Es regnet in Strömen und vom Dach des Wachhauses in der Kröselstraße fällt ein Mann in einen Karren voll Stroh. Er hat keine Stiefel und keine Socken an, finde heraus was passiert ist!
Dafür vergebene Note: 12
Anmerkung des Autors: Aida Blitztut ist inzwischen nicht mehr Teil der Stadtwache, als ich die Geschichte schrieb war sie es aber noch. Dies gilt auch für Randor Nasshos, einen Troll.
Anmerkung des Ausbilders: Die Vorlage hatte sich fälschlicherweise unter die Erste-Mission-bei-GRUND - Vorlagen gemischt, obwohl in ihr die Ausbildung nicht erwähnt wird. Das Ausbildungsthema "Verhör" ist jedoch ein integraler Bestandteil dieser Single, sie erfüllt also dennoch alle nötigen Voraussetzungen.
"Nichts an einem Verbrechen ist unerklärlich, Hartnäckigkeit und schiere Logik sind die beiden Dinge, über die ein Detektiv verfügen muss. Was dem Unverständigen als Geheimnis erscheint, offenbart sich dem denkendem Menschen als Selbstverständlichkeit."
Dr. George Hinchcliffe
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Kadwallader Janders düstere Stimmung hielt sich lange -sehr lange - in die verregneten ersten Stunden des neuen Tages hinein. Vergebens versuchte er durch die Lektüre "Reise um die Welt" von Karl Robert Liebfreund, sein bedrücktes Gemüt dazu zu bewegen, mit dem Grübeln aufzuhören. Kadwallader, in Hausmantel und Pantoffeln, war in seinen Sessel vor dem nur noch schwach flackernden Kaminfeuer im Wohnzimmer versunken und starrte die Buchstaben an, die ihm wie sinnfreie Zeichen vorkamen. Diesen Tag würde er niemals vergessen können...
Der Morgen dieses unvergesslichen Tages fing so an, wie er aufhörte. Allerdings kann dies nur im Bezug auf das Wetter gesehen werden. Der Regeln prasselte auf die Straßen von Ankh-Morpork nieder und Kadwallader Janders wäre wohl äußerst durchnässt gewesen, hätte er nicht eine Kutsche vom Siebenschäferweg bis zur Königsstraße genommen.
"Nein, du bist bei der Wache, das glaube ich jetzt nicht", raunte Frank Niptsch, der Besitzer eines kleinen, urigen Buchladens Kadwallader zu und musterte seine graue Uniform, die in schärfsten Widerspruch zu der üblichen Kleiderordnung seines Stammkunden stand.
"Nun, damit bin ich Mitglied im wohl besten Rätselklub der Zwillingsstadt", entgegnete der junge Rekrut und rückte sein Monokel zurecht.
"Die Wache? Du meinst die Wache? Da sind doch nur..."
"Idioten, ja. Aber du kennst mich. Acquis Submersus von Gottschenk Sturm?"
"Da hinten, zweite Reihe, ganz oben im Regal, brauner Ledereinband!"
Frank Niptschs Bücherladen war der beste in ganz Ankh-Morpork, vorausgesetzt man besaß eine Vorliebe für eine gewissen Obskurität und suchte häufig seltene und merkwürdige Bücher.
"Aber die Wache! Herr Janders, jedes Mal wenn ich glaube Sie durchschaut zu haben, werde ich aufs Neue überrascht", flüsterte der Buchhändler.
"Lupus pilum mutat, non mentem. Guten Tag noch!"
"Guten Tag, Sör", sprach Herr Niptsch ganz verdutzt.
Hätte der Wächter den ganzen Tag in der Bücherei zugebracht und wäre sein Gemüt am Abend sicherlich weniger bedrückt gewesen und hätte als Ursache nur den anhaltenden, prasselnden Regen gehabt. Neigte man zu einem ausgeprägten Fatalismus, spräche man vom Schicksal, das den jungen Kadwallader und Wächterin Ainda Blitzstut zum Streifengang in der Schlachterstraße getrieben hätte. Realistisch gesehen muss man vom Befehl des Oberstabsspießes und Ausbilders Harry sprechen, der die beiden um den Viehmarkt patrouillieren ließ. Harry hatte das Eigenverantwortung genannt und hätte Kadwallader Harry besser gekannt, hätte er von der Faulheit des Ausbilders gesprochen, so sprach er von reiner Zeitverschwendung, zumindest als die beiden durch den strömenden Regen liefen. Hätte Aida Blitzstut nicht über eine gewisse Erfahrung als Rekrutin verfügt, hätte sie sich gar nicht vorstellen können, was man dabei hätte lernen können.
"Im Grunde genommen lässt sich die gesamte Arbeit der Wache auf Induktionen, Abduktionen und Deduktionen reduzieren, insofern diese geschickt und konsequent angewendet werden", eröffnete Kadwallader ein neues Gespräch, als die beiden Wächter in die Bescheidene Straße einbogen.
"Auf bitte was?", frage Aida Blitzstut skeptisch.
"Zunächst sollte der Ermittler sehr gut beobachten können und aufgrund dieser Einzelbeobachtungen eine allgemeine Hypothese formen. Diesen sehr wichtigen Schritt nennen wir die Abduktion. Ein Mensch macht eine Beobachtung und stellt eine Hypothese auf. Vom besonderen Einzelfall auf das Allgemeine. Die Induktion geht von mehreren Einzelfällen aus, zum Beispiel einer Versuchsreihe oder mehreren Beobachtungen. Eine Induktion wäre: Die Post kommt jeden morgen um 7.00 Uhr, also kommt sie auch heute pünktlich. Man geht vom Üblichen aus und formuliert das Allgemeine."
"Aha", antwortete Aida geistesabwesend und fuhr sich durch ihr nasses, dunkles Haar.
"Die Deduktion bezeichnet jenen Vorgang, der vom Allgemeinen auf das Besondere schließt. Diese Form der Schlussfolgerung benötigt aber ein festes, allgemeingültiges Gesetz. Die deduktive Schlussfolgerung ist zwingend. Zum Beispiel: Harry ist ein Gnom. Gnome sind sterblich. Die daraus zwingende Schlussfolgerung ist, dass Harry eines Tages sterben wird. Die Schlussfolgerungen der Induktion und Abduktion sind nicht zwingend und unterscheiden sich in ihren Graden der Wahrscheinlichkeit."
"Sehr interessant", murmelte seine Begleiterin.
Der Regen prasselte nun noch wütender auf die Pflaster der Bescheidenen Straße und ein scharfer Wind wehte den beiden Rekruten entgegen. Die vormals grauen Uniformen hatten nun einen fast schon schwarzen Ton angenommen und bei jedem Schritt quietschten die wassergefüllten Stiefel der beiden. In stiller Übereinkunft gingen die beiden Wächter von einem schlendernden zu einem rennenden Schritt über und bogen bald nach links in die Kröselstraße ein und gingen zielstrebig auf das Wachhaus zu. Das Wachhaus hätte sie auch in den nächsten Sekunden vom Regen geschützt, hätte sich nicht ein kleiner, aber durchaus nicht unerheblicher Zwischenfall zu getragen, dem Kadwallader einiges Kopfzerbrechen bereiten sollte, Aida zumindest in höchstes Erstaunen versetzen sollte und den bald auch Ausbilder Harry ins Spiel bringen sollte. Aber eins nach dem anderen.
Es begann alles damit, dass vor den Augen der Rekruten ein Mann vom Dach des Wachhauses in einen Karren voller Stroh fiel. Zunächst waren alle drei Personen, Mann, Rekrutin und Rekrut, so perplex, dass die nächsten Sekunden von Schweigen und Starren geprägt waren. Diese Phase wurde dann von Aida Blitztut jäh unterbrochen:
"Wer sind Sie und was hatten Sie auf dem Dach der Stadtwache zu suchen?"
Der Mann grinste nur breit und machte keine Anstalten aus dem Karren zu steigen.
"Antworten Sie!"
Wieder grinste der Mann.
"Hiermit sind Sie verhaftet."
Der Mann grinste nur und Kadwallader fiel erst in diesem Moment das Außergewöhnliche auf: Der Mann trug weder Schuhe noch Socken. Seine braunen Haare waren genau wie sein altes grünes Hemd und die graue Hose, völlig durchnässt und lediglich noch am Saum trocken. Nur seine hellblauen, strahlenden Augen bildeten einen Gegensatz zum Wetter.
"Sie sind verhaftet", wiederholte Aida.
Der Mann grinste noch breiter.
"Sie sind verhaftet", sprach diesmal Kadwallader, "Sie können sich der Verhaftung widersetzen, allerdings sehen wir uns dann gezwungen von unserem Recht Gebrauch zu machen, Gewalt anzuwenden."
Der Mann grinste nicht mehr und ließ sich abführen.
"Morgen Blitztut, Morgen Janders", begrüßte Randor Nasshos die beiden fröhlich.
"Morgen Randor", gab Aida etwas genervt zurück.
"Randor, während du am Tresen Dienst hattest, ist da irgendjemand, in das Wachhaus spaziert. Zum Beispiel dieser Mann?", fragte Kadwallader
"Nee, nirgendjemand, nix gesehen."
"Nein, so jemand ist hier ganz sicher nicht am Tresen vorbeigekommen", bestätigte Lila von Schwarz.
Einige Minuten später saßen Kadwallader und Aida im Büro von Oberstabsspieß Harry und schlürften heißen Kaffee.
"Der Mann weigert sich auch nur irgendetwas zu sagen. Wir können uns gar nicht vorstellen was er auf dem Dach zu suchen hatte", erklärte Aida.
"Als künftige Wächter solltet ihr wissen, dass man jedem Bürger etwas anhängen kann, wenn man nur will. Es gibt für jede Tätigkeit ein Gesetz, das diese verbietet", sprach der Gnom gewichtig. "Aber dies sollte nur im äußersten Notfall angewendet werden und man sollte die Arbeit unbedingt auf einen Rechtsexperten abwälzen... delegieren. Diesmal jedoch ist ein Verhör angebracht. Das Verhör war noch nicht Teil eurer Ausbildung?", fragte Harry, während er so tat als suchte er den Ausbildungsplan, den er nie angefertigt hatte und fuhr fort als beide Rekruten dies verneinten.
"Es gibt natürlich unter den Verhörten verschiedenen püschologische Grundtypen. Bewährt hat daher sich in der Wache ein dreigliedriges System zur Befragung und Vernehmung von Verdächtigen und Zeugen. Im ersten Schritt wird dem Befragten die Gelegenheit gegeben zusammenhängend zu berichten, wobei ein guter Wächter diesen Schritt nutzt, um eine positive Grundhaltung des Verhörten zu erzeugen. Beispielsweise durch das Anbieten eines Kaffees oder einer Zigarette. Dies wirkt bei zurückhaltenden Vernommenen oft Wunder, bei Berufskriminellen sind die Resultate eher weniger erfolgreich", schloss Harry den ersten Teil seines Vortrages und blätterte in irgendwelchen Unterlagen.
"Erst im zweiten Schritt werden Fragen gestellt, um die Geschehnisse zu so gut wie zu rekonstruieren und Informationen zu ermitteln, die der Vernommen möglicherweise vergessen hat zu erwähnen oder die ihm unwichtig erschienen, für die Ermittlungen aber von großer Bedeutung sein könnten. Hier ist ein systematisches Arbeiten gefordert und der Wächter sollte sich gut auf das Verhör vorbereiten, denn die Wachearbeit ist kein Zuckerschlecken, sondern harte Routinearbeit..", Harry machte eine bedeutungsschwere Pause, wobei er sich, für die Entscheidung Dog-Terrier zu werden, innerlich auf die Schulter klopfte.
"Erst im letzten Teil werden Vorbehalte gemacht und versucht Widersprüche der Aussage zu Beweismitteln und anderen Aussagen zu klären. Der Verhörte wird also einer scharfen Überprüfung unterzogen. Wir werden dieses Schema jetzt einmal ausprobieren, ich bin der zu Verhörende und dann könnt ihr euer Wissen und Können am Mann vom Dach beweisen."
"Schön, fangen wir an", sagte Kadwallader in einem nicht allzu geduldigen Tonfall.
Einige Minuten später hatte sich der ruhige Harry in eine schreiende alte Frau verwandelt, zumindest der Stimme nach zu, äußerlich konnte davon keine Rede sein.
"Ich bin überfallen worden man hat mich bestohlen! Mein Geld! Mein Leben!"
"Setzten Sie sich erstmal, gute Frau, setzten Sie sich", versuchte Aida möglichst schnell Teil Eins des Verhörs einzuleiten, "und erzählen Sie der Reihe nach was passiert ist. Wollen Sie einen Kaffee? Oder einen Tee?".
Beim letzt genannten musste sich Aida auf die Lippen beißen, Tee gab es nämlich in der Kröselstraße nicht und wäre Harry ein echter Zeuge gewesen, hätte dies zu einer echten Verlegenheit führen können. So aber ging die Vernehmung gut voran und die junge Rekrutin hatte die "Zeugin" soweit beruhigt, dass Teil Eins "Der Vernommene berichtet selbst" beginnen konnte, die Aufnahme der Personalien hatte man sich erspart, jedoch unter besondere Betonung, wie wichtig diese bei realen Fällen sei.
"Ich ging, wie ich dies jeden Morgen tue, spazieren und da kam ein Mann, ein Schatten, ein Etwas, überfiel mich, raubte meine Tasche. Sie müssen den Täter finden. Finden! Hören Sie? Finden!"
"Gnädige Frau", nutzte Aida die Redepause der "Alten", "das werden wir mit ihrer Hilfe tun. Zunächst müssen Sie uns aber genau sagen, wo der Raub stattgefunden hat und wie der Täter ausgesehen hat."
"Unbesonnenheitsstraße", gab die "Alte" zurück.
"Ecke?", fragte Kadwallader genervt.
"Ecke?"
"Ja, geschah es an einer Ecke zu einer anderen Straße?"
Eine kurze Pause entstand, wobei die Improvisationsanstrengungen Harrys stellvertretend für das schwache Gedächtnis der alten Frau standen.
"Beim Hafen", kam die verspätete Antwort.
"Beim Hafen also. Sie sagten ein Mann, um danach die Begriffe "Schatten" und "Etwas" zu gebrauchen. War es also ein Mann oder nicht?", fragte Kadwallader weiter, wobei sein plötzliches Engagement nicht mit Motivation verwechselt werden durfte, sondern auf ein möglichst schnelles Beendigen der Übung ausgerichtet war, die für unseren Analytiker selbstverständlich höchst unnötig war.
"Ja, es war ein Mann, also nein, wissen tue ich es ja nicht, also meistens klauen ja die Männer und sind so grob."
"Also wissen Sie es nicht, und es könnte etwas anderes gewesen sein. Dem zufolge können Sie uns auch keine Beschreibung des Täters geben."
"Doch, doch, Herr Wächter, doch, doch! Er war groß!"
"Ein Troll?"
"Nee, das wüsste ich aber!"
Harry unterbrauch die Ausbildungsszene kurz.
"Ihr habt den Tathergang nun bestmöglich rekonstruiert und kommt in diesem Punkt nicht weiter. Ihr solltet euch nun dem Inhalt der Tasche zuwenden."
"Ich war gerade dabei, Sör", gab Kadwallader ungeduldig zurück. "Also, was war in der Tasche."
"Meine kostbare silberne Taschenuhr!"
"Besondere Merkmale auf der Uhr?", Kadwallader fragte jetzt nur noch in Stichpunkten, seine Gedanken waren beim Mann vom Dach.
"Die Insig... ein großes A und ein großes B, von einem Herzen umgeben. Mein armer Mann!"
"Sonst noch irgendetwas?"
"Nichts, also nichts wertvolles, schon noch andere Sachen."
"Na ausgezeichnet, die Taschenuhr ist ein guter Anhaltspunkt. Wir werden uns bei einem Erfolg der Ermittlungen umgehend an Sie wenden."
"Dass ihr mir ja fleißig seid und meine Uhr wieder findet, hört ihr? Mein Armer Mann."
Mit dem Ende der kurzen Ausbildungsszene verschwand das geistige Bild der Alten im Kopf von Kadwallader, in Aidas Blitztuts Kopf war nie ein solches zu finden gewesen.
"So, meine lieben Rekruten, ich denke ihr seid mit den Verhörphasen hinreichend vertraut. Beim unserem kleinen Fall, werdet ihr womöglich noch einige andere Herausforderungen zu bewältigen haben, die in der Wachearbeit von größter Bedeutung sind. Erstens: Wie bringe ich den Gefangenen zum Reden und zweitens: Wie überprüfe ich den Wahrheitsgehalt seiner hoffentlich dann gemachten Aussage. Uns ist selbstverständlich untersagt Gewalt anzuwenden. Deswegen bieten sich neben Suggestionen, zwei Dinge an: Den Verdächtigen in eine Zelle einsperren und ihn zwei bis drei Stunden sich selbst überlassen. Es ist erstaunlich was diesen Leuten noch allerhand einfällt, an das sie sich vorher
absolut nicht erinnern konnten. Oder aber es muss püschologischer Druck aufgebaut werden. Dabei ist es wichtig, dass der Verhörte eine echte Autoritätsperson vor sich oder einen Troll hinter sich hat. Aida, bitte unseren Gast herein."
"Jawohl, Sör!"
Als der Mann vom Dach auf dem letzten, freien Stuhl Platz nahm, der direkt vor Harrys Schreibtisch stand, begann sich eine Wasserlache auf dem Boden des Büros auszubreiten, deren Quelle die triefend nassen Kleider des Mannes war. Links daneben hatte es sich Kadwallader Janders gemütlich gemacht und rechts daneben saß Aida Blitztut.
"Was hatten Sie auf dem Dach zu suchen?", fragte Harry mit einer Stimme, die geradezu vor Autorität strotzte und von Freddy Frettchentöter hätte stammen können, aber in Verbindung mit der Statur des Oberstabsspießes ihre volle Wirkung nicht entfalten konnte und vielleicht nicht nur daher, aber bestimmt auch daher das Schweigen des Mannes zur Folge hatte.
"Ich frage Sie noch einmal, warum sind Sie auf das Dach geklettert?"
Schweigen.
"Aida, leite Maßnahme Zwei des Verhörs ein. Püschologischer Druck."
Die junge Wächterin verließ das Büro und die donnernden Schritte die bald ertönten, kündigten Randor Nasshos an, der einen Großteil des Büros einnahm und sich hinter dem Mann aufstellte.
"Wollen sie uns jetzt sagen, was Sie auf dem Dach gemacht haben?", fing Harry wieder, diesmal in einer freundlichen Tonlage. Schweißperlen bildeten sich auf der Stirn des Verhörten und ein Wimmern verließ seine Lippen, doch er schwieg weiter.
"Reden Sie schon!"
Der Mann zitterte nur, brachte aber kein Wort hervor.
"In der Wache ist es auch sehr wichtig, Prioritäten zu setzen, wichtige Fälle von unwichtigen Fällen zu trennen. Deswegen habt ihr jetzt die Aufgabe in den Gesetzesbüchern und Verordnungen Ankh-Morporks zu stöbern und einen geeigneten Paragraphen oder auch drei, vier ausfindig zu machen, der Klettern auf dem Dach verbietet. Außerdem Randor, bringe den Mann in eine kleine Zelle."
"Nun", ergriff Kadwallader das Wort - er bis dahin noch gar nichts gesagt - und rückte sein Monokel zurecht, "Das wird nicht nötig sein. Denn wir wissen schon eine ganze Menge..."
"WAS? Der Mann hat nichts aber auch gar nichts gesagt" unterbrach ihn Aida schroff.
Kadwallader zündete sich eine Zigarette an. Die Zeit der Enthüllung war gekommen; die Bühne war so makellos bereitet, dass er der Versuchung nicht widerstehen konnte, ins Rampenlicht zu treten. Das war der Augenblick. Das verblüffte Gesicht seiner Kollegin, der nicht allzu clevere Gesichtsausdruck Randors, der Täter und die Anwesenheit eines hochgestellten Wächters, seines Ausbilders Harry. In solchen Augeblicken, dem ewig rasenden Strom der Zeit entrissen, wachsen Egozentriker zu ihrer nobelsten Größe auf.
"Du willst sagen, du weißt was der Mann dort oben gemacht hat?", fing seine Kollegin abermals ungeduldig an.
Kadwallader seufzte und nahm einen tiefen Zug, bevor er antwortete. Bei der Enthüllung durfte es keine unbotmäßige Eile geben. Man musste sie auskosten, bis zur letzten wertvollen Sekunde.
"Fangen wir mit dem Offensichtlichen an", begann er und gestattete den nächsten Worten, sich durch eine Rauchwolke hindurch zu entfalten. "Der Mann war auf dem Dach."
"Ach tatsächlich? Da wäre ich ja gar nicht draufgekommen!", unterbrach ihn abermals die junge Rekrutin.
Harry hatte es sich gemütlich gemacht und der Mann saß immer noch reglos auf seinem Stuhl.
"Meine zweite Schlussfolgerung ist, dass er nicht vom Dach gefallen ist sondern, absichtlich heruntergerutscht ist."
"Das musst du erklären", warf Harry ein.
"Nun", fing Kadwallader wieder an und nahm einen gründlichen Zug, "Zwei Tatsachen sprechen dafür. Zum einen ist es äußerst unwahrscheinlich vom Dach zu fallen und zufälligerweise auf dem Karren zu landen..."
"Unwahrscheinlich, aber möglich", fuhr Aida dazwischen.
"Zum anderen ist wichtig zu erwähnen, dass uns der Mann direkt anblickte kurz nachdem er vom Dach gerutscht ist und im Karren saß"
"Ja und?"
"Man stelle sich vor, man fällt vom Dach. Was tut man da? Richtig, man versucht sich festzuhalten und sei es an der Regenrinne. Deswegen rutscht man auf dem Bauch vom Dach und versucht sich mit den Händen festzuhalten, aber man kommt nicht fröhlich lächelnd mit dem Hosenboden auf."
"Nach schön, ich akzeptiere das, aber es könnte auch anders gewesen sein", murmelte Aida.
"Deswegen müsste ihr auch meine nächste Schlussfolgerung akzeptieren: Der Mann war absichtlich auf dem Dach und hat den Karren voller Stroh vorher neben das Wachhaus gestellt oder hinstellen lassen. Der Viehmarkt ist ganz in der Nähe, niemandem wäre das aufgefallen und man betrachte seine Kleidung."
Der Mann grinste immer noch.
"Das klingt einleuchtend", war vom Oberstabsspieß zu hören, "Aber warum sollte er das getan haben?"
"Dazu komme ich noch. Meine vierte Schlussfolgerung ist folgende: Er hatte seine Stiefel noch an, bevor er auf dem Dach war und hat sie erst während seiner Aktivitäten auf dem Dach angezogen."
"Und wie kommst du darauf?", warf Aida ein.
"Nun, seht euch den Saum seiner Hose an. Man kann einen noch einigermaßen trockenen Streifen erkennen. Aus der Höhe dieses Streifens schließe ich, dass er Stiefel trug und dass er die Stiefel noch nicht lange ausgezogen hatte."
"Gut beobachtet, Janders, aber warum das Ganze?", war die interessierte Stimme des Ausbilders zu vernehmen.
"Moment, erst müssen noch einige weitere Dinge geklärt werden", Kadwallader nahm sich den Kaffee vom Schreibtisch, blickte scheinbar gedankenverloren in die Tasse, um sie dann wieder zurückzustellen. "Außerdem wäre unser Mann ohne die Stiefel nicht auf das Dach gekommen. Er hätte weder von einem anderen Dach auf unser Wachhaus springen können, ohne Gefahr zu laufen abzurutschen noch hätte er auf das Dach klettern können."
"Vielleicht ist er ja abgerutscht, weil er keine Stiefel anhatte", gab Aida zu Bedenken.
"Dann wäre seine Hose aber ganz nass gewesen, hätte er nie Stiefel angehabt."
"Er hätte auch unbemerkt durch die Tür ins Wachhaus kommen können."
"Hätte er, aber zwei Indizien sprechen dagegen. Erstens die Aussagen von Lila Schwarz und Nasshos und zweitens sein Vorgehen, das Wachhaus über das Dach zu verlassen. Er schien es für zu gefährlich zu halten, vom Tresendienst entdeckt zu werden. Das muss ihm auch zu Anfang zu gefährlich gewesen sein. Nein, es ist viel wahrscheinlicher, dass er geklettert oder von einem anderen Dach auf das Wachhausdach gesprungen ist."
Der Mann starrte ängstlich auf den Boden.
"Jetzt kommen wir zum Zweck seines Besuches in der Kröselstraße. Hier im Wachhaus befindet sich G.R.U.N.D. und Intörnal Affärs. Erstere ist unbedeutend, in letzterer gibt es wichtige Informationen zu sammeln. Nehmen wir an, und das ist das was es noch zu überprüfen gilt, bevor wir den Causa Tectum ad acta legen können, dass er irgendeinen Gegenstand hier versteckt hat. Möglicherweise einen Dämon, der alles aufzeichnet was er hört. Diesen könnte er in seinen Stiefeln versteckt haben.
Er klettert also auf das Wachhaus, benutzt die Luke, die zum Taubenschlag führt, um in das Wachhaus einzudringen. Dann geht er schnell an den Rekrutenbüros vorbei, um diese Zeit sind hier kaum Wächter, zieht die Stiefel aus, befiehlt seinem Dämonen sich darin zu verstecken und alles zu notieren und stellt die Stiefel dann in die Nähe der Intörnal Affär Büros. Er verlässt das Wachhaus über die Luke, rutscht das Dach runter, landet auf dem Karren, der vorher unter das Dach gestellt wurde und wäre dann weggerannt. Ein genialer Plan. Jetzt müssten wir nur noch den Gegenstand finden, den er versteckt hat, vermutlich in den Stiefeln."
Bevor Aida oder Harry irgendetwas entgegnen konnten, klopfte es an der Tür.
"Herein, bitte", sagte der Oberstabsspieß sofort.
Lila von Schwarz trat ein, in Begleitung einer zuckersüßen Brünetten, die ganz aufgelöst wirkte.
"Da bist du ja Knut!"
"Nadeshda! Nadeshda! Nadeshda!", ertönte eine laute, von äußerste Freude erfüllte Stimme, die den anwesenden Wächtern bis jetzt unbekannt gewesen war.
"Wir haben ihn gerade der Spionage entführt!", fuhr Kadwallader dazwischen.
"Knut und Spionage? Mein Bruder ist absolut geisteskrank", die Frau war ganz bestürzt. "Er ist wieder einmal auf den Dächern rumgeklettert und hat seine Stiefel weggeworfen."
Sie zeigte die Stiefel zum Beweis.
"Ihr wollt ihn doch nicht einsperren?", frage Nadeshda und blickte entsetzt von einem Wächter zum anderen.
Kadwallader saß in seinem Stuhl zusammengesunken und wäre Nadeshda nicht so schön gewesen, hätte er auf den Boden gestarrt. Seine Gesichtsfarbe war in ein Rot übergegangen.
"Damit hat sich das wohl erledigt. Sie können gehen, von einer Anzeige sehen wir ab. Schönen Tag noch!", sagte Harry ganz vergnügt.
Das ganze kunstvolle Gebäude seiner Schlussfolgerungen, die er mit solcher Selbstzufriedenheit dargelegt hatte, war in sich zusammengestürzt. Das allein wäre kein so großer Schlag für sein Ego gewesen, wenn Kadwallader nicht das Gefühl dabei gehabt hätte, sich dabei vollkommen zu Narren gemacht zu haben. Diesen Tag würde er tatsächlich niemals vergessen.
"Rekrut Janders", sagte Harry, als die anderen schon das Büro verlassen hatten und Kadwallader auch im Begriff war zu gehen, "warte noch einen Moment."
"Ja, Sör."
"Manchmal geht es gut, wenn man so einer plötzlichen Eingebung folgt. Aber wenn man jedes Jahr Hunderte von Fällen lösen muss, darf man sich nicht auf Eingebungen verlassen. Da hilft nur nüchterne, solide Routinearbeit. Zum Beispiel die Kunst des Observierens. Aber das wirst du noch lernen und vielleicht kann R.U.M. auch einen neuen Ermittler gebrauchen."
"Möglicherweise."
"Du kannst jetzt gehen, Kadwallader."
"Danke, Sör."
"Ach, Kadwallader."
"Ja?"
"Der Vollkommen Irre Knut war mir schon vorher bekannt."
"Schönen Tag, Sör", brachte Kadwallader mit aller Mühe hervor.
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