Eine Serie von alltäglich wirkenden Morden an ganz normalen Bürgern beschert RUM eine Menge Arbeit. Schwierig für Feldwebel von Grauhaar und seine Mitarbeiter, dabei nicht in eine Sackgasse zu tappen.
Dafür vergebene Note: 11
Eiskristalle glitzerten auf dem festgefrorenen Boden der Buchtgasse. Eis glitzerte auch im Bart des SUSI-Tatortwächters und Oberfeldwebels Sillybos, der gerade über die Leiche eines jungen Mannes gebeugt war und diese untersuchte, während er seinen Sklaven Hegelkant wortreich seinen Befund diktierte.
"... können wir davon ausgehen, dass der Tod sofort nach der Einwirkung des stumpfen Gegenstandes Klammer auf Wackerstein Klammer zu eingetreten sein dürfte. Ein näherer Befund wird erst in der Gerichtsmedizin festgestellt werden kön..."
"Herr Oberfeldwebel, irgendwelche Interessanten Spuren gefunden?" wurde der Philosoph in seinen Ausführungen unterbrochen, der sich daraufhin mit grimmigem Gesichtsausdruck umwandte. Doch die unfreundliche Bemerkung, die Sillybos auf den Lippen hatte, löste sich in Wohlgefallen auf, als er in das Gesicht der jungen RUM-Ermittlerin Ayure Namida blickte, die anscheinend schon eine ganze Weile auf einem der Mehlsäcke gesessen hatte, die vorm Hintereinhang der örtlichen Zwergenbäckerei gestapelt wurden und sich nun verbal bemerkbar machte.
"Ähhh, bisher noch nichts ungewöhnlicheres als sonst, auch wenn das Wort
ungewöhnlich in diesem Zusammenhang noch genauer zu definieren wäre, jedenfalls sieht alles nach einem der üblichen Gewaltverbrechen aus, ohne dass weitere Spuren gefunden werden konnten. Wir sollten aber nichts überstürzen, und den Laborbericht abwarten."
Mit sichtlichem Ekel betrachtete Romulus den glitschigen Papierfetzen, der ihm auf den Schreibtisch gelegt worden war. Außer dem Werwolf befanden sich die Obergefreite Namida, die die Ermittlungen im Falle des in der Buchtgasse gefundenen Leichnams aufgenommen hatte, sowie der Püschologe und ehemalige Gerichtsmediziner Lance-Korpoal Narrator im Büro des RUM-Abteilungsleiters. Der Feldwebel hielt den Zettel mit einer kleinen Pinzette hoch und hielt ihn gegen das wenige Licht, dass an diesem trüben Asche-Tag durch das Bürofenster schien.
"Warum werden solche Indizien immer im Mageninneren des Opfers gefunden?" wunderte sich von Grauhaar.
"Weil das eine einfache Methode der Beweismittelvernichtung ist," ließ sich Jack vernehmen. "Die Magensäure sorgt für gewöhnlich recht schnell für eine Zersetzung herkömmlicher Papierfetzen, wie man an diesem Exemplar hier und hier..." Er deutete mit dem Finger auf entsprechende Stellen. "... sehr gut erkennen kann.
Ayure, deren Hautfarbe während Jacks Ausführungen deutlich an Bleichheit zugelegt hatte, atmete tief durch bevor sie fragte:
"Kann man etwas erkennen?"
"Hmm, also hier war etwas drauf geschrieben, aber als Buchstaben erkennt man dieses Geschmiere nicht. Schaun wir mal, ob das SUSI-Labor uns da noch etwas liefern kann. Ayure, bringst du den ... Zettel bitte dorthin?"
"Was ist denn das für eine Inhumierungs-Quittung? Da erkennt doch jeder sofort, dass es sich um eine Fälschung handelt! Ihr hättet mich doch nicht mit so etwas behelligen müssen!"
Lance-Korporal Krulock war augenscheinlich etwas angesäuert, dass man sie aus dem Boucherie Rouge wegen so einer Lappalie an den Pseudopolisplatz gerufen hatte.
"Kannst du mir trotzdem einen Gefallen tun, und das Gildenregister nach dem Namen
Pfefferkuchenmännchen abzusuchen, nur zur Sicherheit?" bat ihr Gegenüber, der Gefreite Kadwallader Janders.
Janders hatte gerade seine Ausbildung zum RUM-Ermittler begonnen, und war "zur Übung" von seinem Ausbilder Kolumbini mit einem tatsächlichen Fall betraut worden, der nicht allzu kompliziert wirkte: Ein ehemals armer Schlucker namens Sven Zockig war mit mehreren Messerstichen getötet worden, nachdem er einen größeren Dollarbetrag in einem Lotteriespiel gewonnen hatte, während er auf dem Weg zur Bank war. Von dem Geld war natürlich nichts mehr zu finden gewesen, als Frau Willichnicht Zockigs Leiche am vergangenen Morgen vor der BAMBI
[1] gefunden hatte, und sich natürlich sofort am Wachetresen über die sterblichen Überreste beschwert hatte. Die bisherigen Ermittlungen waren recht einfach gewesen und hatten die bereits erwähnten Ergebnisse. Die bei Zockig gefundene, gefälschte Assassinen-Quittung allerdings stellte Kadwallader vor ein Rätsel: Einen einfachen Raubmord würde ein Assassine nie begehen, und wenn der Täter nicht komplett bescheuert war, würde er auch nicht ernsthaft annehmen, dank einer schlecht gefälschten Quittung davonzukommen. Es musste also einen anderen Grund geben, für die Quittung, die mit "Pfefferkuchenmännchen" unterschrieben war.
"
Sollbruchstelle", murmelte Romulus vor sich hin, während er den Sinn dieses Wortes in Bezug auf den bisher noch unidentifizierten Leichnam aus der Buchtgasse zu verstehen versuchte. Das SUSI-Labor hatte ihm soeben per Rohrpost das Ergebnis der Untersuchung übermittelt, welche den Text auf dem im Magen des Toten gefundenen Zettel enthielt - wie auch immer die Laboranten diesen herausbekommen hatten. So genau wollte der Feldwebel letzteres nicht wissen, war es doch für die Lösung des Falls so irrelevant wie die Existenz des Randfalls für eine überwaldische Waldameise. Romulus nahm einen Schluck des warmen Kaffees der bis vor einer halben Stunde noch in einer extragroßen Tasse auf seinem Schreibtisch vor sich hingedampft hatte und sich mittlerweile langsam der Zimmertemperatur anglich. Sein Kaffeekonsum war ein ganzes Stück zurückgegangen, seit er sich diese sündhaft teuren Lärmisolierungen für sein heimisches Schlafzimmer geleistet hatte. Leider hatten selbige auch ein ziemlich großes Loch in seine Finanzen gerissen, aber man muss halt Prioritäten setzen. Außerdem war des Schneevaterfest nicht mehr weit, und der RUM-Abteilungsleiter hoffte darauf, dass das Schneevaterfestgeld dieses Jahr etwas höher sein würde als zuletzt. Durch ein Klopfen an der Bürotür wurde er aus seinen Gedanken gerissen.
"Herein!" rief er halbherzig.
Die Bürotür öffnete sich und den Raum betraten die Korporals Kolumbini und Ziegenberger, letztere eiligen Schrittes auf den Schreitisch zueilend, während ersterer sich an den Türrahmen lehnte und seine Pfeife entzündete.
"Schon wieder ein neuer Mord!" hielt sich Ophelia nicht lange mit Begrüßungsfloskeln auf und beförderte einen Bericht auf die Schreibtischoberfläche. Dann besann sie sich darauf, dass sie ja mit ihrem Vorgesetzten sprach, und das auch noch im Beisein eines anderen Wächters, errötete leicht und fügte ein leises "Sör" hinzu. Romulus ignorierte diesen ihr etwas peinlichen Auftritt, nahm direkt das Schriftstück in Augenschein und überflog den Inhalt.
"Soso", murmelte er. Ein weiterer Mord an einem völlig harmlos erscheinenden Bürger. Diesmal hatte es die alte Witwe Hildegard Gramich erschwischt. Man hatte sie in dem kleinen Park am Schlummerhügel gefunden, wo einige der Bürger Ankhs des öfteren mit ihren Hunden Gassi gingen. So auch Witwe Gramich, auf der sterbliche Überreste ein Passant aufmerksam wurde, weil ihr Hund, ein Rauhaardackel, erbärmlich winselnd neben seinem verblichenen Frauchen hockte.
"Die Mordwaffe war eine Hundeleine. Die Dame wurde erwürgt", ließ sich Kolumbini aus dem Hintergrund vernehmen und paffte eine kleine Wolke in den Raum.
"Sonst irgendwelche Neuigkeiten und Vorkommnisse, Ophelia?" wollte Romulus wissen.
"Kadwallader hat mittlerweile eine Antwort von DOG bekommen, es gibt - wie erwartet - in der Assassinengilde kein Mitglied mit dem Namen 'Pfefferkuchenmännchen'. Ach ja, und wo wir schon bei DOG sind, Hauptmann Llanddcairfyn möchte dich sprechen. Am besten noch heute, und du sollst bitte ins Boucherie kommen."
Der Feldwebel wunderte sich zunächst, warum seine Stellvertreterin über solche Dinge Bescheid wusste, bevor sie an sein Ohr dringen konnten. Dann fiel ihm bei näherem Nachdenken auf, dass mittlerweile ein nicht unbeträchtlicher Anteil der Abteilungsarbeit auf Korporal Ziegenbergers Schultern lastete, da es zur Zeit einfach furchtbar viel zu tun gab, und er selbst kaum mehr die Gelegenheit hatte, im Dienst sein Büro zu verlassen. Daher schämte er sich ein wenig, so viel Arbeit an Ophelia delegieren zu müssen, freute sich aber auf der anderen Seite auch ein wenig, einen triftigen Grund zu haben, die stickige Luft des Abteilungsleitungs-Büros für ein Stündchen hinter sich lassen zu können, selbst wenn das ganze ein Gespräch mit Daemon zur Folge haben würde.
"Danke, Ophelia. Bitte halte mich doch weiterhin auf dem Laufenden."
"Werde ich machen. Doch jetzt werde ich erstmal Ayure zu ihren weiteren Ergebnissen befragen. Also, bis später, Sir."
Mit diesen Worten machte die junge Frau auf dem Absatz kehrt und huschte an Kolumbini vorbei aus dem Büro.
Romulus öffnete sein Schreibtischfach und holte seine Pfeife hervor, stopfte sie und zündete sie an.
"Also?" sagte er zu Inspäctor, der weiterhin rauchend im Türrahmen stand. "Da ist noch mehr, oder?"
Der Korporal atmete eine kleine Rauchwolke aus und setzte sich an den Schreibtisch.
"Vor dir kann man nichts geheim halten."
"Naja, ich kenne dich jetzt ja auch schon eine ganze Weile."
Kolumbini nickte. Der Abteilungsleiter griff erneut in das Fach seines Schreibtisches und förderte zwei Gläser zu Tage, gefolgt von einer Flasche guten zwergischen Whiskys, welche er für die geistig anspruchsvolleren Dienstgespräche mit Fred oder Bregs reserviert hatte. Nachdem die ersten Tropfen der bernsteinfarbenen Flüssigkeit in Kolumbinis Kehle geronnen waren, ergiff Kolumbini erneut das Wort.
"Ich habe hier einen Zeugen, der den Mord an Witwe Gramich persönlich miterlebt hat."
"Wie, einen Zeugen? Ich sehe keinen Zeugen."
Kolumbini nahm genüsslich einen weiteren Schluck Whiskey, lächelte wissend und öffnete dann eine der zahlreichen Taschen seines MANTELs. Heraus zog er einen kleinen, etwas verängstigt dreinblickenden Rauhaardackel.
Thask Verschoor war wie so oft in den Straßen von Ankh-Morpork unterwegs, diesmal mit dem Ziel, jemanden zu finden, der etwas zu den jüngsten Morden wissen könnte. Bisher hatte er außer den üblichen allgemeinen Verdächtigungen
[2] keine Hinweise aus der Bevölkerung erhalten können. Erst recht keine wertvollen. Also machte er sich auf den Weg zu einem nahegelegenen toten Briefkasten, einem kleinen Brunnen in der Zephirstraße, an dessen rechter Zierfigur (einer dieser hässlichen, dicken, kleinen Engelsgestalten) sich an exponierter Stelle eine perfekte Ritze für verborgene Zettel bot. Er hoffte, dass einer seiner Informanten dort aktuelle Hinweise bereitgelegt hatte. Dummerweise hatte die Zephirstraße diesen Knick, und als Thask um die Ecke schlurfte, stolperte er plötzlich über einen über den Weg gespannten Draht und fiel der Länge nach hin - was bei einem Zombie durchaus nachteilige Effekte haben kann. Innerlich fluchend suchte er mit der einen Hand in seiner Uniformtasche nach Nadel und Faden, um die andere - in Folge des Sturzes sich in etwa einem Meter Entfernung befindliche wieder an seinem Arm zu befestigen und danach sich dem sich ebenfalls gelösten rechten Fuß zu widmen. Da ertönte hinter ihm ein Schrei.
Romulus war auf dem Weg zum Boucherie. Das Gespräch mit dem Dackel der verstorbenen Frau Gramich war wenig aufschlussreich gewesen. Natürlich hatte Lumpi - so der Name des Vierbeiners - den Täter nicht genauer beschreiben können als dass er ein großer, dunkel gekleideter und nach schlechtem Bier riechender Mann gewesen sei. Interessanter waren allerdings zwei andere Dinge, die sich am Ende des Gesprächs herausgestellt hatten. Lumpi liebte Pfefferkuchen. Dies hatte er Romulus am Ende des Gesprächs wissen lassen und ihn gebeten, schnell welchen zu besorgen, da er eigentlich schon vor Stunden sein tägliches Stück hätte bekommen müssen. Glücklicherweise hatte die Kantine gerade in der Vorschneevaterfestzeit immer eine kleine Auswahl an Schneevaterfestgebäcken vorrätig, so dass er den Wunsch Lumpis erfüllen konnte. Kaum hatte der Rauhaardackel das Backwerk verputzt, stellte er sich auf die Hinterbeine und bellte freudig und schwanzwedelnd. "Pfefferkuchenmännchen" murmelte von Grauhaar. Das mochte zwar ein Zufall sein, aber jeder noch so kleine Hinweis könnte bei den aktuellen Fällen das kleine Quäntchen sein, welches zum Erfolg beitrug. Einer plötzlichen Eingebung folgend waren Romulus und Kolumbini zu SUSI gelaufen, um dort die Tatwaffe genauer zu inspizieren. Und tatsächlich war ihnen etwas aufgefallen: Lumpis Hundeleine hatte eine Aufschrift, die ursprünglich allerdings als nicht relevanter Kosename, wie ihn manche Hundebesitzer auf die Leinen ihrer kleinen Lieblinge drucken ließen, abgetan wurde. Dort stand in großen, fetten Lettern das Wort
Stinkstiefel. Mittlerweile war Romulus am Boucherie Rouge angekommen und erklomm die Treppe zum Zimmer des DOG-Abteilungsleiters. Wenige Augenblicke später stand er vor der Tür zum "Rosarothen Himmelbeth", klopfte an und trat ein, nachdem er von der vertrauten Stimme seines ehemaligigen Abteilungsleiters hereingebeten worden war.
"Ah, der Gefreite Braunfell!" begrüßte ihn der Hauptmann. "Setz dich doch, ich habe ein paar Worte mit dir zu..."
Er unterbrach sich selbst und machte eine auffordernde Geste, ohne einen neuen Satz zu beginnen, und wartete bis Romulus auf einer der Bettkannten Platz genommen hatte. Dann fuhr er fort:
"Die Rekrutin Burda Krauslock war nicht sehr begeistert vom Vorgehen eines deiner Abteilungsleute. Bist du sicher, dass bei euch alles so weit in Ordnung ist? Mir scheint, seit dem Ende meiner Amtszeit als RUM-Abteilungsleiter ist dort einiges in die Brüche... Vielleicht sollte ich einfach wieder dort die Abteilungsleitung übernehmen."
"Also im Allgemeinen kommen wir bei RUM sehr gut zurecht. Der Gefreite Janders ist halt noch nicht so lange in der Abteilung und junge Wächter sind häufig ein wenig übermotiviert. Du kennst das ja sicher auch."
"Lirum larum, jedenfalls ist das nicht der Hauptgrund, warum ich dich rufen ließ. Da ist doch dieser... du weißt schon... Alchemist."
"Ein Alchemist?"
"Richtig, ein Alchemist. Breigabel oder so ähnlich. Der ermordet wurde."
"Noch ein Mord? Davon weiß ich nichts."
"Kannst du auch gar nicht wissen, das ist ja bisher DOG-Zuständigkeit gewesen. Aber ich dachte, es interessiert dich vielleicht, weil ihr doch an diesen... du weißt schon.
"... Morden arbeitet?"
"... Morden arbeitet. Genau was ich gesagt habe. Jedenfalls ist er am letzten Standort der Alchemistengilde mit einem Knüppel erschlagen worden. Einfach so."
"Wurde irgendein merkwürdiges Wort entdeckt, welches nicht zum Fall zu passen scheint? Vielleicht auf dem Kittel des Alchimisten. Oder in seinem ... Magen?"
"Warum im Magen? Nein, aber auf dem Knüppel, mit dem er erschlagen wurde, stand groß und breit
Kavaliersdelikt. Dabei ist Mord mit Sicherheit kein..."
"Kann ich die Akte bekommen?" war Romulus plötzlich Feuer und Flamme für den Fall.
Auf dem Rückweg zum Pseudopolisplatz entschloss sich der Abteilungsleiter, den Abstecher bei der fast auf dem Weg liegenden BAMBI vorbei zu machen, um dort noch einmal nach möglichen Zeugen zu suchen. Er entschied sich, die Bank zu betreten. Jeremias Guldentreu, der Besitzer der Bankfiliale, saß hinter seiner Registrierkasse, als Romulus auf den Schalter zuschritt.
"Ah! Der Herr von Grauhaar! Kommen sie wegen des Mordes an dem Glücksspieler vor meiner Bank? Oder wollen sie endlich ihr negatives Konto ausgleichen? Es würde ihnen sicher nicht schaden, endlich ihre Sollbruchstelle zu erreichen, glauben sie mir."
"Meine WAS?"
"Sollbruchstelle. So bezeichnet man im Bankenwesen den Zeitpunkt, an dem ein negatives Konto - welches sich also im 'Soll'
[3] befindet - wieder in den positiven Bereich wechselt. Herr von Grauhaar? Ist ihnen nicht gut? Möchten sie ein Glas Wasser?"
"Nein, nein, alles bestens Herr Guldentreu. Bis demnächst!"
Mit diesen Worten stürmte der Feldwebel aus der Bank und ließ einen verwirrten Bankier zurück.
"Sollbruchstelle..." murmelte er sich dabei in den Bart. "Zockig hat mit Hilfe seines Gewinnes seine Sollbruchstelle erreicht."
Kurze Zeit später hatte der Abteilungsleiter sämtliche verfügbaren RUM-Wächter im Besprechungsraum versammelt. Nur der Gefreite Verschoor fehlte, aber bei ihm war man es ja gewöhnt, dass alles immer etwas länger dauern konnte. Außerdem vermisste niemand den furchtbaren Geruch, den der Zombie für gewöhnlich verströmte.
Romulus stand zusammen mit Kolumbini und Ophelia an einer Wandtafel. Die stellvertretende Abteilungsleiterin hatte ein Stück Kreide in der Hand und schrieb zur Zeit die Worte "Pfefferkuchenmännchen", "Sollbruchstelle", "Stinkstiefel" und "Kavaliersdelikt" auf die linke Seite der Tafel. Während Romulus und Kolumbini der versammelten Abteilung die Zusammenhänge der aktuellen Fälle schilderten, trug sie auf der rechten Seite zugeordnet zum Wort "Pfefferkuchemännchen" den Namen "Hildegard Gramich" ein. Ebenso wurde der Name "Sven Zockig" dem Wort "Sollbruchstelle" zugeordnet. Neben die beiden verbleibenden Worte malte Ophelia ein formschönes Fragezeichen, während auf der rechten Tafelseite noch ohne Zuordnung die Namen "Archibald Bleilöffel"
[4] und "Siegfried Rosin"
[5] ihren Platz fanden. Mitten in den Romulus' Ausführungen öffnete sich plötzlich die Tür und herein schlurfte Thask Verschoor, einen leblosen Männerkörper in der Hand. Die gesamte Abteilung hielt den Atem an - und das nicht nur aufgrund des furchtbaren Geruchs, von dem man nicht genau sagen konnte, ob er von Thask oder von der Leiche ausging.
"Deeeeen haaaabe ich gefuuuuuuuuunden," sprach er auf seine gewohnt langsame Art. "Ist woooooohl getöööötet worden."
"Wo und womit?" Kolumbini fand als erster die Sprache wieder.
"Zeeeephirstraaaaaße. Taaaatwaffe war ooooffensichtlich ein aaaaabgetrennter Fuuuuuß von mir, deeeen ich beim hiiiiinfallen verloooooren hatte."
Thask deutete nach unten auf seinen linken, nicht ganz gerade wieder angenähten Fuß samt Stiefel.
Ophelia nickte nur, nahm ihre Kreide und schrieb die Worte "unbekannte, männliche Leiche" neben das Wort "Stinkstiefel". Der Rest der Abteilung stürmte sofort auf Thask zu, um die Leiche zu untersuchen. Mina von Nachtschatten wurde zuerst fündig.
"Hier ist ein Geldbeutel. Es handelt sich um den Tischlergesellen Theo Span."
Ophelia wischte die zuletzt geschriebenen Worte aus und ersetzte sie durch den Namen. Kurz darauf zog Jack Narrator aus einer Innentasche von Spans Jacke einen zusammengeknüllten Zettel, auf dem das Wort
Wanderbaustelle zu lesen war.
"Wanderbaustelle," las er vor. "Die Alchimistengilde. Wenn ein Begriff auf das Gildengebäude zutrifft, dann dieser."
Die stellvertretende Abteilungsleiterin ergänzte links von "Archibald Bleilöffel" den neu gefundenen Begriff.
"Da treibt jemand ein mörderisches Spiel mit uns und wir haben keine Ahnung, wo er das nächste Mal zuschlagen wird!" konstatierte der Gefreite Sebulon.
"Nicht ganz", korrigierte ihn Kolumbini. "Wir haben den Begriff 'Kavaliersdelikt'."
"Und was soll uns das bringen?" erwiderte ihm sein Auszubildender Kadwallader Janders und fügte kurz darauf noch ein leises "Sör" hinzu, nur für den Fall, dass der Satz sonst als unhöflich aufgefasst hätte werden können.
"Sehr viel!" erwiderte Pyronekdan, der bisher nur still in der Ecke gesessen hatte. "Heute Mittag wurde ich bei einer Essenspau... hust... bei einem meiner Routineüberprüfungen der toten und untoten Briefkästen im Hafenviertel Zeuge einer Verhaftung durch die SEALS. Eine außerordentlich hohe Geschwindigkeitsübertretung durch einen Esselskarrenlenker, der - wie ich das aus dem Gespräch des Täters mit dem zuständigen SEALS-Kollegen mitbekommen habe - gerade seine Angebetete nach Hause gebracht hat."
"Also ein Delikt eines Kavaliers", ergänzte die Püschologin Frän Fromm. "Nach dem bisherigen Kenntnisstand passt diese Sichtweise auf den Begriff genau auf unseren Täter."
"Bleibt nur die Frage, warum unser Täter diese ganzen Morde begeht, und uns sogar noch Hinweise auf die anderen Morde in Form von ungewöhnlichen zusammengesetzten Hauptwörtern schickt", überlegte Romulus.
Mit Hilfe der SEALS-Kollegen war schnell eine Möglichkeit gefunden, weiter zu ermitteln. Der Verkehrssünder - ein Kneipenbesitzer in mittlerem Alter mit Namen Berthold Tretev - war nämlich in eine Arrestzelle der Stadtwache gesperrt worden, nachdem er sich geweigert hatte, das Bußgeld von einigen Ankh-Morpork-Dollars zu bezahlen. Also musste er als Ausgleich einige Stunden in der Zelle verbringen. Doch als Romulus, Kolumbini und Ophelia - der Rest der Abteilung wurde vorübergehend zurück zum regulären Dienst beordert - im Wacheinternen Gefängnis ankam, war die entsprechende Zelle bereits leer. Die Belegungsplänge der Zellen deuteten darauf hin, dass Tretev vor einer knappen Stunde entlassen worden war. Beim genauen Inspizieren der Zelle fiel neben den üblichen Strichen und Gefangenensprüchen das frisch an die Wand geschmierte, noch nicht ganz getrocknete Wort
Vetternwirtschaft auf.
Eine knappe halbe Stunde später stürmen grün uniformierte Wächter die Kneipe "Zur Vetternwirtschaft" im Hafenviertel Ankh-Morporks. Der letzte Hinweis schien besonders offensichtlich zu sein, denn unter diesem Namen war die Kneipe bekannt, die von den Cousins Berthold und Bogomil Tretev geführt wurde. Feldwebel von Grauhaar stand in Sichtweite des von den FROGs gestürmten Lokals, als der Übergriff stattfand. Wenige Minuten später traten einige Wächter heraus und führten mit gezückten Armbrüsten einen äußerst großen Mann mit dunklen Kleidern und lichtem Haar heraus. Der Geschwindigkeitsmess-Ikonografie nach, die Romulus sich von den SEALS hatte geben lassen, handelte es sich dabei um Berthold Tretev. Die Gruppe kam direkt auf den RUM-Abteilungsleiter zu.
"Ich habe ihn umgebracht!" schluchzte der Riese immer wieder. "Ich habe meinen Vetter getötet. Sperrt mich ein, werft mich in die Skorpiongrube, ich habe nichts anderes verdient."
"Jetzt einmal schön der Reihe nach", versuchte Frän Fromm ermunternd auf Berthold einzureden, der sich kurze Zeit später im püschologischen Verhör befand. "Was ist passiert?"
"Bogomil... er... ist vorgestern durchgedreht. Er hatte einige von diesen Kriminalgeschichten gelesen, die Moment so in Mode sind. Und da glaubte er, er wäre der König der Verbrecher!"
"Einfach so?"
"Naja, er hatte einiges an Knieweich getrunken, wie so oft in letzter Zeit. Er hat ständig herumgeschrien, er würde es allen zeigen. Ich habe versucht, ihm seinen Plan auszureden, aber es hat nichts gebracht. Als er dann diesen Brief an den Chef der Mordermittlungsabteilung geschickt hatte, wusste ich, es war zu spät. Er hatte sich wohl endgültig den Verstand weggesoffen. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Erst, als ich gemerkt habe, dass er bereits mehrere Menschen scheinbar wahllos aufgrund einer lustigen Wortkombination, die ihm eingefallen war, umgebracht hatte, wollte ich zur Wache, die ganze Sache melden. Doch bevor ich meine Verlobte nach Hause fahren wollte, lauerte er mir im Haus auf, um mich zu töten. Ich schaffte es, ihm zu entkommen, und wurde auf meiner Flucht von ihren Kollegen beim zu schnell fahren erwischt. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, und so ließ ich mich gefangen nehmen, da ich mich in der Zelle verhältnismäßig sicher fühlte. Als ich hörte, dass man mich schon bald freilassen würde, wusste ich nichts weiter, als das Wort "Vetternwirtschaft" auffällig an die Wand zu schreiben."
"Warum haben sie denn nicht sofort die Wächter auf ihren Vetter aufmerksam gemacht?"
"Ich war hin und hergerissen. Zum einen wollte ich, dass er wieder vernünftig wird, zum anderen wollte ich ihn nicht verlieren. Ohne ihn hätte ich die Kneipe nie alleine weiter führen können. Ich glaubte, ihn wieder zur Vernunft bringen zu können. Doch als ich wieder nach Hause kam, und die Kneipe ganz leise durch den Hintereingang betrat hatte er sich mit einem großen Beil an der Eingangstür postiert, wahrscheinlich wütend, dass seine Wörterkette unterbrochen worden war, oder ... was weiß denn ich. Jedenfalls ging dann alles sehr schnell, ich stolperte, er bemerkte mich und stürmte mit dem Beil auf mich zu. Ich schaffte es, ihm das Beil zu entreißen und hatte plötzlich eine furchtbare Wut in mir. Das nächste, an das ich mich erinnere ist Bogomil, wie er mit dem Beil im Schädel blutend und leblos vor mir auf dem Boden liegt."
EpilogRomulus saß in seinem Büro und las in dem Abschlussbericht, den ihm Rohrpostdämon Reggie gerade vorgelegt hatte. Selbiger hatte sich eine winzige Zigarette gedreht und wartete eine günstige Gelegenheit ab, den Feldwebel irgendwie zu beleidigen. Der Abteilungsleiter blieb an dem Satz hängen, dass ihm Bogomil vor seiner Mordserie einen Brief hatte zukommen lassen. Er blickte auf und schaute den Rohrpostdämonen mit einer grimmigen, eiskalten Miene an, die diesen vor Schreck sofort alle soeben ausgedachten Schimpfwörter vergessen ließen.
"Reggie, was ist das eigentlich für ein Papier, aus dem du da deine Fluppen drehst?"
"Ach, das ist nur Postmüll."
"Post...müll?"
"Ja, Briefe, die eh nichts wichtiges enthalten. Zum Beispiel nur einzelne Wörter."
"Einzelne Wörter!"
Irgendwie gefiel der Tonfall dieser Wiederholungen seiner Satzenden ganz und gar nicht.
"J.. ja. Solche Wörter wie z.B.
Sackgasse.
"REGGIE!"
Mit einer Geschwindigkeit die nur verängstigte Rohrpostdämonen an den Tag legen können war er in der Poströhre verschwunden.
Romulus jedoch dachte an den Tatort des ersten Tretev-Mordes: Die Buchtgasse, in der eine ganze Menge Mehlsäcke der nahegelegenen Bäckerei lagerten. Eine echte Sackgasse.
[1] Bank von Ankh-Morpork für Bedauernswerte Investoren
[2] "diese jungen Menschen von heutzutage", "die elenden Handtuchköpfe" oder "ihr Wächter seid doch selbst eine Band von Mördern und Ganoven"
[3] Guldentreu gehörte zu dem Schlag Menschen, die geboren waren für den Tschob eines Bankiers. Dazu gehört unter anderem auch die beeindruckende Fähigkeit, so zu sprechen, dass man die Anführungsstriche um gewisse Wörter herum hören kann.
[4] bei welchem es sich um niemand anderen als den von Hauptmann Llanddcairfyn als "Breigabel" bezeichneten Alchimisten handelte
[5] wie Ayure in der Zwischenzeit herausgefunden hatte, war dies der Name des Opfers aus der Buchtgasse
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