagt, dass du pünktlich sein sollst?".
"Verdammt!", murmelte ich und rannte in Richtung Wachhaus.
Als ich vollkommen erschöpft dort ankam, ging ich durch die Türe und fand ein fast leeres Wachhaus vor. Vorsichtig fragte ich einen Wächter mit Augenklappe, der an dem Tresen stand: "Weißt du wo Harry ist?".
Ich bekam schnell die Antwort: "Wieso sollte er um diese Zeit da sein? Der Dienst beginnt erst in eineinhalb Stunden!".
Ich ging zu einem Platz am Kamin und sah dabei meinen Organizer an.
"Ich habe nie behauptet, dass du zu spät dran bist!".
Verlegen musste ich mir eingestehen, dass er Recht hatte. Trotzdem sagte ich: "Du hättest auch was sagen können, während ich gerannt bin!".
"Was glaubst du, wie brutal es ist, hier in diesem kleinen Kästchen durchgeschüttelt zu werden? Glaub mir, ich hätte nichts für dich verständliches herausgebracht!"
Deprimiert lehnte ich mich zurück. Plötzlich hörte ich neben mir eine Stimme: "Selbstgespräche sind zwar auch nicht normal, aber wenn man eine Antwort darauf bekommt, ist es noch um einiges komischer! Mein Name ist Lyndia!".
Verdutzt starrte ich sie an. Ich war mir sicher gewesen, dass der Sessel davor noch leer gewesen war. "Ähm ja also ich heiße Steffan aber wie bist du so schnell auf den Sessel gekommen?".
"So schnell auf den Sessel gekommen? Ich sitze hier schon die ganze Zeit! Die Leute fragen das dauernd!".
"Wo kommst du her? Ich komme aus Mistauch auf XXXX".
"Ich komme aus Bums in Überwald!".
[1]"Aber du bist kein Werwolf oder so?", fragte ich vorsichtig.
"Nein, ich bin ein Vampir!", sagte sie fröhlich, aber ich zuckte zusammen, stand auf und ging rückwärts aus dem Raum.
Lyndia zuckte mit den Schultern und widmete sich weiter dem unauffällig sein.
Ich hatte furchtbare Angst vor Vampiren, und das schon seit ich wusste, was Vampire waren. So rannte ich um die nächsten zwei Häuserecken, verdrückte eins von Schnappers Würstchen, übergab mich und kehrte pünktlich wieder zurück.
Dort hielt Harry gerade eine ermutigende Ansprache: "Also Rekruten! Ich habe hier einen Job für zwei von euch: Die Nachtschicht hat ein paar Probleme mit dem Personal, deswegen sollen zwei von euch nächste Nacht den Streifendienst an den Docks übernehmen. Die Zeit wird zu den unbezahlten Überstunden dazugerechnet, aber ihr könnt euch danach um eine Erfahrung reicher fühlen! Also, wer meldet sich für den Job?".
Ohne geringste Anstalten mich zu melden blieb ich in der Menge, als ich am anderen Ende eine einzige erhobene Hand sah.
"Es gibt einen 'ganzen' Freiwilligen? OK, soll ja vorkommen. Wie heißt du?".
"Lyndia!"
Erschrocken zuckte ich zusammen.
"Dann such dir einen freiwilligen Partner aus!"
"Ich muss schnell schauen ob er überhaupt da ist!"
Ich ging auf die Knie und versucht durch die Türe nach draußen zu kommen, aber als ich gerade in hinaus kam, entdeckte sie mich.
"Der da soll mitkommen! Den hab ich heute schon getroffen!"
Nachdem alle Jobs verteilt waren, ging sie auf mich zu und sagte: "Wir sehen uns heute Abend um acht hier!".
Ich ging verstört zu einem der Sessel am Kamin und setzte mich hin, mein schlimmster Albtraum war wahr geworden: Eine ganze Nacht lang allein mit einem Vampir. Aber solange ich in der Wache war, musste ich auch damit fertig werden können!
Ich war inzwischen eingenickt, wurde aber aus dem Schlaf gerissen, als direkt hinter mir jemand "Hi!" sagte. Ich hätte nie gedacht, dass dieses einfache Wort so erschreckend wirken konnte. Ich stolperte nach vorne, schob meinen Kopf fast in den brennenden Kamin und richtete mich keuchend wieder auf. Natürlich war sie es gewesen, die mich so erschrocken hatte, also gingen wir weiter zu den Docks.
In den Straßen war es bereits dunkel, aber Lyndia schien es nicht zu stören. Nun ja, sie war ja auch ein Vampir. Ich musste mir aber trotzdem eingestehen, dass sie in keinster weise gefährlich aussah, aber sie war ein verdammter Vampir.
Als wir im Hafenviertel angekommen waren, wurde mir richtig mulmig zumute. Überall waren lichtscheue Gestalten und jede Seitengasse wirkte so, als ob jeden Moment ein tollwütiger Troll herausstürzen könnte. Auf einmal hörte ich in der Nähe jemanden rufen: "Hilfe, Wache es ist ein Notfall!".
Erleichtert durch die Ablenkung rannte ich zu dem Mann. Irgendwoher kannte ich ihn, ich wusste nur nicht von wo, es musste schon lange her sein.
"Was ist los?"
Er antwortete sofort: "Ich habe Diebe in meinem Lagerhaus gesehen! Die wollen bestimmt meine teuren Seidenstoffe stehlen!".
Ich bemerkte einen leichten icksianischen Akzent, anscheinend war er aber schon um einiges länger als ich in Morpork.
"Wo ist das Lagerhaus?", fragte Lyndia.
Der Mann zeigte auf ein großes Gebäude.
"Wir kümmern uns darum, ihre Seide ist in den richtigen Händen!"
Ich ging zusammen mit Lyndia zu dem Gebäude.
"Geh zur anderen Seite der Tür, auf mein Kommando stürmen wir!", sagte Lyndia plötzlich.
[2] Sie zählte mit den Fingern von drei abwärts. Als sie den letzten Finger weggesteckt hatte, stieß sie die Tür auf und wir rannten zusammen hinein. Von einem Dieb war nichts zu sehen, und das Lagerhaus war bis auf einen großen Haufen Fässer und Kisten leer. Mir stieg ein starker Schwarzpulvergeruch in die Nase und als ich mich umdrehte fiel die Türe zu und ich hörte ein lautes Klicken. Ich hörte auf an den Dieb zu denken und dachte lieber darüber nach, warum eine etwa 2 Meter lange, brennende Lunte zu dem Haufen aus Fässern hinrannte.
"Zu einfach!", murmelte ich und trat darauf.
Die Zündschnur ging aus und brannte nach ein paar Sekunden weiter. Ich schaute etwas verlegen zu Lyndia, tauchte meine Hand in eine Wasserlache und spritze die Lunte aus, aber einen Moment später brannte sie weiter. In Anbetracht der Geschwindigkeit, in der die Lunte abbrannte hatten wir nur noch etwa eine Minute bis alles explodierte.
"Sieht so aus als wäre das hier eine Falle, oder?", sagte Lyndia auf einmal.
Ich rannte zur Türe und trat mit voller Wucht dagegen, um es kurz zu machen: Ich hatte so etwas noch nie zuvor getan und ich hätte es in diesem Moment auch nicht tun sollen. Mein Knöchel brach mit einem lauten Krachen und ich fiel nach hinten um. Hinter mir sah ich, dass Lyndia sich in einen Fledermausschwarm verwandelte, mich packte und durch eine Luke im Dach nach draußen zerrte. Gleichzeitig erleichtert darüber, dass ich nicht sterben musste und schreiend um mich schlagend wurde ich auf dem Steg abgesetzt. In der Nähe des Lagerhauses stand der Mann, der uns gerufen hatte. Als er uns sah, zog er eine Armbrust hinter dem Rücken hervor und schoss auf uns.
"Hol Hilfe!", sagte ich erschrocken zu dem Fledermausschwarm.
Als er in der Dunkelheit verschwunden war, drehte ich mich zu dem Mann um und wollte darauf zurennen, als ich meinen gebrochenen Fuß bemerkte und hinfiel. Neben mir explodierte das Haus und ich wurde unter einem Splitterhaufen begraben. Mein Rücken wies ein paar schwere Wunden auf und ich spürte das Blut meinen Rücken herunterfließen. Ich konnte nur verschwommen sehen, wie der Unbekannte auf mich zuschritt und die Armbrust auf mich richtete.
"Dein Vater hat mich damals verbannt, einfach so! Nur damit er seine Macht als Bürgermeister einmal ausnutzen konnte! Dann bin ich mit dem nächsten Schiff nach Morpork gefahren, ich hatte hier bis jetzt ein glückliches Leben, aber dann bist du gekommen. Ich habe dich Anfangs nur verfolgt, aber dann kam der Wunsch nach Rache. Und jetzt ist es soweit!"
In genau diesem Moment rammten ihn ziemlich viele Fledermäuse, die ihn kurz darauf ins Wasser stießen. Ich drehte mich um und sah zwei Wächter auf uns zukommen. In diesem Moment wurde mir klar, dass mir an diesem Tag zweimal das Leben von einem Vampir gerettet wurde. Obwohl ich nicht wusste, wer mein fast-Mörder war, war ich beruhigt genug um in Ohnmacht zu fallen.
Am Ende wurde der Mann mit einem Brief an meinen Vater und einem Bericht der Ereignisse zurück nach XXXX geschickt und ich blieb noch einige Zeit nach dem 'Unfall' im Bett.
[1] Bums heißt auf Icksianisch soviel wie Scheißdrauf, ist also ein ganz normaler Name für eine Stadt
[2] In diesem Moment ignorierte ich einfach mal, dass uns dies bei einem Gebäude von dieser Große nicht wirklich helfen würde, da wir zusätzlich noch keinerlei Schusswaffen besaßen, schließlich wollte ich ihr nicht unbedingt widersprechen.
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