Ein hinterhältiger Verband

Bisher hat keiner bewertet.

von Wächter Jargon Schneidgut (GRUND)
Online seit 11. 09. 2008
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 Außerdem kommt vor: Rogi Feinstich

Für Rekruten (erste Mission):
Auf dem heutigen Ausbildungsplan steht: "Erste Hilfe" Fehlt nur noch ein Freiwilliger, der sich einen Verband anlegen lässt.

Dafür vergebene Note: 9

Jargon Schneidgut schlich durch die Unbesonnenheitsstraße. Dabei nutzte er jeden Schatten und jede Seitengasse [1], um nicht gesehen zu werden. Er hatte eine Jacke an, deren ursprüngliche Farbe wegen unzähliger Flicken, Nähte und Schmutzflecken nicht mehr zu identifizieren war. Darunter trug er ein Hemd, das vielleicht mal Ärmel und Knöpfe besessen hatte und eine Hose, die das Finale Stadium absoluter Verdrecktheit erreicht hatte. Ihre Beine waren ein Stück hochgekrempelt [2] und ausgefranst. Wenn man nicht die gleiche Geschicklichkeit besaß wie sein Besitzer, stolperte man spätestens alle zwei Meter. Außerdem hatte Jargon einen Stapel Papier in der Hand. Die meisten waren vollgekritzelt, aber manche waren noch weiß. Oder wohl eher gelblich-grau. Plötzlich verharrte er.
"Hallo Jargon. Lange nicht mehr gesehen."
Der Angesprochene wirbelte herum. Hinter ihm stand ein Mann. Er hatte kurze, braune Haare und war groß und kräftig.
"H-hallo. Lorens."
Lorens Hacker war ein Schlachter und arbeitete im Schlachthausviertel. Jargon kannte ihn aus seiner Kindheit, und er verband keine guten Erinnerungen mit ihm. Lorens' Eltern waren aus Klatsch und auf der Suche nach dem Idealen Wohnort nach Ankh-Morpork gezogen. Wie es leider so oft geschieht, fanden sie kein Haus und keine Arbeit, und 2 Tage nach ihrer Ankunft besaßen sie auch keinen einzigen Ankh-Morpork Dollar mehr. Schließlich bekam Herr Hacker dann doch noch einen Job als Schlachter, und die beiden konnten sich ein Haus in der Unbesonnenheitsstraße kaufen. Lorens hatte ein Faible für Schlägereien gehabt. Leider besaß er diese noch immer.
"Ich habe gehört, du hast einen neuen Beruf.", sagte er.
"J-ja. Den habe ich."
Jargon sah sich nach einem Fluchtweg um. Hinter ihm befand sich die Unbesonnenheitsstraße, ein denkbar ungünstiger Fluchtweg, da dort noch mehr Leute wie Lorens wohnten. Einen anderen Weg als der, der durch Lorens blockiert war, gab es ansonsten nicht.
"Als was arbeitest du denn neuerdings?" Jargons Gegenüber hatte ein gehässiges Lächeln aufgesetzt.
"Ich bin jetzt bei der Stadtwache.", sagte Jargon.
Lorens lachte laut auf.
"Na klar, Jargon, sicher doch!"
Nun gut, du willst es ja nicht anders, dachte der Verlachte Rekrut. Seine Finger glitten unter seine Jacke und umschlossen einen metallenen Gegenstand. Seine Augen verengten sich. Die Zeit schien langsamer zu vergehen, als er die Hand aus der Innentasche gleiten ließ und den Gegenstand herausholte.
"Ha!", rief Jargon, "Was sagst du nun?!"
Lorens blickte skeptisch auf das Ding in seiner Hand.[3]
"Ein... Wächterabzeichen?" Seine Augen weiteten sich.
"Gute Güte!", keuchte er, als Jargon eine triumphierende Miene aufsetzte.
"Sie haben dich tatsächlich genommen! Das sind ja echte Volltrottel da!"
Lorens lachte und schob den zitternden Rekruten beiseite.
"Diesmal hast du noch Glück gehabt...", knurrte er und ging weiter in Richtung Unbesonnenheitsstraße.

Jargon stand vor der Tür des Wachhauses in der Kröselstraße. Seine Hand bewegte sich in Richtung der Türklinke, doch plötzlich zögerte er. War es eine gute Entscheidung gewesen, sich bei der Stadtwache zu bewerben? Immerhin würde er dadurch seinen Alltag verlieren, sich in gefährliche Situationen begeben müssen und, davor fürchtete er sich am meisten, neue Kontakte knüpfen müssen. Zwar kannte er schon einige Rekruten, aber er hatte trotzdem Angst, dass einige ihn vielleicht nicht würden leiden können. Andererseits würde er endlich Geld verdienen... Und vielleicht würde er sogar umziehen können. Weg von der Unbesonnenheitsstraße... das war sein größter Traum. Er traf eine Entscheidung. Dann drückte er die Türklinke herunter und betrat das Wachhaus.
Drinnen herrschte reger Betrieb. Er ging auf einen der beiden Tresen zu, die rechts neben der Tür standen. Dahinter saß ein Zwerg. Er wirkte auf Jargon nicht wie ein typischer Zwerg: Sein Bart war gestutzt, und er trug keinen Helm.
"Entschuldigung...", begann Jargon.
"Wa- Ja, was ist?", fragte der Zwerg, und auf Jargon wirkte sein Verhalten irgendwie merkwürdig. Er schien zu versuchen, freundlich zu anderen zu sein, aber gleichzeitig wirkte er wie jemand, der etwas gegen andere Spezies hatte. Jargon war verunsichert.
"Ich suche eine gewisse Rogi Feinstich.", sagte er.
"Ach, unsere Ausbilderin. Bist du Rekrut?"
"Ja."
"Nun, ich auch.", sagte der Zwerg und streckte ihm die Hand hin. "Ich heiße Gloddi. Gloddi Knollstein."
Nach einigem Zögern streckte Jargon ebenfalls die Hand aus und schüttelte die Hand seines Gegenübers zaghaft.
"Ich bin Jargon. Und... wo finde ich Frau Feinstich?"
Gloddi lachte.
"Nenn sie nich Frau Feinstich! Das hört sich ja an wie eine Näherin!"
Dabei sprach er das Wort "Näherin" ganz merkwürdig aus.
"Ihr Büro ist dort hinten." Der Zwerg zeigte auf eine Tür im Norden. "Die linke. Viel Glück noch, Jargon."
Der neue Rekrut machte sich auf den Weg zur Tür. Ein Erste-Hilfe Kurs, hatte auf dem Brief gestanden. Jargon klopfte an die hölzerne Tür.
"Herein.", sagte eine eindeutig weibliche Stimme, und er trat ein.
Vor ihm an dem Schreibtisch saß auch eindeutig eine weibliche Person. Sie war sogar recht hübsch. Allerdings störte Jargon etwas.
"Du... du bist eine Igorina, nicht wahr?", platzte es aus ihm heraus.
Rogi war aus einem speziellen Blickwinkel betrachtet tatsächlich sehr hübsch. Ein Igor hätte sich auf der Stelle verliebt. Jargon selbst hatte nur selten Kontakt mit Frauen gehabt, und deshalb war er etwas verunsichert. Rogis Augen hatten verschiedene Farben, was ihn etwas nervös machte. Ihr Gesicht schien zusammengenäht und sie hatte schulterlange, dunkelblonde Haare. Alles in allem hätte sie um einiges unheimlicher aussehen können, fand er.
"In der Tat, ja."

"Bevor wir mit der Aufbildung beginnen, brauchen wir erft einmal jemanden, der fich verartften läfft.", erklärte Rogi, während die beiden durch das Wachhaus schlenderten.
"Wer würde sich denn da anbieten?", fragte Jargon.
Rogi bemerkte einen Rekruten, der gerade damit beschäftigt war, eine lose Diele am Boden festzunageln.
"He, Engar. Haft du kurz Feit?", fragte sie ihn.
Engar hob den Kopf.
"Wofür?", fragte er.
"Komm einfach mit.", sagte Rogi und der Rekrut stand auf. Die drei begaben sich in den Hof des Wachhauses. Dort befanden sich viele Übungswaffen und Zielscheiben.
"Ich dachte, ich werde in erster Hilfe ausgebildet.", sagte Jargon angesichts des Waffenarsenals.
"Daf wirft du auch. Wart'f ab."
Rogi führte sie in einen etwas entlegeneren Winkel des Übungsplatzes.
"Hier ift ein guter Ort.", sagte sie und öffnete ihren Koffer, den sie die ganze Zeit mit sich herumgetragen hatte.
Engar wurde etwas nervös.
"Wofür braucht ihr mich eigentlich?", fragte er.
"Keine Forge. Wir brauchen blof jemanden fum verartften."
"Ah, gut.", sagte Engar. Dann dachte er noch einmal über Rogis Antwort nach.
"Aber ich bin doch gar nicht verletzt!", rief er dann.
"Daf mufft du auch gar nicht fein."
Rogi holte einen Verband aus dem Koffer und hielt ihn Jargon hin. Dieser nahm ihn zögernd ihn die Hand.
"Nehmen wir alfo an, Engar hätte einen tiefen Fnitt am Arm. Wie würdeft du ihn verbinden?"
Rogi zeichnete eine unsichtbare Linie über Engars Arm, um die Wunde zu markieren. Jargon stand unsicher da. Er hatte noch nie eine Wunde verbunden, da seine Kindheitsverletzungen größtenteils Prellungen, Quetschungen, Brüche und Verstauchungen gewesen waren.[4] Schließlich wickelte er ein kurzes Stück Stoff ab und band es dem "Verletzten" um den Arm. Dann riss er es mithilfe seiner Fingernägel ab und machte einen Knoten, um den Verband zu befestigen.
"Äh. Ist das so richtig?"
Rogi schüttelte den Kopf.
"Wir haben noch ein hartef Ftück Arbeit vor unf.", seufzte sie.
"Fuerft einmal wird der Verband nicht direkt auf die Wunde gebunden", erklärte sie und holte ein kleines Stofftuch aus dem Koffer, "fonft würde daf ja bedeuten, daff man Verbände nur einmal benutfen könnte. Daf Blut würde ihn naff und matfig machen. Ftattdeffen legt man, bevor man den Verband anbringt, ein Tuch wie diefef", sie hob es zur Demonstration hoch, "auf die Wunde. Danach bringt man den Verband dann FO an."
Sie entfernte Jargons Verband von Engars Arm und legte dann das Tuch auf die Stelle, an der sich die "Wunde" befand.
Dann wickelte sie geschickt einen Verband darum, schnitt ihn mit einer Schere ab und befestigte ihn mit einer kleinen Metallklammer.
"Fo geht daf.", sagte sie zufrieden. "Jetft du.", wandte sie sich an Jargon und gab ihm abermals den Verband in die Hand. Er versuchte sein Bestes, aber sein Verband war bei weitem nicht so gut angebracht wie der von Rogi. Beim dritten Versuch begann er sich langsam zu fragen, ob der Verband vielleicht ein Eigenleben besaß, denn so sehr er sich auch bemühte, er saß nie so richtig. Beim sechsten Fehlversuch versuchte er, den Stoff mit zwicken und kneifen gefügig zu machen, und tatsächlich funktionierte es dann bedeutend besser.
"Daf war fon recht gut.", lobte Rogi seinen achten Versuch. "Fo langfam wirft du beffer."
Als Engar schließlich bekannt gab, dass er Krämpfe im Arm bekäme, wandte sich Rogi der Stabilen Seitenlage und der Herzmassage zu.[5]
Als sich der Tag schließlich dem Abend zuneigte, war Rogi schon fast zufrieden mit ihrem Rekruten.
"Die Erfte-Hilfe Aufbildung haft du hinter dir", sagte sie, "ef gibt einige Wächter, die sich nicht fo gut damit aufkennen wie du jetft."
Jargon war stolz auf sich.
Dann bemerkte er, dass eines der Skalpelle in Rogis Koffer rostig erschien. Als er sie darauf ansprach, sagte sie:
"Oh, daf. Daf habe ich mal auf einem Krankenhauf konfiffiert, alf ich dort jemanden zufammenflickte. Du kannft ef haben, wenn du willft, ich brauche ef nicht."
Als Jargon schließlich zurück nach Hause ging, hatte er gar keine Angst mehr vor einer Begegnung mit Lorens Hacker.
[1] Woran wahrlich kein Mangel bestand

[2] "Da wächst du noch rein", hatte seine Mutter immer gesagt. Leider hat sich dies nicht bewahrheitet.

[3] Jargons Hand, nicht seine eigene.

[4] Niemand in der Unbesonnenheitsstraße hatte genug Geld, um sich ein scharfes Messer zu leisten. In gewisser Weise, so fand Jargon, war das auch besser so.

[5] Die Mund-zu-Mund-Beatmung lies sie aus.




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Feedback:

Von Glum Steinstiefel

19.09.2008 16:08

Ein etwas makaberer Schluss und ein paar überflüssige Zitate, aber summa summarum in Ordnung. Wenn sich das noch steigern lässt, dann lässt sich auf Gutes hoffen :)

Von Lilli Baum

19.09.2008 16:08

Ein irgendwie knuffiges Geschichtchen. Habe ich gerne gelesen und bin schon gespannt, was du ohne Vorlagenzwang wohl zustande bringen wirst.Als einziges größeres Manko würde ich nur ansprechen, dass du die Vorlage und damit die eigentliche Ausbildung mehr hättest mit integrieren könnnen; aber nichts desto trotz eine solide Rekrutensingle.

Von Ophelia Ziegenberger

19.09.2008 16:08

Und wieder einmal eine neue Sichtweise zu unserer geschätzten Igorina. ^^ Die Geschichte war schlicht, streng chronologisch und absolut vorhersehbar. Das kommt sicherlich auch daher, dass diese Vorgabe schon so oft von anderen Rekruten beschrieben wurde, die dazu eben genau die gleichen Bilder im Kopf gehabt hatten. Für den Anfang hast Du einen soliden Start hingelegt und sicher wird die nächste Single individueller.

Von Rea Dubiata

19.09.2008 16:08

Guter Stil, Spannung und Plot fehlten leider - ist aber bei GRUND-Missionen nicht so einfach. Daher nicht so tragisch sehen. Ich freu mich auf deine nächste Single - ohne Grund-Vorlage.

Von Ruppert ag LochMoloch

19.09.2008 16:08

Hmm , ja.Lass es mich so sagen: Es ist eine sehr typische Ausbildungssingle. Gut daran ist, dass du versucht hast ein wenig von Jargons Hintergrund einzubauen. Allerdings habe ich die Bewohner der Unbesonnenheitsstraße etwas friedlicher oder besser gesagt harmloser in Erinnerung. Etwas merkwürdig fand ich die Art und Weise wie Jargon ins Wachhaus kommt, gerade so als wäre er noch nie dort gewesen. Auch der sehr lockere Umgang mit Rogi ist, sagen wir mal, ungewöhnlich. Allerdings war dann der Teil mit der eigentlichen Übung bis auf den Schluss sehr gut. Ich bezweifle nämlich, dass Rogi einem Rekruten einfach so ein altes Skalpell in die Hand drückt. Als Fazit sage ich: Eine klassische, solide GRUND-Single, bei der Du, liest Du sie in zwei Jahren noch mal, vermutlich rote Ohren bekommst und dich fragst, was Du Dir damals dabei gedacht hast, ;-)

Von Lilli Baum

19.09.2008 21:11

Also ich kann die Wahl der Vorlage voll und ganz nachvollziehen. Und das nicht nur, weil ich sie mir ausgedacht habe O:-) *hüstel*

Von Jargon Schneidgut

21.09.2008 21:27

Ruppert:

Naja, die Bewohner der unbesonnenheitsstraße SIND auch harmlos... nur gegenüber Jargon nicht ;)

An alle andern:

Danke für das Feedback und für die Tipps. Ich werd' meine nächste Single besser machen, versprochen ;)

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