"Wenn eine Sache, die du tust, nach einer Stunde langweilig ist, gib ihr eine zweite Chance und eine zweite Stunde. Langweilt es noch immer, dann braucht sie vielleicht noch einmal zwei Stunden Zeit um sich zu entfalten. Langweilig? Dann weitere vier Stunden. Dann acht. Plötzlich wirst du erkennen, dass es überhaupt nicht langweilig ist."
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Jimmi Brösel, Wasserspeier und Dichter aus Gennua- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -"Wo steckt Sebulon schon wieder?", wunderte sich Harry, als er in der Wartehalle auf dem Tresen stand und auf seinen Rekruten wartete. "Unpünktlicher Kerl. Keine schlechten Ergebnisse bisher ... eigentlich wollte ich ihn heute mal loben ..."
Der Alte Tom schlug, und mit seinem lauten Schweigen kam auch endlich der Zwerg im Dauerlauf mit klapperndem Werkzeuggürtel in die Wache. Er blieb stehen, keuchte, salutierte umständlich und sagte: "Sir, Rekrut Sebulon, ... Sohn des Samax ... meldet sich -"
Der Gnom winkte ab.
"Jaja, rühr dich, Rekrut. Du bist zwanzig Minuten zu spät dran. Hast du etwas dazu zu sagen?"
Sebulon hob seinen Helm an und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Durch seine Atemlosigkeit brauchte seine Antwort eine Weile, bis sie vollständig war.
"Sir, ... komme gerade ... vom Dauerlauf durch ... Stadt, den Sie ... angeordnet hatten. ... Rest der Truppe müsste gleich mit ... Feldwebel Feinstich eintreffen, Sir ... habe sie am Hiergibtsalles-Platz verloren, als ... einer Gruppe Zombies begegnet sind."
Der Gnom verdrehte die Augen. Als wenn man in einer Gruppe Zombies seinen Feldwebel nicht mehr finden würde. Aber warum ein Dauerlauf am Nachmittag? Richtig, er hatte den Dauerlauf vorgeschlagen ... aber hatte er nicht abgesprochen, dass am Morgen gelaufen werden sollte? Da war irgendetwas schief gelaufen.
"Wie kommt es, dass du da bist, Rekrut, und Feldwebel Feinstich ist noch nicht hier?", bohrte der Ausbilder nach.
Sebulon holte noch einmal Luft und schaffte diesmal seine Sätze ohne Atemunterbrechungen: "Habe mich von einem Karren mitnehmen lassen, Sir, den Rest bin ich gelaufen. Im Handbuch stand: Wenn ein Wächter seine Gruppe verliert, hat er ins Wachhaus zurückzukehren."
"Dir ist sicherlich bewusst, Rekrut, dass ich dich hier sprechen wollte."
"Sir?"
Der Gnom sah den Zwerg an.
"Hast du meine Nachricht nicht bekommen? Ich hatte sie hier auf den Tresen gelegt."
Sebulon dachte kurz nach. Dann sagte er: "Sir, auf dem Tresen lagen, bevor wir losliefen, nur drei Blätter mit Todesanzeigen - und die hat Feldwebel Kleinstich in ihr Büro gebracht." Dann hielt hielt er inne. "Tut sie das häufiger?"
Der Gnom schüttelte den Kopf und kletterte auf Sebulons Schulter.
"Nur wenn jemand Todesanzeigen auf den Tresen legt. Rekrut: wir müssen zum Pseudopolisplatz; den Weg kennst du ja jetzt."
Harry stieg von Sebulons Schulter und reichte ihm drei offiziell wirkende Blätter. "Hier ist eine Liste der Gefangenen, die du heute Nacht betreuen wirst. Den Zellentrakt findest du im Keller. Ich muss noch etwas erledigen, du kommst bestimmt klar?"
Sebulon salutierte und der Gnom verschwand in Richtung der Kantine, die verführerisch nach Kaffee duftete. Langsam und bedächtig schritt er die Treppe in den nur spärlich beleuchteten Keller hinab.
"Wachablösung.", meinte Sebulon, salutierte und versuchte ein Lächeln. "Rekrut Sebulon, Sohn des Samax, meldet sich zum Dienst."
Der Trollrekrut Gorrón sah auf ihn hinab.
"Hmm. Du bist spät dran.", knarrte er und erhob sich langsam.
Der Zwerg schluckte.
"Allerdings isses hier angenehm. Schön ... kühl hier unten. Reden nicht viel, die Ge-Fangenen, weil einer rechnet. Habe im Buch gelesen. Mir Zeit vertrieben."
Gorrón deutete auf ein leicht angegilbtes dickes Buch, das neben dem Wächterstuhl auf einem kleinen Schreibtisch lag, der von einer Kerze erhellt war. Auch sonst standen hier und dort Kerzen im Zelltrakt, um die Dunkelheit einzudämmen.
"Deine Unterschrift ... hier."
Sebulon unterschrieb mit leicht zitternder Hand ein Formular, das bestätigte, er habe seinen Kollegen abgelöst.
"Danke", er sah auf die Unterschrift, "Se-bu-lon Sa-max-sohn. Muss jetzt los.", sagte der Troll, nickte zufrieden und setzte sich in Richtung Treppe in Bewegung. Je mehr er der Wärme des Abends ausgesetzt war, um so einfach wurden seine Sätze. "Habe ver-ab-Redung, bald. Gute Nacht."
Der Zwerg sah ihm staunend hinterher. Trolle waren faszinierende Wesen. Er setzte sich und seufzte. Warum musste ein Zwerg mit Tatendrang auf Gefangene aufpassen, wenn es Wasserspeier und Trolle gab, die sich hier auch noch wohl fühlten?
Er schielte auf das Buch, das der Troll gelesen hatte und seufzte.
"Grühner Daumen, laicht gemachet" von Famir Scheunicht.
[1] Hätte es nicht ein Buch mit mehr ... mit mehr ... Spannung sein können? Natürlich nicht.
Dann würde es nicht mehr hier liegen, sondern wäre schon von einem enthusiastischen Wächter durch ein langweiligeres Buch ausgetauscht worden.Er blätterte es mit dem Daumen durch.
"Wenigstens hat es Zeichnungen.", brummte Sebulon.
Nachdem er die beiden Seiten Einleitung gelesen hatte, gähnte Sebulon, klappte das Buch zu und streckte sich.
Unmöglich., dachte er.
Das zu lesen hält nicht wach, im Gegenteil. Damit könnte man sogar klatschianischen Kaffee wirkungslos werden lassen.Er stand auf, schnappte sich die Liste der Insassen und ging die Zellen ab.
Sebulon las halblaut: "Zelle eins: Spion Salpeter (M.d.g.G.D.d.A.G.
[2], veruhrtteilt wg. Diebstahl und Sprengvers.). Und August Daffel (ehem. stud. UU, zuvor Narrengilde und "Weißhandbande", isset verrückt)."
"Bin ich nicht.", grummelte es aus dem Zwielicht von Zelle eins.
Erschrocken sah sich Sebulon um. Er hatte nicht damit gerechnet, dass tatsächlich jemand in den Zellen wach war.
"Was meinst du, Herr ..."
"August Daffel, Herr. Stets zu Diensten. Ich bin nicht verrückt."
"Ach, tatsächlich?", fauchte es aus Zelle fünf.
"Ja, tatsächlich. Was kann ich dafür, wenn mich keiner versteht?"
Aus Zelle vier kicherte eine hohe Stimme: "Ich verstehe dich."
"Prima. Jetzt zwei verrückt.", rumpelte es aus Zelle zwei.
"Mich würde es wundern, wenn hier außer mir auch nur einer normal wäre.", brummte es aus Zelle drei. "Wenn ihr jetzt bitte leise sein würdet: Ich muss rechnen."
Sebulon runzelte die Stirn und sah auf die Liste. Das musste wohl "Zelle drei: Anthus Mathus (M.d.Math.G., kanne rechnen aber isset trotzdem hier)" sein. Er teilte sich die Zelle mit "Abraham Klump (Schmied, hat Dienstmarken gefältscht)"
Aus dem Schweigen, das sich anschloss, folgerte der Zwerg, dass Anthus Mathus ein gewisses Ansehen unter den Insassen genoss. Warum sollte gerade Sebulon die frisch gewonnene Ruhe stören?
Schweigend las er die Informationen von seiner Liste.
In Zelle zwei saßen laut diesen Angaben ebenfalls zwei Gefangene ein: ein Alchimist namens Christos Pflaum und der Troll, der sich vorhin schon zu Wort gemeldet hatte. ("Töpfer, diehlt mit Platte, machtgiehrig")
Sebulon zuckte mit den Schultern.
Jeder braucht ein Hobby, dachte er sich und ging weiter zu Zelle vier.
"Achmed (halb Vampir, kanne nicht fliehgen, ehem. Assassine, vers. Mord) ..."
Ein Assassine mit versuchtem Mord?, dachte er.
Der Wächter schmunzelte und las weiter: "... und Pepkin (Assass., vers. Mord)."
Er grinste und unbewusst sprach er seine Gedanken aus: "Meine Güte, zwei Assassinen, die einsitzen, weil sie es nicht geschafft haben zu töten."
"Junge, du spielst mit deinem Leben.", fauchte Pepkin. "Ich habe die Zeit hier drin genutzt und beherrsche jetzt elf neue Tötungstechniken. Wenn du so redest, bekomme ich Lust, sie alle auszuprobieren."
"Du kannst nicht wissen, ob sie funktionieren.", kicherte die hohe Stimme von Achmed.
"Nur, weil du noch immer lebst, Halbblut?", gab Pepkin zurück.
"Weil jeder von uns noch lebt, Blödmann.", brummte Abraham Klump aus Zelle drei. "Aber das kann sich ändern. Ruhe jetzt, Antus rechnet."
Sebulon schluckte. Ihm war es deutlich lieber, wenn diese Leute schwiegen; dann stießen sie wenigstens keine Morddrohungen aus.
"Zelle fünf: Robert Rübe", flüsterte er und hoffte, dass es leise genug war. "(Magier, wahns., bekommt bes. Zuw. von TMSIDR)"
Für einen Moment dachte der Zwerg nach, dann fiel ihm der Name wieder ein. Robert Rübe. Er hatte davon gehört, dass Rübe eine Seuche in der Stadt auslösen wollte, indem er Würstchen benutzte. Sebulon schauderte bei dem Gedanken daran, wie die "besonderen Zuwendungen" von Schnapper aussehen würden.
[3]Der Wächter dachte über die Alternativen nach. Mit den Insassen reden und selbst wahnsinnig werden - oder
"Grühner Daumen, laicht gemachet" lesen und wahnsinnig werden.
Er entschied sich für das Buch, denn das schien ihm nicht direkt lebensgefährlich.
... Er wird wegen seiner süßen Früchte, die man auch Süßsack nennt, angebaut. Die hellgrünen Blätter sind etwa zwei Ellen lang und besitzen Blattadern, die leicht vertieft angeordnet sind. Dadurch entsteht der Eindruck eines welligen Blatts, das entfernt an die Chryssiopeya Chryssa erinnert. Ein Gimbobäumchen, das keine Früchte angesetzt hat, ist optisch wenig auffällig und könnte genausogut eine beliebige Pflanze aus den Spitzhornbergen sein ...[4] Sebulon gähnte. Selbst ein Buch über Pflanzen musste doch an einen Punkt kommen, an dem es wenigstens für den Autor interessant wurde! Das konnte doch nicht ewig so weitergehen?
Er blätterte um.
... die Früchte besitzen entweder Ausbuchtungen, die aussehen, als ob von innen jemand mit einem spitzen Gegenstand in Blech gehauen hätte (siehe Bild), oder aber facettenartige Abplattungen.Doch, konnte es.
Der Zwerg legte das Buch aufgeschlagen auf den Tisch.
So ein nichtssagendes Stück ... Nachschlagewerk war genau das, was er jetzt nicht brauchte. Er hatte sich sogar durch das Verfassungsbuch der Schmiedegilde gequält und auch das eine oder andere unnütze Wissen behalten - aber das hier, das schlug alle anti-Rekorde.
Er sah etwa eine Minute lang die Wand an.
"Japp, Mauersteine zählen ist spannender.", brummte er.
Ein leises Zischen aus Zelle fünf ließ Sebulon aufhorchen.
"Psst!", machte es. "Psst, Junge! Ja, hier drüben."
Langsam ging er näher zur Zelle.
"Junge," flüsterte die Stimme, "hast du Lust, dir etwas dazuzuverdienen?"
Sebulon schluckte.
"Herr ... Rübe, nicht wahr?"
"Leise, Junge. Ja, Robert Rübe. Ich würde gerne etwas richtiges essen. Etwas leckeres. Ganz normales Wächteressen.
[5] Zwei Dollar für einen Teller?"
"Ich darf nicht, Herr Rübe. Ich muss hier bleiben und warten, bis meine Wachablösung kommt."
"Ruhe da drüben!", donnerte Abraham Klump aus Zelle drei. "Wenn hier nicht bald Ruhe einkehrt, dann muss ich das wieder ausbaden."
Sebulon wusste nicht,
was der ehemalige Schmied ausbaden musste, aber wenn diese Kriminellen nur halb so gemein wie anstrengend waren, dann hatte er allein schon von seinem Zellengenossen genug zu befürchten.
Als er sich gerade umdrehen und zum Schreibtisch zurückschleichen wollte, streckte sich lautlos eine Hand aus Zelle fünf, und zwei Münzen blinkten im schwachen Widerschein der Kerzen.
Sebulon dachte einen Moment lang nach, dann schüttelte er den Kopf. Das konnte er nicht tun. Nicht einmal für einen Rattenkuchen hätte er heute seinen Dienstplatz verlassen, denn er wollte seinem Ausbilder beweisen, dass er einen Befehl vom Anfang bis zum Ende korrekt ausführen konnte.
Er seufzte so leise wie möglich und ließ sich wieder auf den Stuhl fallen, der von den verschiedenen Wächteruniformen der letzten Jahre auf der Sitzfläche abgenutzt war.
..., jedoch die Blüten von Quadrikantien (Vierasterblumen) sind unscheinbar. Die rotlaubige Art ist behaart (Bild) und bleibt recht klein. Wechselt man die Lichtverhältnisse, so wechselt die Quadrikantie nach zwei Tagen ebenfalls die Farbe: an sonnigen Plätzen wird sie komplett gelblich und die Blütenfarbe ändert sich zu einem satten rosa. Sollte ...Der Wächter rieb sich die Augen und beschloss, das Kapitel zu wechseln.
Im Inhaltsverzeichnis fand er eine Überschrift die einen gewissen Unterhaltungswert versprach. Er überflog die Seite vorsorglich nur, um nicht schon von der Einleitung zurückgeschreckt zu werden.
Fleischfressende Pflanzen des Wiewunderlands
... weil sie Fleisch fressen ... dazu gehören Insekten wie ... seltener kleine Säugetiere ... unbestätigte Gerüchte, dass Menschen oder gar Trolle ... bevorzugt auch nachts, sofern ...
Die Gemeine Wanzenpflanze. (Roridula)
Die Gemeine Wanzenpflanze ist ein seltsames Ding. Sie fängt zwar Insekten, verdaut sie jedoch nicht. Eine interessante Zwischenexistenz pflegt sich bei denjenigen Wanzenpflanzen zu finden, die ihren Fang indirekt durch eine Sühmbose verwerten. Solche nutzen die Ausscheidungen von den sühmbotisch mit ihr lebenden Wanzen und Spinnen als Blattverdünger.Das war nicht nur unglaublich langweilig, es war auch geschmacklos.
"Und was ist mit den am Wegrand stehenden Zwergbeißern, von denen meine Mutter mir immer erzählt hat?", brummte Sebulon. "Warum stehen die hier nicht?"
In diesem Moment hörte er einen heiseren Aufschrei, gefolgt von einem dumpfen Aufschlag aus Zelle drei.
Gut, das Buch war langweilig, aber wollte er tatsächlich Ärger während
seiner Schicht? Er hatte leider keine Wahl; er musste nachsehen, was passiert war.
Der Zwerg stand langsam auf und näherte sich dem Monster, das hinter den Gitterstäben schnaufte. Es hatte den Schmied ohnmächtig geschlagen. Als es zu reden begann, blieb er stehen.
"Kann ... ich ... nicht ... EINMAL! eine Rechnung bis zum Ende bringen, ohne dass mich irgendein HIRNVERBRANNTER Idiot davon abhält?"
"Das nicht gut.", knarrte der Troll aus der Nachbarzelle.
"Ganz ruhig, Anti.", flüsterte Pepkin aus Zelle vier.
"Wird alles wieder gut.", fügte August Daffel aus Zelle eins hinzu.
Der Tonfall von Antus Mathus wurde schlagartig sanft und eine endlose Traurigkeit schwang in seiner Stimme mit.
"Ich meine, ist es denn zuviel verlangt, einen Mann in einer dunklen Gefängniszelle seine geliebten Zahlen bis zum Ende verfolgen zu lassen, die nur darauf warten, ja geradezu darauf brennen, ihm zu sagen, was das Ergebnis seiner monatelangen mühsamen Forschung sind? Hmm? Ist es das?"
"Beruhige dich, Anti ..."
"Ist schon alles nicht so schlimm ..."
"Wir kriegen das wieder hin ..."
"Denk an deinen Blutdr..."
"IST ES DAS?"
Ein dünner, heller Arm schoss aus Zelle zwei, griff Sebulon am Kragen der Uniform und zog ihn eisern an die Gitterstäbe. Er konnte den Atem des irren Mathematikers auf seiner Wange spüren, als der ihm ins Ohr flüsterte: "Ist es das?"
"Nein.", quiekte Sebulon zitternd und versuchte sich aus dem Griff zu lösen. "Nein, ist es nicht, Herr. Ganz sicher nicht, Herr."
"Gut.", sagte Antus und ließ den Zwerg los. "Und jetzt Ruhe, ich muss arbeiten."
Aus den angrenzenden Zellen vernahm der Wächter ein erleichtertes Aufatmen und auch er selbst war durchaus froh, diesem Kerl noch einmal entkommen zu sein.
"Meine Güte.", dachte Sebulon und setzte sich, noch immer zitternd, auf den Wächterstuhl.
"Wenn der einen Schmied mit einem einzigen Schlag ins Traumland schicken kann, wenn er aufgebracht ist, dann möchte ich ihn nicht erleben, wenn er ausrastet."Nach zehn Minuten Stillsitzen und Mauersteinezählen hatte sich sein Herzschlag so sehr beruhigt, dass er ihn nicht mehr in den Füßen spürte.
Weitere zehn Minuten bewirkten, dass er wieder ruhig atmen konnte.
Er schaffte es, für mehr als dreißig Minuten ruhig zu sitzen und die Wand anzustarren, bevor ihm die Augen zu fielen.
"Psst, Sebu. Äh ... wach auf.", flüsterte eine Stimme und holte Sebulon zurück in die Realität.
"Hmm?", fragte der und sah in das unscharfe Gesicht von Braggasch Goldwart.
Der Zwerg streckte sich und rieb seine Augen. Vor ihm stand sein bester Freund, dem man kaum ansah, dass er ebenfalls ein Zwerg war.
[6]"Was machst du denn hier unten?", fragte der müde Wächter und gähnte.
"Äh ... dir den Hals retten, offensichtlich. Du hast geschlafen. Mann, wenn Harry dich so erwischt hätte ..."
"Danke, zu gütig.", brummte Sebulon und lächelte. "Etwas nette Gesellschaft kann ich jetzt gut gebrauchen."
"Ich bin nicht ... äh ... für lang hier. Sollte eine Streitaxt im RUM-Fundus abliefern, Mann war das ein Geschleppe. Und ... äh ... Harry hat gemeint, wenn ich schon hier bin, soll ich kurz bei dir vorbeischauen und bescheid sagen, dass deine Ablösung in drei Stunden kommt."
Mit einem mal war der müde Zwerg sehr munter.
"Was? Ich habe mehr als die Hälfte meiner Schicht verschlafen? Geschliffen und verflaxt, ein Glück, dass nichts passiert ist."
"Äh, sag mal ...", begann sein Freund unsicher.
"Du flüsterst besser weiterhin; die Gefangenen mögen Lärm nicht.", wisperte Sebulon.
"Ja. Äh ... also, wenn du eine dicke Tür aus Eichenholz öffnen wolltest, wie würdest du's machen?"
"Warum fragst du? Bist du nicht der Türenspezialist von uns beiden?"
"Äh ...", druckste Braggasch rum, "Ich kenn mich ja nur mit Schlössern aus ... naja ... und darum interessiert mich so prinzipiell, wie eine Tür zu öffnen wäre, wenn das Schloss auf meiner Seite ... verkleistert wäre."
"Hmm. Also eine dicke Eichentür?"
"Ja."
"Die würde ich aufstemmen, denke ich, wenn ich nicht an die Scharniere rankomme."
Braggasch nickte. "Wenn du die aufstemmen wolltest, und die Scharniere sind auf der anderen Seite, wie würdest du das machen?"
"Tja," meinte der Sohn von Samax nachdenklich, "mit Burlich's Stemmeisen Nr. 6 aus Trollbackenkupfer, denn was härteres kriegst du nicht. Und mit einem Troll, der es stemmen kann. Vermutlich. Aber ich würde, wenn ich sie schon öffnen muss, eher das Schloss aufbohren, weil ich ja keine Ahnung hab, wie es um die Scharniere bestellt ist. Das Stemmeisen also nur dann, wenn es schnell gehen muss."
"Danke.", sagte Goldwart und nickte geistesabwesend.
"Bitte ... aber wie kommst du du drauf?"
"Äh ... nur so. Muss jetzt wieder los.", wich Braggasch aus. "Wir sehen uns dann in drei Stunden im
Gesprungenen Auge im Hafenviertel? Ich geb einen aus."
Sebulon nickte verwundert, der andere Zwerg winkte und verschwand wieder.
Ein wenig ärgerte sich er sich schon, dass sein Freund ihn aufgeweckt hatte. So musste er sich weitere drei Stunden lang die Zeit vertreiben.
Träge nahm er die Liste, ging die Zellen entlang. Alle noch da. Die meisten schliefen, der Schmied war noch immer ohnmächtig und der Mathematiker rechnete. Alles in bester Ordnung.
Gemächlich ging er zurück zum Schreibtisch, setzte sich und nahm sich wieder das Buch vor. Er überflog einige Seiten, las hier und da etwas interessierter und konnte doch keine rechte Spannung zu
"Grühner Daumen, laicht gemachet" aufbauen, bis er las:
"Intelligentes Birnbaumholz ist ein Überbleibsel aus den Magischen Kriegen. Es handelt sich um eine Pflanze, die auf der Scheibenwelt fast ausgestorben ist. Intelligentes Birnbaumholz ist völlig resistent gegen jede Art von Magie, aber gleichzeitig selbst hochgradig magisch, deshalb werden aus Intelligentem Birnbaumholz unter anderem auch Zauberstäbe gemacht - jedoch nur wenige, denn Intelligentes Birnbaumholz ist in den Gegenden um das Runde Meer ebenso selten wie Oktiron. Im Achatenen Reich scheint es allerdings größere Vorkommen zu geben, da man dort sogar Gepäckstücke daraus anfertigt."Das war doch mal interessant. Holz, das magisch war. Wenn man da ran kam, konnte man vielleicht eine selbstspannende Armbrust konstruieren. Oder einen von alleine laufenden Rammbock. Oder hölzerne Sohlen für seine Stiefel, die für ihn dann die Witterung von Verbrechern aufnahmen und auch verfolgen konnten. Vielleicht lohnte es sich, wenn er bei den Gildenjungs ... diesen ... DOGs nachfragen würde, ob sie ihn mal in die Unsichtbare Universität mitnehmen würden. Vielleicht konnte er da mehr über Intelligentes Birnbaumholz rausbekommen; denn dieser Artikel reichte nicht aus, um seinen Wissensdurst zu befriedigen.
Wie alt wurde so ein Birnbaumholzbaum? Was passierte mit den magischen Birnen? (Oder waren die gar nicht magisch?) Wie viel von einem Gerät musste aus intelligentem Birnbaumholz sein, um die gewünschten Effekte zu erzielen?
"Intelligentes Birnbaumholz.", murmelte Sebulon.
"Was meinst du, Kleiner?", zischte es aus der ersten Zelle. "Ich dachte, ich hätte 'intelligentes Birn-baum-holz gehört ...'"
Sebulon stand auf und näherte sich langsam und vorsichtig der Zelle. Die Erinnerung an die letzte Begegnung mit einem Gefangenen hing ihm noch in den zitternden Knochen.
"Was weißt du darüber?" fragte der Zwerg so leise wie möglich. Seine Stimme zitterte vor Aufregung.
"Hmm ... so dies und das. Was man eben an der Universität darüber lernt."
"August Daffel heißt du, nicht wahr?"
"Und ich bin nicht verrückt."
"Natürlich. Was kannst du mir über intelligentes Birnb...?"
"Psst.", machte August. "Wir wollen doch nicht, dass die anderen aufwachen."
"Richtig. Entschuldige."
"Und das ist nicht ganz kostenlos für dich. Wissen ist Macht und sollte dir schon etwas wert sein."
Sebulon sah erstaunt in die Dunkelheit der Gitterstäbe von Zelle eins.
"Aber ... was habe ich denn, was ..."
"Das Buch."
"Was?"
"Das Pflanzenbuch. Hier drin ist es schrecklich langweilig. Wenn ich dir alles sage, was ich über das Holz weiß, gibst du mir dann das Buch?"
Der Wächter dachte nach. Das war Eigentum der Wache. Er konnte doch nicht Wacheigentum einfach einem Gefangenen schenken! Allerdings könnte er sich so einen Gang zur Universität sparen. Vielleicht wusste Daffel auch, wo er solches Holz finden konnte ...
"Nun ..."
War es eine Straftat, ein Buch zu verschenken, dass einem nicht gehörte?
"Heureka!", rief Antus Mathus aus Zelle drei.
August Daffel runzelte die Stirn und kratzte sich am Kopf. "Du möchtest ein Handtuch, Anti?"
"Nein, Idiot. Ich bin fertig mit meiner Rechnung."
Leises Knacken hallte durch den Gefängnistrakt, als sich der Mathematiker streckte und aufstand.
"Soso ... hast du etwas interessantes herausgefunden?", fragte Pepkin aus Zelle vier.
"In der Tat."
Alle Gefangenen waren auf einmal wach und hingen mit den Ohren an den Gitterstäben.
[7]"Die Chance für meine Flucht aus diesem elenden Plätzchen sinkt nicht mit den Jahren, sondern sie steigt. Das bedeutet, dass ich in der nächsten Woche ausbrechen kann. Und niemand kann etwas dagegen unternehmen. Der Plan ist perfekt."
Aus den Zellen hörte Sebulon Applaus.
Die Gefangenen applaudieren einem verrückten Rechner, dachte er.
Vermutlich wissen sie, was passiert, wenn sie sein Ergebnis nicht würdigen. Nervös lächelte der Zwerg und klatschte ebenfalls.
"Vielen Dank.", sagte Antus und verneigte sich. "Wenn ich jetzt um Ruhe bitten dürfte?"
Schlagartig wurde es still und ein Klatscher von Sebulon allein hallte im schlecht beleuchteten Gang wider.
"Ich muss schlafen.", sagte, der Mathematiker. "Wir sollten alle etwas schlafen. Das wird eine anstrengende Woche. Gute Nacht."
Als Sebulon sich Zelle eins wieder zugewandt hatte, sah er nur die Dunkelheit. Kerzen wären an diesem Ort wirklich angebracht, fand er.
"Hey, psst!", machte der Wächter. "Psst, Daffel."
Keine Antwort.
"Psst, du kriegst das Buch!", wisperte er eindringlich. "Was weißt du über intelligentes Birnbaumholz?"
Die einzige Antwort war ein leises, rhythmisches Schnarchen aus der Zelle. Scheinbar hatte sich der Gefangene kurzerhand zu einem Nickerchen entschlossen.
Der Wächter ließ die Schultern sinken, schüttelte den Kopf und wunderte sich über die Verrücktheit der Welt. Warum hatten die Götter die Menschen, Zwerge, Trolle und alle anderen mit einer Neigung zum Wahnsinn erschaffen? Wieso konnte alles nicht etwas einfacher sein? Die Flüsse beispielsweise. Warum flossen sie bergab? Weil es einfacher war. War es für Bürger einer Stadt einfacher, dem Wahnsinn zu verfallen, als der Wirklichkeit ins Auge zu sehen?
Von solchen Gedanken bekam er Kopfschmerzen. Er gähnte. Wie lange war er jetzt schon hier unten?
Er setzte sich an den Schreibtisch und sah das Buch an.
Vielleicht sollte er doch noch einmal ein paar Seiten lesen, um wach zu bleiben.
Sebulon hielt inne, als sich eine kalte Hand auf seine Schulter legte.
"Na, wie ist es so hier unten?", fragte ihn eine Frauenstimme.
Sehr langsam drehte sich Sebulon um und erstarrte erneut. Eine Frau stand tatsächlich vor ihm. Seltsam waren nur ihre spitzen Zähne und ihr blasser Teint. Der Wächter stand auf und durchforschte in Gedanken seinen Werkzeuggürtel, ob er nicht etwas spitzes Hölzernes dabei hatte.
"Wer bist du und was machst du hier?", fragte Sebulon und hob seine Hand so unauffällig wie möglich zu seiner hölzernen Messlatte am Gürtel.
Die Vampirin salutierte. "Rekrutin Lyndia." Dann lächelte sie und machte einen Knicks. "Stets zu Diensten."
Verlegen grinste der Zwerg und salutierte dann ebenfalls umständlich. Er reichte ihr die Hand.
"Rekrut Sebulon, Sohn des Samax. Schön hier etwas Gesellschaft zu bekommen ..."
"Ruhe!", rief eine hohe Stimme aus Zelle drei.
"... denn mit diesen Leuten die Zeit zu verbringen, das ist eher ... anstregend.", flüsterte Sebulon.
"Gesellschaft?", hauchte die Vampirin dem Zwerg zu und setzte sich auf den Tisch.
Sebulon schluckte bei dem Anblick der schönen Frau und wurde rot.
"Eigentlich bin ich deine Wachablösung.", flüsterte sie und zwinkerte ihm zu.
"Soso ... nun, also ..."
"Aber du könntest noch etwas bleiben und mir die Zeit ..." Sie leckte sich die Lippen. "... versüßen."
"Weißt du ... ich muss ... also ... Braggasch wartet auf mich ... und ... bin schon so lange hier unten ... weißt schon ... ähm ... bitte unterschreib hier.", brachte der Zwerg stotternd hervor und hielt ihr den Ablösungsbescheid hin.
Sie unterschrieb betont gelassen und reichte dem Zwerg das Blatt zurück. Dann zwinkerte sie ihm zu.
"Vielleicht hast du ja ein andermal Zeit für mich."
"Ja ... weißt du ... vielleicht ... ich muss los.", brabbelte Sebulon und schnappte sich seinen Helm. "War nett, dich ... kennengelernt zu ... bis bald."
Und mit diesen Worten schoß der Zwerg die Treppe hinauf.
"Wie ist es gelaufen?", fragte Braggasch, als Sebulon ins
Gesprungene Auge stolperte, sich an seinen Tisch auf einen Stuhl fallen ließ und schwer atmete.
Der Zwerg schnaufte mehrmals, bevor er zu antworten versuchte.
"Bier. Viel Bier.", sagte er und sah seinen Freund verzweifelt an.
"Kein Problem, ich, äh, lade dich ein. Trink erstmal meins, ich hab noch nicht angefangen. Du hast bestimmt auch Hunger, oder?", meinte Goldwart und rief der Bedienung eine umfangreiche Bestellung zu.
Sebulon trank den Humpen in einem Zug leer, schnaufte noch einmal und sah dann seinen Freund an.
"Seit wann bist du so spendabel? Warst du nicht gestern noch total blank?"
Braggasch grinste und legte ein paar Dollar auf den Tisch.
"Lange Geschichte, Sebu. Ich musste einen Troll namens Gorrón überreden mir dankenswerterweise zu helfen. Äh ... erzähl ich dir ein andermal. Hat sich aber gelohnt."
Sebulon legte seine Stirn in Falten. Dann zuckte er die Schultern.
"Ein andermal. Auch gut. Tja, wo soll ich anfangen? Während meiner Schicht hat ein Gefangener einen anderen niedergestreckt, ich habe etwas Interessantes über eine bestimmte Pflanze gelesen, ich muss morgen früh dem Oberstabsspieß Bescheid geben, dass der Zellentrakt in der nächsten Woche besonders gesichert werden sollte ... und ..."
Er wurde rot, als er an die schöne Vampirin dachte.
"Der Reihe nach. Was passierte denn zuerst?", fragte Braggasch neugierig und sah seinen Freund aufmunternd auf.
Die Bedienung stellte weitere große Bierkrüge auf den Tisch. Dankbar griffen beide Zwerge danach und Sebulon nahm einen großen Schluck, bevor er sich räusperte.
"Also ... es fing damit an, dass ich vom Dauerlauf mit Feldwebel Feinstich zurück in die Wache kam und Harry traf ..."
[1] 412 Seiten geballte Gartenliebe. Der Inhalt lässt sich so zusammenfassen: Du hast noch nie eine Pflanze gesehen? Ich auch nicht, kenne mich aber trotzdem aus - und darum wirst du ein toller Gärtner in 80 Tagen, wenn du alles so machst, wie es hier beschrieben wird. Das Buch hatte eine Auflage von 700 Exemplaren; 600 blieben unverkauft. 81 kamen per Reklamation an den Verlag zurück, der Rest verstaubte in Bibliotheken auf der ganzen Scheibenwelt. Ein einziges wurde regelmäßig gelesen und das lag im Kerkertrakt der Wache.
[2] "Mitglied des geheimen Geheimdienstes der Alchimistengilde". Die Wache neigt tatsächlich erstaunlich oft zu unverständlichen Abkürzungen.
[3] Tatsächlich bestanden sie darin, dass Herr Rübe die Würstchen von Schnapper vorkosten durfte. Beziehungsweise: musste. Nur selten schaffte er ein ganzes Würstchen. Es wurde in der Wache sogar gemunkelt, dass ihm Schnapper besondere Anfertigungen brachte, die garantiert einen Brechreiz auslösten.
[4] Offensichtlich hatte das Buch selbst einen guten Zweitkorrektor, der Umschlagtext jedoch nicht.
[5] Der Mann musste keine Ahnung haben oder verzweifelt sein.
[6] Bis auf die Körpergröße natürlich. Sehr unzwergisch waren allerdings seine Neigung zu Feinmechanik und die blondgelockten Haare.
[7] Außer dem Schmied natürlich, dem später niemand erzählen wollte, was Antus herausgefunden hatte.
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