Märchenhaft (Original)

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von Gefreiter Glum Steinstiefel (DOG)
Online seit 01. 07. 2008
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 Außerdem kommen vor: Patrick NichtsHumph MeckDwarfHarryThomas 'Bruder Laudes' SpitzschuhArwanHelmi BernsteinGoldie KleinaxtRogi FeinstichBreda KrulockRea DubiataLaiza HarmonieHatscha al Nasa

Dies ist die lange Version der Juni-Pokey. Viel Spaß.

Für diese Mission wurde keine Note vergeben.

Ankh Morpork.
Weltstadt, Metropole, pulsierendes Leben.
Ankh Morpork.
National, unabhängig, unerbittlich.
Ankh Morpork.
Eine wirklich vollkommene Stadt.
"Eher eine verkommene, was meinst du?"
Glum Steinstiefel blickte synchron zu Freund und Leidensgenosse Helmi Bernstein über die Times hinweg in die Augen desselben. "Ich meine, wie weit ist es der Presse erlaubt zu gehen? Das ist gelogen hoch zehn. In dieser Stadt muss doch irgendetwas passieren."
Helmi zuckte mit den Schulten und blinzelte hinauf in den Himmel.
"Es scheint, als ob es gleich Regen geben wird."
"Hm..." Glum blätterte weiter in der Morgenausgabe. "Das hier...hm...sieht interessant aus. Ein Museum..."
"Weiche von mir, Fremdling." Helmi stieß sich auf der Bank ab und rutschte von dem Schwung seitlich herunter. Von dem kleinen Aufschrei schnatterten die Gänse am Ufer des Hide Park-Sees empört los und übertönten das leise Stöhnen eines Zwerges.
Der andere Zwerg nickte, schnalzte mit der Zunge, schloss die Augen, wandte den Kopf zur Seite. "Du weißt, dass ich dir das bis an dein Lebensende in ein paar hundert Jahren unter die Nase reiben werde?!"
"Du darfst mich mal.", ächzte Helmi und stütze sich wieder auf.
"Und jetzt, nicht zuletzt, weil es nie wieder so komisch sein wird, möchte ich dich fragen, warum du etwas gegen Museen hast. Sie sind lehrreich, sie sind..."
"So trocken, wie der Staub auf deinem Schreibtisch."
"...hm...ja, genau. Ich meine: Nein! Es geht hier um die neueste Übersicht, der aktuellen Ausstellungen. Hier zum Beispiel: Wusstest du, dass diese Woche im Zwergenbrotmuseum der verschollene Keks von Ungor Kaudrauf präsentiert wird, inklusive Geschichte der Entstehung?"
"Ist ja Wahnsinn. Hassu noch nicht gesehen." Helmi rollte mit den Augen.
Ein Tropfen fiel auf die Zeitung in seinen Händen.
Er setzte sich wieder.
"Du darfst mich mal.", murrte Glum. "Keine Sorge, da bringt mich auch der Kommandeur nicht rein. Was gibt es noch?"
Sie blätterten ein wenig lustlos weiter.
"Blattlausbefall bei Kollgates?"
"Nee, lass mal. Was ist mit dem umgefallenen Sack Mehl in der Bäckergilde?"
"Echt? Was sagst zu dem darunter, der Artikel über Tante Fridolines unglaublichen Rababerbeerauflauf?"
Helmi schnaufte. "Kann es denn wirklich so friedlich sein? Keine Gewaltverbrechen, keine Vergewaltigungen, keine Unterwanderungen, wofür leben wir denn? Für den Frieden? Nur weil wir Uniformen tragen? Nichts passiert zurzeit."
"Doch, siehst du? Jemand hat die Katze des Bankiers von Vandergeld getreten. Ich zitiere: 'Der Unbekannte konnte jedoch entkommen, da die SEALS, eine Abteilung der Stadtwache, damit beschäftigt war den geheimnisvollen Steinchenschmeißer der Grubengasse zu finden. Laut dem leitenden Offizier, einem Oberfeldwebel namens Rea Dubiata bedauern die Gesetzeshüter es sehr, den Fall nicht gleich aufnehmen zu können, da die Runde Pingpong in der Kantine des Wachhauses am Pseudopolisplatz einem dramatischen Höhepunkt entgegenstrebt.' Das macht doch Mut, nicht? Ich glaube gestern war Ettark noch am führen, nicht?"
Es begann nun zu nieseln und die Gänse stoben auseinander und flogen anmutig in Pfeilformation über die Gefreiten hinweg.
"Lass es uns wie früher machen, Helmi."
"Was den Glum? Wann früher?"
"Wie zu unserer Rekrutenzeit."
"Du meinst wir nerven Rogi?"
"Nein."
"Wir nerven Goldie?"
"Nein. Ich meine das, was wir immer abends mit den anderen in Begleitung der erfahrenen Gefreiten gemacht haben."
"Wir nerven den Kommandeur?"
"Depp, der du bist. Quatsch. Wir gehen patroulieren. Im Kreis durch die Stadt."
"Na gut."
Sie standen auf, während die Gänse einen Kreis um den See zogen.
"Und die Ironie daran ist...", bemerkte Helmi: "...wir sind immerhin so erfahren zu patroulieren, wenn nichts los ist."

Manche Tage können sehr, sehr lang sein.
Die Gefreiten Dorion le Fetsch Picardo, Coccinella Pyrrhula und Schizzel Schattig merkten dies in besonderem Maße, während ihre Augen im gleichen Takt dem Pendel der Standuhr im Büro Pyrrhulas folgten. Sie saßen nebeneinander auf dem Boden an die Wand gelehnt und kontrollierten einige Stapel Aktenordner.
Draußen hatte es gerade angefangen zu nieseln und die Stimmung sank auf den Tiefpunkt.
"Manche Leute nennen mich den Stadtsheriff, manche nennen mich den Hüter vom Recht, manche Leute nennen mich Schnüff...."
"Danke, das reicht.", bemerkten Coccinella und Dorion und Schizzels Gesang verstummte.
Er summte zwar weiter, aber als Coccinella ihren Ordner gegen die Wand klatschte und aufsprang verschluckte er sich vor Schreck. "Was machen wir hier überhaupt? Lasst uns rausgehen, lasst uns Spaß haben, weg mit den Akten, so ein Schrott..." Sie zog Dorion die Mappe weg und knallte sie auf den Tisch. Dann stieß sie Schizzel an und bedeutete den beiden sich zu bewegen. "Los, doch: Steht auf!"
Murrend taten sie es.
"Und was sollen wir machen?"
"Das sehen wir ja dann. Wir leben hier in einer großen Stadt, das Angebot ist...ist...na gut, es ist beschissen, entschuldigt mein Klatschianisch, aber wir finden schon was."
Dorion wandte müde den Kopf in Richtung Fenster.
"Aber es regnet doch."
"Nein, es...es ist ein wenig feucht, aber das hält uns nicht auf."
"Oah, jetzt geht's aber los, ja? Wir sind müde, uns ist langweilig. Seit zwei Wochen ist die Stadt so harmlos, wie ein Lämmchen auf der Weide."
Dorion ging zum Fenster hinüber und sah hinaus. Ein paar Gänse zogen am Himmel vorbei.
Schizzel klopfte der enttäuschten Coccinella auf die Schulter.
"Hey, es ist einfach im Moment nicht passend, wir sind todmüde, gelangweilt."
"Also gut, bitte..." Sie gab klein bei. Dann fiel Dorion etwas ein.
"Vorschlag zur Güte, Cocci. Wie wäre es mit einer Runde 'Leg-Herrn-Zwiebel-rein' im Besprechungsraum?"
"Hm? Im was?"
"Im Besprechungsraum. Kennt ihr den nicht?"
Irgendwo im Zimmer quakte es.
Coccinella und Schizzel sahen irritiert drein.
"Naja, also eigentlich sollten den auch nur die Vollmitglieder bei DOG kennen, aber ich habe letzte Woche Arwan und Breda belauschen können ohne jedoch wirklich etwas zu verstehen...naja und da habe ich...mir Zeus geschnappt und ihn solange gedroht im Kapputtschino zu ertränken, bis er mir gesagt hat, wo dieser Raum ist."
Coccinella flatterte mit den Augen und verzog den Mund. "Du hast uns das vorenthalten?"
"Naja, sieht ganz so aus, nicht wahr?"
"Wer ist eigentlich Zeus?", warf Schizzel ein.
Dorion antwortete: "Das ist Glums Bürodämon, für die Akten zuständig und reitet gerne einmal ein Ründchen auf dem Hündchen...ähm, also auf Crunkers."
Schizzel machte 'Aah' und nickte.

Etwas zuckte kurz.
Es sah einem Funken sehr ähnlich.
Kurz grün, blau, rot, gelb...violett?
Auf jeden Fall kurz und bunt.
Dann war es weg.

Der Atem wurde immer schwerer, die Luft feuchter und sie waren gerade einmal eine Querstraße gelaufen. Jetzt lagen sie zwischen dem Bachlosen Weg und dem Kurweg in einem Hauseingang und schnauften.
"Das...das sollten wir...am besten...keinen wissen...uff...wissen lassen...", röchelte Helmi.
"Wo du recht hast...da...da...na du weißt schon...Himmel aber...auch."
Sie stützten sich im Rahmen des Einganges wieder auf, beide mit deutlicher Schieflage und legten sich gegenseitig die Arme um die Schultern.
"Geht's?", fragte Helmi.
"Natürlich geht's...wir sind ja noch keine...alten Tattergreise..."
"Ich wenigstens nicht, Stiefelchen, du...schon."
"Jawoll-ja und du erlebst nicht mehr, worin der Unterschie..."
"Hey, Leute, ich bin's."
Gefreiter Bjorn Bjornson lief ihnen entgegen.
Die Zwerge schnappten nacheinander nach Luft.
"Sie nur, Helmi, er ist's." Glum schnalzte mit der Zunge und nahm den Arm von Helmis Schulter, versuchte sich möglichst aufrecht zu halten. Sein Freund bemühte sich um dasselbe.
"Hallo, Leute." Mit roten Wangen blieb Bjorn vor ihnen stehen. Inzwischen war der Niesel in einen kräftigen Regen übergegangen. "Lasst uns uns beeilen schnell zurück zu gehen. Wo wollt ihr hin?"
Glum sah Helmi fragend an. "Was meinst du? Ins Boucherie oder zum Pseudopolisplatz?"
Helmi stimmte für ersteres. Auf ihrem Weg zurück durch die Wasserstraße trafen sie noch auf den Obergefreiten Schlumpi Wurzelbach, der es wiederum eilig hatte in die Kröselstraße zu entfliehen. Seit er aus GRUND heraus war ließ er gerne den Erfahrenen vor den Rekruten heraushängen und plagte sie bevorzugt. Wenn Rogi auf die Idee kam nach zu prüfen, warum drei Rekruten damit zubrachten im Schlafsaal ein Paar Stiefel zu polieren und einen Schwung Uniformen Größe Medium zu bügeln, dann verteidigte der machtbeflügelte, Cognac trinkende Obergefreite sich damit den Grünschnäbeln Ordnung bei zu bringen. Anschließend zog er sich die Unterwäsche zurecht, gab den Rekruten den Morgenmantel zurück und marschierte als leuchtendes Vorbild hinaus in die Stadt.
Glum unterstützte diese Verhaltensweise, auch wenn ihm Rekruten suspekt waren. So viel Arbeitsdrang und Pflichtbewusstsein. Naja, man musste ihnen zugute halten, dass sie ansonsten keine nennenswerten Talente hatten. Und wenn doch, dann hatten es ihre Ausbilder bereits aus ihnen herausgeholt, umfunktioniert und mit einem Stempel auf die armen Abteilungsleiter los gelassen.
Als Gefreiter war man halbwegs...nunja, frei eben. Man konnte Vorgesetzten widersprechen, sie für dumm verkaufen und einen faulen Lenz schieben. Es sei denn, man entließ sie zu früh aus GRUND und dabei entstanden Kuriositäten, wie der Gefreite Schimmlersohn. Ehrgeizig, fleißig, erfolgreich und zudem noch leicht zu beeindrucken. Ein gefundenes Fressen für alle, ab Obergefreiter aufwärts. Glum hasste das.
"Sag mal Bjorn...", begann er eine Frage am Schlegel, den Blick hinauf zum Patrizierpalast gerichtet: "...wie kommst du als Gefreiter so klar?"
"Och, eigentlich ganz gut. Macht weniger Arbeit."
"Helmi?"
"Finde ich auch. Man kommt nicht ganz so schnell in Stress. Warum fragst du?"
"Einfach so..."
Regenwasser sammelte sich auf einer Marktplane und ließ unter seinem Gewicht die dünne Haltestange einknicken. Es ergoss sich auf den Boden und floss genau bis vor die Füße Glums.

Helmi und Glum schleppten sich die Treppen hoch zu ihren Büros.
Stille.
"Wo sind die denn alle, bitteschön?"
Sie klopften an sämtliche Bürotüren.
"Es ist doch gerade mal drei Uhr Nachmittags.", stellte Helmi fest.
Sie sahen auch im zweiten Stock nach.
Niemand.
"Mich deucht, dass niemand da ist.", grinste Glum.
"Und was wolltest du damit sagen?"
"Oooch...ich wollte mir den Raum schon länger noch einmal genauer ansehen, den der zugenagelt ist..."
"Glum. So gerne du dich auch mit Humph anlegst, aber ich denke das solltest du besser sein lassen."
"So? Dann geh doch schon mal ins Büro...warte mal. Hörst du das?"
"Was?" Helmi kräuselte die Lippen und lauschte. Sie hielten beide den Atem an und lauschten. Langsam näherten sie sich der Treppe hinunter in den ersten Stock.
"Da ist dieses...lacht da nicht jemand? Und ich könnte schwören, dass...HIMMEL VERDAMMT!"
Helmi durchfuhr zuerst ein heftiger Schreck, dann Verblüffung. Er bekam eine Gänsehaut und konnte sich dann kaum halten vor lachen.
Glum lag auf dem Boden, eine Schale über den Kopf gestülpt, lauter Chips und Knabberstangen um ihn herum. Vor ihm ragte, in dieser Situation etwas über einem Meter größer, Korporal Hatscha al Nasa auf und drohte ihm mit einem moralisch erhobenen Zeigefinger, den anderen Arm in die Hüfte gestützt.
"Der Zwerg lässt es nicht bleiben, wie? Muss immer wieder machen, was man ihm verbietet. Oh, hätte ich nur eine Porzellanschale dabei gehabt..."
Glum nahm die Schale vorsorglich nicht ab, von daher klang er etwas gedämpft.
"Hatscha? OK, die Nummer war gut. Musst mir bei Gelegenheit noch mal beibringen, wie du das mit dem im Schatten verstecken schaffst. Uuuh..."
"Jawohl, das könnte dir aber so passen. Das solltest du längst können. Und dabei fällt mir noch was ein...." Sie zog ihn am Kragen hoch, blieb jedoch halb gebeugt über ihm stehen, da sie unter seinem Gewicht kapitulierte. "Kann er mir sagen, wie drei Dobermänner in Ausbildung vom Besprechungsraum erfahren konnten?" Glum stammelte verwirrt. "Nein, kann er nicht.", fuhr Hatscha in Rage fort. "Aber sein Dämon kann. Sperr ihn gefälligst weg, wenn du das Gebäude verlässt. So."
Sie ließ ihn wieder zurück fallen, strich sich das Haar glatt und kümmerte sich nun um Helmi.
"Und du, Bernstein." Der Zwerg hörte auf zu lachen. "Du...besorgst jetzt trockene Uniformen für euch beide und machst das hier weg. Stiefel, du besorgst neues Knabberzeug. Dann zählt ihr eure drei Cent und kommt zum Leg-Herrn-Zwiebel-rein in den Besprechungsraum. Mann oh Mann... wenn man euch nur einmal an die frische... an die...an die Luft lässt, dann könnte man doch glattt..."
Sie verschwand murrend. Helmi begann wieder zu lachen.

Es zuckte wieder.
Diesmal länger.
Diesmal bunter.
Diesmal öfter.
Ein Betrunkener nickte und nahm noch einen tiefen Schluck.

Für den Gefreiten Thomas 'Bruder Laudes' Spitzschuh waren die letzten vier Stunden äußerst zufrieden stellend verlaufen. Er hatte bei einem maximalen Einsatz von zwanzig Cent immerhin fünf Dollar abgeräumt. Harry hatte Schwierigkeiten gehabt die Karten zu halten und so hatte er entsprechendes Pech gehabt.
Thomas schob das gewonnene Geld unter seine Matratze und legte sich schlafen, obwohl es erst sieben Uhr war. War da nicht ein Geräusch?
Er stieg noch einmal aus dem Bett.
Eine Taube saß am Fensterbrett.
"Hey, ein Fenster weiter bitte."
Die Taube blickte ihn trotzig an.
Dann flatterte sie auf den Zimmerboden und tapste im Raum herum.
"Hey, das hier ist ein taubenfreies Zimmer. Kusch."
Thomas öffnete die Türe, leider ohne Erfolg.
Stattdessen pickte das Federvieh an der Matratze herum.

William de Worde hielt es für eine gute Idee um zwei Uhr nachts durch Morpork zu laufen, Otto Chriek im Schlepptau. Dieser nörgelte.
"Ich bin eben errst aufgesstanden, Mrr. de Worde und muss drringensst die Ssalamander füttern, ssonsst wirrd dass nichtss mit den Photoss fürr die Morrgenausgabe."
"Hm...es muss doch irgendetwas zu finden sein."
Sie wanderten am Haufen entlang.
Plötzlich streckte William die Hand aus und hielt Otto an der Brust.
Er schnupperte.
"...Riechst du das?" Er hielt die Nase höher in die Luft. "...Das ist der Duft der Schlagzeilen."
Sie beschleunigten ihre Schritte.
"Ein Feuer? Ein Mordanschlag? Meine Güte, bin ich aufgeregt, so richtig wild aber auch..." Fast schon liefen sie, bis sich aus der Dunkelheit ein Alter schälte, mit einer Leine in der Hand.
Otto stöhnte. Dann musste er husten. Der Alte erlitt vor Schreck beinahe eine Herzattacke.
"Ich wusste...", sagte der Photograph: "..., dass hierr nichtss isst."
Der Greis starrte ihn mit offenem Mund an, dann fing William auch schon an zu plappern.
"Aha, erwischt. Um zwei Uhr nachts Gassi gehen. Was hat Sie dazu getrieben? Die Frau hat Sie verlassen? Nein, warten Sie, es war ihr Mann. Ha! Jawoll, der Mann, das wird eine Schlagzeile..." Er begann heftig in einem Block zu kritzeln, während sich der Alte an die Brust fasste. Die Leine in seinen Händen zog sich stramm.
"I-ist er...?"
"Nein, nein, Otto ist enthaltsam, stimmt's, Otto?"
"Klarr.", bestätigte dieser und bastelte an einer Vorrichtung herum, die er aus einer Umhängetasche herausholte.
"Er sagt 'klar'.", fuhr William fort, während der Alte erschrocken begann an der Leine zu ziehen. "Also, bestimmt hat man Sie auf die Straße gesetzt, nicht? Und Sie und Ihr Hund müssen sich nun alleine durchschlagen?"
"Bitte rrecht frreundlich."
Ein Blitz durchzuckte die Dunkelheit und blendete den Greis, ein Hund jaulte.
Er röchelte leise.
"Und auch noch krank? Nein, nein, nein, wie schlecht die Gesellschaft doch nur geworden ist. Schlimm, schlimm, schlimm. Bestimmt löhnt auch das Amt nicht?"
Der Alte sah William entgeistert an.
"Welches Amt denn? We- wer sind..."
"Ist doch egal, welches Amt. Sind eh alle faul." Er lachte euphorisch, ebenso Otto. Eine Sekunde später hob er die Hand und machte dem ein Ende. "Keine Zeit für Frivolitäten. Wir decken gerade einen Skandal auf." Williams Stimme erreichte nun Rekordgeschwindigkeit.
"Und der Hund ist bestimmt misshandelt worden? Otto, jawoll, das Photo dringend auf die Titelseite. Die Bürger werden aus dem Häuschen sein, sie werden die Ämter stürmen, ob dieser Ungerechtigkeit. Schlagzeilen, wo man nur hinsieht. Und sie werden am Palast Schlange stehen für Gleichberechtigung, für bessere Zeiten, die Presse wird die Wahrheit ans Licht bringen, wie heißen Sie überhaupt?"
Der Greis hatte sich ein wenig gefasst. "Aurich Flint, mit Verlaub. Und wer..."
"Fabelhaft, ein Name, der sich prägt. Otto, mach noch ein Photo!"
"Aber ich muss doch sehr..."
Brrrtzz---Pufff!
"STOP!"
Stille.
Otto und William blinzelten irritiert.
"Ich bin Aurich Flint, ich gehe mit meinem Hund Gassi und ich tue das, weil er Durchfall hat. Wer seid ihr Spinner, überhaupt?"
Schweigen. William brach es.
"Aber Sie wollten bestimmt nicht die Haufen entfernen, nicht? Dann kriegen wir das Amt für Straßenreinigung dran, falls es das gibt."
"Ach, Mrr. de Worde.", seufzte Otto.
Der Alte wurde hellhörig. "Worde? Sie sind dieser Schreiberling von der Times? Bah! Presse stinkt. Lügt, wie gedruckt."
"Hm...jetzt wo sie es sagen...hier stinkt tatsächlich was."
Otto sah auf Williams Füße. "Derr Hund hat dirr auf den Stiefel gemacht.
"Mein Herr, ich muss doch bitten.", beklagte sich de Worde, während der Alte sich entfernte: "Es gilt Pressefreiheit."
"Kommen Ssie, Mrr. de Worde, wirr gehen zurrück, wirr finden ja doch nichtss."
"Wenn du meinst, Otto, na bitte. Ein Jammer, nein wirklich." Er zog die Weste gerade und schritt voran, während der Photograph mit geübten Handgriffen blitzschnell das Stativ und den Ikonographen zusammenklappte in seinem Beutel verstaute. Eine Straße weiter, kam Otto noch ein Einfall.
"Hey, Mrr. de Worde. Ich habe eine Idee zu den Farrbphotoss. Ich meine, wie man ssie machen könnte. Wenn man vielleicht das Mondlicht nutzt...oder die Salamanderr auf den Kopf tippt, um sie aggrressiv zu machen..."
"Bitte, probier es aus, wenn du meinst. Dann haben wir die neue Schlagzeile, ich sehe es schon vor mir: Bild in Farbe - kein Zauber, kein Trick. Nur ein Durchbruch."
Otto verdrehte die Augen, während William etwas von die Times - näher am Menschen murmelte und baute das Stativ wieder auf.
Eine halbe Minute später schüttelte er enttäuscht den Kopf. Auf dem Bild war alles dunkel, außer einem kleinen Funken, vielleicht Dreck, der bunt auf dem Bild schimmerte.
"Naja...", schüttelte er den Kopf. "Ess isst ein weiterrerr Schrritt. Darrauf kann man aufbauen."

Kurz darauf knisterte es und eine Art...Druckwelle glitt über die angrenzenden Häuser.
Ein wenig Putz blätterte ab, einer Katze stellte sich das Fell gegen den Strich, dann war es ruhig.
Kurz darauf tauchten die Funken wieder auf.

Glum hatte sich gewaschen, die Uniform gebügelt und sich die Leine mit Crunkers am anderen Ende geschnappt. Er hatte stracks mit zehn Dollar in der Tasche den Weg Richtung 'Café Hayden' eingeschlagen, strebte einem wunderbaren Frühstück mit Emilia entgegen und ließ sich dabei vom unbekanntesten Maskottchen der Stadt ziehen.
Platt gesagt, würde er sagen, dass er sie lieben würde. Aber Emilia war...wie war sie? Sie war in der Tat Emilia. Charmant, direkt, wunderschön, die reinste Diva, aber wenn jemand schön ist müssen andere leiden. Ein Gesetz der Natur. Warum nahm er Crunkers mit? Wegen Whisky. Oder Fiffi, armes Tier. Hat ja noch nicht einmal einen endgültigen Namen.
Liebe muss man, besser: darf man nicht platonisch betrachten. Das führt zu nichts, was man spätestens bei diesen 'Wie gut kennen Sie Ihren Partner?' -Fragen merkt. Aber er als Zwerg und Emilia als...öhm, sie fällt wohl unter die Riege holde Weiblichkeit, wie lange das wohl gut gehen wird und außerdem...
Er merkte auf, hob jedoch nicht den Kopf. Ermittlungsregel nr...nr...was weiß ich: Lasse dir in Krisensituationen nichts anmerken. Langsam ging er weiter. Kinderlachen. Da lachten Kinder.
In Ankh Morpork lachen Kinder. Tagträumte er vielleicht?
Crunkers zog nun ziemlich kräftig an der Leine und Glum war gezwungen aufzusehen.
Und was ihn schockte und pathetisch übermannte ragte zwanzig Meter weiter vor ihm auf und er musste noch den Nacken heben und die Augen aufreißen.
Vor ihm ragte ein gewaltiges Gemisch aus Farbe auf. Ein Palast aus Zuckerstangen, Plätzchen, Weingummi, Bonbons, süßem Gebäck, Schokolade und Lakritzen, Zuckerbrot, Marzipan, Pralinen und einer riesigen Kuppel. Dazwischen verliefen zähe Ornamente aus Gugelhupf und Sirup. Lebkuchen bildeten Dachschindeln, Popcorn verzierte das gewaltige Portal aus Honigspekulatius. Kinder liefen dazwischen her mit Dauerlutschern und Zuckerwatte. Immer, wenn sie etwas aus dem Bau abrissen, wuchs es augenblicklich nach. Staunende Passanten hatten sich um eine mollige Frau mit blauen, hochgesteckten Haaren versammelt, die laut lachte und mit einer großen Zuckerstange winkte.
"Da-das...wow." Glum fiel auf den Boden, als Crunkers ihm die Leine aus der Hand riss und dem Bau entgegen lief. Eine breite Treppe führte hinauf zu dem Portal, überall waren Säulen aus Baiser und Bonbons. Gut detaillierte Schokoladenstatuen säumten den Bau und das Gesicht einer rosafarbenen Katze aus Zuckerwatte und Marshmallows prangte über dem Eingang.
Glum besann sich allmählich wieder.
Er stand stotternd auf und näherte sich dem Berg aus Süßigkeiten. Fenster aus Zuckerguss mit Lakritzstreben schälten sich aus der Fassade und zwei Lebkuchenmänner standen am Fuß der Treppe. Er blinzelte, wandte widerwillig den Kopf, um zu sehen, wo er war.
Auf einem Schild stand 'Bachloser Weg'.
Er krächzte. "D-da-das...wie?"
Crunkers knabberte an einer Säule aus Zuckerbrot und wedelte mit dem Schwanz, während der Zwerg sich im Kreis drehte, die Arme ausgebreitet. "Aber hier..stand d-doch noch noch...oh...oh."
Er fiel wieder hin.
"Di-die Gebäude sind einfach...einfach zur S-Seite gewichen...die Gebäude sind einfach..."
Er stützte sich auf, wandte den Kopf, als ein Kind lachend an ihm vorbei lief, schüttelte ihn und schlurfte wie betäubt der Treppe und der Frau entgegen. Der Mob machte ein Durchkommen beinahe unmöglich. Ihm war furchtbar schwindlig. Das hier war gegen jede Realität. Gestern stand hier noch nichts. Er war selber hier. Mit Helmi. Und all diese Süßigkeiten das... das ging einfach nicht.
"Willkommen, willkommen.", plärrte die mollige Frau. Nicht nur ihre ulkige Frisur war blau, sondern auch ihr Kleid, welches einem Märchenkleid, wie es die Prinzessinnen in den Kindergeschichten trugen, glich, mit einem breiten Umfang. Sie winkte mit einer rot-weißen Zuckerstange und ihre Stimme übertönte die Menge ohne Mühe, dabei sprach sie nicht besonders laut.
"Willkommen im süßesten Ort auf Erden." Sie lachte laut und ausgiebig, der Mob blickte ungläubig und lachte unsicher mit. "Erlabt euch an der Vielfalt des Palastes, wo niemals der Hunger versiegt, ebenso wenig, wie die Herrlichkeit, die er zu bieten hat. Kommt, kommt alle her, wir laden euch ein. Seid unsere Gäste, bleibt, so lange ihr wollt. Es gibt genug für jeden und es wird niemals an etwas mangeln." Sie lachte wieder laut.
Jemand in der Menge fragte: "Entschuldigen Sie bitte, Madam, aber wieso wird niemals etwas weniger?"
Sie lachte wieder. "Weil der Palast sich selbst erneuert. Er wird alle eure Wünsche stillen."
Jemand anderes rief: "Was bedeutet diese...diese Grinsekatze da?"
Sie sah auf und antwortete: "Sie ist einfach dort und ...irgendwie anziehend, nicht?" Sie kicherte und winkte jemandem hinter Glum zu.
Er drehte sich um und erlitt wiederholt beinahe einen Schock. Die Lebkuchenmänner begannen sich zu bewegen. Sie schritten langsam die Stufen empor. Die Menge raunte, irgendwo fiel jemand um, eine Frau stöhnte auf und Kinder riefen Dinge, wie 'Krass!' und 'Voll der Hamma!'. Glum hob zitternd die Hand, weil er ansonsten nichts zu tun wusste. Die blaue Dame, wie es ihm spontan in den Sinn kam nickte ihm freundlich zu. "Ja, mein Kleiner?"
Er schluckte. "Wie...nein, woher kommt dieser Palast bitte überhaupt?"
Der Mob hielt den Atem und starrte die Dame an, die nur lächelte. Die Kinder versuchten Stücke der Lebkuchenmänner zu erwischen, doch sie schafften es nicht etwas aus ihnen herauszubrechen. Nun standen sie am Portal. "Wozu sollte man das wissen wollen?" Die Dame lachte laut und winkte den Lebkuchenmännern mit der Zuckerstange. "Genießt lieber die Herrlichkeit, die euch geboten wird." Die Portale schwangen auf.
Kinder kreischten, die Menge raunte, die Dame lachte und Glum verlor das Gleichgewicht, Crunkers bellte.

Zucker und Zank.


Ankh Morpork, Morpork. Praktisch über Nacht geschah ein Wunder nahe dem Haufen. Ein gewaltiger Palast aus lauter Süßigkeiten blockiert seit kurzem den 'Bachlosen Weg', scheinbar ein Werbegag? Scheinbar ein Streich? Nein. Niemand hat bisher eine Antwort aus der so genannten 'blauen Dame' bekommen, die offenbar die Hausherrin zu sein scheint. Auch unserem Reporter gegenüber konnte sie nur übereifrig lachen und bat ihn bloß einzutreten. Andere städtische Behörden, wie in etwa die Stadtwache und Büros des Patrizierpalastes, sowie die großen Gilden waren noch nicht gesprächsbereit und zeigten sich allesamt resigniert der Situation gegenüber. Lord Havelock Vetinari, Patrizier, opferte uns exakt zwei Minuten seiner kostbaren Zeit. Er lächelte jedoch nur milde und betonte, dass jemand, der Süßigkeiten verschenke doch nicht böse sein könne, es sei denn, es handle sich hierbei um einen Onkel, doch gegenteiliges solle erst noch bewiesen werden. Zweifellos eine beispielhafte Bemerkung. Die Bürger sind mit dieser Lage vorerst zufrieden, besuchen interessiert die mysteriöse Einrichtung und lassen sich von den anstehenden hitzigen Diskussionen nicht beeinflussen. Anscheinend finden die Kinder, die das Gebäude beinahe anzuziehen scheint besonderes Gefallen an dem Gesicht der großen rosafarbenen 'Grinsekatze', wie sie inzwischen gerufen wird, die über dem Eingang thront. Dennoch geben einem die wandelnden Lebkuchenmänner zu denken, doch auch hier teilte uns der Erzmagier der Unsichtbaren Universität mit, gelte es erst noch zu untersuchen, ob es sich hierbei um beabsichtigte Zauberei handle, oder lediglich um einen gut arangierten Trick.
William de Worde, Redakteur 'Ankh Morpork Times'.


Kommandeur Araghast Breguyar machte 'ha' und legte die Abendausgabe der Times beiseite. Im Kommandeursbüro fiel ein fahles Zwielicht herein, die letzten Strahlen der Abenddämmerung. Sie brachen sich in diversen gläsernen Behältern und warfen einen blassfarbigen Streifen an die Decke. Araghast nahm einen Bleistift und begann auf der Zeitung herum zu malen. Nach einer Weile hob er die Times und begutachtete sein Werk. Anschließend genoss er die Ruhe. Als es draußen ein Uhr mittags schlug warf er die Zeitung in den Mülleimer, stand auf, rückte seine Uniform zurecht und betrat das Wachhaus. Die ganze Zeit über hatte er geschwiegen. Bevor er das Wachhaus verließ holte er Versäumtes am Hauptgefreiten Kannichgut Zwiebel nach, der ihm noch immer keine Ergebnisse liefern konnte.

Aufgeregtes Bellen ließ Hauptmann Humph MeckDwarf von seiner Arbeit aufblicken.
Er runzelte die Stirn, schob seine Akte beiseite und wollte bereits nach dem erstbesten Gefreiten rufen, der ihm in den Sinn kam, als es an der Türe kratzte, etwa auf Kniehöhe. Als er aufstand und den Schreibtisch umrundete, bellte es noch aufgeregter und er beeilte sich zu öffnen. Etwas streifte ihn und ließ ihn wanken. Kurz glaubte er, nur für einen Sekundenbruchteil, etwas zu vernehmen, das in etwa so klang: Miiiiisssstvie...
Humph zählte innerlich bis drei, schlug dann die Türe zu, stemmte sich dagegen und hielt Ausschau nach dem, was gerade dabei war laut bellend um den Schreibtisch zu laufen und dabei eine Leine hinter sich herzog. Sie sauste wie ein Schweif hinter ihm in der Luft her.
"Crunkers! Platz!"
Das Tier gehorchte und die Leine ruckte nach vorne. Ein gellender Schrei und ersticktes Stöhnen begleitete diesen Vorgang.
"Crunkers. Was um Himmels..."
"Wimmer..."
"Crunkers?" Humph sah den Hund fragend an, ortete dann jedoch den Oberstabsspieß Harry rechts von ihm, platt an der Wand, alle Viere von sich gestreckt.
"Meine Güte, Harry.", sagte der Hauptmann besorgt und zog den Gnom von der Wand. Es schmatzte dabei, wie bei einem Saugpfropf.
"N'abend...stöhn...Sör."
Humph setzte ihn auf der Tischkante ab. "Himmel, was hat das zu bedeuten?"
"Das ist der Knackpunkt, Sör. Bitte um Erlaubnis noch einmal wimmern zu dürfen."
Humph sah Crunkers an, der leise vor sich hin knurrte.
"Warum ist er so aufgeregt, Oberstabsspieß? Wo war er überhaupt den ganzen Morgen? Ich lasse bereits nach ihm suchen. Der arme Ptupekh läuft sich schon seit vier Stunden die Hacken ab."
"Die Hacken ab, Sör?"
"Nur so eine Redewendung." Humph winkte ab. "Also Harry?"
Der Terrier warf dem Maskottchen noch einen giftigen Blick zu und berichtete anschließend.
"Wenn ich es nur wüsste. Ich ging gerade durch den Flur Richtung Treppe, als ich von unten jemanden Kreischen höre. Ich eilte also zur Treppe und kurz darauf war alles verschwommen, haarig und im Wirbelbereich gebrochen."
Crunkers bellte auf.
Harry stand wacklig auf und machte sich an den Abstieg hinunter vom Mobiliar, während der Abteilungsleiter die Leine aufgriff. Das sah der Hund als Anlass aufzuspringen und ihn durch den halben Raum Richtung Tür zu zerren.
"Ich glaube, er will uns etwas zeigen, Ober...hrrnnng..."
Auf ihrem Weg nach unten begegneten sie einem Gefreiten, der eifrig mit einem Zettel winkte, mit frischen rosaroten Wangen, die von zu viel Freizeit und Erholung kündeten.

Herr Rundlich, in seiner Eigenschaft Präsident der Bäckergilde, marschierte die Reihen seiner Lehrlinge und Untergebenen ab, stets den Bauch herausgedrückt.
"Niemand, aber auch absolut niemand hat irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen, bis ich es sage, verstanden? Wiederholen, Quellig!"
Der untersetzte Lehrling mit dem Mehl auf der Stirn zuckte kurz, murmelte dann allerdings: " Niemand, aber auch absolut niemand hat irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen, bis du es sagst Meister."
"Sehr schön, sehr schön. Und was ist daran so schwer zu verstehen...Puderstaub?"
"Öhm..." Der Schüler schnappte nach Luft. "Also das, ähm..."
Rundlich tippte einem seiner Bäcker auf den Bauch. Helles Tageslicht fiel in die Eingangshalle der Gilde.
"Kann er mir das Gefasel übersetzen?"
Der Bäckermeister namens Don DoNat nickte grimmig. "Aber gerne doch, Herr Präsident. Offenbar sehen die Herren und Damen Frischlinge in dem neuen...in der neuen...in dem neuen Ding eine Konkurrenz, folglich lag ihnen lediglich am Wohl ihrer Gilde. Und unter uns gesagt, Herr, finde ich es auch nicht gerade vernünftig, die Situation einfach so abzuwarten."
"Zum Glück habe ich dich nicht nach deiner Meinung gefragt, Don. Meine Erwartung an euch alle: Niemand, aber absolut niemand ist dazu berechtigt eine öffentliche Demonstration anzuzetteln, bevor ich den Befehl dazu gebe."
Jemand in der zweiten Reihe ließ enttäuscht ein Plakat sinken.
Es klopfte am Portal und der Pförtner öffnete, nahm einen Brief von jemandem entgegen und schloss das Portal wieder. Alle schwiegen währenddessen.
Der Pförtner kam hinkend auf Herrn Rundlich zu und überreichte ihm das Kurvet.
"Danke."
Rundlich öffnete es und las.
Seine Brille fiel klirrend zu Boden, als er den Kopf schief legte.

Lautes Gelächter schallte aus dem Redaktionsbüro.
Aus rein provilaktischen Gründen verdrehte Otto Chriek bereits vor dem Eintreten die Augen und klopfte dem Schreiberling neben ihm auf die Schultern.
"Aaaah. Otto. Otto. Mein Mann. Mein Stolz. Meine Alterversicherung."
Irgendwie kam Otto dieser Satz äußerst bekannt vor.
"Nun, danke, Mrr. de Worde. Aberr...warrum?"
William drehte sich in seinem Drehstuhl einmal um die Achse, hielt dann inne und nickte dem Schreiberling aufmunternd zu, der gerade seinen Kragen richtete.
"Na wegen dieses Photos, mit dem Farbfunken darauf. Hier."
Der Redakteur hielt Otto ein eingerahmtes Bild unter die Nase, das anscheinend aus dem Nichts aufgetaucht war. Es zeigte die Ergebnisse der letzten Nacht.
"Nun, diess isst ssicherrlich ein weiterrerr Schrritt in Rrichtung Farbphoto, aber eben nurr ein Schrritt. Ehrrlich gessagt, habe ich noch immerr keinen blassen Dunsst, wie man Farrbe an dass Bild bekommt. Alle weiterren Verrssuche ssind gescheiterrt...und dass auf rrecht klägliche Weisse."
"So?" William wirkte bestürzt. "Na, dann mach dich an die Arbeit, Mann. Der Raum hinter der Druckerei ist voll mit Farbe für die Pressen."
Otto setzte zu einem Protest an, in dem er darauf aufmerksam gemacht hätte, dass er das Bild in den Müll geworfen hätte, dass er es niemals hätte abdrucken wollen und vor allem, dass ihm aufgefallen sei, dass es bei der Riißaikling-Annahme nicht mehr dabei gewesen sei.
"Das und dieser Palast sind das Beste, was uns in der letzten Zeit passieren konnte." Nun strahlte William wieder, von seiner eigenen Erkenntnis begeistert. "Allerdings dürstet es unseren Lesern mehr nach den tiefgreifenderen Informationen."
Der Schreiberling hüstelte verlegen.
"Oh Verrzeihung." Otto drehte sich zu ihm herum. "Ähm, diess hierr Mrr. de Worde ist derr junge Herrr London. Err macht zurrzeit ein Prraktikum bei unss."
"So?" William beugte sich interessiert über den Schreibtisch. "Warum weiß ich davon nichts?"
"Man hat mir gesagt, ich solle mich an Herrn Klett wenden, Herr. Man sagte mir, du seiest zurzeit...unpässlich."
"So? Sagte man das?" William beugte sich noch weiter vor. "Wer sagte das?"
Die Alarmglocken des Photographen meldeten sich mit einem waren Konzert, sodass er beinahe befürchtete, man könne sie hören. "Wollen wirr nicht zum Grrund unserress Kommenss kommen, äh...kommen, kommen wirr kommen..." Er verstummte eingeschüchtert, als William sich auf seinen Stuhl zurücksinken ließ und die Augenbrauen hochzog.
"Ich bin ganz Ohr.", sagte er erwartungsvoll.
Der Praktikant namens London holte einen Stift hervor, den er hinter sein rechtes Ohr gesteckt hatte und fuhr damit die Zeilen auf seinem kleinen Notizblock nach, während er sagte: "Also gut, ähm...unten im Warteraum sitzt ein etwas...etwas sehr...ziemlich sogar...extrem...also sagen wir der Einfachheit halber eine Schnapsdrossel."
"Soweit nichts einzuwenden."
"Danke, Sör. Also er murmelte immer zu etwas von drei Schlucken, unendlichem Raum und grinsenden rosa Katzen."
"Offenbar ein Säufer. Hat die Sache noch eine Pointe oder so was?", fragte de Worde und zog die Nase hoch.
"Nun..." London wurde ein wenig unsicher. "...hoffen wir es doch. Er sagte, er habe auf einer Parkbank eine Zeitung gefunden...auf der Titelseite war das bunte Bild. Er wollte sich damit zudecken, aber, weil es nur eine halbe Ausgabe war, wickelte er lieber seine Flaschen darin ein...ähm, dann kam er unter einer Laterne vorbei und sah den Inhalt der Schnapsflasche durch da Papier schimmern..."
Der Redakteur nickte und blickte dabei rechts über die Schulter aus dem Fenster. "Immer noch besser, als das Hinkebein von Louises Gartenspatz, aber für einen Aufreißer noch nicht gut genug, mein Junge. Wenn das alles war, dann melde dich bei Herrn Hubert Stift im ersten Stock, der gibt dir dann..."
"Oh. Nein, Herr.", warf London hastig ein. "Jetzt kommt erst der Kluu an der Sache: Er sah durch die Lichtreflexion an der Flüssigkeit den Funken auf dem Bild tanzen und da fiel ihm etwas ein, sagte er. Er meinte, er habe so etwas schon vor kurzem gesehen..."
Otto sah London jetzt interessiert an, ebenso William, der überlegte: "Vielleicht, als wir das Photo schossen? Vielleicht war er in der Nähe?"
"Oh, nein Sör, er meinte, er hätte sich zu diesem Zeitpunkt an der Ecke Chro-nonho-ton-tholo-gos-straße und Bachloser Weg übergeben..."
Otto stöhnte und William sah den Praktikanten sprachlos wie vom Donner gerührt an.
"Äh, Mr. de Worde? Herr Chriek? Ist alles..."
"Können wir ihm das glauben, London?" De Worde war anscheinend direkt mit den Händen an Londons Schultern reißend vor seinem Schreibtisch materialisiert, ohne sich durch die Luft, geschweige denn um das Möbel herum bewegt zu haben, so aufgeregt schien er zu sein.
"Nun, Herr, er hat sich gleich danach am Allerwertesten gekratzt, aber ich denke..."
Als William und Otto bereits auf dem Weg nach unter wahren, vernahm London noch einen Nachruf des Photographen: "Fabelhaft Junge. Du solltesst einen Arrtikel schreiben..."
"Das habe ich auch vor, Herr Chriek.", rief er über das Geländer im Flur hinunter: "Ich denke über einen Roman nach, oder deren auch zwei..."
Allerdings bezweifelte der Praktikant, dass seine letzten Worte überhaupt irgendjemand anderer, als er selbst vernommen hatte.

"IM HALBKREIS UM DEN EINGANG AUFSTELLEN!", brüllte Oberfeldwebel Rea Dubiata im Eilschritt und fünf SEALS, sowie vier SUSI-Tatortwächter beschleunigten ihren Spurt und näherten sich dem Traumbau aus Kindertagen.
Gerade betrat eine neue Gruppe neugieriger den Palast aus Karieserregern und die blaue Dame hörte auf zu lächeln, als sie Wächter in Uniformen den Weg hinauflaufen sah. Sie winkte den beiden Lebkuchenwächtern, die sich näher zum Portal stellten und stieg in ihrem langen Kleid die Treppen aus Zuckerwürfeln hinab.
Die Lance-Korporals Scoglio und Will Passdochauf flankierten Reas Auftritt, während die übrigen Wächter den geforderten Halbkreis formierten und begannen den Mob abzuwehren. Alles in Allem war es ein recht beeindruckender Auftritt.
"Was geht hier vor, wer bist du?", erkundigte sich die blaue Dame freundlich.
Will gab Rea ein Formular, dass sich diese kurz besah und dann an ihr mysteriöses Gegenüber weiterreichte. "Stadtwache Ankh Morpork. Oberfeldwebel Dubiata, mein Name. Ich muss Ihnen mitteilen, Verehrteste, dass die Stadtverwaltung, sprich: seine Lordschaft der Patrizier und die großen Gilden, beschlossen haben bis auf weiteres diese Einrichtung zu schließen, bis weitere Ermittlungen genaueres ergeben."
Die Dame überflog das Formular, lachte laut auf und blickte Rea auffordernd an. "Welche Ermittlungen denn zum Beispiel? Ich wüsste nicht, was nicht in Ordnung sein sollte?"
"Woher kommt dieses Gebäude, was hat es mit den Lebkuchenmännern auf sich, wer sind Sie überhaupt und warum hat sich diese Straße geweitet, sodass das Gebäude hierher passt, ohne, dass die anderen Gebäude versetzt worden wären? Soll ich weiter machen? Gut."
Die Dame lächelte auch weiterhin, sagte jedoch nichts.
"Ich nehme an, dass das heißen soll, dass Sie wohl nicht gewillt sind uns hier und jetzt bei diesen Problemen zu helfen, nicht wahr?"
Die blaue Dame lachte und warf das Formular in die Luft. Sie rief: "Warum immer diese Probleme? Genießt doch lieber das euch gebotene..."
Rea nickte. Scoglio und Will und sie gingen zu dritt zurück Richtung Pseudopolisplatz. Nur die sehr detaillierte Schokoladenstatue am Fuße der Treppe, deren Gesicht in einer Verdrehung nach oben gewandt war konnte erkennen, dass der blauen Gestalt das Lachen nun vergangen war.

Der restliche Tag gestaltete sich als äußerst kompliziert.
Die DOG-Dobermänner durchwälzten das Archiv im Boucherie, die SUSIS untersuchten Proben der verschiedenen eingesammelten Süßigkeiten im Labor und die RUM zogen es sogar in Betracht der 'Öffentlichen Leihbibliothek' in der Gänsetorstraße einen Besuch abzustatten, doch der Portier erlitt beinahe einen Herzanfall, als sie die Türe öffneten. Laut ihm sei dies der erste Besuch in den letzten zwanzig Jahren gewesen. Der Mob gab es allmählich auf, durch die Barrikade der Stadtwächter gelangen zu wollen, seit der Kommandeur angeordnet hatte außerdem drei FROG-Zweierpärchen auf denumliegenden Dächern zu postieren und Carisa von Schloss Escrow, die zu diesem Zeitpunkt unter einem Dachbalken hing, die Sicherung ihrer Armbrust vergaß und einen Bolzen in das Sitzfleisch eines armen Passanten abschoss. Gegen Abend verscheuchten sie T.M.S.I.D.R. Schnapper, der wie am Abend zuvor auch seinen Warenbestand vergrößerte. Um neun Uhr abends gaben sich die Wächter alle Mühe, die demonstrierenden Mitglieder der Bäcker und Händlergilde zu vertreiben, jedoch ohne Erfolg. Sie protestierten gegen die freie Vergabe von Backwaren, da dadurch der Wettbewerb enorm gebremst würde. Die letzte Gruppe Besucher war schon vor vier Stunden aus dem Palast gekommen, angeführt von einem Lebkuchenmann und ob der Situation völlig überrascht gewesen. Intelligent, wie es nur die breite Masse sein kann, machte sie auf dem Absatz kehrt, um in das Gebäude zurück zu kehren, doch die Wächter konnten auch dies verhindern. Die blaue Dame zog sich daraufhin zurück in das Gebäude und ließ ihre zwei Meter großen Lebkuchenmänner draußen Wache stehen.
Diese schienen nicht ansprechbar, egal, was die Wächter versuchten und schließlich hielten sie sich möglichst fern von ihnen, da einem unangenehm wurde in der Nähe ewig grinsender Teiggesichter. In der Nacht war soweit alles ruhig, beinahe ungewöhnlich ruhig.
Crunkers hatte den abteilungsleitenden Hauptmann der DOG am letzten Abend zum Palast gezerrt, doch dann war er vor der Treppe stehen geblieben und hatte die blaue Dame mit ihrer Zuckerstange angeknurrt, sie versuchte ihm die Schnauze zu streicheln und der Hund versuchte nach ihr zu schnappen, woraufhin sie zwar lachte, doch Humph erst erlaubte das Gebäude zu betreten, wenn er das Tier weggebracht hätte. Es hatte ihn einiges an Mühe gekostet, das Maskottchen wieder bis zum Boucherie zu bringen, doch er erkannte den Ernst der Lage. Er wusste nicht, was er da erkannte, doch er wusste, dass da etwas war.

"So meine Lieben.", vernahmen die Anwesenden eine inzwischen unheimlich bekannte Stimme. "Dann wollen wir mal beginnen, wie?"
Inzwischen kannten sie alle den nun folgenden Vorgang, sie hatten ihn bereits mehrmals...hören können. Niemand sagte etwas. Genau genommen konnten sie das auch gar nicht. Er vernahm sich nähernde Schritte. Sehen konnten sie auch nichts. Aber das machte auch nichts mehr aus.
"Es tut nicht weh, im Gegenteil, es wird sich befriedigend anfühlen."
Er spürte ein warmes Prickeln an seinem Arm, jemand strich ihm darüber.
"Nanu?"
Sein Arm wurde fester gepackt, man fuhr ihm durch sein Gesicht, betastete mehrmals sein Kinn.
"Also das ist mal was Neues. Naja, wie dem auch sei, es hätte nicht geschehen dürfen, aber sei's drum, sei's drum. Wir sehen ja dann, was passiert."
Er zuckte.
Und es geriet Bewegung in die Sache.

Lord Witwenmacher, Präsident der Assassinengilde, saß würdevoll auf seinem Stuhl, in zweiter Reihe hinter ihm zwei seiner engsten Mitarbeiter, in dritter Reihe vier seiner Mitarbeiter der aktiveren Art. Im ovalen Offiss im Patrizierpalast hatte man um einen runden Tisch drei Stuhlreihen aufgestellt, die sich in eben jener Ordnung besetzten: direkt am Tisch die wichtigsten Vertreter der Stadt, es waren ungefähr zwanzig, dahinter jeweils ein bis drei Buchhalter, Anwälte, Berater, Sekretäre - was man eben anzubieten hatte und in dritter Reihe untergeordnete Gildenspezialisten, Einsatzleute und, wie der Lord bemerkte, eine fünfköpfige Abordnung des Mystikzirkels sowie Vertreter der Beschwörergilde. Sie saßen neben den Priestern, die sie mit Ignoranz straften, und wiederum von der Abordnung der Zauberer ihnen gegenüber giftig angestarrt wurden. Tatsächlich, so hatte er vorhin am Rande bemerkt, war einer der Priester aufgesprungen, weil sein Stuhlpolster offenbar zu schwelen begonnen hatte. Kurz darauf ließ es sich der buchführende Priester des blinden Io nicht nehmen immer dann, wenn er glaubte, dass man ihn nicht bemerkte, die Kopie der letzten Bilanz in Form von Papierkügelchen quer über den Tisch in Richtung Spitzhüte zu schmeißen.
Der Sekretär Drumknott nahm derzeit den einzigen Platz hinter dem einzigen freien Stuhl am Tisch ein. Hinter ihm saßen sechs weitere Sekretäre und diejenigen, die in seiner Nähe saßen versuchten auf ihn einzureden, sowohl einschmeichelnd, als auch drohend.
Der Vorsitzende der Schiffsbauergilde beklagte sich derzeit über die Nicht-Anwesenheit seiner Lordschaft. Drumknott ignorierte ihn und nickte abwesend aber höflich über die Erklärungen des Professors für physikalisch-mathematische Abweichungen der Gilde für Höhere Grade [1].
"Meine Damen und Herren." Lord Witwenmacher erhob sich nun von seinem Platz und musterte die Runde der ersten Reihe. "Ich schlage vor, wir können auch ohne seine Lordschaft mit der Debatte beginnen." Er hüstelte, gab somit Drumknott Gelegenheit für einen Einwand. Doch dieser nickte bloß und wünschte Gesundheit. Der Assassinenchef bedankte sich.
"Nun, wir wissen warum wir hier sind.", sagte er. "Aus demselben Grund, aus dem wir bereits gestern und die halbe Nacht hier waren: der..." Das Wort Palast wurde von den meisten Anwesenden gereizt ausgesprochen.
"Ein nettes kleines Wort der Begrüßung, Lord.", sagte Vetinari von der Türe aus. "Ich denke, wir können beginnen." Er schritt zu seinem Platz und ließ sich nieder.
Eine Papierkugel nutzte diesen Augenblick, in dem sich alle Blicke auf den Patrizier richteten den Quästor im Auge zu treffen.
"Danke, eure Lordschaft.", sagte Witwenmacher und ließ sich ebenfalls nieder.
Eine Minute lang schwiegen alle, nachdem Drumknott seinem Herrn einen Bericht übergeben hatte. "Das Gebäude ist also abgesichert, Kommandeur?", erkundigte sich Vetinari wie beiläufig.
"Jawohl, Herr.", bestätigte Araghast. "Zweifellos hat der Herr Sekretär dir gerade den jüngsten Bericht übergeben, Herr. Die Lage ist äußerst prekär und ehrlich gesagt allmählich lächerlich."
"Könnte der Kommandeur auch unseren Wenigkeiten gestatten mitzureden und sich klarer ausdrücken?", forderte Lord Rust.
"Diese Entscheidung liegt bei Lord Vetinari, da ich es eigentlich für besser halte, diesen Umstand geheim zu halten."
"Diesen Umstand geheim zu halten.", äffte einer der Sekretäre ihn leise nach. Man konnte es dennoch hören. Als alle ihn ansahen stammelte er allerdings: "I-ich meine ja nur, wenn es etwas gibt, das die Lage verändert, so sollten wir es doch wissen, oder nicht? Ich meine dafür sind wir hier, nicht?" Er verzog das Gesicht.
"Zweifelsohne, Herr Gutner von der Anwaltsgilde im ersten Stock und wenn ich mich nicht irre, mit dem roten Kaffeebecher, mit dem Elephanten drauf.", bestätigte Vetinari und winkte mit Hand, um Drumknott ein Zeichen zu geben. Dieser stand auf. [2]
"Verehrte Anwesende: Es gab Gefangennahmen. Wahrscheinlich, nicht bestimmt. Ein Hauptmann der Stadtwache beobachtete, wie Besucher den Süßigkeitenpalast betraten, jedoch nicht vollzählig wieder hinaus kamen..."
Die Anwesenden stöhnten.
"Was hat die Wache dagegen unternommen?", erkundigte sich Lord Venturi leicht genervt. "Hat sie das Betreten nur mit Vormund erlaubt?"
"...Offenbar sei auffällig, dass nicht in etwa einzelne Personen, sondern grundsätzlich Kinder mit ihren Eltern oder anderen Verwandten fehlten.", berichtete der Sekretär unbeirrt weiter.
"Das Gebäude wurde umstellt. Keine Besuche zugelassen.", antwortete Araghast. "Und wir haben in unseren Ermittlungen erste Ergebnisse erzielt, allerdings...nun, ich bin mir nicht sicher, wie man sie auswerten sollte." Er wandte sich an Mustrum Ridcully. "Ich bitte nach der Sitzung um eine Unterredung mit dem Erzkanzler, wenn es recht ist."
Ridcully brummte zustimmend. "Wenn es sein muss."
Der Oberste Hirte winselte, ebenso der Professor für Neue Runen, der Professor für unbestimmte Studien und der Dekan.
"Was soll das denn heißen?", bemerkte Rea Duiata hinter Araghast spitzfindig.
Ridcully brummte wieder. "Sie haben Hunger."
Rea verdrehte die Augen.
"Ich bin ja dafür, dass wir auf dem Rückweg noch etwas essen gehen.", schlug Neue Runen mit seiner dünnen Stimme vor. "'Wer noch? Hände nach oben."
Die Zauberer hinter Ridcully hoben zögernd die Hände, ebenso zwei der Sekretäre.
Der Erzkanzler besah sie mit einem strengen Blick. Die Hände sanken.
Vetinari nickte Araghast auffordernd zu. Dieser schüttelte den Kopf. Der Patrizier zog die Augenbrauen hoch.
"Es tut mir Leid, Herr, aber diese Ermittlungen sind äußerst geheim. Genau genommen bräuchten wir eine neue Klassifizierung einer Sicherheitsklasse höher als 'A'. Ich kann nicht offen vor den verehrten Anwesenden sprechen."
Weil damit unser Ruf absolut ruiniert wäre, dachte er.
"Verstehe." Vetinari nickte. "Solange es der Sicherheit dient..."

Im Schein unzähliger Kerzen durchlief der Bibliothekar die Reihen der Bibliotheksregale.
Unter seinen Armen klemmten ein paar Bücher. Das heißt, eigentlich klemmten davon auch zwei zwischen den Zehen seines linken Fußes, er hatte sich darauf beschränkt auf einem Bein zu hüpfen. Das bemerkte auch der Student, der just in diesem Moment um die Ecke kam und von einhundertfünfzig Kilo plus dreißig schlichtweg umgerannt wurde.
"Ugh.", kreischte der Orang-Utan ihm nach.

Hatscha al Nasa bedankte sich bei der Gefreiten Pyrrhula für die Überbringung der neuesten Ausgabe der Times. Sie setzte ihre Tasse an, blickte beim Trinken über den Rand und riss die Augen auf.
"Danke, aber ich hätte lieber die Spesen, Ma'am.", klagte Coccinella, das Gesicht feucht von Kaffee.
"Oh, entschuldige bitte, Gefreite." Hatscha wedelte aufgeregt mit der Zeitung. "Schnell. Geh los und...ach was, renn los und kauf noch ein paar Ausgaben davon!"

"Ein Penner will also gesehen haben, woher dieser Palast kam und seiner Meinung nach hat er sich durch bunte Funken erschaffen, verstehe ich das richtig, Korporal?", sagte Humph.
"Es steht doch da schwarz auf weiß, Hauptmann."
"Ich weiß." Er überlegte. "Das wäre ja beinahe zu phantastisch! Ich denke, davon würde der Kommandeur gerne unterrichtet werden."
Er stand auf. "Trommel mir doch bitte in circa zwei Stunden die Abteilung zusammen, in Ordnung? Wir machen einen kleinen Betriebsausflug..."

Es war später Nachmittag und es nieselte leicht. Eine Ratte kreuzte den Weg eines deprimierten SEALS, lief die Treppe des Palastes hinauf und beschnupperte die Zuckerblöcke, knabberte eine Weile daran herum und lief weiter. Sie huschte in verschiedenen Ritzen der Mauer und schlug sich hier den Bauch voll und dort. Satt und zufrieden machte sie sich auf den Rückweg. Sie knabberte noch ein wenig im Vorbeigehen hier und dort herum, bis sie zu einer der Schokoladenstatuen kam. Dort schnupperte sie, biss probehalber hinein. Der müde SEALS-Wächter, der sich am Tag zuvor noch stolz und wichtig gefühlt hatte beobachtete die schnellste Ratte, die er je gesehen hatte. Dann zuckte er desinteressiert mit den Schultern und bis ein großes Stück Zuckerguss von seiner Zwischenmahlzeit ab.

Der Hauptmann der DOG nickte bedenklich und äußerst verblüfft über die Worte des Kommandeurs.
"Kann so etwas wirklich möglich sein?"
"Aber ja.", sagte Araghast leise. "Der Bibliothekar der U.U. hat es herausgefunden. Und er sagte vollkommen überzeugt 'Ugh!'."
"Warum kommt mir das jetzt irgendwie unüberzeugend vor, Sör?"
"Oh, er war äußerst überzeugend. Er fuchtelte mit dem Folianten herum."
"Und das soll heißen..."
"Nein, nein. Der Foliant war eingebunden. In Leder. Die vollen viertausend Seiten. In Größe einer...nun circa einer Leinwand. Außerdem gestattete er uns es nachzulesen."
"Na dann." Humph salutierte. "Ich bitte um Erlaubnis einer Untersuchung, Sör. Und zwar gleich heute Nacht."
Araghast runzelte die Stirn. "Selbstverständlich stattgegeben. Aber warum fragst du? Das liegt doch ganz in deiner Hand."
"Ich wollte bloß sichergehen." Er wandte sich der Türe zu.
"Sichergehen? Wie darf ich das jetzt verstehen?"
"Bloß für den Fall, dass wir ein wenig...Unordnung veranstalten."
"Öh...gut. Aber mach hinterher sauber, in Ordnung?"

Die DOGs standen in Reih und Glied vor dem MeckDwarfschen Schreibtisch. Beziehungsweise sie standen so, wie es der Platz zuließ. Hatscha saß auf der Schreibtischkante, Harry daneben.
Humph betrat sein Büro und stutzte augenblicklich. Er sah fragend auf die diversen Stühle, vorsorglich an jede Wand und sogar unter seinen Schreibtisch.
"Die Abteilung steht diszipliniert.", sagte er zu Goldie.
"Natürlich, Sör.", antwortete diese.
"Warum?"
"Nun...", entgegnete die Zwergin verunsichert. "...warum denn auch nicht?"
"Niemand ist lässig an die Wand gelehnt, meine Zimmerbegonie..." Er betrachtete die Erde. "...ist kein Ablageplatz für Pfeifenasche. Hier stimmt doch etwas nicht!"
"Ähm, Sör...die Erklärung ist eigentlich ganz einfach.", meldete sich Patrick Nichts zu Wort: "Glum ist nicht da."
"Was?!"
Die meisten sahen ihn fragend an.
Harry fragte: "Du weißt da auch nichts von, Sör?"
"Nein, woher denn?"
"Nun wir dachten du hättest ihn auf Einsatz geschickt. Obwohl derzeit eigentlich nichts los ist."
"Ich? Aber ich habe nie...oh. Oh. OH. Das gibt es doch nicht!" Humph schlug sich die Hände vor sein Gesicht und stöhnte leicht verzweifelt. "Crunkers."
Unverständnis zeigte sich auf den anwesenden Gesichtern.
"Wo ist der Hund?"
Breda Krulock meldete sich. "Er schläft irgendwo unten bei den 'Damen', Sör."
"So? Machen wir doch ein kleines Ratespiel, ja?"
Hatscha verzog den Mund. Ptupekh hustete. "Wie dürfen wir das verstehen?", fragte er.
"Ganz einfach. Wir spielen Scharade. Das Ergebnis verrät uns, wo sich der Gefreite Steinstiefel und unser Einsatzziel befinden." Er stellte sich vor den Wächtern auf.
"Erstes Wort: Was ist der Grund, dass Arwan beim letzten Leg-Herrn-Zwiebel-rein-Abend so schlecht wurde, dass er sich übergeben musste? Genau auf den neuen Teppich?"
Arwan blickte beschämt zur Seite.
Helmi hob zögernd die Hand.
"Du musst nicht aufzeigen, Gefreiter. Ja?"
"Er hat sich mit Chips zugestopft?"
"Jawohl. Und was sind Chips?"
"Hm...Gebäck?"
"In erster Linie. Und in zweiter? In zweiter schmecken sie salzig. Was ist das Gegenteil davon? Und das als Nomen?"
Schizzel stöhnte. "Süßigkeit, Sör."
"Eben die. Wer errät das zweite Wort?"
"Riegel, Sör?"
Alles sahen Schizzel entgeistert an. Dieser blickte deprimiert zu Boden.
"Er meint Palast, Sizzel, äh...Schizzel.", sagte Coccinella stirnrunzelnd. "Und ich hoffe, dass ich mich irre. Mir sind diese Lebkuchenmänner unheimlich."
"Oh nein, du hast recht, Gefreite. Stellen wir nun den Trupp zusammen. Wer meldet sich freiwillig? Ich brauche mehr, als Huskys, Leute."
Arwan, Goldie und Patrick traten vor, der Rest zurück. Helmi wurde von der pflichtbewussten Coccinella jedoch während dieses Prozesses vorgestoßen.
"Wie wäre es mit dir?", fragte Hatscha Thomas, der verstohlen die Decke musterte.
"NEI...". Er schluckte. "...ja. Naja. Wenn es sein muss, Ma'am."
"Die beiden Korporal und ich wir kommen auch mit, Sör.", meldete Harry, nachdem er sich von den beiden durch ein Nicken dies hatte bestätigen lassen.
"Gut. Ich denke, dass das reichen wird.", schloss Humph. "Die anderen...ihr macht euch schlau, was diesen Palast angeht..."
"Ähm, Hauptmann?", rätselte Breda. "Das haben wir bereits versucht. Weißt du noch, wie wir zum Schluss weinten?"
"Chm...der Kommandeur hat mir da etwas sehr Interessantes erzählt."
Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch und winkte allen, dass sie es sich ruhig bequem machen könnten. "Also...was haben wir noch gleich herausgefunden, Leute?" Er räusperte sich. "Ja, Breda?"
"Nun...im Grunde herzlich wenig, Sör. In dem Märchenbuch, das die Gefreite Arwan versucht hatte als Bettlektüre zu lesen..." Arwan senkte beschämt den Kopf. "...fragte sie mich nach einem Wort..." Der Kopf sank noch weiter nach unten. "...welches da hieß: Zucker..." Helmi zog erstaunt die Augenbrauen hoch, als er sah, wie tief ein Kopf sinken konnte. "...und im Märchen 'Süßes für die Lieben, Saures für die Bösen" eine tragende Rolle spielte." Harry grinste ein wenig belustigt.
Arwan riss den Kopf hoch. "Hey, wir alle haben dann und wann unsere Macken. Seht euch Bernstein mal an, oder Stiefel..."
"Was da wohl passiert ist?", fragte sich Patrick halblaut.
"Das hoffe ich unter anderem herauszufinden, Korporal.", entgegnete Humph. "Fahr bitte fort, Breda."
Sie schluckte und erzählte weiterhin: "Nun gut, der Titel ist Programm. Es handelt sich hierbei um ein uraltes Märchen. Darin geht es um ein kleines Mädchen, das sich in ihrem Dorf in den Bergen fernab von anderen Städten alleine fühlt. Also erfindet sie sich eine imaginäre Freundin, ein gutmütige Frau. Sie sollte wohl eine Art...Mutterersatz für die Kleine darstellen. Sie lebt nämlich in dem Bergdorf, weil sie ihre Eltern verloren hat und von ihrem griesgrämigen Onkel in seine Hütte im Dorf aufgenommen worden war. Wie dem auch sei, freute sich das Mädchen immer, wenn es mit den Arbeiten fertig war, die ihr der Onkel aufgetragen hatte. Denn dann konnte sie mit ihrer imaginären Freundin spielen und Spaß haben. Dazu lief sie in den Wald, der an dem Berg hinauf wuchs und weiter zum Bach. Wenn sie sich darüber beugte, so konnte sie neben sich das Abbild der Frau sehen, als Wasserspiegelung. Spielte sie allerdings zu lange, so schickte ihr Onkel nach ihr, um sie zu finden. Für ihr Fehlen zog sie sich dann Prügel zu und wurde tagelang eingesperrt, ohne Essen, bloß mit Wasser."
Die Wächter lauschten halb gebannt, halb gelangweilt, weil sie die Geschichte schon kannten, doch wer konnte sich schon schönen Märchen entziehen?
"Ihre imaginäre Freundin aber blieb ihr erhalten. Und als sie eines Tages, geschwächt von der Prügel und des Nahrungsmangels Wasser vom Bach holen ging, um das Abendessen zu kochen, saß sie einige Minuten lang am Bach und sammelte Steine aus ihm, während sie leise vor sich hin weinte. Die Tränen fielen auf die Steine und benetzten sie. Sie jammerte dabei vor sich hin, und bevor sie ging legte sie die Steine zurück in den Bach. Und als sie ins Dorf zurückkehrte geschah etwas, was das kleine Mädchen entsetzte, was sie schockierte, doch in gewissem Maße belustigte..."

Es war inzwischen halb elf Uhr nachts.
Einige müde SEALS wanderten um den Süßigkeitenpalast.
Ruppert ag LochMoloch hob halb erschrocken die Hand, um sie der Person entgegen zu strecken, die sich gerade aus der Dunkelheit schälte.
"Ein wenig zu spät, würde ich meinen, Gefreiter.", tadelte Patrick Nichts und schüttelte sie zur Begrüßung, damit Ruppert nicht ganz so dämlich aussah.
"N'abend Sör.", krächzte dieser. "Wie kann ich...meine Güte."
Hinter Patrick tauchten weitere Gestalten auf.
Humph, Hatscha, Harry, auf deren Schulter, Helmi, Thomas, Breda, Goldie und Arwan gingen nacheinander an dem Vektor vorbei, jeder nickte ihm zu.
"Äh...kann ich irgendwie helfen, Sör?"
"Nun, nicht direkt.", sagte Patrick. "Informiere die anderen, dass wir den Befehl haben uns eine wenig in dem Baud dort umzusehen, klar?"
"Klar, Sör. Viel Erfolg, Leute."
Patrick hörte auf die Hand zu schütteln und huschte an Ruppert vorbei.
Dieser setzte seine Patroulie fort. Einige Minuten später lief er beinahe in zwei weitere vermummte Gestalten, die erschrocken vor ihm stehen blieben.
"Oh. Ähm...Halt! Wer seid ihr und wo wollt ihr hin?"
Die erste Gestalt hüstelte nervös und sagte: "Äh, wir sind auf einer Mission unterwegs...wegen, wegen..."
"...derr Mission eben.", beendete die andere Gestalt den Satz.
"Mission?", fragte Ruppert skeptisch.
"Ja, ähm...die isst geheim...verrdammt geheim nicht wahrr?"
"Autsch. Stimmt genau."
"Worum geht es da denn genau? Könnt ihr euch ausweisen?", fragte Ruppert argwöhnisch. Dann verdrehte er die Augen. "Ach was soll's denn? Bei einem Einsatz habt ihr eure Marken eh nicht dabei, wie? Geht einfach weiter, die anderen sind irgendwo da hinten. Hauptmann MeckDwarf wird sicher auf euch gewartet haben..."
"Haupt...ach so, ja. Danke, öhm..." Gestalt Nummer zwei beugte sich vor. "...Feldwebel."
"Eigentlich bloß Gefreiter...", rief Ruppert ihnen nach, während sie davonhuschten.
Er schüttelte den Kopf und ging weiter. Unterwegs lief ihm Michael Machwas über den Weg, sie grüßten sich knapp, Ruppert sagte ihm, was Patrick ihm aufgetragen hatte, mit der Bitte es auch den anderen mitzueilen. Kaum war Michael um die Ecke schlich sich etwas an ihm vorbei.
"Hey! Wer da?"
Ein dunkler Umriss verharrte im Dunkel.
"Puh! Hier richt es irgendwie...nach Tieren. Wie feuchtes Haar."
In der Dunkelheit wäre es schwer gewesen schnell zu reagieren, selbst, wenn es hell gewesen und Ruppert bis an die Zähne bewaffnet gewesen wäre.
Als er eine halbe Stunde später wieder seinen Weg fortsetzte und er wieder jemanden auf sich zu kommen sah, winkte er die Gestalt nur noch durch.
Es war sicherer.

"So."
Gott, war das eine Hitze. Sie schwitzten.
Und einige von ihnen fühlten sich äußerst fragwürdig.
"Lasst sie runter."
Ketten rasselten, irgendwo knirschte ein Holzbalken.
"Ich mag das Geräusch."
Ein seltsames Geräusch entstand. Als führe jemand mit einem befeuchteten Finger den Rand eines Weinglases entlang und ließe es klingen. Es kam und ging, man konnte mitzählen. Es entfernte sich, und kam nach ungefähr drei Sekunden wieder.
"Nun, wie fühlt ihr euch, meine Lieben?"
Dem Geräusch nach zu urteilen sackte jemand in sich zusammen.
"Oh.", bemerkte die Stimme. "Na gut, das gibt sich gleich wieder."

"In Ordnung, Leute."
Hatscha stieg als Letzte durch das sauber aufgeschnittene Fenster aus gehärtetem Zuckergelee. Sie flüsterte und machte dies mit einem Zeichen auch allen anderen klar. Sie befanden sich derzeit in einem lang gestreckten Korridor. Es war dunkel.
"Seid bloß leise, egal, was ihr tut. Wenn ihr entdeckt werdet, dann versucht aus dem Gebäude zu entkommen. Falls ihr euch deutlich wehren könnt, dann erledigt die Situation und versucht eure Opfer zu verstecken. Ich weiß nicht, ob wir hier auf besonders viele Menschen stoßen werden."
"Glaube ich nicht.", warf Harry ein. "Aber haltet Ausschau nach den vermutlichen Gefangenen."
"Und nach Glum!", flüsterte Helmi empört.
Soweit es Helmi erkennen konnte verdrehte Harry die Augen. "Also gut, sucht auch Stiefel. Der bekommt von mir eh noch was zu hören, einfach so selbst zu ermitteln..."
"Vielleicht wusste er auch gar nicht, was es mit dem Gebäude auf sich hat und hat es, wie alle anderen auch einfach besichtigt.", sagte Goldie.
"Das steht jetzt nicht zur Debatte!", sagte Humph bestimmt. "Wir teilen uns jetzt auf. Also: Hatscha, Goldie und Helmi ihr seid die erste Gruppe, Patrick, Breda, Thomas, Nummer zwei und Harry und Arwan kommen mit mir. Also: Schauen wir, dass wir nicht länger brauchen als zwei Stunden, dann müssten wir durch sein. So riesig ist der Palast ja auch nicht."
Er sah sich um.
"Da hinten geht es weiter."
Sie blickten in jene Richtung.
"Folgen wir dem Flurverlauf und sehen, wie wir weiterkommen, dann trennen wir uns. Also los. Und: leise!"
Sie schlichen im dunklen Flur entlang. Thomas blieb auf halber Strecke an etwas hängen.
"Hey.", flüsterte er panisch, als sich der Rest der Gruppe entfernte.
Sie drehten sich zu ihm um und Goldie verdrehte genervt die Augen. "Anhang an die Ausführungen des Korporals: Achtet immer auf eure Partner, Leute!"
"Nicht quatschen: helfen! Ich hänge hier fest.", giftete Thomas und Arwan zog ihn mit ein wenig Mühe von der Wand los.
Als urplötzlich der Gang aufhellte, sackte allen das Herz in die Hose. Erst jetzt konnten sie erkennen, dass die Wand von kleinen Säulenartigen Vorsprüngen aus Lakritz gesäumt war. Dort pressten sie sich nun flach hinein. Doch niemand kam den Gang entlang. Sie sahen sich fragend an. Helmi hob die Schultern und ging in die Hocke. Dann spähte er vorsichtig den Gang hinunter.
"Wow.", entfuhr es ihm.
"Was siehst du, Bernstein?", fragte Harry so still, dass er kaum Luft zu gebrauchen schien.
Helmi bedeutete den anderen, dass sie hervorkommen konnten. Und ihnen allen blieb die Luft weg. Sie blickten in einen Korridor, der sich einige hundert Meter erstreckte.
"Wie kann das nun wieder sein?", sagte Patrick halblaut.
"Pssst! Anscheinend befinden wir uns im Hauptgang. Irgendwo dahinten muss demnach das Portal sein. Aber unglaublich ist es schon. Der Flur muss ja die gesamte Palastlänge einnehmen.", überlegte Humph.
"Wo bist du eben hängen geblieben, Thomas?", fragte Breda und tippte ihn an.
Dieser deutete auf einen kleinen Hebel in der Wand hinter ihm.
Sie betrachteten ihn. "Anscheinend schaltet man damit das Licht an.", stellte Breda fest.
"Dann mach es aus!", sagte Hatscha. "Mir sind all diese Figuren hier unheimlich."
Sie sah den Gang hinunter. Zwischen jeder der Säulennischen befand sich jeweils eine Schokoladenstatue auf einem Baisersockel. Sie stellten Kinder dar, alle recht vergnügt.
Breda löschte das Licht und sie schlichen weiter, bis sie eine Türe erreichten.
Der Raum dahinter war bereits erleuchtet und sie machten neben der Türe den nächsten Lichtschalter aus. Es gab keine Fenster. In all dem süßen Zierrat und den anscheinend allgegenwärtigen Statuen standen hier einige Polstermöbel und in der Mitte ein Tisch. Ansonsten war der Raum leer. Von ihm gingen fünf Türen aus, sechs mit der Türe zum Gang hinter ihnen.
"Wie kann das sein?", fragte Goldie ungläubig. Dann stutzte sie. "Kann es sein, dass diese Frage heute bereits öfter gefallen ist?"
"Theoretisch müsste es hinter diesen Türen scharf abzweigen.", sagte Thomas. "Alles andere wäre wider der Logik. Die Länge des Gebäudes würde unwahrscheinlich ausreichen, für weitere Räume."
Humph öffnete vorsichtig die nächste Türe. "Leute, ich glaube, wir hätten das Märchenbuch auslesen sollen!"
Er trat beiseite und gewährte den anderen Einblick in eine gewaltige Halle. Der Boden war aus Karamellglasur, die Wände aus Zuckerguss. Ornamente waren mit Bonbons in sie hineingelassen. Die Türen, auch jene, durch die sie gekommen waren, waren eigentlich große Butterkekse. Aber Humph zweifelte nicht daran, dass sie keineswegs so brüchig waren, wie ihre kleineren Kollegen. Die Halle war leer, lediglich ein großes Damespiel war in den Boden eingelassen. Als Spielfiguren dienten Schokoladenstatuen. Ein dutzend Türen zweigten in jede Richtung ab.
"Scheiße.", flüsterte Helmi.
Sie gingen in die Halle hinein.
Humph holte tief Luft und nickte.
"In Ordnung.", sagte er. "Das ist der Punkt. Ich kann es zwar nicht glauben, aber es scheint wohl so zu sein, dass innerhalb des Gebäudes eine...eine abnormale Räumlichkeit erreicht wird. Das erschwert uns die Sache beträchtlich. Dann waren wir vorhin vielleicht nicht einmal im Hauptgang."
Er wischte sich Schweiß von der Stirn.
"Also gut. Teilen wir uns auf. Die Gruppen bleiben bestehen. Viel Erfolg, Leute."

Es klirrte, als die Scheibe aufgebrochen wurde.
Nun ja, eigentlich klirrte es weniger, es war eher ein dumpfes Aufpochen, eine Art Prasseln.
Zwei Gestalten stiegen in das Gebäude ein.
Die erste presste sich möglichst nah an die Wand, die zweite blieb mit einem Bein hängen, schnitt sich die Hand an einer Scherbe und purzelte ungeschickt und fluchend auf den Boden.
"Leise! Sollen sie uns hören?", schimpfte die erste Gestalt.
"Ohne diessen Mantel hätte ich auch fliegen können, Mrr. de Worde."
William de Worde zog sich die Kapuze aus dem Gesicht und sah sich um.
Sie befanden sich in einer Kammer, soviel konnte er erkennen, außerdem zwei große Schatten, einige Meter hoch. Sie rutschten auf etwas kleinem aus, William stieß sich den Fuß an etwas größerem. Er betastet stöhnend sein linkes Schienbein, dann den Gegenstand.
Schnell zog er die Hand zurück.
"Das klebt...", stellte er fest. Dann verdrehte er die Augen. "Was auch sonst?"
Otto Chriek trat an ihn heran. Er bückte sich und hob etwas vom Boden auf. Ein kleines Bonbon.
"Gib mir mal den Ikonographen.", sagte William und hatte ihn bereits an sich genommen, noch bevor Otto etwas sagen konnte. Ein Blitz durchzuckte für einen Sekundenbruchteil das Dunkel. Aber es reichte aus, um die Schatten deuten zu können.
"Ein Bonbonlagerr?", bemerkte Otto und nahm den Ikonographen wieder an sich.
"Scheint so. Komm mit. Hier ist eine Tür."

Eigentlich fand Patrick es absurd, dass so etwas passierte.
Das ein Märchen sich realisieren konnte. Aber noch absurder war diese abnorme Räumlichkeit. Seit mehreren Minuten liefen sie nun durch Gänge und fanden bloß immer neue Türen, meistens halb leere Räume ausgestattet mit Statuen oder Sitzmöbeln oder Hallen mit überdimensionalen Brettspielen, die in den Boden eingelassen waren. Es schien ganz so, als sei dem 'Erbauer' dieser Einrichtung mehr daran gelegen gewesen, Platz zu schaffen, als diesen Platz dann tatsächlich mit etwas zu füllen. Als sei der einzige Sinn dieses Gebäudes die Räumlichkeit, bereit mit irgendetwas gefüllt zu werden.
"Und?"
Breda, Thomas und Patrick trafen sich in der Mitte der Halle, in der außer den üblichen Statuen nichts war. Sie konnten einem auf Dauer schon unheimlich werden, da hatte Hatscha schon recht.
Breda sagte: "Flure, Räume, eine weitere Halle..."
"...und ein kleines Lager mit gebrannten Mandeln.", beendete Thomas den Satz.
"Hm. Gut, dann versuchen wir es eben mit der Türe dort drüben.
"Merkwürdig.", sagte Breda. "Wir haben noch keine Menschenseele gesehen..."
Patrick öffnete die Türe, bloß einen winzigen Spalt breit, sodass er kaum durchsehen konnte. "Und so was musst du laut sagen?!"
Er schloss die Türe wieder, ihm war übel.
"Was ist da drin, Sör?", fragte Thomas neugierig.
Patrick verzog angewidert das Gesicht und schüttelte den Kopf. Langsam entfernte er sich von der Türe. Breda und Thomas sahen sich an und nickten einmal. Breda öffnete die Türe wieder einen Spalt breit. Und jetzt bemerkte es auch Thomas. Ein Gestank von verrottendem Fleisch schlug ihm entgegen, faulig und abgestanden.
Breda wagte es, die Türe weiter zu öffnen. "Oh, du meine..."
Ihr Blick fiel auf einen achtlos zusammengeworfenen Haufen Leichen. Manche waren bloß noch Skelette, andere halb verwest, doch auch eine neuere schien dabei zu sein. Patrick lugte hinter ihnen durch die Türe, während sie mit angehaltener Luft ein paar Schritte in den Raum traten. Hier gab es kein Zierrat. Boden, Decken, Wände bestanden bloß aus Lebkuchen, braun und glatt.
"Sieh mal." Thomas deutete auf eine Leiche. "Was ist das?"
Breda sah hin. "Oh, nein." Ein Bart..."
Sie schlug die Hände vor ihr Gesicht, Patrick schob sich nun ganz durch die Türe und fasste sie an der Schulter. Thomas sah genauer hin, indem er sich vorbeugte, jedoch den Abstand bewahrte.
"Nein...", murmelte er: "...nein, Entwarnung. Das ist nicht Glum. Das ist ein anderer Zwerg."
"Woher willst du das wissen?"
"Nun, ich bin zwar kein Gerichtsmediziner, aber es wäre äußerst unwahrscheinlich, dass der Verwesungsprozess derart fortgeschritten wäre, in nur zwei Tagen."
"Es wäre auch,...", sagte Patrick: "...unwahrscheinlich, dass ein Haus ein derartige Ausdehnung besitzt."
"Seine Bartfrisur ist anders.", bemerkte Thomas. "Glum trägt seine, meine ich, in zwei geflochtenen Zöpfen. Dieser hier hat einen kurzen Bart. Ungeflochten."
"Na gut. Lasst uns wieder gehen.", sagte Breda und eilte zur Türe.
Draußen schlossen sie sie und beeilten sich die nächste zu erreichen, als sie sich nähernde Schritte vernahmen.

Draußen auf der Straße marschierten einige Gestalten auf, wie bereits oft in dieser Nacht.
Sie schlichen an den Wänden entlang und näherten sich dem Süßigkeitenpalast. Eine von ihnen zog etwas aus seiner Tasche, etwa unterarmlang.
Der Zufall wollte es, dass Ruppert eben in diesem Moment um die Ecke kam.
"Hey.", rief er: "Jetzt werden es langsam verdächtig viele."
Die Gestalten sprangen erschrocken auseinander.
Etwas blitzte auf, etwas wurde durch die Luft geworfen.

Humph, Harry und Arwan standen eng an die Wand gepresst.
Sie hatten bereits nach kurzer Zeit eine Treppe gefunden, die nach unten führte. Ziemlich weit nach unten. Selbst nach den Maßstäben, die man innerhalb dieser Wände anlegen musste, befanden sie sich wahrscheinlich bereits, verglichen mit dem normalen Maßstab, zwanzig Meter unter dem Straßenpflaster. Und dies war technisch gesehen absolut unmöglich.
Wenn ein Gebäude über Nacht einfach in einer Straße erscheinen konnte, dann war es immer noch undenkbar ein Kellergewölbe auszugraben, alleine in diesen Ausmaßen.
Die Treppe war hell erleuchtet; überall im Palast gab es blass leuchtende Kugeln, die sich unter der Decke entlang zogen beziehungsweise in den Boden eingelassen waren. Sie waren farbig und, wie sie festgestellt hatten, nichts anderes, als große, von innen heraus erleuchtete Bonbons. Unzählige Türen zweigten von der Treppe ab, alle dicht an dicht, um sich dahinter zu waren Gewölben zu entfalten. Sie stiegen weiter die Treppe hinab, nur noch wenige Meter trennten sie vom Fuß der Treppe. Sie hörten Aktivität, irgendwo in der Nähe.
Als der kleinste von ihnen lugte Harry um die Ecke.
"Ich sehe zwei von diesen Lebkuchenmännern, Sör. Sie kochen etwas."
"Kannst du erkennen was das ist?", flüsterte Humph.
"Hm...einer von ihnen zerreibt Kräuter, der andere rührt in einem Topf."
"Wie groß sind sie?"
"Beide gute zwei Meter groß."
Der Hauptmann stöhnte. "Also schön, Gefreite Arwan: Wir sind zu zweit." Beflissentlich ignorierte er den giftigen Blick des Gnomes. "Das sollte zu schaffen sein, immerhin handelt es sich hier um wandelndes Gebäck."
Arwan nickte. "Wie gehen wir vor?"
"Hm...wir...wir sehen zu, dass wir...könnten wir uns an ihnen vorbei schleichen, Oberstabsspieß?"
"Ich befürchte nicht, Sör."
"Na dann...sehen wir zu, dass wir etwas Schweres finden und machen Kekskrümel aus ihnen."
"Ein geeignetes Zitat für die Nachwelt, Hauptmann.", kommentierte Harry ironisch.
"Es ist gebackener Teig. Wahrscheinlich sind sie nicht allzu robust. Also auf drei.", sagte Humph. "Eins...zwei...zweieinhalb..."
Harry verdrehte die Augen.
"...drei! Los!"
Sie legten wahre Meistersprinte ein. Der erste Lebkuchenmann hatte gar keine Zeit, zu reagieren, sie stießen ihn einfach um. Arwan griff sich ein Messer, das auf dem großen Tisch in der Raummitte lag, wirbelte herum und wich bloß dadurch einem Hieb aus, indem sie sich auf den Boden warf. Harry hatte keine derartigen Mühen; er beeilte sich auf die Anrichte zu klettern, von der Humph sich soeben eine gusseiserne Bratpfanne griff. Damit drosch er dem Lebkuchenmann einmal von links und einmal von rechts auf den flachen Hinterkopf, der zu einem zweiten Schlag gegen Arwan ausholte. Er fiel zur Seite und Arwan stieß ihr Messer in den Kopf.
"Und was jetzt?", fragte sie schrill.
"Keine Ahnung.", keuchte Humph. "Schneid den Kopf ab."
"Was?"
"Es ist doch nur Lebkuchen, jetzt mach schon."
Arwan riss die Augen auf.
"ACH..."
Der Schlag traf den Abteilungsleiter mit voller Wucht und beförderte ihn und die Pfanne quer über den Tisch. Er landete scheppernd in einem Stapel Töpfe.
"HARRY!", kreischte Arwan und versuchte sich zur Seite zu rollen, wurde jedoch von einem, wie sie empfand, für wandelndes Gebäck viel zu harten Tritt zwei Meter weggetreten und stieß mit einem Knacken gegen die Anrichte.
"Hey, du da."
Der aufrecht stehende erste Lebkuchenmann drehte den Kopf und erblickte Harry, der mit einer Suppenkelle gegen die Aufhängung des großen Topfes stieß und ihn so gefährlich schwanken ließ. Er gab eine Art Zischen von sich und wankte ihm entgegen. Doch es war bereits zu spät. Harry stieß noch einmal gegen die Aufhängung und schaffte es den Kessel abzustoßen. Er fiel auf den Boden, kippte um und sein kochendheißer Inhalt ergoss sich über den Boden. Jetzt fauchte der Lebkuchenmann, wandte sich um und versuchte seinem Kollegen das Messer aus dem Hals zu ziehen. Humph hatte sich in dieser Zeit an der Wand hochgezogen und warf nun Töpfe nach den Zwei-Meter-Backwaren, allerdings war dies reichlich uneffizient. Sie ignorierten dies einfach.
Harry lief über die Anrichte zu Arwan, die mit flatternden Augenlidern halb lag, halb saß. Der erste Lebkuchenmann richtete seinen Partner auf und fixierte den Gnom.
Der zweite, nun stehende näherte sich Humph, den Arm bereits zu einem Hieb ausholend, der ihm wohl die Schädelknochen mit Leichtigkeit zertrümmern würde.
Harry sah, den braunen Arm von der Seite und änderte sofort seine Laufrichtung, was ihn rettete, doch der nun folgte ein wahres Stakkato von wuchtigen Schlägen. Er sprintete über die Anrichte, sah bereits ihr Ende nahen und sprang, gerade noch rechtzeitig, bevor ihn ein so heftiger Schlag getroffen hätte, dass er das Holz splittern ließ.
"ARWAN! HARRY!"
Humph duckte sich unter dem Hieb hinweg, der in seine Richtung ging und taumelte durch die Küche, Richtung Treppe zurück. Harry schlitterte über den nassen Boden auf ihn zu.
"Arwan ist bewusstlos, Sör.", keuchte er, als er seine Stiefel erreichte.
"Was?!"
Schwankend drehte er sich um.

Otto Chriek und sein Chef lehnten mutlos an einem Sockel, auf dem eine der Statuen stand.
"Dass isst ein Unding, Mrr de Worrde. Diesse Maße sind völlig unmöglich."
"Tatsächlich?", bemerkte William spitz und richtete sich auf. "Aber ich würde nicht sagen, dass dies unmöglich sei. Immerhin befindet sich die Universität nicht weit von hier."
"Und wie kommen wirr wiederr hierr herrauss?"
William sah Otto verwirrt an. "Wieso sollten wir nicht wieder herauskommen? Wir gehen, wie wir gekommen sind. Durchs Fenster."
"Sso?" Der Photograph stand ebenfalls auf und marschierte entschlossen in das nächste Zimmer. "Isst Ihnen in den letzten Minuten in irrgendeinem der Zimmerr ein Fenssterr aufgefallen?"
William sah sich um. "Jetzt, wo du es sagst..."
"Ich nehme an, ssie wissen nicht mehrr, von wo wirr gekommen ssind, nein?"
"Nein."
"Dann isst ja alless in Orrdnung."
Otto öffnete vorsichtig die Türe und lugte durch den Spalt.
Doch anstatt sie weiter zu öffnen blieb er stehen, wo er war.
Verlegte man die Perspektive ins Innere des Zimmers, so sah man, dass Otto einen Affen anstarrte, sowie ein Affe, eine Hand auf der Türklinke einer anderen Tür, einen großen Folianten unter dem anderen Arm, ihn anstarrte.

Die blaue Dame schritt durch einen weiten Korridor, sechs Wächter im Schlepptau.
Sie bewunderte die Pracht und Vielfalt, die sich mit Zucker in verschiedensten Formen erreichen ließ immer wieder aufs Neue. Ihr Zuckerstangenstab pochte auf den Boden aus festem Marzipan, ihr blaues Kleid raschelte. Und alles war aus einem einzigen Grund entstanden...
Im Licht, welches aus hunderten bunter Kugeln fiel, glitzerte etwas. Sofort blieb sie stehen und blickte auf. Ein Tropfen Karamell hatte sich von der Decke gelöst und fiel zu Boden.

Die beiden Lebkuchenmänner fixierten nun die benommene Arwan und drehten sich um, vergaßen Humph und Harry. Sie schritten auf sie zu und streckten die Arme aus. Der erste Lebkuchenmann wies an seinen Unterarmen kleine Risse von den Schlägen auf.
"Offenbar sind sie doch nicht so enorm robust.", rief Harry Humph hinterher, der sich seine Pfanne griff und auf ihre Feinde zulief.
"Kommt nur her. Ich hau euch in die Pfanne!"
Sie packten Arwan, hoben sie hoch, einer von beiden schlug Humph zu Boden und sie näherten sich der Treppe.
Harry musste sich beeilen, ihnen auszuweichen.
Arwan kam währenddessen wieder zu sich und begann schwach zu zappeln, doch sie hatte keine Chance. Plötzlich jedoch blickten die Lebkuchenmänner nach oben. Sie ließen die Obergefreite fallen und beschleunigten ihre Schritte ein wenig. Während sie an der stöhnenden Arwan vorbeimarschierten drehten sie zwar ihre Körper, doch ihre Köpfe blieben fix auf eine Stelle schräg unter der Decke gerichtet.
Die drei DOGs krabbelten, schlitterten, ruschten aufeinander zu und beobachtete, wie sich die kuriosen Wächter über die Treppe entfernten.
"Was war nun das?", keuchte Harry und sah fragend drein.
"Keine Ahnung.", sagte Humph. "Wie geht es dir Arwan?", fügte er an sie gerichtet hinzu.
"Das ist eine rhetorische Frage, stimmt's, Sör?"
Harry kletterte auf den Tisch und untersuchte die Kräuter, die der erste Lebkuchenmann zerstoßen hatte.
"Hm...", murmelte er: "...das ist Arsen."
Er blickte auf den Boden. "Eine Arsensuppe?"
Sie sahen sich unverständlich an.


Hatscha, Goldie und Helmi standen mit offenen Mündern in einer Halle, in deren Mitte ein gewaltiger Springbrunnen stand. Pudding lief an ihm herab, eine Schokoladenstatue stand auf der Spitze. Es war hell erleuchtet, eine vierstöckige Galerie verlief an den Wänden.
"Das ist ein Traum. Es ist fabelhaft.", kommentierte Helmi mit angehaltenem Atem. Überall in den Wänden waren bunte Bilder mit Lakritzen und Marzipan, Baiermasse und Weingummi eingelassen. Durch eine gewaltige Kuppel in der Decke sah man den bewölkten Nachthimmel, der diese Nacht kaum Mondlicht durchließ. Es musste inzwischen ungefähr zwei Uhr nachts sein. Sie waren schon viel zu lange in dem Gebäude.
Helmi streckte die Hand in den Pudding, während Goldie und Hatscha den Kopf in den Nacken legten und an die Wand zurückgingen, um von unten auch in die anderen Galerien blicken zu können.
"Sieh mal.", sagte Goldie: "Auf der zweiten Galerie stehen keine Statuen mehr. Und in der ersten sind Lücken."
"Stimmt. Siehst du die dritte?"
"Nein, nur das Geländer. Wir müssen zur rückwärtigen Wand, sonst ist die Aussicht zu steil. Gefreiter?"
Helmi wischte sich den Pudding von der Hand. Praktischerweise diente ihm dazu seine Hose.
"Ma'am?"
"Sag: Gibt es einen Grund, warum du das machst?"
"Nein, Ma'am."
"Dann lass es bleiben."
Hatscha bedeutete den anderen, dass es weiterginge, als sie weiter oben Geräusche vernahmen. Es musste wohl auf der dritten oder vierten Galerie sein beziehungsweise direkt über ihnen sein, denn sie konnten die Quelle nicht ausmachen. Allmählich konnten sie das Geräusch als Schritte identifizieren.
"Schnell.", flüsterte Goldie. Sie deutete auf die Türe etwa sieben Meter links von ihnen. Auf halbem Weg verharrten sie augenblicklich, da der Türflügel zu rechter Seite aufschwang.
Als jemand herauskam versteckten sie sich hinter diesem.
Ihr Herz klopfte und sie befürchteten, dass dies bereits ausreichen würde, dass man sie entdecken könnte. Alles war so plötzlich geschehen, dass Helmi die Situation noch immer für unwirklich hielt.
Jemand pochte auf den Boden.
"Kommt her! Ich gebiete es!"
Immer wieder pochte etwas auf den Boden.
Hatscha legte ihren Mund direkt an Goldies Ohr und hauchte mit flachem Atem: "Eine Idee, wie wir hier herauskommen sollen?"
Goldie runzelte die Stirn.
Als ein greller Schein durch die Kuppel hereinfiel rissen sie reflexartig die Köpfe empor.
Ein spitzer Aufschrei ertönte.

"BRINGT VERSTÄRKUNG!", brüllte einer der Vektoren durch die Nacht. Zu dem FROG neben ihm, der sich die Ohren zuhielt und das Gesicht verzogen hatte sagte er in normaler Lautstärke: "Verflucht. Ich kann nicht ausmachen, wie viele es sind. Es könnten ein bis zwei Dutzend, es könnten aber auch nur ein paar sein."
Valdimier van Varwald nahm die Hände von den Ohren und winkte ihn weiter. "Riegle das Gebiet ab, Hauptgefreiter. WURZELBACH. ZU MIR!" Er genoss es zuzusehen, wie der Wächter diesmal das Gesicht verzog und seiner Pflicht nachkam.
Schlumpi Wurzelbach kam angetrabt. "Ja, Sör?"
"Was machst du hier unten? Du sollst auf dem..." Ein Feuerschweif flog auf den Palast zu und erhellte für Sekunden die Nacht.
"Das kam von da drüben."
"...Dach sein, Wurzelbach."
"Ich weiß, Sör, allerdings..."
"Nein, von da drüben."
"...musste ich es räumen, da auf Stefan leider eine Fackel gelandet ist. Er hat zwar zum Glück nur eine Brandblase, aber ich habe trotzdem die Sanitäter gerufen."
Valdimier runzelte die Stirn. "Na gut, dann such dir ein anderes Dach...nein, warte!"
Etwas fiel in sein Blickfeld. "Was ist das?"
Sie kniffen beide die Augen zusammen.

Innerhalb einiger Minuten wurden Türen auf den verschiedenen Galerien geöffnet und Lebkuchenmänner bezogen auf ihnen Stellung. Als sich in der ersten Galerie zwei von ihnen am Geländer aufstellten war es nur noch eine Frage von Sekunden, bis sie zischten und in die Richtung der Wächter deuteten.
Goldie riss die Augen auf und Hatscha ergriff die Hände ihrer Begleiter. Sie stürmten los, rannten beinahe in einen Lebkuchenmann, erhaschten einen Blick auf die blaue Dame, als sie direkt durch die Türe liefen, hinter deren Flügel sie sich gerade noch versteckt hatten. Sie schlitterten, wurden beinahe von Hieben und Tritten getroffen.
"Packt sie! Packt sie!"
Hatscha war bereits weit den Gang hinunter, Goldie folgte ihr mit ein wenig Abstand, Helmi direkt hinter ihr.
"Bringt sie her, ihr Idioten! Packt sie!"
"Kleinaxt, Bernstein. Worauf wartet ihr?", rief Hatscha am Fuß einer Treppe, die nach unten führte. Goldie legte noch einen Zahn zu, schaffte es bis zu Hatscha, Helmi war noch einige Meter zu weit zurück. Ein brauner Arm tauchte aus einem Seitengang auf und traf Helmi derart heftig, dass er sich die Nase brach und durch seine Laufgeschwindigkeit noch einen Meter weiter flog.
"HELMI! Hatscha, wir mü...", rief Goldie, doch Hatscha zog sie die Stufen hinunter und schüttelte entschuldigend den Kopf, als ein gutes Dutzend Lebkuchenmänner um die Ecke getrabt kamen und den benommenen Zwerg ergriffen.

Die Offiziere der Stadtwache bahnten sich einen Weg durch den Mob, der sich durch das Feuer verpflichtet fühlte die Arbeit anständiger Stadtwächter zu erschweren. Eine grelle Stichflamme loderte auf, als der Kommandeur, Rea Dubiata, Rogi Feinstich und Laiza Harmonie auf den Platz vor der Treppe traten. Ein weiterer Flammenschweif folgte.
"Wer ist dafür verantwortlich?", polterte Laiza auch gleich los, als ihr ein SEALS-Hauptgefreiter über den Weg lief.
"Nein, eindeutig von da drüben."
"Bevor ich das sage, Ma'am...", sagte der Hauptgefreite: "...muss ich euch warnen, dass diese Situation schwierig werden könnte."
"Zur Kenntnis genommen."
"Also gut. Wir haben zwei der Brandstifter festgenommen, allerdings handelt..."
Es knallte laut durch die Nacht, als große Stücke von tragenden Keksen auf das Straßenpflaster schlugen.
"Wo bleibt denn die Eimerkette, Haupgefreiter?", fragte Araghast mit milder Besorgtheit.
"...sich um...ist bereits organisiert, Sör. Allerdings ist das Gebäude zu groß, um es mit einer Eimerkette zu löschen, von daher beschränken wir uns derzeit darauf, die umliegenden Gebäude vor dem Feuer zu bewahren..."
Laiza räusperte sich lautstark.
"...Verzeihung. Es handelt sich bei den Brandstiftern um Lehrlinge der Bäckergilde, Ma'am."
Eine der Säulen aus Baiser stürzte um und zerplatzte mit einem dumpfen Aufschlag auf dem Pflaster.
"Was?! Eine Gildenausschreit..."
"AUS DEM WEG HIER!", rief Valdimier ihnen entgegen, Schlumpi im Schlepptau.
"Waf ift denn lof?", zeterte Rogi ungeduldig und trat ihnen entgegen.
Schlumpi schüttelte den Kopf. "Hier gibt es gleich eine..."
Ein infernalisches Krachen hallte durch die Straßen, als sich das Raum-Zeit-Gefüge mit der Hitze vermischte. Aus einem Fenster, schräg neben der Fratze der rosafarbenen Grinsekatze ergoss sich Popcorn auf die Straße und entwickelte teilweise gefährliche Geschosse.
Wächter, wie Bürger warfen sich auf den Boden, Fenster klirrten, als sie von den Körnern durchschlagen wurden. Ein naher Feuerschweif flog durch die Nacht, jetzt so nahe, dass man ihn als Fackel erkennen konnte, die bloß eine Ecke weiter von den Offizieren geworfen wurde.
"Bring mir diesen Bäcker, Hauptgefreiter.", presste Rea zwischen den Zähnen hervor.
Hastig stand der Angesprochene auf und rannte in die Nebenstraße. Die Flammen erfassten nun auch das Gesicht der Grinsekatze. Sie schien Feuer zu speien.
"Kommandeur.", sagte Rogi und tippte Araghast an. Sie deutete zum Portal. Es schwang auf.

Patrick, Breda und Thomas stießen beinahe mit Humph, Harry und Arwan zusammen, die ihnen im Flur entgegenliefen. Arwan wurde übel, als sie die drei sah und hielt sich die Nase zu.
"Gute Güte, Korporal.", sagte Humph mit verzogener Miene. "Was ist passiert?"
Patrick sah an seiner Gruppe hinab. Sie hatten einige Blutflecke und sie stanken erbärmlich.
"Nun...wir haben da einen Raum entdeckt, und...er ist voller Leichen."
"Was?", stieß Breda aus. "Das wird ja immer seltsamer. Aber...wie lange wart ihr in dem Raum?", ergänzte sie mit einem Blick auf Thomas.
"Wir...hörten Schritte im Gang vor uns und...haben uns zwischen den..." Ihn schüttelte es vor Ekel: "...Leichen verstecken müssen."
"Da waren zwei Lebkuchenmänner, die eine tote Frau dort abgeliefert haben.", sagte Patrick und schüttelte sich. Breda zuckte mit den Schultern und schauderte. "Ich bin zwar untot, aber...wo kommen die Leichen her? An einem Ort, wie diesem?"
"Vielleicht hat das etwas mit der Arsensuppe zu tun?", rätselte Harry mit gerunzelter Stirn.
Irgendwo in der Ferne hörten sie ein lautes Knacken.
Nach kurzem Schweigen entschloss sich Patrick das Thema zu wechseln. "Leute, es ist zwar komisch, aber...sind euch in letzter Zeit Fenster aufgefallen?"
Sie sahen sich an. Dann stellte Humph etwas fest.
"Wir haben uns gehörig verlaufen. Ich denke, wir haben zwar nicht das gefunden, was wir wollten, aber es wird reichen. Los, lasst uns die anderen suchen und dann nichts, wie raus hier."

Die blaue Dame hatte den Knall vernommen und ihre Wächter entsandt, um sich darum zu kümmern. Sie trat an den bewusstlosen Helmi heran, der von zwei Lebkuchenmännern festgehalten wurde. Zähe, klebrige Tropfen lösten ich von der Decke und fielen zu Boden. Durch die Kuppel fiel flackerndes Licht herein. Sie hockte sich hin, blickte ihn an.
"Na los doch. Schafft ihn bloß weg von hier. Bringt ihn in den Schwenker."
Sie stand auf und tätschelte dem Zwerg aufs Haupt. Dann blickte sie die beiden Wächter mit zusammengekniffenen Augen an.
"Keine Fehler mehr!"

Nachdem sich William und Otto dem Bibliothekar als Reporter hatten ausweisen können, folgten sie ihm mit ein wenig Abstand durch das Gebäude. Gelegentlich flog Otto ein Stück als Fledermaus unter der Decke, was bereits hilfreich gewesen war. Auf diese Weise waren sie bereits mehreren Wächtern entgangen, doch der Bibliothekar machte sich die Sache viel einfacher. Als er vorhin in einem Raum einen Lebkuchenmann angetroffen hatte, hatte er ihm schlichtweg den Folianten entgegen geworfen. William wusste, dass dies seine Wirkung erfüllte. Das bewies der rote Striemen in seinem Gesicht eindrucksvoll.
Als sie um die nächste Ecke biegen wollten, pressten sie sich an die Wand. Der Bibliothekar legte einen Finger an die Lippen und machte leise: "Ugh!"
William deutete zur Decke und Otto hob ab. Als er zurück war berichtete er von vier Lebkuchenmännern, die einen Zwerg fortbrachten.
"Tatsächlich?", staunte William. "Das hieße ja..." Seine Miene zeigte Entzückung, während er das sagte: "Hier findet eine Entführung statt."
"Oderr bloß unerrwünschte Eindrringlinge, wie wirr es ssind."
"Obwohl der Palast zwei Tage für alles und jeden offen stand?!", entgegnete William und schüttelte den Kopf. "Nein, nein. Wir haben einen weiteren Skandal entdeckt. Mitten im Mysterium. Das ist einfach nur..."
"Ugh!", machte der Bibliothekar abwesend.
"Bitte?"
"Ugh!"
Er spähte um die Ecke.

Hatscha und Goldie schnappten nach Luft. Sie waren eine lange Treppe nach unten gelaufen, durch etliche Räume und Hallen, dabei mussten sie einigen Wächtern ausweichen und nun lagen sie erschöpft auf einer breiten Polstercouch in einem runden Zimmer, von dem lediglich drei Türen abgingen. Als sie wieder zu Luft gekommen waren, wankte Goldie zur mittleren der drei Türen. Durch die linke waren sie gekommen. Sie öffnete sie und lugte durch den Spalt, inzwischen bloß aus reiner Gewohnheit. Sie entdeckte ein Lager, in dem sich weiße Schokoladenblöcke stapelten.
"Wieder keine Fenster.", murmelte sie matt.
Hatscha setzte sich auf und stützte den Kopf in ihre Hände, diese auf die Lehne.
"So eine Scheiße! Mist, Mist, Mist!", fluchte sie und sprang zornig auf. "Dieser ganze blöde Einsatz hängt mir langsam zum Hals heraus. Komm, wir müssen hier raus!"
Wütend riss sie die dritte Türe auf. Eine Treppe nach unten.
"Kann es denn nicht einmal eine nach oben sein?"
Goldie schüttelte den Kopf und klopfte Hatscha auf die Schulter. Das hieß sie versuchte es. Technisch gesehen war es lediglich der Rücken, doch die Tat zählte im übertragenden Sinne.
"Ich verstehe dich, Korporal. Ich denke, das tun wir alle inzwischen."
Sie stiegen die Treppe hinab. Ihnen blieb nichts anderes übrig.
Je weiter sie hinab stiegen, desto wärmer wurde es. Am Ende der Treppe stießen sie auf eine schwere Türe. Sie war anscheinend ein mehrschichtiger Keks.
Hatscha betrachtete sie mit leicht irrem Blick. "Obwohl ich weiß, warum das so ist, frage ich mich, warum."
Goldie öffnete wie immer vorsichtig die Türe.
Sie riss die Augen auf und öffnete die Türe ganz.
Sie befanden sich auf einer Art Balkon, von dem man Blick in ein riesiges Gewölbe hatte. Diese Halle allerdings wurde von vier gewaltigen Zweidrittelkugeln eingenommen, die immerzu in Kreisbewegungen geschwenkt wurden. In ihnen schwappte eine hellbraune Masse. Zwischen diesen Zweidrittelkugeln verliefen breite Stege, ein wenig verwirrend ineinander geschachtelt. Vor dieser Konstruktion, unter dem Balkon lagen auf weißen Tüchern braue Dinge, überall dazwischen große, offene Krüge und Töpfe mit ebenso braunem Inhalt. An einer langen Reihe Ketten an der rückwärtigen Wand hinter den vier Zweidrittelkugeln und den Stegen, hingen circa zwanzig Körper. Die beiden Wächterinnen bekamen eine Gänsehaut und stiegen mit offenen Mündern staunend die schmalen Stufen zur rechten Balkonseite hinab.
"Ich weiß ja, dass heute nichts öfter gesagt wurde, aber: Das kann doch nicht sein!", keuchte Hatscha mit verzweifeltem Unterton. Die Zweidrittelkugeln schwenkten ungefähr um die Hälfte ihres Umfanges, will heißen: Sie schwenkten ziemlich gefährlich und neigten sich anscheinend so weit über, dass ihr Inhalt drohte hinauszuschwappen. Allerdings, so sahen die Wächterinnen war der Inhalt dazu zum Einen zu wenig und zum Anderen zu träge. Es handelte sich sehr wahrscheinlich um Teig. Teilweise bildeten sich Luftblasen.
Plötzlich packte Goldie Hatschas Arm so fest, dass sie überrascht aufstieß.
Die Zwergin deutete mit zitterndem Finger auf die braunen 'Dinger' unter dem Balkon und die stellvertretende Abteilungsleiterin sah genauer hin. Sie waren die lange Treppe weit genug hinunter gestiegen, dass sie Einzelheiten erkennen konnten. Es handelte sich sehr wahrscheinlich um Schokolade. In vielen von den Schokoladendingern konnte man nun Gesichter, Haare und Nägel erkennen. Einzelheiten, sehr fein in das weiche Material eingearbeitet. Doch Goldie deutete auf etwas, dass bei einigen der halb fertigen Statuen noch ersichtlich war: Haut.
Vorsichtig stiegen sie den Rest der Treppe hinunter, die ganze Zeit den Blick auf die Statuen gerichtet. Als sie direkt vor ihnen standen konnten sie es überdeutlich erkennen: Die Schokolade schien wie ein dünne Patina auf den Leibern zu liegen.
"Goldie...mir ist irgendwie nicht ganz guUUH!..."
Hatscha wich erschrocken zurück, als eines der Augen eine braune Blase schlug. Sie hörten ein seufzen und eine Kette rasseln.
"Das ist bestimmt kein Kinderparadies, das ist ein Horrorkabinett, Korporal!", wimmerte Goldie. Sie erklommen über einen breiten Steg die Konstruktion und blieben zunächst noch jedes Mal erschrocken stehen, als sich eine der Zweidrittelkugeln in ihre Richtung neigte. Dabei gaben sie ein helles Geräusch von sich, als ob man mit einem feuchten Finger über einen Weinglasrand führe. Es kam und ging ungefähr alle drei Sekunden.
"Weißt du was?", sagte Goldie und grinste leicht irre. "Die sehen aus, wie Cognackschwenker."
"Keine Scherze Lance-Korporal. Keine Scherze."
Sie hatten die Reihe der Gefangenen beinahe erreicht, als ihre Anwesenheit offenbar bemerkt wurde. Ein paar der Gefangenen stöhnten und wanden sich in ihren Ketten. Alle hatten sie die Augen und Münder versperrt. Man hatte ihnen eine Karamellkruste in die Haut gebrannt und sie mit den Armen nach oben angekettet, sodass sie weder hören, noch sehen, geschweige denn etwas dagegen machen konnten. Die Reihe war gute fünfzig Meter lang.
"Goldie, such nach etwas, womit wir diese Schlösser aufbekommen können."
"Welche Schlösser?", fragte die Zwergin verdutzt.
"Na Ketten haben doch Schlösser."
"Schon, aber...diese nicht. Sieh mal."
Hatscha sah genauer hin. Tatsächlich waren die Ketten in eine Art Schiene eingezogen worden. Danach war eine Art zweite Schiene darüber gelegt worden, damit man die Ketten nicht einfach wieder herausziehen konnte.
"Verdammt, was ist das hier?"
Einer der Gefangenen ruckte mit dem Kopf in ihre Richtung.
"Hört mal her...", sagte Hatscha mit lauter Stimme während Goldie nach dem Öffnungsmechanismus suchte: "Hier spricht die Stadtwache. Verhaltet euch ruhig! Wir werden euch hier herausholen!"
Der Gefangene begann leise zu wimmern. Zu mehr schien er auch nicht mehr in der Lage zu sein. Mit einem gequälten Gesichtsausdruck sah Hatscha ihn an. "Auch wenn es euch schwer fallen mag...", rief sie: "...bewahrt bitte Ruhe!"
Der Gefangene erschlaffte, doch er versuchte nun mit schwacher Anstrengung die Arme aus den Ketten zu ziehen. Hatscha näherte sich ihm vorsichtig. Er hing weit hinten am anderen Ende der Reihe, doch nun, da sie genauer hinsah bemerkte sie den rötlich-braunen Bart, den dicken Bauch darunter und vor allem: die mausgraue DOG-Uniform eines Gefreiten.
"Goldie!" Sie lief dem Zwerg entgegen und die Zwergin sag in ihre Richtung. "Hier ist er. Es ist Stiefel." Goldie runzelte die Stirn und lief ihrer Vorgesetzten einige Schritte nach, bevor sie sich besann und wieder die Suche nach einem Öffnungsmechanismus aufnahm.
Hatscha stand nun vor Glum.
Er hatte aufgehört zu zappeln, anscheinend war er dazu zu schwach. Sie legte ihm vorsichtig die Hand auf den Arm und versuchte mit der anderen die Karamellkruste von seinen Augen zu lösen. Er schnaufte dabei aus der Nase und wand den Kopf ein wenig, doch Hatscha fand, dass er sich eindeutig bemühte stillzuhalten. Vielleicht konnte er sich auch nur nicht stärker wehren.
"Korporal.", rief Goldie. "Ich habe hier einen Hebel gefunden. Ich zieh..."
"Nein! Warte noch kurz!"
Die erste Kruste löste sich von Glums linkem Auge. Er blinzelte, kniff dann das Auge zusammen vor Schmerz und vor Helligkeit. Ein dunkelroter, blutunterlaufener Abdruck zeigte sich dort, wo die Kruste sein Auge verdeckt hatte. Hatscha entfernte auch vorsichtig die zweite und zum Schluss die vor seinem Mund. Sie bemerkte, dass seine Haut sehr trocken zu sein schien.
Erschöpft und matt, mit einem Krächzen in der Stimme sagte Glum: "Hätte aber auch schneller gehen können!"
Hatscha lächelte: "Und ich hätte dir das Karamell vor dem Mund lassen sollen, Gefreiter. Und jetzt nimm Haltung an!"
Glum lächelte ebenfalls.
Sie winkte Goldie und verkündete laut: "Wir werden nun die Ketten lösen. Versucht bitte auf den Knien zu landen!"
Goldie drückte den Hebel hinunter. Die zweite Schiene schnappte mit einem Kratzen auf und zwanzig Körper schlugen dumpf auf den Boden auf, die wenigsten mit den Knien. Hier und dort ertönte ein Stöhnen, wo jemand von einer der Ketten getroffen wurde.
Goldie und Hatscha bückten sich zu den Gefallenen hinunter und versuchten sie aufzurichten und ihnen die Krusten abzunehmen. Viele waren einfach zu schwach, um sich von selbst aufrichten zu können.
"Glum, was ist das hier?", fragte Goldie, die sich um einen Mann neben dem Husky kümmerte.
"Das wissen wir nicht, Ma'am...aber wir..." Er schnappte nach Luft und hustete. "...wir haben Spritzen gesetzt bekommen. Zumindest ich...wahrscheinlich auch der Rest..." Er blinzelte, aber bemühte sich die Augen offen zu halten.
"Spritzen?!"
Ein Donnern und ein Beben ließ das Gewölbe erzittern. Im gleichen Moment schwang oben auf dem Balkon die Türe auf und zwei Lebkuchenmänner traten ein.

Die blaue Dame riss den Kopf nach oben zur Kuppel. Feuer brannten dort oben inzwischen lichterloh. Überall tropfte es klebrig und zäh hinunter, die Tropfen bildeten breite Lachen auf dem teilweise erwärmten Boden. Es wurde allmählich heißer im Palast.
Sie kniff die Augen zusammen und murmelte ein paar Worte.
Als ein weiteres Beben erfolgte, schrie sie laut auf.
"Die innere Struktur bricht zusammen."
Sie wirbelte herum und stieß den nächsten Wächter von sich.
"Löscht endlich dieses Feuer, ihr Idioten.", zischte sie ihm zu. Die Galerien leerten sich.

Patrick, Breda, Thomas, Humph, Harry und Arwan schwankten und liefen durch einen weiteren ellenlangen Flur.
"Hier muss doch irgendwo ein Fenster sein, zum Henker noch eins!", keuchte Breda.
Das zweite Beben erfasste sie und Breda rutschte auf dem Boden aus und zog Humph mit sich. Mit einem Fluch auf den Lippen richteten sie sich beide mit Hilfe der anderen auf und liefen weiter.
"Was ist das für ein Beben?!", fragte Arwan an niemanden gerichtet.
Sie liefen in den nächsten Raum. Es war die große Halle mit dem Damespiel.
Vor Freude hüpfte Patrick kurz auf und Harry musste sich auf seiner Schulter ziemlich stark festhalten, um nicht herunter zu fallen.
"Durch welche Türe kamen wir zu Anfang hinein?", überlegte Thomas angestrengt.
"Probieren wir einfach alle.", bestimmte Humph.
Just in diesem Moment öffnete sich die Türe an der Stirnseite der Halle und zwei Wächter kamen heraus, in ihrer Mitte einen Zwerg. Zielstrebig strebten sie der Türe entgegen, durch die die Stadtwächter vorhin hineingekommen waren.
"Das ist Helmi.", stellte Humph leise fest; wie die anderen auch hatte sie sich hinter den Schokoladenstatuen versteckt, die als Spielfiguren dienten.
Er hielt Patrick angestrengt fest, der schon loslaufen wollte.
"Was soll das, Hauptmann?"
"Diese Teile sind nicht leicht klein zu kriegen, Leute. Versucht sie auf den Boden zu pressen und...und trennt ihnen irgendwie die Köpfe."
Sie sahen sich an. Humph nickte und sie stürzten los. Als Helmi sie in seine Richtung laufen sah, schrie er glücklich auf und versuchte die Lebkuchenmänner mit Tritten zu erreichen, doch leider blieb dies erfolglos.
Arwan, Thomas und Harry stürzten sich gleich auf den ersten, die anderen auf den zweiten. Kurz darauf flog Harry durch die Luft, Thomas schlitterte einige Meter zur Seite und Helmi, der von den Wächtern losgelassen wurde schwang sich herum und half Arwan sich auf den ersten Lebkuchenmann zu pressen.
"Hallo, Leute.", presste er zwischen den Zähnen hervor. "Danke für die Hilfe."
"Geschenkt, Gefreiter.", rief Arwan und stöhnte angestrengt.
"Und was jetzt, Sör?", fragte Breda an Humph gewandt, mit ihrem gesamten Gewicht auf dem flachen Lebkuchenkopf sitzend.
"Thomas.", rief er ihm zu: "Geh rüber und zertrümmere eine der Bonbonlampen. Gib uns die Splitter." Wütend zischten die Lebkuchenmänner, was besonders beim zweiten merkwürdig klang und traten beziehungsweise schlugen um sich, je nachdem, welches Körperteil sie gerade frei hatten.
Hilflos sah sich Thomas um und bekam eine Idee. Er schob eine der Statuen an eine der Bodenleuchten heran und kippte sie. Mit einem Bersten schlug sie auf und zerplatzte. Ein paar Risse zeigten sich in der rötlichen Lampen.
"Thomas"
"Sofort.", rief er.
Er stieß noch zwei weitere Statuen dagegen und einige Splitter lösten sich. Er sammelte sie schnell ein und lief hinüber zu seinen Kollegen. Sie ergriffen die Splitter und stachen damit auf die Hälse der Lebkuchenmänner ein. Der zweite war seinen Kopf schnell los, doch der erste schaffte es sich aufzurichten und die Wächter wankend von sich zu stoßen. Sie kreischten und warfen sich gemeinsam auf ihn. Dies war auch sein Ende.
Stöhnend, keuchend und nach Luft schnappend lächelten sich die DOGs an.
"Das wäre erledigt.", bemerkte Helmi erschöpft. "Was nun?"
"Na raus hier!", sagte Patrick und fuchtelte mit seinem Splitter herum. Das Leuchten der Lampe war erloschen. Mehrere Türen öffneten sich, ebenfalls an der Stirnseite. Es mussten mehrere Dutzend Lebkuchenmänner sein.

Hatscha und Goldie standen erschrocken auf. Doch bevor die Lebkuchenmänner sich auch nur Richtung Treppe bewegen konnten kreischte etwas oder jemand weiter oben. Dann flog etwas dunkles an ihnen vorbei, gleich danach ein ziemlich großes gewichtiges Buch, welches den ersten Lebkuchenmann am Hinterkopf traf und zum Stolpern brachte. Ein rötlicher Sack, so konnte Goldie erkennen polterte die Treppe hinunter, dicht gefolgt von einem Mann. Der Sack warf sich gegen den getroffenen Wächter und stieß ihn den Balkon hinunter. Bevor dieser auf den Boden schlug und an mehreren Stellen brach, durchschlug die Faust des rötlichen Sacks den Bauch des zweiten Lebkuchenmannes und schickte ihn ebenfalls nach unten. Der dunkle Fleck zog einige Kreise unter der Decke und landete dann vor den beiden Frauen. Alles war innerhalb von Sekunden geschehen. Ein zweites Beben riss sie alle von den Füßen.
"Was hat das zu bedeuten?!", fragte Hatscha aus ihrer ungünstigen Position heraus giftig. Der dunkle Fleck verwandelte sich vor ihren Augen in einen Photographen mit erhobenem Ikonographen. Ein aufblitzen folgte.
"Herr Chriek?", ächzte Goldie und richtete sich mit ihrer Partnerin zusammen auf.
"Genau derr."
Hatscha holte tief Luft, bereit all ihrem Unmut Luft zu machen. Dass der Photograph und vor allem, wie sie gerade bemerkte, außerdem auch noch William de Worde und der Bibliothekar unerlaubt im Palast waren, war lediglich der Gipfel davon, doch dann stockte sie.
Stattdessen murmelte sie bloß halblaut: "Danke."
Sie machte sich wieder daran sich um die Gefangenen zu kümmern.
"Phantastisch. Phänomenal. Einfach umwerfend unglaublich!", hauchte William mit leuchtenden Augen. Einige der Gefangenen schnappten nach Luft oder lagen röchelnd auf dem Boden.
"Wie dürfen wir das verstehen?", fragte Goldie scharf und zog den Redakteur an seinem Kragen zu sich hinunter.
Beleidigt sagte dieser: "Verzeihung, Ma'am, aber sie zerknittern mir meinen Kragen. Die Menschen wollen Skandale sehen. Sie wollen das Grausame in ihrer Stadt haben, damit man woanders über sie spricht. Und das hier ist perfekt."
Goldie stieß ihn schnaubend zurück. "Helfen Sie uns gefälligst."
Glum zog sich wimmernd an der Wand hoch und versuchte sich dort zu halten. Urplötzlich schloss sich eine haarige Hand um sein Handgelenk.
"Hey!", ächzte er halblaut. Der Bibliothekar schob seinen Ärmel hoch.
"Ugh!"
Glum flimmerte es vor den Augen und er sackte wieder auf den Boden, als der Orang-Utan über einen dunklen Bluterguss an Glums Arm strich. Er zog den Ärmel weiter hoch.
Die anderen Anwesenden, ausschließlich der Gefangenen sahen ihm dabei über die Schulter.
"Ugh?"
An Glums Arm zeigte sich eine blutig-schwarze Verfärbung, einer Kruste nicht ganz unähnlich. Die Haut sah verbrannt aus und um die Wunde herum bräunlich. Dem Zwerg wurde schwindlig, als der Bibliothekar auf diese Stelle drückte.

"Das...das sieht nicht allzu schlimm aus...alles bestens, Gefreiter.", sagte Goldie und wandte sich angeekelt ab, als Glum schmerzvoll aufschrie, Bräunliche Flüssigkeit tropfte an seinem Arm hinunter.
Hatscha, die kurz vor dem Würgen war fragte: "Glum...haben sie dir an dieser Stelle die Spritze gegeben?"
Er stöhnte.
"Wundbrand! Aber was für einer." Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: "Warum tropft er braun?"
"Ugh!"
Hatscha blinzelte.
"Herr Chriek.", wandte sie sich an diesen. "Bitte tu uns den Gefallen und flieg hoch. Sie nach, ob du irgendwo in diesem Gewölbe Anzeichen von medizinischen Geräten entdecken kannst."
In jedem ihrer Worte schwangen Ausrufezeichen mit.
Otto nickte und verwandelte sich. William bekritzelte so hastig seinen Block, dass er immer wieder Löcher in die einzelnen Seiten riss.
Der Bibliothekar ließ von Glums Arm ab und betrachtete nun die schwenkenden Zweidrittelkugeln, in denen träger Teig schwappte. Hatscha und Goldie stützten Glum wieder auf, der daraufhin benommen und schwankend versuchte ein paar Schritte zu laufen.

Das Bild, das sich draußen im Bachlosen Weg in Ankh Morpork zeigte war schlichtweg abstrus. Der Palast brannte lichterloh. Überall platzten die Säulen, Statuen, Ornamente. Die Treppe aus Zucker schmolz weg und lief als träger Bach hinunter auf das Straßenpflaster. Fackeln wurden keine mehr geworfen. Die Schuldigen waren allesamt eingesammelt und ins Wachhaus gebracht worden. Die Bewohner der umliegenden Gebäude hatten ein paar Eimerketten gebildet, doch sie waren nicht genug, um bis zum Ankh zu reichen. Wer keines der Häuser bewohnte interessierte sich nicht dafür, dass eine anderes drohte in Flammen aufzugehen. Als das Portal das erste Mal aufgeschwungen war spuckte es zehn Lebkuchenmänner aus, die mithilfe der Stadtwachentrolle leicht zu überwältigen waren. Jetzt lagen sie zerbröselt, von Pfeilen durchbohrt oder kopflos auf der Straße.
Als nun zum zweiten Mal das Tor aufschwang und ungefähr dreißig Lebkuchenmänner in die Nacht traten sackte den Stadtwächtern das Herz in die Hose.

"BEEILUNG! DURCH DIE TÜRE DA DRÜBEN!", polterte Humph und sie rannten, verfolgt von braunen Leibern durch den Saal. Zischen und Fauchen ertönte hinter ihnen, als sie die Türe zuschmissen. Sie standen in dem Raum mit den sechs Türen. Fünf ohne die ihre.
"Schnell, seht hinter die Türen."
Nach einigen Augenblicken verkündete Arwan, sie habe die richtige gefunden.
"Endlich!", rief sie. "Ich war noch nie so froh, Licht zu sehen."
"Wartet!", stieß Patrick hervor. "Was ist mit den anderen?"
Helmi fasste sich an die Stirn. "Hatscha und Goldie sind hier noch irgendwo."
Hinter ihnen flog krachend eine Türe auf. Sie prallte so hart gegen die Wand, dass sich in dem Butterkeks, der sie war, ein Riss bildete. Zischend kamen die Lebkuchenmänner angelaufen.
"Keine Zeit mehr, Gefreiter.", sagte Breda verzweifelt und ergriff seine Hand. Sie liefen weiter den Flur hinauf. "Achtet auf unser Fenster."
Es Donnerte markerschütternd und das heftigste von allen Beben riss sie von den Füßen. Sie prallten auf den harten Boden, rappelten sich wieder auf und rannten weiter.
"Da! Ich kann es sehen! Dort ist es!", brüllte Harry von Patricks Schulter aus.
"Bildet eine Räuberleiter!", befahl Humph leicht panisch und mit den Nerven am Rande der Wahrnehmung. Es war langsam unerträglich heiß geworden und das Gebäude schien in seinen Grundfesten zu zittern. "Und der erste."
Patrick hatte die Hände gefaltet und ging in die Knie. Als Arwan gerade mit dem Fuß in seine Hände steigen wollte, ertönte ein klares Klingen. Auf eine gewisse Weise eine akustische Dissonanz, dennoch hell und klar. Es war ein Ton, der zwar wunderschön und angenehm klang, doch man wusste, dass er nichts Gutes verhieß.
Langsamer, als es die Situation erlaubte drehten sie sich um.
Etwas Merkwürdiges geschah. Ihre Verfolger waren stehen geblieben. In der Ferne ertönte ein schnell näher kommendes Donnern.
"SCHNELL! BEEILUNG!", brüllte Breda brachial, verwandelte sich und flog aus dem Fenster hinaus in die Nacht. Arwan stieß sich ab, sprang durch das säuberlich aus der Scheibe geschnittene Loch. Thomas hinterher, Harry auf der Schulter. In dem Moment, als er sprang hatte sie das Donnern erreicht. Patrick, Humph und Helmi sahen sich um.
Wider aller Regeln, aller Vorstellungen und jeder Physik brachen die Wände und Säulen des Flures ein. Sie bersteten allerdings nicht in etwa, sondern schienen sich zusammenzufalten und dabei zu schrumpfen. Bunte Funken tanzten überall in der Luft herum. Und sie kamen rasend schnell näher. Jetzt ging es um Sekunden.
Humph packte Helmi, schob ihn nach vorne und der Zwerg sprang.
"Patrick."
Humph bildete eine Räuberleiter für den Korporal. Dieser zögerte nur einen Sekundenbruchteil, dann stieg er in die gefalteten Hände und sprang. Die Lebkuchenmänner wurden von dem Geschehen erfasst. Geräuschlos zerbersteten sie. Nur hundert Meter von Humph entfernt zerfiel der letzte zu Staub. Der Hauptmann schrie, warf sich gegen eine Statue und brachte sie so zu Fall. Breda schwebte über dem Fensterbrett, verwandelte sich und landete darauf. Mit der einen Hand hielt sie sich am Rahmen fest, die andere streckte sie ihrem Vorgesetzten entgegen. Sie riss die Augen auf, als sie die Wände erblickte.
Humph nahm kurzen Anlauf, sprang auf die halb geschmolzene Statue, blieb mit dem Fuß darin stecken. Die Zusammenfaltung war jetzt ungefähr fünfzig Meter von ihm entfernt. Breda sprang in den Flur zurück, unter Missachtung von Humphs Flüchen, die im Getöse der Wände und Säulen unter ging. Sie faltete die Hände und nickte ihm zu. Er nahm Anlauf und sprang. Mit einem Schulterblick verschwamm Breda zu einer Wolke und flog als Fledermaus durch die Fensteröffnung. Nur eine Sekunde später hatte sich das Stück Wand des Fensters gefaltet.
TOD stand am Ende des Flures und seufzte, als er sah, wie der Vampir in die Nacht entfloh.
"ICH HASSE DIESE BEINAHE-ERLEBNISSE!"

Das große Gesicht der Grinsekatze knirschte und fiel.
Es zog einen brennenden Schweif hinter sich her und schlug auf die Treppe, begrub dabei die meisten der Lebkuchenmänner unter sich.
Die DOGs unter dem Fenster keuchten und stöhnten.
Von außen ließ sich nicht anmerken was gerade innerhalb der Mauern geschehen war.

Die blaue Dame wand sich unter Qualen auf dem schmelzenden Boden der Galerie, als sich die Türe hinter ihr öffnete. Eine Gruppe Menschen wankte herein, schrecklich geschwächt und torkelnd. Manche fielen immer wieder um. Der Bibliothekar trug zwei von ihnen auf dem Rücken, Hatscha und Goldie stützten jeweils eine Frau. Glum hielt sich an Otto fest, William half den Fallenden auf. Es war der reinste Trauerzug.
Die Dame blickte in ihre Richtung und kreischte entsetzt, als Goldie und Hatscha ihre Last vorsichtig absetzten und auf sie zumarschierten. Goldie entging nur knapp einem Schlag mit der Zuckerstange, dann entriss sie der blauen Dame, die auf dem Boden zurückwich. Dann riss Hatscha endgültig der Geduldsfaden. Sie packte die blaue Dame an den Haaren und zog sie mühsam beherrscht hoch, bis sie stand.
"Wo geht es hier raus?", fragte sie mit bebender Stimme.
Die Dame schluchzte. Eine Träne bildete sich in ihrem Auge.
"WO GEHT ES HIER RAUS?", schrie Hatscha sie an und verpasste der Dame eine saftige Ohrfeige, als sie noch immer nicht antwortete.
Auf dem Boden liegend, schwer atmend sagte sie zitternd: "Ihr habt die Struktur zerstört. Ihr bösen Menschen habt die Struktur zerstört!"
Goldie kniete sich mit verkrampften Fäusten nieder. "Welche Struktur?"
"Der Palast ist einmalig.", verkündete die blaue Dame mit einem Hauch von Stolz in der Stimme. "Er bewegt sich in den Dimensionen. Und ihr habt das Gefüge vernichtet!"
Es bebte. Doch sie konnten sich auf den Beinen halten, mit Ausnahme der Gruppe befreiter Gefangener. Hatscha lief es heiß und kalt den Rücken hinunter.
"Die Dimensionen...heißt das...", sagte sie und blickte dabei auf die leeren Galerien: "...dass der Palast in sich zusammenfällt?"
Der Bibliothekar tauchte neben ihnen auf und kreischte, deutete dabei auf den Folianten unter seinem Arm. Die beiden Menschen trug er immer noch.
Zähe Bänder zogen sich von der Decke zum Boden. Man stand mit der Fußsohle in klebriger Flüssigkeit.
"Deshalb ist er hier.", sagte Goldie entgeistert. "Er wusste davon!"
"Ugh! UGH!"
William beugte sich nun über die Dame. "Ich denke, die Stadt brennt auf Antworten, meine Dame."
Hatscha und Goldie nahmen den Folianten und blätterten darin. Der Bibliothekar be'-ugh'-te sie dabei. Otto kam mit Glum angetorkelt.
"Diese Stadt ist böse!", fauchte die blaue Dame zornig und reckte sich nach oben, sodass sie aufsaß. "Der einzige Sinn dieses Palastes besteht darin, Kindern Freude zu bereiten, sie von ihren Plagen zu befreien. IHR VERNICHTET IHN!"
Glum ließ sich fallen und packte sie am Kragen. "Und Kindern bereitet man Freude, indem man sie in Statuen verwandelt? In Schokolade? Und ihre Eltern in Sklaven aus Lebkuchen?!", sagte er angestrengt. Währe er bei Kräften gewesen, hätte er sich erst einmal gründlich ausgeschrieen. Die blaue Dame sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an.
"Ich lebe für die Kinder. Ich bin ihre Träume. Der Palast ist ihr Traum. Und sie können ein Teil davon werden! Auf ewig an diesem Ort der Wollust verbleiben..."
"Dürfen wir in diesem Fall davon ausgehen...?", bemerkte William mit der Zunge im Mundwinkel.
"MR. DE WORDE!", schrie Goldie ihm dazwischen und rempelte ihn an, sodass er fiel. "Dies ist alles andere, als der richtige Zeitpunkt!"
William starrte sie giftig an, hielt jedoch lieber den Mund.
"Und was ist mit uns?", zischte Glum und deutete mit einem zitternden Finger auf die Gruppe Menschen, die nun versuchte, sich gegenseitig zu stützen. Einige robbten in ihre Richtung.
"Ihr währt das geworden, was euch zusteht!", erwiderte die Dame beinahe Nase an Nase mit dem Zwerg. "Ihr, die ihr Regeln vorschreibt, ihr, die ihr eure Kinder einzwängt, ihr habt nichts anderes verdient, als selbst nach Regeln zu leben, eingezwängt zu werden. Als Diener aus Lebkuchen hätte ich euch den Undank spüren lassen, den ihr Kindern antut. Wer nicht geeignet erschien wurde vergiftet und entsorgt."
"Wie kann man Kindern etwas Gutes tun, wenn man ihnen ihre Eltern raubt?"
"Nicht geraubt! Als meine Sklaven hätten sie sie jederzeit bewundern können! Sie hätten vor den Statuen bereuen können. Die wahren Herrscher an diesem Ort sind die Kinder."
"Ich habe gar keine Kinder."
"Dieser Fehler hätte nicht geschehen dürfen!", zischte sie. "Der Sklave wurde bestraft."
Hatscha klappte das Buch zu und drehte sich langsam um. Sie strich sachte die Arme Glums beiseite und übernahm den Kragen der blauen Dame, die sich in eine Pose aufgestützt hatte, die puren Stolz und Hochmut ausdrückte.
Die Beherrschtheit in Person stellte Hatscha fest: "Und dafür hast du das Blut der Kinder in Schokolade verwandelt? Mit einer Spritze vielleicht? Und mit einer zweiten, damit sie in ihren Poren Schokolade bilden?"
"Sie sollten ihren eigenen Traum erfüllen. Sie sollten Kinderträume war werden lassen. Ein Leben im Paradies. Ein Leben als Paradies!"
"Schönheit liegt immer im Auge des Betrachters. Kinder wollen leben, sie wollen die Freiheit. Aber nicht so, meine Dame. Sie erfüllen keine Kinderträume, sie schufen keine Kinderwelt." Hatscha schüttelte den Kopf. Alle sahen die beiden an. "Und eigentlich hätten sie es auch wissen müssen, seit das Mädchen ihnen damals Gestalt verlieh."
Fragende Blicke wurden ausgetauscht, die blaue Dame schien überrascht zu sein, denn sie öffnete den Mund, schloss ihn dann jedoch lächelnd wieder.
"Ach...das Mädchen, ja? Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Mädchen genau wusste, was sie wollte." Die Augen der Dame funkelten. "Als sie die Steine aus dem Bach holte, wusste sie ja nicht, was sie da tat. Sie schuf eine Verankerung in der Welt. Sie schuf eine Möglichkeit, aus dem Gedanken, aus dem Wunsch, der ich war eine antropomorphe Personifikation zu erschaffen."
Hatscha ließ die Dame los. Der Groschen fiel. "So also..."
Sie stand auf. "Dich gibt es gar nicht!" Sie lachte. "Du bist gar nicht real! Du bist lediglich ein Gedanke, eine Idee eines Kindes. Ein Kind, das vielleicht gerade dachte 'Warum kann die Welt nicht aus Schokolade sein?'."
Die blaue Dame starrte Hatscha fassungslos an.
"Ein Gedanke, der durch den Schmerz eines Kindes entstand. So ein Kinderkram. Was war nötig, damit du 'als die imaginäre Freundin' bestehen bleiben konntest, obwohl der Gedanke an dich erloschen war, als das Kind starb?"
Die blaue Dame stemmte sich in die Höhe.
"Wer hat gesagt, dass sie starb?!"
Und mit einem Lachen, wie sie es auf der Treppe hatte erklingen lassen schwang sie den Arm hoch und deutete auf die oberste Statue des gewaltigen Springbrunnens.
"Sie ist noch immer hier. Und solange es Kinder gibt, die sich ungerecht behandelt fühlen, sind wir da, dort tauchen wir auf und locken sie an. Seht es doch endlich ein: Wir befreien die Kinder!"
"Aberr...", wagte Otto es das Gespräch zu unterbrechen: "...ssind die Sstatuen denn nicht tot?"
"Nein...natürlich nicht.", sagte die blaue Dame. "Sie sind doch das Herz des Palastes. Je mehr es von ihnen gibt, umso größer wird er. Ihre Herzen schlagen weiter."
"Du hast mir meine Frage noch nicht beantwortet.", sagte Hatscha jetzt wieder mühsamer beherrscht, als neue Wut in ihr hoch kochte. "Wieso kannst du noch bestehen? Das Herz mag vielleicht weiter schlagen, aber..."
"Oh, nicht doch.", hauchte Glum kraftlos und schloss die Augen. Er lächelte irre. "Sie können auch noch denken?"
"Noch nie hat jemand herausgefunden, was ihr herausgefunden habt.", sagte die blaue Dame verschwörerisch. "Du hast recht, Zwerg. Sie können denken. Und dies nur aus einem einzigen Grund...es sind die Steine. Das Mädchen hatte sie mit ihren Tränen benetzt, mit ihrer Qual. Und ich konnte sie steuern, versteht ihr? Das Mädchen war bald so besessen von dem Gedanken in mir eine Freundin zu haben, dass ich sie mit ein wenig Mühe beeinflussen konnte. Ihr müsst versuchen das zu verstehen! Ein Gedanke, so stark, dass er an Person gewinnt kann nur durch tiefste Qual erzeugt werden. Sie hat die Steine nie zurück in den Bach gelegt. Das ist das Märchen. Ich war es, die ihr eine leise Einflüsterung gab. Ich war es, die einen Stein aus dem Bach nahm. Es war meine Einflüsterung, die sie dazu trieb ihren Onkel zu erschlagen...ich nenne es die liebevoll 'Gesteinsansprache'.", fügte sie hämisch grinsend hinzu. "Oh ja. Wir haben uns noch nett unterhalten, der Onkel und ich."
Etwas packte sie am Kleid. Sie sah hinab. Eine der Frauen war bis zu ihr vorgerobbt und zog nun kraftlos am Saum der blauen Dame. Die murmelte vor sich hin: "Meine Kinder. Meine Kinder. Du Monstrum. Meine Kinder."
Die Dame wurde bleich.
"Siehst du? Diese Eltern würden alles für ihre Kinder machen! Alles! Sie stellen die Regeln auf, damit ihre Kinder in der Welt dort draußen überleben können, damit sie sich in dieser Welt zu Recht finden. Und weißt du, warum du das nicht verstehst? Und auch niemals verstehen wirst? Weil du der Gedanke eines Kindes bist! Du bist das Kind! Und du wirst immer in diesem Schein bleiben! Du wirst niemals wissen, was gut für sie ist.", sagte Goldie mit zitternden Lippen, als sie sah, wie andere Menschen auf sie zurobbten, schlitterten und rutschten.
Die blaue Dame drehte sich mit ausgestreckten Armen im Kreis. Von der Statue des Mädchens löste sich ein Tropfen. Er fiel mit unendlicher Geschwindigkeit auf den Boden.
Die Dame sah an diese Stelle.
"Mit den Statuen schmilzt der Palast. Er fällt in sich zusammen. Aber ihr habt eines noch immer nicht erkannt. Ich bin nicht mehr der bloße Gedanke. Ich bin das Gedächtnis. Ich bin alle Gedanken. Ich bin das Mädchen. Das da oben ist bloß der tote Körper, umhüllt von Schokolade. Doch ich bin der Geist!"
"UGH!", kreischte der Bibliothekar und ergriff urplötzlich die Kehle der Dame. Die anderen traten erschrocken einen Schritt vor.
"Und die Auflösung von allem ist so simpel, dass nicht einmal euer Affe darauf kommen würde."
Eine haarige Faust zielte auf die Magengrube der Dame. Der ansonsten so schlagkräftige Orang-Utan zeigte sich verblüfft, als seine Faust nur durch leere Luft schlug. Lächelnd drehte sich die Dame aus seinem Griff, indem sie einfach durch den Affen hindurch ging.
"Ich bin doch bloß Gedanken, nicht?", grinste sie nun überlegen. "Ich bin zwar personifiziert, aber...ich bin nicht stofflich. Nicht so, wie ihr."
Glum brach zusammen.
Goldie stürzte zu ihm und verpasste ihm ein paar kleiner Ohrfeigen.
Hatscha trat auf die Dame zu.
"Was ist das für eine Auflösung?"
"Nun...mein Onkel...war Zauberer. Oh, und was für einer. Er war der grausamste. Und ich lernte. Und dies ist mein Refugium!"
Der Bibliothekar versuchte es noch einmal mit einem Schlag. Er ging daneben.
Ein Donnern ertönte. Darauf folgte ein äußerst heftiges Beben.
Die Dame sah hoch zu ihrer Statue, die endgültig vor sich hinschmolz.
"Und so endet also alles?", murmelte sie. "DAS LASSE ICH NICHT ZU!"
Mit einer unerwarteten Schnelligkeit ergriff sie die am Boden liegende Zuckerstange und pochte damit auf den Boden.
"UGH! UGH! IEEKH!", kreischte der Bibliothekar, als er ungewöhnlich starke taumaturgische Strahlungen wahrnahm. Überall ertönten schmatzende und saugende Geräusche. Hatscha, Goldie, Otto, William und der Bibliothekar sahen sich um. Die Statuen auf den Galerien, sie meisten bereits halb geschmolzen erhoben sich von ihren Sockeln und schlitterten und rutschten über den Boden.
"Schnell. Wir müssen hier raus!", stöhnte Goldie panisch. "Aber wohin?"
Sie sammelten die Befreiten ein, stützen und zogen sie. Die Dame nahm keinerlei Notiz mehr von ihnen. Sie stand mit erhobenen Armen, in der rechten den Zuckerstangenstab erhoben vor dem Springbrunnen und hatte die Augen geschlossen. Bunte Funken knisterten konzentrisch um sie herum.
"Dadurch!", kommandierte Hatscha bestimmt und schob eine Frau durch die nächst beste Türe.

"Hauptmann MeckDwarf.", stellte Araghast fest.
"Kommandeur.", nickte dieser.
Die Offiziere der Stadtwache kamen dem Ermittlungstrupp entgegen. Überall auf den Dächern sah man schussbereite FROGs und SEALS-Wächter, die durch die Straße liefen.
"Waf ift da drin vorgefallen, Hauptmann?", fragte Rogi sogleich.
Im Gegensatz zu den anderen Offizieren verzog sie nicht den Mund, als sie Arwan, Patrick und Thomas roch. Wenn man genauer über sie Bescheid wusste, dann bemerkte man sogar, dass sie ihre Nasenflügel ein wenig mehr öffnete.
"Kommandeur. Kommandeur. Das Portal."
Sie sahen all dorthin. Die FROGs legten ihre Armbrüste neu an, die SEALS bezogen Deckung. Durch das offene Portal kamen Gestalten gewankt: mehrere Menschen und ein Affe, mit einem großen Buch unter dem Arm.
"Da sind zwei...nein, drei DOGs dabei, Sör."
"Hatscha, Goldie.", rief Humph benebelt und winkte ihnen.
Ihnen allen war, als ob sie den Affen kreischen hörten.
Dann geschahen zu viele Dinge gleichzeitig. Als erstes flackerten überall im Bachlosen Weg bunte Funken auf. Unmittelbar darauf ertönte ein berstendes Geräusch und ein Schatten legte sich über den Schein des Feuers. Eine gigantische Schokoladenstatue erhob sich inmitten des Gebäudes. Sie sah aus, wie ein Mädchen von ungefähr acht Jahren, bloß, dass ihr Gesichtsausdruck anstelle von kindlicher Unbeschwertheit Schmerz zum Ausdruck brachte.
Dann erschütterte ein Beben die gesamte Straße. Das Mädchen schlug auf die Straße, traf einige Wächter und weinte dabei laut.
"HATSCHA! WAS IST DAS?", schrie Humph ihr zu, doch diese schüttelte den Kopf. Sie versuchte mit der Menschengruppe voranzukommen, doch diese nun endgültig an ihrem Limit. Die Menschen sackten in sich zusammen, blieben auf der Straße liegen.
Eine akustische Dissonanz ertönte.
Das Mädchen verharrte. Und der Palast erzitterte. Die Mauern begannen sich zusammenzufalten, sie schrumpften dabei und lösten eine weitere Reihe dieser Töne aus. Auch die Schokoladenstatue schrumpfte, besser: sie schmolz in enormem Tempo uns stieß einen langen gequälten Schrei aus. Die bunten Funken rasten auf den schwindenden Palast zu und ließen überall dort, wo sie auftrafen neue Säulen und Wände entstehen. Sie falteten die Mauern wieder auf, jedoch nur für Sekunden. Währenddessen rückten die umliegenden Häuser wieder zusammen und bildeten den ursprünglichen Straßenverlauf. Und nach zwei langen Minuten, in denen niemand wagte sich zu bewegen, verschwand der Süßigkeitenpalast für immer. Als Humph die Augen öffnete sah er einen letzten roten Funken. Er gleißte kurz auf und warf ein rosafarbenes Bonbon vor seine Füße.

Glum lag in einem der Rekrutenbetten in der Kröselstraße und öffnete die Augen. Zwischen den Bettreihen liefen Rekruten herum, Rogi Feinstich erteilte ihnen Anweisungen. Auch ein Zauberer der U.U. war zugegen und blätterte in einem Buch, sowie einige Personen in weißen Kitteln. Es mussten wohl Ärzte sein.
Rogi bemerkte ihn und trat an sein Bett heran.
"Guten Abend Ftiefel. Wie fühlft du dich?"
"...Alles tut so...weh...mir ist...schwindlig..."
"Fo?" Rogi sah besorgt aus. "Nun, Glum. Ich muff dir etwaf geftehen...du warft fwifenfeitlich nicht gaf anwefend...will heifen...tot."
"Nun...ich weiß nicht, ob es...das richtig beschreibt...aber ich fühle mich soweit...lebendig...Ma'am."
"Richtig, Glum, richtig. Wir mufften dir dein Blut abnehmen und neuef geben...fum Glück ift deine Blutfgruppe nicht gerade felten...tut mir Leid. In deinem alten Blut war fum Fluff ein Fockoladenanteil von achtfig Profent..."
"Aber...Schockolade? Aber ich sollte doch...gar keine...Statue werden...sondern..."
Rogi sah ihn bedauernd an. "Ef find jetft achtfehn Ftunden her, feit Hatscha und Goldie dich auf dem Palaft geholt haben. Du folteft etwaf weiter flafen."
"Was...ist...mit den anderen..."
"Dreh mal den Kopf, Ftiefel."
Er drehte ihn. Überall in den Rekrutenbetten lagen Patienten.
"Keine Forge...wir machen daffelbe mit ihnen, wie mit dir...ef werden nift alle faffen..."
"Wer hat...mir Blut...gefpendet, Ma'am?"
"Hallo Glum."
Er blickte zur anderen Seite. Dort standen Helmi, Schlumpi, Kamillus und Emilia.
"Wir haben alle die gleiche Blutsgruppe, ist das zu fassen?", schmunzelte Kamillus.
"Sowas kindisches.", bemerkte Emilia.
"Daf kannft du laut fagen, Frau Fingtnichtgut." An Glum gewandt fügte Rogi noch hinzu: "Dein Körper muff daff Blut erft noch annehmen, Gefreiter. Fteh bitte nicht auf. Ruf, wenn du etwaf brauchft." Die Igorina entfernte sich.
Emilia ließ sich auf die Bettkante sinken. "Du schuldest mir ein Frühstück, Darling." Sie rückte ihr Haar zurecht.
"Kein Problem...ich frage Rogi, ob sie..."
Emilia winkte lachend ab. "Oh nein, danke. Auf intravenöses Essen kann ich verzichten."
"Eben.", sagte Schlumpi neckisch. "Wirf eine gebrannte Erdnuss in den Ankh und sie springt hinterher."
"Helmi?"
"Ja, Glum?"
"Zeus konnte mit der Taube...Thomas das...Leg-Herrn-...Zwiebel-rein-Geld...nicht abnehmen, oder?"
"Bitte?"
"Egal."
"Na dann...ich habe hier noch etwas.", sagte der Zwerg und legte Glum eine Zeitung in die Hand. "Das ist die Times von heute morgen. Lies sie aber erst, wenn du wieder bei Kräften bist...als Humph sie gelesen hat, hat er beim Kommandeur eine Sondergenehmigung für die vorläufige Festnahme von Zivilisten erbeten. Allerdings nicht bekommen."
Glum lächelte und schlief ein.

Jede Welt, die etwas auf sich hält hat ihre Legenden.
Jene, die erfunden werden und sich immer weiter ausschmücken und dann noch jene, die ungehört geschehen. Sie berichten von großen Helden, die unter der Bedeutungsschwere ihrer eigenen Worte die Köpfe senken und mit sagenumwobenen Schwertern gewaltige Schlachten schlagen. Sie werden groß gefeiert und auf den Schultern der Menschen gelobpreist.
Aber wo verschwimmt die Grenze zwischen Realität, Legende...und Märchen?
Legenden entstehen immer dort, wo jemand den Entschluss fasst etwas zu tun, was über seine Vorstellung hinaus geht, was ihn überfordert. Auf diese Weise schreibt sich noch jeder seine eigene Wahrnehmung der Realität zu, da niemand, absolut niemand jemals die gleichen inneren Kämpfe ausfechten kann. Man wird es vielleicht nachvollziehen können, jedoch niemals verstehen. Eine Legende ist eine Erinnerung, eine Chance, etwas zu bewältigen, was niemand sonst für dich tun kann.
Legenden werden nicht geboren.
Legenden müssen gelebt werden.
Sie sind wir.

An einem weit entfernten Ort, außerhalb der Scheibenwelt, saß der Slingmull Quarxl auf einem Berg. Er warf wütend einen Stein in einen See. Warum verstand niemand ihn? Er wollte nur mehr Zeit zum Spielen haben. Und vielleicht ein wenig Schokolade...
Einige Minuten erfreute er sich an den bunten Funken, die über den Stein in seiner Hand tanzten. Er wurde weich, so meinte er und vielleicht auch ein wenig bräunlich?
Er schüttelte den Kopf und warf den Stein ebenfalls in den See, stand auf und ging.
Er ging mit kindlicher Unbeschwertheit.
Alles nur Einbildung!
[1] Sie nennt sich selbst seit kurzem die "Belpha". Dies erklärt sich aus purer Eitelkeit. Alpha sei nicht ausreichend für ihren Intellekt, von daher musste auch noch Beta mit in den Namen. Außerdem kamen sie in Verwirrung, wenn sie es mit Formeln zu tun bekamm
en, in denen Alpha zu berechnen war - sie hielten es schlichtweg für ihren Namen.

[2] Später am Tag verließ eine Kutsche mit sechs Sitzplätzen die Stadt durch das Deosil-Tor. Alle Plätze waren auf den Namen Gutner gebucht.




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