Iures Hominum

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von Oberfeldwebel Rea Dubiata (SEALS)
Online seit 02. 06. 2008
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Ein Mädchen stirbt in einer neuen Szeneschuppen. Aber irgendetwas ist dort faul.

Dafür vergebene Note: 11

Vorwort:
Diese Pokalmission entstand innerhalb 24 Stunden, da Amalarie kurzfristig absagte. Ich möchte mich bei Ophelia und Zad ganz herzlich für ihre Unterstützung bedanken und hoffe dass alle Fehlerteufelchen ausgetrieben wurden.



Der "Zappler" hatte seine Tore gerade erst geöffnet, doch das junge Publikum wurde davon angezogen wie Wespen von einem Himbeermarmeladenbrot. Eigentlich handelte es sich um ein altes Lagergebäude an den Docks Ankh-Morporks. Das marode Haus machte seine Schönheitsfehler durch laute Musik und billigen hochprozentigen Alkohol wieder wett. Die Musik war es, derentwegen das Publikum wahrlich in den Club strömte. Die Musik war laut, aufregend und etwas noch nie da gewesenes.
Auf einer Empore standen mehrere Trolle, die mit aller Kraft in einem unmenschlichen Tempo auf die vor ihnen liegenden Steine und Fässer einhämmerten. Dieser dumpfe schnelle Rhythmus trieb eine menge schwitzender und tanzender Leiber auf der Tanzfläche vor sich her.
Oben im Dachgebälk saßen mehrere Dämonen die kleine Lichterkästen und verschiedene Farbtäfelchen bei sich hatten und die in einem ebenso rasanten Tempo die Kästen öffneten und wieder schlossen. Die Menge bildete einen Kreis um eine junge Tänzerin, die besonders expressiv auf die Musik einging. Sie warf ihre Arme in die Luft und ihre Beine schienen ein rasantes Eigenleben zu entwickeln. Wie eine Grinsekatze strahlte sie über beide Ohren und schien mit ihren Gedanken ganz im Rhythmus der Musik versunken zu sein. Lasziv bewegte sie sich um eine Stange herum und kicherte, als ihr ein junger Mann an den Hintern griff.
Als sich die Menge langsam lichtete nahm auch das flackernde Licht ab. Die schnelle Musik wurde leiser und ein großer Troll trat auf die Bühne. Er hob ein metallenes Abflussrohr in die Höhe, blies hinein und ein lauter, tiefer Ton ließ die Halle erzittern. Er entlockte seinem ungewöhnlichen Instrument solch faszinierende Töne, dass die Menge nur sprachlos davor stand. Ein lauter, schriller Schrei riss die Verzauberten zurück in die Realität, dass tanzende Mädchen war zu Boden gestürzt, zuckte aber immer noch weiter. Ihre Augen verdrehten sich, so dass man nur noch das Weiße ihrer Augäpfel sah und ihre Hände verkrampften sich vor ihrer Brust. Ein Kreis bildete sich um das Mädchen, niemand traute sich, sie anzufassen. Einige liefen aus dem Gebäude, andere starrten wie gebannt auf den zuckenden Körper, beobachteten wie die Bewegungen weniger wurden und schließlich ganz ausblieben. Dann erst zwängte sich einer der Umstehenden durch die Menge, zu dem Körper. Er fühlte den Puls, warf das Mädchen auf den Rücken und versuchte es wiederzubeleben. Ein Weiterer eilte ihm zu Hilfe, doch es war sinnlos. Ein halbe Stunde später gaben sie verschwitzt auf. Die Menge hatte sich aufgelöst und auch die Trolle waren von der Bühne verschwunden.

Der Tatort war abgesichert, Rea hatte Kannich gebeten, sich mit den anderen SEALS in Verbindung zu setzen. Mit verschränkten Armen marschierte die Vektorin nervös im Laden auf und ab. "Dass sich die Jugend von heute in so einem Schuppen trifft - der Boden klebt! Es stinkt und ich denke das dahinten sollen Toiletten sein. Brrrr!" Rea schüttelte sich, als sie ein innerer Schauer durchfuhr. Ophelia Ziegenberger, ihres Zeichens Korporal und stellvertretende Abteilungsleiterin bei RUM, überlegte einen Moment, ob sie sie darauf hinweisen sollte dass sie - rein vom Alter her - selbst zur 'Jugend von Heute' gehörte, doch sie hatte von den unberechenbaren Launen der Hexe gehört und so schwieg sie.
Rea wand sich wieder dem Mädchen zu, das auf dem Boden lag. In der Wunde am Kopf, offenbar mit einer zerbrochenen Flasche herbeigeführt, war das Blut bereits geronnen, die Leichenstarre hatte sich voll entfaltet und Rea schätzte, dass das Mädchen in den frühen Morgenstunden gestorben war. "Armes Ding, so jung sterben und dann noch auf diesem Boden."
"Ja, wirklich eine Schande", Ophelia notierte sich kurz etwas. "Ich werde jetzt mit dem Besitzer sprechen. Irgendwer muss doch etwas gesehen haben!"
"Ich denke dies ist eine SEALS-interne Sache, es tut mir Leid dass man dich vergeblich hierher bestellt hat."
"Das sehe ich anders. Siehst Du, da ist eine Leiche, offensichtlich ermordet. Also eine Aufgabe für RUM."
"Die Wunde führte nicht zum Tod. Ich vermute Drogen und das fällt definitiv in den SEALS-Aufgabenbereich." Die blonde Frau stemmte die Hände in die Hüften, blieb aber ruhig.
"Was hältst Du davon: Ich mache die Befragungen und Du kümmerst dich um den Rest, einverstanden?" Ophelia lächelte versöhnlich.
Reas Gesicht ließ einen komplizierten Denkprozess vermuten, dann nickte sie kaum wahrnehmbar. "Na gut. Aber ich leite die Ermittlungen."
Ophelia sautierte, machte dann auf dem Absatz kehrt und ging in Richtung des Barbesitzers, der auf einem Bierfass in der Ecke saß.
"Sie lag einfach da", begann der Mann, den Ophelia auf etwa Mitte 20 schätzte, ohne Aufforderung. "Hab sie vorher nie gesehen und dann, als sich das Feld lichtete, so gegen drei Uhr morgens, lag sie einfach da."
"Und Sie haben die Wache nicht gerufen?"
"Doch", murmelte der Mann. "Ja, aber erst vor einer Stunde."
Ophelia spähte auf die Uhr. "Es ist jetzt zehn."
"Ich wusste nicht was ich tun soll!"
"Aber das wäre doch selbstverständlich, Herr-?"
"Errato, Valentin Errato. Hören Sie, ich- ich bin einfach ausgeflippt, eine Tote in meinem Schuppen, verflucht, das ist kein zersprungenes Glas, das ist... eine Katastrophe! Das Geschäft..."
Ophelia schnaufte. "Ein Mädchen ist tot und Sie denken ans Geschäft?" Sie sah ihn fassungslos an. "Ich verhafte Sie hiermit wegen Mordverdachts. Sie haben kein Recht zu schweigen, alles was Sie sagen und nicht sagen wird gegen Sie verwendet. Sie haben ein Recht darauf mit einem Anwalt zu sprechen aber die Götter stehen Ihnen bei, sollten Sie sich dafür entscheiden. Wenn Sie sich keinen Anwalt leisten können, müssen sie sich mit unserem Rechtsexperten herumschlagen, viel Erfolg!"
Handschellen klickten.

"JA!" Die Abteilungsleiterin der SEALS sah sich um und herrschte zwei Gefreite an, die den Leichnam, der in ein weißes Tuch eingewickelt war, mit einer Mischung aus Faszination und Ekel betrachteten. "Mein Büro und zwar zackig!"
Einer der beiden salutierte schnell.
"Sofort, Ma'am!", murrten Ruppert und Johan Schaaf einstimmig.
"Gut, legt sie auf die Bahre, verstanden? Ich bin in wenigen Minuten da. Wo ist Bjornson?"
"Im Aufenthaltsraum, Ma'am", sagte Kannichgut, der gerade aus seinem Büro kam. Er betrachtete die Leiche interessiert. "Wäre das nicht eher was für SUSI?", fragte er unschuldig.
Rea verdrehte die Augen. "Ich behalte die Fäden gerne in der Hand, Kannich. Aber..." sie holte eine Papiertüte aus einem großen Karton, "das hier muss ins Labor, vielleicht finden wir Fingerabdrücke." Sie drückte ihm die Tüte in die Hand aber Kannich machte keine Anstalten sich fortzubewegen. "Rea, ich muss mit dir über etwas sehr Wichtiges sprechen."
"Wichtiger als ein Mord?", fragte Rea erstaunt.
Kannich zuckte mit den Schultern. "Vielleicht?" Er zog eine zusammengerollte Zeitung aus der Hosentasche. "Du solltest dir den Leitartikel durchlesen. Ich erledige das mit SUSI."
Rea steckte die Zeitung ein, ohne einen Blick darauf zu verschwenden. Dann machte sie sich auf den Weg zu den Verhörräumen.

Amalarie wanderte durch die Straßen. Eher gesagt stand sie auf Miriels Schulter und hielt sich leicht an einem Haarbüschel der Gefreiten fest, während diese wanderte. Amalarie kommentierte einzelne Gassen und Gebäude. "Sieh mal, da hinten sind die Tollen Schwestern, sie..."
"Oh was ist denn DAS?",
Amalarie drehte den Kopf in die Richtung, in die die junge Frau deutete. "Ach, das ist nur eine Zwergenprozession."
"Und was tun die?", neugierig blieb die junge Frau stehen und beobachtete die in fleischfarbene Kutten gehüllten Personen. Amalarie zuckte mit den Schultern. Sie hatte hier und da etwas aufgeschnappt aber nichts davon schien auch nur etwas im Entferntesten mit der Wahrheit zu tun gehabt zu haben.
"Nun ja, angeblich ziehen sie zur täglichen Gesteinsansprache."
Miriel drehte den Kopf und runzelte sichtlich verwirrt die Stirn. "Du meinst, sie sprechen mit Steinen?", purer Unglauben schwang in ihrer Stimme mit. Amalarie nickte ernst und wedelte genervt mit der Hand "Aber ja! Irgendwie so was, damit die Steine glücklich sind und sich möglichst bald in Gold verwandeln..."
"Aaaah ja...", die junge Gefreite wirkte immer noch skeptisch, beließ es aber dabei, was Amalarie nur zugute kam, da sie diese Behauptung nicht lange hätte halten können. "Bieg am besten da vorne ab, wir sind gleich da."
Plötzlich hörten die beiden Wächterinnen einen lauten Schrei. Dann begannen die Zwerge, die eben noch ordentlich in Zweierreien marschiert waren, panisch durcheinander zu laufen. Die geschäftig herumlaufenden Bürger blieben dagegen stehen. Etwas war passiert.
Miriel bahnte sich einen Weg durch die Zwerge, die sich um einen zentralen Punkt scharrten. Dieser Punkt wurde durch einen Zwerg markiert, der am Boden lag. Ein weiterer Zwerg fühlte den Puls. Mit Augen die wässrig empor blickten schüttelte er den Kopf. Der Zwerg war tot. In seinem Hals steckte ein messerscharfer Baegel.

"Und dann haben Sie sieben Stunden nach der Adresse der Stadtwache gesucht?", fragte Ophelia, die heimlich zu der Wächterin schielte, die hinter dem Verdächtigen stand. Rea hatte darauf bestanden, bei dem Verhör anwesend zu sein, und Ophelia hatte schließlich nachgegeben - immerhin war sie nur Korporal und konnte einem Feldwebel nichts befehlen. Es ärgerte sie aber, dass die Abteilungsleiterin der SEALS ihr nicht zu vertrauen schien.
Errato schwieg und betrachtete seine Fingernägel. Ophelia wusste, dass er etwas Wichtiges verschwieg. Auf dem jungen, karamelfarbenen Gesicht lagen tiefe Schatten und hinter der versteinerten Miene schien er panisch nach einem Ausweg zu suchen.
"Nuuuun?", fragte Ophelia.
Errato fuhr sich durch das glatt nach hinten gelegte Haar. "Ich... möchte mit ihrem Rechtsexperten sprechen."
Ophelia nickte stumm, er hatte durchaus das Recht dazu. Zu spät bemerkte sie das Zucken in Reas Gesicht, doch diese blieb stumm. Mit dünnen Lippen verließ sie den Raum und gebot der Verdeckten Ermittlerin, ihr zu folgen.
"Was habe ich falsch gemacht, Ma'am", fragte Ophelia als sie sich ein paar Schritte von dem bewachten Verhörzimmer entfernt hatten.
"Nichts. Du hältst dich an die Vorschriften", sagte Rea ruhig aber in ihrem Tonfall schwang unterdrückter Zorn mit.
"Aber Du hättest dich nicht daran gehalten?", fragte Ophelia, die sich einen Verstoß gegen die Vorschriften nicht vorstellen konnte.
"Er will Zeit schinden, er wartet auf etwas - glaube ich." Rea atmete tief durch. "Irgendwas stimmt da nicht. Ich werde einen Szenekenner darauf ansetzen. Ich schicke dir Bjornson hoch... sobald ich das Mädchen seziert habe." Rea zwinkerte und ließ eine verwirrte Ophelia zurück.

"Hmmm...", Rea hielt die Blutprobe ins Tageslicht. Sie sah zu dem kleinen Drachen Nepomuck herüber, der gähnte und dabei eine kleine Rauchwolk produzierte. Neben ihm, an ihrem Schreibtisch, saß Lea Wind und kritzelte eifrig mit, was ihre Vorgesetzte so von sich gab. "Ich denke ich muss SUSI doch involvieren. Keine Einstiche, keine inneren Verletzungen... außer mehreren Rippenbrüchen aber das müsste von den Wiederbelebungsversuchen stammen." Sie pausierte und gab Lea Zeit zum Schreiben. "Blut ist in Probe A, Mageninhalt ist in Probe B, Haarprobe in Probe C, Urinprobe ist in Probe D. Keine Rückstände unter den Fingernägeln. Die sind blitzblank, vermerke das als seltsam!"
Lea sah auf. "Wieso ist es seltsam, wenn jemand auf seine Hygiene achtet, Ma'am?"
"Nun, weil man eigentlich immer irgendwas unter den Fingernägeln hat, es sei denn, man hat sie gerade eben gereinigt. Aber wenn sie ganz sauber sind deutet es darauf hin, dass jemand das nach ihrem Tod gemacht hat. Was enormes forensisches Wissen voraussetzt. Wenn man seinen Angreifer kratzt und wir das später isolieren, können unsere Werwölfe den Geruch feststellen, was uns Anhaltspunkte liefern kann. Aber ich schweife ab. Bring die Proben ins Labor, ja?" Sie gab Lea die Proben. "Und bitte Scoglio, den Körper in die Pathologie zu bringen, damit er gekühlt wird."
Lea versuchte zu salutieren, ließ es dann aber angesichts der großen Anzahl an Proben in der Hand bleiben. "Ja Ma'am", sagte sie stattdessen und verließ eilig das Büro.

Bjorn saß dem jungen Mann gegenüber und fragte sich, was er hier überhaupt sollte. Er wartete schon seit etwa einer halben Stunde aber Errato schwieg beharrlich.
"Wieso willst Du bitteschön mit mir reden wenn Du eh nichts sagst?", fragte Bjornson. "Du verschwendest nur meine Zeit."
Errato starrte durch den Zwerg hindurch.
"Ich kann Dir nur helfen, wenn Du mir sagst, was passiert ist. Wieso hast Du nicht sofort die Stadtwache gerufen?"
Errato blickte wieder auf seine Hände.
"Bedroht dich jemand?", fragte Bjorn.
Etwas veränderte sich in Erratos Gesicht. Er sah Bjorn an, die Schatten in seinem Gesicht wurden tiefer.
Der Rechtsexperte wusste sofort, dass er auf etwas gestoßen war. "Nun?"
"Wenn sie mitkriegen, dass ich geredet habe, bin ich tot, ist das klar?" Der junge Mann sah Bjorn erwartungsvoll an.
"Ja, ich weiß."
Errato seufzte. "Kurz nachdem die Gäste gegangen waren und ich einen meiner Trolle losschicken wollte, kam ein Mann herein. Er zeigte sein Gesicht nicht, sondern trug einen schwarzen Schlapphut und einen Mantel mit hochgestelltem Kragen."
Bjorn nickte und notierte. "Und was hat der Mann gemacht?"
"Er hat mich mit einer Armbrust bedroht und mir befohlen ich solle mich umdrehen. Ich war alleine und unbewaffnet, also folgte ich seinen Anweisungen."
"Und dann?", fragte Bjorn.
"Ich hörte etwas klirren und dann hörte ich ihn Zischen, dass ich vor Morgengrauen die Stadtwache nicht rufen solle, sonst würde er mich einen Kopf kürzer machen. Und dass das Ganze nie passiert ist."
Bjorn nickte zufrieden. "Geht doch", sagte er und klappte sein Notizbuch zu. "Und wieso, glaubst du, solltest du solange warten?
Errato stammelte ein paar unzusammenhängende Wörter, dann schien ihm wieder einzufallen, dass er der Hauptverdächtige zu sein schien. "Zwei Männer... Ich kenne ihre Namen nicht! Sie benutzen meinen Laden als Umschlagplatz für Waren. Ich frage nicht und sie geben mir ein bisschen Geld..."
"Drogen?", fragte Bjorn.
Errato nickte. "Vermutlich."

"Das bedeutet, wir müssen ihn gehen lassen", sagte Rea unwirsch. Sie saß in ihrem Büro, in das sanftes Nachmittagslicht fiel. Lea und Ophelia saßen auf Stühlen gegenüber des Schreibtisches. Ophelia, die noch nie dort gewesen war, schielte immer wieder zu der Bahre hinüber, auf der ein Sumpfdrachen ein Nickerchen machte. "Ja, so sieht es aus", sagte sie. "Die Trolle von der Bühne haben übrigens ausgesagt, dass Errato an der Bar stand, als das Mädchen ohnmächtig wurde."
"Ja, aber das ist unwichtig. Das Mädchen ist an einer Überdosis Miranda gestorben, das ist eine neue sogenannte Party-Droge", erklärte Lea Wind, die die Laborergebnisse in der Hand hielt. "Er könnte ihr vorher die Droge verabreicht haben."
"Wie verabreicht man... Miranda?", fragte Ophelia.
"Die Droge ist flüssig und kann daher einfach ins Getränk gekippt werden." Lea blätterte ein paar Seiten weiter. "Und das Mädchen hat ordentlich getrunken an dem Abend. Die Haarprobe lässt dahingegen darauf schließen, dass sie noch nicht lange Drogen nimmt, vielleicht sogar noch nie welche genommen hat."
"Das macht es wahrscheinlich, dass ihr jemand was untergejubelt hat", sagte Rea und zog die Stirn kraus. "Also jemand gibt einem Mädchen Drogen, sie stirbt und dann schlägt jemand sie mit einer Flasche an den Kopf und lässt sie liegen? Klingt alles sehr seltsam, nicht wahr?"
"Allerdings hat sie jede Menge von dem Zeug genommen. Genug um einen Elefanten zu töten", merkte Lea an. "Lady Rattenklein hat angemerkt, dass es sich bei dem Blut um die reinste Arsensuppe handelt."
"Dann hat sie das ganz sicher nicht freiwillig genommen", sagte Ophelia.
Lea und Rea nickten zustimmend.
"Und wieso, wenn jemand schon das Mädchen tötet, tötet er nicht auch den einzigen Zeugen, der das mit der Flasche mitbekommt. Und droht ihm stattdessen nur?", fragte Rea weiter.
Ophelia sah Rea an. "Das ist durchaus eine interessante Frage, Ma'am und ich denke, die Tatsache, dass Errato noch am Leben ist, spricht dafür, dass derjenige, der dem Mädchen die Drogen gab und derjenige der später mit der Flasche kam, nicht die gleichen Personen sind. Die Täterprofile passen nicht zusammen."
Rea sah die Ermittlerin nachdenklich an. "Das ist eine Möglichkeit..."
Ihre Gedanken wurden durch ein energisches Klopfen an der Tür unterbrochen und kurz darauf traten William de Morgue und Sara Gutmut ein. Ein Schock durchfuhr Rea, als sie die beiden ansah. William de Morgue hatte ein Blaues Auge, Sara Gutmuts Uniform war zerrissen und ihre Haare standen wild in alle Richtungen ab.
"Was ist passiert?", fragte sie, während sie aufsprang um ihre Schützlinge auf weitere Verletzungen hin zu untersuchen.
"Nun," erwiderte William ruhig. "Jemand hat auf dem Hier-gibt's-alles-Platz eine Schlägerei angezettelt. Es waren auch ein paar Frauen darunter und so haben wir uns entschieden, einzugreifen. Es war nicht weiter schlimm, auch wenn mich eine der Frauen erwischt hat." Er deute auf das blaue Auge wie alte Männer auf eine Kriegsmedaille. "Das Ganze löste sich dann schnell auf und..."
Sara unterbrach ihn, indem sie einen Zettel aus ihrer Tasche holte und ihn hochhielt "Wir fanden das hier."
Ophelia nahm den Zettel entgegen und starrte darauf. "Haltet euch da raus, Wächter", las sie vor.
"Aus was?", fragte Rea und sah zu William hinüber.
Dieser zuckte mit den Schultern und auch Sara blickte ratlos drein.
"Hm", murmelte Ophelia, als erneut die Tür aufgerissen wurde. Ein bleicher Kannich kam herein und salutierte umständlich.
"Ma'am, seine Lordschaft Vetinari erwartet dich in zehn Minuten in seinem Büro. Zusammen mit dem Kommandeur."
Die Abteilungsleiterin der SEALS sah von Kannich zu Ophelia und erlaubte sich einen kleinen Augenblick, um die Lage zu fassen. "Kannich, Du übernimmst hier. Sammelt alles, was ihr über den Zappler-Fall habt, verstanden?"
Kannich salutierte. "Hast Du den Artikel schon gelesen, Ma'am?"
"Wann denn?", fragte Rea und eilte hinaus.

Regen klatschte ans Fenster als Araghast Breguyar zusammen mit Rea Dubiata das rechteckige Büro des Patriziers betrat. Vetinari war nicht allein, ein Mann saß ihm gegenüber, ein Bein ausgestreckt, um welches ein blutiger Verband gewickelt war. Der Mann drehte sich um und sah die Wächter mit einem abschätzigen Blick aus kleinen, dunklen Augen an. Ein walroßartiger Bart bedeckte den Großteil seines Gesichts und auch der Rest seiner Erscheinung erinnerte an einen plumpen Meeressäuger den man in einen teuren aber zu kleinen Anzug gesteckt hatte.
"Sie wollten uns sprechen, Herr?", sagte Araghast und salutierte.
Rea tat es ihm gleich; sie war ein Stück hinter ihm geblieben, eine persönliche Konfrontation mit dem Patrizier schien ihr nicht geheuer.
"Ja, Kommandeur, dies ist Amtsinstruktor Schraube." Er nickte zu dem Mann mit dem verletzten Bein. "Der Herr Amtsinstruktor befand sich gerade auf dem Weg zu meinem Büro, als er nur wenige Meter vor dem Eingang von einem Wurfstern am Bein getroffen wurde."
"Aus dem Hinterhalt", warf Schraube empört ein. "Einfach so!"
"Unsere Igorina könnte sicherlich-", begann der Kommandeur, das Auge auf Schraube gerichtet, aber Vetinari hob die Hand.
"Es ist nur eine Schnittwunde. Wie ich und Herr Schraube eben besprachen, handelt es sich wahrscheinlich eher um eine Belästigung, als um ein fehlgeschlagenes Attentat." Vetinari zog einen schwarzen Lederhandschuh über eine Hand und hob einen blutigen Wurfstern hoch. "Ich möchte trotzdem dass er untersucht wird, in aller Sorgfalt."
"Wächter!", keifte Schraube. "Wieviele ungeklärte Verbrechen hatten wir letztes Jahr? Havelock ich sage dir, das ist sinnlos. Diese Kakaotrinker sind doch eine Schande für die Stadt, wieso setzen wir nicht einen deiner Agenten darauf an."
Vetinari warf Schraube einen stechenden Blick zu und hob eine Augenbraue, aber das schien Schraube nicht zu interessieren. Daraufhin seufzte der Patrizier und winkte Rea zu sich.
Araghast gab ihr einen Stubbs mit dem Ellenbogen in die Seite und sie stolperte ein paar Schritte vorwärts, holte eine Beweistüte aus ihrer Tasche und hielt sie geöffnet dem Patrizier entgegen. "Herr?", ihre Stimme krächzte ein wenig.
Vetinari ließ den Wurfstern in die Öffnung gleiten und beobachtete dann interessiert, wie Rea die umschlagartige Tüte verschloss, über der Klebestelle unterschrieb und dann einen aufgedruckten Bogen ausfüllte. Auch der Kommandeur sah ihr dabei über die Schulter. Datum, Fall-Nummer, Ort, Name des Wächters, Uhrzeit... Dann sah sie auf. "Wann, Herr, geschah die, äh, Belästigung?"
Schraube dachte zurück. "Vor etwa einer halben Stunde, also etwa um 15 Uhr."
Rea notierte auch dies auf dem Umschlag und ging dann wieder zurück zu dem Ort, an dem sie gestanden hatte.
"Und Ihnen ist nichts Ungewöhnliches aufgefallen, Herr Schraube?", fragte Breguyar nach einer Weile.
Der Mann richtete sich auf dem Stuhl zu voller größe auf sah den Kommandeur spöttisch an. "Außer dem scharfen Ding in meinem Bein, nein", sagte der Amtsinstruktor patzig und funkelte Araghast streitlustig an. "Sollte ich Wundbrand bekommen, will ich, dass der Bursche hängt!"
Vetinari hob erneut die noch immer behandschuhte Hand. "Das wäre dann alles, Herr Kommandeur."

"Der Bastard weiß wieder mehr, als er zugibt", fauchte Breguyar vor sich hin. "Was ist überhaupt ein Amtsinstruktor?"
"Irgendein hohes Tier?", mutmaßte Rea. "Einer seiner Buchhalter?"
Araghast brummte zustimmend. Sie befanden sich auf dem Weg durch den Regen zurück ins Wachhaus und marschierten gerade über die Messingbrücke. Die Tropfen landeten mit einem lauten "Dong" auf dem Metall. Das Resultat tausender kleiner Tropfen schien Reas Vorstellung von der Musik im Zappler zu entsprechen.
"Und was sollte das mit dem 'Das ist nur eine Belästigung'", fragte Rea. "Er weiß genau, dass jemand der einen Wurfstern auf ein Hohes Tier oder was auch immer wirft, nicht daneben trifft. Wenn er am Bein getroffen wurde, dann sollte er dort getroffen werden. Wenn man ihn belästigen wollte, wieso hat man dann nicht einfach den stinkenden alten Ron auf ihn gehetzt?"
Araghast sah Rea aus dem einen Auge an. "Du hattest noch nie mit Vetinari zu tun, oder?"
"Nur als Gefreite einmal, aber da trug ich auch noch keine Verantwortung," murmelte Rea und dachte ein wenig sehnsüchtig an gute, alte Zeiten zurück.
"Vetinari glaubt sehr wohl, dass es jemand auf Schraube abgesehen hat, denke ich." Araghast wischte sich die Tropfen von der Stirn, die sich sofort wieder ansammelten. "Sonst hätte er uns nicht gerufen."
"Sollten wir ihn dann nicht beschützen? Also Schraube?", fragte Rea während sie unsicher zu dem hageren Mann aufsah.
"Da Vetinari uns nicht darum gebeten hat, hat er wohl schon selbst dafür gesorgt." Er bemerkte Reas unschlüssigen Blick und zuckte mit den Schultern. "Tu was er dir gesagt hat, untersuche den Wurfstern, gründlich!"

"Herrje, was habt ihr denn noch für Proben", keifte Lady Rattenklein.
Lea seufzte. "Ich denke, es sind die letzten für heute."
Die Gnomin sprang von Regal herunter, auf dem sie gestanden hatte, um Apparaturen zusammenzusuchen und baute sich vor Lea auf. Sie stemmte die Hände in die Hüften und ihr kleiner Laborkittel wehte in der Zugluft. "Natürlich ist es die letzte! Danach geh ich heim! Verstanden? Sag das deinem Feldwebel!"
Lea nickte eifrig. "Schon gut, Ma'am!" Sie wollte gerade gehen, als ihr etwas anderes einfiel. "Habt ihr schon Ergebnisse von der Flasche und dem Baegel?"
Ratti legte den Kopf schief. "Zwei Fingerabdrücke, Olga-Maria untersucht sie gerade und vergleicht sie mit der Verbrecherdatei. Sie sagt euch Bescheid, wenn sie etwas findet. Und jetzt kusch!"

Rea Dubiata und Kannichgut Zwiebel schlenderten durch die angenehm warme und verhältnismäßig ruhige Nacht. "Eine sehr gute Idee, unsere Besprechung nach draußen zu verlegen, Kannich."
"Ja, langsam wurde es doch recht unangenehm in der Wache, so schwül und stickig", Kannichgut nickte zustimmend. "Hast Du es geschafft, dir den Artikel durchzulesen?", fragte der Kommunikationsexperte interessiert.
Rea blieb stehen. "Verflucht, das habe ich total vergessen. Aber es geht hier jetzt sowieso um Wichtigeres. Wir haben es mittlerweile mit zwei Toten zu tun. Das Mädchen, aus dem "Zappler" ist immer noch eine Hirschkuh[1]. Außerdem war es wohl ein Umschlagsplatz für Drogen jeglicher Art, perfekt gelegen an den Docks und ein nicht endender Vorrat für die Partygesellschaft. Dann haben wir noch einen Zwerg, den Miriel und Amalarie heute gefunden haben. Er wurde von einem Baegel erwischt. Die Leiche gibt nicht viel her aber immerhin wissen wir, dass er der K'ara'k, also irgendein hohes Tier der Gesteinsansprecher, ist. Angeblich untersuchen sie Gesteine und lesen darin, wie Priester in Eingeweiden. Niemand weiß so genau, wer etwas gegen ihn haben könnte."
Kannich legte den Kopf schief. "Er wurde mit einem Baegel ermordet? Eine typische Waffe für Zwerge."
"Ja", sagte Rea. "Aber Bjornson sagt, dass der K'ara'k bei den Zwergen sehr beliebt ist, wenn auch gemunkelt wird, dass seine Weste nicht ganz rein war, was genau weiß man aber nicht. Es ist schon irgendwie seltsam. Und dann die Sache bei Vetinari."
"Viel passiert für einen Tag. Aber der Artikel, Ma'am, ist sehr wichtig."
"Ja, gut, was ist damit?", fragte Rea ein wenig genervt.
"Nun, es ist die Ausgabe von "1000", die morgen herauskommt. Schau dir die Titelseite an!"
Rea entfaltete das Magazin und betrachtete die zerknitterte Seite. "Ein Fingerabdruck?"
"Ja. Und nicht nur irgendeiner. Das ist der Fingerabdruck von Amtsinstruktor Emil Schrauber, den jemand von seinem Cognacschwenker gestohlen hat." Kannich kratzte sich am Kopf.
Rea hob die Augenbrauen. "Tatsache? Wer bei allen Göttern ist denn Schrauber?" Dann dämmerte es ihr. "Der Mann, auf den der Anschlag mit dem Wurfstern verübt wurde? Wieso ist der auf einmal so wichtig?"
"Oh", Kannich sah Rea ein wenig vorwurfvoll an. "Du hast die Diskussion nicht mitbekommen? Es stand sogar in der Times!"
Rea seufzte. "Ich konnte die letzten Tage nicht wirklich das Zeitgeschehen verfolgen. Kannst Du mich auf den neusten Stand bringen?"
"Äh, ja, also, Schrauber möchte eine Kartei von Fingerabdrücken erstellen. Und den dazugehörigen Namen und Ikonographien. Außerdem möchte er die Ikonographien aus unseren Starenkästen haben. Alles um Verbrecher zu schneller zu fassen."
"Das ist interessant." Rea wirkte nicht recht überzeugt. "Hört sich aber nach einem riesen Aufwand an."
"Nicht nur das. Weißt Du was passiert, wenn man deinen Fingerabdruck kennt? Was für ein Eingriff in die Privatsphäre das ist?", sagte Kannich aufgeregt.
"Aber wenn man so Verbrecher schneller fasst, ist das doch gut, oder nicht?", fragte Rea irritiert.
"Schon. Aber sind es auch die richtigen? Du weißt doch selbst, dass ein Fingerabdruck am Tatort noch gar nichts beweist. Man könnte sich einen Handschuh anfertigen mit falschen Abdrücken und die am Tatort hinterlassen. Wenn man Informationen sammelt, sollte man wissen, dass jemand damit auch Böses fabrizieren kann und - gerade in Ankh-Morpork - nicht jeder nur an das Beste der Bürger denkt."
Rea schwieg für eine Weile und verdaute diese Argumente. "Kannich?", fragte sie dann.
"Ja, Ma'am?"
"Wieso kriegst Du die Ausgabe von dem Magazin einen Tag früher?"
"Oh, ich kenne einen der Herausgeber", sagte Kannich mit unverkennbarem Stolz.
"Kannst du denjenigen, der diesen Abdruck geholt hat, auftreiben?"
"Ja, aber wozu?"
"Weil er morgen Mittag vielleicht schon tot ist."

Sie eilten zurück ins Labor wo Lady Rattenklein sie genervt empfing. "Wegen dir mach ich Überstunden!", murrte sie. "Aber auf dem Zettel, den Kannich mir gebracht hat, ist auch ein Fingerabdruck. Mehrere eigentlich, aber einer ist ganz in der Mitte, wo eigentlich keiner sein sollte."
Der weiße Kittel der Laborantin war über und über mit Aluminiumstaub bedeckt und wenn sie sich bewegte, entstanden überall um sie herum silbrige Wolken. "Und auf dem Wurfstern ebenfalls nur ein Fingerabdruck. Ebenfalls in der Mitte."
"Das heißt, die Fingerabdrücke wurden willkürlich dort hinterlassen?", fragte Rea.
Die Gnomin nickte eifrig und reichte die Abzüge herüber, die auf eine durchsichtige Folie geklebt waren. Rea legte sie übereinander. Sie waren identisch.
"Wo sind die anderen Abdrücke?", fragte Rea.
"Olga-Maria", sagte Ratti und fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht, wodurch sich der Aluminiumstaub auch dort ablagerte. "Ich mache jetzt Feierabend."

Kannich ging voran und keine Minute später klopften sie bereits an der Büro der Tatortwächterin. Es war niemand mehr da außer ihr, auf dem Schreibtisch waren mehrere Karteikästen angeordnet. Olga-Maria hielt inne, als die beiden SEALS die Tür öffneten.
"Ah, gerade wollte ich-" sie stockte, sprang auf und salutierte. "Ma'am?"
"Die Fingerabdrücke", begann Rea ohne Umschweife. "Stimmen sie mit diesen hier überein?"
Olga-Maria legte sie übereinander und betrachtete sie geübt unter der Lupe. "Alle vier die selben", stellte sie fest.
"Rea, gib ihr das Magazin", sagte Kannich, Aufregung schwang in seiner Stimme mit.
Die Abteilunsgleiterin zog das Papier heraus und legte es auf den Schreibtisch. Olga-Maria verglich die Rillen und Schleifen. Diesmal dauerte es länger, da sie die Abdrücke nicht übereinander legen konnte, der Abdruck Schraubes war mehrfach vergrößert. Dann nickte sie. "Ja, dann haben wir den Täter, oder?", fragte sie.

Der junge Mann, hager, mit schulterlangen blonden Haaren[2] und ein wenig verpickelt, saß ängstlich vor der versammelten SEALS-Mannschaft. "Ich habe nichts Falsches getan", sagte er zum wiederholten Male.
Kannich beschwichtigte ihn. "Natürlich nicht. Aber jemand nutzt deine Information aus. Wer hatte Zugang zu dem Fingrabdruck?"
"Nur die Redaktion", sagte Wanderfroh Mehlfinn, der laut eigenen Angaben einer der drei Köpfe in der Redaktion war. "Und die würden nie Leute umbringen!"
"Ja, da bin ich mir sicher!", sagte Kannich, beruhigend. "Sonst wirklich niemand außer mir?"
"Nuuun", Mehlfinn sah von einem Wächter zum anderen. "Ich meine, es ist nur ein Bild, nicht wahr?"
"Wem hast du es gegeben", fragte Rea energisch.
"Ich weiß nicht wie er heißt aber wir liefern seit Monaten unser Magazin an seine Adresse, ein paar Tag früher, für einen Aufpreis."
"Adresse?", fragte Damien Bleicht im schneidenen Tonfall.
Mehlfinn fuhr zusammen und holte ein Notizbuch hervor. Hastig begann er, eine Adresse auf einen Zettel zu kopieren.

Rea betrat den Laden, der eigentlich geschlossen haben sollte. Doch die Tür war nur angelehnt. Eine ältere Frau fegte gerade den Verkaufsraum des kleinen Pralinenladens in der Sirupminenstraße. Erstaunt sah sie auf. "Ich habe geschlossen", sagte sie und deutete auf die Uhr an der Wand.
"Ich möchte zu ihrem Untermieter", sagte Rea bestimmt.
Mathilda Zuckersüß, die Besitzerin des Ladens, musterte Rea misstrauisch. Die Vektorin hatte sich für den Zweck umgezogen und trug statt Uniform nun einen weiten schwarzen Umhang und ein schwarzes Kleid. Sie hatte die Kapuze wegen des Regens tief ins Gesicht gezogen und erst als die Augen der Händlerin darunter zu schielen versuchten, streifte Rea sie nach hinten.
"Du hast keinen Termin, nehme ich an?", fragte sie. "Dann muss ich dich anmelden."
Sie verschwand hinter einem Vorhang an der Tür.
Rea betrachtete indes die Auslage in den Schaukästen, fühlte sich aber überraschenderweise nicht in der Laune für Süßkram. Wenige Minuten später erklangen wieder Schritte. Die Frau lugte kurz hinter dem Vorhang hervor und bedeutete Rea, ihr wieder dahinter zu folgen.
Mathilda nahm ein Buch aus dem einem Bücherregal in einem kleinen Raum hinter dem Vorhang. Das Regal glitt fast geräuschlos beiseite und die ersten Stufen einer Treppe wurden sichtbar.
"Dort hinunter", murrte die Frau und Rea folgte ihr, wohl wissend, dass das Ganze ebensogut eine Falle sein konnte. Angespannt legte sie die Hand an das Messer an ihrem Gürtel. Das Bücherregal schloss sich hinter ihr, sie war nun komplett im Dunkeln und tastete sich die Stufen hinab. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, bis sie stolpernd registrierte, dass die Stufen aufgehört hatten und sie auf einer glatten Ebene stand. Ein Streifen schwaches Licht am Boden wies auf eine Tür hin. Sie zückte die Armbrust.
Ich hätte Verstärkung mitnehmen sollen, dachte sie.
Aber dazu war es nun zu spät. Außerdem hätte sie die Frau dann niemals durchgelassen, nicht, ohne ihn vorher zu warnen. Ohne anzuklopfen öffnete sie die Tür und spähte hinein, dann trat sie ganz ein, die Armbrust auf den Schemen am Tisch gerichtet, der in dem schummrigen Licht kaum auszumachen war.
Hokkaido [3] sah auf. Endlich bekam sie das Gesicht dieses Phantoms zu sehen, doch statt wie gebannt auf die Armbrust zu schauen, sah er sie freundlich an. "Ah, Rea", sagte er, "ich habe mich schon gefragt wann du kommst. Setz dich doch."
"Du hast das Mädchen im Zappler getötet", fauchte sie. Sie schloss die Tür hinter sich, lehnte sich dagegen, die Waffe noch immer auf das lächelnde Gesicht gerichtet, das von langen schwarzen Haarsträhnen eingerahmt war. Er sah absolut nicht so aus, wie sie ihn sich vorgestellt hatte. Kein Achatene, wie der Deckname vermuten ließ, sondern eher die olivfarbene Haut eines Quirmianers. Er hob beschwichtigend die Hände. "Das Mädchen? Nein, das konnte ich nicht retten. Die Überdosis hat sie ihrem Dealer zuzuschreiben, von dem sie sich getrennt hat."
"Und das wusstest Du und hast nicht eingegriffen?", fragte sie.
"Quatsch, woher sollte ich das wissen? Und jetzt nimm die Armbrust da weg." Er machte eine Geste, als wolle er ein lästiges Insekt verscheuchen, doch Rea ließ die Waffe nicht sinken.
"Aber du hast die Flasche mit dem Fingerabdruck dort hinterlassen." Rea beobachtete, wie er sich trotz der Waffe die auf ihn gerichtet war, entspannt zurücklehnte und die Hände hinter den Kopf legte.
"Ja, das war ich." Er spuckte das letzte Wort aus. "Ich wollte seinen Fingerabdruck an möglichst vielen Tatorten hinterlassen."
"Und weil es in Ankh-Morpork nicht schon genug gibt, schaffst du selbst welche?", fragte Rea voller Abscheu.
"Nein. Für gestern Nacht war eine Übergabe von etwa 12 Fässern Miranda im Zappler geplant, getarnt in den verschiedensten Instrumenten der Musiktrolle. Aber als das Mädchen starb, sind die Trolle verschwunden, ebenso wie die Leute und dann wäre es viel zu auffällig gewesen, die Dealer zu erschießen."
"Und der Zwerg?"
"Weißt Du, dass der Grundbestandteil von Miranda ein Salz ist? Um es herzustellen braucht man raue Mengen davon. Und ein Stein mit diesem Salz klingt anders als die anderen. Der K'ara'k wusste das und hat sich daran eine goldene Nase verdient."
"Und anstatt uns diese Informationen zu geben-", begann Rea zornig, doch Hokkaido unterbrach sie im schneidenen Tonfall: "Statt dir Informationen zu geben, sorge ich lieber dafür, dass dieser Zwerg unter der Erde bleibt und nicht in einem Schauprozess freigesprochen wird. Er ist ein K'ara'k! Wenn die Zwerge ihn je an euch ausgehändigt hätten, dann nur, wenn sie sicher hätten gehen können, dass sie ihn wiederkriegen. Im Übrigen habe ich die Prügelei nicht angezettelt. Die Damen an den Obstständen streiten quasi jeden Morgen darüber, welche die größten Melonen hat."
Rea schwieg und senkte die Armbrust. Sie kam erst jetzt dazu, das spartanische Zimmer wirklich vor sich zu sehen. Ein düsterer Raum, erhellt von nur einer Kerze und einem kleinen Kamin. Ein Bett, ein Tisch, ein Schrank, ein grüner Sessel vorm Kamin. An der Wand hingen die verschiedensten Waffen, teure neue Armbrustmodelle. Keine Bilder oder Ikonographien. Nur eine große Karte von Ankh-Morpork.
"Und Schraube?", fragte Rea schließlich.
"Der Mistkerl hatte es verdient!", murmelte Hokkaido.
"Und jetzt?", fragte sie. "Ich müsste dich verhaften, Vetinari präsentieren und so weiter."
"Und wozu sollte das gut sein?"
Rea schwieg und betrachtete die Armbrust in ihrer Hand.
Er musterte sie. "Und du kommst alleine hier herunter? Mutig."
"Nein, dumm."
"Wenn du meinst." Hokkaido stand auf und ging zu dem Schrank hinüber. Er öffnete ihn und holte eine Schachtel heraus. "Hier ist der Handschuh, mit dem man die Fingerabdrücke machen kann. Vergiss nicht, dass man ihn vorher auf der Stirn reiben muss, um eigenes Hautfett aufzutragen, welches dann kleben bleibt. Der Cognacschwenker ist auch darin. Zerbrich ihn nicht, die alte Schnappsdrossel wird unendlich dankbar sein, ihn wiederzusehen."
"Und was soll ich damit?"
"Der Deal im Zappler hat gestern nicht geklappt, wie Du weißt. Wahrscheinlich versuchen sie heute Nacht, das alles zu vollenden. Der Handschuh und der Cognacschwenker lassen sich sicherlich gut in einem der Trommelfässer unterbringen. Das jagt Schraube einen verdammten Schrecken ein und könnte dazu führen, dass die Drogendealer plaudern." Selbstzufrieden verschränkte er die Arme vor der Brust. "Außerdem kannst du Vetinari etwas präsentieren."
"Ich soll das einfach jemand anderem anhängen?", fragte Rea entrüstet.
"Wenn du den Mörder von dem Mädchen im Zappler auf Dauer hinter Gitter bringen willst wäre das die Chance, ja." Hokkaido lächelte und Rea zog die Stirn kraus. Nachdenklich nahm sie die Schachtel an sich und verließ dann den kleinen Raum unter dem Pralinengeschäft.

Damien hatte sich unter die drei anderen Handlanger gemischt, die neben der Bühne standen. Wie Ettark vermutet hatte, kannten sie sich untereinander meist nur flüchtig und waren für diesen kurzen Job - das Aus- und Einladen von Fässern - extra angeheuert worden. Der Informantenkontakter versuchte sich indes etwa 200 Meter von ihm entfernt, mit dem Barkeeper zu unterhalten. In der Menge standen, zu Damiens Freude in hautenger, unzüchtiger Kleidung, Miriel und Lea, die sich unter die Leute zu mischen versuchten. In ihrer Nähe versuchte William sich scharenweise Mädchen und auch einige junge Männer vom Leib zu halten, während er auf das Signal wartete. Im Gestänge, hoch über den Menschen, ließ sich - wenn man wusste wonach man suchte - ein dunkler Schemen ausmachen. Rea lag dort mit der Armbrust im Anschlag und wartete. Irgendwo zwischen den Lampen versteckte sich Amalarie. Auch sie wartete.
Dann, endlich, ging die Tür in dem Seitenraum auf, in dem die Fässer standen. Das bunte Licht verschwand und drei einzelne, weiße Strahlen richteten sich auf die Trolle. Von der plötzlichen Hitze übermannt begannen sie zu schwanken. Die Musik verstummte und die Trolle gingen zu Boden. Damien stand mittlerweile in dem kleinen Nebenraum mit den Fässern. Es gab nur eine Tür nach draußen und diese versperrte nun Scoglio. Die beiden Männer, die hereingekommen waren, schrien auf ihn ein. "Verdammter Troll, geh auf die Bühne!"
"Ihr falsch parken", erwiderte Scoglio ungerührt. "Ihr geklammert seid."
"Das macht dann 20 Dollar", hörte er die Stimme von Johan Schaaf aus dem Hintergrund.
"Oder wir nehmen euch gleich mit." Miriel, Lea und William waren in der Tür erschienen. Nun waren beide Ausgänge versperrt.
Den beiden schwarz gekleideten Drogendealern dämmerte es, dass sie in eine Falle gelaufen waren.
"Im Namen der Stadtwache, sie sind verhaftet!", ertönte nun die Stimme Ettarks. " Sie sind verhaftet. Sie haben kein Recht zu schweigen, alles was Sie sagen und nicht sagen wird gegen Sie verwendet. Sie haben ein Recht darauf mit einem Anwalt zu sprechen aber die Götter stehen Ihnen bei, sollten Sie sich dafür entscheiden. Wenn Sie sich keinen Anwalt leisten können müssen sie sich mit unserem Rechtsexperten herumschlagen, viel Erfolg!"

Rea betrat müde das Büro. Sie hatte die Nacht damit verbracht, die beiden Dealer zu verhören. Die Handlanger hatten sie nur für ein paar Stunden festgehalten, ihre Namen in die Kartei aufgenommen und sie dann wieder laufen lassen. Tatsächlich hatte sich einer der beiden als Mörder des Mädchens herausgestellt. Ihr Name war Stella Ahorn gewesen, ein Mädchen das nach dem Tod ihrer Eltern wegen des besseren Lebens, das Ankh-Morpork angeblich versprach, zu ihrem Onkel gezogen war, um in seiner Bäckerei zu arbeiten. Ophelia hatte sich bereit erklärt, dem Vormund die traurige Nachricht zu überbringen.
Die Sonne ging bereits auf und das weiche Licht erhellte einen Schemen, der an ihrem Schreibtisch saß und den Kater Sampo streichelte. Wie erstarrt blieb sie stehen. "Die Bürotür war von außen abgeschlossen!", stammelte sie und hatte Mühe, ihre Kaffeetasse in der Hand zu behalten.
Hokkaido lächelte schelmisch. "Darf ich dich zum Essen einladen?"
[1] Wache-Slang für eine Person, deren Name unbekannt ist

[2] die Rea eher als Fransen bezeichnet hätte

[3] Hokkaido ist ein Doppelagent, der zum einen für die Yakuzza (eine kriminelle achatenische Gruppe) aber auch wieder gegen sie arbeitet, mit noch ungeklärtem Ziel. Die Wache empfindet er dabei eher als störend und er weist eine nicht unbedenkliche Indifferenz zum menschlichen Leben auf. Trotzdem haben sich seine Missionen bislang als vorteilhaft für die Wache erwiesen, da Rea es ebenso auf die Yakuzza abgesehen hat und ihn gerne als Informanten hätte. (Siehe auch: Single Hokkaido; und Live: Tee wie Tod)

Zählt als Patch-Mission.



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Feedback:

Von Ophelia Ziegenberger

01.07.2008 12:54

An dieser Single gefiel mir vor allem, dass sie auf mehreren Ebenen ablief und so verschiedene Ermittlungsergebnisse in einer Abteilung zusammenlaufen ließ. Auch die Arbeit der Abteilung im Zusammenhang mit anderen Abteilungen und Wächtern kam gut rüber und fügte die behandelten Fälle in einen Gesamtkontext der Wache ein. Auch als Pokey konnte die Geschichte überzeugen, was angesichts des Zeitdrucks, unter dem sie entstand, schon beachtlich ist. Besonders gefreut hat mit dieses erste offizielle Intime-Zusammentreffen von Rea und Ophelia. *g* Mein einziger Kritikpunkt: Ich kann mit lateinischen Titeln immer nichts anfangen. ;)

Von Ruppert ag LochMoloch

01.07.2008 12:54

Es hat ein Weilchen gedauert bis ich den Hintergrund der Story kapiert habe. Schraube und der Fingerabdruck ... doch, das hat was ^^Die Rolle von Hokaido war mir unklar. Auch was er eigentlich gegen Schraube vorzubringen hat. Und warum er ihn nur verletzt, statt ihn einfach umzubringen. Er hat da ja keine Hemmungen. Weitere Kritik werde ich dir allerdings ersparen, denn ich hätte in so kurzer Zeit bei weitem keine solche Story hinbekommen. Und ich denke alles was ich noch anzumerken hätte weißt du selber viel besser. :)

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