Bisher hat keiner bewertet.
Wenn ein Auszubildender alles gelernt hat was er wissen muss wird er als letzte Prüfung mit der schmutzigen Realität konfrontiert.
Dafür vergebene Note: 9
Sanfter Sommerwind strich durch sein Haar, sein Kopf ruhte friedlich auf einem dicken Mooskissen in dem einige Kellerasseln zuhause waren. Die Sonne brannte auf seinen Bauch, früher wäre er sofort in den Schatten gegangen, heute störte ihn das nicht, überhaupt störte ihn nicht mehr viel. Auch die Stacheln der Brombeeren, die dort wucherten wo sein rechter Arm lag, störten ihn nicht im Geringsten und während sich ein Schwarm Singvögel über die reifen Beeren an ihren Ranken hermachten ließ ihn das völlig kalt. Sein linker Fuß lag im Schatten an einer Stelle wo der Untergrund etwas weicher war, dort wimmelte es von Leben. Das rechte Bein steckte tiefer im Schlamm. Krähen kreisten über ihm.
Der Leichenfundort hatte dafür gesorgt, dass die Nachtschicht den Toten für die Tagschicht hatte liegen lassen, wahrscheinlich mit der Ausrede nachts sei es viel zu gefährlich. Natürlich vollkommen zu Recht. Bei der Tagschicht war der Fall dann von einem Tatortwächter zum nächsten gegeben worden, immer weiter herunter in der Hackordnung, so dass er dann am Ende beim letzten Auszubildenden angekommen war, der Person, die sich nicht mehr drücken konnte. Die letzte Auszubildende Korporal Magane seufzte tief und verließ den Raum, den sie dank ihres einnehmenden Wesens als ihr Büro bezeichnete. Immer hatten andere Schreibtische in ihrem Büro gestanden aber Tatortwächter hatten die angenehme Eigenart meistens an Tatorten zu sein und damit keine intensivere Beziehung zu ihrem Arbeitsplatz im Wachhaus aufbauten.
Auf dem Weg zum Tresen trank sie ihren lauwarmen Kaffee aus, knallte dann, am Tresen angekommen, die Tasse auf den selbigen und beglückwünschte einen der drei diensthabenden Rekruten dazu sich freiwillig gemeldet zu haben. Sie schickte ihn in den Stall um Fredericke - zu erkennen daran, dass es das einzige alte, dünne, schwarze Pferd im Stall ist - anzuschirren und den S.u.Si.-Karren - zu erkennen an der blauen Schrift auf braunem Grund an der Seite - vorzufahren. Derweil ging Magane nochmal rauf in ihr Büro um das S.T.A.U.B. zu holen, das sie natürlich mal wieder vergessen hatte. Tatortwächter haben zwar keine schwere Aufgabe, aber dafür schweres Equipment.
Als sie wieder herunter kam stand kein Karren vor der Tür, seufzend sing sie in den Stall um herauszufinden was da los war. Der Rekrut hatte das Pferd angeschirrt, das richtige Pferd an den richtigen Karren und stand nun ratlos davor und fühlte sich sichtlich unwohl. Magane verzichtete darauf ihn anzumotzen, erfahrungsgemäß kam man damit auch nicht weiter als mit Freundlichkeit.
"Aber Mä'äm, ich kann doch gar nicht Karren fahren."
Das konnte ich damals auch nicht, gestand sich Magane im Stillen ein, sagte dann aber: "Was lernt ihr eigentlich bei G.R.U.N.D.?"
Sie drückte dem Rekruten das S.T.A.U.B. in die Hand und setzte sich auf den Bock, es blieb nichts anderes als selber zu fahren.
Der Leichenfundort hatte es leider nicht geschafft die Schaulustigen abzuhalten, manchmal fragte sich Magane warum die Bürger der Stadt diese extreme Neugierde aufwiesen, dass dieser Geruch, der sogar den Aasfressern die Tränen in die Augen trieb, sie nicht abzuschrecken vermochte. Wenigstens standen die meisten Zuschauer auf der Brücke und besahen sich das zugegebenermaßen ruhige Spektakel von oben. Das einzig Aufregende was die Wächter bei ihrem Eintreffen feststellten war, dass sich einige Krähen an einer Stelle in der Mitte des Flusses versammelt hatten und lautstark stritten. Die Tatortwächterin parkte den Karren am Ufer und sah sich um. Der Ankh war sommerlich erstarrt und dicht bewachsen, Löwenzahn, Schafgabe und Hahnenfuß blühten in den Grasbüscheln, an den Rändern wucherten Brom- und Himbeeren, die voller Früchte hingen - findige ankh-morporker Hausfrauen kochten aus ihnen die berühmte Ankhmarmelade, die überall dort eine Delikatesse war wo man den Ankh noch nicht gerochen hatte - und blühender Klee zog Insekten in großer Zahl an. Selbiges traf auch auf die verstreuten Leichenteile zu, wenn sie nicht bald eingesammelt werden würden, würden sie wohl von selbst davon kriechen.
Magane widerstrebte es zutiefst auf dem Fluss Spuren zu sichern, aber sie hatte keine Wahl und somit blieb ihr nur zu hoffen, dass die Kruste sie trug und fest genug war, damit die Krustenbrecherfrösche sie in Ruhe ließen. Sie rief sich die Reihenfolge ins Gedächtnis, holte das Klebeband (der Untergrund taugte nicht zum Umrissezeichnen mit Kreide), die Nummernschilder und den Ikonographen aus dem S.T.A.U.B. und begann mit aller gebotenen Vorsicht die Leichenteile zu suchen und sichern.
Der Rekrut stand derweil am Ufer und beobachtete sie, er war keine große Hilfe, wie auch, den Tatort durfte er nicht betreten, den Karren konnte er nicht lenken, vielleicht konnte er später wenn die Spuren soweit gesichert waren beim Einsammeln und Verpacken helfen. Der Grünschimmer um seine Nase deutete darauf hin, dass er nicht von hier war und das Entsetzen, das sich auf seinem Gesicht ausbreitete, als in Ufernähe wo die Kruste durch die langsame Bewegung des Flusses nicht ganz so fest war, ein Krustenbrecherfrosch aus dem Fluss brach und eine unvorsichtige Krähe angriff, sprach Bände. Magane hatte so was auch noch nie gesehen, aber das Tier selber war ihr schließlich nicht fremd, mit einem Lächeln wandte sie sich wieder dem Umriss des Torsos zu den sie grade auf die Kruste klebte. Danach stellte sie das Nummernschild mit der 1 neben den Torso und machte drei Ikonographien aus verschiedenen Blickwinkeln, bevor sie sich nach dem nächsten Teil umsah. Fußspuren gab es nirgendwo, sie würde sich wohl später damit befassen müssen wie der Tote hier hingekommen war, oder vielleicht überließ sie das auch den Ermittlern. Die Teile des unbekleideten Toten waren also im Moment die einzigen Spuren in diesem Fall, es war wie ein Puzzle, nur dass es keinen Spaß machte.
Die Krähen die sie bei ihrer Ankunft hatten beobachten können waren inzwischen verschwunden und hatten ihre Beute, den Kopf des Mannes zurücklassen müssen, natürlich nicht ohne sich die besten Teile zu sichern. Wenigstens konnte er sie jetzt nicht mehr anstarren wie es die meisten gewaltsam Verstorbenen taten. Mit den starren blicklosen Augen der Toten war Magane noch nie klargekommen, und selbst als Ermittlerin, wo sie dauernd damit konfrontiert worden war, hatte sie nicht gelernt wie man die toten Augen aus seinen Träumen fern hielt. Beim Zeichnen der Kontur fielen ihr die Maden an der Schnittstelle auf, die waren sicher wichtig für die Liegezeitbestimmung, vermutlich kannte sich einer der Pathologen oder Laboranten damit aus, sie jedenfalls nicht.
Allein schon, das Umrisse zeichnen und Ikonographieren war eine anstrengende und langwierige Aufgabe, der Korporal suchte bis sie alle Teile gefunden hatte. Am Ende hatte sie ein vollständiges Opfer an 7+1 Fundstellen und dazu eine angeätze Axt an der 9. Fundstelle, die ihr zunächst nicht aufgefallen war, da das Axtblatt anscheinend die Kruste durchschlagen hatte. Als nächstes wollte sie eine Ikonographie von der Brücke herunter machen um den gesamten Fundort im Überblick sehen zu können. Sie machte sich auf den Weg nach oben. Die Ankhbrücke war als letzte Brücke vor dem Flusstor nicht grad der beste Punkt für das städtische Straßentheater, daher stellte es für Magane kein großes Problem dar sich einen Weg durch die obligatorischen Schaulustigen zu bahnen und an einen der guten Plätze am Geländer in der Mitte zu kommen. Dort machte sie die Aufnahme von der sie sich Erleuchtung erwartete. Das Muster sah sie von oben auf den ersten Blick, von unten war es nicht zu erkennen gewesen, aber aus diesem Blickwinkel drängte es sich geradezu auf. Bis auf den Kopf waren alle Teile des Opfers und auch die vermeintliche Tatwaffe in einem Kreis angeordnet, der Kopf lag genau in der Mitte dieses Kreises. Aber war es wirklich ein Kreis? Die 7+1 Außenkoordinaten deuteten auf eine andere Sichtweise hin.
"Foto, du bist doch der beste Ikonographendämon der Wache, richtig?"
Natürlich war er das nicht, aber mit ein bisschen Feingefühl konnte man Dämonen gegeneinander ausspielen so dass sie sich erbittert bemühten besser zu sein als ihre Artgenossen. Der Dämon piepste zustimmend.
"Bist du in der Lage oktarin zu sehen?"
Wieder ein zustimmendes Piepsen, das hatte sie auch nicht anders erwartet, schließlich waren sie magische Wesen.
"Siehst du dort unten was oktarin?"
Nochmal ein Piepsen, Ikonographendämonen verfügten nicht über genug Fantasie zum Lügen.
"Könntest du das was du oktarin siehst auf dem nächsten Bild weiß mahlen, damit Menschen das auch sehen können?"
Er piepste wieder und machte sich ans malen. Kurz darauf hatte sie die Bestätigung ihres Verdachtes - ein Oktagramm.
Magane verabscheute Zauberermagie und das hier schrie nach Magie vorsichtshalber würde sie den Fall nicht an RUM sondern an die eigene Chefin weiterleiten, dazu waren Okkultismusexperten ja schließlich da. Sie verließ die Brücke wieder und blieb am Flussufer neben dem Rekruten, den sie immer noch nicht nach seinem Namen gefragt hatte, stehen und schaute in die gleiche Richtung wie er bis es ihm auffiel und er sie fragend ansah. Dann bückte sie sich zum S.T.A.U.B. herunter und holte zwei Paar Zwirnhandschuhe, einen Leichensack (Größe: Zwerg) und einige mittelgroße Beweisstücksäcke heraus. Beide Sacksorten waren aus dem gleichen Material und unterschieden sich nur in Größe und Farbe. Die beiden Wächter zogen sich die Handschuhe an und betraten dann wieder vorsichtig den Fluss um die Beweisstücke einzusammeln. Magane begann mit der angeätzten Axt, die mit Sicherheit keinerlei Fingerspuren mehr trug und sammelte dann einen Oberschenkel, den Kopf und zuletzt den in einem Brombeergebüsch liegenden Arm ein. Als sie bei dem Arm ankam bemerkte sie dass er sich leicht bewegt hatte, er lag nun tiefer in dem Gebüsch als vorher, sie ging in die Hocke um sich das mal genauer anzusehen und blickte in zwei schwarze Augen. Mit einer Ratte hatte sie gerechnet, aber dieses Tier war größer, das schwarz-weiße Gesicht erinnerte an eine Augenmaske, ein Waschbär. Die Viecher fraßen auch wirklich alles. Es gelang ihr dem Kleinbären seine Beute abzunehmen. Der Rekrut war inzwischen mit den anderen Teilen fertig und stand unschlüssig beim Torso, der durch sein Gewicht nicht so einfach zu verpacken war. Mit vereinten Kräften gelang es ihnen dann auch das letzte Puzzleteil zu verpacken und nach und nach schleppten sie die 9 Säcke zum Karren. Zwischendurch bereicherte der Rekrut - Magane beschloss ihn am Wachhaus nach seinem Namen zu fragen und ihn lobend im Bericht zu erwähnen - den Fluss noch um sein Frühstück, war wohl alles etwas viel für ihn. Schließlich fuhren sie zurück zum Wachhaus, luden die Teile in der Pathologie ab und tranken einen Kaffee zusammen.
Den Nachmittag verbrachte Magane damit ihren ersten eigenen Tatortbericht zu schreiben und am Abend lag die Akte dann auf Laizas Schreibtisch und die Tatortwächterin erholte sich in der Wanne von diesem schmutzigen und stinkenden Arbeitstag.
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