Eine seltsame Serie von Karrendiebstählen beschäftigt die unerfahrenen Wächter bei SEALS, die eigentlich auch ohne spektakuläre Fälle chronisch überarbeitet sind. Langsam werden die Händler unruhig, doch den jungen Heulern fehlt die Routine, um mit der zusätzlichen Arbeit klarzukommen. Und Tiehmarbeit ist auch etwas, was die meisten noch lernen müssen...
Dafür vergebene Note: 12
Der Mensch hat drei Wege, klug zu handeln.
Erstens durch Nachdenken: Das ist der edelste.
"Wozu muss ich denn bitte schön wissen, wo der Achsschwerpunkt bei einem klatschianischen Ramschporter A4000 ist?"
William machte seinem Ärger Luft, indem er das Buch in seinen Händen zuschlug und auf seinen Schreibtisch feuerte.
"Hey, jetzt sei nicht so ein
Stinkstiefel, ich hab mir das nicht ausgedacht, das gehört mit dazu", versuchte Johan Schaaf ihn zu beruhigen. "Hat was mit der Maximalbeladung, der Lastverteilung und vor allem mit der Ladungssicherung zu tun. Wenn der Fahrzeugführer die zulässige Achslast überschreitet, ist er..."
"..im Falle eines Unfalls mit verkehrsbehindernden Auswirkungen dafür haftbar zu machen, ich kann den Text rückwärts beten, besten Dank!"
William schnaubte wütend. Nicht nur, dass er sich hier seit Wochen durch die lokalen Verkehrsrichtlinien schlug, den Stadtplan auswendig lernte, verzweifelt die technischen Daten zumindest der 6 Dutzend häufigsten Karren und Fuhrwerke hin sich hineinzupauken und Stapel alter Strafzettel zu sichten und zu archivieren. Nein, das war nur der Teil seiner Arbeit, die seine Ausbildung umfasste. Obwohl er seit mehreren Monaten hier bei den SEALS arbeitete, war er immer noch kein vollständig ausgebildeter Verkehrsexperte, dazu ließ ihm das immense Arbeitspensum einfach keine Zeit.
Irgendwem musste bei der Planung der Stadtwache ein grober Schnitzer passiert sein. Anders konnte William sich nicht erklären, warum die Gesamtheit der für den funktionierenden Verkehrsfluss verantwortlichen Personen mangels Teilnehmer nicht einmal eine ordentliche Runde Leg-Herrn-Zwiebel-rein spielen konnten. Und ihre Aufgabenliste war lang und vielfältig: Bearbeitung von allen Unfall- und Karrendiebstahlprotokollen, bei schwerwiegenden Unfällen im Zentrum Verkehrsregulation, stichprobenartige Kontrolle von Fuhrwerken auf stimmige Papiere, fahrtaugliche Kutscher, gesicherte Ladung und eventuelle Schmuggelware, Geschwindigkeitsregulation durch Aufstellen von Ikonographen auf allen wichtigen Verkehrsadern der Stadt, Aufspüren von Falschparkern und Geldeintreiben von fälligen Strafzetteln, dazu schließlich noch die Pflege und Wartung ihrer technischen Ausrüstung, den Fuhrpark und die Pferde der Wache.
Ach ja, und drei mal die Woche Streife gehen, nicht vergessen!
Johan war zwar formal sein Ausbilder, doch praktisch musste William sich alles Wissenswerte aus Büchern und Archiven zusammensuchen. Williams Mitwächter war weder besonders kompetent noch sonderlich häufig im Wachhaus anzutreffen; laut eigener Aussage kontrollierte er meistens die Ikonographen, doch die Fettflecken auf seinem Wams ließen William zu der Schlussfolgerung kommen, dass diese Kontrollen häufig mit einem ausgedehnten Besuch in Hargas Rippenstuppe verbunden waren. William hatte mehrfach darauf bestanden, ihn zu begleiten, musste sich aber mit dem Hinweis auf die anderen Aufgaben und seine fehlende Praxiserfahrung jedesmal geschlagen geben. Na klar, woher soll sie auch kommen, die Erfahrung...
Kein Wunder also, dass sich immer mehr Papierkram in Williams Posteingang sammelte, seine Augenringe direkt proportional zu seinem Kaffeekonsum wuchsen und seine innerer Frust auf seinen Dienstposten immer mehr zunahm.
Im Augenblick befanden die beiden sich in Williams Büro. Formal war Gefreite Lea Wind zwar auch im gleichen Büro platziert, doch die Tatsache, dass sie als Informantenkontakterin meistens verdeckt unterwegs war und Johan eigentlich in einem winzigen Raum mit drei anderen SEALS-Wächtern arbeitete, machte den im Erdgeschoss befindlichen SEALS-Raum Nummer 6 zum faktischen Hauptquartier ihres verzweifelten Versuches, Ordnung in das Chaos der Wachebürokratie und des Stadtverkehrs zu bringen. Die Fenster zum Pseudopolisplatz hatten Williams langwierigen Reinigungsversuchen hartnäckig standgehalten, weshalb sie auch am Tag auf künstliche Beleuchtung angewiesen waren. Der Raum war ursprünglich als Salon konstruiert worden, deshalb befand sich ein kleiner Kamin an der linken Wand. William hatte seine Abneigung gegen das ständige Befeuern schnell überwunden, nachdem er festgestellt hatte, dass ein kleines Feuer nicht nur die Arbeitsbedingungen im Winter stark verbessert, sondern dazu noch einen Mülleimer vollständig ersetzen kann. Der Rest des Raumes wurde von einem Schrank, zwei großen Schreibtischen und mindestens zwei Dutzend Papierstapeln auf dem Boden in Anspruch genommen, die verbleibende Wand schmückte eine gigantische Karte von Ankh-Morpork.
William wollte sich gerade wieder in seine Lektüre vertiefen, als es an der Tür klopfte.
"Was denn nun schon wieder?", bellte er genervt in Richtung Tür, die sich daraufhin öffnete und das Gesicht der Obergefreiten Amalarie Mögebier sich unmittelbar über dem Erdboden zeigte.
"Was ist denn jetzt mit euch? Rea wartet!", fragte sie die Wächter missmutig.
"Rea? Was ist denn jetzt schon wieder? Hab ich was verpasst?", wunderte sich Johan.
Amalarie zog die Stirn in Falten."Habt ihr die Memo gestern nachmittag nicht bekommen? Außerplanmäßige Besprechung, ihr solltet doch was vorbereiten. Was schaut ihr mich so an, ich weiß nichts weiter!", entgegnete sie genervt.
William und Johan schauten sich kurz an und zuckten mit den Schultern. Mit einem leichten Anflug von Schuldbewusstsein dachte William kurz an den Papierstapel, den er heute morgen zur Entzündung des Kaminfeuers benutzt hatte, doch dieser Gedanke wurde schnell von Ignoranz und Unfehlbarkeit überwältigt, gefesselt, geknebelt und wieder in den Keller gesperrt.
"Tja, dann wollen wir mal, haben ja auch sonst nichts zu tun", witzelte William lustlos und schlenderte vorsichtig um die Papierstapel zur Tür.
"Welchen Bericht?", fragten William und Johan wie aus einem Mund. Gerade hatten sie den den Besprechungsraum betreten, als die Frage nach jenem Schriftstück aus Oberfeldwebel Dubiatas Mund kam.
Die Lippen der SEALS-Abteilungsleiterin wurden schmal. "Gestern habe ich euch mit dem Rohrpostsystem ein Memo geschickt, dass ihr die Karrendiebstähle der letzten drei Wochen nochmal durchsehen sollt und uns die Ergebnisse präsentiert. Also, warum zum Henker habt ihr das nicht gemacht? Und keine faulen Ausreden!", giftete sie ihre beiden Verkehrsexperten an.
"Egal, darüber reden wir später." Sie wandte sich den anderen Seals zu und betrachtete für eine kurze Sekunde ihre Herde.
"Es ist euch wahrscheinlich aufgefallen, dass es in den letzten Tagen und Wochen zu einer Häufung von Karrendiebstählen in der Stadt gekommen ist. Anfangs war da noch kein Muster zu erkennen, aber anscheinend scheint sich irgendjemand alle zwei, drei Tage ein Gefährt unter den Nagel zu reißen.
Wir haben über unsere Szenekenner schließlich einen anonymen Hinweis bekommen, das da ein Zusammenhang zwischen verschiedenen Straftaten besteht, und wir haben zusätzliche Ermittlungen aufgenommen. Ettark, erzähl den anderen, was du rausgefunden hast!" Sie nickte dem Informantenkontakter zu. Der Bergiger, der bis jetzt schweigend und mit verschränkten Armen dagesessen hatte, lehnte sich weit zurück und begann zu erzählen.
"Also passt auf, das war so. Rea hat zu uns gemeint, wir sollen mal gezielt nach dieser angeblichen Serie fragen. Ich hab ein paar Leute aufgesucht, meine Ohren aufgesperrt, was man eben so macht, und hab erstmal nichts rausgefunden. Hab schon gedacht, da hat wieder irgend so ein Spinner eine lebhafte Fantasie gehabt, aber schließlich bin ich doch noch auf was Heißes gestoßen." Er bückte sich kurz nach seiner Tasche auf dem Steinboden und zückte einen kleinen Stapel Briefe hervor. "Das hier sind Diebstahlsaufträge, oder zumindest Abschriften davon. Die Originale werden von den Bandenjungs streng gehütet, sonst hätt ich die gleich besorgen können. Na klar, wenn die Diebesgilde spitzkriegt, das in ihrer Stadt jemand unlizenzierten Auftragsdiebstahl und -raub begeht, dann sind sie geliefert. Aber machen wir's kurz: Ein anonymer Autor bittet jedesmal um die Erledigung eines Diebstahls, immer eines bestimmten Wagens; vermutlich geht es ihm dabei um die Ladung, sicher ist das aber nicht, wird auch nicht erwähnt."
Rea Dubiata meldete sich zu Wort: "Die jeweiligen Opfer haben bereits eine Strafanzeige gestellt, der Tresendienst hat diese aufgenommen und an unsere Verkehrsabteilung weitergeleitet, wo sie bis jetzt unbearbeitet verschollen sind", meinte sie trocken. Und fügte noch hinzu:"Nur, damit wir alle auf dem gleichen Stand sind." Sie konnte ihr Enttäuschung nur mühsam verbergen. Es fiel ihr nicht immer leicht, vor den anderen Abteilungsleitern ihre Abteilung zu repräsentieren. Seals war einfach chronisch unterbesetzt, das war ihr sehr wohl bewusst. Und Seals mangelte es an der Erfahrung höherer Dienstgrade. Außer ihr und seit neuestem auch Lance-Korporal Damien G. Bleicht waren alle Wächter, die auf ihrer Uniform die aufgenähte Robbe trugen, Mannschafter. Die meisten sogar Gefreiten, viele noch nicht fertig ausgebildet, rief sie sich in Erinnerung. Gerade deshalb wurde ihr eigener Tschob zusätzlich erschwert: Sie musste hier ein ganzes Stück Koordinationsarbeit leisten, die erfahrenere Wächter nicht nötig gehabt hätten.
Eine Hexe beschwert sich nicht, sie erledigt ihre Aufgaben. Doch dann zu sehen, wie andere sich nicht lenken ließen und ihr dadurch noch mehr Arbeit aufhalsten, machte sie zeitweise ein wenig bissig.
Ettark räusperte sich und informierte die anderen weiter über seien Erkenntnisse:"Die ganze Prozedur scheint immer ähnlich, wenn nicht sogar gleich, abzulaufen. Der Unbekannte schreibt einen Brief, in dem er genau sagt, welchen Wagen er will und wohin der zu bringen ist. Er legt eine Anzahlung bei, den Rest gibt es nach Erledigung."
"Und das funktioniert?", fragte jemand skeptisch.
"Scheint so, zumindest sind in der letzten Woche 8 Karren spurlos verschwunden, und Ettark hat 8 Aufträge sichergestellt", fasste Rea zusammen. "Eine Serie, und wir wissen nicht, wie lange es noch weitergeht. Vielleicht ist sie auch schon beendet, aber das halte ich nicht für wahrscheinlich."
Sie blickte ernst in die Runde. "Ich weiß, das wir alle viel zu tun haben; schließlich sind wir die Abteilung mit dem größten Aufgabenbereich. Aber wenn wir nicht schnell diesen Fall aufklären, dann bleibt der Täter unbekannt und unbestraft. Und wir haben unsere Aufgabe, die Bürger Ankh-Morpoks vor Verbrechen zu schützen, nicht wahrnehmen können. Also bitte ich Euch, in nächster Zeit auf diesen Fall euer Hauptaugenmerk zu legen."
Sie hatten nur eine Chance, dieses Rätsel zu lösen, wenn alle zusammenarbeiteten, dachte sie im Stillen. Als Tiehm, als gut funktionierende Einheit.
"Also, Vorschläge?" Sie schaute neugierig in die Runde.
Lea hob langsam den Arm. "Wir könnten doch einfach diese Zettel von Ettark nehmen und sie SUSI zur Analyse geben. Papier, Handschrift, und dann gleich noch einen Püschologen miteinschalten."
Amalarie widersprach:"Also das mit SUSI kannst du vergessen, sind ja nur Abschriften, nicht die Originale, die wir in den Händen halten. Aber an die Püschologen geben ist erstmal eine gute Idee."
"Moment, eins versteh ich grad nicht", meldete sich Menélaos Schmelz zu Wort. "Warum verhaften wir nicht einfach die Banden, die diese Diebstähle durchgeführt haben? Ich meine, das sind doch die Täter, die wir suchen?"
Lance-Korporal Damien G. Bleicht, sonst eher wortkarg, schaltete sich ein. "Ganz einfach. Du bist hier noch neu, und als ich damals neu war, hab ich ähnlich gedacht wie du. 'Jemand, der stiehlt, muss bestraft werden, dann stiehlt er nicht mehr!' Das Problem dabei ist, dass du die Ursache außer Acht lässt. Der Mistkerl, der jetzt die Banden bezahlt, wird sich einfach neue Leute suchen, von denen wir nicht wissen, wer es ist. Und wir sind keinen Schritt weiter. Wir versuchen also, den Kopf dieser ganzen Serie zu treffen; schlagen wir zu früh los, ist unser Gegner gewarnt und wird vorsichtiger. Hinterher können wir immer noch zu den kleinen Jungs auf der Straße gehen und mit dem Zeigefinger wedeln, den einen oder anderen, der richtig Mist gebaut hat, einbuchten, und dann zu unserem Alltag zurückkehren. Mag ein wenig wie
Vetternwirtschaft klingen, funktioniert aber ganz gut. Hab ich Recht, Rea?", wandte er sich an seien Schäffin. Die nickte nur mit einem winzigen Lächeln. 'Ja, man merkt, er ist schon eine Weile auf der Straße, er weiß, wie die Stadt funktioniert', dachte sie bei sich und war froh, einen so erfahrenen Informantenkontakter zu haben.
Menélaos kratzte sich am Kopf. "Gut, so hab ich die Sache noch nicht betrachtet, aber wenn's funktioniert, warum nicht..."
"Los, Leute, was ist denn noch zu tun?", drängelte Rea. Einige Gesichter wurden misstrauisch, und Lea brachte schließlich die Sache auf den Punkt. "Keine Ahnung, was wir machen sollen. DU sagst uns doch sonst immer, was zu tun ist, und wir machen das. Schließlich bist du unsere Vorgesetzte!"
Die Seals-Abteilungleiterin fühlte einen kurzen Drang, sich zu rechtfertigen, was sie aber in der nächsten Sekunde als lächerlich abtat und zu einem besseren Entschluss kam.
"Und jetzt sag ich euch: überlegt, was ihr dagegen machen wollt. Ihr seid immerhin die Experten! Ihr kennt die Leute, die Orte, die Regeln. Ihr kennt unsere Möglichkeiten. Keiner weiß über alles Bescheid, aber wenn ihr als Tiehm von Spezialisten arbeitet, dann kommt ihr garantiert zum wahren Täter."
'Obwohl es wahrscheinlich in diesem Stadium Wochen schneller gehen würde, wenn ich ihn doch alles zuweise', fügte sie im Stillen hinzu, biss sich für diese Bemerkung aber mental auf die Zunge. Einmal für diese Strategie entschieden, musste sie diesen Karren jetzt am laufen halten, außer er würde eine irreparable Panne erleiden...
"Also, wie siehts aus?", fragte sie ungeduldig.
William meldete sich erstmals zu Wort. "Tut mir leid, dass ich die Unterlagen noch nicht rausgesucht habe, die Memo muss wohl irgendwo steckengeblieben sein."'Im Kamin wahrscheinlich', dachte er im Stillen und musste innerlich ein bisschen über diese Dreistigkeit grinsen."Ich mach die Fallbearbeitung bis morgen früh fertig, dann wissen wir mehr über die Ladung und die gestohlenen Karren. Hab zwar Nachtschicht, aber dann häng ich an die Nachtschicht eben noch eine Frühschicht an!" Er wusste, dass dies eine weitere Nacht ohne viel Schlaf bedeutete, aber manchmal muss man einfach in den sauren Apfel beißen, den man selbst gezüchtet hat.
'Und wenn man richtig gut ist, kann man dabei grinsen und behaupten, er schmeckt', dachte er bitter bei sich.
"Gute Idee, William, Amalarie und ich werden uns nochmal umhören, ob wir was rauskriegen. Glaube zwar nicht, dass das der Fall sein wird, aber vielleicht haben wir ja Glück", stimmte Ettark ihm zu.
"Hey, und ich? Ich bin auch Informantenkontakter!", meldete sich Miriel Gerfurt halb zaghaft, halb empört zu Wort. "Naja, naja...", entgegnete Ettark scherzhaft,"das musst du erst noch unter Beweis stellen", und gab ihr einen kleinen Klaps auf die Schulter, was allgemeines Gelächter auslöste und Miriel rot werden ließ.
Johan schaltete sich ein:"Ich helf William natürlich, aber ich hab heut Nacht Streife."
"War's das? Ich hab noch eine Menge Bürokram zu erledigen, und außerdem auch nachher noch eine Runde durch die Stadt zu drehen", merkte Bjorn Bjornson an.
Rea nickte. 'Das muss wohl fürs erste genügen', dachte sie skeptisch. "Gut, dann zum Rest der Tagesordnung. Sara und Michael, ihr kümmert euch um den Fall von Frau Fürsorge, die Sache mit ihrem gestohlenem Schmuck."
"Jawohl, Mä'äm, wird gemacht", lies Michael Machwas von sich hören und grinste Sara zu. Die beiden standen auf und gingen scherzend aus dem Raum.
"Bjorn, schnapp dir Jargon und klär die Sache um Herrn Raffigs Steuernachzahlung, droh notfalls mit der Anwaltsgilde", wies sie den Zwerg an, der daraufhin salutierte und mit seinem Azubi in seinem Büro verschwand.
"Menélaos und Lea, GRUND hat angefragt, ob wir zwei Wächter für mehrere Ausbildungsabschnitte zur Verfügung haben, es geht wohl ums Streifelaufen, Papierkram, aber auch ein paar lustige Sachen. Deshalb seid ihr für die nächste Woche von den Streifendiensten befreit und meldet euch ab morgen früh nicht hier, sondern in der Kröselstraße bei Feldwebel Rogi Feinstich, eurer ehemaligen Ausbildungsleiterin. Und das ihr mir da ja keinen Mist baut und die Ehre von Seals beschmutzt ", fügte sie mit einem kleinen Augenzwinkern hinzu.
"So, Kannich, kannst du noch kurz den Streifenplan mit ihnen durchgehen? Ich hab noch zu tun, der Jahresabschlussbericht muss bald raus." Hauptgefreiter Kannichgut Zwiebel hatte die ganze Zeit neben seiner Chefin gesessen und das Treffen protokolliert. Niemand anderes in der Wache führte so exakte Protokolle wie der stellvertretende Seals-Abteilungsleiter; aufgrund seiner großen Erfahrung als Kommunikationsexperte hatte er eine Kodierung entwickelt, gegen die rundweltliche Stenographie wie ein Versuch wirkte, allein mit Zettel und Stift eine demographische Erfassung aller Einwohner Ankh-Morporks vorzunehmen. Oberfeldwebel Dubiata wusste ihren Stellvertreter zu schätzen, sonst hätte sie sich selbst so eine kleine Aufgabe wie die Streifeninstruktion nicht aus der Hand nehmen lassen. Aber es gab ja immerhin bei Seals eine Handvoll Leute, die schon länger dabei waren...
William gähnte herzhaft und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Müde griff er zu der bunten Kaffeetasse, die auf seinem Schreibtisch schon einen kleinen Sonderplatz direkt zwischen Papierstapel 1 und 2 bekommen hatte. Der Kaffeedämon war von William nächtlicher Weckaktion nicht gerade begeistert gewesen; zu Williams Pech merkte man das auch dem Getränk an. Er hatte nach einem ersten Schluck angeekelt den Mund verzogen und aus der Küche eine kleine Tüte Zucker mitgehen lassen und sie schwungvoll und vollständig in den Kaffee gekippt. Die entstandene Masse hatte zwar die Konsistenz von jahrhundertealten Karamellbonbons und schmeckte wie Straßenbelag aus Ankhschlamm, aber sie verhinderte, dass sein Kopf vor Müdigkeit auf den Schreibtisch knallte.
Er feuchtete seine Finger an und blätterte durch den kleinen Stapel vor ihm. Sieben der acht Akten hatte er gefunden; die Suche nach der achten hatte er irgendwann vor einer Stunde aufgegeben, wahrscheinlich war sie aus Versehen ebenfalls im universellen Recyclingsystem seines Büros gelandet. Seine Hand griff sich einen kleinen Memozettel und einen spitzen Bleistift, und er begann alle wichtigen Daten über die Fracht und die Karren zusammenzutragen.
Nach ungefähr einer halben Stunde schaute er stolz auf die kleine Liste, die er zusammengetragen hatte. Gestohlen worden waren: 32 Fässer Butter, 14 kleine Fässer mit Honig, 20 Fässer Milch, 27 Hühner in Käfigen, 34 Säcke Mehl, 40 Körbe mit Nüssen und schließlich 12 kleine Tonkrüge mit Pottasche. 'Hmmm, Pottasche, wie seltsam', dachte William bei sich und nickte weg.
"Zu den Wagen und Fuhrwerken ist nicht viel zu sagen. Die Fahrzeugklassen sind ähnlich, weisen aber keine bemerkenswerten Überschneidung auf, sind also wahrscheinlich für den Täter nur von zweitrangiger Bedeutung. Sie bleiben, genau wie die Zugtiere, vorläufig vermisst."
William leckte sich kurz die Lippen, wie immer, wenn er nervös war. Irgendwie war es seltsam, so vor seinen Mitwächtern zu stehen und seine eigenen Recherchen auszuwerten. Man war auf einmal so wichtig für alles. Und obwohl er in seinem Eifer immer wichtig sein wollte, so zweifelte er doch manchmal daran, ob er denn der Richtige für diesen Job war. Angespannt fuhr er fort.
"Also zu den Ladungen, ich denke, dass das unser bester Anhaltspunkt ist. Die gestohlenen Ladungen sind fast ausnahmslos Lebensmittel: Butter, Honig, Hühner, Mehl, Nüsse, Milch."
"Vielleicht will jemand für Mama ein großes Fest geben und hat kein Geld, das Essen zu bezahlen", rief Ruppert ad Loch Molog dazwischen und erntete herzhaftes Gelächter.
"Die letzte Lieferung, die abhanden gekommen ist, besteht aus Pottasche. Ich muss leider zugeben, dass ich außer dem Namen nichts darüber weiß."
Rea stand auf und klopfte ihm auf die Schulter. "Danke, William, das reicht. Setz dich, und nachher siehst du zu, das du ins Bett kommst, du siehst grauenvoll übernächtigt aus", sagte sie und deutete auf den leeren Stuhl am Tisch der Seehunde.
"Gut, also was wisst ihr zum Thema Pottasche? Wir könnten natürlich auch einfach einen Laboranten fragen, aber es wäre doch gelacht, wenn wir diese Nuss nicht alleine knacken können!"
Miriel meldete sich zuerst zu Wort. "Ich weiß nicht, ob es hilft, aber zuhause haben wir immer Pottasche genommen, um verkrustete Töpfe aufzuweichen. Man muss es dann eine Weile stehen lassen, kochen, und der Topf ist wieder wie neu."
Ruppert schüttelte sich vor Lachen. "Dann schein ich mit meiner Theorie ja doch richtig zu liegen: Die Asche ist für den Aufwasch danach!"
"Ruppert, jetzt reicht es", zügelte die SEALS-Hexe ihren jüngsten Vektor. "Gut, also zum Saubermachen. Was haben wir noch?"
Björn hob verständnislos beide Hände :"Einfaches Kaliumkarbonat, reagiert alkalisch, Molmasse 138, pKb 3,6, Schmelztemperatur ...." Er ließ noch eine Weile eine Kaskade von Abkürzungen und seltsamen Zahlen auf die Sealswächter los, die ihn einfach ignorierten.
"Ich hab da vor einem Jahr oder so mal einen Fall mit einem Bildhauer gehabt, der hat Pottasche benutzt. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, hatte glaube ich was mit den Gipsabdrücken zu tun", meinte Michael Machwas zögerlich.
Schließlich hatte fast jeder schonmal irgendwas von Pottasche gehört: Die Alchemistengilde arbeitete damit, um Farbe zu machen, man konnte damit saure Böden düngen oder aus Trauben schnell Rosinen herstellen.
"Hmm, eine ziemlich lange Liste", meinte Kannichgut am Ende der Beratung. "Ob wir da den richtigen Weg auf Anhieb finden?"
"Wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben", erwiderte Rea trocken. "Lea, wie siehts mit dem Püschologen aus?"
"Achso, ja, ich war bei FROG und hab Sayadia das vorgelegt, aber sie konnte nichts besonderes feststellen. Sieht so aus, als ob es hier nicht weitergeht", erzählte die Gefreite Wind.
Rea verteilte wieder die einzelnen Aufgaben, die zum nächsten mal recherchiert werden mussten.
William bekam keine ab und meldete sich entrüstet zu Wort:"Was soll das? Bin ich nicht gut genug für diese Art des Wächterseins oder was?"
"Darum geht es nicht, William", antwortete seine Chefin besänftigend. "Aber wie ich gesagt habe, du bist in diesem Zustand nicht dienstfähig, du schläfst dich erst einmal aus, und den Rest der Woche wirst du dich mit Johan um den Praxisteil deiner Ausbildung kümmern."
William wusste nicht, ob er sich darüber freuen oder ärgern sollte. Natürlich wollte er endlich dieses "i.A." von seinem Büroschild wischen, aber dieser Fall hatte gerade angefangen, seine Begeisterung zu erregen. Und jetzt aussteigen zu müssen, nachdem er sich die ganze Nacht damit rumgeschlagen hatte, fand er einfach nicht fair.
"Mä'äm, ich glaube, ich möchte weiter an dem Fall arbeiten", antwortete er trotzig.
Rea sah ihn an und bedeutete ihm mit einer kleinen Geste, ihr zu folgen. Sie gingen in ihr Büro, wo sie sich hinter ihren Schreibtisch setzte und die Hände verschränkte.
"Polizeiarbeit ist nicht immer nur das Jagen nach dem Täter. Was wir machen, machen wir für die Stadt, vergiss das nicht. Unsere Auftrag ist, die Stadt am funktionieren zu halten. Diesem Auftrag müssen wir alles unterordnen. Ich verstehe deine Frustration, wenn du sagst, du willst diesen Fall aufklären und darfst nicht, aber ich will dir etwas zeigen." Sie öffnete eine Schublade und holte eine Auswahl handgeschriebener Briefe hervor.
"Beschwerdebriefe", kam sie Williams unausgesprochener Frage zuvor.
"Die Bäckergilde beschwert sich, dass ihre Mitglieder wegen der Diebstahlserie nicht mehr richtig beliefert werden. Die Diebesgilde macht uns Druck, wir sollen endlich in die Gänge kommen und diesem Beispiel von unlizenziertem Diebstahl ein Ende bereiten. Die Händlergilde bemängelt die fehlende Straßenpräsenz und den dadurch oft stockenden Verkehr, durch die Nachforschungen und Ermittlungen haben wir aber einfach zu wenig Leute. Wenn ich noch mehr Leute auf den Fall ansetze, wie die Bäcker und Diebe wollen, geht die Stadt in einen Chaoszustand über.Damit sich wenigstens jemand um solche Dinge kümmert, wirst du mit Johan auf Streife gehen; gleichzeitig könnt ihr die theoretischen und praktischen Seiten des Verkehrsexperten nochmal durchgehen. Ich erwarte, dass deine Ausbildung Ende der Woche abgeschlossen ist, du wirst dich einer kurzen Prüfung unterziehen, damit wir endlich zwei vollwertige Wächter haben, die sich um diese Belange kümmern können. Ich mach das nicht, um dich zu ärgern. Verstehst du das, Gefreiter?", fragte sie ihn. Dieser nickte langsam und widerstrebend. Rea fügte noch etwas hinzu:"Wächter sein heißt eben manchmal, dass man die Arbeit machen muss, die kein anderer machen will. Aber wir können nicht zulassen, dass ein einzelner Irrer mit zuviel Geld die ganze Stadt lahmlegt, nur weil wir unsere Kapazitäten falsch verteilen. Und du hast eine Menge Kapazität zu einem guten Wächter, und wenn du dich ab und zu mal gleich an das halten würdest, was ich dir sage, wirst du da auch eines Tages hinkommen."
'Wie unnötig, mich hier noch so zu schulmeistern', dachte William, behielt seine Gedanken aber für sich, salutierte mit einem kurzen "Mä'äm" und stiefelte zu seinem Büro. Innerlich war er ziemlich sauer, aber vielleicht hatte seine Schäffin tatsächlich recht. Vielleicht war es wirklich das beste, wenn er von jetzt an ein wenig mehr Gehorsam an den Tag legen würde...
Zweitens: Durch Nachahmen, das ist der einfachste.
"So, also hoch mit dir!" Johan deutete auf die Leiter, die er unter dem Blitzkasten in der Sirupminenstraße platziert hatte. William kletterte nach oben, bis er sich mit dem Kasten auf Augenhöhe befand. Vorsichtig kämpfte er um sein Gleichgewicht, dann befasste er sich mit dem Ikonographen. Er kannte die Funktionsweise von diesen Apparaten genau, hatte sie oft genug zerlegt und gewartet im letzten Jahr. Im SEALS-Vorratsraum stapelten sich immer die reparaturbedüftigen Ikonographen, und wenn gerade kein anderer da war, musste man die Dinger eben selber reparieren.
Williams Erfahrungen mit Dämonen waren deutlich negativ geprägt. Der Kaffeedämon war noch einer von der angenehmeren Sorte, aber mit den drei Rohrpostdämonen hatte er sich schon oft rumgeärgert, und auch die Botendämonen, die manchmal durchs Wachhaus flitzten, empfand er als unangenehm. Die Ikonographendämonen hingegen waren viel zu unkreativ, um bösartig zu sein, deshalb kam er auch mit ihnen ziemlich gut aus.
Er fummelte den Schlüssel aus seiner Hosentasche und öffnete das Schloss an der Seite des großen Kastens. Als die Tür aufklappte, entlud sich ein großer Papierstapel aus dem Inneren des Apparates in Williams Gesicht, der daraufhin auf der Leiter bedrohlich zu schwanken anfing.
Er fluchte, fing sich aber schnell wieder und legte in dem großen Ikonographiestapel das kleine Malstativ des Dämonen frei. Dieses Exemplar war schon alt; seine bestenfalls hellrote Haut wies bereits deutliche Falten auf und seine Nasenspitze wurde von einer kleinen, dicken Brille gekrönt. Probeweise überflog William die Bilder; viele davon waren unscharf gezeichnet. "Du, Johan, ich glaub, wir brauchen hier einen neuen Dämonen, der weist schon Abnutzungserscheinungen auf!"
"Hey, was ist das da drüben?", fragte Johan von unten. William, der immer noch die restlichen im Blitzkasten verbliebenen Bilder einsammelte und dem vom Sonnenlicht geblendeten Dämonen gut zuredete, drehte sich um. "Wo denn? Werwiewas?", fragte er verwirrt.
Johan deutete mit der linken Hand die Straße weiter hoch. Zu dieser nachmittäglichen Stunde waren viele Bürger auf der Straße, deshalb brauchte William einige Sekunden, bis er fand, was Johan ihm zeigte.
Etwa hundert Schritte weg von ihnen war ein klatschianischer Wagen abgestellt, ein Mach-mal-Fix 32b GT mit eingebauter Federungssicherung, wie es aussah. Ein echt seltenes Modell, und teuer noch dazu, deshalb war es den beiden Verkehrsexperten auch gleich aufgefallen. Ein exotisch gekleideter Händler hatte ihn von seinen Fuhrknechten abstellen lassen und war im Inneren des Gebäudes verschwunden, während die Knechte draußen warteten.
Plötzlich tauchten wie aus dem nichts zwei Dutzend Gestalten auf, die eindeutig als Bande aus den Schatten zu identifizieren war; wer einmal in den Schatten unterwegs war, weiß, wonach man Ausschau halten muss. Blitzschnell hatten sie die Fuhrleute umstellt.
"Ich glaub ich spinn, die wollen den Wagen stehlen!", rief Johan. "Komm da runter, wir müssen was machen."
"Warte, nicht!", meinte sein Azubi. William versuchte, von der Leiter zu springen, verlor aber kurz vor dem Absprung das Gleichgewicht. Er schaffte zwar, sich noch irgendwie auf dem Boden abzurollen, knallte aber trotzdem schmerzhaft mit der Kniescheibe auf das harte Steinpflaster. Fluchend richtete er sich auf und hielt sich an Johans Schulter fest.
"Was ist denn? Wir müssen denen helfen", fragte Johan genervt und wollte schon lossprinten, doch William hielt ihn energisch fest.
"Was ist, wenn das zu unserer Diebstahl-Serie gehört?", überlegte er laut. "Ich mein, schau dir die an! Die scheinen nicht zufällig hier zu sein, das ist eine geplante Sache, und wenn das wirklich der neunte Überfall ist, haben wir eine Chance, den Auftraggeber bei der Warenübergabe auf frischer Tat zu schnappen!"
"Hmm, wahrscheinlich hast du Recht. Aber dann müssen wir schnell die anderen benachrichtigen und dem Wagen möglichst unauffällig folgen", gab Johan nach, der die ganze Zeit die Diebesbande im Auge behielt und nervös wurde. "Am besten ist es, wenn du zum Wachhaus rennst und die SEALS herfährst!"
"Waas? Ich soll hier die Botenarbeit erledigen?" William wurde aufmüpfig.
"Du kannst auch mal machen, was man dir sagt. Und wenn's dir hilft, betrachte es als deine Abschlussprüfung; schnelle Hilfe in Not zu geben ist auch eine Aufgabe von uns. Ich kann dem Wagen viel besser folgen, ich bin hier aufgewachsen."
Die Verbrecher hatten das Dienstpersonal des Händlers in der Zwischenzeit überwältigt und machten sich daran, samt Wagen und Ladung zu verschwinden. Johan drehte sich ein letztes Mal zu William um, klopfte ihm auf die Schulter und sprintete hinterher. Der Gefreite de Morgue machte ebenfalls kehrt und rannte in Richtung Ponsbrücke zum Wachhaus am Pseudopolisplatz. 'Ich hasse diese ewige Rennerei', dachte er bei sich und rieb sein schmerzendes Knie.
"Na los, was ist jetzt?", fragte Damien ungeduldig.
"Ich mach ja schon, ich mach ja schon!", rief William aus dem Stall, packte zwei Pferde an den Zügeln und führte sie nach draußen, um sie vor den Karren zu spannen. Dort stand fast die ganze SEALS-Mannschaft versammelt; außer Bjorn und Scoglio, die Streife hatten, fehlte nur noch Johan.
William war völlig aus der Puste zum Wachhaus gekommen, als er feststellen musste, dass Rea Dubiata ihre Schäfchen schon versammelt hatte und vor dem Wachhaus auf ihn wartete. Wie er dann erfuhr, hatte Ettark wenige Stunden vorher eine Abschrift des neunten Auftrags in die Hände bekommen. Diesmal kannten sie den Ort des Diebstahls und den Übergabeort vorher, überlegte William. Jetzt mussten sie nur noch die Übergabe überwachen und im richtigen Moment zuschlagen, um an den Hauptverdächtigen zu kommen.
"William, jetzt mach schon, Gottverdammtnochmal!", fluchte Ettark.
"Schon fertig, wir können los!", antwortete der schnell, zog die letzten Zügel fest und schwang sich auf den Kutschbock. Er lenkte den Wagen vorsichtig aus dem Hof. Als er draußen war, stiegen die anderen SEALS zu; Oberfeldwebel Dubiata leistete ihm auf dem Kutschbock Gesellschaft.
"Wir müssen zum Buttermarkt", wies ihn seine Schäffin an. William schloss kurz die Augen und projizierte im Geiste die große Stadtkarte von Ankh-Morpork auf die Innenseite seiner Augenlider. In Gedanken plante er ihre Route, machte ein paar Korrekturen wegen der
Wanderbaustelle in der Glatten Gasse und dem zähfließenden Verkehr in der Sirupminenstraße. Nur Sekundenbruchteile später hatte er die kürzeste Route vor Augen und ließ die Zügel knallen. Sie hatten nicht mehr allzuviel Zeit.
"Kannichgut hat schon eine Meldung über die Semaphoren abgeschickt, dass wir unterwegs sind. Wenn Johan ab und zu mal zu den Türmen guckt, müsste er das eigentlich mitbekommen", informierte die Abteilungsleiterin ihren Verkehrsexperten.
Der war indes beschäftigt, die Pferde samt Karren auf ein halsbrecherisches Tempo zu beschleunigen. Sie rasten über die Ponsbrücke; seit William sich auf dem Weg zum Wachhaus gemacht hat, war ungefähr eine Viertelstunde vergangen. Hinter ihm hielten die Wächter ihre Helme fest und duckten sich, um nicht der vollen Wucht des Fahrtwindes ausgesetzt zu sein.
Rea indes verzog keine Miene und brachte William auf den neuesten Stand ihrer Ermittlungen, während sie gleichzeitig versuchte, ihren Mund nicht als Fliegenfänger missbrauchen zu lassen. "Ein dummer Zufall, dass Menélaos am zweiten Tag unserer Informationssammelphase zu GRUND abgeordnet war, ansonsten hätten wir nämlich viel eher rausgefunden, was man noch alles mit Pottasche machen kann. Da Menélaos ja vor seiner Wachezeit Kondochemiker war, hat er auch viel mit Pottasche zu tun gehabt; die benutzen das manchmal als Treibmittel für Gebäck, statt Hefe! Unser Verdächtiger ist daher wahrscheinlich im Zuckerbäckergewerbe zu finden."
William nickte grimmig. Das passte zu den anderen Lebensmitteln. Aber was sollte das? Plante da wirklich jemand, auf Kosten der Händlergilde den größten jemals gebackenen Kuchen zu entwerfen? Und was war die neunte Zutat? Und war das die letzte Chance, die sie hatten? So viele Fragen blieben noch offen...
Sie bogen mit hoher Geschwindigkeit um eine Kurve. William hörte, wie die Seals hinter ihm hastig nach Luft schnappten, als die beiden linken Räder plötzlich in der Luft hingen, doch er hatte die Fahrt und die Zügel fest im Griff. Mittlerweile befanden Sie sich tief in den Schatten, die Gegend kannte William nur von Karten und aus Erzählungen. Sein Gefühl sagte ihm, dass sie kurz vor ihrem Bestimmungsort waren. Ein ganzes Stück weiter vor ihnen konnten sie Johan Schaaf sehen, der neben einem offenen Hoftor an der Wand lehnte und nach Luft rang.
"William, da vorne ist er. Mach langsam, die müssen nicht gleich wissen, das wir kommen", wies Rea ihn an. William zügelte die Pferde und näherte sich im Pferdeschritttempo seinem Kollegen.
Johan blickte zu ihnen hoch und gab ihnen ein gequältes Daumen-Hoch-Zeichen. Plötzlich riss er den Kopf zur Toreinfahrt herum, anscheinend hatte er etwas gehört, zog seine Glocke und seine Dienstmarke und trat vor die Einfahrt. "Im Namen der Stadtwache, keinen Schritt weiter!", rief er.
"Was macht der da?", wollte Ettark von hinten wissen, doch ehe die beiden auf dem Kutschbock etwas erwidern konnten, geschah es.
Die Pferde der Diebe preschten plötzlich mit ängstlich rollenden Augen aus der Einfahrt hervor. Johan versuchte noch mit panischem Gesichtsausdruck, sich zur Seite abzurollen, doch die Pferde waren schneller. Es gab ein hässliches Geräusch von zerquetschtem Metall und einen kurzen, schmerzerfüllten Schrei. Dann schallte eine angsterfüllte Stimme vom weggallopierenden Wagen der Diebe.
"WAS HAST DU GEMACHT?!? DU HAST EINEN WÄCHTER GEKILLT! BIST DU WAHNISINNIG??"
Die Wächter starrten mit offenem Mund auf die Szenerie, sekundenlang sagte keiner etwas, konnte keiner verarbeiten, was sie gerade beobachtet hatten. Rea bekam als erste wieder einen klaren Kopf und betrieb Krisenmanagement.
"Johan ist verletzt, wir müssen ihm helfen. William, los, fahr schneller, jede Sekunde zählt. Kannich, mach schonmal eine Taube bereit, wir werden Rogis Hilfe brauchen, nehm ich an. Der Rest, absitzen. Keiner verfolgt den Wagen, die kriegen wir schon noch. Jetzt müssen wir erstmal hier aufräumen! Und los!", sprach's, sprang vom Kutschbock auf die Straße und kniete neben dem verletzten und ohnmächtigen Johan auf der Straße.
William war völlig sprachlos. Er hockte mit fahlem Gesicht auf dem Karren, unfähig, sich zu bewegen. Das konnte nicht sein. Johan ging's gut, er hatte nur eine kleine Verstauchung, nichts ernstes...
"Gefreiter William de Morgue, du kommst da sofort runter, oder du kriegst von mir persönlich eine Anzeige wegen Befehlsverweigerung! Hast du mich verstanden?", rief Rea von unten.
Befehlen musste man folge leisten, erinnerte er sich dunkel, und stieg langsam und apathisch vom Kutschbock. Seine Füße traten in eine Pfütze. Langsam schaute er nach unten und stellte fest, dass er in einer ziemlich großen Blutlache stand. Er taumelte zur nächsten Hauswand und übergab sich.
"Rogi, gut, das du da bist!", rief Rea der Ausbildungsleiterin zu, die mit ihrem Arztkoffer zu ihnen geeilt kam.
"Fon gut, fon gut, und jetft müfft ihr mich durchlaffen", drängelte die Igorina und kniete sich ebenfalls neben dem verwundeten Verkehrsexperten. Sie besah sich die Verletzung und schüttelte den Kopf. "Daf dieht nicht gut auf. Der Huf hat den rechten Teil feiner Rüftung zerquetft, er hat da irgendwo eine offene Wunde. Man könnte die Rüftung auffneiden, aber dann würde er noch mehr Blut verlieren, und im feinen Fuftand...", murmelte sie.
"Tu einfach, was du für richtig hältst, und bring mir meinen Verkehrsexperten wieder heil nach Hause", antwortete Rea mit leicht zitternder Stimme. Sie als Hexe wusste genau, dass es um ihren Mitwächter nicht gut aussah, aber sie hatte auch vollstes Vertrauen in die medizinischen Fähigkeiten der Igorina. Und sie hatten hier noch etwas zu erledigen.
"Gut, Seals, wir haben immer noch einen Auftrag! Damien, du bleibst hier, halt einfach die Stellung. Kannich, Nachricht an die Kröselstraße, die sollen Johan hier abholen. Lea, pass auf William auf, der sieht nicht gut aus, und ich will nicht, dass der Dummheiten macht. Der Rest kommt mit mir."
Damit betrat sie den Innenhof, die Seals-Wächter folgten ihr zügig.
Der Hof war nicht besonders groß, dafür aber umso unaufgeräumter. Überall lagen Holzhaufen herum, die Rea schnell als die Überreste der gestohlenen Karren identifizierte, sorgfältig zu handlichen Scheiten verarbeitet. 'Wenigstens sind wir hier richtig', dachte sie bitter. 'Wenn wir uns in der Adresse geirrt hätten, wäre das eine Totalkatastrophe...'
Über dem Hof lag ein stark süßlicher Geruch. Die Wächter fühlten sich unweigerlich ans Schneevaterfest erinnert, diese aurientalischen Plätzchen auf dem Hiergibtsalles-Platz rochen genauso. Quelle dieser Gerüche war das offene Lagertor, dass vielleicht 30 Schritte ihnen gegenüber offen stand. Sie näherten sich zielstrebig, als plötzlich ein Igor mit zwei Koffern aus dem Inneren auftauchte und die Wächter wissend anschaute.
"Ef wird Feit, daf ihr kommt. Ich habe fon feit Wochen mit euch gerechnet. Der Meifter ift jetft völlig von Finnen. Ich habe ja nichtf gegen ein bifchen hyfterischef Lachen, ein paar Ketten an den Wänden, aber daf ift einfach fo ftillof...", erklärte er den Wächtern.
"Igor, da hinten liegt ein Wächter. Wir wären dir sehr verbunden, wenn du unserer Sanitäterin beistehen könntest, ich bin sicher, sie kann..", Rea machte eine kurze Pause, um sicherzugehen," ein Paar zusätzliche Hände bestimmt gut gebrauchen."
Damit rauschte sie an ihm vorbei ins Innere der Lagerhalle.
"Wenigstens haben wir die Hühner gefunden", bemerkte Bjorn hilfreich. Die Luft war erfüllt vom aufregten Gegacker der gestohlenen Hühner, der Boden war übersäht mit Federn und Hühnermist. Sie sahen außerdem den Rest der gestohlenen Ware, das Mehl, den Honig und die ganzen anderen Sachen.
"Was zur Hölle soll das hier?", fragte Miriel erstaunt. "Ich hab ehrlich gesagt keine Ahnung, was jemand mit diesem ganzen Kram bezwecken will."
Ettark sah sich kurz um, ob ihm jemand zuvorkommen wollte, und entschloss sich dann, die rituellen Worte selbst auszusprechen."Es gibt nur eine Möglichkeit, das rauszufinden!", sagte er halb ernst, halb sarkastisch und deutete auf eine Kellertreppe, die eine Etage tiefer führte. Von unten drang plötzlich ein lautes glucksendes Lachen nach oben.
"Scheint, als hätten wir unseren Verrückten gefunden...", sagte Michael Machwas vorsichtig.
Ettark zog sein Schwert und ging als Erster die Treppe hinunter, dicht gefolgt von Rea. Was sie unten erwartete, überraschte fast alle.
Der ganze Raum war bunt dekoriert, Gaslampen und ein brennender Ofen spendeten warmes Licht, die Decke war über den Lampionketten und Mistelzweigen kaum auszumachen. Der süßliche Geruch war hier unten am intensivsten, es roch nach einem ganzen Schneevatermarkt, es gab gebrannte Mandeln, glasierte Äpfel, Zimt, Korinthen, und...
Pfefferkuchenmännchen!
In der Mitte des Kellerraumes war ein Tisch aufgebaut, darauf war ein mannsgroßer Lebkuchenmann gebunden. Um den Tisch herum tanzte lachend ein älterer, kleiner, dicklicher Mann mit wirrer weißer Mähne. Von der Decke hingen verschiedene Kabel, die an den Tisch angeschlossen waren; die meisten davon gehörten anscheinend zu Lichterketten. Unzählige Tische waren kreuz und quer im ganzen Raum verteilt und waren mit Eierresten, Mehl und anderen Zutaten bedeckt. Was nicht quasi unter Lebensmitteln begraben war, wurde von abstrusen und überdimensionierten Backutensilien wie einem gigantischen Nudelholz oder einer Maschine, die Eier an der
Sollbruchstelle klecksfrei aufschlagen und schaumig rühren konnte.Das ganze Szenarium wirkte wie die Schneefestvariante eines übergeschnappten überwaldianischen Genieexperimentes.
"Heute back ich, morgen back ich, und für übermorgen fällt mir auch noch was ein", säuselte der alte Mann mit krächzender Stimme und tanzte weiter ausgelassen um den Tisch herum.
"Hey, den kenn ich doch", ließ Menélaos Schmelz hören, der gerade erst die Treppe herunterkam.
"Das ist Klaus Kotta, einer der großen Meister der Kondichemie in Ankh-Morpork", antwortete er auf die fragenden Blicke. "War lange Oberhaupt der Kondochemiker, hat dann aber bei einem missglückten Experiment vor ein paar Jahren einen kleinen Klatsch bekommen. War eigentlich ziemlich harmlos.", fügte er schließlich noch hinzu.
"Viele viele Lebkuchenmänner, Pfefferkuchenmännchen! Eine ganze Armee davon, viele viele!!", jauchzte der alte Mann vergnügt und bediente immer noch verschiedene Apparate.
Rea trat eine Schritt vor und holte ihre Dienstmarke heraus. "Im Namen der Stadtwache, ihr Plan war noch nicht ganz ausgebacken, sie sind verhaftet!"
Oben wartete Hauptgefreiter Kannichgut Zwiebel schon auf sie. Rea warf ihm einen fragenden Blick zu, doch der schüttelte nur traurig den Kopf. Menélaos und Ruppert kamen hinter ihr mit dem gefesselten Gefangenen die Treppe hoch. Kurz nachdem sie ihm Handschellen angelegt hatten, hatte er erbärmlich zu schluchzen angefangen, von seinem Freund Bernd erzählt, der noch nicht fertig sei, doch die Wächter waren zu angespannt, um ihm zuzuhören.
Rea gab das Zeichen zum Sammeln. Als sich alle SEALS eingefunden hatten, begann sie ihre Lagebesprechung. "Wie siehts aus, wie geht's Johan?", fragte sie als erstes. Damien schaute düster. "Rogi hat mit Igor den Brustpanzer weggeschnitten. War kein schöner Anblick, sie haben ihn erstmal in die Kröselstraße gebracht. Rogi tut ihr bestes, da bin ich mir sicher", schloss er seine Erkenntnisse.
"Hab nur Backebackemännchen gemacht...", winselte Klaus Kotta vor sich hin.
"Und das ist er also?", fragte Damien. "Das Grundübel unserer Stadt? Der Grund, warum wir schlaflose Nächte verbracht haben? Irgendwie komm ich mir ein bisschen veralbert vor! Immerhin ist wegen dir ein Mitwächter von uns schwer verletzt worden!", wandte er sich an Herrn Kotta.
"Bernd! Wo ist Bernd?", heulte dieser nur.
"Mein Gott, wenn nicht sofort jemand diesem Kerl den Mund stopft, dann mach ich das!", fluchte Ettark und spuckte auf den Boden. Sie alle waren aufgekratzt und gereizt. Tagelang hatten sie diesen Fall untersucht, alle Spuren verfolgt, waren in einer ermittlungstechnischen
Sackgasse nach der nächsten gelandet, hatten einen verwundeten Kameraden, und warum? Weil ein alter Mann, der nicht mehr alle Tassen im Schrank hat, irgendwelche Experimente mit Pfefferkuchengolems trieb und seine "Forschung" vor der Bäckergilde und den Nahrungslieferanten verheimlichen wollte. Wie die anderen Abteilungen sich wohl darüber amüsieren würden:'Sieh nur, die Robben sind wieder eine Woche lang nur dem Süßkram nachgeschwommen'...
Amalarie Mögebier schlug mit der Faust in ihre Handfläche. "Diesmal sind die Jungs aus den Schatten aber zu weit gegangen. Diebstahl ist eine Sache, aber Körperverletzung ist auch in diesen Kreisen kein
Kavaliersdelikt mehr. Diesmal werden da Köpfe rollen!", versprach sie den anderen Wächtern.
Oberfeldwebel Dubiata blickte in fragende Gesichter. Sie schüttelte den Kopf. "Das ist nicht der richtige Zeitpunkt, wir haben erstmal andere Sachen zu erledigen. Wir müssen die gestohlenen Güter zählen und zurückbringen, es muss eine offizielle Stellungnahme gegenüber den Gilden ausgearbeitet werden, und die Routine muss auch schnellstens wieder aufgenommen werden. Und danach können wir uns um diese Jungs kümmern. Also dann, an die Arbeit!"
Drittens: Durch Erfahrung, das ist der bitterste.
Alle Streifen ruhen an diesem Nachmittag. Kein Wächter patroulliert die Straßen, das Wachhaus wirkt wie leergefegt.
Der Friedhof der Geringeren Götter erstreckt sich hinter dem Tempel der Geringeren Götter. Unter dem grau bewölkten Himmel erstrecken sich die knorrigen Äste baumloser Eichen, so alt wie die Stadt selbst. Ein leichter Nieselregen liegt über der Stadt.
Araghast Breguyar, der Kommandeur der Stadtwache, steht vor dem Grab und hält die Letzte Rede Des Wächters. Sie scheint wichtig zu sein. Er war ein guter Wächter. Ein guter Freund. Gewissenhaft, fleißig. Immer bereit. Starb bei der Diensterfüllung. Immer in Erinnerung behalten.
William hört nicht hin. Zu tief trifft ihn die Erkenntnis, dass er auch an seiner Stelle hätte sein können. Dass er eigentlich selbst die Diebe verfolgen wollte. Dass er einfach nur die Arbeit eines Wächters erledigen wollte.
Der Kommandeur ist fertig, die Wächter stellen sich in Reihe auf und werfen Blumen auf die letzte Ruhestätte eines Kollegen. William ist an der Reihe, seine Hand bewegt sich mechanisch, die Gedanken sind in der Ferne, in seinem Büro, mit seinem Ausbilder, seinem Mitwächter, seinem Freund. Er will etwas sagen, doch kein Wort dringt aus seinen Lippen, deshalb dreht er sich um und reiht sich ein in den Teil der Wächterschaft, der in den Farben Rot und Gold in nächster Nähe zu ihm steht. Auf ihrem Ärmel prangt der Seehund.
William saß bis tief in die Nacht in seinem Büro, als es an der Tür klopfte. Es klopfte erneut, als er keine Reaktion zeigte. Schließlich trat jemand ein und schloss die Tür wieder hinter sich. Er erkannte an den Schrittgeräuschen, dass es sich um seine Abteilungsleiterin handelte.
"Was ist denn?", fragte er mürrisch. Rea antwortete nicht, setzte sich auf einen freien Stuhl direkt neben ihn und betrachtete sein Gesicht. Er sah mitgenommen aus, das schwarze Haar fettig und stumpf, tiefe Schatten unter den Augen, eingefallene Wangen.
"Mir ist klar", begann sie, doch wurde sofort von William unterbrochen. "Nein, Mä'äm, nichts ist Ihnen klar. Damit wir das klären: er war nicht mein Mentor, mein Vorbild oder mein bester Freund. Er war nur der, mit dem ich hier am meisten Zeit verbringen musste. Er war weder außerordentlich kompetent, noch fleißig oder engagiert, er hat einfach nur seinen Tschob gemacht. Aber er war Wächter. Und ich dachte immer, Wächter sterben nur in Verfolgungsjagden oder Schwertkämpfen auf Häuserdächern. Oder sie opfern sich, damit andere in Sicherheit gebracht werden können. Aber so zu sterben....das ist grausam. Bedeutungslos. Es ist nichts Mystisches, Heldenhaftes daran, von einem Karren überrollt zu werden." Er wollte noch weiterreden, über seine Angst, am nächsten Tag genauso zu enden, ohne darauf vorbereitet zu sein, doch die Stimme versagte ihm, und so schwieg er.
Rea musste nicht lange überlegen, um darauf etwas zu antworten.
"Vielleicht war das Heldenhafte, was du suchst, tatsächlich nicht sein Tod. Vielleicht war es, dass er jahrelang immer hier war. Er hätte alles machen können, doch er ging zur Wache. Er hat die besten Jahre seines Lebens der Stadt geschenkt, und das ist etwas, was ich sehr heldenhaft finde." Eine kurze Pause trat ein, in der nur das Schnarchen von Johans Zeitdämonen zu hören war, den er immer auf dem Schreibtisch zu stehen hatte. Die Uhr zeigte eine Minute vor Mitternacht.
"Es mag vielleicht etwas makaber sein, aber das Leben geht weiter. Gleich beginnt ein neuer Tag, eine neue Schicht. Das Spiel geht wieder von vorn los, jedes Mal aufs neue. Und wir sind die, die aufpassen, dass keiner schummelt." Damit stand sie auf und ging zur Tür. "Was ist nun, kommst du, oder willst du etwa, das ich meine Streife allein gehen muss?", fragte sie ihn. Grummelnd stand er auf und folgte ihr hinaus in die Nacht. Die Uhr schlug zwölf, als sie gemeinsam das Wachhaus verließen.
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