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von Oberfeldwebel Rib (SUSI)
Online seit 02. 10. 2008
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An Oberfeldwebel Rea Dubiata AL SEALS Hauspost Mit der Bitte zur Weiterleitung An den Gefreiten Bjorn Bjornson Hallo Rea, wie du vielleicht weißt, bin ich inzwischen einer von drei Okkultismusexperten der Stadtwache. Die Gründe hierfür spielen erst mal keine Rolle, du sollst nur zur Kenntnis nehmen, dass ich diesen Fall übernommen habe. Diese Schriftrolle hier ist mein Abschlussbericht über den Todesfall Nander Kirschkuch, Dienstnummer 210590-G-100308. Ich versuche hier alle meine Gedanken zu dem Fall niederzulegen, soweit ich mich an sie erinnere. Was immer in dieser Gasse passiert ist, lässt sich kaum belegen. Und selbst wenn wir dafür Beweise finden, wird sich selbst dein Gefreiter daran die Zähne ausbeißen, hier eine Rechtsgrundlage zu finden, die eine Anklage rechtfertigt. Eine Mordanklage schließe ich jedenfalls aus, wie du am Ende sehen wirst. Es ist das übliche Problem: Kein Präzedenzfall vorhanden. In diesem Sinne liegt hier auch weniger ein Bericht, als ein Haufen Mutmaßungen vor dir, den du Gefreitem Bjornson nun geben kannst, oder nicht. Das bleibt dir überlassen. Eine Kopie geht an meine Abteilungsleiterin/Ausbilderin. MfG, Feldwebel Tut'Wee P.S.: Was auch immer du tust, ziehe NIE, NIE in einen Aktenschrank. Schritt 1: Der Arbeitsauftrag Nachdem ich mich gründlich einer meditativen wie physischen Reinigung unterzogen hatte, verabredete ich mit dem Gefreiten Bjornson ein Treffen und zwar dort, wo Okkultisten die meisten Bürger bei okkulten Praktiken beobachten kann: Im Eimer. Ich selbst zum Beispiel habe dort oft und regelmäßig den Geist meiner untoten Leber zu beschwören versucht. Nach ein paar freundlichen Worten einem Trollpärchen (Reparaturrechnung des Stuhles liegt bei) gegenüber, hatte ich uns auch schon vor seiner Ankunft ein stilles Plätzchen reserviert. "Bitte." forderte ich ihn auf. "Nehmen Sie Platz." Bjornson zuckte mit den Achseln und betrachtete mich prüfend. Gut, ich weiß, ich habe einen Ruf, sowohl als Untoter als auch als Exkobold. Aber muss mich deshalb jeder dieser Scheinriesen über fünfzig Zentimetern auf diese Weise anschauen? Ich habe seit Monaten niemanden mehr etwas gebrochen. "Gefreiter... Sie haben ein Problem." stellte ich also fest, während ich Kiesel, meinem Adoptivsohn, einen Löffel frischen Kalkbrei an die Lippen führte. "Bevor ich mich hier durch den ganzen Aktenberg wühle, dachte ich mir, sie erzählen mir, was dies für ein Problem ist. Ich habe hier eine Akte, aber so ganz schlau werde ich nicht daraus. Gerade ihre Angewohnheit, Zeugenaussagen und Berichte doppelt anzulegen, ist sehr verwirrend." Ich breitete die Arme aus und verwies so auf die Akten, die ich, mit mir als Zentrum auf dem Tisch aus gebreitet hatte. Innerlich lächelnd musste ich an meine Zeit als Lebender denken. So umkreist von Akten wäre dies das perfekte Gefängnis für mich gewesen. Jetzt war es mein Reich geworden. Björnson schüttelte mit dem Kopf: "Sie sind nicht doppelt. Nicht in dem Sinn, wie sie das meinen. Sir." Ich ging ein paar Schritte randwärts des Tisches, bis ich zu den Aussagen kam und wuchtete zwei gigantische Blätter hervor. Hinter mir herschleifend, brachte ich sie dem Gefreiten. "Und was ist das?" fragte ich ihn. "Hier zum Beispiel: Die Aussage des Obstverkäufers. Sowohl auf dem oberen wie auf dem unteren Blatt. Wort für Wort identisch." Er zuckte mit den Schultern: "Alles bis auf die Zahlen rechts oben." Ich überzeugte mich, dass meine Fußsohlen sauber waren und schritt die Papiere hoch. Tatsächlich. Die eine war sechs, die andere schon achtzehn Monate alt. Es waren die Aussagen zu zwei verschiedenen Todesfällen. "Identisch? ALLES?" Der Gefreite nickte. "Alles klar. Dann lügen die Zeugen und haben ihn umgebracht. Ich mein, wie wahrscheinlich ist es, das dieselbe Tat zweimal vor denselben Zeugen passiert? So, Fall geklärt, ich geh nach Hause." "Hmm..." zweifelte Bjorn. "Was hmm...?" "S.u.Si. behauptet was anderes." "Dann spinnt die Abteilung halt. Niemals sind zwei Zeugenaussagen zufällig gleich. Zuviel Laborgase abbekommen, aus Versehen eine Akte kopiert, Anfänger in der Tatortsicherung... was weiß ich?" Wortlos zog Bjornson einen Zettel unter den Akten hervor. Ich erkannte ihn gleich. Es war mein eigener Laborbericht. Keine Gifte gefunden. Was immer ich damals auch in die Luft gesprengt hatte: Geschludert hatte ich nicht. "Ich übernehme den Fall." bestätigte ich. Schritt 2: Der Tatort Will man beweisen, dass ein Verbrechen auf eine bestimmte Art NICHT verübt wurde, muss man sich die Beweiskette anschauen. Hierbei erschien es mir immer zweckdienlich, dem Weg der Leiche zu folgen. Erst wird sie identifiziert, dass dann ihre Todesursache bestimmt. Erst danach, wenn man die Beweise vor sich liegen hat, kann man wirklich beurteilen, was gewesen war. Menschen lügen. Tote nicht. Mit rückenden Gläsern, Hexenbrettern und Wahrsagekarten bewaffnet blicken wir Okkultismusexperten auf die Beweißkette und wissen: Nur ein toter Zeuge ist ein guter Zeuge. Was immer dir ein Lebender erzählt, verfälschen seine Hormone. Eine Widerbelebung des Opfers würde das Problem lösen, diesmal hatte ich allerdings den Präzedenzfall schon geschaffen. Also der üblichen Reihe nach. Zuerst überprüfte ich den Tatort, der jetzt, nach einem halben Jahr, nur noch an einem einzigen Ort existierte: In der Erinnerung des Tatortwächters. Der zuständige Wächter war Charlie Holm, fast ein Urgestein der Wache und ein brillanter Kopf dazu. Wie erhofft, traf ich ihn in seinem Büro an. "Guten Morgen." begrüßte ich ihn und wartete auf sein Salutieren, was ich etwas formloser erwiderte. Dann warf ich die Akte auf seinen Schreibtisch und kletterte hinterher. "Ich hab hier ein Problem damit", fing ich. Charlie nahm seine Brille ab, putzte sie und beugte sich dann über die Akten. Er blättere Seite um Seite um, bis er zu einem Bericht kam, den er unterschrieben hatte. Er schaute mich an, ich nickte. "Irgendetwas stimmt nicht in dem Bericht." erläuterte ich ihm ausführlicher. "Direkt der nächste bericht ist auch von dir. Und sie sind identisch." Charlie blätterte etwas vor. "Wenn dem so ist, ist dem so." meinte er und bewies damit seine philosophische Ader - und nebenbei gesagt eine für ihn untypische Kürze der Wortwahl. Ich stemmte also die Hände in die Seiten und gab dadurch meinem Profil etwas Breite: "Wie?" "Was?" "Wie kann das sein? Du hast zwei Unfälle zu untersuchen und findest dieselben Beweise? Warum fiel dir das nicht auf?" "Hör' mal, ich weiß nicht, wie du das handhabst, aber ich habe mit duzenden von Fällen am Tag zu tun. Da muss ich so etwas nicht bemerken." "Also Schlamperei...?" JETZT war Charlie sauer. Ohne es zu merken hatte ich im Eifer des Gefechtes eine Grenze überschritten, die für die meisten unserer Wächter als heilig galt: Berufehre. Wir mögen manchmal korrupt oder faul sein, aber wir nehmen unseren Job ernst. Charlie stand auf, was dazu führte, das er mich um das zehnfache überragte. Er zog mehrere Bilder aus dem Bericht. Sein Kopf wurde rot, ein seltener Anblick, den ich allerdings in der Vergangenheit leider schon zu oft bewundern durfte. "Hier hast du die Rutschspuren der Pfanne, vom Dachgiebel bis zum Rand. Hier die zerbrochene Pfanne selbst, und hier die Leiche in der gefundenen Stellung. Ich habe Fingerabdrücke genommen und Proben vom Blut. Der Ikonographkobold bestätigte mir, dass kein Oktarin zu malen sei, also hat auch niemand mit Magie gepfuscht. Ich habe sogar die Fußspuren der Beteiligten verglichen, soweit mir das möglich war. Also komm mir nicht mit Pfusch, Herr Sprengmeister." Womit er zur Gegenbeleidigung ausholte. Ich holte Luft. Eine für Untote unnütze Geste. "Raus." wurde mir das Wort abgeschnitten. Ich ging. Es hätte keinen Sinn gemacht, jetzt noch hinzuzufügen, dass ich an mir und meinen Ergebnissen ebenso zweifelte. Denn wenn sein Bericht falsch war, war es mein Laborbericht es auch. Schritt 3: Aktenschau durch den Okkultismusexperten Ich ging also in das Büro, das ich mir mit Laiza und Nimh teile. Mein eigener Schreibtisch befindet sich gleich links neben der Tür. Der dazu gehörende Stuhl ist eine Spezialkonstruktion, denn üblicherweise besitzen Stuhle weder eine Strickleiter noch eine auf der Rückenlehne angebrachte Aussichtsplattform. Von dort aus betrachtete ich noch mal die vor mir auf dem Boden ausgebrachte Beweislage. Sogar die Photos wirkten gleich wobei die erste Leiche, Mr. Unbekannt, von der Pfanne wenigstens nicht direkt im Gesicht, sondern am Hinterkopf getroffen wurde. Naja, tot waren sie letztendlich beide. Sofern sie nicht wieder aufwachten, dürfte ihr Zustand ihnen also herzlich egal sein. Dieser Fall fing an mich in seiner Sinnlosigkeit zu nerven und ich wurde ungeduldig. Daher nahm ich mir die Zeugenaussagen nun doch etwas früher vor. Für den Tod der beiden Personen an sich gab es nur vier Zeugen: Igor Kleines, dreiundfünfzig Jahre alt und Schatzmeister einer der Balsamierergilde gehörenden Leichenhalle, hatte wider besseres Wissens soeben einen großen grünen Fleck auf seinem Würstchen entdeckt und wollte nun den "Wicht von einem Straßenhändler" auf diesen Makel aufmerksam machen, als er über sich hörte, wie etwas auf dem Dach ins Rutschen kam. Schließlich waren diese sogenannten 'Frischen Debrecziner ' nicht gerade billig gewesen. Als gebürtiger Bewohner dieser Stadt, drehte er sich eher genervt zur Straße herum, sah eine Gestalt mitten auf der Straße, hörte den unangenehmen und unverkennbaren knirschenden Aufschlag und blickte nach oben, um den ungeschickten Dieb, der dort oben sein Handwerk sicherlich verrichtete, einen Verweis zu erteilen. Doch niemand schien auf dem Dach und so drehte er sich wieder zur Straße herum. Auf der Straße lag eine gekrümmte Gestalt, in einer ihm fast zu großen, schmutzig grauen Jacke, die vernarbten Hände wie in letzter Abscheu von sich gestreckt. Obwohl Kleines nur ein paar Schritte zu überwinden hatte, erreichte er das Unfallopfer erst als Vierter. Die Senfreste, die später im rechten Nasenloch des Toten gefunden wurden, ließen sich allerdings auf das halb verfaulte Würstchen zurückführen, das Igor Kleines ungeschickt festgehalten hatte und ihm vor Schreck auf Exgesicht dieser Leiche gefallen war. Kleines' Zeugenaussage wurde ziemlich rasch abgehakt: Er konnte nicht einmal die anderen Zeugen beschreiben. Ebenfalls sehr nah, wenn auch nicht ganz so dicht wie Kleines, war Sula Alrik gewesen, eine Wundärztin, die schon im Alter von vierunddreißig, aufgrund der räumlichen Nähe ihres Ladens zur Alchimistengilde, zu unerhörtem Reichtum gekommen war. Nebenbei nahm sie an der Beschwörergilde an mehreren Kursen in angewandter Prophetie teil, wie sie stolz bei ihrer Vernehmung erzählt hatte. Ich nahm mir vor, sie auf gar keinen Fall persönlich zu treffen. Sula hatte auf derselben Straßenseite gestanden wie Kleines, hatte aber nicht Fleischprodukte auf Makel hin untersucht, sondern sich in die Auslagen eines Schuhgeschäftes vertieft. Gespiegelt von dem Fenster, direkt über den "sündhaft teuren Halbschuhen vom Gegengewichtskontinent" hatte sie auf der anderen Straßenseite einen Mann gesehen, mit einem Gesicht wie jedermann und einer alten, etwas abgetragenen Jacke. Seltsamerweise hatte sie das Gefühl gehabt, dass er Hilfe suchend nach ihr griff, aus der Ferne heraus. Sie erstarrte angesichts dieser Haltung und schüttelte unbewusst den Kopf. Der Mann hatte über die Straße gegriffen, wie um ihre Seele zu erlangen. Sula Alrik hatte sich gerade noch rechtzeitig umgedreht, um zu sehen, wie das Opfer auf die Straße gestürzt war, sie hatte ebenfalls den Niedergang der Pfanne gehört und den Unfall quasi von der ersten Reihe aus miterlebt. Sie hatte den Toten als Zweite erreicht. Sein unförmiger Kopf war von der alten Jacke ganz und gar bedeckt gewesen. Sula hob den Stoff ein Stück hoch und warf einen prüfenden Blick auf das Gesicht des alten Mannes. Beziehungsweise sie warf auf das, was davon noch da war: Von Unterkiefer bis zum Stirnansatz waren die Knochen zerschmettert, sein Antlitz einst so ausdruckslos, war nun ein Maske des Grauens. Die Hände allerdings hielt er jedoch noch immer so, wie sie es im Schaufenster gesehen hatte, einer kampfbereiten Kralle gleich. "Es war so, als hätte er sich auf einen letzten Kampf eingelassen, in dem Moment, als ich ihm die Hilfe im Fenster verweigerte." hatte sie ausgesagt. Seltsam literarische Art, so von einer halben Ärztin in Gegenwart des Todes. Auf derselben Straßenseite wie das Opfer hatte der Straßenkehrer Rodhen gestanden. Er hatte soeben den Teil der Straße gefegt, auf dem der Greis dann aufgetaucht war, barfuß unter seinem viel zu großen Mantel. "Ach, der Halbnackte", hatte Rodhen angeblich lachend ausgesagt. An dieser Stelle hatte ich zum ersten Mal mitbekommen, das das Opfer gar nichts abgesehen von Jacke und Unterhose getragen hatte. Glücklicherweise hatte auch Bjorn dieses Element gesehen. "Sie haben nicht gesehen, woher er gekommen ist?", ging daher seine Befragung weiter. "In dieser Kleidung kann er ja nicht weit gerannt sein, ohne den Haufen üblicher Schaulustiger." "Vielleicht aus dem Laden, ich weiß es nicht. Plötzlich stand er einfach da. Dann hat er seine Hand nach der anderen Straßenseite ausgestreckt und stürzte los. Als ob er gewartet hatte, verstehen Sie? Erst im Moment des Rutschens ging er los, als ob er sein Schicksal nicht mehr selbst im Griff hätte. Es war genug Platz zum Ausweichen, ach was, er hätte gar nicht losgehen brauchen." "Hat er denn nach oben geschaut? Auf die Kachel gewartet?" "Weiß nicht. Ich glaube nicht. Aber wie gesagt, nichts wirkte so, als läge es in seiner Hand." "Was liegt denn da für ein Laden?" "Auf der anderen Straßenseite?" "Nein, ich dachte an dieselbe Seite, die, wo das Opfer aufgetaucht ist. Aber das ist eine gute Idee, was für Läden liegen denn auf der gegenüberliegenden Seite?" "Auf der Seite, von der er kam, liegt ein Fischladen, und auf der anderen, glaube ich, eine Bäckerei, zuerst ein Gemüse- und Obststand, dann die Bäckerei und dann ein Schuhgeschäft, ja, so ist das. Aber vielleicht liegt noch ein anderes dazwischen ..." Am weitesten von der Unfallstätte entfernt, jedenfalls, was die vier zuverlässigen Zeuginnen und Zeugen anging, hatte Torblock, ein trollischer Glasbläser sich aufgehalten. Er war auf dem Weg gewesen, seine neusten Erzeugnisse in einem Laden an der Straße abzuliefern. " Nich' fallen lassen, ich denken, bloß nich'! Weil Ball zwischen meinen Füßen herumlaufen tun." 'Ball' hatte dankenswerterweise Bjorn daneben geschrieben, war der Name eines Hundes, der dem Troll gehörte. Er war nach seinem Lieblingsspielzeug benannt worden. Ich blickte kurz von den Notizen auf und verzog den Mund. Jeder Koboldartige besaß eine gewisse Kynophobie. Katzen nervten, wenn man eine gute Große besaß. Sie bissen sich fest und wollten spielen. Aber Hunde waren da etwas anderes, sie neigten dazu, einen in einem Bissen vollständig zu verschlucken. Wie oft bekam man Ärger mit einem Hundebesitzer, nur weil man sich von Schnuffi nicht vollständig verdauen lassen wollte? Ich blickte wieder auf das Blatt. "Sie liefern häufig in diese Straße ...?" hatte Bjorn gefragt. Torblock stimmte zu: " Ja. Ich oft liefern da Pantoffeln. Frauen ganz verrückt danach. Haben was mit Brautschau zu tun." "Gut, was haben sie gesehen, Herr ... Torblock?" "Kehrer wirbelt viel Staub auf. Ist auf meiner Seite der Straße. Er macht große Wolke, ich denken, macht Glas bestimmt schmutzig. Ich nicht mögen Schuhe putzen, also ich wechsel auf andere Seite. In Wolke plötzlich der Mann ohne Schuhe. Und geht auf Straße. WUMM." "Was 'Wumm'? Dann erschlug ihn der Ziegel?" "'Nach Fall." "Danach?" "Erst stürzen, dann Ziegel auf Kopf. Von oben. Fast selbe Zeit, aber stürzen etwas schneller." "Könnten Sie das genauer erklären?" Torblock zuckte mit den Schultern, was bei seiner Größe einem Erdbeben glich. "Er wohl das Ziegel gehört und ausweichen wolle, was ich weiß?" "Er stürzte also, als der Dachziegel ihn traf?" "Ja, das ich glauben. Dann ich gelaufen zu ihm. Feger schon da und Frau legt Kopf auf Brust. Sie schüttelt Kopf. Es schrecklich sein, ich immer daran denken tun. Und Frau decken Gesicht und Hände ganz schnell zu." "Sofort?" "Ja. Ich leider kaum hinsehen konnt." "Sie waren also die, Moment, die dritte Person, die dazukam?" "Ja. Noch kommen alter Mann, blicken auf Gesicht und Hand, und lassen Würstchen fallen. In Gesicht von Toten." "Wurst?" "Ja,. Die Frau Gesicht wieder zugedeckt haben." Bjorn schloss damit auch diese Befragung. Und ich tätschelte meinen Kleinen und schwor mir, ihm beizubringen, wie man vernünftige Sätze baut. Inzwischen war es Nachmittag geworden. Leicht genervt schaute ich aus dem Fenster auf den Pseudopolisplatz. Das Leben hier unter meinen Füßen wimmelte wie ein vielbeschäftigter Ameisenhaufen. Eine Million Bürger, grob geschätzt, hatte diese Stadt. Ein Drittel Halunken, ein Drittel Opfer und der Rest mal dies, mal das, je nach Gelegenheit. Kein Herzschlag ist so hoch wie die Unfallrate dieser Stadt, von Raub, Mord und Erpressung, selbst wenn man die staatlich erlaubten Fälle abzog, ganz zu schweigen. Als Nander, das zweite Opfer diesen Fall untersuchte, gab es noch keine Widerholungen. Es gab nur den reinen glasklaren Fall. Was hatte er entdeckt, das es rechtfertigte, weiter zu ermitteln? Schritt 3: Leichenschau Als nächsten Experten befragte ich unsere Gerichtsmedizinerin. Dazu ging ich in meinen alten Arbeitsraum, wo Avalania von Gilgory ihren Arbeitsplatz hatte. Ich schickte ihr eine Nachricht per Rohrpost und sortierte noch einmal kurz die Unterlagen, bevor ich aufbrach. Obwohl ich zuerst eigentlich Hutztli befragen wollte, machte ich aus einem inneren Gefühl heraus dann doch sie ausfindig. Denn immerhin hatte sie bei Nanders Ermittlungen die Obduktion durchgeführt. Und das war ja der eigentliche Fall, den ich untersuchen sollte. "Ava", begrüßte ich sie. "Wie geht's? Schon ein Patient unter den Händen weggestorben?" Ein alter GeMewitz und zugegebenermaßen nicht besonders witzig. Die Ausdünstungen des Formalin lagen mir auf der Zunge, eingedrungen durch die Binden, und erinnerten mich an gute Zeiten. Ich mag den Geschmack von Formalin, vielleicht weil er nicht meiner war. Andererseits gab es schlimmere Dinge für eine Mumie als Konservierungsmittel. "Du und deine Ahnungen!" Ihr Witz war allerdings auch nicht besser. "Soll heißen ..." "Richtig, da hat einiges nicht gestimmt. Die Todesursache zum Beispiel. Hätte Jack mir nicht so prüfend über die Schulter geschaut, hätte ich das wohl nie gemerkt." "Er war also schon tot, bevor der Ziegel ihn erschlug?" "Ja. Das Herz. Alt, verbraucht, plötzlich brach da eine Wand." "Hast du noch Ikonographien von der Leiche?" "Moment" meinte Ava. Sie ging zu einem Aktenschrank, wühlte etwas herum und gab sie mir dann. "Hier, bitte." Gerichtsmediziner, das war allgemein so üblich, behielten nicht aussagekräftige Aufnahmen ihrer Obduktion noch eine Weile für sich. Es hatte wenig Sinn, damit eine schon umfangreiche Akte noch dicker zu machen, allerdings könnte es ja sein, das man noch etwas suchen musste, was einem auf den ersten Blick entronnen war. "Irgendwas stimmt da nicht. Meine ich." "Noch immer nicht." "Schau sie noch mal durch. Ich betrachte meine Akten noch mal." "Wie du willst." Ava erhob sich mit den Bildern in der Hand und ging hinaus auf den Gang. Die Tür lies sie offen, was mir Gelegenheit gab, sie zu betrachten. Sie trat ans Fenster und starrte auf die nun besser beleuchteten Ikonographien. Die übliche Wolkendecke hatte sich nicht verschoben. Ich glaubte fast, sie unter dem klaren blauen Himmel zittern zu sehen. Dann nahm ich meinen Blick von ihr, schüttelte den Kopf und überflog seine Papiere. Falsch, falsch, falsch. Und zugleich unproblematisch, selbstverständlich. Wenn sie ihn vorsätzlich umgebracht hatten, dann war es doch nur ein Mord unter vielen anderen. Zu Tode erschrocken. Das galt zweifellos auch als Mord. Nichts änderte sich dadurch. Aber mein Instinkt flüsterte mir etwas anderes zu, was ich nur nicht hören konnte. Ich zog die Stirn kraus, was man glücklicherweise unter den Binden nicht sah. "Ich hab was, glaub ich.", meinte die GeMe. Erstaunt blickte ich sie an. "Ich habe in seiner Nase Eisreste gefunden. Halb verfault. Hab ich das notiert?" "Kein Senf?" Ich schaute noch einmal nach. "Nein, Eis. Stimmt. Aus einer Eiswaffel. Ein Unterschied. Muss ich übersehen haben. Wer kauft denn mitten im Winter Speiseeis?" "Dann weiß ich auch nicht weiter. Ein schnöder Penner. Der übliche Gestank. Sonst nichts." sagte Ava. "Ich hoffe, du weißt, was du tust. Es liegen hier noch viele Leichen in den Fächern." Ich atmete tief und beruhigend ein und aus, bis mir einfiel, das es sich ja nicht hier ja nicht um unseren Kollegen, sondern um die erste Leiche gehandelt hatte. "Irgendwas übersehe ich in den Aussagen." erwiderte ich. "Vielleicht siehst du was?" "Lies die Abschnitte noch mal vor." Ich blätterte erneut in Bjorns Unterlagen. Diesmal zum ersten Fall. Nach und nach merkte ich, wie sich ein Wort häufte und meine Schultern sackten herab. Es war so offenkundig, wenn man sie gemeinsam las. Ava legte ihren Kopf leicht schräg und strich über ihren Bart. Zuerst hat die Ärztin gesagt, dass er hilfesuchend nach ihr griff, aus der Ferne heraus. Und auch noch: "Die Hände allerdings hielt er jedoch noch immer so, wie sie es im Schaufenster gesehen hatte, eine kampfbereiten Kralle gleich." Mal sehen. Dann kam Rodhen, der Straßenkehrer: "...als ob er sein Schicksal nicht mehr selbst in Griff hätte." Der Troll: " Frau decken Gesicht und Hände ganz schnell zu." Und den Abschluss machte der Schatzmeister: "die vernarbten Hände wie in letzter Abscheu von sich gestreckt " "Es sind die Hände." antwortete Ava auf meine unausgesprochene Frage. Ich nickte betroffen: "Das hätte ich merken müssen." Die GeMe grinste leicht hämisch. Naja, nach all den Sprüchen in der Vergangenheit hatte ich es wohl verdient. "Nein. Ich meine hier auf dem Bild." Sie zeigte mir eine Ikonographie der Hände des Opfers. Auch wenn sie gleichmäßig sonnengebräunt waren, erkannte man, dass links eine Armeslänge lang, also drei Zentimeter, der Handinnenfläche die Haut neu angenäht war. Es musste schon Monate her gewesen sein, denn die Narben waren kaum noch zu sehen. "Ob das bei beiden Opfern so gewesen war?" Ava ging zu ihrem Schrank und drehte sich noch mal um: "Name des zweiten Opfers?" "Nander Kirschkuch. Vor sechs Monaten ungefähr." Ava ging mit ihren Fingern die Akten entlang und verharrte kurz. Jetzt erst begriff sie, was der Name zu bedeuten hatte. "Ich kannte ihn kaum." meinte sie. "Jemand der nie auffiel, unhöflich wurde oder aneckte. Immer hatte man das Gefühl, er hätte noch nicht alles erlebt, was er erleben sollte. Schade eigentlich. Ah, hier ist sie." Leider fanden wir kein einziges Bild von Nanders Händen. "Das heißt nichts." tröstete sie mich. "Frag mal Ratti, vielleicht weiß die etwas mehr. Immerhin führt sie ja nun die Kartei mit den Fingerabdrücken allein." Und ich stimmte zu. Schritt 4: Labor Ihre Ladyschaft, wie ich Ratti gerne nenne, war eine Gnomin. Und nicht nur eine Gnomin, sondern DIE Gnomin. Klar, wir Normalgroßen achten immer auf unsere Keldas, aber diese Frau war eine Klasse für sich. Weswegen ich auch damals dringend aus dem Labor heraus versetzt werden musste. Ich meine, Hormone sind auch so schon schwer genug zu ertragen, aber in einem untoten Körper? Nein, danke. Es gibt im Hirn einen Stoff namens Serotonin, und frisch Verliebte zeigten dieselben Werte wie Schizophrene. Meiner Meinung nach erklärt das einiges. Also bin ich gegangen und habe mich dementsprechend rar gemacht. "Rib!" begrüßte sie mich freundlich. Und unter dem Namen dürfen das nur wenige tun. "was führt dich zu mir? Kann ich dir was Gutes tun?" Ich ganz persönlich hätte mir gerne in dem Moment eine schallende Backpfeife verpasst, allein wegen dem Gedanken, der mir schon wieder auf der Zunge lag. Gut, das man Rotwerden unter einer Binde nicht sehen konnte. So sagte ich nur: "Erinnerst du dich noch an diese beiden Fälle?" Damit legte ich die Akte, die ich hinter mir hergezogen hatte, vor sie und blätterte auf. "Zwei paar Fingerabdrücke. Beide unbekannt, einer davon durch dich als Gefreiter Nander Kirschkuch identifiziert. Beide starben durch einen Ziegelstein. Müssten Abdruck... Moment 432-as-23 und 764-dr-38 sein. Haben wir damals auch Ganzabdrücke der Hände genommen?" Die Lady wühlte den Karteikasten durch, bis sie zur richtigen Stelle kam: "Ja, hat Charlie getan. Wie üblich bei vollständig Unbekannten." Ich nickte und mir wurde klar, dass ich mich schleunigst bei jemanden zu entschuldigen hatte. Es konnte sein, das so ein Teilabdruck, zum Beispiel des Handballens in einem anderen Kriminalfall benutzt wurde. Zumindest dort, wo man keine anderen Anhaltspunkte wie Bekannte hatte, rechtfertigte der Nutzen den Aufwand. Denn so konnte man trauernden Angehörigen zumindest den Zweifel nehmen, was mit ihrem Verwandten passiert war. Die Laborantin schob zwei Abdrücke vor mich auf den Tisch, die ich mit einigen Schritten vermaß. Beide hatten diese frische neue Haut im oberen Bereich der Innenhandfläche. "Sehen gleich aus." meinte sie. Und da fiel es mir wie Schuppen aus den Augen. Sie sahen nicht nur so aus, sie waren es. Es war dieselbe Haut, an beiden Opfern, dieselben Linien... dieselben Lienen! "Wo kamen die Leichen eigentlich danach hin? Nachdem wir fertig waren, meine ich." Ratti zuckte mit den Schultern: "Du kennst unser Platzproblem. Wird wohl jemand abgeholt haben. Dann einbalsamiert und bestattet." Ich musste dringend mit meiner Ausbilderin sprechen. Wenn ich Recht hatte... Gab es die Zeugen nicht, weil sie am Ort des Geschehens gewesen waren. Es war umgekehrt gewesen. Schritt 4: Fazit Nach dem Gespräch mit Laiza war mir nun einiges klar geworden. Sie gab mir die richtigen Bücher und half mir bei der Auslegung. Manchmal sagt ein Bild mehr als tausend Worte. Das Mitglied der Balsamierergilde besorgte die Haut wieder, der Igor nähte sie an und der Troll war für den Notfall da. Sie alle hatten ihr bei der Umsetzung ihres Wissens geholfen: Denn Sula Alrik hatte den Türöffner gefunden, zum Ruhm, Macht und Reichtum, wenn man es nur Richtig anstellte. Alles Glück dieser Welt war für die vier in sichere Nähe gerückt, wenn ihr Experiment denn nur gelang. Denn sie hatte sicher etwas mehr als nur ein paar Unterrichtstunden Prophetie besucht. Prophetie war der Schlüssel. Ich betrachtete noch einmal die Ikonographie der Hand. Eine Linie entsprang zwischen Zeige und Mittelfinger der Hand. Sie lief, fast wagerecht laufend ein paar Zentimeter weit, um dann abrupt in einer Dreiecksgabelung zu enden. Es gab Herzlinien, Linien für Macht, Geld und vieles mehr. Alle zeigten die Zukunft, was passieren wird. Doch nur die wichtigste lag so hoch oben, das sie vollstandig in diesem Hautfetzen übertragen werden konnte: Das Schicksal des Lebens, die Lebenslinie. Wenn es wirklich ein Unfall gewesen war, jeder Tod für sich, gab es nur einen Sinn, warum dieselben Zeugen zugegen waren: Um Zeugen zu sein. Um herauszufinden, ob gelungen war, was sie versuchten. Und es gelang. Sie hatten die Zukunft eines anderen transplantiert. |
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