Als Neuling muss jeder Wächter einiges lernen. Leider auch, dass es gar nicht so leicht ist einen Fall kühl und distanziert zu betrachten.
Dafür vergebene Note: 10
Es beginnt mit einem TraumRuppert lief auf Rea Dubiata zu. Mit weit ausgebreiteten Armen und lachend kam sie ihm mit schnellen Schritten entgegen. Als sie noch zwei Meter entfernt war, sprang sie in seine Arme und verwandelte sich mitten im Sprung in einen rotglühenden Hund, der Ruppert die Kehle zerfleischte.Schweißgebadet wachte Ruppert auf und griff sich an die Kehle.
"O ihr Götter!" Es war nur ein Traum gewesen.
Was hatte sie gesagt? Um acht sollte er bei ihr sein. Oder war es sieben gewesen? Er war so froh gewesen, dass seine Bewerbung akzeptiert worden war, dass er darüber vollkommen vergessen hatte zuzuhören.
Ruppert sah aus dem Fenster. Es war schon dunkel geworden. Die alte Standuhr, die zur Ausstattung seines Zimmers gehörte, zeigte kurz nach fünf an. Er seufzte. Zeit sich anzuziehen.
Der Traum ging ihm noch nach. Diese Rea, er verbesserte sich schnell, dieser Oberfeldwebel, war aber auch einfach ... seine Chefin. "Sie ist meine Chefin. Sie ist meine Vorgesetzte. Sie ist verdammt hüb... ein Offizier. Ruppert nimm dich zusammen!"
Er ging ans Fenster und öffnete es. Dann atmete er einmal tief durch. Hier am Rand der Stadt, ganz in der Nähe des Verrätertors, war die Luft noch fast ungebraucht. Ganz im Gegensatz zum Stadtinneren, wo die Luft eindeutig schon durch zu viele Lungen gekrochen war und der Ankh seinen Teil zur Aromatisierung beigetragen hatte. Sie hatte sogar noch eine erfrischende Wirkung.
[1]Ein paar Häuser neben Rupperts Wohnung gab es ein kleines Lokal, zu dem auch eine Bäckerei gehörte. Ruppert hatte es sich angewöhnt hier beim Vorbeigehen eine Tasse Kaffee zu trinken und ein Stück Kuchen zu essen. 'Bei Olof' stand über der Tür und Olof stand hinter der Theke und versorgte seine Kunden mit Getränken, Brot und Kuchen.
"Hallo, Olof", grüßte Ruppert.
"Guten Abend, Herr LochMoloch. Ein Kaffee und ein Stück Apfelkuchen wie immer?"
"Ja, gerne. Aber bitte einen großen und starken Kaffee. Ich habe heute Nachtdienst und gehe mit meiner neuen Vorgesetzten auf Streife."
Olof machte sich an seinem Kaffeedaemon zu schaffen, der zischend eine große Tasse füllte. Dann brachte er das Gewünschte zu Ruppert an einen kleinen Tisch in einem Winkel des Raumes. Ruppert hatte die Times aufgeschlagen und las gerade einen Bericht über eine unlizensierte Verbrechenswelle in den besseren Stadtvierteln Ankh-Morporks.
"... Wie unserer Reporterin erzählt wurde, brachen die Räuber die Hintertür auf und entwendeten Schmuck und Wertgegenstände im Wert von mindestens vierhundert Dollar.
Wir haben versucht die Stadtwache nach der Einbruchsserie zu fragen. Der Tatortwächter vor Ort wollte oder konnte uns jedoch keine Auskunft geben. So fragen sich nicht nur viele ehrsame Bürger der Stadt, ob mit dem Kommandeurswechsel nicht auch ein gewisser Schlendrian bei der Wache eingekehrt ist."Ruppert schlug mit der flachen Hand auf die Zeitung. "Ha! Das wäre doch was, wenn man diese Bande erwischen würde."
"Wie bitte?", fragte Olof erschrocken.
"Ach, nichts. Ich hab' nur laut gedacht."
Ein Gespräch über ModePunkt sieben Uhr klopfte Ruppert an die Tür von Oberfeldwebel Dubiata.
"Herein."
Ruppert öffnete, trat ein und salutierte.
"Guten Abend, Mä'am."
Sie sah ihn irritiert an.
"Was gibt's, Gefreiter?"
"Ähemmm, ich sollte mich melden. Für die Streife."
Rea schüttelte ungeduldig den Kopf. "Ich habe acht Uhr gesagt, nicht sieben Uhr. Komm in einer Stunde noch mal vorbei."
Ruppert lief rot an und verdrückte sich schnell wieder. So konnte er das Grinsen seiner Vorgesetzten nicht sehen, die sich heimlich über den übereifrigen Rekruten amüsierte.
Nach einer Stunde, die Ruppert in der Kleiderkammer verbrachte, stand er wieder vor der Tür der Abteilungsleiterin. Er holte tief Luft und klopfte an.
"Komm rein, Ruppert", ertönte ihre Stimme von drinnen.
Rea saß an ihrem Schreibtisch und polierte ein Skalpell.
Ruppert trat ein und sah sie gespannt an. Der Oberfeldwebel musterte ihn und runzelte dann erstaunt die Augenbrauen. Er trug die SEALS Straßenuniform, hatte allerdings jetzt die Hose gegen einen Rock ausgetauscht. Es war allerdings nicht die weibliche Version der Uniform und mit etwas gutem Willen konnte man ihn auch als rot durchgehen lassen. Dazu trug er hohe Stiefel und über einem Wollhemd mit langen Ärmeln den Brustharnisch. Die Dienstmarke war ordnungsgemäß am Harnisch festgemacht.
Sie deutete auf einen Stuhl.
"Setz dich!"
Er folgte der Aufforderung.
"Du trägst einen Rock zur Uniform?", begann sie.
"Nein, Mä'am, das ist kein Rock. Das ist ein Kilt. So etwas tragen wir in meiner Heimat. Ich gebe zu, er ist nicht ganz so dunkelrot wie das Standardmodell - die dunkelgrünen Streifen eben - aber ich hoffe, er ist akzeptabel. Ich war nämlich sehr erfreut, als ich in den Vorschriften las, dass SEALS Wächter auch einen ... Kilt tragen dürfen. Es ist eine kulturelle Besonderheit, Mä'am, und ich fühle mich darin einfach wohler."
In gewisser Weise verstand Rea das. Auch wenn Ruppert ganz offensichtlich keine Unterröcke trug.
"Aber du weißt schon, wie man Männer mit Röcken im Allgemeinen nennt?", fragte sie vorsichtig.
[2]Ruppert dachte kurz nach. "Ja, Mä'am. Man nennt sie Männer aus dem Hochland."
Rea seufzte. "Na schön, Gefreiter. Hast du schon einmal etwas von unseren Routen gehört?"
"Ja, Mä'am. Das sind die Rundgänge, die regelmäßig von uns abgegangen werden, um den ehrlichen Bürgern der Stadt ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln, Präsenz zu zeigen und stets als Freund und Helfer eingreifen zu können. So steht es, glaube ich, in einem Handbuch, das wir in der Ausbildung lesen mussten."
Rea grinste, als sie die Formulierung hörte.
"Ja, das hast du gut zitiert. Und was denkst du darüber?"
"Ich denke, dass regelmäßige Routen die Sicherheit gewährleisten. Vor allem die von den Leuten, die abseits der Routen für Unsicherheit sorgen."
"Hmm, aber was wäre eine Alternative?"
"Ich habe darüber nachgedacht, bei GRUND, aber ich weiß es nicht." Er zuckte die Schultern und sah seine Ausbilderin fragend an.
"Das ist gut. Ich weiß es nämlich auch nicht. Natürlich gehen wir auch mal in die Straßen abseits der offiziellen Route, aber regelmäßig lassen wir uns nur dort sehen. Anders geht es auch gar nicht. Wir sind nicht so viele Wächter, dass wir überall präsent sein können.
Na gut, lass uns einfach mal rausgehen und nachsehen, was passiert."
Ein lautes ZwischenspielDer Mann schlug zu. Das Mädchen prallte zurück und schlug mit dem Kopf gegen die Wand. Sie blutete aus dem Mund und das ganze Gesicht war grün und blau geschwollen.
Dann kam der andere Mann. In der Hand hielt er eine Zigarette. Sie kroch ängstlich in eine Ecke und der Mann mit der Zigarette kam näher. Sie kauerte sich zusammen und der Mann kam immer näher. Sie sah die glühende Spitze und schrie und schrie und hörte gar nicht mehr auf.
Buntes Straßenleben"Ja und hier kommen wir jetzt in die Tollen Schwestern. Früher war das mal ein eigenes Dorf, aber heute ist es ein Stadtteil wie jeder andere auch. Mehr oder weniger. Es gibt ein paar Besonderheiten, aber die wirst du schon noch herausfinden. Ich bin sicher, dass dir die Leute sehr ausführlich erzählen werden, was sie so besonders macht." Der Oberfeldwebel lachte. Sie genoss den Streifengang offenbar. Auch Ruppert machte seine erste Streife Spaß. Er war etwas lockerer geworden und beobachtete seine Vorgesetzte aus den Augenwinkeln. Der blonde Zopf lugte unter dem Helm hervor und lag auf dem Regencape, das sie sich umgehängt hatte. Sie sah sehr schick aus, fand er. Der aufgebauschte Rock ließ sie sehr weiblich wirken. Ruppert seufzte.
"Was ist? Bist du schon müde?", wollte Rea wissen.
"Nein, Mä'am, es war ein eher allgemeines Seufzen."
Es war dunkel geworden und nur vereinzelt erhellten Fackeln die Nacht. Die Geschäfte schlossen nach und nach und aus den Tavernen erklangen Lärm und Musik. Nur noch wenige Karren rumpelten an den beiden Wächtern vorbei. Als sie auf den Hier-Gibt's-Alles-Platz einbogen, herrschte dort gespenstische Ruhe.
"Es ist eine sehr ruhige Nacht. Du hast Glück, Ruppert."
"Es geschehen also keine Verbrechen, Mä'am?"
"Doch, das schon." Dubiata seufzte. "Aber noch gehen sie uns nichts an. Morgen, wenn die Opfer Anzeige erstatten, dann beginnt für die Wache die eigentliche Arbeit."
"Und warum sind wir dann unterwegs?"
"Die Wache ist immer präsent. Es darf nicht sein, dass die Menschen denken, wir würden uns vor dem Verbrechen verstecken. Egal was geschieht. Wir sind immer bereit zu helfen."
Aus einer Kneipe flog ein bulliger Mann hinaus und landete vor den Füßen der beiden Wächter. Ruppert beugte sich vor und wollte ihm aufhelfen. Der Mann sah auf Rupperts Kilt, schüttelte seine Hand ab und torkelte zurück.
Die beiden schlenderten weiter.
Wieder auf dem Pseudopolisplatz angekommen stellten sie sich unter die Laternen des Opernhauses. Die Oper war aus und sie beobachteten wie hell erleuchtete Kutschen vorfuhren und ihre vornehmen Besitzer einstiegen. Es war auch viel Gesindel unterwegs. Bettler und Taschendiebe umschwärmten die Reichen wie Motten und wurden von Bediensteten zurück gescheucht. Näherinnen boten ihre Dienste an, Würstchenverkäufer priesen ihre Ware an.
"Frische Würstchen, nur hier gibt es die frischen Würstchen."
"Ale, frisch gebraut und gestern noch Quellwasser. Ale! Warm und dick wie bei Muttern!"
"Ankh-Brezeln! Morpork-Semmeln! Streuselkuchen! Nur hier der frische Streuuuuuuuselkuuuchen!"
"Es grient so grien und es blieht so schien - frische Bliemcher, koofen se frische Bliemscher!"
Es war ein lautes und buntes Durcheinander.
Ein leises ZwischenspielSie lag leise weinend auf dem blanken Boden. Sie wusste genau, die beiden Männer würden wieder kommen, wieder und immer wieder, bis sie das machte, was sie von ihr verlangten. Sie krümmte sich zusammen und zitterte vor Kälte, Angst und Schmerz.
RoutineRuppert saß im SEALS-Übungsraum und polierte sein Schwert. Bisher hatte er fast täglich seine Runden mit Rea gedreht und kannte die Routen auswendig. Er hatte sich mit einigen Geschäftsleuten unterhalten und sich allmählich bekanntgemacht. Merkwürdigerweise
[3] sprachen ihn viele Leute auf seinen Kilt an und so bekam er Kontakt zu allen möglichen sozialen Gruppen.
Geschehen war ansonsten wenig. Ein paar jugendliche Obstdiebe, ein paar betrunkene Randalierer. Der Oberfeldwebel betonte zwar ständig, dass sie noch selten so lange keine Aufregung gehabt hatte, aber er genoss es. In einer Stunde sollte es wieder losgehen. Bisher hatte er seine Streifengänge überwiegend mit Dubiata gemacht, seine anderen Kollegen aber im Bereitschaftsraum kennengelernt. Es waren nette Männer und Frauen (aller Arten) und er kam mit den meisten gut aus. Soweit er das nach einer Woche beurteilen konnte. Seine Mitrekruten aus der Ausbildung hatte er noch nicht wieder gesehen. Allerdings hatte er auch keine Zeit gehabt in den Eimer zu gehen. Er vermisste insbesondere das gemeinsame Musizieren mit Norti.
Das Schwert glänzte und er steckte es in die Scheide. Dann nahm er sich seinen Harnisch vor und begann ihn zu polieren.
MenschenfreundeSie fieberte und ihre Brandwunden hatten sich entzündet. Die beiden Männer standen vor dem nackten Mädchen und einer trat ihr nachdenklich mit der Stiefelspitze in den Bauch. Sie krümmte sich zusammen, reagierte sonst aber nicht.
"Vielleicht haben wir es etwas übertrieben", meinte der dickere der beiden Männer.
Der andere zuckte mit den Schultern. "Wenn sie krepiert, müssen wir uns eben eine andere suchen. Was soll's?"
"Ja, aber das kostet wieder Zeit. Irgendwann will ich auch mal Geld für meine Arbeit sehen. Dieses elende Miststück ... ich hätte Lust, sie mir einmal richtig vorzunehmen."
Der anderer lachte heiser. "Vergiss es, so ist sie mehr wert. Ich besorg 'ne Salbe und morgen schmieren wir sie ein. Dann lassen wir sie ein paar Tage in Ruhe. Wer weiß, vielleicht macht sie das sogar mürbe."
Die beiden Männer verließen das Zimmer und ließen das regungslose Mädchen auf dem kalten Boden liegen.
Trübnis am SommertagEs war Mittag und die Sonne blackte strahlend vom klaren Himmel. Ruppert und Rea schlenderten durch die Sirupminenstraße und beobachteten amüsiert das wirbelnde Straßenleben. In Höhe der Ankertaugasse krachte dann Rupperts Bild von der heilen Welt des Wächters jäh in sich zusammen.
Die beiden hörten Geschrei und in der Menschenmenge bildete sich eine Gasse. Zwei wütende Männer verfolgten eine junge Frau, die sich kaum noch vorwärts schleppen konnte. Keiner machte Anstalten ihr zu helfen, ja sie wichen ihr sogar aus. Sie war vollkommen nackt und blutete aus mehreren Wunden am Oberkörper.
Sie brach zusammen und als die beiden Männer sie packten, schrie sie laut auf. "Bitte, nein, bitte nicht ...!"
Die beiden Wächter hatten sich schon in Bewegung gesetzt und rannten auf die Gruppe zu.
"Stadtwache! Was ist hier los?", rief Rea schon von weitem.
Die beiden Männer sahen sie und Ruppert an, packten das Mädchen an den Armen und schleiften sie in die Ankertaugasse zurück.
"Stehen bleiben!", schrie Rea, aber die beiden reagierten nicht.
"Los, die schnappen wir uns", knurrte Rea wütend zu Ruppert und die zwei liefen - die Schwerter gezückt - noch schneller. Durch ihre Last behindert, konnten die Männer nicht entkommen und wurden in kurzer Zeit von den beiden Wächtern eingeholt.
Es waren zwei gemein aussehende Kerle. Einer klein und dick mit einem blaurot angelaufenen Gesicht, der andere lang und dünn, das Gesicht voller Narben. Angezogen waren sie wie der mieseste Pöbel der Schatten. Notdürftig geflickte Jacken und Hosen, löchrige Stiefel und verwegen aussehende Schlapphüte.
"Was'sn los, Wächterin", brummelte der Dicke in dem gemütliche Dialekt eines Vorstädters los. "Das hier man mein' Schwester. Dat arme Dingens is sich leicht meschugge unnerm Kopp. Un is wechjelaufen. Müssn se doch wieder heim zu ihrer Mutter bringen."
Ruppert wollte schon aufatmen und sein Schwert wegstecken, aber Rea sah ihn so böse an, dass er es wieder erhob. Sie deutete auf die offenen Wunden.
"Ich glaube dir kein Wort, Kerl. Ihr seid üble Mädchenhändler. Für wie dumm haltet ihr mich eigentlich? Ihr seid verhaftet."
"Abber Frau Wächter, wie kannste so was saachen?", jammert jetzt der Lange los.
Sie machten unschuldige Gesichter, aber ihre Augen blickten kalt und aufmerksam auf die Wächter. Das bemerkte jetzt auch Ruppert.
Plötzlich rannte der Lange los, aber Ruppert hatte aufgepasst und stellte ihm ein Bein. Der Kerl ging zu Boden und Ruppert stürzte sich auf ihn und fesselte ihn mit Handschellen. Rea hatte inzwischen ihr Schwert auf den Bauch des Dicken gerichtet, der sie nun ängstlich anschaute.
"Leg dem da auch Handfesseln an, Ruppert und dann schau nach dem Mädchen."
Ruppert fesselte die Männer aneinander und beide zusammen an einen dicken Eisenring an der Hauswand, an dem sonst Ochsen angebunden wurden. Dann kniete er neben dem Mädchen nieder und sah sie an. Sie atmete nur noch flach. Ruppert bemerkte die vielen Prellungen, Blutergüsse und Brandmale. Er legte seine Hand auf ihre Stirn und erschrak. Sie war kalt und klamm wie bei einer Toten.
"Oberfeldwebel, sie muss sofort zu einem Arzt."
"Kannst du sie tragen, Ruppert?", fragte Rea und zog ihren Umhang aus. Ruppert wickelte die Verletze ein und hob sie auf.
"Kein Problem, Mä'am. Wohin?"
"Ich glaube, am besten ist es, wenn wir zu Frau Palm gehen. Die hat ihr ... Haus ... nicht weit von hier. Sie wird uns bestimmt helfen."
"Frau Palm, die Näherin?"
"Sogar das Gildenoberhaupt. Sie ist nicht übel und ich kann mir vorstellen, dass sie auch Interesse an den Beiden hier hat." Sie blitzte die beiden Gefesselten an, die bei der Erwähnung der Näherinnengilde erschrocken aufstöhnten.
Rea sah die beiden nachdenklich an, dann lächelte sie böse.
Die ganze Zeit hatte eine Menschenmenge um sie herumgestanden und gegafft. Rea wandte sich nun an sie. "Hat einer von euch einen Strick, den er mir ausleihen kann?"
Niemand antwortete. Sie seufzte und sagte: "Für fünf Cent?"
Sofort kam Bewegung in die Masse und ein Mann trat vor. In der Hand hielt er ein dickes Seil und grinste einfältig. Sie nahm es ihm ab und fesselte den beiden Gefangenen zwei Beine aneinander, so dass sie keinen Fluchtversuch unternehmen konnten. Dann gab sie dem Mann das versprochene Geld. "Den Strick kannst du dir bei der Näherinnengilde abholen".
Und so zogen sie los. Zuerst die beiden Männer, dann Rea, die sie mit dem Schwert in Schach hielt und hinterher Ruppert mit dem Mädchen auf den Armen.
EisgedankenEin alter Mann betrat das Wachhaus am Pseudopolisplatz. Er sah müde aus und ging mit langsamen Schritten am Wachetresen vorbei direkt zum Büro von Oberfeldwebel Dubiata.
"Herein!", rief ihre Stimme von drinnen nachdem er angeklopft hatte.
Der Mann betrat das Büro und sah Rea an ihrem Schreibtisch sitzen. Davor saß ein junger Gefreiter in einem roten Rock.
"Doktor Rasen!" Rea erkannte den Mann sofort. "Was führt dich zu mir. Bitte nimm Platz."
Ruppert stand höflich auf und musterte neugierig den recht berühmten Chefarzt des Lady-Sibyl-Gratishospitals.
Rasen setzte sich und seufzte erleichtert auf. "Das war mal wieder ein anstrengender Tag."
Ruppert bot ihm an: "Soll ich dir einen Kaffee besorgen? Oder Tee? Oder einen guten llamedonischen Hochlandwhisky?"
"Einen echten Hochländer?"
"Ja, Herr. Fast aus meiner Heimat."
"Dann hätte ich gerne einen."
Ruppert nickte und ging schnell in sein dunkles, fensterloses Büro, das er mit Johan Schaaf und Damien G. Bleicht teilte, wo sein Rucksack an der Wand lehnte. Er holte eine Flasche heraus, lief in die Kantine und besorgte (sicherheitshalber) drei Gläser.
Als er wieder in Reas Büro war, fand er die beiden in ein fachliches Gespräch über die Anwendung verschiedener Heilkräuter vertieft.
"... mit einem Aufguss tränken und dann auf die wunde Stelle legen. Das wirkt Wunder."
Rea sah auf und nickte Ruppert zu. Der stellte die drei Gläser auf den Tisch und sah seine Vorgesetzte fragend an.
"Aber nur einen wönzigen Schlock", sagte sie.
Ruppert goss ein und Mosig Rasen schnupperte vorsichtig an dem Glas.
"Das ist ja tatsächlich ...", er probierte einen Schluck, "... ja wirklich, ein richtiger Whisky aus dem Hochland. Den bekommt man hier in der Stadt nie! Woher hast du den?"
Ruppert druckste ein wenig herum. "Nun ja, das ist so, in meiner Freizeit, im Hinterhof meiner Wohnung, na ja, da habe ich mir eine kleine Brennerei eingerichtet. So für den Eigenbedarf."
"Tatsächlich? Ein Selbstgebrannter?" Mosig nickt anerkennend.
Auch Rea nippte an ihrem Glas. Allerdings konnte Ruppert nicht erkennen ob es ihr schmeckte oder nicht.
"So, warum ich aber nun gekommen bin. Das Mädchen ist tot. Leider kam jede Hilfe zu spät. Es tut mir sehr Leid."
Rea nickte nachdenklich und Ruppert sah den Arzt entsetzt an. "Aber, warum, sie hat doch noch gelebt, als ..."
Er erinnerte sich an Rosi Palms Gesicht als sie den geschundenen Leib des Mädchens gesehen hatte. Sie hatte offenbar sofort erfasst was geschehen war und sie in das Haus gelassen. Dann hatte sie einen Diener los geschickt um einen Arzt zu holen. Zwei junge Frauen hatten begonnen sich um das Mädchen zu kümmern.
"Die zwei Männer, die ihr mitgebracht habt, sind das diejenigen ...?", sie deutete mit dem Kinn auf das Bett.
Der Oberfeldwebel nickte. "Ja, das ist anzunehmen."
"Dann erhebe ich nach dem Gilderecht Lord Vetinaris Anspruch auf die beiden."
Rea nickte wieder. "Das ist dein gutes Recht, Frau Palm. Aber ich betone noch einmal, dass wir uns nicht ganz sicher sind. Daher muss ich die beiden zuerst auf die Wache bringen um ihre Schuld nachzuweisen."
Frau Palm schnaubte grimmig, unternahm aber nichts als die Wächter die beiden Männer wieder mitnahmen. "Ja, junger Mann, aber sie war sehr schwach. Sie hatte innere Verletzungen und die Entzündungen und das Fieber, nein, das war alles zu viel für das arme Ding."
Er legte Rea einen Umschlag auf den Tisch. "Ich habe hier den Bericht. Vielleicht reicht das, sonst müssen eure Experten auch noch eine Obduktion durchführen."
Dubiata wog den Umschlag in der Hand. "Wir müssen das Verhör abwarten. SUSI hat mit Hilfe eines Werwolfs die Spur des Mädchens verfolgt und den Keller gefunden, in dem sie gefangen gehalten wurde. Der Werwolf hat auch bestätigt, dass die beiden Männer sich häufig dort aufgehalten haben. Ich warte nur noch auf den Laborbericht und dann nehmen wir uns die beiden Kerle vor, nicht wahr Ruppert?"
"Ja, Mä'am, das werden wir." Er sagte es sehr grimmig.
"Ruppert, ich habe dir von Anfang an gesagt, dass es nicht leicht werden würde. Das was die beiden - wahrscheinlich - getan haben ist abscheulich. Aber es obliegt nicht uns sie zu verurteilen. Unsere Aufgabe ist es ihre Schuld oder Unschuld zu beweisen. Das Urteil wird dann die Näherinnengilde aussprechen und ausführen. Wir müssen dem Verbrechen kühl gegenüber stehen, objektiv. Auch wenn das oft nicht leicht ist." Sie seufzte.
Doktor Rasen stand auf und verabschiedete sich. "Es war nett dich ... und deinen Whisky kennen zu lernen", sagte er zu Ruppert und reichte ihm die Hand.
Unsichere StandpunkteDer Laborbericht war da. Eigentlich war alles klar. Die beiden Kerle waren bei dem Mädchen gewesen und zwar nicht nur einmal.
Rea und Ruppert gingen in den Keller. In Verhörraum Nummer 2 saß bereits der Dicke. Vor der Tür stand ein Troll und hielt Wache.
Die beiden Wächter traten ein und setzten sich an den Tisch.
"Dein Name ist Wendelin Bruchlich und du gehörst einer Mädchenhändlerbande. Wenn das Mädchen stirbt, dann hast du ein Problem." Rea kam ohne Einleitung zur Sache. "Dann werden wir dich der Näherinnengilde übergeben müssen. Du kannst dir vorstellen, was die mit dir machen."
"Aber ..."
"Erzähl uns die ganze Geschichte und du kommst hier wieder raus. Das sind die Alternativen. Reden oder Schweigen."
Ruppert hatte verblüfft zugehört.
"Wenn ich rede ..."
"Das wäre das Beste was du machen kannst. Natürlich werden wir deinem Kollegen dieses Angebot auch unterbreiten."
Sie wartete exakt drei Sekunden und stand dann auf. "Na gut, wie du willst, dann gehe ich jetzt zu ihm."
"Nein! Warte! Ich sage ja alles. Aber ..."
"Du willst Bedingungen stellen? Schlecht, sehr schlecht." Sie machte Anstalten den Raum zu verlassen aber Bruchlich hielt sie zurück.
"Ja, wir haben sie entführt. Ich gebe es zu. Aber es war Knotigs Idee. Er hat gesagt, wir können so leicht zu Geld kommen. Bei den Lords würde er jemanden kennen, der gut bezahlen würde, wenn er eine willige ...", er schluckte und starrte auf den Tisch. "Aber Agnis war nicht willig und so haben wir sie ..." Er brach wieder ab.
"Ihr habt sie verprügelt, sie mit brennenden Zigaretten gequält und sie halb tot in einem kalten Keller liegen lassen", ergänzte Ruppert mit kalter Stimme.
Bruchlich nickte.
"Na gut, du gestehst also die dir vorgeworfenen Verbrechen? Gemeinschaftliche Entführung, Misshandlung, Mädchenhandel zum Zwecke nicht gildlicher Zwangsprostitution?"
Ruppert bemerkte, dass beim letzten Vorwurf eine gewisse Spannung in Reas Stimme lag.
Der Mann ihnen gegenüber war nun schweissüberströmt und bestätigte mit zitternder Stimme alles. Offenbar wurde ihm langsam bewusst, dass er sich in eine sehr unerfreuliche Situation manövriert hatte. Unerfreulich für ihn, versteht sich.
Das zweite Verhör verlief ähnlich. Sterker Knotig war zwar etwas hartnäckiger, aber mit den Aussagen Bruchlichs konfrontiert (und vom Protokolldaemonen wiedergegeben) brach er auch zusammen und gestand alles.
Raum für wilde PhantasienEins verstehe ich nicht Oberfeldwebel, sagte Ruppert zu seiner Ausbilderin. Du hast ihnen mehr oder weniger Strafminderung zugesagt, wenn sie ein Geständnis ablegen. Ich meine, ist das nicht ein Geständnis, das dann ungültig ist?"
Rea grinste. "Nein, erstens habe ich ihnen nie etwas zugesagt. Und zweitens immer unter dem Vorbehalt "wenn das Mädchen stirbt, dann ...". Es steht ja nirgendwo, dass ich ihnen erzählen muss, dass sie schon gestorben ist. Sie standen vor der Wahl, die jeder in der Verhörzelle hat: Reden oder schweigen. Sie haben eben geredet."
Ruppert grinste. "Du hast sie überrumpelt."
"Was dagegen?"
"Nein, ganz bestimmt nicht."
Rea lachte kurz und hart. "Dann können wir sie jetzt an die Näherinnen ausliefern. Sie haben ein Geständnis abgelegt und unterschrieben. Mehr geht uns nicht an."
"Und was werden die mit ihnen machen?"
Rea sah ihn ernst an. "Das, mein Lieber, will ich gar nicht wissen."
[1] Eine neue Geschäftsidee der Drogistengilde, Luft aus dem Stadtinneren in Flaschen zu pressen und als "L'air de Ankh-Morpork" in die Frischluftgebiete der Scheibenwelt zu exportieren, war letztlich daran gescheitert, dass die Bewohner dieser Gebiete die Nase lieber gleich in frischen Kuhdung steckten. Das war gesünder und auch billiger.
[2] Es gibt Dialoge, die lassen sich in gewissen Situationen offenbar nicht vermeiden.
[3] Zumindest hielt er das für merkwürdig
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