Bimmli, Zeit und Raum

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von Oberleutnant Pismire (SUSI)
Online seit 24. 12. 2008
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 Außerdem kommen vor: Sebulon, Sohn des SamaxJargon SchneidgutMenélaos Schmelz

Das Unfassbare ist geschehen. Trotz intensiver Bewachung wurde die Messingbrücke gestohlen. Kannst du zur Aufklärung beitragen?

Dafür vergebene Note: 12

Kapitel 1: Spuren im Schnee

Pismire schloss den Obduktionsbericht an dem er bis jetzt gearbeitet hatte ab und richtete sich mit steifen Gliedern auf. Es war mitten in der Nacht - so gegen halb vier, schätzte er - und die Stadt Ankh-Morpork war fast ruhig. Leichter Schneefall hatte gegen Mitternacht eingesetzt und machte sich durch den hellen Widerschein der Dachflächen sowie die deutlich gedämpfte Geräuschkulisse der großen Stadt bemerkbar.
Er bekam Lust auf einen Spaziergang, denn er mochte es über alles, als Erster seine Spuren im frisch gefallenen Schnee zu hinterlassen, wofür ihm diese Nacht ideal schien.

In seinen dicken Umhang gehüllt begann er seinen Weg am Pseudopolisplatz auf der Salisstraße, schlenderte über den Schnitt und schlug über den Kühnen Weg einen Bogen in Richtung Teekuchenstraße. Auf der Sentimentalen Brücke legte er eine kleine Pause ein und blickte versonnen über die Masse des Ankh in Richtung des Runden Meers.
Zehn Sekunden später setzte er seinen Weg fort, weil seine Augen zu tränen begannen und er einen schweren Hustenanfall befürchtete, denn selbst die Winterkälte konnte den ätzenden Dämpfen des Flusses nichts anhaben. Er vermied im Folgenden das Ufer so gut er konnte und beschloss, da ihm nun langsam kalt wurde, über die Alchemistenstraße, die Messingbrücke und den Unteren Breiten Weg ins Wachhaus zurückzukehren.
Er war so in das Gehen im Schnee versunken, dass er erst direkt vor der Brücke aufschreckte, weil etwas nicht stimmte. Und richtig: Unmittelbar zwischen ihm und der Brücke schwebte eine von oktarinem Leuchten eingerahmte, schlichte Holztüre mitten in der Luft. Ein kleines Ding hatte sich so auf der Schwelle verkeilt, dass sie sich nicht mehr schließen konnte. Es handelte sich um einen kleinen, ovalen, metallisch schimmernden Gegenstand. Und erst da bemerkte Pismire, dass die Türe mitnichten das einzige Merkwürdige hier war. Hinter ihr war nichts. Die Luft war - egal von welcher Seite auch - leer. Überrascht hielt er den Atem an, denn das bedeutete, dass das unvorstellbare, das ultimative Verbrechen geschehen war: Jemand hatte die Messingbrücke gestohlen.

Misstrauisch umrundetet und beäugte Pismire nun die in der Luft schimmernde Tür, die als einzige einen Hinweis geben konnte. Wenn er in direkter Linie vom Patrizierpalast aus zur verschwundenen Brücke blickte, dann konnte der Oberleutnant die Tür deutlich vor sich sehen. Sobald er auch nur ein wenig seine Position veränderte, dann war sie verschwunden. Sie schien aus Holz zu sein, hatte sechs regelmäßig geschnitzte, rechteckige Kassetten und einen runden Knopf aus Messing anstatt einer Klinke. Das Holz war stark nachgedunkelt und offenbarte so sein Alter. Durch den geöffneten Spalt schien Licht, das zu hell war, um irgendetwas sonst in der Tür sehen zu können. Das oktarine Licht rund um die Tür schien leicht zu pulsieren. Um sich den kleinen Gegenstand auf der Schwelle besser ansehen zu können, beugte Pismire sich vor. Offensichtlich handelt es sich um das abgebrochene Ohr eines der königlichen Nilpferde, die die Brücke zierten.
Für einen kurzen Augenblick war sich der Schamane sicher, dass er seinen nächsten Schritt mit Sicherheit hinterher bedauern würde, aber seine Neugier war zu stark. Mit der linken Hand öffnete er vorsichtig die Tür und griff mit rechts nach dem Nilpferdohr. Zögerlich durchschritt er vorgebeugt die Tür, wobei er das seltsame Gefühl hatte, dass haarige Dinge seinen Kopf und Nacken streiften. Überrascht ließ er dabei den Türknauf los. Hektisch grapschte er nach dem auf der Rückseite der Tür vorhandenen Messingknauf, aber verfehlte ihn. Schnell fiel die Tür ins Schloss und war augenblicklich verschwunden. Überrascht richtete der alte Mann sich auf. Er befand sich inmitten eines tief verschneiten Waldes auf einer kleinen Lichtung und vor ihm stand - zu seinem großen Erstaunen - eine moderne Gaslaterne mit durchsichtigen Glasscheiben in einem Metallgestell auf einem hohen eisernen Pfahl, in der eine helle Flamme brannte. Zögerlich näherte er sich dem Lichtkreis. Im Schnee zeichneten sich Spuren von gespalten Hufen ab, die ihn vage an Ziegenspuren erinnerten, allerdings schien diese Ziege - wenn er die Spuren richtig deutete - recht groß gewesen und auf den Hinterbeinen gelaufen zu sein. Es schneite immer noch leicht in diesem Wald und die Luft war um einiges kälter als sie es in Ankh-Morpork gewesen war. Er erreichte nun die Laterne, in der rechten Hand immer noch das Messingohr des königlichen Nilpferdes, das - wie er wusste - gar nicht aus Messing bestand. Geistesabwesend ließ er es in eine Tasche seines Umhangs gleiten. Auf einmal hörte er leise Schritte im Schnee. Er drehte sich um und sah ein paar Biber durch den Schnee huschen. Sie trugen peinlich-bunte Strickmützen, Schals und Handschuhe, und als sie den Schamanen sahen, quiekten sie: "Oh, hallo!", und hasteten weiter.
Zweifellos ging hier irgendetwas sehr, sehr Merkwürdiges vor. Er brauchte erst einmal eine Pause zum Nachdenken, befand er, und eine Stütze. Vorsichtig griff er nach der Laterne, um sich dort anzulehnen.

In dem Augenblick, als er sie berührte, veränderte sich seine Umgebung erneut: Es wurde schlagartig wärmer, der Wald schien zu verblassen und sich aufzulösen und an seine Stelle trat ein riesiger Raum mit einem Dutzend Türen, die alle völlig verschieden aussahen und in der Luft ein weiträumiges Zwölfeck bildeten. Boden, Decke und Wände - falls es solche gab - ließen ihn jedoch erschrecken: das Ganze wirkte so, als stünde er mitten zwischen den Sternen. Hinter sich spürte er eine Bewegung, die er nicht einordnen konnte. Er hatte ein Gefühl, als würde etwas Spitzes und Kaltes seinen Hinterkopf berühren, und dann hörte er eine Stimme, die triumphierend zu ihm sprach: "So, so, wen haben wir denn da! Schön vorsichtig das Beweismaterial aus der Tasche nehmen und fallen lassen, Freundchen. Mach keine Dummheiten - drei Leute zielen direkt auf deinen Kopf. Und dann wirst du artig die Hände heben und dich langsam zu uns umdrehen. Du hast wohl gedacht, ihr kommt damit durch, hä?"
Ohne lange zu zögern, kam der Oberleutnant der Aufforderung nach. Als er sich langsam und mit vorsichtig erhobenen Händen umgedreht hatte, sah er, dass in der Tat drei Wesen keine fünf Meter von ihm entfernt standen und mit Bogen und Pfeil auf ihn zielten. Das Vorderste von ihnen war ein hoch gewachsener, schlanker Mann mit einem unwirklich schönen Gesicht, langen, weißblonden Haaren, die in einer exquisiten Flechtfrisur angeordnet waren, und grauen, glänzenden Augen. Er trug eine Art von Kettenrüstung aus einem silbernen, hell strahlenden Metall und einen mitternachtsblauen Umhang mit aufgestickten Sternen, sodass er mit dem Boden und der Decke zu verschmelzen schien. Die beiden anderen Wesen waren ähnlich gekleidet wie er. Es handelte sich um eine atemberaubend schöne Frau mit dunklen Haaren und nachtblauen Augen in einer schwarzen Kettenrüstung, die mit Sicherheit zu derselben Art wie der Mann gehörte, und um ein Wesen, das annähernd 180 Zentimetern groß war und einer aufrecht gehenden Eidechse ähnelte. Allerdings waren Arme und Beine menschlich und nur ein unter dem Umhang nervös hin und her pendelnder Schwanz sowie der Kopf und das Gesicht zeugten von seiner Tierhaftigkeit. Auch dieses war in eine silbrig glänzende Rüstung wie der Mann gekleidet. Auf der linken Schulter war ein Abzeichen befestigt, dass wie ein großes "A" in einem Kreis aussah.
Der Mann ließ nun seinen Bogen sinken und fuhr dabei fort: "Haldir von Lorien - Interdimensionale Elbenwacht. Es ist besser, wenn du uns jetzt ganz schnell sagst, wo deine Kumpel den Rest der Brücke haben. Ein frühzeitiges, umfängliches und vor allem freiwilliges Geständnis kann dir selber später eine Menge Ärger ersparen!"
"Moment - welche Brücke. Doch nicht die Messingbrücke - oder? Ihr wisst also, wer unsere Brücke gestohlen hat? Und vor allem: Ihr seid auch Wächter!?" Und als Pismire den Blick seines Gegenübers bemerkte, nahm er vorsichtig und langsam eine Hand runter, deutete damit auf die Dienstmarke an seinem Umhang und stellte sich mit den Worten vor: "Oberleutnant Pismire. Stadtwache von Ankh-Morpork. Unter den gegebenen Umständen sollten wir erwägen zu kooperieren."


Kapitel 2: Zwischen den Welten

Misstrauisch beugte Haldir sich vor und beäugte die Dienstmarke auf Pismires Umhang. Dann richtete er sich mit einem strahlenden Lächeln auf. "Tatsächlich. Du bist also ein Wächter? Was für eine Freude, dich zu treffen, Pis - äh"
"- mire", half ihm der Oberleutnant, der anfängliche Ausspracheschwierigkeiten mit seinem Namen gewohnt war. "Oberleutnant Pismire."
Auf ein Zeichen Haldirs hin senkten die Frau und das Echsenwesen nun gleichfalls ihre Bögen.
"Aber wie kommst du hierher?", fragte Haldir. "Normalerweise bleiben unerwünschte Besucher ein wenig in N'ArniA hängen und kehren dann wieder dorthin zurück, woher sie gekommen sind - wenn sie den Rückweg finden."
"Narnia - das ist der verschneite Wald rund um diese Laterne, wo ich gerade war?", fragte Pismire vorsichtig.
"Ja. Aber an der Aussprache solltest du noch ein wenig arbeiten. Es heißt "N'ArniA", nicht Narnia", wurde er korrigiert.
"Und ihr seid - was bitte genau!? Die Inter-wie-bitte Elfenwacht?"
"Elben. Wir selbst bezeichnen uns als Elben. Und wir sind Mitglieder der In-ter-di-men-si-o-na-len Elben-wache." Jede Silbe wurde überdeutlich akzentuiert. Und mit einem Blick in Pismires Gesicht fuhr der Mann fort: "Du siehst aus, als ob du Fragen hast. Eine Menge Fragen. Nun, wie es der Zufall will, haben wir Zeit. Eine Menge Zeit. Wir könnten dir einige deiner Fragen beantworten", köderte er den ewig neugierigen Schamanen.
Er wies ein wenig weiter in den Raum hinein, wo Pismire nun einen Art von Paravent in der Nähe einer der Türen bemerkte, mit dem ein Bereich abgetrennt war, und wo ein Feuer brannte und einige Decken auf dem Boden eine improvisierte Sitzgelegenheit bildeten.

Dort ließen sich die vier nieder. Haldir reichte Pismire ungefragt einen Becher mit Wein. Dieser entschied kurzerhand für sich, dass er nach der Arbeit einen privaten Spaziergang gemacht hatte und somit nun definitiv außer Dienst war und dass er darüber hinaus einen Schluck gut gebrauchen konnte.
"Wo bin ich hier - ich meine: Was ist das hier für eine Art von Raum?"
"Wir sind hier im intermundialen Raum, also im Raum zwischen den Welten - wie der Name schon sagt. Mundus ist der Ausdruck für eine einzelne Welt - eure Scheibenwelt beispielsweise ist ein Mundus. Meine Welt Mittelerde ist ein Mundus. Und Inter bedeutet: zwischen. Viele Welten, die zusammen hängen, bilden ein Multiversum. Außerdem musst du wissen, dass die verschiedenen Mundi und auch die Multiversen alle irgendwie miteinander verbunden sind und an Orten wie diesen", er wies auf die Türen, die im Raum zu sehen waren, "treffen einige von ihnen aneinander, und jene, die das normalerweise nicht können, haben hier gelegentlich die Möglichkeit von einer Welt in eine andere zu gelangen."
"Jene die das normalerweise nicht können?"
"Sterbliche. Menschen. Nicht-Elben - wenn du so willst."
"Jemand wie ich?"
"Ja, genau. Jemand wie du."
"Dann ist das hier ist also so eine Art Verbindungsraum?"
"Du hast es erfasst. Von hier aus kannst du durch diese Tür", Haldir wies auf eine pergamentfarbene Tür, deren Inschrift ein wenig dem ephebianischen Buchstaben Π ähnelte und die aus flüssiger Lava zu bestehen schien, "wieder in deine Welt zurück kehren."
Pismire schaute sich ein wenig um, bevor er fragte: "Bist du dir da sicher, dass es die Tür mit dem "phi" ist? Könnte es nicht eher die Tür mit der Schildkröte, den vier Elefanten und der sich darauf drehenden Scheibe sein?" Er zeigte auf eine andere Tür, die ein Abbild von Groß-A'Tuins zeigte.
Haldir kicherte. "Nein, so einfach ist das leider nicht. Die Schildkröte markiert den Weg in eine Welt, auf der die einzigen Kontinente sich fünfhundert Meter unter der Wasseroberfläche befinden und deren intelligenteste Bewohner am Besten mit einer Kolonie vernetzter Gallertwesen von nahezu einer Meile Durchmesser zu vergleichen sind - gigantische, intelligente Riesenquallen, wenn du so willst. Du musst uns schon glauben - du kannst nur durch das Tor mit der Lavainschrift wieder zurückkehren."
Pismire nickte ein wenig beklommen. "Aber was ist dann dieses N'ArniA? Ebenfalls ein Verbindungsraum?"
Haldir nickte. "Ja und Nein. Eigentlich ist N'ArniA dazu da, um von diesen Verbindungsräumen abzulenken. Um von N'ArniA aus weiter zu gelangen, muss man den Schalter kennen."
"Die Lampe!?"
"Klug erkannt. Die ist ein Schalter. Wenn man sie berührt, dann kommt man in einen dieser Verbindungsräume. Soll das ständige Hin und Her zwischen den Welten verhindern. Für uns", und er deutete mit einem selbstgefälligen Lächeln auf sich und die Elbenfrau, "gilt das natürlich nicht."
"Und warum das nicht?", wollte Pismire wissen.
"Elben können ungehindert zwischen den Welten reisen. Deshalb gibt es auch in fast allen Welten Elben", war die Antwort.
Pismire nickte nachdenklich. "Ich habe in meiner Welt von Elfen gehört. Sie gelten als grausam, unbeherrscht, machtgierig und sie treiben unappetitliche Dinge mit Menschen und unanständige mit Tieren, wenn sie sie bekommen können. Große, magnetische Findlinge verhindern, dass die Elfen in unsere Welt kommen."
Ein wenig peinlich berührt meinte Haldir: "Stimmt. Offensichtlich hast du schon von unseren haarigen Vettern gehört." Er lachte ein wenig verlegen.
"Haarige Vettern?!" Pismire hatte den Eindruck, dass er hier eine Ebene des Gesprächs nicht mitbekam.
Die Elbenfrau schaltete sich ein: "Das ist ein Wortspiel. Es gibt einige Welten, in denen es Menschen gibt, die glauben, dass sie mit Menschenaffen verwandt sind - meist in Form eines gemeinsamen Vorfahren. Die nennen sie dort ihre "haarigen Vettern". Die Elfen, die du aus deiner Welt kennst, sind für uns haarig im Sinne von "schwierig" - ein Spiel mit den zwei Bedeutungen von haarig - ein Wortspiel also."
"Und ein lausssssiges dazu", zischelte das Echsenwesen neben Pismire vernehmlich.
"Hin und wieder kommt es vor, dass wir bei unseren Ermittlungen auch welche von unseren Leute festnehmen müssen", erläuterte Haldir. "Meist handelt es sich dabei um ausgesprochen psychotische Täter. Für die haben wir ein Gefängnis, das ziemlich direkt neben eurer Welt liegt - ich meine, irgendwo müssen wir ja mit ihnen bleiben, oder? Und damit sie nicht entkommen können, belegen wir sie mit der Spur, einer Art Zauber, der verhindert, dass sie sich Eisen nähern, und an den Portalen stellen wir große Magnete auf. Alles zu eurer Sicherheit. Da kann gar nichts passieren."
Pismire brauchte eine Sekunde, um das Gehörte zu verarbeiten. "Moment, Haldir, verstehe ich das richtig: Du meinst, das uns bekannte Elfenkönigreich ist eure geschlossene Abteilung für geistesgestörte Straftäter?"
"Du hast es genau erfasst, Oberleutnant. Obwohl ich deine Ausdrucksweise insgesamt für wenig subtil halte." Der Elb klang ein wenig beleidigt.
"Und ihr seid eine Wache, die sich um Verbrechen kümmert, die sich in mehreren Welten abspielen?", hakte Pismire nach.
Haldir nickte enthusiastisch. "Genau so ist es - wir sind Mitglieder der Interdimensionalen Elbenwacht."
"Aber er" - Pismire deutete auf das Echsenwesen - "ist kein Elb!"
Kaum hatte er den Satz ausgesprochen, als sich das Echsenwesen bedrohlich aufrichtete, seine Stacheln spreizte und laut zischte: "SSSSSSSSSSIE, ssssie, du Sssssexisssssst. Nur weil ich SSSStacheln habe, bin ich noch lange nicht männlich!"
Pismire versuchte sie mit beschwichtigenden Gesten zu beruhigen, während er sich fragte, ob die Krallen an den Händen wirklich so scharf waren wie sie wirkten.
"Nun komm, DarMa, der Mann wollte dich nicht kränken, er weiß es nicht besser", schaltete sich in gleichfalls beruhigender Absicht die Elbin ein. Das Echsenwesen schnaubte wütend und bedachte den Schamanen mit giftigen Blicken.

In der so entstandenen Gesprächspause angelte Pismire sich die Weinflasche und goss sich ein weiteres Glas ein.
"Und ihr Elben könnt also einfach so durch diesen Verbindungsraum die unterschiedlichen Welten des Multiversums betreten und so euren Ermittlungen nachgehen?", war sein Versuch, durch ein harmloses Thema die Gemüter zu beruhigen.
"Nein, nein", meinte Haldir lächelnd. "Ich erwähnte es, glaube ich, vorher schon am Rande. Elben brauchen diesen Raum nicht. Wir haben ihn lediglich entdeckt und nutzen ihn manchmal. Wir sind die ältesten und reinsten Kinder der Welt und bestehen aus dem Staub, der zwischen den Welten tanzt und können so direkt zwischen ihnen wandern. Die Verbindungsräume helfen uns, mehrere Weltenzugänge gleichzeitig im Auge zu behalten."
"Staub? Ihr besteht auch aus Staub?" Vor Erstaunen verschluckte Pismire sich fast am Wein. Die Konzeption, dass alles Leben aus Staub besteht, war ihm natürlich nicht unbekannt, er selbst hatte es einst den Munrung auf der Teppichwelt mit dem ältesten und kürzesten ihrer Schöpfungsmythen so erklärt. [1] "Aber wir alle - ich meine alles besteht aus Staub. Auch wir Menschen. Doch soweit ich es weiß, können wir Menschen nicht einfach zwischen den Welten wechseln!"
Haldir sah ihn skeptisch an. "Soweit wir wissen, bestehen nur wir aus dem Staub. Menschen sind aus anderem Material gemacht. Vielleicht ein anderer Staub. Denn sonst könntet ihr euch ja auch so zwischen den Welten bewegen. Und genau das könnt ihr nicht." Jedes einzelne Wort des letzten Satzes wurde von einer unterstreichenden Geste mit dem Zeigefinger untermalt.
"Unsere Gelehrten erklären es so, dass die Menschen dafür die Gabe haben, nach ihrem Tod die Kreise der Welt endgültig zu verlassen", erläuterte die Elbenfrau, "zumindest ihre Seele, also der eigentliche Teil, während wir Elben ewiger Bestandteil der Welt sind - also auch unsere Seelen die Welt nicht verlassen können. Man kann jetzt lange darüber philosophieren, welches die 'bessere' Gabe ist." Die Elbin begleitete das Wort bessere mit gestischen Anführungsstrichen.


Kapitel 3: Die Ermittler

"Ihr scheint ziemlich viel rumzukommen", meinte Pismire, der das Thema nicht weiter vertiefen wollte, da er ungern ontologische Dispute vor dem Abendessen - in diesem Falle vor dem Frühstück - führte. "Ich stelle es mir interessant vor, andere Welten zu besuchen. Kaum auszudenken, was man da alles zu sehen bekommt."
"Ja, da kann ich dir nur zustimmen", griff Haldir diesen Faden begeistert auf. "Du kannst dir nicht vorstellen, was es da draußen", und er deutete auf den sie umgebenden Raum, "alles an un-glaub-lichen Dingen gibt. Es gibt Lebensformen, die wir uns vorher auch nicht vorstellen konnten. Es ist ab-so-lut irre. Baumwelten, Wasserwelten, Wüstenplaneten, der absolute Wahnsinn. Ungeahnte Lebewesen und phantastische Lebensformen - es ist alles da draußen. Und es wird ständig mehr. Wir haben da beispielsweise im Rahmen einer komplizierten Ermittlung mal einen Typen verhört, der hockte den ganzen Tag in einer selbst gebastelten Nobelhöhle und saugte sich buchstäblich neue Welten aus den Fingern, verstehst du? Der saß da an einem Schreibtisch, vor sich Feder und eine besondere Tinte, schreibt was in ein Buch und - bums - es existiert. Einfach irre. Und wenn du da hin willst, dann musst du einfach nur das Titelblatt des entsprechenden Buches berühren. Dann dreht sich auf einmal alles, so ein dumpfes Brummen kommt, wie wenn jemand, der Bass singen kann lauthals in eine Porzellanschüssel reihert, und du bist einfach da. Beeindruckend. Die Höhle an sich war ja schon scharf, aber das mit den Welten war echt verschärft. Angeblich hatten sie das Talent in der Familie. In Wirklichkeit war es die Tinte - hat eine Weile gedauert, bis wir es raus hatten. Und weißt du, was das Allerschärfste war? Der Typ schreibt sich eine irre, absonderliche und wunderbare Welt nach der anderen und setzt dann keinen Fuß hin. Hatte angeblich zu viel um die Ohren. Entsprechend sah sein Familienleben aus: Die Frau war vor Jahren schon gegangen und hatte ihn mit den zwei Söhnen sitzen lassen. Und der Typ war damit total überfordert. So ein bärtiger, bebrillter Stubenhocker, dem es zu viel wird, wenn er seinen Kleinen mal den Hintern abwischen muss. Also hat er den Söhnen Spiel- und Aufenthaltswelten geschrieben, was gründlich in die Hose gegangen ist. Wie Kinder halt so sind: Sie sind nicht pfleglich mit ihren Spielsachen umgegangen. Und ist ja auch egal, wenn was passiert, schreibt Papi halt was Neues. Und untereinander wie Hund und Katze: Haust du meine Völker, hau ich deine Völker. Knapp drei Jahre später waren achtzehn Welten total im Eimer, Dutzende Rassen ausgerottet, unzählige Seelen beim großen Ernter abgegeben. Gab 'ne ordentliche Strafe wegen: Verletzung der Aufsichtspflicht, Vernachlässigung Minderjähriger, Völkermord, Weltenbrand, Verhöhnung der Schöpfung, unerlaubte Imitierung göttlichen Wirkens und Tragens scheußlicher Hemden. Jetzt haben wir ihm eine Welt geschrieben. Groß, weiß, hell, freundlich, leer und wenn man Hunger hat, erscheint Essen - und zwar á la card und vom Feinsten. Aber keine Tinte, keine Bücher. Hin und wieder kriegt er einen Spezialauftrag von uns, weil wir ihm dafür das Zeichnen beigebracht haben. Ich sag immer: Atrus, sag ich, lass das mit den Wörtern. Die sind zu komplex, da gibt es Wechselwirkungen und - schwumms - haben wir wieder Krieg oder Seuchen oder so was. Hier, nimm lieber den Zeichenblock, setzt dich hin und ...". Ein deutliches Räuspern der Elbenfrau ließ den redseligen Haldir verstummen. "Na ja, ich will dich ja nicht mit Details langweilen."
Pismire winkte zwar ab, allerdings war klar, dass der auskunftsfreudige Elb das Thema nicht wieder aufgreifen würde - so interessant es auch erscheinen mochte. Recht schweigsam starrte er in das Feuer, so dass die Konversation einen Augenblick stockte.

Für Pismire war dies die Gelegenheit, einen weiteren Teil seiner Neugier zu befriedigen.
In der Hoffnung, dass das Echsenwesen sich wieder beruhigt hatte, wandte er sich an das stachlige Weibchen. "Und dein Name ist also DarMa", fragte er betont freundlich. "Wie kommst du zur Interdimensionalen Elbenwacht?"
"Ich bin kein Mitglied, ich bin eher - wie soll man sagen - in eigener Sache hier. In dem selben Fall, der dich auch betrifft", bemerkte sie kryptisch.
"DarMa hilft uns bei unseren Ermittlungen", kam es von der Elbin, die aber nichts weiter erläuterte.

"Um also einmal auf das uns gemeinsam beschäftigende Verbrechen zurück zu kommen: Ihr habt euch hier auf die Lauer gelegt, weil ihr die Vermutung hattet, dass irgendjemand versuchen könnte, die Messingbrücke in Ankh-Morpork zu stehlen!? Und aus eurem Verhalten bei meinem Auftauchen schließe ich auch, dass ihr einen konkreten Verdacht habt", hakte Pismire nach, der hoffte, dass er mit dieser Frage weiter käme als bisher.
Haldir nickte und kramte umständlich in den Taschen seines Umhangs, bis er das Gesuchte gefunden hatte. Er zog ein zusammengerolltes Stück Pergament heraus und reichte es dem Oberleutnant. Dieser entrollte es. Er schaute auf etwas, das eindeutig ein Steckbrief war - auch wenn er die unter dem Bild stehenden Schriftzeichen, die wohl elbischer Natur waren, nicht lesen konnte. Oh ja, das war er: rot, schwarz und weiss - seine Farben. Eindeutig!
Pismire konnte sich nur zu gut an die verschiedenen Schilderungen vom Weihnachtsras erinnern.
Aber dann schaute er genauer hin. Und er sah ein haariges, pausbackiges Gesicht, das ihm fest und sicher entgegen blickte. Er registrierte den wallenden Bart, die buschigen Augenbrauen, die breiten Schultern - die ganze Gestalt wirkte absolut Vertrauen erweckend. Er vermisste das spillerige, nervös-drahtige, leicht irre und spinnengleiche Auftreten des Weihnachtsras. Es war so offensichtlich: Sie suchten den Falschen. Oder vielleicht besser gesagt: Sie suchten etwas anderes.
Er ließ die Zeichnung sinken und schaute die drei vor ihm Sitzenden an.
"Nee, nä? Das ist jetzt nicht euer Ernst - oder?!", fragte er entgeistert.
"Doch. Wir sind schon eine ganze Ewigkeit hinter ihm her. Einer der gefährlichsten und am meisten gesuchten Schwerverbrecher im Multiversum. Spezialität: Eigentumsdelikte, Hehlerei und Entführungen. Wir haben eine eigene Sonderermittlergruppe für ihn gebildet", lautete die Antwort.
"Nur noch einmal so im Klartext und damit wir uns richtig verstehen, Haldir: Die Interdimensionale Elbenwache sucht den Schneevater!?" Fassungslos schaute Pismire sein Gegenüber an.


Kapitel 4: Diebe, Hehler und Komplizen

Haldirs Antwort kam prompt: "Bei euch heißt er so. Er hat allerdings eine Menge Namen. Ihr glaubt, dass er den artigen Kindern Geschenke bringt, nicht wahr? Allen auf einmal in nur einer Nacht und all das, was sie sich wünschen! Auf der gesamten Scheibenwelt!?", fragte Haldir. "Habt ihr euch denn nie gefragt, wo euer netter Schneevater all das Zeug her hat? Klar: Er hat einen riesigen Sack, der so groß ist, das alles da reinpasst und der sich immer wieder von alleine füllt - ho, ho, ho! Ihr seid so naiv, ihr würdet auch an den Weihnachtsmann glauben."
"Den - wen?", fragte Pismire leicht irritiert - es war nicht das erste Wort in der heutigen Nacht, dass er zum ersten Mal hörte.
"Weihnachtsmann. So nennt nicht das Schwein in einer anderen Welt. Er agiert immer nach demselben Schema: Ein netter, dicker, alter, behaarter Mann - sehr praktisch, so ein dichter Haarwuchs, der jede einwandfreie Identifizierung erschwert - kommt auf einem von vier bis acht Wesen gezogenen Gefährt vorbei und schenkt allen das, was sie sich wünschen."
"Er selber nennt sich mal "Väterchen Frost", dann "Schneevater", "Winterkönig", "Weihnachtsmann" - wir haben aufgehört, seine Alias-Namen zu zählen", warf die Elbenfrau ein. "Klar kommt er immer in der dunklen Jahreszeit - ist ja auch ein lichtscheues Gewerbe, was er da betreibt."
"Die feiern da, wo er regelmäßig auf seiner Hehlerei- und Diebestour vorbei kommt, ein richtiges Fest. Denn wenn mir jemand alles "schenkt", was ich haben will - da wäre ich doch blöd, wenn ich nach dem "woher?" frage, oder?" Bei dem Wort "schenkt" deutete Haldir in der Luft ironische Anführungsstriche an. "Und wenn du uns nicht glaubst, dann frag DarMa. Er hat ihre Kinder entführt."

DarMa nickte und erzählte: "Ursprünglich stamme ich aus einem Land namens Argonien auf Nirn. Argonier sind - wie du sehen kannst - Echsenwesen, und bei uns brüten die Männchen die Eier im Maul aus, wofür sie wunderschöne, blau gefärbte, schimmernde Backentaschen bis zum Hals haben. Es war mein erstes Brutjahr und ich hab mir nichts Böses dabei gedacht, als ich meinen Brutpartner GreeBo alleine zu Hause gelassen habe, weil ich einkaufen gehen wollte. Bei uns ist euer so genannter Schneevater berüchtigt, weil er regelmäßig die argonische Brut klaut. Aber ich hätte nie gedacht, dass er sich an die Enkel des argonischen Kaisers wagt. Mein Brutpartner, müsst ihr wissen, ist der älteste Sohn des amtierenden Kaisers von Argonien und sein designierter Nachfolger."
"Und warum sollte er überhaupt Interesse an eurem Nachwuchs haben?", fragte Pismire. "Geiselnahme und Lösegeld?"
"Nein, unsere Brut ist ein Teil seiner perfiden Tarnung als Geschenkespender. Argonier haben einen speziellen Metabolismus, der ihnen im Larvenstadium eine prophylaktische, morphische Optimierung des Idolons auf der Grundlage der prospektiven ..." Die ehemals designierte, zukünftige Kaiserin von Argonien brach ab, als sie das offensichtliche und signifikante Unverständnis in Pismires Gesicht sah.
Sie überlegte kurz, dann fuhr sie fort: "Machen wir es einfacher. Eine argonische Larve hat keine fest vorgegebene Gestalt. Wenn sie schlüpft, dann nimmt sie die Form an, die der Betrachter zu sehen wünscht - oder besser: erwartet. Und zwar in dem Augenblick, wo sie ans Licht kommt - erinnere dich: Argonier sind Maulbrüter. Damit sind unsere Larven der ideale Prototyp für das "lebende-Haustier-Geschenk", verstehst du? Und da Argonier im Larvenstadium darüber hinaus ausgesprochen zäh sind, haben sie in diesem so genannten Sack - anders als viele andere Spezies - gute Überlebenschancen. Einmal übergeben, prägen sie sich entsprechend den in sie gesetzten Erwartungen." Sie stockte kurz und fuhr voller Ekel in der Stimme fort: "Mit anderen Worten, wird ein Teil meiner Nachkommenschaft unter Umständen ihr Leben als putzige Hamster oder niedliche Kätzchen fristen müssen." Die letzten Worte fauchte sie wütend, dann brach sie ab, und versuchte, sich wieder zu fassen.
Pismire versuchte sie zu beschwichtigen, indem er bemerkte: "Nun, das sind doch eigentlich ganz nette - äh - Tie..."
Er brach ab, als DarMa bedrohlich ihre Stacheln aufrichtete, eine aggressive Färbung annahm und zischte: "Dasss issst dieser typische Sssäugerchauvinisssmussssss! Nur weil ihr keine morphische Altersdifferenzierung habt, weil ihr euch nicht vorstellen könnt, wassssssss einem Schuppen bedeuten können, weil ihr keine mentale Wandlung vom Ei zur Larve zur Jung- und zur Reifeform durchmacht, musssss eure Lebensform nicht das Non-plusssssss-Ultra sssein! Wie würde esss dir gefallen, wenn deine Brut ihr Leben lang wie ein Sssssäugling bleibt und dabei bis zu deiner Größe heran wächst? He!?!"
In ihrer Wut war sie aufgesprungen und baute sich bedrohlich vor dem Wächter auf, während dieser begann, sich kleinlaut zu entschuldigen.
Mühsam beruhigte sie sich und fuhr mit ihrer Erzählung fort: "Ich hab dann die Nerven verloren. Als mein Brutpartner GreeBo so mit hängenden Backen vor mir stand, da hab ich schon geahnt, dass was Schreckliches passiert ist. Aber als er den Satz brachte: "Schatz - ich hab die Kinder vergeigt!", da bin ich ausgerastet. Ich hab ihn so verdroschen, dass er hinterher nicht mehr gehen konnte und überall gelbe Flecke hatte. Leider war die Geschichte aber in Windeseile in der besseren Gesellschaft und bei Hofe rum. Also hat mein Schwiegervater mich raus geschmissen - und das wörtlich. Seine Hofhexen haben ein Dimensionsloch geschaffen und mich rein geworfen. Ich bin dann auch erst mal in N'ArniA gelandet, und da habe ich die Elfen getroffen. 'Tschuldigung, Elben. Haldir und seine Leute sind diesem Schwein schon seit ewigen Zeiten auf den Fersen."
"Du siehst hoffentlich", flocht die Elbin ein, "wie wichtig es ist, diesem Verbrecher das Handwerk zu legen."

"Wem!? Ihrem Brutpartner?", fragte Pismire, der für einen Augenblick ein wenig den Faden verloren hatte, erstaunt.
"Doch nicht GreeBo, du Trottel. Ich rede von diesem Schwein, das meine Brut hat."
Pismire nickte nur und fragte: "Dem - äh, nun - Schneevater, genau. Und wie wollt ihr das anstellen?"
"Oh, wir beobachten regelmäßig die Punkte in den Welten, die das Ziel seiner vermeintlichen Wohltaten sind. Und wir beobachten und bewachen im Gegenzug natürlich auch die Objekte, die für seine Beutezüge attraktiv sein können. Wie diese Messingbrücke in deiner Welt zum Beispiel", mischte Haldir sich wieder in das Gespräch ein.
"Ach, wirklich?"
"Ja, die Brücke wurde nicht nur von euch bewacht - obwohl ich sagen muss, dass ihr da ein wenig nachlässig geworden seid in den letzten Jahren. Man könnte auch sagen, dass ihr mit eurem sträflichen Leichtsinn den Verbrecher geradezu eingeladen habt, die Brücke zu stehlen."
"Andererseits, wenn die sie bewacht hätten", bemerkte DarMa süffisant, "hätte das vermutlich ein Gemetzel gegeben."
"Wieso? Wären wir vielleicht alle ertrunken, wenn seine Keiler - ihr wisst schon was - gemacht hätten?" fragte Pismire mit leichtem Spott und immer noch wenig überzeugt. "Ach, egal. Was wollte er eigentlich mit der Brücke? Schrumpfen, duplizieren und als Kutschenzubehörset auf den Gabentisch legen?"
Haldir verdrehte die Augen. "Ihr kennt ihn wirklich nicht - oder? Ich erklär dir mal ein bisschen was zu deinem netten Schneevater. Sein Erscheinungsbild ist immer das gleiche: ein alter, haariger Mann auf einem Schlitten, der von vier bis acht Wesen gezogen wird. Mal Rentiere, mal Keiler, mal Schwäne - seine treuen Helfer und Komplizen. In den Kufen des so genannten "Schlittens" sind vermutlich Lenkraketen versteckt und die "treuen Helfer" sind skrupellose Gestaltwandler und Seelensauger vom Typ G 3.7. Sie werden in ebenso vielen Welten steckbrieflich gesucht, wie ihr Boss Haare auf dem Kinn hat. Die "Geschenke" sind nur die Nebensache. Das schafft ihm einen guten Leumund und lässt sich hin und wieder prächtig als Alibi verwenden - selbst wenn er mal ausfällt, dann springen auf den verschiedenen Welten gutmütige Trottel - beispielsweise Verwandte der zu Beschenkenden - für ihn ein, nur damit sein Fehlen nicht auffällt. Und schon denken alle, er wäre doch da gewesen. Außerdem spart das ganze Verschenken die intermundiale Verschrottungsgebühren. Sein eigentliches Geschäft nämlich ist das Plündern ganzer Planeten. Normal geht er so vor, dass er sich einen kleinen, entlegenen Planeten sucht. Das Opfer wird eingekreist und wenn die Gelegenheit günstig ist - schwupps - rein das Ding in den Sack. Dann zieht er sich unauffällig in seinen Stützpunkt zurück."
"Wir wissen leider noch nicht, wo das ist", warf DarMa ein.
"Genau. Und dort nimmt er die Welten auseinander. Trennt die Elemente - Wasser, Luft, Edelgase, Metalle, organische Substanzen, Lebewesen. Aus dem meisten macht er illegale Substanzen - es ist zwar von Welt zu Welt unterschiedlich, was da so verboten ist, aber der Preis ist immer hoch. Der Rest wird dann meistbietend verscherbelt. Seine Helfer dabei sind Wichtel - kleine, blaue, teuflische Kreaturen - mordsgefährlich und skrupellos. In der letzten Zeit hat er gute Kontakte zur intermundialen Wichtelstrafkolonie auf Proxima 7 aufgebaut. Die übernehmen auch einen Teil der Umbauarbeiten wie das Schrumpfen von Landschaften oder Gebäuden auf Spielzeuggröße, Versteinern der Lebewesen und so weiter. Das geschieht vermutlich in den Werkstätten, in denen eigentlich die Projekte zur Resozialisierung durch sinnvolle Arbeit laufen sollen. Vieles, was ich dir jetzt sage, können wir noch nicht belegen - uns fehlen in den meisten Fällen handfeste Beweise. Wie dem auch sei, wir vermuten, dass die Wichtel einen Ausbruch planen. Und dafür brauchen sie Waffen. Da Wichtel aber Schwierigkeiten mit Eisen haben - zumindest bei diesen Wichteln hat man auf magischem Wege dafür gesorgt, dass sie sich ihm nicht einmal nähern können - brauchen sie ein anderes Material dafür." Haldir brach ab.
"Messing? Material aus der Messingbrücke?", fragte Pismire ungläubig. "In dem Ding ist nicht mehr Messing, als in meiner Unterhose - Entschuldigung, die Damen. Bei der Brücke war schon zwei Minuten nach der Fertigstellung die erste Nilpferdzehe von einem 'harmlosen' Passanten, der 'zufällig' einen Bolzenschneider in der Tasche hatte, geklaut. Und das hat nie aufgehört. Das Ding heißt nur noch Messingbrücke! Wir reden hier über Ankh-Morpork und nicht über irgendeine harmlose Ansiedlung rechtschaffener Bürger in einer friedlichen Ecke des Multiversums."
"Nun, ich sagte doch schon: Wir sind hier im Raum zwischen den Welten - im intermundialen Raum. Der noch eine weitere Eigenschaft hat, die ich vorhin vielleicht nicht deutlich genug erwähnt habe: Unter bestimmten Umständen spielt Zeit hier nur eine untergeordnete Rolle. Und wer sich darauf versteht, kann die Zeit ebenso überbrücken, wie den Raum. Wenn er die Brücke klaut, dann zu dem Zeitpunkt, wo sie so messinghaltig ist wie am ersten Tag. Deswegen ermitteln wir ja nicht intermundial, sondern interdimensional - auch in der Zeit. Und mit dem daraus gewonnenen Material kann sich ganz Proxima 7 bewaffnen."
"Und ihr - drei!?" Pismire deutete vage auf die um ihn Sitzenden, "wollt das verhindern?"


Kapitel 5: Die Wächter der Portale

Pismires Rückfrage löste bei den beiden Elben merkwürdige Reaktionen aus.
Haldir stand betont beiläufig auf und meinte, er müsse sich mal die Beine vertreten, außerdem sei vielleicht eine Kleinigkeit zu Essen nicht verkehrt, während die Elbenfrau, deren Namen Pismire immer noch nicht kannte, nuschelte, dass sie dringend mal wieder die Haare kämmen müsse und vielleicht auch eine Dusche brauchen könnte. Erstaunlich schnell verschwanden die beiden durch eine Tür, auf die das ungelenk gezeichnete Bild eines Drachen gemalt war.
"Du meine Güte - du hast ja noch weniger Taktgefühl, als ich gedacht hatte", äußerte sich die Argonierin amüsiert, als die beiden verschwunden waren. Und als der Oberleutnant sie fragend anblickte, erläuterte sie: "Du kannst dir doch wohl hoffentlich denken, was die beiden für eine Aufgabe hatten - oder!? Ich meine: die beiden sind ganz reizend - keine Frage, obwohl Haldirs Art zu erzählen manchmal ein wenig strapaziös sein kann. Und Madame braucht morgens mindesten vier Stunden, bis das Kettenhemd richtig fällt. Das hier ist nicht mal die β-Version der Interdimensionalen Elbenwache, geschweige denn α; wir haben hier klares ω-Potenzial vor uns. Oder sagen wir höflichkeitshalber: wir nennen sie die ψ-Wächter." Sie sprach die ehphebianischen Buchstaneb beta, alpha, omega und phi mit amüsierter Beiläufigkeit aus, während sie die Zeichen gleichzeitig beim Sprechen in die Luft schrieb. "Das Spezialkommando verfolgt den Dicken. Die hier sollten verhindern, dass etwas durch das geöffnete Portal kommt. Und selbst das" - sie deutete auf den Schamanen - "haben sie versiebt. Dir wird noch klar werden, um was für Prachtexemplare es sich hier handelt, oh ja", grinste die Echsenfrau breit. "Spätestens dann, wenn sie dir ihre Lebensgeschichten erzählt haben."
"Oh, werden sie das?", fragte Pismire.
"Oh, das werden sie. Diese Gelegenheit lassen sie nie ungenutzt verstreichen. Und was mich angeht: Der Argonische Kaiser würde mit den Überresten der Interdimensionalen Elbenwacht seine Badehallen auswischen lassen, wenn dem alpha-Weibchen seines Lieblingssohns etwas passiert - auch wenn er mich rausgeschmissen hat. Er wusste vermutlich, wo ich lande. Ich kann zurückkommen, wann immer ich will - ich bin aber noch zu wütend und zu traurig, und ich habe immer noch nicht alle Hoffnung abgeschrieben. Wenn ich mich wieder beruhigt habe, dann gehe ich zurück. Die Wache hat mich hier weitab vom Schuss untergebracht - damit mir nichts passieren kann."
"Aber wie willst du wieder zurück nach Hause kommen?", fragte Pismire neugierig. Du bist - nach dem, was Haldir erzählt hat - ebenso wenig in der Lage, ohne diese Verbindungsräume die Welten zu wechseln, wie ich auch."
"Nun, wie Haldir schon sagte: Auf einer gewissen Ebene (frag mich jetzt nicht, wie das genau funktioniert, denn ich bin mir nicht sicher, wie zuverlässig die Erklärungen der Elben an diesem Punkt sind) hängen eigentlich alle Welten und Zeiten miteinander in Verbindung. Und an einem Ort wie diesem", sie deutete auf den sie umgebenden Raum, "berühren sich einige Welten direkt. Sie liegen hinter den jeweiligen Türen. Allerdings sind diese Türen nicht immer offen. Manche scheinen sich regelmäßig zu öffnen und zu schließen, andere nur selten, einige nur ein einzelnes Mal. Elben behaupten nun, dass sie einen natürlichen Sinn dafür habe, wann die Welten sich so verschieben, dass sich ein bestimmtes Portal öffnet - oder schließt. Mein Portal nach Nirn dahinten", sie deutete vage in den Raum, "öffnet und schließt sich regelmäßig dreimal in der Woche. Was nun dein Portal angeht, so ist Haldir der Ansicht, dass es sich nur noch ein einziges Mal im Verlauf diese Nacht öffnen wird und auch nur für eine Person. Manche Portale scheinen nämlich auch eine Art von Sperre zu enthalten, die verhindert, dass zu viele Lebewesen sie durch schreiten. Ob ein Portal nun - ich sag mal - betriebsbereit ist oder nicht, wollen die Elben an einer Art von Schimmer bemerken. Ich hab noch nichts dergleichen gesehen ..."
"Aber ja, ich weiß, was du meinst. Es ist ein oktarines Leuchten", meinte Pismire nachdenklich. Und als er den fragenden Blick der Echse sah, erläuterte er: "Oktarin ist eine magische Farbe. Wesen mit einer magischen Veranlagung können sie unter Umständen wahrnehmen, Elben zum Beispiel."
"Und du bist auch ein magisches Wesen?", fragte die DarMa zweifelnd.
"Nun, die Scheibenwelt - also meine Welt - ist eine scheibenförmige Welt umgeben vom ewig fließenden Randfall auf dem Rücken von vier Elefanten, die ihrerseits auf dem Rücken einer Sternenschildkröte namens Groß A'tuin stehen. Ohne Magie überlebt dort gar nichts."

Eine Gesprächspause entstand, die Pismire die Möglichkeit gab, das Gehörte zu überdenken. Die Geschichte vom Schneevater auf der Scheibenwelt war ihm nicht wirklich vertraut, und weder bei den Munrung noch bei den Dumii seiner Welt gab es eine entsprechende Erzählung, aber diese Sichtweise auf die Dinge war ihm gänzlich fremd. Die Schilderung der beiden Elben klang an sich nicht wirklich unplausibel. Ein wenig deuchte ihm die ganze Angelegenheit wie ein Vexierbild zu sein - es schien lediglich darauf anzukommen, welche Seite man zuerst betrachtet.

Einige Zeit später kehrten die beiden Elben wieder zurück und machten den Eindruck, als sei nichts geschehen. Sie hatten ihre Kettenhemden gegen prachtvolle Gewänder mit weiten Ärmeln aus besticken, schimmernden Stoffen getauscht, die Frau trug ein silbernes Diadem und beide hatten auch eine Menge Schmuck an Armen und Händen, und Pismire war sich sicher, dass ihre Flechtfrisuren noch ein wenig aufwendiger geworden waren. Sie hatte Fladenbrot, Früchte, Käse, eine Art von Räucherfleisch und eine exorbitante Menge Wein organisiert und boten Pismire und DarMa freizügig davon an.
"Wie bist du eigentlich zur Wache gekommen?", fragte der Oberleutnant Haldir, als er den ersten Hunger und Durst ein wenig gestillt hatte. Wenn er schon die Lebensgeschichte erzählt bekommen sollte, dann war das jetzt ein eben so guter Zeitpunkt wie jeder andere auch. Darüber hinaus wollte er ein wenig von seinem ungewollten Faux pas ablenken und hoffte inständig, dass hier im Gras der Konversation nicht schon wieder eine Harke liegen mochte. Und er brannte vor Neugier, mehr über diese ganze Angelegenheit inklusive seiner Gegenüber zu erfahren.


Kapitel 6: Ein Wächter mit Vergangenheit

"Nun, bevor ich hier gelandet bin, war ich auch schon ein Wächter", begann Haldir seine Erzählung. "Mit Umhang und glänzender Uniform und allem Pi-pa-po. Nichts wichtiges, nur ein einfacher Wächter in Lorien - so heißt meine Heimat. Ein nettes, ruhiges Waldelbenkönigreich in Mittelerde - meiner Welt - mit einem weisen, bedächtigen und ein wenig verschlafenen König und einer glamourösen Elbenkönigin, die aus erheblich besserem und vornehmerem Hause als wir alle stammt und schon bessere und glanzvollere Tage gesehen hat. Und das auch je-den Tag raushängen lässt." Er tätschelte der Elbin begütigend die Hand. "Entschuldige, Liebes, aber als ihr - ehemaliger - Untergebener hat man da manchmal eine andere Sicht auf sie als ein Familienmitglied."
Die Elbin zuckte nur mit den Schultern und nippte schweigend an ihrem Glas.
Haldir fuhr fort: "Und eines Tages passiert das, wovon jeder ambitionierte Wächter träumt: Man kommt einem Jahrtausendverbrechen auf die Spur. Einem, das um ein Haar meine ganze Welt vernichtete hätte. Einem echt dicken Ding. Ich war einer riesigen Verschwörung auf die Schliche gekommen - zu den Details komme ich gleich. Ich habe zuerst keinem getraut - nicht einmal mir selbst, um ehrlich zu sein - sondern nur vorsichtig ermittelt. Und nach einer ganzen Weile, als ich mir schon absolut sicher war, dass ich nicht verrückt bin, habe ich leider auch raus bekommen, wer mit dahinter steckte: Galadriel, meine eigene Königin - sie hatte das Ding gedreht. Da stand ich armer Wächter nun und habe versucht, das Richtige zu tun. Also hab ich meinen Harnisch poliert, meine Dienstmarke gewienert, den Haftbefehl ausgefüllt und versucht, die Königin von Lorien wegen Diebstahl, Raub, Anstiftung zum Völkermord, Verschwörung gegen Leib und Leben mehrere unschuldiger Personen und Bildung und Unterstützung einer kriminellen Vereinigung (und das war nur der Anfang vom Haftbefehl, Kumpel, der ging noch über weitere drei Schriftrollenmeter) festzunehmen und zu verhören. Zwei Minuten später war ein Preisgeld auf meinen Kopf ausgesetzt, von dem sich Mittelerde kaufen lässt - und zwar komplett - und seitdem bin ich hier."
Voller Unverständnis und Neugier schaute Pismire ihn an.

"Er meint das Ding mit dem Ring", meinte die dunkelhaarige Elbin. "Alles begann eigentlich mit der Erschaffung und dem Verlust eines magischen Ringes, und die Geschichte zog sich insgesamt über Jahrtausende hin. Ein Vorteil des elbischen Daseins: auch bei kriminellen Handlungen gibt es keinen Zeitdruck. Wie wir hinterher herausbekommen haben, lief die Sache schon seit nahezu zwei Zeitaltern. Und wir haben fast ein ganzes gebraucht, um alle Fäden zu entwirren." Sie brach ab und schenkte sich das nächste Glas ein.
Haldir übernahm die Erzählung erneut: "Wie immer bei solchen Sachen ist der Anfang schwer zu bestimmen. Eigentlich begann alles im oder sogar vor dem ersten Zeitalter meiner Welt mit einem Unsterblichen, der die Unsterblichen Lande von Valinor verlassen hatte, weil sie ihn unsterblich gelangweilt hatten (wie er mir mal am Rande einer Party sagte), und der sich deshalb in Mittelerde (und dort vor allem bei den Menschen) aufhielt, weil er die amüsanter fand. Du musst wissen, Pismire, dass es zwei Arten von Unsterblichen in meiner Welt gibt - außer uns Elben natürlich. Mächtige, die wir Valar nennen, und weniger Mächtige, die Maiar heißen. Vermutlich haben sie gemeinsam unsere Welt geschaffen. Die Valar werden gerade von den niede... - äh, den anderen Rassen faktisch für Götter gehalten. Der, über den wir hier reden, war einer der Maiar und hatte in den Sterblichen Landen, in die er sich abgesetzt hatte, eine ganze Reihe verschiedener Jobs gehabt und war dann irgendwann im Zweiten Zeitalter - und wir sind jetzt im Vierten - Berater bei so einem durchgeknallten Menschenkönig auf einer völlig abgelegenen Insel geworden. Die waren - sogar für Menschen - ziemlich eigenartig drauf. Man kennt das ja: 4000 Jahre Inzucht, kein Kontakt zur Außenwelt, damit eine nur ungenügende Rückkoppelung mit einer wie auch immer gearteten Außenperspektive und somit der Vernunft, ein System von miteinander versippten Hofschranzen und - bums - wird kurz mal dem Göttervater oder der Göttermutter der Krieg erklärt. Also: alle Mann in die Boote in Richtung Unsterbliche Lande und "Attacke" gerufen. Nur: Götter - oder Valare - spielen in einer echt anderen Liga und sie sind absolut humorlos. Es kam also, wie es kommen musste: Riesensintflut - Insel futsch - König futsch - die übliche Deserteure entkommen auf ein paar "zufällig" im Hafen liegenden Schiffen. Und mit ihnen der Berater. Der war ja nicht blöde. Hatte nur einen dämlichen Namen - liegt mir auf der Zunge, aber egal. Die sind dann bis zu uns geschippert, und haben sich, weil dort noch Platz war, an einem großen Strom, dem Anduin, niedergelassen. Der Ex-Berater hatte erst einmal die Nase voll von Menschen, machte sich selbstständig und zog bei ein paar Kumpels von uns ein." Er griff nach dem Weinglas vor ihm und nahm einen tiefen Zug.
DarMa saß aufrecht im Schneidersitz und starrte in die Flammen. Anfänglich hatte sie ein wenig Fleisch gekostet und am Wein genippt. Pismire vermutete, dass ihr die Geschichte bekannt war und sie einfach nur mit offenen Augen vor sich hin döste.

Haldir fuhr fort: "Die nächsten Jahrhunderte war alles paletti: Technologietransfer, freier Waren- und Informationsaustausch, friedliche Koexistenz und so. Ich meine - mit dem Berater. Mit den Menschen ging das ja nicht. Die haben erst einmal eine Riesenstadt gebaut, ihr Restgeld in Rüstung investiert, die Landeier rundherum versklavt und ordentlich ausgebeutet. Wer nicht parierte, kriegte ein paar aufs Maul, und wer dann immer noch nicht gerallt - entschuldigt, begriffen - hatte, wo es lang ging, der wurde zum "Korsaren" erklärt und kurz mal über die Klinge balbiert. Wir Elben haben uns da raus gehalten, solange sie uns nicht genervt haben. Ich meine - das sind Menschen, was erwartest du da schon!?"
Auf Pismires hochgezogenen Augenbrauen und den Blick reagierte er prompt und ließ das Thema fallen: "Aber zurück zu dem Typen. Schatz", sprach er seine Begleiterin an, "wie hieß der denn nur? Es liegt mir auf der Zunge. Saublöd? Saudumm? Strohrum?"
"Sauron!", merkte die Elbin kurz an. "Und nenn mich bitte nicht "Schatz". Sie schauderte.
'Tschuldige, Sch.... äh, Liebelein, tja, genau: Sauron. Aber wo war ich? Ach ja. Also nach ein paar Jahrhunderten kam die Sache mit den Ringen auf - magische natürlich."


Kapitel 7: Das Ding mit dem Ring

Er zeigte seine Hände, klimperte demonstrativ mit den Fingern in der Luft und ließ achtzehn Ringe funkeln - mehr passten nicht auf die Finger. Die Handgelenke klingelten vor Reifen. "Wir Elben stehen nun einmal auf Schmuck - guten natürlich. Und auch nur soviel, wie sich stilvoll tragen lässt."
Im Stillen dachte Pismire sich kurz was über Schmuck, Stil und Elben, hielt sich aber wohlweislich zurück. Als sein Blick dem DarMas begegnete, sah er ihr breites Grinsen und konnte sich ihre Gedanken vorstellen. Fast hätte er den Fortgang der Geschichte versäumt.
"... wollte jeder einen haben", plauderte Haldir weiter. "Ein ab-so-lu-tes 'must have'. Meine Königin hat - so sagen böse Zungen - sogar ein Verhältnis mit dem Meisterschmied von der Werkstatt "Gwaith-i-Mírdain" angefangen, um billiger an einen ranzukommen. Und Sauron wollte auch einen, war aber zu der Zeit ziemlich knapp bei Kasse, und denkt sich also: He, warum soll ich die Werkstatt reich machen? Ich bau mir selber einen!"
Der Erzähler goss sich noch einmal Wein nach. Die Echsin war wieder mit offenen Augen eingeschlafen - saß aber immer noch aufrecht am Feuer. Und die Elbin saß auf der anderen Seite des Feuers und beobachtete Haldir beim Erzählen mit einem zärtlich, versonnen Gesichtsausdruck, der dennoch ein gewisses Gefühl der Überlegenheit nicht unterdrücken konnte.
"Also fängt Sauron an mit der Schmuckherstellung. Aber, wie das bei Selbstgebasteltem so ist: Die ersten Teile sahen grottig aus. Unterirdisch scheußlich - also hat er sie den nächstbesten Zwergen geschenkt. Der Typ hatte eine gewisse freigiebige Ader, das kann man nicht abstreiten, und Zwerge nehmen ja nun bekanntlicher weise alles was umsonst ist. Bei der nächsten Marge lief das schon besser, aber den richtigen style hatten die Teile immer noch nicht. Da grad keine Zwerge in der Gegend waren, hat er die Geräte den Nachfahren von seinen früheren Arbeitgebern geschenkt - als Zeichen von goodwill und so, vermute ich mal. Also hat er noch einen dritten Versuch unternommen und diesmal, diesmal hatte er den Bogen raus. Das Ding war echt beeindruckend. Sah so gut aus, dass alle ihn haben wollten. Ausgefeilt, stilvoll, nicht zu überkandidelt: schlicht aber edel. Hatte allerdings diese peinliche Inschrift - so nach dem Motto: Meiner ist der schönste und größte und besser als eure - allerdings innen im Ring. Sauron konnte keiner Spotterei aus dem Weg gehen. Als er mit dem Ring raus kam, waren alle sauer, weil er nur einen davon machen wollte. "Sonst wäre es ja nicht der eine Ring, der Meisterring", hat er dreist allen gesagt, die ihm wegen der Sache in den Ohren lagen. Die meisten haben sich damit zufrieden gegeben, allerdings hat er Galadriel, meine Königin, öffentlich derartig beleidigt, dass sie ihm ewige Rache geschworen hat. Sie hat sich nämlich auf einem Werkstattfest an ihn rangemacht, und er soll ihr gesagt haben - so haben mir hinterher die befragten Zeugen erklärt - dass er es ablehnen würde, sexuelle Handlungen an minderen Rassen vorzunehmen und das auch noch gegen Bezahlung."
Haldir zuckte die Schultern. "Sie war so wütend, dass sie ihm wie eine Furie mit den Fingernägeln das Gesicht zerfetzt hat. Er hat hinterher meist einen Helm getragen, weil er die Verunstaltung nicht gerne gezeigt hat."
Nach einem weiteren Schluck Wein fuhr der Elb fort: "Gladriel hat darauf im wahrsten Sinne des Wortes Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um ihm das heimzuzahlen. Hat überall rumerzählt, er habe versucht, sie zu ... na, du weißt schon, was." Er zuckte die Achseln. "Und ihn schlecht gemacht, wo immer es ging. Und sie begann, mit den Menschen zu kooperieren, die immer noch nicht gut auf ihn zu sprechen waren. Bei denen hörte sich die Numenorgeschichte - so hieß deren Insel nämlich, Numenor - mittlerweile so an: Schurkischer Berater zwingt tapferes und ehrsames Volk zum Angriff auf die Götter, nachdem er den Geist des Königs durch widernatürliche Praktiken zerrüttet hat. Und nach weiteren zwei- bis dreihundert Jahren Mundpropaganda und Hetzreden war jedem in Mittelerde klar: Sauron wird demnächst mittels eines magischen Ringes von ungeahnter Potenz alle Völker unterjochen und sich zum Herrscher der Erde ausrufen. Seine Verbündeten werden die Orks sein, denn so wie die aussehen und rumlaufen, muss man ja auf das Schlimmste gefasst sein. Dieser Schachzug sicherte meiner Königin auch die Unterstützung der Zwerge. Zwar mögen Elben und Zwerge sich nicht sonderlich, aber sie konkurrieren wenigstens nicht um denselben Lebensraum. Orks hingegen leben auch am liebsten unterirdisch, beschäftigen sich - wie die Zwerge auch - mit Bergbau und verwandter Technologie und produzieren Waffen. Und auf einmal 'erinnerten' Elben und Zwerge sich an die gemeinsame Herkunft als Geschöpfe der Valar, während die Ork als das Ergebnis perverser Experimente von Sauron und Konsorten galten. Als endlich die Rollenverteilung stimmte, konnte die Operation "Schicksalsberg" beginnen: Elben, Menschen und Zwerge rüsteten zum Krieg gegen Sauron und die Orks. Sauron hatte mittlerweile spitz gekriegt, wie der Hase so lief und versucht, sich im Osten von Mittelerde in einer öden, unfruchtbaren und entsprechend unattraktiven Landschaft zurück zu ziehen. Jede Menge Vulkane dort - der höchste hieß "Schicksalsberg" - daher der Name der Operation. Und er hatte den Orks klar gemacht, um wessen Kopf es da ging. Gemeinsam standen sie nun mit dem Rücken an der Wand. Ihnen gegenüber die vereinigten Heere der so genannten 'freien' Welt. Es sollte ein Gemetzel geben."


Kapitel 8: Der Schatten der Vergangenheit

Haldir seufzte und lehnte sich zurück. Seinem Blick merkte man an, dass er tief in seinen eigenen Erinnerungen war. Nach einer kurzen Weile kehrte er zurück und nahm den Faden wieder auf.
"Ich war damals noch jung und naiv", meinte der Elb entschuldigend, "und wie alle anderen habe auch ich den ganzen chauvinistischen Müll über die Über- und Unterlegenheit der verschiedenen Völker geglaubt, sowie über die Bedrohung der freien Welt, das angeborene Böse und das über Sauron und so. Die Zusammenhänge habe ich erst sehr viel später begriffen. Ich war nur ein einfacher Soldat im Elbenheer aus Lorien. Die Schlacht war kurz und brutal. Sauron und seine Verbündeten hatten keine Chance. Am Ende stellten sie ihn zu dritt: Gil-Galad, der oberste Heerführer der Elben, und der König der Menschen, Elendil, mit seinem Sohn Isildur, erwischten Sauron in einer Höhle des Schicksalsberges. Was genau dort passierte, ist niemals bekannt geworden, denn es gab nur einen Überlebenden: Isildur. Er hatte den Ring und eine passende Geschichte über den heldenhaften Kampf gegen Sauron, den sein Vater und Gil-Galad - zu seinem tiefen Bedauern - nicht überlebt hatten. Und von Sauron fand sich eigentlich auch nur noch der Finger mit dem Ring dran, den nun Isildur als Beute für sich beanspruchte - den Ring, nicht den Finger. So weit, so gut - oder schlecht. Sauron konnte als Unsterblicher zwar nicht sterben, aber er war erst einmal ziemlich geschwächt und verschwand eine Weile von der Bildfläche - wie übrigens auch der Ring, denn den verschusselte Isildur auf dem Heimweg." Haldir schenkte sich noch ein Glas ein und schüttete es in einem Zug runter, bevor er sich nach schenkte.
Pismire fragte sich, ob Elben mehr Wein als Menschen vertragen konnten - Haldirs Verhalten sprach eindeutig dafür.

"Isildurs Geleitzug wurde irgendwo in der Pampa angegriffen - ob von Orks oder von jemand anderem konnten wir nicht mehr ermitteln - und ausgeraubt und die Spur des Rings verliert sich ab da. Er tauchte erst Jahrhunderte später wieder auf - und zwar unter bis heute völlig ungeklärten Umständen. Galadriel, meine Königin, hatte zwar erst einmal ihre Rache an Sauron, aber dass ihr der Ring durch die Lappen gegangen war, wurmte sie mächtig. Sie hat in den weiteren Zeiten eine Menge legaler und illegaler Dinge unternommen, um den Ring doch noch in die Finger zu bekommen, aber lange Zeit vergebens. Sogar in Valinor, den Ländern der Unsterblichen, wo der Großteil der Elben unter ungeklärten Umständen im Ersten Zeitalter von den Valar erst aufgenommen und dann wieder raus geschmissen worden war, hat sie nach Hilfe gesucht - und das dann nicht vergebens. Denn da traf sie dann jemanden, der Sauron mindestens ebenso verabscheute, wie sie selbst, und der eine ebenso große Rechnung mit ihm offen hatte." Haldir bemerkte die leicht dösige DarMa und erkundigte sich bei Pismire, ob er eine Pause machen solle, aber der Schamane lehnte ab. Noch unterhielt ihn die Erzählung, auch wenn er hin und wieder leichte Verständnisprobleme hatte.

"Der Beraterjob bei den Menschen war nämlich nicht Saurons erste Anstellung gewesen. Im Ersten Zeitalter, lange bevor die Menschen überhaupt entstanden waren und die Elben noch nicht von den Unsterblichenlanden gehört hatten, war er so einen Art Journalist gewesen und hatte eine Weile für das Feuilleton des "Valinor Chronicle", die seriöse Tageszeitung dort, gearbeitet. Seine Spezialität waren echt bösartige Verrisse. Frisch gegründete Unterhaltungskünstlergruppen waren ihm ein besonderer Dorn im Auge, weil er sie in der Regel für gnadenlos schlecht und das Varieté im Allgemeinen für keine angemessene Kunstform hielt. Entsprechend sahen seine 'Rezensionen' aus - aus der Sicht der betroffenen Künstler glichen sie Hinrichtungen. Aber irgendwann ging er zu weit, oder anders: er traf auf die Falschen. Die Istari waren damals eine junge Gruppe, die so eine Art Zaubershow mit Clownerie, Jonglage und lustigen Sketchen versuchte, um mal etwas anderes zu machen. Saurons Kritik war ihr künstlerisches Todesurteil - danach bekamen sie nicht einmal mehr auf Familienfesten eine Gelegenheit ohne Honorar aufzutreten. Er verpasste ihnen Spitznamen, die sie teilweise noch heute haben. Gandalf dem Grauen empfahl er ein besseres Waschmittel für seine Kutte. Und die Analkomik und die Toilettenwitze brachten einem gewissen Radagast den Spitznamen "der Braune" ein. Zwei weitere scheinen sich vor der Aufführung ein wenig Mut angetrunken zu haben, denn er empfahl ihnen dringend eine Entziehungskur und spekulierte darüber, ob Alkoholabusus schädliche Folgen auf einen nicht vorhandenen Verstand haben könne, was die "Blauen" nicht witzig fanden. Lediglich Saruman, der später in dieser ganzen Geschichte auch noch eine wichtige Rolle spielen sollte, kam insofern gut weg, als er als weißes, unbeschriebenes Blatt durchgehen konnte, wobei er sich - nach Sauron - den Namen "Der Weise" hätte verdienen können, wenn er seine Kumpels vorher von ihrem unseligen Vorhaben hätte abbringen können. Gandalf, der künstlerische Leiter der Gruppe, war damit empfindlich getroffen - man kennt sie ja, diese Künstlerseelen: aufbrausend und leicht beleidigt."
"Ja", bestätigte Pismire, "das künstlerische Talent ist in allen Welten und bei allen Rassen mit Vorsicht zu genießen."
Haldir nickte: "So hatte Sauron - ohne es zu wollen - eine Todfeindschaft begründet. Und man sollte noch sehen, dass Gandalfs Feinde in der Regel eine genau so große Überlebenschance hatten wie ein Luftballon in einer Hutschachtel voller Igel. Gandalf hatte Sauron zwar nun ein wenig aus den Augen verloren im Laufe der Zeitalter - dank Galadriels Anfrage hatte er ihn aber bald wieder fest im Visier. Und seine ehemalige Komikertruppe war anfänglich mit von der Partie. Es waren alles Maiare, die da nun auf Galadriels Drängen in Mittelerde aufkreuzten, angeblich um den unwissenden und schwachen Geschöpfen Mittelerdes beim Kampf gegen das Böse unter die Arme zu greifen. Zuerst haben sie nicht viel gemacht - einen Rat gegründet, in endlosen Ausschusssitzungen Strategiepapiere entworfen und natürlich den Abschluss diverser Resolutionen und strategischer Erörterungen mit exzessiven Banketten gefeiert; man kennt das. Was sie allerdings als erstes gemacht habe, war: sich neue Namen verpasst. Gandalf war nun: Gandalf der Zauberer, nicht Gandalf, der engagementlose Kleinkunstmime. Das hätte ja nicht so imposant geklungen. Auch die anderen nannten sich nun "Zauberer". Kein Wunder: Maiare haben verdammt viel Eigenmagie."
Er fuhr fort: "Natürlich galt es erst einmal, den Ring überhaupt aufzuspüren - damit die gute alte Begründung vom Angriff auf die Welt mit Hilfe eines magischen Artefaktes gegen Sauron wieder greifen konnte. Denn dieses Mal wollte Galadriel ihn auf anscheinend legalem Wege in die Finger bekommen. Es wurden ganze Suchexpeditionen mit hoher Belohnung ins Leben gerufen. Ein Halbelb aus dem Nebelgebirge, der Schwiegersohn meiner Königin, hat ihn dann schlussendlich geortet. Zum Glück hatte er schon eine Frau - denn einer der Elbenkönige namens Thranduil hatte sogar seinen Sohn als Belohnung ausgesetzt. Der Ring steckte tief unter dem Gebirge in der Höhle eines eigenartigen, halb blinden Wesens, so einem seltsamen Kauz - halb Eremit, halb Aussteiger - namens Smeagol oder Gollum oder Deagol; wie er genau hieß, haben wir nicht ermitteln können."
"Und das war nicht die erste Lücke in euren Ermittlungen", dachte sich Pismire und hielt sich dennoch zurück.

"... über mehrere hundert Jahre. Und da dieser Gollum nicht an die frische Luft ging, wurde er über die nächsten Jahrhunderte diskret überwacht. Denn die spannende Frage blieb: Wie kommt man da rein, ohne große Aufmerksamkeit auf die Angelegenheit zu lenken? Na!?" Fragend schaute Haldir in die Runde.
Als auf diese rhetorische Frage keine Antwort kam, ergriff die Elbin das Wort: "Omi kam dann als erste auf die Sache mit den Trotteln."


Kapitel 9: Die Elbenfrau erzählt

"Omi?" Pismire sah die Elbenfrau fragend an. Diese kicherte leise und intonierte dann mit singender Stimme:

Bei ihren Worten spürte der alte Mann ein warmes, angenehmes Prickeln im rechten Ellbogen, der ihm beim längeren Schreiben oft ein wenig wehtat, und der Schmerz verschwand.
"Wow!", meinte er anerkennend. "Dein Name ist also Arwen, und das ist die bekannte elbische Heilkunst!? Nicht schlecht."
Die Elbin nickte freundlich: "So ist es. Elben können mit Worten heilen. Allerdings nur leichte rheumatische Beschwerden, Furunkulose und Amöbenruhr. Mit allen anderen Beschwerden würde ich zum Fachheiler deines Vertrauens gehen."
"Amöbenruhr?", fragte Pismire erstaunt. "Rheuma, Pickel und Amöbenruhr?"
Sie zuckte mit den Schultern. "Götter können ja so unglaublich witzig sein." Ihr Tonfall klang bitter.

Dann erzählte sie weiter: "Ich bin Arwen, die Enkelin von Galadriel, Haldirs ehemaliger Königin. Meine Mutter ist Celebrian, ihre einzige Tochter, und mein Vater ist Elrond, der Halbelb, der auf Grund seiner teilweise menschlichen Abstammung - zumindest munkelte man so - bei jeder Gelegenheit den Überelben raushängen lässt. Und er ist auch der ergebene Verbündete seiner Schwiegermutter. Schon von je her. Meine Mutter soll Galadriels Belohnung für seine Verdienste während der Operation "Schicksalsberg" gewesen sein. Das hat Mamá behauptet - bevor sie ihn verließ. Aber davon später. Zur Hochzeit hatte er von Omi das Geld für ein piekfeines Wellnesshotel in den Bergen bekommen - das "Bruchtals". Es liegt zufällig ziemlich in der Nähe der Höhle von diesem Gollum - sonst hätte mein Vater den wohl auch nicht gefunden. Ich bin da geboren und aufgewachsen. Aber zurück zu der Sache mit dem Ring."

Arwen nippte kurz am Wein und erzählte: "Omi hatte also mal wieder eine ihrer brillanten Ideen, wie man an den Ring kommt, ohne sich selber die Hände schmutzig zu machen: Gandalf der Zauberer, der sich jetzt schon seit über 1000 Jahre in Mittelerde auf der Suche nach dem Ring und seiner Rache umgetan hatte, kannte einen Stamm von absoluten Hinterwäldlern, die so hinter dem Wald lebten, dass sie sogar schon geschrumpft waren vor lauter Inzucht. Und dass sie sich nicht weiter entwickeln konnten, dafür hatte Gandalf auch gesorgt. Rund um deren Territorium hatte er Wachen - nur zu ihrem eigenen Schutz, selbstverständlich - aufgestellt, damit keiner rein und raus kam, dann hatte er das Pfeifenkraut legalisiert und denen soviel Angst vor allem anderen da draußen gemacht, dass sie freiwillig unter sich blieben - da wird doch auf Dauer jeder Keks weich. Nach einigen Jahrhunderten haben sie sich dann selber Hobbits genannt - das sagt ja wohl alles. Wie dem auch sei: Dieses Desozialisierungsprogramm hat er ein paar Jahrhunderte voll durchlaufen lassen. Ursprünglich wohl nur just-for-fun - er selber nannte das hochtrabend Grundlagenforschung. Vermutlich wollte er testen, wie lange das gut geht. Deshalb ist er selber regelmäßig zur Versuchstierkontrolle aufgetaucht und hat ihnen noch mehr Angst gemacht. Für die armen Tölpel bestand die Welt hinterher nur noch aus Schurken und Monstern, die ihnen wahlweise die Kürbisse, die Murmeln oder die Weibchen wegnehmen wollten. Trolle, Riesenspinnen, Ungeheuer, Wölfe, Dämonen, Hexer - nur Gandalf, der große Zampano persönlich, traute sich da noch durch. Die haben mir richtig Leid getan, als die Sache bekannt wurde. Allerdings kann man das eher als theoretisches Mitleid bezeichnen - wenn die selber mal raus kamen, dann waren die auch nicht ohne: vor denen war kein Rock und kein Schloss sicher, die waren da völlig enthemmt. Gandalf hatte zwischendurch mal einen bei meinem Vater einquartiert, weil dieser eine Weile von der Bildfläche verschwinden musste, und der war so übel, dass die Köchin ihm ständig ein Beruhigungsmittel in den Wein getan hat, sonst hätte sich keines der Schank- oder Zimmermädchen mehr in seine Nähe getraut. Nur unanständiges Zeugs im Kopf, der Alte."
Haldir tätschelte beruhigend ihre Hand. "Reg' dich nicht auf, Schatz, das liegt ja alles hinter dir."
Sie nickte ihm dankbar zu. "Wie gesagt: der Ring befand sich bei diesem seltsamen Heiligen im Nebelgebirge. Und Omi, Papi und Gandalf wollten zu diesem Zeitpunkt auf keinen Fall direkt in die Sache verwickelt scheinen. Also hat Gandalf sich mit einer Gruppe von Zwergenschlägern auf den Weg zu diesen Hobbits gemacht, dort einem von ihnen eine irre Geschichte über einen Drachen mit sagenhaften Schätzen, die angeblich den Zwergen gehörten, weil sie von ihnen stammten, erzählt, und den Kleinen als Taschendieb unter Vertrag genommen. Zum Beweis für die Rechtmäßigkeit ihres Anspruchs hatten die Zwerge eine von den Touristenschatzkarten dabei, die mein Vater Jahr für Jahr mit unverständlichem Kauderwelsch beschriftet, damit sie "echter" wirken, und zu Dutzenden an unsere Hotelgäste verscherbelt. Dieser Tölpel hielt die nicht nur für echt, er war dann später auch - logischerweise - total beeindruckt, als mein "gelehrter und wissender" Papi die kryptische Zwergenruneninschrift tatsächlich "übersetzten" konnte. Auf dem Weg zu diesem Drachen, bei dem man jede Menge Kohle absahnen konnte, kamen sie rein zufällig" - wieder kommentierte sie das Wort mit gestischen Gänsefüßchen - "bei dem Eremiten mit dem Ring vorbei, und Gandalf hat dann den Hobbit von der Leine gelassen. Dieser Bilbo Beutlin - so hieß der Hobbit - hat prompt alles mitgehen lassen, was nicht niet- und nagelfest war. Unter anderem auch den Ring, den er beim gründlichen Plündern in die Finger bekommen hatte. Der Eremit war hinterher total fertig, denn er hatte nach diesem Einbruch nur noch einen Lendenschurz. Bilbo hat natürlich keinem was von dem wertvollen Ring erzählt, den er da 'gefunden' hatte - ganz so hatte Gandalf das ja auch insgeheim geplant. Er und dieser Mister Beutlin sind dann noch eine Weile mit den Zwergen durch die Gegend gestrolcht, haben diverse Einbrüche und Diebstähle begangen und in der Tat auch den letzten Drachen Mittelerdes gefunden - womit sich die Anzahl der ausgestorbenen Arten um Eins erhöht hatte. Die Beute haben sie untereinander aufgeteilt und der Hobbit hat sich dann - von Gandalf eskortiert - in seine Heimat aufgemacht, wo er sich mit dem erbeuteten Vermögen zur Ruhe gesetzt hat. Und er hat immer noch eisern die Klappe gehalten, was diesen magischen Ring anging."
Sie machte eine kurze Pause und erzählte weiter: "Aber irgendwie ist durchgesickert, dass jemand einen magischen Ring gefunden hatte und wer dieser Jemand war. Der Hobbit hatte peinlicherweise dem Eremiten nämlich seinen richtigen Namen gesagt - warum auch immer. Und der hat überall herum erzählt, wer ihn da ausgeraubt hatte - leider kannte in seiner Gegend der Welt niemand Hobbits, und so haben die meisten das Ganze einfach nur für eine wirre Geschichte gehalten. Er sang dann später auch immer irgendwelche Lieder über Fisch und was er mit ihnen machen wollte - recht unappetitlich, hübsch hässlich das Ganze. Vermutlich hat er seine psychische Stabilität nach dem Einbruch eingebüßt - ein typisches posttraumatisches Belastungssyndrom. Auf jeden Fall kam die Sache nach ein paar Jahrzehnten auch Sauron zu Ohren - und der konnte zwei und zwei zusammenzählen. Da er jedoch aus der Operation Schicksalsberg gelernt hatte, wollte er sich auf Nummer Sicher gehen und so hat ein bekanntes Anwaltskonsortium eingeschaltet: Nazgul & Cie, die besten in Mittelerde. Die sollten dann in seinem Namen dem offiziellen 'zufälligen Finder des Ringes der Macht' eine einstweilige Verfügung zur Herausgabe fremden, beweglichen Eigentums zustellen. Der Hobbit kriegte das mit, weil diese Anwälte sich in seinem Auenland erst einmal umgesehen haben, da nämlich bis dato niemand außer Gandalf Mister Beutlins richtige Adresse kannte. Die Hobbits, die die Anwälte nach diesem Beutlin gefragt haben, gaben ihrem Stammesgenossen dann den Tipp, dass da jemand auf der Suche nach "Beutlin" war. Da ist ihm gedämmert, dass er da in eine mächtig unangenehme Sache verwickelt war. Gandalf der Zauberer erwies sich aber erneut als echter Freund und Kumpel und gab ihm guten Rat: also hat er den Ring sofort fallen lassen wie eine heiße Kartoffel und das Ding - ohne Erklärung - seinem "geliebten Neffen", einem gewissen Frodo, hinterlassen und ist erst einmal bei meinem Vater untergetaucht - diesmal von einer Gruppe von Zwergen als Bodyguards eskortiert. Und an seinen Neffen Frodo konnte die einstweilige Verfügung ja nicht zugestellt werden, weil der nicht Bilbo Beutlin war, den er ja auch nicht legal beerben konnte, weil dieser noch lebte - ein netter juristischer Schachzug von Gandalf, um Zeit zu gewinnen. Mister Beutlin galt in Mittelerde erst einmal als "unbekannt verzogen". Angeblich sollen die Anwälte nicht freundlich mit dem jungen Hobbit umgesprungen sein, so dass der kalte Füße bekommen hat und nicht aus noch ein wusste. Und schon gab es erneut den üblichen Retter in der Not: Gandalf. Er hat dem jungen Hobbit die totale Horrorgeschichte erzählt: Sauron sei das personifizierte Böse, der jederzeit die ganze Welt ausrotten könne und das auch wolle, nur grad jetzt nicht könne, weil er dazu den Ring von Onkel Bilbo bräuchte, aber wenn er den erst einmal hätte, dann sei game over. Und er, Frodo, müsse sofort fliehen. Am besten ins Bruchtals - also zu meinem Vater."


Kapitel 10: Eine unerwartete Verlobung


Arwen schenkte sich noch einmal Wein ein, worauf Haldir den Faden der Erzählung wieder aufgriff: "Und überhaupt - was hat ihm Gandalf nicht alles über den Ring erzählt: Er sei böse durch und durch, so gefährlich, dass die Weisesten, Tapfersten und Besten ihn nicht mal anfassen wollten und könnten, sondern nur: ta-ta-ta-tah", gekonnt imitierte er eine Fanfare, "ein Hobbit. Klar: die ganzen Elbenfürsten, Menschenhelden und Zwergenschläger können nicht, aber ein Halbling. Eigentlich war der Ring harmlos: er machte unsichtbar und hatte ein eingebautes Ortungssystem, so dass man ihn auch in der unaufgeräumtsten elbischen Schmuckschatulle mit einem Pfeifen findet. Auf größere Entfernungen funktionierte das schon nicht mehr. Und dass der Ring unsterblich mache - ha, ha, was für ein Kunststück bei einem Unsterblichen oder einem Elben!", meinte Haldir. "Auf jeden Fall hat dieser weichgerauchte Keks von einem Hobbit Gandalf die Geschichte aus der Hand gefressen. Packt also seinen Lover am Kragen, sucht sich noch zwei aus seinem Stamm, die nicht bei "drei" hinter dem Baum waren und schleppt den Ring bei Arwens Vater an."
"Vater wusste von Anfang an Bescheid", meinte Arwen bitter. "Er war ja Teilhaber an Omis Plan. Kaum war dieser kleine Mann da, wurde die Schmierenkomödie vom "Großen Rat in Elronds Haus" gegeben. Dort haben sie diesen vier Hobbits mal so richtig das Leben erklärt - die Geschichte der letzten Zeitalter 'berichtigt', dass sich die Balken bogen. Hinterher war klar: Alles Böse von Anbeginn der Zeit an, das war Sauron, inklusive Klimaschwankungen, Unfruchtbarkeit und Sittenverfall, Artensterben und menschlichem Fehlverhalten wie moderner Kunst und Gartenarchitektur. Und er - Sauron - sei schon auf dem Weg ins Bruchtals, und danach würde er sich den Ringträger und den Rest der Welt vorknöpfen und so weiter. Und als die Hobbits schon vor Angst schreckstarr in den nassen Hosen kauerten, zog Gandalf - wieder einmal - 'die Lösung' aus dem grauen Hut: der Ring müsse sofort vernichtet werden. Leider könne man das aber nur an einer Stelle auf der Welt, einem Vulkan, dem Orodruin, ehemals: Schicksalsberg, der - Zufall, Zufall - direkt hinter Saurons Anwesen liege. Und die Hinterwäldler schluckten den Unfug. Was auch besser war", fügte sie hinzu und auf Pismires fragenden Blick erläuterte sie: "Es war dringend notwendig, dass sie sich nicht zu lange im Bruchtals aufhielten. So wie die sich aufgeführt haben, hatten wir alle ziemlich die Nase voll von denen. Und dann war ja auch die Operation "Ringkrieg" geplant."
" Moment: Operation Ringkrieg - war die nicht schon Geschichte?", fragte Pismire verwirrt nach.
"Nein, die Operation Schicksalsberg, die den Ring in Omis Hände spülen und ihren Beleidiger Sauron plätten sollte, die war Geschichte. Aber Elben können aus der Geschichte lernen", meinte Arwen süffisant. "Bei der Operation Ringkrieg ging es um noch mehr: den Ring kriegen, Sauron erledigen, die Orks ausrotten, Gandalfs Feinde vom Erdboden vertilgen, Mittelerde umgestalten und in die Hände von Menschen geben, die einen König haben, für den Elrond der Halbelb der Größte ist."
"Galadriel, Gandalf und Elrond hatten vor, Mittelerde mit Krieg zu überziehen und brauchten dazu einen Vorwand. Den sollte Sauron liefern, indem man ihn so lange provozierte - beziehungsweise seine Anwälte - bis er sich zu einem unvorsichtigen Schritt hinreißen ließ", ergänzte Haldir. "Wie gesagt. Diese Puzzle habe wir im Laufe von verdammt langen Ermittlungen zusammen getragen."
"Welchen Vorteil hätten sie alle davon gehabt?", fragte Pismire. Er fand die Geschichte ohne Frage spannend, aber er misstraute Handlungsmotiven wie: "Er war schon immer böse gewesen!" oder "Dr. Schnitzelfein war halt völlig durchgeknallt, warum hätte er sonst die Dorfbewohner mit dem Käsehobel häuten sollen?"
"Nun, die Motive waren unterschiedlich. Galadriel wollte schlicht Rache an Sauron und endlich diesen Ring. Und Gandalf - nun, Gandalf hatte nach der ganzen Sache keinen einzigen lebenden Feind mehr in Mittelerde - keinen. Ein Beispiel: der Typ, der die Pyronale "Zweites Zeitalter" gewonnen hatte, so ein freundlicher, ältere Feuerdämon der unter dem Künstlernamen "Flamme von Udun" aufgetreten ist und Gandalf auf den zweiten Platz verwiesen hatte, fiel in einem Bergwerk von einer Brücke. Gandalf sprang 'heldenhaft' hinterher um ihn zu 'retten', kam aber leider zu spät: Zeugen: die Ringgemeinschaft und natürlich Gandalf. Sein
Vorgesetzter Saruman, der einzige, der damals in Saurons Kritik gut weggekommen war, hatte nach einem Teestündchen mit Gandalf den Eindruck, die Bäume in seinem Vorgarten wollten ihn angreifen und weigerte sich anschließende, das Haus zu verlassen. Zur Genesung schenkte Gandalf ihm witzigerweise einen Bonsai. Zehn Minuten später rennt der Typ wie von der Tarantel gebissen raus und versucht, das Auenland und die Hobbits anzugreifen, weil diese an allem Schuld seien. Dort greift er seinen Pfleger an, wird von diesem Erstochen und dieser wiederum - im Affekt - von einem Hobbit erschossen. Zeugen: Gandalf, die Ringgemeinschaft und die Hobbits. Und so ging das - einen nach dem anderen - weiter. Und Elrond ..."
"Meinem Vater ging es um eine Neuordnung Mittelerdes zu seinen Gunsten. Er hatte zum einen diesen mächtigen Minderwertigkeitskomplex, weil er ja 'nur' ein Halbelb war. Und außerdem ist er ein Hobbyintrigant - es macht ihm einfach Spaß Intrigen zu spinnen. Seine Idee war, dass eine Reihe von kleineren Elbenkönigreichen sich in der Situation eines drohenden Krieges um einen starken, weisen Kriegsfürsten - nämlich ihn - scharen würden. Mit seiner machtvollen Schwiegermutter hatte er da eine exzellente Verbündete. Aber sein Hassobjekt Nummer Eins waren nun einmal die Orks. Meine Eltern hatten sich schon eine ganze Weile vor der Sache mit dem Ring getrennt, als meine Mutter Herrn Azog kennen lernte und kurze Zeit darauf meinen Vater verließ, um mit ihm zusammen zu ziehen. Bei uns Elben war das der Skandal. Nicht nur, dass es sich für eine Elbenfrau überhaupt nicht schickt, ihren Gemahl einfach so zu verlassen - potenziert wurde das Gerede auch noch dadurch, dass Herr Azog ein Ork war. Meine Mutter hatte ihn im Nebelgebirge kennen gelernt, als sie auf dem Rückweg von meiner Omi am Rothornpass von einem Unwetter überrascht wurde. Er wohnte da in der Gegend und bei ihm suchte sie Zuflucht vor dem Regen - und vor manch anderem, vermute ich." Sie machte eine kleine Pause und fuhr dann fort: "Und was die Menschen anging, so plante Papi durch den Krieg eine Vereinigung der menschlichen Völker unter dem Banner eines Königs. Den er sich wiederum mit einem simplen Trick zu Dank und Loyalität verpflichten wollte. Gandalf hatte ihm natürlich bei der Planung geholfen und zusammen fanden sie den richtigen Aspiranten: den letzten Überlebenden von den Bekloppten von der Insel. Hochtrabend nannten sie ihn später "Elendils Erbe und letzter hoher König von Numenor" - wie wasserdicht auch immer dieser vermeintliche Stammbaum gewesen sein mag. Und das Bonbon, mit dem man ihn ködern wollte, das war ich. In gewisser Weise war es ihm mit meiner Mutter und meiner Großmutter ja ähnlich gegangen. Und ich hab das überhaupt nicht gemerkt. Ich war ja so dämlich."
Verbittert schwieg sie und blickte ins Feuer. Nach einer Pause, die sie mit einem weiteren Glas Wein füllte, erzählte sie weiter: "Also, ich kannte den Typen gar nicht. Aragorn hieß er, Arathorns Sohn." Sie spuckte den Namen fast aus. "Wie gesagt, wir hatten seit Urzeiten dieses gut gehende, teure Berghotel, das "Bruchtals". Die Hotelanlage erstreckt sich über ein ganzes Tal, inklusive gepflegter Parklandschaften für Ausritte, Kajakfahrten im Wildbach, Freeclimbingwände, Wellnessbereiche, große Jagdgesellschaften im Herbst und natürlich Wintersport in allen Varianten. Wir haben hunderte von Leuten auf unseren Gehaltslisten. Und irgendeine von Aragorn Vorfahrinnen hat halt einen Küchenjob bekommen. Bei Menschen übernehmen wir meist die ganze Familie - der Job wird dann vererbt, solange keine Klagen kommen. Die Frauen sind in der Regel im Hintergrundbereich tätig - wer will schon alte Zimmermädchen oder so etwas sehen; die Männer eignen sich für die Gärtnerei oder den Stall. Wir haben allein vierzig Spülmädchen. Und wenn du da jedesmal im Todesfall einen neuen Vertrag aufsetzt, dann kannst du ruck zuck ein paar neue Personalbuchhalter einstellen. Das erhöht wiederum den Verwaltungsaufwand und das die ..."
Als sie merkte, dass Pismire nicht mehr mitkam, brach sie das Thema des "Personalkostenanteils im Dienstleistungssektor als Gewinnbremse" ab und fuhr fort: "Wir haben nun einmal nicht viel mit denen zu tun. Menschen sterben alle Nase lang - ich selber bin mittlerweile über dreitausend Jahre alt. Ich bin eine Elbenfrau - da macht man mal einen kleinen Besuch bei Freunden, einen Einkaufsbummel in Mittelerde und verquatscht sich mit einer Freundin und schwupp, wenn man nach Hause kommt hat man vier Generationen Küchenpersonal verpasst - na und!? Als ich diesen Aragorn zum ersten Mal sah, da war er zwanzig. Ich fand ihn niedlich und hab ihm das wohl auch mal gesagt - er ist dann immer rot geworden und über seine eigenen Füße gestolpert. Ich hab mir da nix bei gedacht - nur mein Intrigantenvater, der hat da schon wieder einen Deal gewittert. Ich war dann ein paar Tage - oder ein bisschen länger - bei Omi in Lorien. Und als ich zurückkomme, sitzt da so ein alter Mann bei meinen Vater rum mit Falten, Nasenhaare, lappigem Hals, Haarbüschel aus den Ohren, das volle Menschenleben halt - und mein Vater erzählt mir freudestrahlend, dass das der zukünftige König von Gondor und sein Schwiegersohn in spe sei. Ich denk mir da immer noch nix bei - Elladan und Elrohir, meine Brüder, sind auch für unsere Familie 'a bisserl' seltsam. Aber als er mitkriegt, was ich mir denke, da wird mein Papi deutlicher: Das da sei der künftige König von ganz Mittelerde und ich sei seine Verlobte. Ich hab nur gedacht: "Never - wie komm ich jetzt schnellstmöglich nach Valinor!?" Aber mit meinem Vater war da nicht zu reden. Und dann das ganze Getue in meiner Familie: "Guck mal wer da kommt, Schatz - ist das nicht der nette Herr Aragorn!?". Und: "Schau mal - den Trollkopf hat der tapfere Herr Aragorn für dich ausgestopft." Meine blöden Brüder haben mich immer mit "meinem alten Haustier" aufgezogen. Und dann Vaters Sprüche wie: ""Dann lass ich die junge Leute mal alleine" und so. Also bin ich wieder zu Omi abgehauen. Aber die war diesmal mit im Boot - was ich ja nicht ahnen konnte. Und knapp zwei Wochen später tauchte der "glorreiche Herr Aragorn" auch in Lorien auf. Und mein eigener Großvater beliefert die Klatschblätter mit erfundenen Exclusivgeschichten und -interviews wie "Zwischen den Rassen - Große Romanze in Lorien" - "Thronerbe Gondors gefunden?" - "Hotelerbin heiratete Jägermeister" - "Ich war Elronds bester Jäger".
"Es gab da nur ein kleines Problem", ergänzte Haldir. "Gondor, das größte damalige Reich der Menschen war nicht wirklich der Ansicht, einen König zu benötigen. Ursprünglich war das Ding von den Leuten von der untergegangenen Insel gegründet worden und hatte anfangs auch einen König namens Elendil, der noch aus Numenor stammte. Dessen Nachfahren degenerierten im Lauf der Jahrhunderte immer mehr und starben schließlich aus. Mittlerweile wurde Gondor von einem Rat einem Statthalter an Stelle des Königs regiert und kam ganz gut ohne König aus. Der Nachfolger dieses 'Truchsessen' - so der offizielle Titel des Ratsoberhauptes - würde vermutlich dessen Sohn Boromir werden. Und Boromir war auch bei dieser vorgetäuschten Beratung über das Schicksal der Welt dabei und hielt dort mit seiner Meinung über Aragorn nicht hinter dem Berg. Immerhin war er Stammgast in der Jagdsaison im Herbst und kannte ihn ganz gut. Sein Widerspruch brachte ihn auf einen der vorderen Listenplätze bei den "noch zu lösenden Problemen" - und es war klar, dass Gandalf sich früher oder später seiner annehmen musste."
Arwen übernahm die Erzählung: "Doch zurück zum Problem mit Sauron und dem Ring. Galadriel und Gandalf wollten die Sache eskalieren lassen. Nachdem Saurons Anwälte auf dem Weg ins Bruchtals einen bedauerlichen 'Unfall' mit einem künstlichen Wasserfall gehabt hatten, war der Plan, den Ring immer mehr in Saurons Nähe zu schicken, um ihn zu einer unvorsichtigen Handlung zu verleiten. Daher also die Geschichte, der Ring müsse unbedingt nach Mordor - so hieß Sauron Anwesen. Unter großem Tamtam wurde eine so genannte "Ringgemeinschaft" gegründet aus neun Gefährten. Mitgehen sollte der in Teile des Plans eingeweihte Aragorn, der in den Schilderungen meines Vaters mittlerweile zum größten Waldläufer und Fährtenleser Mittelerdes mutiert war. Dann Boromir als Repräsentant der Menschen des Südens - ihn außen vor zu lassen hätte zu viel Misstrauen erregt. Und außerdem sah Gandalf in seinem kriminellen Hirn bereits ein Dutzend 'Unfälle' voraus. Außerdem die vier Hobbits, die mein Vater so dringend aus dem Hotel haben wollte. Und der Oberstratege Gandalf sollte das ganze selbstverständlich leiten. Der Sohn von Thranduil, mit dem angeblich mein Opa mal eine Liaison gehabt hatte, Legolas, wollte auch unbedingt mit. Und dann drängelte sich noch ein Zwerg in die Angelegenheit. Gimli, ein Verwandter eines wichtigen Zwergenkönigs, witterte von Anfang an, dass da was nicht stimmte. Also nahm man ihn doch 'gerne' mit - immerhin hatte man ja nichts zu verbergen."
"Dieser Boromir hatte von Anfang an keine Überlebenschance", warf Haldir ein. "Er sollte spätestens in Lorien bei meiner Chefin einen Unfall haben. Auch so ein bekanntes Handlungsmuster: Sterblichem im Elbenland bekommt der Aufenthalt dort nicht und er wird tot zu seiner Familie zurück gebracht. Da Boromirs Vater in ganz Mittelerde nach dem Tod seiner Frau als depressiv galt, sollte Gandalf die Nachricht nach Minas Tirith bringen, wobei der Schreck über den Tod seines ältesten Sohnes - einen Rückfall vorausgesetzt - eine akzeptabel Begründung für den geplanten vermeintlichen Selbstmord abgeben würde. Für seinen zweiten Sohn sollte der bevorstehende Krieg eine Lösung bringen, dafür würde Gandalf der Grausame schon sorgen. Dieser zweite Sohn, Faramir, war ein stadtbekannter Tollpatsch, der sich auch schon mal beim Apfelessen zwei Finger gebrochen hatte. Bei dem wäre es nicht einmal aufgefallen, wenn er sich mit seinem eigenen Schwert aufgespießt hätte."

Kapitel 11: Auf dem Weg in den Süden


Haldir genehmigte sich noch einen Wein, bevor er weiter erzählte: "Doch so weit war die Ringgemeinschaft noch nicht. Zuerst einmal mussten sie nach Lorien kommen. Unterwegs hatte es schon ein Problem gegeben, denn als sie bei uns anlangten, war Gandalf nicht dabei und Galadriel musste improvisieren. Der große Zauberer hatte sich vorher von der Gruppe abgesetzt, weil er noch eine Rechnung aus dem Zweiten Zeitalter begleichen wollte - der bereits erwähnte Feuerdämon. Ihr Weg nach Lorien führt über Moria - eine unterirdische Orksiedlung in den Nebelbergen. Außer natürlich für unseren Zwergenhelden. Der konnte sich ja nicht mal vorstellen, dass irgendein anderes Volk als die Zwerge auch nur ein Loch in den Schnee pinkeln kann - von unterirdischen Stadtanlagen mal ganz zu schweigen. Also hat er überall "Zwergeneigentum" reingeritzt. Da waren natürlich die Orks sauer. Nach Gimlis Version wurden sie dann von einer riesigen Armee angegriffen und haben sich mit Bravour geschlagen. Unabhängige Zeugen nannten das ganze Sachbeschädigung, Widerstand gegen die Ordnungsmacht, gewaltsamer Versuch, sich der Festnahme zu widersetzten und mehrfacher Totschlag. Gandalf hat sich dabei den dort wohnenden Balrog, früher bekannt als die Flamme von Udun, vorgenommen und verschwand dann erst einmal von der Bildfläche - auch für unsere Reisegesellschaft. Er hat sich einfach in den Abgrund fallen lassen, in den er vorher den Feuerdämon geschupst hatte, um sicher zu gehen, dass der auch wirklich nicht gerettet werden kann. Und wieder hatte einer von Gandalfs Feinden ein merkwürdiges Ende gefunden. Die übrig gebliebene Reisegesellschaft hat mir gegenüber ausgesagt, der Dämon habe zuerst angegriffen. Die Zeugen haben sich aber derartig widersprochen, dass ich es nicht wirklich geglaubt habe."
Er schwieg kurz und berichtete weiter: "Nachdem das erledigt war, hatte Gandalf erst einmal die Schnauze voll von Mittelerde und hat sich wohl gedacht: "He, ich brauch mal Ferien", und ist zum Kurzurlaub nach Valinor aufgebrochen. Nach seiner eigenen Darstellung war er so schwer verwundet, dass er eigentlich schon tot war und deswegen in die Unsterblichenlande zurück gerufen wurde, aber sein Pflichtgefühl habe der Rettung Mittelerdes Vorrang eingeräumt - und so weiter. Seine restlichen Mitstreiter haben dann die Brücke zum Tor in Moria gesprengt, damit ihnen keiner folgen konnte und sich in aller Ruhe verdünnisiert. In ihren Worten nannte sich das dann 'geordneter Rückzug'. So kamen sie denn nach Lorien, wo für Boromir die Zeit langsam auslief. Bis dahin hatte er sich ganz tapfer geschlagen, und mit dem Zwerg verband ihn - nach allem was man hörte - mehr als nur eine reine Männerfreundschaft. Aber als die Reisegesellschaft dann endlich bei uns war, hatte er wohl schon Lunte gerochen und war fast paralysiert vor Angst: Er wollte weder schlafen noch etwas essen, als wir die Reisegesellschaft an der Grenze trafen."
"Und was war überhaupt mit diesem Zwerg - Bimmli, nicht wahr?", hakte Pismire nach. "Ich denke, Elben und Zwerge können sowieso nicht miteinander. Wurde der nicht irgendwann einmal misstrauisch?"
"Gimli. Und den hat meine Chefin höchstpersönlich umgedreht. Ich hätte es niemals geglaubt, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte. Ich war bei der Eskorte, die diese famose Reisegesellschaft an unserer Grenze in Empfang nehmen sollte. Das waren zwar Verbündete - aber wer lässt Verbündete dieser Art schon unkontrolliert durch seine Lande streifen!? Zuerst rannte dieser Gimli rum wie der letzte Zwerg - gemault, geflucht, bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit seinen Anwälten gedroht: "Wenn mir auch nur ein Haar gekrümmt wird", "ich mir die Zehen stoße", "mir ein Eichhörnchen auf den teuren Helm scheißt, dann" - man kennt die Typen ja. Und als er von Galadriel hört? Geht das Gememme und Geheule so weiter. "Ich hab keinen Bock auf diese Elbenhexe", "was soll ich denn da" - und das in einer Tour. Und dann hat die 'Elbenhexe' ihm eine ihrer "Spezialaudienzen" gewährt. Und als der wieder raus kam, dachte ich nur: "Aber Hallo!? Was geht denn hier ab!?" Ein Gekicher und Gescherze, dass einem schlecht werden konnte. Oh hohe Elbenkönigin hier - oh werter Gimli dort. Der kam schon gar nicht mehr drunter vor unter ihren Rö..."
Haldir brach ab, da er - nicht zu Unrecht - den Eindruck hatte, Arwen könnte das Thema peinlich werden. "Auf jeden Fall hat er danach ihr Loblied gesungen, wie nichts Gutes. Aber zurück zu dem Problem Boromir. Bisher hatte zukünftige Herrscher Gondors - ein Hindernis für den noch zu etablierenden König Aragorn - also überlebt. Zwar war Gandalf nicht mehr da, wie sie aber von ihrem Schwiegerenkel in spe erfuhr, gab es da ja noch einen Plan "B", weswegen Galadriel auf weitere Aktivitäten verzichtete. Gandalf hatte das schon vom Bruchtals aus arrangiert: Spätestens an der Grenze zu Gondor wartete eine Gruppe Orksöldner auf die Reisegesellschaft. Die hatten nur den Auftrag, für die Sicherheit eines Hobbits gegen alle möglichen Angreifer zu sorgen - mehr hatte Gandalf ihnen nicht gesagt, damit sie möglichst authentisch agieren sollten."
Er trank ein weiteres Glas und meinte dann: "Frodo der Hobbit wusste natürlich Bescheid. Angeblich konnte er deswegen auch die ganze Reise über Boromir kaum gerade in die Augen schauen, das haben seine Mithobbits mir - ohne sich was dabei zu denken - in Lorien erzählt, als ich versucht habe, sie ein wenig auszuhorchen - nur so, rein prophylaktisch, aus dem üblichen Misstrauen heraus. Nachdem sie sich ausgeruht hatten, hat meine Königin die Reisegesellschaft großzügig verabschiedet und sie per Boot auf dem Anduin in Richtung Gondor geschickt, weil Boromir wieder nach Hause wollte - und das so schnell wie möglich. Aber so weit sollte es nicht kommen", leitete er das Folgende dramatisch ein. "Als nun die Gesellschaft kurz vor dem Ziel ist, zieht Frodo den abgesprochenen Plan durch: Fragt Boromir, ob er den Ring mal sehen will, gibt ihm das Teil, schreit: "Hilfe, Hilfe, er will mir den Ring klauen!", und die Orks, die am vereinbarten Ort gewartet hatten, erfüllen ihren Teil des Vertrags: der Sohn des Herrschers von Gondor stirbt von Pfeilen durchsiebt mitten in der Pampa. Frodo muss jetzt nur noch den Ring aus den toten Fingern lösen und die abgemachte Bezahlung an die Orks geben, dann kann er sich von seinem Lover die Story bestätigen lassen und weiter gehts."
Haldir schüttelte den Kopf: "Alles wäre so einfach gewesen. Aber nein - der Raffzahn, der sich mittlerweile den hochtrabenden Titel "Ringträger" zugelegt hat, unterschlägt die Kohle und macht sich so schnell ihn seine haarigen Füße tragen aus dem Staub. Mit seinem Freund. Die Orks waren natürlich sauer und haben sich erst mal die beiden anderen von dem kleinwüchsigen Diebsgesindel als Verhandlungsmasse gegriffen. Sie hatten den Verdacht, dass da mehr an der Geschichte dran war, als man sie hatte wissen lassen, und wollten zu Gandalfs Chef, um den darauf aufmerksam zu machen, dass da einer seiner Leute vermutlich hintenrum ein ziemlich fieses Ding abzog. Die Ringgemeinschaft steckte damit natürlich endgültig in der Krise. Da Gandalf seinen Wellnesstrip vorher nicht angekündigt hatte und Boromir ausfiel, war Aragorn jetzt der Anführer. Und dachte, er müsse erst einmal die Orks beseitigen, um zu verhindern, dass Saruman was von den ganzen Umtrieben erführe. Also sind die drei Übriggebliebenen den Orks hinterher."
Säuerlich merkte Arwen an: "So viel also zum großen Schützer des Ringträgers: Anstatt den armen, kleinen, schutzlosen Hobbit zu begleiten, lässt er ihn mitten im Niemandsland mit seinem Kumpel und einer Tüte Elbenknäcke - genannt Lembas - als Proviant zurück, damit er sich alleine nach Mordor durchschlagen kann! Aragorn konnte es natürlich nicht riskieren, dass die Hobbits oder die Orks zu Saruman gelangen. Hinterher hieß es: Frodo sei schon unerreichbar auf dem Weg nach Mordor gewesen - klar, ein Elb, ein Zwerg und", sie zeigte die Gänsefüßchen mit den Fingern an, "der "Größte Waldläufer aller Zeiten" sind nicht in der Lage, zwei Landeier ohne Erfahrung in der Wildnis einzuholen. Deswegen lässt man die schlimmste Waffe, die man sich vorstellen kann, munter in Richtung Sauron wandern. Etwa weil der "Plan" so dämlich war, dass keiner draufkommen kann!?"
Sie brach ab, schüttete sich noch etwas Wein nach und erzählte weiter: "Als also der Ringträger allein in Richtung Mordor watschelt, Gimli sich mit Legolas tröstet, mein Verlobter gar keinen Plan mehr hat und die Orks zwei Geiseln haben und zusätzlich vermuten, dass da irgendetwas Faules passiert, kommt der gut gelaunte und prächtig erholte Gandalf vom als Krankschreibung getarnten Kurzurlaub aus Valinor mit frischer, krimineller Energie zurück und treibt sein böses Werk voran. Als erstes klaute er sich ein Pferd von dem Menschenstamm, der da in der Gegend hauste. Die Reiter von Rohan kannten das nicht anders von ihm, weswegen er dort eigentlich persona non grata war und Haus- und Stallverbot hatte. Dann brachte er sich aufs Laufende und aktualisierte blitzschnell seine Pläne. Mit dem neuen, schnellen Untersatz gings erst mal zu seinem Vorgesetzten, den er kurzerhand ausschaltete. Offiziell trat Saruman von seinem Posten wegen angeblicher gesundheitlicher Probleme zurück, und praktischerweise konnte Gandalf die laufenden Amtsgeschäfte gleich übernehmen. Mit den Orks, die immer noch die Hobbits als Geiseln hatten, wurde er schnell handelseinig: Eine üppige Entschädigung, die - wie sich später zeigte - mit einem biologischen speziell auf Orks zugeschnittenen Kampfstoff versetzt war, sollte die finanziellen Unstimmigkeiten zwischen den Verhandlungsparteien aus der Welt schaffen. Gandalf muss das Gift in Sarumans Beständen gefunden haben, denn Saruman hatte immer schon gerne biologische Kampfstoffe entwickelt - war ein Hobby von ihm. Was genau Gandalf benutzt hat, wissen wir nicht. Und wir haben bisher keinen echten Beweis für diese Behauptung. Fakt ist aber:", zählte sie auf: "Eine Woche nach der Übergabe waren alle an der Aktion beteiligten Orks tot, zwei Wochen später alle ihre Kontaktpersonen, ein Jahr später waren die Orks in Mittelerde Geschichte. Sie kamen einfach aus ihren unterirdischen Dörfern in den Bergen auf die Ebenen getorkelt, scheinbar ohne Orientierungssinn und mit Sicherheit nicht klar bei Verstand. Und die Epidemie begann genau in der Gegend, in der Gandalf mit ihnen verhandelt hatte. Da liegen meiner Meinung nach biologische oder biochemische Mittel auf der Hand."
Sie machte eine kurze Pause undmerkte an: "Gandalf hat auch schnell dafür gesorgt, alle vor ihnen zu warnen: sie seien wie tollwütige Hunde, die man einfach von ihren Leiden erlösen müsse - vor allem auch angesichts ihrer nicht unerheblichen Besitztümer, die sonst in die falschen Hände fallen könnten. Sprüche wie diese fielen bei den Menschen in der Umgebung auf fruchtbaren Boden. Wo immer sich ein Ork außerhalb seiner Behausung bei Tageslicht zeigte wurde er abgeschlachtet. Und einhundert Jahre danach hatten sie die Orks auch in den Erzählungen geändert. Aus den unterirdisch lebenden, unbedarften Waffenfetischisten und Metallhandwerkern, die als Söldner für alle und jeden gearbeitet hatten, war der personifizierte Abschaum geworden: große, böse, feige, stinkende, blöde, gemeingefährliche mörderische Verbündete des Bösen auf Erden. Sic transit gloria mundi", meinte Arwen und neigte einen Moment den schönen Kopf. "Mein geschäftstüchtiger Vater hat sogar All-inclusiv-Wochen mit Jagdausflügen und Trophäen-Garantie angeboten. Das war der Renner in der Saison. Es hatte allerdings auch negative Auswirkungen aufs Personal. Als klar war, dass in unserer Gegend nur wenige Orks zu finden waren, sind die meisten unserer menschlichen Angestellten bis an die Zähne bewaffnet gen Süden gezogen, wo die Orks wohnten. Offiziell hatten sie ihre Loyalität für ihren Herrn und König Aragorn entdeckt." Verächtlich schwieg sie.


Kapitel 12: Kriegsgewinner, Kriegsverlierer

Haldir ergänzte: "Der Ringträger und sein Kumpel waren unterdessen ganz froh, den Rest der Gruppe los zu sein. Sie dachten sich, sie könnten erst einmal mit dem Geld von den Orks in irgendeinem Ferienort an der südliche Küste untertauchen. Also haben sie sich im Niemandsland zwischen Gondor und Mordor nach Süden geschlichen. Das wiederum entsprach dem großen Plan, denn Galadriel hatte darauf spekuliert, dass Sauron in der Nähe von Mordor - wo die beiden Ahnungslosen durch die Lande torkelten - versuchen würde, sich den Ring zu schnappen. Aber er war zu vorsichtig. Unterwegs ist den Hobbits dann dieser Eremit, der früher mal den Ring gehabt hatte, über den Weg gelaufen. Dem hatte der Einbruch so zugesetzt, dass er es in seinem Heim nicht mehr aushielt - Einbruchsopfer sind oft traumatisiert und entwickeln einen lebhafte Abscheu vor ihrer bisherigen Behausung. Unsere beiden 'edlen Ringträger' sind über ihn hergefallen wie Bestien: haben ihn zusammengeschlagen, geknebelt und gefesselt; er musste den Packesel für sie machen und wer weiß, was noch. Sie hatten ihn nämlich belauscht und mitbekommen, das er etwas von einem Ring murmelte - klar, das haben sie dann auf sich bezogen. Den armen Kerl hat dieser erneute Angriff auf ihn so fertig gemacht, dass er eine echte Psychose entwickelt hat: er ist zu einer multliplen Persönlichkeit mutiert. Hat sich in mindestens drei Personen aufgespalten: einen Gollum - das war sein Ventil: ein listiger, bösartiger kleiner Kerl, der raufte, fluchte und Widerworte gab. Dann einen Smeagol - den größten Schleimer unter der Sonne. Während die Hobbits ihn misshandelt haben, hat der noch gebuckelt und "Danke" gesagt; Frodo war immer nur "der Herr" für ihn. Dann gab es da noch einen Deagol, von dem sich die beiden anderen sicher waren, dass er tot war und früher mal einen wertvollen Ring besessen hatte. Ich vermute, dass das sein ursprünglicher Name war. Die Persönlichkeit, die für ihn tot war, war die, die er auf gar keinen Fall mehr sein wollte. Den Hobbits war das natürlich egal, solange sie ihr Personal im Griff hatten - frisches Futter, weiches Lager, gebürstete, frisch gelutschte Zehen. Leider war keiner der Drei in der Lage, auf einer Landkarte von Mittelerde auch nur den eigenen Hintern dann zu finden, wenn er eingezeichnet gewesen wäre - topographische Nullen halt. Deswegen haben die auch nicht mitbekommen, dass sie keineswegs in Richtung Feriensiedlungen unterwegs waren, sondern tapfer weiter in Richtung Mordor zogen."
"Warum haben diese Hobbits eigentlich nicht versucht, wieder nach Hause zu kommen? Dort hätten sie doch still und heimlich untertauchen können?", fragte Pismire nach.
"Hähähä", lachte Haldir schadenfroh. "Wenn sie gekonnt hätten - gerne. Aber erstens hätte keiner von ihnen den Rückweg gewusst. Und selbst wenn sie genau den Hinweg gefunden hätte - was glaubst du, hätte Königin Galadriel ihnen erzählt? Und danach Moria: Die Orks waren immer noch stinksauer. In Elronds Haus hatten Frodo und sein Freund sich keine Mühe gegeben, auch nur wenigstens einmal einen Blick auf eine Landkarte von ganz Mittelerde zu werfen. Die beiden war doch noch nie aus ihrem Auenland herausgekommen. Den Weg zu Elrond hatten sie nur gepackt, weil Aragorn sie praktisch direkt hinter ihrem Land in den nächsten Kneipe auf Gandalfs Geheiß hin aufgegabelt und weitergeschleppt hatte. Dieser Sam soll nach jedem Busch gefragt haben, ob das schon Elronds Haus sei. Später war dann nach jeder Biegung "Schicksalsberg!?" Nein, die beiden hatten absolut keinen Plan. Und dieser Eremit kannte sich auch nicht aus - er hatte ja jahrhundertelang unter seinem Berg gehockt, da kann sich die Landschaft schon mal ein bisschen verändern. Das einzige, was die Hobbits gehört hatte, war, dass es irgendwo im Süden ein warmes Meer mit einem warmen Sandstrand und Orte mit niedrigen Preisen geben sollte, wo man den Ring und den Eremiten zweifelsfrei gewinnträchtig verscherbeln konnte, um sich mit dem Gold ein paar nette Tage machen. Soviel hatte Boromir ihnen nämlich unterwegs über die Länder im Süden erzählt. Natürlich waren die beiden auch heilfroh, dass ihnen die schier unlösbare Aufgabe, den Ring vernichten zu müssen, erspart blieb. Also stolperten sie weiter Richtung Südosten, und so blieb der Ring weiter in der Reichweite von Sauron."
"Und wie sollte das denn überhaupt deiner Königin dabei helfen, den Ring zu bekommen?", hakte Pismire skeptisch nach. "Was hatte sie den davon gehabt, wenn der Halbling das es wirklich gepackt hätte, bis zum Schicksalsberg zu kommen?"
"Aber damit konnte keiner rechnen", warf Arwen ein. "Sieh doch mal - alle dachten, Sauron würde rauskriegen, was sich da in seiner Gegend tummelte und dann nach all der Zeit und dem Ärger versuchen, sich sein Eigentum einfach so wieder zu holen. Dann hätte die Ringgemeinschaft sich gewehrt. Hätte der Halbling das überlebt? Wohl kaum. Aragorn war eingeweiht, Legolas wusste Bescheid. Einer der beiden hätte Frodo ein frühes Ende bereitet, und das dann auf Sauron geschoben. Was für ein prächtiger Anlass für die - ich nenne sie mal so - Kräfte des Guten, den armen Halbling zu rächen", sie machte eine elegante Geste mit beiden Händen, "und schon wäre der Krieg in vollem Gange gewesen. Und - wie gesagt - Frodo wusste nicht einmal grob auf einer Landkarte, wo Mordor lag. Irgendwo im Südosten von Elronds Haus. Dorthin hatte Gandalf ihn ja geleiten sollen." Sie schnaubte verächtlich. "Keiner konnte ahnen, dass Gandalf noch ein ganzes Bündel privater Rechnung im Ärmel hatte, die er begleichen würden, wo immer sich die Gelegenheit ergab. Um sich des Ringes also jetzt noch zu versichern, musste der Rest der Ringgemeinschaft ganz schnell hinterher - ebenfalls wieder in Richtung Mordor. Aber da gab es ein Problem: die Orks. Zwischen Gondor und Mordor lag ein weiteres Gebirge, in dem Orks lebten. Und diese Orks hatten schon ganz richtig den Eindruck, dass Elben, Menschen und Zwerge nicht auf ihrer Seite waren. Denn Gandalf hatte erkannt, dass seine Verbündeten - besser gesagt: all die Bauern in seinem Schachspiel - viel besser in seinem Sinne agierten, wenn er einen gemeinsamen Feind aufbaute - die Orks, und zwar alle noch lebenden. Jetzt also hatte er die Möglichkeit, diese Seuche, die er den Orks, die er vorher angeworben hatte, zu nutzen."
"Weswegen wir ja vermuten, dass er seine Hand im Spiel hatte", warf Haldir ein. Arwen nickte während Haldir fortfuhr: "Als die Krankheit sich ausbreitete, haben die Orks verzweifelt nach Heilern gesucht. Halb besinnungslos und ständig im Fieber wirkten sie allerdings auf die in ihrer Nähe wohnenden Menschen nicht gerade vertrauenerweckend. Das hat Gandalf ar... äh, 'tschuldigung: glasklar ausgenutzt. Zur nächstgelegenen Menschensiedlung um dort Greuelpropaganda zu betreiben war immer schon eine seiner leichtesten Übungen gewesen, in diesem Fall - wie schon gesagt - peinlicherweise der Stamm, wo er das Pferd hatte mitgehen lassen, aber im Aus-der-Schlinge-reden war er schon immer Nummer Eins in Mittelerde. Also hat er was von einem dringenden Fall erzählt und dem angejahrten Stammeshäuptling, der sich natürlich "König" nannte, eine Runde hochdosierter Frischmacher ins Essen gejubelt. Der denkt, er wäre wieder fünfundzwanzig und auf der Suche nach Heldentaten. Und welch ein Zufall - überall auf der Ebene von Rohan treiben sich Orks rum. Wenn die mal nicht uns alle überfallen wollen - unsere Frauen und Edelmetalle und wer weiß was sonst noch rauben. Da haben die Reiter Rohans - mit Gandalf als Unterstützung natürlich - nicht lange gezögert und in einer 'beeindruckenden Schlacht' die Orks der Umgebung in eine Schlucht getrieben und niedergemetzelt. Angeblich über zehntausend Orks - man weiß ja, wie derartige Zahlen zustande komme. Und wie es der Zufall so will, kaum gibt es was zu plündern, tauchen auch die beiden vermissten Hobbits wieder auf."
"Hä, wieso das? Waren die nicht von den Orks zurück getauscht worden?", wollte Pismire wissen.
"Theoretisch ja", meinte Arwen. "Praktisch aber nicht. Die Orks waren ja auch nicht ganz dumm - sie waren natürlich ohne die Geiseln zur Verhandlung mit Gandalf gekommen. Lediglich drei oder vier Verhandlungsführer. Nur: während sie gerade verhandelten, wurde der Rest der Gruppe von Wegelagerern überfallen und bis auf den letzten Ork niedergemetzelt. In dem Durcheinander sind die Hobbits verschwunden. So waren eigentlich nur betrogenen Betrüger am Verhandlungsfeuer versammelt."
"Und auf dem Weg zu den Menschen - wen trifft Gandalf da: einen Zwerg, einen Elben und einen Menschen, die auf den Ebenen von Rohan nach ihren verschwundenen Hobbits suchen. Und mit den beiden Hobbits, die nun wieder aufgetaucht waren, hatte diese famose Ringgemeinschaft wieder sechs Mitglieder versammelt. Auf Gandalfs Agenda stand jetzt noch: den Truchsess von Gondor und dessen Erbe, Boromirs Bruder Faramir, erledigen, alle Orks Mittelerdens massakrieren zu lassen und den Ring wieder in die Finger kriegen. Was folgte also logischerweise? Auf nach Gondor, das Land in die Allianz gegen die Orks einbinden und dann ab nach Mordor - zum Ring." Haldir schüttete erneut nach.
"Der Rest ist schnell erzählt. Bei Saruman hatte Gandalf nicht nur einen biologischen Kampfstoff gefunden, sondern auch einen magischen Stein, mit dem er direkt mit Sauron Verbindung aufnehmen konnte - einen Palántir. Damit hat er Sauron die Botschaft zukommen lassen, er könne sich den Ring in Gondor abholen - genau gesagt: auf dem großen Feld vor der Hauptstadt Minas Tirith. Nun hieß es für Gandalf: ab zum Pelennor - so hieß das Stück Land. Als Unterhaltung für unterwegs hat er sich einen der Hobbits mitgenommen, den anderen teilte sich der Rest der Ringgemeinschaft, der nachkommen sollte - und zwar mit einem ziemlichen großen Trupp bewaffneter Reiter. Nur so zur Sicherheit natürlich, falls sich unterwegs irgendwelche kranken Orks zeigen sollten. In der Stadt angekommen überbrachte Gandalf also dem Truchsessen die Nachricht vom Tod seines Sohnes Boromir, und erstaunlicherweise fiel Denethor kurze Zeit später brennend von einem hohen Turm, was der Hobbit, der Gandalf begleitet hatte, auch danach eifrig bezeugte. Der andere Sohn, Faramir, hatte sich bei einem Ausflug zum Fluss eine schwere Verletzung zugezogen - unter reichlich ungeklärten Umständen - und wurde nun von Gandalf 'behandelt'. Und natürlich erzählte Gandalf ihm die ganze, die wahre Geschichte über Sauron, den Hern des Ringes, und den so genannten Ringkrieg. Womit die Dinge nun für Elrond den Halbelfen prächtig standen: zwischen seinen zukünftigen Schwiegersohn und dem Thron von Gondor stand nur noch ein Mann: Faramir, der Gandalf, dem weisen Zauberer, blind vertraute. Und zu seiner eigenen "Sicherheit" wurde ihm von Gandalf auch noch eine Mischung aus Domina und Pflegerin verpasst. So 'ne Walküre" - Haldir deutete mit den Armen eine Schulterbreite an, die seine eigenen bei weitem überstieg - "aus Rohan. Fulminante Dame. Die hatte den Chef von Saurons Anwaltskanzelei kurzerhand im Eifer des Gefechts (und ich meine jetzt: des verbalen) den Kopf abgehackt (und das meine ich jetzt wörtlich), als dieser vor der Stadt Minas Tirith die Aufforderung zur Übergabe der Fundsache ordnungsgemäß zustellen wollte. Angeblich soll er ihr an den Vorderharnisch gewollt haben. Wer's glaubt?!" Haldir zuckte dezent mit den Schultern. "Dieses ganze unklare Geschehen vor der Stadt wurde in den weinseligen Erinnerungen der Ringgemeinschaft hinterher zu einer gigantischen Schlacht um die Herrschaft der Welt aufgeblasen, die weder Sauron, noch seine Anwälte noch der Ring heil überstanden. Manchmal war sogar die Rede von zwei Schlachten - eine vor der Stadt, eine auf einer Ebene vor Mordor, dem Morannon. Frodo soll sogar bis nach Mordor gelangt sein und soll dort den Ring in die feurigen Klüfte des Schicksalsberges geworfen haben. In einer anderen Variante hieß es, Gollum habe Frodo den Ring geraubt und sei dann in den Vulkanschlot gestürzt." Haldir zuckte mit den Achseln. "Als wir versucht habe, das Geschehen so ein- oder zweihundert Jahre hinterher aufzuklären, da lebte außer Aragorn sowieso kein menschlicher Zeuge mehr. Und - meiner Ansicht nah - log der überlebende Teil der Ringgemeinschaft wie die Schreiber. Eine Schlacht, zwei Schlachten? Die Orks waren dahin, Sauron war verschwunden, der Ring war weg und wir Elben waren auf einmal eine Rasse im Herbst. Mittelerde war nicht länger unsere Heimat - befand nun alle Welt, vor allem der menschliche und zwergische Teil." Resigniert leerte er das Glas mit einem Zug.
"Wie dem auch sei", griff Arwen den Faden wieder auf, "der letzte mögliche Truchsess von Gondor war aus dem Rennen und für Gandalfs Schützling der Weg frei. Ohne nennenswerten Widerstand wurde Aragorn König der Menschen, und mein Vater hörte die Nachricht von dem bevorstehenden "Freudentag" nur zu gerne. Ich wurde auf den Zelter eines weißen Pferdes geschnallt - und ab ging die Post. Am Mittsommerabend war ich in irgendeinem billigen, grüngelben, schlecht sitzenden Fummel ordentlich unter der Haube, und mein geliebter Vater kassierte das stattliche Brautgeld."
"Und das hast du dir einfach so gefallen lassen?", fragte Pismire verwundert. "Du hast nicht protestiert?"

"Tja", erwiderte die Elbin spitz, "auch Mittelerde war kein Matriarchat. Ich habe damals weder daran gedacht, mich den Anordnungen meines Vaters zu widersetzten, noch wollte ich an meine Hochzeitstag schon wieder mit einer peinlichen Homestory ("Hotelerbin schlägt auf eigener Hochzeit wild um ich - waren da Drogen im Spiel?" - "Wollte sie doch keinen Jägermeister!?") in die Schlagzeilen. Und außerdem", grinste sie gemein, "konnte ich das Problem nun echt aussitzen. Aragorn war nur eine kurze Episode in meinem Leben. In einem elbischen Leben war das gerade mal ein verschenkter Vormittag." Sie tätschelte versonnen Haldirs Hand. "Meine Töchter hätten mir ein wenig Leid getan - wenn sie nicht so verdammt nach ihrem Vater gekommen wären: haariges Kinn, übereinander liegende Raupen als Augenbrauen, kurze Lebensspanne. Ein bisschen wie komische Haustiere. Doch ja, ich habe sie schon bedauert. Und der vielleicht wichtigste Punkt", bemerkte sie und machte eine Pause, "war wohl der, dass ich zu diesem Zeitpunkt ja noch keinen blassen Schimmer hatte, dass mein Mann nicht der Idiot war, für den ich ihn immer gehalten habe. Erst nach seinem Tod, als dieses "Bild von einem Menschen, dieses Abbild der großen Könige der Altvorderenzeit" (wie einer der dämlichen Grabredner bei seiner Beerdigung salbaderte) erloschen war, da fand ich unter seinen Socken ein kleines Heft. Nicht sehr dick oder gehaltvoll. Er hatte es in einem Anflug von Selbstironie als "Das blaue Buch - wie ich in und mit einem königlichen Weinkeller versuchte, das rote Buch der Westmark zu korrigieren. Oder: Hin und wieder weg: die Memoiren eines Gesteuerten." betitelt. Und dort fand ich seine Gedanken zum Ringkrieg, diesen Teil der Geschichte der Verschwörung und wusste nun, wie mein eigener Vater mich geleimt hatte."
"Sie kam damit zu mir. Ich habe mich so darüber gefreut, und sie hat mir dann das Heftchen gezeigt", meinte Haldir. "Und ich las das ganze Zeug und dachte nach, und dann fiel es mir wie Schuppen von den Haaren: Es war das passiert, wovon jeder ambitionierte Wächter träumt: Ich war einem Jahrtausendverbrechen auf die Spur gekommen. Einem, das um ein Haar meine ganze Welt vernichtete hätte. Einem echt dicken Ding. Einer riesigen Verschwörung ... Tja, das war es dann: Lebewohl: Mittelerde - Willkommen: Interdimensionaler Raum. Hier fragt nämlich keiner nach deiner Vergangenheit. Weder mich, noch sie", sagte er und ergriff die Hand der Elbin mit anrührender Zartheit. Ineinander versunken betrachteten die beiden das Feuer und alle etwaigen Zuschauer vergingen für die beiden im Nebel.

Kapitel 13: Ein Verbrechen ohne Spuren


"Das hilft dir jetzt aber nicht wirklich bei der Wiederbeschaffung deiner Messingbrücke, Oberleutnant, nicht wahr?", weckte ihn eine spöttische Stimme aus seinem Nachdenken. Das Echsenwesen, das scheinbar tief geschlafen hatte, saß nun aufrecht und sah ihm direkt in die Augen. "Tja, die beiden sind nun weit weg. In ihren elbischen Träumen verfangen, wohin nichts und niemand ihnen folgen kann. Und glaube mir", grinste DarMa und polierte demonstrativ die Krallen an ihrer linken Hand, "ich habe da so einiges probiert, wenn sie in diesem Zustand waren. Sie schauen sich tief in die Augen und: schwupps, sind sie so weit weg, das du ihnen nicht folgen kannst. So sind sie nun einmal - Elben halt. Und was dich betrifft: dein Portal beziehungweise deine Welt nähert sich - vermute ich mal. Wenn die Türe leuchtet und zwar in - wie nanntest du das Zeug? Oktagram?"
"Oktarin"
"Genau. Wenn es oktarin leuchtet, dann kannst du es durchschreiten. Aber wie gesagt - Haldir meinte, das sei derzeit die einzige Möglichkeit, wieder zur Scheibenwelt zu gelangen. Wenn du da durch gehst, dann bist du wieder daheim."
"Daheim!?"
"Oder wo auch immer", winkt die Echsenfrau ab. "Du hast dir doch gemerkt, wie die Tore funktionieren, oder?"
"Aber was ist mit der Messingbrücke?", fragte Pismire verzweifelt. "Und mit dem Dicken?! Ich meine: dem Schneevater?"
"Die Brücke soll dein Problem nicht sein", meinte die Echsenfrau gelassen. "Wie schon gesagt, der Raum hier ist interdimensional. Also zwischen den Welten und den Zeiten. Halt intertemporal. Jede Zeit ist hier an jedem Ort vorhanden. Also auch genau die Zeit, in der die Brücke vorhanden und heil war oder auch die Zeit, in der sie für die Wichelstrafkolonie ohne Bedeutung war. Glaub mir - in irgendeiner Weise wird alles wieder gut."
"Aber das ist doch keine Lösung. Genauso gut kann die Brücke doch wieder und wieder gestohlen werden."
"Vielleicht wird sie das auch - genau in diesem Augenblick."
"Aber was ist dann mit dem Verbrecher? Was ist mit deiner Brut - entschuldige, mit deinen Kindern?"
"Die werde ich genau zu dem Zeitpunkt wiederfinden, an dem sie noch keine Metamorphose durchgemacht haben - hoffe ich jedenfalls. Und wie schon gesagt: um den Dicken kümmert sich das Spezialkommando - nicht meine beiden überaus charmanten Begleiter hier."

"Ich habe den Eindruck, du willst mich loswerden!?", kam ein letzter und schwacher Protest von dem Schamanen.
"Ja, und zwar zu deinem Besten. Denn zwischen den Welten - glaub mir, das ist wie zwischen den Stühlen."
Und mit einer energischen Bewegung zog sie den alten Mann mühelos hoch und schob ihn sanft aber hartnäckig in Richtung der Tür, deren lavaglühendes Schriftzeichen mittlerweile oktarin pulsierte. Noch bevor er es sich überlegen konnte, hatte sich die Tür geöffnet und DarMa schob ihn in das Licht.


Im ersten Augenblick verursachte der Geruch der Stadt ein heftiges Husten bei ihm und noch während er nach Luft rang, begannen seine Augen zu tränen - ein Effekt, den man nicht mehr bemerkte, wenn man sich dem Brodem der Metropole langsam über Land oder See näherte. Noch während er zwinkerte, begann das Portal mitten in der Luft, genau da, wo er es zum ersten Mal gesehen hatte zu flimmern.
Er behielt die Tür im Blick, die sich im Bruchteil eines Momentes auflöste.

Sein erster Blick galt der Messingbrücke, die scheinbar unberührt an ihrem Platz stand.
Er erinnerte sich an ein philosophisches Problem, von dem er irgendwann einmal in einer Taverne - vermutlich dem "Eimer" - gehört und diskutiert hatte und in dem es darum ging, ob ein umfallender Baum im Wand auch dann ein Geräusch verursachte, wenn absolut niemand - nicht einmal ein Troll - in der Nähe war, der es hören konnte. War also überhaupt irgend ein Verbrechen geschehen? Hatte es überhaupt Zeit gehabt, zu ereignen? Und wenn ja, welches Verbrechen war das!?
Und überhaupt - es war mitten in der Nacht, seine Zehe wurden langsam in den Stiefeln kalt und wenn die Brücke wieder da war, dann war vielleicht doch alles gut. Auf jeden Fall konnte er an Hand der Sterne nicht feststellen, ob überhaupt Zeit vergangen war.
Vielleicht sollte er einfach zurück in die Wache gehen und sich dort bis zur nächsten Schicht aufs Ohr legen. In seinem Alter brauchte man schließlich auch mal Schlaf. Vielleicht schlief er ja - immerhin: interdimensionale Elbenwache konnte ja auch ein seltsamer Traum sein. Doch so leicht ließ sein Bewusstsein sich nicht hinters Licht führen. Er seufzte und beschloss, das Ganze zu vertagen. Das Knirschen des Schnees würde ihn beruhigen.

Als er sich abwandte, um zur Wache zurück zu kehren, bemerkte er einen kleinen, alten Mann in einer Kutte, der hingebungsvoll den Schnee auf der Straße zu kleinen Hügel zusammenfegte. Einer dieser seltsamen Mönche, die man hin und wieder auf den Straßen tanzen und um Almosen bitten sah, vermutete der Schamane. Aber nein, die Mönche trugen Orange. Dieser hier trug grau - nun, um genau zu sein trug er ehemaliges-weiß-mit-einer-Menge-Flicken-drauf. Ein zäh aussehender, glatzköpfiger alter Bursche mit einem dünnen Bart, dem die Kälte nichts auszumachen schien. Nun, immerhin war er so vernünftig, lange, wollenen Unterhosen zu tragen. Er war so in seine Fegerei vertieft, dass er den Blick nicht von der Straße abwandte und Pismire somit auch wohl nicht bemerkt haben würde. Und wenn. Der Oberleutnant zuckte innerlich mit den Schultern. Wer würde schon den wirren Erzählungen eines ausländischen Mönches Glauben schenken. Und wer würde dir Glauben schenken!?, nagte ein Gedanke an ihm. Niemand!, antwortete er sich selbst.



Nachwort:


Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass es mir wirklich fern liegt, den von mir überaus geschätzten Herrn der Ringe und seinen Autor posthum zu veralbern - meine Geschichte basiert lediglich auf der simpeln Frage: Hätte eigentlich Sauron die Geschichte auch so erzählt?
Auch war mir die Filmtrilogie von Peter Jackson der Anlass für den ein oder anderen intellektuellen Entleihvorgang.
Ebenfalls möchte ich die Schöpfer der Computerspielreihen Myst und The Elder Scrolls hier nicht unbedankt lassen und bitte schon einmal prophylaktisch meine Leserinnen und Leser um Nachsicht - für Raum und Zeit.
[1]  "Am Anfang gab es nur eine unendliche Ebene. (...) Dann kam der Teppich und bedeckte die grenzenlose Flachheit. Damals war er noch jung. Es fehlte der Staub zwischen seinen Haaren, die heute krumm und schmutzverkrustet sind - damals ragten sie glatt und gerade auf. Und zu jener Zeit war der Teppich leer. Dann kam der Staub, fiel auf den Teppich und sammelte sich in dunklen Ecken an. Immer mehr Staub kam, glitt lautlos durch die wartenden Haare, bis er schließlich eine dicke Schicht bildete. Und aus jenem Staub webte uns der Teppich. Zuerst entstanden die kleinen Kriecher, die in Bauen und hoch oben in den Haaren leben. Es folgten die Sorathes, Schlußfadenbohrer, Bläser, Ziegen, Krustenknabberer und Snargs. (...) Voller Leben steckte der Teppich, aber er wusste nichts von seiner Lebendigkeit. Er konnte sein, aber er konnte nicht denken. (...) Und deshalb wurden wir aus dem Staub erschaffen, das Teppichvolk. Wir gaben dem Teppich seinen Namen, auch den Geschöpfen, und daraufhin war das Gespinst vollständig." (Terry Pratchett (51996): "Die Teppichvölker". München: Heyne. S. 9f.)

[2]  zitiert nach: http://www.uni-graz.at/~katzer/tengwar.html




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Feedback:

Von Laiza Harmonie

04.01.2009 17:25

Versprochen ist versprochen und ich hab sie auch rechtzeitig zu Weihnachten gelesen und online gestellt. Aber was soll ich sagen? Hätte ich vorher gewusst, dass es sich um eine Single über Herr der Ringe handelt, dann hätte ich sie Maggie auf gehalst. Das war leider absolut nicht mein Thema und ich musste mich doch sehr bemühen sie zu lesen.

Von Sebulon, Sohn des Samax

04.01.2009 17:25

Da hab ich die Single nun gelesen und finde es überraschend, dass ich nicht weiß, ob ich 'Thema verfehlt' oder 'klasse geschrieben' drunter schreiben soll.Vermutlich beides.Mir hat Handlung gefehlt. Die Single konstruiert eine einheitliche Feldtheorie, in der sogar N'ArniA auftaucht (was ich als störend empfunden habe) und zwei Elben erzählen Pismire vier Bücher in etwa 10 Kapiteln - nur damit Pismire überrascht feststellt, dass (in seiner Zeitlinie) kein Verbrechen begangen wurde. Hmm.Eines Schamanen mehr als angemessen, für eine Wachegeschichte allerdings ganz schön weit ausholend für meinen Geschmack.Und: Klasse geschrieben.

Von Daemon Llanddcairfyn

05.01.2009 18:53

Was ist denn aus der Regel geworden, dass lange geschichten mindesten ein Vierteljahr in der Bewertung bleiben? *g*

Von Mimosa

05.01.2009 20:37

Ich kann mich Sebulon nur anschließen. Der "Fall" hatte gar nichts mit der Geschichte zu tun. ich habe trotzdem mit 12 p bewertet, da mir die Geschichte sehr gut gefallen hat. ich bin ein großer Herr der Ringe-Fan und du hast da wirklich ein paar grooooooße Lücken in der offiziellen Version geschlossen. :evilgrin: . Ja, einiger der Punkte, die du angeführt hattest, hatten mir damals auch sehr zu denken gegeben. Und auch wenn es keine "traditionelle" Wachegeschichte war, fand ich trotzdem gut, dass mal was anderes geschrieben wurde. Was spricht zb gegen Singles, in denen Chara's mal ihr Privatleben austoben wollen? Ich finde es gut, dass mal nicht Schema F geschrieben hast und die Single nicht als außer Konkurrenz eigereich hast, sondern mutig in die Bewertung. :wink: . Mir persönlich hat die geschichte mal ungeachtet aller sonstigen wachetypischen Bewertungskriterien übrigens sehr gut gefallen!

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