Bisher hat keiner bewertet.
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Dafür vergebene Note: 9
Ankh Morpork:
Eine wirklich vollkommene Stadt.
"Eher eine verkommene, was meinst du?"
Glum Steinstiefel blickte zu Freund und Leidensgenosse Helmi Bernstein über die Times hinweg. "Das ist gelogen hoch zehn. In dieser Stadt muss doch irgendetwas passieren. Hm..." Glum blätterte weiter in der Morgenausgabe. "Das hier...hm...sieht interessant aus. Ein Museum...Was gibt es noch?"
"Blattlausbefall bei Kollgates?"
"Kann es denn wirklich so friedlich sein? Keine Gewaltverbrechen, keine Vergewaltigungen, keine Unterwanderungen, wofür leben wir denn? Für den Frieden? Nur weil wir Uniformen tragen? Nichts passiert zurzeit."
"Doch, siehst du? Jemand hat die Katze des Bankiers von Vandergeld getreten."
Etwas zuckte kurz.
Es sah einem Funken sehr ähnlich.
Kurz grün, blau, rot, gelb...violett?
Auf jeden Fall kurz und bunt.
Dann war es weg.
William de Worde hielt es für eine gute Idee um zwei Uhr nachts durch Morpork zu laufen, Otto Chriek im Schlepptau. Dieser nörgelte.
"Ich bin eben errst aufgesstanden, Mrr. de Worde und muss drringensst die Ssalamander füttern, ssonsst wirrd dass nichtss mit den Photoss fürr die Morrgenausgabe."
"Hm...es muss doch irgendetwas zu finden sein."
Sie wanderten am Haufen entlang.
Fast schon liefen sie, bis sich aus der Dunkelheit ein Alter schälte, mit einer Leine in der Hand.
Otto stöhnte. Dann musste er husten. Der Alte erlitt vor Schreck beinahe eine Herzattacke.
Er starrte ihn mit offenem Mund an, dann fing William auch schon an zu plappern.
"Aha, erwischt. Um zwei Uhr nachts Gassi gehen. Was hat Sie dazu getrieben? Die Frau hat Sie verlassen? Nein, warten Sie, es war ihr Mann. Ha! Jawoll, der Mann, das wird eine Schlagzeile..." Er begann heftig in einem Block zu kritzeln, während sich der Alte an die Brust fasste. Die Leine in seinen Händen zog sich stramm.
"I-ist er...?"
"Nein, nein, Otto ist enthaltsam, stimmt's, Otto?"
"Klarr.", bestätigte dieser und bastelte an einer Vorrichtung herum, die er aus einer Umhängetasche herausholte.
William fuhr fort, während der Alte erschrocken begann an der Leine zu ziehen. "Also, bestimmt hat man Sie auf die Straße gesetzt, nicht? Und Sie und Ihr Hund müssen sich nun alleine durchschlagen?"
"Bitte rrecht frreundlich."
Ein Blitz durchzuckte die Dunkelheit und blendete den Greis, ein Hund jaulte.
Er röchelte leise.
"Und auch noch krank? Nein, nein, nein, wie schlecht die Gesellschaft doch nur geworden ist. Schlimm, schlimm, schlimm. Bestimmt löhnt auch das Amt nicht?"
Der Alte sah William entgeistert an.
"Welches Amt denn? We- wer sind..."
"Ist doch egal, welches Amt. Sind eh alle faul." Er lachte euphorisch, ebenso Otto. Eine Sekunde später hob er die Hand und machte dem ein Ende. "Keine Zeit für Frivolitäten. Wir decken gerade einen Skandal auf." Williams Stimme erreichte nun Rekordgeschwindigkeit.
"Und der Hund ist bestimmt misshandelt worden? Otto, jawoll, das Photo dringend auf die Titelseite. Die Bürger werden aus dem Häuschen sein, sie werden die Ämter stürmen, ob dieser Ungerechtigkeit. Schlagzeilen, wo man nur hinsieht. Und sie werden am Palast Schlange stehen für Gleichberechtigung, für bessere Zeiten, die Presse wird die Wahrheit ans Licht bringen, wie heißen Sie überhaupt?"
"Aurich Flint, mit Verlaub. Und wer..."
"Fabelhaft, ein Name, der sich prägt. Otto, mach noch ein Photo!"
"Aber ich muss doch sehr..."
Brrrtzz---Pufff!
"STOP!"
Stille.
"Ich bin Aurich Flint, ich gehe mit meinem Hund Gassi und ich tue das, weil er Durchfall hat. Wer seid ihr Spinner, überhaupt?"
Schweigen. William brach es.
"Aber Sie wollten bestimmt nicht die Haufen entfernen, nicht? Dann kriegen wir das Amt für Straßenreinigung dran, falls es das gibt."
"Ach, Mrr. de Worde.", seufzte Otto.
Der Alte wurde hellhörig. "Worde? Sie sind dieser Schreiberling von der Times? Bah! Presse stinkt. Lügt, wie gedruckt."
"Hm...jetzt wo sie es sagen...hier stinkt tatsächlich was."
Otto sah auf Williams Füße. "Derr Hund hat dirr auf den Stiefel gemacht.
"Mein Herr, ich muss doch bitten.", beklagte sich de Worde, während der Alte sich entfernte.
"Kommen Ssie, Mrr. de Worde, wirr gehen zurrück, wirr finden ja doch nichtss."
"Wenn du meinst, Otto, na bitte. Ein Jammer, nein wirklich." Er zog die Weste gerade und schritt voran, während der Photograph mit geübten Handgriffen blitzschnell das Stativ und den Ikonographen zusammenklappte in seinem Beutel verstaute. Eine Straße weiter, kam Otto noch ein Einfall.
"Hey, Mrr. de Worde. Ich habe eine Idee zu den Farrbphotoss. Ich meine, wie man ssie machen könnte..."
Bitte, probier es aus, wenn du meinst. Dann haben wir die neue Schlagzeile, ich sehe es schon vor mir: Bild in Farbe - kein Zauber, kein Trick. Nur ein Durchbruch."
Otto verdrehte die Augen, während William etwas von die Times - näher am Menschen murmelte und baute das Stativ wieder auf.
Eine halbe Minute später schüttelte er enttäuscht den Kopf. Auf dem Bild war alles dunkel, außer einem kleinen Funken, vielleicht Dreck, der bunt auf dem Bild schimmerte.
Es zuckte wieder.
Diesmal länger.
Diesmal bunter.
Diesmal öfter.
Ein Betrunkener nickte und nahm noch einen tiefen Schluck.
Glum spazierte durch die Stadt und ließ sich dabei vom unbekanntesten Maskottchen der Stadt ziehen.
Nach kurzer Zeit merkte auf, hob jedoch nicht den Kopf. Ermittlungsregel nr...nr...was weiß ich: Lasse dir in Krisensituationen nichts anmerken. Langsam ging er weiter. Kinderlachen. Da lachten Kinder.
In Ankh Morpork lachen Kinder. Tagträumte er vielleicht?
Crunkers zog ziemlich kräftig an der Leine und Glum war gezwungen aufzusehen.
Er erblickte einen Palast aus Zuckerstangen, Plätzchen, Bonbons, Schokolade und Lakritzen, Zuckerbrot, Marzipan, Pralinen und einer riesigen Kuppel. Lebkuchen bildeten Dachschindeln, Popcorn verzierte das gewaltige Portal aus Honigspekulatius. Kinder liefen dazwischen her mit Dauerlutschern und Zuckerwatte. Immer, wenn sie etwas aus dem Bau abrissen, wuchs es augenblicklich nach. Staunende Passanten hatten sich um eine mollige Frau mit blauen, hochgesteckten Haaren versammelt, die laut lachte und mit einer großen Zuckerstange winkte.
"Da-das...wow." Glum fiel auf den Boden, als Crunkers ihm die Leine aus der Hand riss und dem Bau entgegen lief. Eine breite Treppe führte hinauf zu dem Portal, überall waren Säulen aus Baiser und Bonbons. Gut detaillierte Schokoladenstatuen säumten den Bau und das Gesicht einer rosafarbenen Katze aus Zuckerwatte und Marshmallows prangte über dem Eingang.
Er stand stotternd auf und näherte sich dem Berg aus Süßigkeiten. Fenster aus Zuckerguss mit Lakritzstreben schälten sich aus der Fassade und zwei Lebkuchenmänner standen am Fuß der Treppe. Er blinzelte, wandte widerwillig den Kopf, um zu sehen, wo er war.
Auf einem Schild stand 'Bachloser Weg'.
Er krächzte.
Crunkers knabberte an einer Säule aus Zuckerbrot und wedelte mit dem Schwanz, während der Zwerg sich im Kreis drehte, die Arme ausgebreitet. "Aber hier..stand d-doch noch...oh...oh. Di-die Gebäude sind einfach...einfach zur S-Seite gewichen...die Gebäude sind einfach..."
Er schlurfte wie betäubt der Treppe und der Frau entgegen. Ihm war furchtbar schwindlig. Das hier war gegen jede Realität.
"Willkommen, willkommen.", plärrte die mollige Frau. Nicht nur ihre ulkige Frisur war blau, sondern auch ihr Kleid, welches einem Märchenkleid, wie es die Prinzessinnen in den Kindergeschichten trugen, glich. Sie winkte mit einer rot-weißen Zuckerstange und ihre Stimme übertönte die Menge ohne Mühe, dabei sprach sie nicht besonders laut.
"Willkommen im süßesten Ort auf Erden." Sie lachte laut und ausgiebig, der Mob blickte ungläubig. "Erlabt euch an der Vielfalt des Palastes, wo die Herrlichkeit, die er zu bieten hat niemals versiegt. Kommt alle her, wir laden euch ein."
Jemand in der Menge fragte: "Entschuldigen Sie bitte, Madam, aber wieso versiegt sie nicht?"
Sie lachte wieder. "Weil der Palast sich selbst erneuert. Er wird alle eure Wünsche stillen."
Jemand anderes rief: "Was bedeutet diese...diese Grinsekatze da?"
Sie sah auf und antwortete: "Sie ist einfach dort und ...irgendwie anziehend, nicht?" Sie kicherte und winkte jemandem hinter Glum zu.
Er drehte sich um und erlitt wiederholt beinahe einen Schock. Die Lebkuchenmänner begannen sich zu bewegen. Sie schritten langsam die Stufen empor. Die Menge raunte, irgendwo fiel jemand um, eine Frau stöhnte auf und Kinder riefen Dinge, wie 'Krass!' und 'Voll der Hamma!'. Glum hob zitternd die Hand, weil er ansonsten nichts zu tun wusste. Die blaue Dame nickte ihm freundlich zu. "Ja?"
Er schluckte. "Woher kommt dieser Palast bitte überhaupt?"
Der Mob hielt den Atem und starrte die Dame an, die nur lächelte. Nun standen die Lebkuchenmänner am Portal. "Wozu sollte man das wissen wollen?" Die Dame lachte laut und winkte den Lebkuchenmännern mit der Zuckerstange. Die Portale schwangen auf.
Aufgeregtes Bellen ließ Hauptmann Humph MeckDwarf von seiner Arbeit aufblicken.
Als er aufstand und die Türe öffnete streifte ihn etwas und ließ ihn wanken. Kurz glaubte er, etwas zu vernehmen, das in etwa so klang: Miiiiisssstvie...
Humph schlug die Türe zu, stemmte sich dagegen und hielt Ausschau nach dem Tier.
"Crunkers! Platz!"
Ein gellender Schrei und ersticktes Stöhnen begleitete diesen Vorgang.
"Wimmer..."
"Crunkers?" Humph sah den Hund fragend an, ortete dann jedoch den Oberstabsspieß Harry rechts von ihm, platt an der Wand, alle Viere von sich gestreckt.
"Meine Güte, Harry.", sagte der Hauptmann besorgt und zog den Gnom von der Wand. Es schmatzte dabei, wie bei einem Saugpfropf.
"N'abend...stöhn...Sör."
Humph setzte ihn auf der Tischkante ab. "Was hat das zu bedeuten?"
"Das ist der Knackpunkt, Sör. Bitte um Erlaubnis noch einmal wimmern zu dürfen."
Humph sah Crunkers an, der leise vor sich hin knurrte.
"Warum ist er so aufgeregt, Oberstabsspieß? Wo war er überhaupt den ganzen Morgen? Ich lasse bereits nach ihm suchen. Der arme Ptupekh läuft sich schon seit vier Stunden die Hacken ab. Also Harry?"
"Wenn ich es nur wüsste."
Crunkers bellte auf.
Otto klopfte vor dem Eintreten ins Redaktionsbüro dem Schreiberling neben ihm auf die Schultern und öffnete die Tür.
"Dein Photo und dieser Palast sind das Beste, was uns in der letzten Zeit passieren konnte.Ich habe es auf die Titelseite gedruckt." William strahlte, von seiner eigenen Erkenntnis begeistert.
Otto nickte. "Ähm, diess hierr Mrr. de Worde ist derr junge Herrr London. Err macht zurrzeit ein Prraktikum bei unss."
"So?" William beugte sich interessiert über den Schreibtisch. "Seit einer Woche, nicht wahr? Ich bin ganz Ohr."
Der Praktikant namens London sagte: "Also gut, ähm...unten im Warteraum sitzt ein...etwas sehr...ziemlich sogar...extrem...also sagen wir der Einfachheit halber eine Schnapsdrossel.."
"Offenbar ein Säufer. Hat die Sache noch eine Pointe oder so was?", fragte William.
"Er sagte, er habe auf einer Parkbank eine Zeitung gefunden...auf der Titelseite war das bunte Bild. Er wickelte seine Flaschen darin ein, dann kam er unter einer Laterne vorbei und sah den Inhalt der Schnapsflasche durch das Papier schimmern...Er sah durch die Lichtreflexion an der Flüssigkeit den Funken auf dem Bild tanzen. Er meinte, er habe so etwas schon vor kurzem gesehen...er meinte, er hätte sich zu diesem Zeitpunkt an der Ecke Chro-nonho-ton-tholo-gos-straße und Bachloser Weg übergeben..."
"Fabelhaft!", sagte William von Donner gerührt.
"IM HALBKREIS UM DEN EINGANG AUFSTELLEN!", brüllte Oberfeldwebel Rea Dubiata im Eilschritt und die Wächter beschleunigten ihren Spurt und näherten sich dem Süßigkeitenpalast.
Die blaue Dame winkte den beiden Lebkuchenwächtern, die sich näher zum Portal stellten und stieg die Treppen aus Zuckerwürfeln hinab.
Die Lance-Korporals Scoglio und Will Passdochauf flankierten Reas Auftritt, während die übrigen Wächter den geforderten Halbkreis formierten und begannen den Mob abzuwehren.
"Was geht hier vor, wer bist du?", erkundigte sich die blaue Dame freundlich.
"Stadtwache Ankh Morpork. Oberfeldwebel Dubiata, mein Name. Ich muss Ihnen mitteilen, Verehrteste, dass die Stadtverwaltung beschlossen hat bis auf weiteres diese Einrichtung zu schließen, bis weitere Ermittlungen genaueres ergeben."
"Welche Ermittlungen denn zum Beispiel? Ich wüsste nicht, was nicht in Ordnung sein sollte?"
"Woher kommt dieses Gebäude, was hat es mit den Lebkuchenmännern auf sich, wer sind Sie überhaupt und warum hat sich diese Straße geweitet, sodass das Gebäude hierher passt, ohne, dass die anderen Gebäude versetzt worden wären? ...Ich deute Ihr Schweigen insofern, dass Sie wohl nicht gewillt sind uns hier und jetzt bei diesen Problemen zu helfen, nicht wahr?"
"Warum immer diese Probleme? Genießt doch lieber das euch gebotene..."
Scoglio, Will und Rea gingen zu dritt zurück Richtung Pseudopolisplatz. Nur die sehr detaillierte Schokoladenstatue am Fuße der Treppe, deren Gesicht in einer Verdrehung nach oben gewandt war konnte erkennen, dass der blauen Gestalt das Lachen vergangen war.
Der restliche Tag gestaltete sich als äußerst kompliziert.
Die DOG-Dobermänner durchwälzten das Archiv im Boucherie, die SUSIS untersuchten Proben der verschiedenen eingesammelten Süßigkeiten im Labor. Der Mob gab es allmählich auf, durch die Barrikade der Stadtwächter gelangen zu wollen, seit außerdem drei FROG-Zweierpärchen auf den umliegenden Dächern zu postieren. Um neun Uhr abends gaben sich die Wächter alle Mühe, die demonstrierenden Mitglieder der Bäcker und Händlergilde zu vertreiben, jedoch ohne Erfolg. Sie protestierten gegen die freie Vergabe von Backwaren, da dadurch der Wettbewerb enorm gebremst würde. Die blaue Dame zog sich daraufhin zurück in das Gebäude und ließ ihre zwei Meter großen Lebkuchenmänner draußen Wache stehen. Crunkers hatte den abteilungsleitenden Hauptmann der DOG am zum Palast gezerrt. Er wusste nicht, was er da erkannte, doch er wusste, dass da etwas war.
"Ich denke, wir können beginnen.", eröffnete Lord Vetinari die Konferenz.
Eine Minute lang schwiegen alle, nachdem Drumknott seinem Herrn einen Bericht übergeben hatte. "Das Gebäude ist also abgesichert, Kommandeur?", erkundigte sich Vetinari wie beiläufig.
"Jawohl, Herr.", bestätigte Araghast. "Zweifellos hat der Herr Sekretär dir gerade den jüngsten Bericht übergeben, Herr. Die Lage ist äußerst prekär und ehrlich gesagt allmählich lächerlich."
Vetinari bestätigte und winkte mit Hand, um Drumknott ein Zeichen zu geben. Dieser stand auf.
"Verehrte Anwesende: Es gab Gefangennahmen. Wahrscheinlich, nicht bestimmt. Ein Hauptmann der Stadtwache beobachtete, wie Besucher den Süßigkeitenpalast betraten, jedoch nicht vollzählig wieder hinaus kamen..."
Die Anwesenden stöhnten.
"Was hat die Wache dagegen unternommen?", erkundigte sich Lord Venturi leicht genervt. "Hat sie das Betreten nur mit Vormund erlaubt?"
"...Offenbar sei auffällig, dass nicht in etwa einzelne Personen, sondern grundsätzlich Kinder mit ihren Eltern oder anderen Verwandten fehlten.", berichtete der Sekretär unbeirrt weiter.
"Das Gebäude wurde umstellt. Keine Besuche zugelassen.", antwortete Araghast. "Und wir haben in unseren Ermittlungen erste Ergebnisse erzielt, allerdings...nun, ich bin mir nicht sicher, wie man sie auswerten sollte.
Vetinari nickte Araghast auffordernd zu. Dieser schüttelte den Kopf. Der Patrizier zog die Augenbrauen hoch.
"Es tut mir Leid, Herr, aber diese Ermittlungen sind äußerst geheim. Genau genommen bräuchten wir eine neue Klassifizierung einer Sicherheitsklasse höher als 'A'. Ich kann nicht offen vor den verehrten Anwesenden sprechen."
"Verstehe." Vetinari nickte. "Solange es der Sicherheit dient..."
Im Schein unzähliger Kerzen durchlief der Bibliothekar die Reihen der Bibliotheksregale.
Unter seinen Armen klemmten ein paar Bücher. Das heißt, eigentlich klemmten davon auch zwei zwischen den Zehen seines linken Fußes, er hatte sich darauf beschränkt auf einem Bein zu hüpfen. Das bemerkte auch der Student, der just in diesem Moment um die Ecke kam und von einhundertfünfzig Kilo plus dreißig schlichtweg umgerannt wurde.
"Ugh.", kreischte der Orang-Utan ihm nach.
"Ein Penner will also gesehen haben, woher dieser Palast kam und seiner Meinung nach hat er sich durch bunte Funken erschaffen, verstehe ich das richtig, Korporal?", sagte Humph.
"Es steht doch da schwarz auf weiß, Hauptmann."
"Ich weiß." Er überlegte. "Das wäre ja beinahe zu phantastisch! Ich denke, davon würde der Kommandeur gerne unterrichtet werden."
Er stand auf und legte die Times beiseite. "Trommel mir doch bitte in circa zwei Stunden die Abteilung zusammen, in Ordnung? Wir machen einen kleinen Betriebsausflug..."
Die DOGs standen in Reih und Glied vor dem MeckDwarfschen Schreibtisch.
"Ähm, Sör...", meldete Hatscha sogleich, als Humph sein Büro nach dem Kommandeursbesuch betrat: "Glum ist nicht da."
"Was?!"
Die meisten sahen ihn fragend an.
Harry fragte: "Du weißt da auch nichts von, Sör?"
"Nein, woher denn?"
"Nun wir dachten du hättest ihn auf Einsatz geschickt. Obwohl derzeit eigentlich nichts los ist."
"Ich? Aber ich habe nie...oh. OH. Das gibt es doch nicht!" Humph schlug sich die Hände vor sein Gesicht und stöhnte leicht verzweifelt. "Crunkers."
Unverständnis zeigte sich auf den anwesenden Gesichtern.
"Er ist im Süßigkeitenpalast. Ich erkläre mich später, tut mir Leid, aber wir müssen nun schnell handeln! Ich brauche sofort einen Ermittlungstrupp für dieses Gebäude. Wer meldet sich freiwillig?"
Arwan, Goldie und Patrick traten vor, der Rest zurück. Helmi wurde von der pflichtbewussten Coccinella jedoch während dieses Prozesses vorgestoßen.
"Wie wäre es mit dir?", fragte Hatscha Thomas, der verstohlen die Decke musterte.
"Naja. Wenn es sein muss, Ma'am."
"Die beiden Korporal und ich wir kommen auch mit, Sör.", meldete Harry, nachdem er sich von den beiden durch ein Nicken dies hatte bestätigen lassen.
"Gut. Ich denke, dass das reichen wird.", schloss Humph. "Die anderen...ihr macht euch schlau, was diesen Palast angeht..."
"Ähm, Hauptmann?", rätselte Breda. "Das haben wir bereits versucht."
"Also gut. Nun Ptupekh, was wissen wir?"
Dieser schluckte und erzählte: "Nun gut. Wir wurden in einem...Märchenbuch fündig. Es handelt sich um ein uraltes Märchen. Darin geht es um ein kleines Mädchen, das sich in ihrem Dorf in den Bergen fernab von anderen Städten alleine fühlt. Also erfindet sie sich eine imaginäre Freundin, ein gutmütige Frau. Sie lebt nämlich in dem Bergdorf, weil sie ihre Eltern verloren hat und von ihrem griesgrämigen Onkel in seine Hütte im Dorf aufgenommen worden war. Wie dem auch sei, freute sich das Mädchen immer, wenn es mit den Arbeiten fertig war, die ihr der Onkel aufgetragen hatte. Denn dann konnte sie mit ihrer imaginären Freundin spielen und Spaß haben. Dazu lief sie in den Wald, der an dem Berg hinauf wuchs und weiter zum Bach. Wenn sie sich darüber beugte, so konnte sie neben sich das Abbild der Frau sehen, als Wasserspiegelung. Spielte sie allerdings zu lange, so schickte ihr Onkel nach ihr, um sie zu finden. Für ihr Fehlen zog sie sich dann Prügel zu und wurde tagelang eingesperrt, ohne Essen, bloß mit Wasser. Ihre imaginäre Freundin aber blieb ihr erhalten. Und als sie eines Tages, geschwächt von der Prügel und des Nahrungsmangels Wasser vom Bach holen ging, um das Abendessen zu kochen, saß sie einige Minuten lang am Bach und sammelte Steine aus ihm, während sie leise vor sich hin weinte. Die Tränen fielen auf die Steine und benetzten sie. Sie jammerte dabei vor sich hin, und bevor sie ging legte sie die Steine zurück in den Bach. Und als sie ins Dorf zurückkehrte geschah etwas, was das kleine Mädchen entsetzte, doch in gewissem Maße belustigte..."
Einige müde SEALS wanderten um den Süßigkeitenpalast.
Ruppert ag LochMoloch hob halb erschrocken die Hand, um sie der Person entgegen zu strecken, die sich gerade aus der Dunkelheit schälte.
"Ein wenig zu spät, würde ich meinen, Gefreiter.", tadelte Patrick Nichts.
"N'abend Sör.", krächzte dieser.
Humph, Hatscha, Harry, Helmi, Thomas, Breda, Goldie und Arwan gingen nacheinander an dem Vektor vorbei, jeder nickte ihm zu.
"Äh...kann ich irgendwie helfen, Sör?"
"Nun, nicht direkt.", sagte Patrick. "Informiere die anderen, dass wir den Befehl haben uns eine wenig in dem Baud dort umzusehen, klar?"
"Klar, Sör. Viel Erfolg, Leute."
Patrick huschte an Ruppert vorbei.
Dieser setzte seine Patroullie fort. Einige Minuten später lief er beinahe in zwei weitere vermummte Gestalten.
"Oh. Ähm...Halt! Wer seid ihr und wo wollt ihr hin?"
Die erste Gestalt sagte: "Äh, wir sind auf einer Mission unterwegs...wegen, wegen..."
"...derr Mission eben.", beendete die andere Gestalt den Satz.
"Mission?", fragte Ruppert skeptisch.
"Ja, ähm...die isst geheim...verrdammt geheim nicht wahrr?"
"Autsch. Stimmt genau."
"Worum geht es da denn genau? Könnt ihr euch ausweisen?" Dann verdrehte Ruppert die Augen. "Ach was soll's denn? Bei einem Einsatz habt ihr eure Marken eh nicht dabei, wie? Geht einfach weiter, die anderen sind irgendwo da hinten. Hauptmann MeckDwarf wird sicher auf euch gewartet haben..."
"Haupt...ach so, ja. Danke, öhm...Feldwebel."
"Eigentlich bloß Gefreiter...", rief Ruppert ihnen nach, während sie davonhuschten.
Er schüttelte den Kopf und ging weiter. Kaum war er um die Ecke schlich sich etwas an ihm vorbei.
"Hey! Wer da? Puh! Hier richt es irgendwie...nach Tieren."
In der Dunkelheit wäre es schwer gewesen schnell zu reagieren, selbst, wenn es hell gewesen und Ruppert bis an die Zähne bewaffnet gewesen wäre.
Als er eine halbe Stunde später wieder seinen Weg fortsetzte entschloss er sich dazu nur noch durchzuwinken.
Es war sicherer.
Hatscha stieg als Letzte durch das sauber aufgeschnittene Fenster aus gehärtetem Zuckergelee. Sie flüsterte und machte dies mit einem Zeichen auch allen anderen klar. Sie befanden sich derzeit in einem lang gestreckten Korridor. Es war dunkel.
"Seid bloß leise, egal, was ihr tut. Ich weiß nicht, ob wir hier auf besonders viele Menschen stoßen werden."
"Glaube ich nicht.", warf Harry ein. "Aber haltet Ausschau nach den vermutlichen Gefangenen."
"Und nach Glum!", flüsterte Helmi empört.
Soweit es Helmi erkennen konnte verdrehte Harry die Augen. "Also gut, sucht auch Stiefel..." Humph sagte: "Wir teilen uns jetzt auf. Also: Hatscha, Goldie und Helmi ihr seid die erste Gruppe, Patrick, Breda, Thomas, Nummer zwei und Harry und Arwan kommen mit mir."
Er sah sich um.
"Da hinten geht es weiter."
Sie blickten in jene Richtung.
"Folgen wir dem Flurverlauf und sehen, wie wir weiterkommen, dann trennen wir uns. Also los. Und: leise!"
Sie schlichen im dunklen Flur entlang. Thomas blieb auf halber Strecke an etwas hängen.
"Hey.", flüsterte er panisch, als sich der Rest der Gruppe entfernte.
Sie drehten sich zu ihm um und Goldie verdrehte genervt die Augen. "Anhang an die Ausführungen des Korporals: Achtet immer auf eure Partner, Leute!"
"Nicht quatschen: helfen! Ich hänge hier fest.", giftete Thomas und Arwan zog ihn mit ein wenig Mühe von der Wand los.
Als urplötzlich der Gang aufhellte, sackte allen das Herz in die Hose. Erst jetzt konnten sie erkennen, dass die Wand von kleinen Säulenartigen Vorsprüngen aus Lakritz gesäumt war. Dort pressten sie sich nun flach hinein. Sie sahen sich fragend an. Helmi hob die Schultern und spähte vorsichtig den Gang hinunter.
Er bedeutete den anderen, dass sie hervorkommen konnten. Und ihnen allen blieb die Luft weg. Sie blickten in einen Korridor, der sich einige hundert Meter erstreckte.
"Wie kann das nun wieder sein?", sagte Patrick halblaut.
"Pssst! Anscheinend befinden wir uns im Hauptgang. Irgendwo dahinten muss demnach das Portal sein. Der Flur muss ja die gesamte Palastlänge einnehmen.", überlegte Humph.
"Wo bist du eben hängen geblieben, Thomas?", fragte Breda und tippte ihn an.
Dieser deutete auf einen kleinen Hebel in der Wand hinter ihm.
Sie betrachteten ihn. "Anscheinend schaltet man damit das Licht an.", stellte Breda fest.
"Dann mach es aus!", sagte Hatscha. "Mir sind all diese Figuren hier unheimlich."
Sie sah den Gang hinunter. Zwischen jeder der Säulennischen befand sich jeweils eine Schokoladenstatue auf einem Baisersockel. Sie stellten Kinder dar, alle recht vergnügt.
Breda löschte das Licht und sie schlichen weiter, bis sie eine Türe erreichten.
Es gab keine Fenster. Von ihm gingen fünf Türen aus.
"Wie kann das sein?", fragte Goldie ungläubig. Dann stutzte sie. "Kann es sein, dass diese Frage heute bereits öfter gefallen ist?"
"Theoretisch müsste es hinter diesen Türen scharf abzweigen.", sagte Thomas. "Alles andere wäre wider der Logik. Die Länge des Gebäudes würde unwahrscheinlich ausreichen, für weitere Räume."
Humph öffnete vorsichtig die nächste Türe. "Leute, ich glaube, wir hätten das Märchenbuch auslesen sollen!"
Er trat beiseite und gewährte den anderen Einblick in eine gewaltige Halle. Sie war leer, lediglich ein großes Damespiel war in den Boden eingelassen. Als Spielfiguren dienten Schokoladenstatuen. Ein dutzend Türen zweigten in jede Richtung ab.
Sie gingen in die Halle hinein.
Humph holte tief Luft und nickte.
"In Ordnung.", sagte er. "Ich kann es zwar nicht glauben, aber es scheint wohl so zu sein, dass innerhalb des Gebäudes eine...eine abnormale Räumlichkeit erreicht wird. Das erschwert uns die Sache beträchtlich. Dann waren wir vorhin vielleicht nicht einmal im Hauptgang. Also gut. Teilen wir uns auf. Die Gruppen bleiben bestehen. Viel Erfolg, Leute."
Zwei Gestalten stiegen in das Gebäude ein.
William de Worde zog sich die Kapuze aus dem Gesicht und sah sich um.
Otto trat an ihn heran. Er bückte sich und hob etwas vom Boden auf. Ein kleines Bonbon.
"Gib mir mal den Ikonographen.", sagte William und hatte ihn bereits an sich genommen, noch bevor Otto etwas sagen konnte. Ein Blitz durchzuckte für einen Sekundenbruchteil das Dunkel. Aber es reichte aus, um die Schatten deuten zu können.
"Ein Bonbonlagerr?", bemerkte Otto und nahm den Ikonographen wieder an sich.
"Scheint so. Komm mit. Hier ist eine Tür."
Eigentlich fand Patrick es absurd, dass so etwas passierte.
Das ein Märchen sich realisieren konnte. Aber noch absurder war diese abnorme Räumlichkeit. Seit mehreren Minuten liefen sie nun durch Gänge und fanden bloß immer neue Türen, meistens halb leere Räume ausgestattet mit Statuen oder Sitzmöbeln oder Hallen mit überdimensionalen Brettspielen, die in den Boden eingelassen waren. Es schien ganz so, als sei dem 'Erbauer' dieser Einrichtung mehr daran gelegen gewesen, Platz zu schaffen, als diesen Platz dann tatsächlich mit etwas zu füllen. Als sei der einzige Sinn dieses Gebäudes die Räumlichkeit, bereit mit irgendetwas gefüllt zu werden.
Patrick öffnete eine Türe, bloß einen winzigen Spalt breit, sodass er kaum durchsehen konnte.
"Was ist da drin, Sör?", fragte Thomas neugierig.
Langsam entfernte er sich von der Türe. Ein Gestank von verrottendem Fleisch schlug ihm entgegen, faulig und abgestanden.
Breda wagte es, die Türe weiter zu öffnen. "Oh, du meine..."
Ihr Blick fiel auf einen achtlos zusammengeworfenen Haufen Leichen. Manche waren bloß noch Skelette, andere halb verwest, doch auch eine neuere schien dabei zu sein. Patrick lugte hinter ihnen durch die Türe, während sie mit angehaltener Luft ein paar Schritte in den Raum traten.
"Mir ist übel...", sagte Breda und eilte zur Türe.
Draußen schlossen sie sie und beeilten sich die nächste zu erreichen, als sie sich nähernde Schritte vernahmen.
Draußen auf der Straße marschierten einige Gestalten auf, wie bereits oft in dieser Nacht.
Sie schlichen an den Wänden entlang und näherten sich dem Süßigkeitenpalast. Eine von ihnen zog etwas aus seiner Tasche, etwa unterarmlang.
Der Zufall wollte es, dass Ruppert eben in diesem Moment um die Ecke kam.
"Hey.", rief er: "Jetzt werden es langsam verdächtig viele."
Die Gestalten sprangen erschrocken auseinander.
Etwas blitzte auf, etwas wurde durch die Luft geworfen.
Humph, Harry und Arwan hatten bereits nach kurzer Zeit eine Treppe gefunden, die nach unten führte. Die Treppe war hell erleuchtet; überall im Palast gab es blass leuchtende Kugeln, die sich unter der Decke entlang zogen beziehungsweise in den Boden eingelassen waren. Sie waren farbig und, wie sie festgestellt hatten, nichts anderes, als große, von innen heraus erleuchtete Bonbons. Sie hörten Aktivität, irgendwo in der Nähe.
Als der kleinste von ihnen lugte Harry um die Ecke.
"Ich sehe zwei von diesen Lebkuchenmännern, Sör. Sie kochen etwas."
"Kannst du erkennen was das ist?", flüsterte Humph.
"Hm...einer von ihnen zerreibt Kräuter, der andere rührt in einem Topf."
Der Hauptmann stöhnte. "Also schön, Gefreite Arwan: Das sollte zu schaffen sein, immerhin handelt es sich hier um wandelndes Gebäck."
Arwan nickte. "Wie gehen wir vor?"
"Sehen wir zu, dass wir etwas Schweres finden und hauen sie in die Pfanne."
"Ein geeignetes Zitat für die Nachwelt, Hauptmann.", kommentierte Harry ironisch.
"Es ist gebackener Teig. Wahrscheinlich sind sie nicht allzu robust. Also auf drei.", sagte Humph. "Eins...zwei...drei!"
Der erste Lebkuchenmann hatte gar keine Zeit, zu reagieren, sie stießen ihn einfach um. Arwan griff sich ein Messer, das auf dem großen Tisch in der Raummitte lag, wirbelte herum und wich bloß dadurch einem Hieb aus, indem sie sich auf den Boden warf. Harry beeilte sich auf die Anrichte zu klettern, von der Humph sich soeben eine gusseiserne Bratpfanne griff. Damit drosch er dem Lebkuchenmann einmal von links und einmal von rechts auf den flachen Hinterkopf, der zu einem zweiten Schlag gegen Arwan ausholte. Er fiel zur Seite und Arwan stieß ihr Messer in den Kopf.
Sie riss die Augen auf.
"ACH..."
Der Schlag traf den Abteilungsleiter mit voller Wucht und beförderte ihn und die Pfanne quer über den Tisch. Er landete scheppernd in einem Stapel Töpfe.
"HARRY!", kreischte Arwan und versuchte sich zur Seite zu rollen, wurde jedoch von einem harten Tritt zwei Meter weggetreten und stieß mit einem Knacken gegen die Anrichte.
"Hey, du da."
Der aufrecht stehende erste Lebkuchenmann drehte den Kopf und erblickte Harry, der mit einer Suppenkelle gegen die Aufhängung des großen Topfes stieß und ihn so gefährlich schwanken ließ. Er gab eine Art Zischen von sich und wankte ihm entgegen. Doch es war bereits zu spät. Harry stieß noch einmal gegen die Aufhängung und schaffte es den Kessel abzustoßen. Er fiel auf den Boden, kippte um und sein kochendheißer Inhalt ergoss sich über den Boden. Jetzt fauchte der Lebkuchenmann, wandte sich um und versuchte seinem Kollegen das Messer aus dem Hals zu ziehen. Humph hatte sich in dieser Zeit an der Wand hochgezogen und warf nun Töpfe nach den Zwei-Meter-Backwaren, allerdings war dies reichlich uneffizient.
Harry lief über die Anrichte zu Arwan, die mit flatternden Augenlidern halb lag, halb saß. Der erste Lebkuchenmann richtete seinen Partner auf und fixierte den Gnom.
Der zweite, nun stehende näherte sich Humph.
Harry sah, den braunen Arm von der Seite und änderte sofort seine Laufrichtung, was ihn rettete, doch der nun folgte ein wahres Stakkato von wuchtigen Schlägen. Er sprintete über die Anrichte, sprang gerade noch rechtzeitig, bevor ihn ein so heftiger Schlag getroffen hätte, dass er das Holz splittern ließ.
Humph duckte sich unter dem Hieb hinweg, der in seine Richtung ging und taumelte durch die Küche, Richtung Treppe zurück. Harry schlitterte über den nassen Boden auf ihn zu.
"Arwan ist bewusstlos, Sör.", keuchte er.
"Was?!"
Schwankend drehte Humph sich um.
Otto Chriek und sein Chef wanderten durch die Flure.
"Dass isst ein Unding, Mrr de Worrde. Diesse Maße sind völlig unmöglich."
William bemerkte spitz: "Ich würde nicht sagen, dass dies unmöglich sei. Immerhin befindet sich die Universität nicht weit von hier."
"Und wie kommen wirr wiederr hierr herrauss?"
William sah Otto verwirrt an. "Wir gehen, wie wir gekommen sind. Durchs Fenster."
"Sso?" Der Photograph marschierte entschlossen in das nächste Zimmer. "Isst Ihnen in den letzten Minuten in irrgendeinem der Zimmerr ein Fenssterr aufgefallen?"
"Nein."
"Dann isst ja alless in Orrdnung."
Otto öffnete vorsichtig die Türe und lugte durch den Spalt.
Doch anstatt sie weiter zu öffnen blieb er stehen, wo er war.
Verlegte man die Perspektive ins Innere des Zimmers, so sah man, dass Otto einen Affen anstarrte, sowie ein Affe, eine Hand auf der Türklinke einer anderen Tür, einen großen Folianten unter dem anderen Arm, ihn anstarrte.
Die blaue Dame schritt durch einen weiten Korridor.
Im Licht, welches aus hunderten bunter Kugeln fiel, glitzerte etwas. Sofort blieb sie stehen und blickte auf. Ein Tropfen Karamell hatte sich von der Decke gelöst und fiel zu Boden.
Die beiden Lebkuchenmänner fixierten nun die benommene Arwan und drehten sich um. Sie schritten auf sie zu und streckten die Arme aus. Humph griff seine Pfanne und lief auf ihre Feinde zu.
Sie packten Arwan, hoben sie hoch, einer von beiden schlug Humph zu Boden und sie näherten sich der Treppe.
Arwan kam währenddessen wieder zu sich und begann schwach zu zappeln, doch sie hatte keine Chance. Plötzlich ließen sie die Obergefreite fallen und beschleunigten ihre Schritte ein wenig.
Die drei DOGs krabbelten, schlitterten, rutschten aufeinander zu und beobachtete, wie sich die kuriosen Wächter über die Treppe entfernten.
"Wie geht es dir Arwan?", fügte Humph an sie gerichtet hinzu.
Harry kletterte auf den Tisch und untersuchte die Kräuter, die der erste Lebkuchenmann zerstoßen hatte.
"Hm...", murmelte er: "...das ist Arsen."
Er blickte auf den Boden. "Eine Arsensuppe?"
Hatscha, Goldie und Helmi standen mit offenen Mündern in einer Halle, in deren Mitte ein gewaltiger Springbrunnen stand. Pudding lief an ihm herab, eine Schokoladenstatue stand auf der Spitze. Es war hell erleuchtet, eine vierstöckige Galerie verlief an den Wänden.
Durch eine gewaltige Kuppel in der Decke sah man den bewölkten Nachthimmel, der diese Nacht kaum Mondlicht durchließ.
Hatscha bedeutete den anderen, dass es weiterginge, als sie weiter oben Geräusche vernahmen. Doch sie konnten die Quelle nicht ausmachen
Goldie deutete auf die Türe etwa sieben Meter links von ihnen. Auf halbem Weg verharrten sie augenblicklich, da der Türflügel zu rechter Seite aufschwang.
Als jemand herauskam versteckten sie sich hinter diesem.
"Kommt her! Ich gebiete es!"
Jemand pochte auf den Boden.
Als ein greller Schein durch die Kuppel hereinfiel rissen sie reflexartig die Köpfe empor.
Valdimier van Varwald legte draußen auf der Sraße die Hände an den Mund: "WURZELBACH. ZU MIR!"
Schlumpi Wurzelbach kam angetrabt. "Ja, Sör?"
"Was ist das?"
Sie kniffen beide die Augen zusammen.
Innerhalb einiger Minuten wurden Türen auf den verschiedenen Galerien geöffnet und Lebkuchenmänner bezogen auf ihnen Stellung.
Sie stürmten los, rannten beinahe in einen Lebkuchenmann, erhaschten einen Blick auf die blaue Dame, als sie direkt durch die Türe liefen, hinter deren Flügel sie sich gerade noch versteckt hatten. Sie schlitterten, wurden beinahe von Hieben und Tritten getroffen.
"Packt sie! Packt sie!"
"Kleinaxt, Bernstein. Worauf wartet ihr?", rief Hatscha am Fuß einer Treppe, die nach unten führte. Goldie legte noch einen Zahn zu, schaffte es bis zu Hatscha. Helmi war noch einige Meter zu weit zurück. Ein brauner Arm tauchte aus einem Seitengang auf und traf Helmi derart heftig, dass er durch seine Laufgeschwindigkeit noch einen Meter weiter flog.
"HELMI!", rief Goldie, doch Hatscha zog sie die Stufen hinunter und schüttelte den Kopf, als ein gutes Dutzend Lebkuchenmänner um die Ecke getrabt kamen und den benommenen Zwerg ergriffen.
Die Offiziere der Stadtwache , der Kommandeur, Rea Dubiata, Rogi Feinstich und Laiza Harmonie hatten den Ort des Geschehens erreicht. Ein Flammenschweif loderte auf. "Wer ist dafür verantwortlich?", polterte Laiza auch gleich los, als ihr ein SEALS-Hauptgefreiter über den Weg lief.
"Wir haben zwei der Brandstifter festgenommen, allerdings handelt es sich bei den Brandstiftern um Lehrlinge der Bäckergilde, Ma'am."
"Was?! Eine Gildenausschreit..."
"AUS DEM WEG HIER!", rief Valdimier ihnen entgegen, Schlumpi im Schlepptau. "Hier gibt es gleich eine..."
Ein infernalisches Krachen hallte durch die Straßen. Aus einem Palastfenster ergoss sich Popcorn auf die Straße und entwickelte teilweise gefährliche Geschosse.
Ein naher Feuerschweif flog durch die Nacht, jetzt so nahe, dass man ihn als Fackel erkennen konnte, die bloß eine Ecke weiter von den Offizieren geworfen wurde.
"Bring mir diesen Bäcker, Hauptgefreiter.", presste Rea zwischen den Zähnen hervor.
Patrick, Breda und Thomas stießen beinahe mit Humph, Harry und Arwan zusammen, die ihnen im Flur entgegenliefen
"Gute Güte, Korporal.", sagte Humph mit verzogener Miene. "Was ist passiert?"
Patrick sah an seiner Gruppe hinab. Sie hatten einige Blutflecke und sie stanken erbärmlich.
"Nun...wir haben da einen Raum entdeckt...er ist voller Leichen."
"Was?", stieß Breda aus. "Das wird ja immer seltsamer. Aber...wie lange wart ihr in dem Raum?", ergänzte sie mit einem Blick auf Thomas.
"Wir...hörten Schritte im Gang vor uns und...haben uns zwischen den..." Ihn schüttelte es vor Ekel: "...Leichen verstecken müssen."
"Da waren zwei Lebkuchenmänner, die eine tote Frau dort abgeliefert haben.", sagte Patrick nüchtern. Breda zuckte mit den Schultern und schauderte. "Ich bin zwar untot, aber...wo kommen die Leichen her? An einem Ort, wie diesem?"
"Vielleicht hat das etwas mit der Arsensuppe zu tun?", rätselte Harry mit gerunzelter Stirn.
Irgendwo in der Ferne hörten sie ein lautes Knacken.
Nach kurzem Schweigen entschloss sich Patrick das Thema zu wechseln. "Leute, es ist zwar komisch, aber...sind euch in letzter Zeit Fenster aufgefallen?"
William und Otto dem folgten dem Bibliothekar mit ein wenig Abstand durch das Gebäude. Gelegentlich flog Otto ein Stück als Fledermaus unter der Decke, was bereits hilfreich gewesen war. Auf diese Weise waren sie bereits mehreren Wächtern entgangen, doch der Bibliothekar machte sich die Sache viel einfacher. Als er vorhin in einem Raum einen Lebkuchenmann angetroffen hatte, hatte er ihm schlichtweg den Folianten entgegen geworfen.
Als sie um die nächste Ecke biegen wollten, pressten sie sich an die Wand.
William deutete zur Decke und Otto hob ab. Als er zurück war berichtete er von vier Lebkuchenmännern, die einen Zwerg fortbrachten.
Hatscha und Goldie schnappten nach Luft. Sie waren eine lange Treppe nach unten gelaufen, durch etliche Räume und Hallen und befanden sich nun in einem runden Zimmer mit zwei Türen.
Wütend riss Hatscha die zweite auf. Eine Treppe nach unten.
Je weiter sie hinab stiegen, desto wärmer wurde es. Am Ende der Treppe stießen sie auf eine schwere Türe.
Goldie öffnete sie.
Sie befanden sich auf einer Art Balkon, von dem man Blick in ein riesiges Gewölbe hatte. Diese Halle allerdings wurde von vier gewaltigen Zweidrittelkugeln eingenommen, die immerzu in Kreisbewegungen geschwenkt wurden. In ihnen schwappte Teig. Zwischen diesen Zweidrittelkugeln verliefen breite Stege. Vor dieser Konstruktion, unter dem Balkon lagen auf weißen Tüchern braue Dinge. An einer langen Reihe Ketten an der rückwärtigen Wand hingen circa zwanzig Körper. Die beiden Wächterinnen bekamen eine Gänsehaut und stiegen die schmalen Stufen zur rechten Balkonseite hinab.
Plötzlich packte Goldie Hatschas Arm so fest, dass sie überrascht aufstieß.
Die Zwergin deutete mit zitterndem Finger auf die braunen 'Dinger' unter dem Balkon und die stellvertretende Abteilungsleiterin sah genauer hin. Es handelte sich sehr wahrscheinlich um Schokolade. In vielen von den Schokoladendingern konnte man nun Gesichter, Haare und Nägel erkennen. Doch Goldie deutete auf etwas, dass bei einigen der halb fertigen Statuen noch ersichtlich war: Haut.
Vorsichtig stiegen sie den Rest der Treppe hinunter, die ganze Zeit den Blick auf die Statuen gerichtet. Als sie direkt vor ihnen standen konnten sie es überdeutlich erkennen: Die Schokolade schien wie ein dünne Patina auf den Leibern zu liegen.
"Das ist bestimmt kein Kinderparadies, das ist ein Horrorkabinett, Korporal!", wimmerte Goldie. Sie erklommen über einen breiten Steg die Konstruktion und blieben zunächst noch jedes Mal erschrocken stehen, als sich eine der Zweidrittelkugeln in ihre Richtung neigte. Dabei gaben sie ein helles Geräusch von sich, als ob man mit einem feuchten Finger über einen Weinglasrand führe. Es kam und ging ungefähr alle drei Sekunden.
"Weißt du was?", sagte Goldie und grinste leicht irre. "Die sehen aus, wie Cognacschwenker."
Sie hatten die Reihe der Gefangenen beinahe erreicht, als ihre Anwesenheit offenbar bemerkt wurde. Ein paar der Gefangenen stöhnten und wanden sich in ihren Ketten. Alle hatten sie die Augen und Münder versperrt. Man hatte ihnen eine Karamellkruste in die Haut gebrannt und sie mit den Armen nach oben angekettet, sodass sie weder hören, noch sehen, geschweige denn etwas dagegen machen konnten.
Die Ketten waren in eine Art Schiene eingezogen worden. Danach war eine Art zweite Schiene darüber gelegt worden, damit man die Ketten nicht einfach wieder herausziehen konnte.
"Verdammt, was ist das hier?"
Einer der Gefangenen ruckte mit dem Kopf in ihre Richtung.
"Hört mal her...", sagte Hatscha mit lauter Stimme während Goldie nach dem Öffnungsmechanismus suchte: "Hier spricht die Stadtwache. Verhaltet euch ruhig! Wir werden euch hier herausholen!"
Der Gefangene begann leise zu wimmern. Mit einem gequälten Gesichtsausdruck sah Hatscha ihn an. "Auch wenn es euch schwer fallen mag...", rief sie: "...bewahrt bitte Ruhe!"
Doch nun, da sie genauer hinsah bemerkte sie den rötlich-braunen Bart, den dicken Bauch darunter und vor allem: die mausgraue DOG-Uniform.
"Goldie!" Sie lief dem Zwerg entgegen und die Zwergin sag in ihre Richtung. "Es ist Stiefel."
Sie legte ihm vorsichtig die Hand auf den Arm und versuchte mit der anderen die Karamellkruste von seinen Augen zu lösen. Er schnaufte dabei aus der Nase und wand den Kopf ein wenig, doch Hatscha fand, dass er sich eindeutig bemühte stillzuhalten.
"Korporal.", rief Goldie. "Ich habe hier einen Hebel gefunden."
"Warte noch kurz!"
Die erste Kruste löste sich von Glums linkem Auge. Er blinzelte, kniff dann das Auge zusammen vor Schmerz und vor Helligkeit. Ein dunkelroter, blutunterlaufener Abdruck zeigte sich dort, wo die Kruste sein Auge verdeckt hatte. Hatscha entfernte auch vorsichtig die zweite und zum Schluss die vor seinem Mund. Sie bemerkte, dass seine Haut sehr trocken zu sein schien.
Erschöpft und matt, mit einem Krächzen in der Stimme sagte Glum: "Hätte aber auch schneller gehen können!"
"Und ich hätte dir das Karamell vor dem Mund lassen sollen, Gefreiter. Und jetzt nimm Haltung an!"
Sie winkte Goldie und verkündete laut: "Wir werden nun die Ketten lösen. Versucht bitte auf den Knien zu landen!"
Goldie drückte den Hebel hinunter. Die zweite Schiene schnappte mit einem Kratzen auf und zwanzig Körper schlugen dumpf auf den Boden auf, die wenigsten mit den Knien. Hier und dort ertönte ein Stöhnen, wo jemand von einer der Ketten getroffen wurde.
Goldie und Hatscha bückten sich zu den Gefallenen hinunter und versuchte sie aufzurichten und ihnen die Krusten abzunehmen.
"Glum, was ist das hier?", fragte Goldie, die sich um einen Mann neben dem Husky kümmerte.
"Das wissen wir nicht, Ma'am...aber wir...wir haben Spritzen gesetzt bekommen."
Ein Donnern und ein Beben ließ das Gewölbe erzittern. Im gleichen Moment schwang oben auf dem Balkon die Türe auf und ein Lebkuchenmann trat ein.
Die blaue Dame riss den Kopf nach oben zur Kuppel. Feuer brannten dort oben inzwischen lichterloh. Überall tropfte es klebrig und zäh hinunter, die Tropfen bildeten breite Lachen auf dem teilweise erwärmten Boden. Es wurde allmählich heißer im Palast.
Als ein weiteres Beben erfolgte, schrie sie laut auf.
"Die innere Struktur bricht zusammen."
Die Galerien leerten sich.
Patrick, Breda, Thomas, Humph, Harry und Arwan liefen durch einen weiteren ellenlangen Flur.
"Hier muss doch irgendwo ein Fenster sein!", keuchte Breda.
Das zweite Beben ließ den Boden erbeben.
"Was ist das für ein Beben?"
Sie liefen in den nächsten Raum. Es war die große Halle mit dem Damespiel.
"Durch welche Türe kamen wir zu Anfang hinein?", überlegte Thomas angestrengt.
Just in diesem Moment öffnete sich die Türe an der Stirnseite der Halle und zwei Wächter kamen heraus, in ihrer Mitte einen Zwerg.
"Das ist Helmi.", stellte Humph leise fest. "Diese Teile sind nicht leicht klein zu kriegen, Leute. Versucht sie auf den Boden zu pressen und...trennt ihnen irgendwie die Köpfe."
Sie sahen sich an und stürzten los. Als Helmi sie in seine Richtung laufen sah, schrie er glücklich auf.
Arwan, Thomas und Harry stürzten sich gleich auf den ersten, die anderen auf den zweiten. Kurz darauf flog Harry durch die Luft, Thomas schlitterte einige Meter zur Seite und Helmi, der von den Wächtern losgelassen wurde schwang sich herum und half Arwan sich auf den ersten Lebkuchenmann zu pressen.
"Danke für die Hilfe." presste er zwischen den Zähnen hervor.
"Geschenkt, Gefreiter.", rief Arwan und stöhnte angestrengt. "Ich habe ein Messer dabei."
Wütend zischten die Lebkuchenmänner und traten beziehungsweise schlugen um sich.
Arwan ergriff das Messer und stach damit auf die Hälse der Lebkuchenmänner ein. Der zweite war seinen Kopf schnell los, doch der erste schaffte es sich aufzurichten und die Wächter wankend von sich zu stoßen. Sie kreischten und warfen sich gemeinsam auf ihn. Dies war auch sein Ende.
"Das wäre erledigt.", bemerkte Helmi erschöpft. "Was nun?"
"Raus hier!", sagte Patrick. Mehrere Türen öffneten sich, ebenfalls an der Stirnseite. Es mussten mehrere Dutzend Lebkuchenmänner sein.
Bevor der Lebkuchenmann sich auch nur Richtung Treppe bewegen konnte flog etwas Dunkles an ihnen vorbei, gleich danach ein ziemlich großes gewichtiges Buch, welches ihn am Hinterkopf traf und zum Stolpern brachte. Ein rötlicher Sack polterte die Treppe hinunter, dicht gefolgt von einem Mann. Der Sack warf sich gegen den getroffenen Wächter und stieß ihn den Balkon hinunter; auf dem Boden brach er. Der dunkle Fleck landete vor den beiden Frauen. Alles war innerhalb von Sekunden geschehen. Ein zweites Beben riss sie alle von den Füßen. Der dunkle Fleck verwandelte sich vor ihren Augen in einen Photographen mit erhobenem Ikonographen.
"Herr Chriek?", ächzte Goldie.
"Genau derr."
"Was hat das zu bedeuten?!", fragte Hatscha giftig
Sie holte tief Luft, bereit all ihrem Unmut Luft zu machen, doch dann machte sie sich wieder daran sich um die Gefangenen zu kümmern.
"Einfach umwerfend!", hauchte William mit leuchtenden Augen. Einige der Gefangenen lagen röchelnd auf dem Boden.
"Wie dürfen wir das verstehen?", fragte Goldie scharf.
"Die Menschen wollen Skandale sehen. Und das hier ist perfekt."
Goldie schnaubte. "Helfen Sie uns gefälligst."
Urplötzlich schloss sich eine haarige Hand um Glums Handgelenk.
Der Bibliothekar schob seinen Ärmel hoch.
An seinem Arm zeigte sich eine blutig-schwarze Verfärbung, einer Kruste nicht ganz unähnlich. Die Haut sah verbrannt aus und um die Wunde herum bräunlich.
"Das...das sieht nicht allzu schlimm aus...alles bestens, Gefreiter.", sagte Goldie und wandte sich angeekelt ab, als Glum schmerzvoll aufschrie. Bräunliche Flüssigkeit tropfte an seinem Arm hinunter.
"Ugh?"
Hatscha, die kurz vor dem Würgen war fragte: "Glum...haben sie dir an dieser Stelle die Spritze gesetzt? Wundbrand! Aber was für einer."
Der Palast brannte lichterloh. Überall platzten die Säulen, Statuen, Ornamente. Die Treppe aus Zucker schmolz weg und lief als träger Bach hinunter auf das Straßenpflaster. Fackeln wurden keine mehr geworfen. Die Schuldigen waren allesamt eingesammelt und ins Wachhaus gebracht worden.
"BEEILUNG! DURCH DIE TÜRE DA DRÜBEN!", polterte Humph und sie rannten, verfolgt von braunen Leibern durch den Saal. Zischen und Fauchen ertönte hinter ihnen, als sie die Türe zuschmissen. Sie standen in dem Raum mit den fünf Türen.
Nach einigen Augenblicken verkündete Arwan, sie habe die richtige gefunden.
"Wartet!", stieß Patrick hervor. "Was ist mit den anderen?"
Hinter ihnen flog krachend eine Türe auf.
Zischend kamen die Lebkuchenmänner angelaufen.
"Keine Zeit mehr, Gefreiter.", sagte Breda verzweifelt und ergriff seine Hand. Sie liefen weiter den Flur hinauf.
Es donnerte markerschütternd und das heftigste von allen Beben riss sie von den Füßen. Sie prallten auf den harten Boden, rappelten sich wieder auf und rannten weiter.
"Da! Ich kann es sehen!", brüllte Harry von Patricks Schulter aus.
"Bildet eine Räuberleiter!", befahl Humph leicht panisch. Es war unerträglich heiß geworden. Patrick hatte die Hände gefaltet und ging in die Knie. Als Arwan gerade mit dem Fuß in seine Hände steigen wollte, ertönte ein klares Klingen.
Etwas Merkwürdiges geschah. In der Ferne ertönte ein schnell näher kommendes Donnern.
"SCHNELL! BEEILUNG!", brüllte Breda brachial, verwandelte sich und flog aus dem Fenster hinaus in die Nacht. Arwan stieß sich ab, sprang durch das aus der Scheibe geschnittene Loch. Thomas hinterher, Harry auf der Schulter. In dem Moment, als er sprang hatte sie das Donnern erreicht. Wider aller Vorstellungen brachen die Wände und Säulen des Flures ein. Sie schienen sich zusammenzufalten und dabei zu schrumpfen. Bunte Funken tanzten überall in der Luft herum. Und sie kamen rasend schnell näher. Humph packte Helmi, schob ihn nach vorne und der Zwerg sprang.
"Patrick."
Humph bildete eine Räuberleiter für den Korporal. Dieser stieg in die gefalteten Hände und sprang. Die Lebkuchenmänner wurden von dem Geschehen erfasst. Geräuschlos zerbersteten sie nur hundert Meter von Humph entfernt. Die Zusammenfaltung war jetzt ungefähr fünfzig Meter von ihm entfernt. Breda sprang in den Flur zurück und faltete die Hände, nickte ihm zu. Er nahm Anlauf und sprang. Mit einem Schulterblick verschwamm Breda zu einer Wolke und flog als Fledermaus durch die Fensteröffnung. Nur eine Sekunde später hatte sich das Stück Wand des Fensters gefaltet.
Als das Gesicht der Grinsekatze fiel, begrub es dabei die meisten der Lebkuchenmänner unter sich.
Von außen ließ sich nicht anmerken was gerade innerhalb der Mauern geschehen war.
Die blaue Dame wand sich auf dem schmelzenden Boden der Galerie, als sich die Türe hinter ihr öffnete. Eine Gruppe Menschen wankte herein, schrecklich geschwächt und torkelnd. Der Bibliothekar trug zwei von ihnen auf dem Rücken, Hatscha und Goldie stützten jeweils eine Frau. Glum hielt sich an Otto fest, William half den Fallenden auf. Es war der reinste Trauerzug.
Die Dame blickte in ihre Richtung und kreischte entsetzt, als Goldie und Hatscha ihre Last vorsichtig absetzten und auf sie zumarschierten. Goldie entging nur knapp einem Schlag mit der Zuckerstange, dann entriss sie der blauen Dame, die auf dem Boden zurückwich. Dann riss Hatscha endgültig der Geduldsfaden. Sie packte die blaue Dame an den Haaren und zog sie hoch, bis sie stand.
"Wo geht es hier raus?", fragte sie mit bebender Stimme.
Die Dame schluchzte.
"Ihr habt die Struktur zerstört!"
Goldie kniete sich nieder. "Welche Struktur?"
"Der Palast bewegt sich in den Dimensionen. Und ihr habt das Gefüge vernichtet!", sagte die Dame.
"Heißt das, dass der Palast in sich zusammenfällt?"
Der Bibliothekar tauchte neben ihnen auf und kreischte, deutete dabei auf den Folianten unter seinem Arm.
"Deshalb ist er hier.", sagte Goldie entgeistert.
"UGH!"
William beugte sich nun über die Dame. "Ich denke, die Stadt brennt auf Antworten, meine Dame."
Hatscha und Goldie nahmen den Folianten und blätterten darin. Otto kam mit Glum angetorkelt.
Die blaue Dame rief zornig: "Der einzige Sinn dieses Palastes besteht darin, Kindern Freude zu bereiten. IHR VERNICHTET IHN!"
Glum packte sie am Kragen. "Und Kindern bereitet man Freude, indem man sie in Statuen verwandelt? Und ihre Eltern in Lebkuchen?!", sagte er angestrengt.
"Ich lebe für die Kinder. Ich bin ihre Träume. Der Palast ist ihr Traum. Und sie können ein Teil davon werden!"
"Dürfen wir in diesem Fall...?", bemerkte William.
"MR. DE WORDE!", schrie Goldie ihm dazwischen. "Dies ist alles andere, als der richtige Zeitpunkt!"
William starrte sie giftig an.
"Und was ist mit uns?", zischte Glum und deutete mit einem zitternden Finger auf die Gruppe Menschen, die nun versuchte, sich gegenseitig zu stützen.
"Ihr, die ihr Regeln vorschreibt, ihr, die ihr eure Kinder einzwängt, habt nichts anderes verdient, als selbst nach Regeln zu leben, eingezwängt zu werden. Wer nicht geeignet erschien wurde vergiftet und entsorgt."
"Wie kann man Kindern etwas Gutes tun, wenn man ihnen ihre Eltern raubt?"
"Sie hätten vor den Statuen bereuen können. Die wahren Herrscher an diesem Ort sind die Kinder."
"Ich habe gar keine Kinder."
"Dieser Fehler hätte nicht geschehen dürfen!", zischte sie.
Hatscha klappte das Buch zu und drehte sich langsam um und übernahm den Kragen der blauen Dame.
"Und dafür hast du das Blut der Kinder in Schokolade verwandelt? Mit einer Spritze vielleicht? Damit sie in ihren Poren Schokolade bildet?"
" Sie sollten Kinderträume war werden lassen. Ein Leben im Paradies."
"Kinder wollen leben, sie wollen die Freiheit. Aber nicht so. Sie erfüllen keine Kinderträume, sie schufen keine Kinderwelt." Hatscha schüttelte den Kopf. "Und eigentlich hätten sie es auch wissen müssen, seit das Mädchen ihnen damals Gestalt verlieh."
Fragende Blicke wurden ausgetauscht, die blaue Dame öffnete den Mund, schloss ihn dann jedoch wieder.
"Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Mädchen genau wusste, was sie wollte. Als sie die Steine aus dem Bach holte, wusste sie ja nicht, was sie da tat."
Der Groschen fiel. "So also..."
"Dich gibt es gar nicht!", lachte Hatscha. "Du bist lediglich ein Gedanke, eine Idee eines Kindes. Ein Gedanke, der durch den Schmerz eines Kindes entstand. Was war nötig, damit du 'als die imaginäre Freundin' bestehen bleiben konntest, obwohl der Gedanke an dich erloschen war, als das Kind starb?"
Die blaue Dame stemmte sich in die Höhe.
"Wer hat gesagt, dass sie starb?!"
Und mit einem Lachen schwang sie den Arm hoch und deutete auf die oberste Statue des gewaltigen Springbrunnens.
"Sie ist noch immer hier. Und solange es Kinder gibt, die sich ungerecht behandelt fühlen, dort tauchen wir auf und locken sie an. Wir befreien die Kinder!"
"Aberr...", wagte Otto es das Gespräch zu unterbrechen: "...ssind die Sstatuen denn nicht tot?"
"Nein...natürlich nicht.", sagte die blaue Dame. "Je mehr es von ihnen gibt, umso größer wird er. Ihre Herzen schlagen weiter."
"Du hast mir meine Frage noch nicht beantwortet.", sagte Hatscha. "Wieso kannst du noch bestehen?"
Glum lächelte irre. "Sie können auch noch denken?"
"Du hast recht, Zwerg. Sie können denken. Und dies nur aus einem einzigen Grund... Das Mädchen war bald so besessen von dem Gedanken in mir eine Freundin zu haben, dass ich sie mit ein wenig Mühe beeinflussen konnte. Ein Gedanke, so stark, dass er an Person gewinnt kann nur durch tiefste Qual erzeugt werden. Sie hat die Steine nie zurück in den Bach gelegt. Ich war es, die einen Stein aus dem Bach nahm. Es war meine Einflüsterung, die sie dazu trieb ihren Onkel zu erschlagen...ich nenne es die 'Gesteinsansprache'.", fügte sie hämisch hinzu. "Wir haben uns noch nett unterhalten, der Onkel und ich."
Eine der Frauen war bis zu ihr vorgerobbt und zog nun kraftlos am Saum der blauen Dame. "Meine Kinder. Du Monstrum."
Die Dame wurde bleich.
"Siehst du? Diese Eltern würden alles für ihre Kinder machen! Sie stellen die Regeln auf, damit ihre Kinder in der Welt dort draußen überleben können, damit sie sich in dieser Welt zurecht finden. Und weißt du, warum du das nicht verstehst? Weil du der Gedanke eines Kindes bist! Du wirst niemals wissen, was gut für sie ist.", sagte Goldie. Von der Statue des Mädchens löste sich ein Tropfen.
"Mit den Statuen schmilzt der Palast. Aber ihr habt eines noch immer nicht erkannt. Ich bin nicht mehr der bloße Gedanke sondern alle Gedanken. Ich bin das Mädchen. Das da oben ist bloß der tote Körper, umhüllt von Schokolade. Doch ich bin der Geist!"
"UGH!", kreischte der Bibliothekar.
Glum brach zusammen.
"Mein Onkel...war Zauberer. Er war der grausamste. Und ich lernte."
Die Dame sah hoch zu ihrer Statue, die endgültig vor sich hinschmolz.
Mit einer unerwarteten Schnelligkeit ergriff sie die Zuckerstange und pochte damit auf den Boden.
"IEEKH!", kreischte der Bibliothekar, als er ungewöhnlich starke thaumaturgische Strahlungen wahrnahm. Überall ertönten schmatzende und saugende Geräusche. Hatscha, Goldie, Otto, William und der Bibliothekar sahen sich um. Die Statuen, die meisten bereits halb geschmolzen erhoben sich von ihren Sockeln und schlitterten über den Boden.
"Schnell. Wir müssen hier raus!", stöhnte Goldie panisch. Sie sammelten die Befreiten ein, stützen und zogen sie. Die Dame nahm keinerlei Notiz mehr von ihnen. Sie stand mit erhobenen Armen vor dem Springbrunnen. Bunte Funken knisterten konzentrisch um sie herum.
Die Offiziere der Stadtwache kamen dem Ermittlungstrupp entgegen. Überall auf den Dächern sah man Wächter.
"Waf ift da drin vorgefallen, Hauptmann?", fragte Rogi sogleich.
"Kommandeur. Das Portal."
Sie sahen all dorthin.
Durch das offene Portal kamen Gestalten gewankt: mehrere Menschen und ein Affe, mit einem großen Buch unter dem Arm.
"Da sind drei DOGs dabei, Sör."
Dann geschahen zu viele Dinge gleichzeitig. Als erstes flackerten überall im Bachlosen Weg bunte Funken auf. Unmittelbar darauf ertönte ein berstendes Geräusch und ein Schatten legte sich über den Schein des Feuers. Eine gigantische Schokoladenstatue erhob sich inmitten des Gebäudes. Sie sah aus, wie ein Mädchen.
Es schlug auf die Straße, traf einige Wächter und weinte dabei laut.
Hatscha versuchte mit der Menschengruppe voranzukommen, doch die Menschen sackten in sich zusammen, blieben auf der Straße liegen.
Eine akustische Dissonanz ertönte.
Das Mädchen verharrte. Und der Palast erzitterte. Die Mauern begannen sich zusammenzufalten, sie schrumpften dabei und lösten eine weitere Reihe dieser Töne aus. Die Schokoladenstatue schmolz in enormem Tempo uns stieß einen langen gequälten Schrei aus. Die bunten Funken rasten auf den schwindenden Palast zu und ließen überall dort, wo sie auftrafen neue Säulen und Wände entstehen. Sie falteten die Mauern wieder auf, jedoch nur für Sekunden. Währenddessen rückten die umliegenden Häuser wieder zusammen und bildeten den ursprünglichen Straßenverlauf. Und nach zwei langen Minuten, in denen niemand wagte sich zu bewegen, verschwand der Süßigkeitenpalast. Als der bewusstlose Glum die Augen öffnete sah er einen letzten roten Funken. Er gleißte kurz auf und warf ein rosafarbenes Bonbon vor sein Gesicht.
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