Mörderisches Treiben

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von Oberleutnant Pismire (SUSI)
Online seit 01. 02. 2008
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 Außerdem kommen vor: SillybosOphelia ZiegenbergerRomulus von GrauhaarKolumbiniLady Rattenklein

Neue Leiter - neue Methoden. Als RUM bei einem Fall in den Kreisen des Adels nicht wehr weiter kommt, soll ausgerechnet ein Meeting mit SUSI für neue Perspektiven sorgen. Ob das was bringt?

Dafür vergebene Note: 12

"Und damit wären wir beim Grundproblem der Ermittlungen angekommen." Romulus von Grauhaar räusperte sich. Man konnte ihm anmerken, dass es für ihn nicht leicht war, dieses Zugeständnis an die Gruppe von Wächtern zu machen, die vor ihm saß. "Nach drei Monaten intensiver Ermittlungen sind wir lediglich in der Lage, eine - allerdings sehr große - Anzahl von Personen einwandfrei zu benennen, die mit Sicherheit nichts mit der Ermordung des Unken von Unkenstein zu tun hatte. Und wir kennen darüber hinaus auch die Gruppe von Leuten, in der sich mit Sicherheit der Mörder oder die Mörderin befindet. Aber eines muss ich klar und deutlich sagen: Im Laufe dieser Ermittlungen ist es uns nicht gelungen, auch nur einer dieser Personen nachzuweisen, dass sie den Mord begangen hat. Im Gegenteil: Zu jetzigen Zeitpunkt der Ermittlungen muss ich fast sagen, dass jede einzelne Person nicht schuldig sein kann. Und das wiederum kann nicht sein, denn ..."
In diesem Augenblick durch eine sich öffnende Tür unterbrochen zu werden, war vielleicht nicht das Schlimmste. Zumindest gab es Feldwebel von Grauhaar die Gelegenheit, den Störenfried eindringlich und grimmig zu mustern. Angesichts der ihm entgegenkommenden Feindseligkeit machte Pismire aus der Not eine Tugend und betrat möglichst unbefangen den Raum.
"Entschuldige bitte meine Verspätung. Ich war von neun Uhr im Sinne von neun Uhr c.t. und nicht von neun Uhr s.t. ausgegangen. Ich meine, die berühmte magische Viertelstunde [1]. Aber egal. Ich hoffe, ich habe nicht allzu viel verpasst."

Der Oberleutnant huschte auf einen freien Platz - ausgerechnet über Eck mit dem Mann, den er gerade unterbrochen hatte. Aus dem leerstehenden Raum hinter den Arrestzellen im Keller des Wachegebäudes hatte jemand einen Besprechungsraum mit einem Viereck aus zusammengeschobenen Tischen, Papier für Notizen und Stifte zum Schreiben, einer improvisierten Kaffee- und Tee-Ecke und Tafeln an den Wänden, die ihren Inhalt noch unter Laken verbargen, welche offenbar aus dem GRUND-Schlafsaal in der Kröselstraße rekrutiert waren, geschaffen. Ebenfalls aus der Kröselstraße stammte die orthografische Fragwürdigkeit in Papier (Achtunk, Mihting, bitte nicht Störigen), die ihr Dasein an der Außenseite der Tür fristete.

Pismire schaute sich in dem Raum um. Gegenüber der Tür hatten die Mitarbeiter von RUM Stellung bezogen. Links saß Feldwebel Romulus von Grauhaar, neben ihm eine junge Frau, die Pismire nicht kannte, von der er aber wusste, dass es sich um Ophelia Ziegenberger handelte, an ihrer Seite saß Korporal Kolumbini. Dann kam Jack Narrator, ehemaliger SUSI-Pathologen und zur Zeit auszubildender Püschologe bei RUM. Bei dem Fall hatte er zusammen mit dem Schamanen die Obduktion durchgeführt. Auf der nächsten Ecke hatte die Leiterin von SUSI Platz genommen. Dann kamen Sillybos und Charlie Holm als Tatortwächter, neben ihnen Lady Rattenklein und Dorion Picus. Die beiden Gnome schwatzten leise miteinander und vermittelten so den Eindruck, sich prächtig zu amüsieren. Angesichtes dieses Verhaltens erinnerte sich der Oberfeldwebel noch an die gestrige Besprechung, bei der die neue Abteilungsleiterin von SUSI diesen Termin angekündigt hatte.

Der Abteilungsleiter von RUM beendete seine einleitenden Worte, indem er noch anfügte: "Jetzt, wo endlich alle da sind, können wir auch zum Kern der Angelegenheit kommen, doch vorab möchte ich kurz noch eines erwähnen: Es war die Idee von Korporal Ziegenberger", er deutete auf die junge Frau, die ob dieses plötzlich im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses Stehens ein wenig verlegen wirkte, "es mit dieser abteilungsübergreifenden Zusammenarbeit zu Versuchen. Sie hat auch das Material noch einmal gesichtet, sortiert und auf die Punkte hin geordnet, die insbesondere in die Zuständigkeiten und Kompetenzen von SUSI fallen könnten. Und dankenswerterweisen auch den organisatorischen Rahmen für diese Besprechung organisiert."
Ein Klopfen der Versammelten auf die Tischplatten drückte die Belohnung für die Arbeit aus. "Außerdem war sie auch noch direkt an den Ermittlungen beteiligt, doch davon wird sie selbst später berichten. Diese Besprechung dient in erster Linie dem Versuch herauszufinden, ob es einen Punkt bei den von SUSI untersuchten Spuren gibt, der es uns als ermittelnder Abteilung ermöglicht, noch einmal bei der Suche nach einem potenziellen Täter einzuhaken. Denn das ist das Hauptärgernis in diesem Fall: Im Laufe der Ermittlungen sind uns - wie eingangs bereits erwähnt - die Tatverdächtigen abhanden gekommen. Aber zuerst wird Korporal Kolumbini noch einmal die wesentlichen Fakten des Falls referieren."
"Das ist also der Punkt", dachte Pismire sich. "Ihr kommt nicht weiter und hofft, dass wir euch irgendwie da raushelfen können." Er grinste vor sich hin, als er sich an all die Fälle erinnerte, in denen es gerade die Leiterinnen und Leiter der Abteilung RUM gewesen waren, die ihm - wenn auch nicht völlig zu Unrecht - Einmischung und Wilderei in fremden Gebieten vorgeworfen hatten.

An diesem Punkt übernahm Kolumbini ein wenig gravitätisch das Wort.
"Mitwächter und Mitwächterinnen, ich bin gebeten worden, die Ergebnisse der offiziellen Ermittlung und die Grundzüge des Falls zu skizzieren. Wie wir alle wissen, handelt es sich um den Maskenballmord."
"Wir nenne ihn den 'Hast-Du-die-Nummer-des-Eselskarren-notiert-Fall'", kasperte Lady Rattenklein mit ihrem Mitlaboranten und flüsterte dabei so laut, dass alle es hören konnten. Und als der strafende Blick von Kolumbini sie traf, ergänzte sie: "Ihr habt uns tonnenweise Material in die Labore geschickt. Wir mussten das alles genau protokollieren. Also ging das nach der Methode: Beweisstück 1 vom Karren 4 - also B 1/4 in der Liste. Und so weiter."
"Genau das ist gemeint", brach Laiza eine möglicherweise weitschweifige Aufzählung ab, "es geht hier um eine andere Perspektive auf dasselbe Ereignis."
Höflich wartete Kolumbini ab, bis die Mitglieder von SUSI ihren inneren Konflikt beendet hatten, und fuhr dann fort: "Wie gesagt: der Maskenballmord. Dazu muss ich ein wenig über den Rahmen des Verbrechens ausholen. Am 18. Asche, einem Montag, der dieses Jahr den inoffiziellen Beginn der Ballsaison in Ankh-Morpork markierte, fand der traditionelle "Ball im Opernhaus von Ankh" statt. Man sollte ihn nicht mit dem "Opernball von Ankh-Morpork" verwechseln, der ein eher öffentliches Ereignis ist. Der hier gemeinte Ball ist das mit Abstand exklusivste Ereignis der Saison. Er geht auf eine mittlerweile über zweihundertjährige Tradition aus der Zeit zurück, als die Stadt noch eine Monarchie war. Eingeladen wurden und werden lediglich die Häupter von hundertachtundzwanzig bedeutsamen Familien der Stadt und der Ebene - nebst Ehefrau. Um zugelassen zu werden, musste das Familienoberhaupt nachweisen, dass seine Familie von altem Adel - also entsprechend verzeichnet - ist, er muss von acht bereits im Klub des Opernballs akkreditierten Mitgliedern einen einwandfreien Leumund bescheinigt bekommen und eine königliche Einladung zum Ball besitzt. Damit ist spätestens seit dem Ende der Monarchie keine neue Familie in den Kreis der einzuladenden Familien aufgenommen worden. Die Vetinariis beispielsweise sind nicht vertreten - wobei wir uns natürlich sicher sein können, dass kein wichtiges Wort auf diesem Ball gesprochen wird, über das der Patrizier nicht alles erfährt."
"Du sagtest: inoffiziellen Beginn der Ballsaison," fragte Pismire, dem der gesellschaftliche Kalender der Zwillingsstadt so gut bekannt war, wie die Oberfläche des Mondes.
"Ja, die offizielle Ballsaison beginnt mit dem Opernball, der im Opernhaus stattfindet. Das war in diesem Jahr am 24. Asche. Um zu betonen, dass der "Exklusive Klub der Freunde der Oper von Ankh" weit über den gesellschaftlichen Regeln steht, findet der uns interessierende Ball am Montag vor dem Opernball statt. Und zwar immer an einem Montag, weil nur der Pöbel so viel arbeiten muss, dass er unter der Woche nicht feiern kann. Subtile Formen von sozialer Abgrenzung. Wobei ich das subtil bitte ironisch verstanden haben möchte!", erläuterte der Korporal mit einem feinen Lächeln.

Er brach ab und blickte noch einmal in seine Notizen. "Fakt ist: Wenn alle Eingeladenen erscheinen, befinden sich auf dieser Tanzveranstaltung zweihundertsechsundfünfzig Personen als geladene Gäste, sowie jeweils dieselbe Anzahl an persönlichen Bediensteten und dreihundert gemieteten Bediensteten."
"Wie bitte?", äußerte Lady Rattenklein ihr Unverständnis.
"Jedes geladene Familienoberhaupt darf maximal einen Gast - seine Ehefrau - mitbringen. Dazu seinen Kammerdiener und ihre Zofe - die persönlichen Bediensteten. Die sind natürlich nicht auf dem Ball, halten sich aber auch in den Räumen auf. Und dann noch die dreihundert Lohndiener - Kellner, Köche, Spülerinnen, Sommeliers und so weiter."
Lady Rattenklein nickte. "Das erklärt so langsam die Menge der zu untersuchenden Gegenstände."
"Genau. Um es vorab zu sagen: Wir haben sämtliche Lohndiener überprüft, aber außer zwei Personen, ein ehemaliger Gärtner und eine Frau, die mal vor zwanzig Jahren als Küchenhilfe für ihn gearbeitet hat, konnten wir diese Gruppe möglicher Verdächtiger ausschließen. Auch bei den persönlichen Bediensteten blieben nur drei Personen, die eine Beziehung zum Opfer, die ein mögliches Motiv liefern könnte, hatten. Auch das haben wir eingehend überprüft."
"Gründliche Arbeit", ließ sich Charlie Holm vernehmen.
Kolumbini dankte ihm mit einer knappen Handbewegung.
"Was auch noch ein wichtiges Faktum ist: Dieser Ball ist kein einfacher Ball, es ist eine Redoute." Und als er dem fragenden Blick von Pismire begegnete, erläuterte er: "Ein Maskenball, der jedes Jahr unter einem bestimmten Motto stattfindet. Dieses Jahr ging es um "Das Königreich der Liebe". Also hatten alle Verkleidungen einen entsprechenden Zuschnitt: Liebesgötter und -göttinnen, berühmte Liebespaare, und - als gewagte Varianten - auch berüchtigte Näherinnen. Zur Raumdekoration gehörten kleine Dämonen, die als Putten kostümiert Veilchen, Rosen und parfümiertes Konfetti in Herzchenform auf die Anwesenden streuten - Hauptzutat Anisöl."
"Das verdammte Zeug hat es uns unmöglich gemacht, mit Werwölfen zu arbeiten", grollte Romulus von Grauhaar vernehmlich. "Dieses stinkende Öl übertüncht alles, und selbst wenn eine Aussage eines Werwolfes vor Gericht von jedem Anwalt auseinandergenommen wird, so können wir normalerweise auf diesen Erkenntnissen recht solide ermitteln. Aber hier: Fehlanzeige."
"Ja, das Zeug hat gestunken wie eine ganze Parfümerie", erinnerte sich Dorion Picus. "Uns hat es noch tagelang im Labor den Atem verschlagen."
"Einer der Gründe, warum wir den Tatort so gründlich abgesucht haben, war natürlich der, dass wir den Verdacht hatten, dass in dem Durcheinander die Assassinenquittung irgendwie verloren gegangen sein könnte. Denn ehrlich gesagt - bei diesem Opfer und dem Kreis der möglichen Verdächtigen hatte niemand von uns damit gerechnet, dass keine Assassinenbeteiligung vorliegen könnte, dass es sich wirklich um einen ordinären Mord handelt."
"Weist das nicht darauf hin, dass einer der Bediensteten dahinter steckt?", fragte Feldwebel Harmonie.
"Jein," ließ sich ihr Abteilungsleiterkollege vernehmen. "Es kann genauso gut auf einen Täter hinweisen, der will, dass es so aussieht, als sei es einer der Bediensteten gewesen. Wer weiß schon, was in einem kranken Hirn vor sich geht. Aber kommen wir erst einmal zum Opfer. Der Tote ist - mit vollständigen Namen - Franziskanio Arelius Unk zu Unkenstein, wobei dieses "Unk zu Unkenstein" so was wie Graf oder Baron ist - ein Adelstitel halt."
"Und ich wette, ich weiß, was sein Wappentier ist", zischelte Pismire Lady Rattenklein zu.
"Fängt es mit "U" an und hört mit "nke" auf?" kicherte sie.
"Ich unterbreche euch ja nur ungern", fauchte Laiza ihre Mitarbeiter an, "aber das Wappentier ist keine Unke, es ist ein Krustenbrecherfrosch. Der Wahlspruch lautet: "Bombinae: Rana et Bufonida confluentes" - verständlich gesagt: "Unken: der Übergang vom Frosch zur Kröte ist fließend". Und ich wäre euch sehr verbunden, wenn ihr dem Vortrag des Kollegen etwas mehr Aufmerksamkeit schenken könntet."
Die beiden Gemaßregelten schwiegen beschämt und mühten sich im Folgenden, etwas mehr Aufmerksamkeit zu zeigen.

"Der Unkenstein - wie er genannt wird - entstammt einer ausgesprochen reichen Familie. Sie sind so reich, dass bei ihm lediglich das Geld arbeiten muss, wie man so sagt. Er war zum Zeitpunkt seines Todes 68 Jahre alt. Er trat früh in den diplomatischen Dienst ein und verbrachte lange Jahre im Ausland - allerdings war, wie man hört, seine Hauptqualifikation die Fähigkeit, auch nach über dreißig Humpen Wein dem Gastgeber nicht in die achatenen Vasen zu reihern - mit anderen Worten: Er war trinkfest. Er war über viele Jahre in der ankh-morporkianischen Vertretung in Bums. Dort lernte er auch seine Frau kennen - Anastasie Esperanzia von Kummerfeld. Sie entstammte einer ebenso alten wie armen Adelsfamilie aus Überwald. Sie ist eine ausgesprochene Schönheit, 23 Jahre alt und die überraschende Renovierung der väterlichen Burg nach der Hochzeit vor fünf Jahren lässt auf einen erheblichen Geldtransfer durch den Unken an ihre Familie schließen."
"Verarmte Comtesse heiratet reichen Lebemann - Überwaldische Schönheit bezaubert Ankh-Morpork erste Kreise", ließ sich Charlie Holm vernehmen. Auf die erstaunten Blicke reagierte er verlegen. "Das stand damals groß und breit in den Zeitungen. Es muss das gesellschaftliche Ereignis vor fünf Jahren gewesen sein. Die junge Frau ist seitdem regelmäßiger Gegenstand der Berichterstattung aus der Gesellschaft. Sie gilt als ebenso schön wie tugendhaft."
"Ja, das ist auch das, was wir zuerst herausgefunden haben", knurrte der Werwolf. "Aber dazu kommen wir später." Er schaute Pismire an und referierte weiter: "Seitens der Gerichtsmedizin wissen wir, dass er ungefähr eine Stunde nach Mitternacht gestorben sein muss. Frühestens eine halbe Stunde nach Mitternacht, spätestens um halb zwei. In seinem Rücken steckte ein verzierter Dolch, um seinen Hals war eine Drahtschlinge geknüpft. Neben seinem Platz stand eine Schachtel mit vergifteten Pralinen. Das aber war nicht die Todesursache."
Pismire nickte und nahm den Faden auf: "Der Dolch in seinem Rücken war nach seinem Tode dort hinein gestochen worden - der Zustand der Wunde, aus der kein Blut geflossen war, belegt das eindeutig. Auch die Strangulierung im Halsbereich erfolgte nach seinem Tode. Jack und ich waren uns sehr schnell einig, dass Unkenstein nicht erstickt ist. Angesichts der vergifteten Pralinen - von denen vier fehlten, haben wir seinen Mageninhalt gründlich untersucht. Wir haben zwar jede Menge Nahrung in halb verdautem Zustand getränkt mit reichlich Rotwein gefunden, aber in seinem Körper war das Gift nicht. Allerdings war er zum Zeitpunkt seines Todes mit einem leichten Schlafmittel betäubt. Das fanden wir in seinem Weinglas. Letztendlich starb er durch einen Stich ins Ohr. Der - oder die - Mörder - oder Mörderin - hat ihm eine spitze, scharf geschliffene Hutnadel durch das Trommelfell direkt ins Gehirn gestoßen. Exitus." Er beendete seinen Kurzbericht mit einer bedauernden Geste der Hände.
"Aber das ergibt doch keinen Sinn", warf Sillybos ein. "Wer sticht denn auf einen Toten ein oder versucht ihn zu erwürgen? Und will ihn dann noch vergiften?"
"Zumindest wollte es jemand sehr gründlich haben!" Lady Rattenklein schaute belustigt in die Runde. "Sozusagen auf Nummer sicher gehen."
"Oder es gab verschiedene Täter, die alle nichts voneinander wussten."
"Und die wollten ihn alle zur selben Zeit ermorden? Das sind doch viel zu viele Zufälle auf einmal."
"Und überhaupt: wieso zweimal erstechen. Und wer hat überhaupt so viele Waffen bei einem Ball bei sich!?"
Die Stimmen der Diskutanten gingen im Wirrwarr unter.

Mit einem Deutlichen: "Aber nicht alle durcheinander", verschaffte sich Romulus von Grauhaar die nötige Stille. "Das ist eine der Fragen, die wir an SUSI stellen wollen: Ihr könnt immerhin feststellen, dass er schon tot war, als er erdrosselt und von hinten erstochen werden sollte. Könnt ihr eigentlich feststellen, in welcher Reihenfolge das geschah?"
Pismire und Jack wechselten einen kurzen Blick. Dann schwiegen sie einen kurzen Augenblick und sagten gleichzeitig: "Ja" - "Nein"
"Ja, was denn nun!?", fragte Laiza.
"Wir haben das ausführlich diskutiert", erläuterte Pismire, "und sind - wie eigentlich immer - zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen." Die Tatsache, dass die beiden Pathologen häufig geteilter Meinung waren, war kein wirkliches Geheimnis - nicht mal außerhalb ihrer Abteilung. "Meiner Meinung nach waren die Spuren am Hals schwächer, weniger ausgeprägt, hatten weniger Schaden hinterlassen. Sie vermittelten den Eindruck, dass der Todeszeitpunkt schon ein wenig länger zurücklag, als bei der Wunde durch den Dolch im Rücken. Jack hingegen" - er deutete auf seinen Kollegen - "argumentierte, dass der Erdrosselungsversuch auch von einer körperlich schwächeren Frau stammen könnte, deren physische Möglichkeiten einen größeren Krafteinsatz nicht zuließen. Es könnte aber auch sein, dass es sich deswegen um einen eher halbherzigen Versuch gehandelt haben kann, weil der Täter - die Täterin - wusste, dass Unkenstein schon tot war und nur eine falsche Fährte legen wollte."
Der Leiter von RUM knurrte. "Das hilft uns leider nicht weiter. Es ist an der Zeit, uns mit den einzelnen Verdächtigen zu beschäftigen. Wie gesagt: Ein Maskenball mit einem erlesenen Kreis an Eingeladenen. Im Saal stehen in kleinen Separees Tische für vier bis zwölf Personen. Unkenstein hatte einen Tisch für sechs Personen. An diesem saßen er, seine Frau, sein Jugendfreund Graf Edmund von Gestöber, der seine Dauerverlobte Amalena von Bomst, dabei hatte. Das dritte Paar am Tisch war der Baron von Ziegenfall nebst Gemahlin, der wie Unkenstein lange Jahre in Uberwald gelebt hat - die beiden kannten sich aus dem diplomatischen Chor. Und Ziegenfalls Frau ist eine Cousine dritten Grades von Anastasie Unkenstein."
"Und wie standen die Personen darüber hinaus zueinander?", fragte Sillybos.
"Unkenstein hatte den ständigen Verdacht, seine Frau könne ein Verhältnis mit Graf Edmund anfangen wollen - immerhin gilt der Graf als gut aussehender Sportsmann und genießt als Großwildjäger ein recht romantisches Flair. Außerdem ist er zehn Jahre Jünger als Unkenstein und damit 'nur' fünfunddreißig Jahre älter als Frau Unkenstein. Edmunds Dauerverlobte, Amalena von Bomst, ist so alt wie ihr Freund und wartet tapfer seit vierzig Jahren auf den entsprechenden Antrag zur Heirat. Sie hasst Anastasie aus ganzem Herzen - sie ist schön, jung, reich und wird von ihrem Mann und seinem besten Freund angebetet. Und sie hält sie für abgrundtief verdorben, hat aber keinerlei Beleg für ihre Annahme. Baron Fredgenannt und Baronin Frohsinnia von Ziegenfall kennen Unkenstein und Gestöber seit Jahrzehnten, wie man sich halt so kennt, wenn man sich gelegentlich im gesellschaftlich akzeptierten Rahmen das Hirn wegsäuft - also gar nicht. Die sitzen aus Tradition immer an demselben Tisch, weil auch schon ihre Väter immer am selben Tisch gesessen haben. Und die Ziegenfalls sind leider allerdings beide von solch unglaublicher Dummheit und Unaufmerksamkeit, dass man das Opfer am Tisch vor ihren Augen mit reifen Feigen hätte totwerfen können, ohne dass sie sich was dabei gedacht hätten. Sie sind nach dem Essen auf die Tanzfläche gegangen und haben sich ihre Getränke von seinem Kammerdiener im Stehen bringen lassen. Die haben gar nichts mitbekommen", schnaubte von Grauhaar wütend. "Und wir haben ein Dutzend Zeugen, dass die beiden wirklich die ganze Zeit getanzt haben. Sie hatten sich als wandelnde Plüschherzen kostümiert - in Rosa. Beide sind ziemlich fett und dementsprechend haben sie eine Spur platter Füße und niedergewalzter anderer Paare hinterlassen."
"Und wie haben keinerlei Plüschspuren am Körper des Toten feststellen können", ergänzte Lady Rattenklein. "Wenn einer von den beiden die Hand im Spiel gehabt hätte, dann hätte man auf Unkensteins Kostüm oder Körper etwas finden müssen."

"Bei ihren Bediensteten hingegen sieht die Sache hingegen anders aus. Die Zofe, Eulalia Besenkammer, war früher im Hause der Unkenstein stätig und hat einen außerehelichen Sohn mit Unkenstein. Und ihr Mann weiß das."
"Und der ist nicht zufällig der Kammerdiener?"; fragte Pismire.
Grauhaar nickte. "Und es gibt ein starkes Motiv: Im Testament ist der Mutter ein nicht unerhebliches Legat für den Fall des Todes von Franziskanio Unkenstein vermacht - vorausgesetzt, dass der gemeinsame Sohn die Volljährigkeit noch nicht erreicht hat. Und das wäre erst im Gruni in diesem Jahr der Fall. Wenn die Familie Besenkammer also erben will, dann geht das nur noch bis zur Mitte des Jahres."
"Ein gewichtiges Motiv", stimmte der Oberleutnant zu. "Und wie sieht es mit den anderen Personen aus?"
"Die Zofe von Amalena von Bomst war an dem Abend krank - sie war mit einer Magen- und Darmgrippe zu Hause, und ihre Vertretung teilten sich die Zofe von Frau von Unkenstein, einer Thermalia Flammbert, und die der Gräfin Ziegenfall. Der Kammerdiener von Gestöber ist mit der Kranken verlobt und hat ansonsten keine ausgeprägte Bindung zu Unkensteins."
"Und was ist mit dem Kammerdiener von Unkenstein?", fragte Sillybos, der sich noch daran erinnerte, dass es unter den Bediensteten drei Fälle gegeben hatte, in denen eine mögliche Beziehung zum Opfer bestanden hatte.
"Ja, hier wird der Fall komplexer." Romulus von Grauhaar schaute aufmunternd in die Runde. "Joost Herbrand ist der uneheliche Zwillingsbruder von Franziskanio Arelius Unk zu Unkenstein."
"Du meinst Halbbruder!", korrigierte Pismire den Sprecher.
"Nein, ich sage was ich meine: Zwillingsbruder. Herbrand und Franziskano waren Zwillingsbrüder."
"Eine romantische Heirat auf dem Wochenbett?", fragte Lady Rattenklein neugierig.
"Nein", erläuterte der Leiter von RUM grimmig. "Eine fulminante Scheidung wegen Untreue mit der Hebamme während der Geburt." Er lehnte sich zurück und erläuterte: "Der alte Unk von Unkenstein war als notorischer Schürzenjäger stadtbekannt. Seine Frau war allerdings - was seinen schlechten Leumund anging - vollkommen ahnungslos. Komplizierend kam hinzu, dass keiner vermutet hatte, es könne sich bei ihrer Schwangerschaft um Zwillinge handeln. Ich habe mich umgehört: Selbst erfahrene Hebammen können das nicht immer vorhersagen. Auf jeden Fall wurde der erste Sohn - Franziskanio geboren und die erschöpfte Mutter war schon der Ansicht, dass alles überstanden war. Die Hebamme, bei der es sich um eine ausgesprochen hübsche, junge Person gehandelt haben soll, war schon die ganzen Tage vor der Niederkunft von dem werdenden Vater bezirzt umd umbalzt worden und hatte schließlich - aus welchen Motiven auch immer - seinen Bemühungen nachgegeben. Die Unkensteinsche liegt also erschöpft im Bett. Der frisch gewordene Vater amüsiert sich mit der Hebamme, als die junge Mutter wach wird und merkt, dass etwas nicht in Ordnung ist, Sie klingelt, aber niemand reagiert, da das Personal auf die frohe Kunde hin, dass es einen Stammhalter gibt, vom Unkensteiner mit so viel Bier abgefüllt wurde, wie rein ging. Das verschaffte ihm außerdem - so dachte er - entsprechende Sicherheiten, was sein kleines Tete-a-Tete anging. Die Unkensteinerin aber weiß sich nicht zu helfen, tapert benommen und unsicher durch die Räume, um im Schlafzimmer ihres Gatten auf eine Szene zu treffen, die auch in einer weniger emotionalen Situation zu argen Verstimmungen geführt hätte. Mit anderen Worten: Sie greift zum Schwert ihres Mannes und beendet kurzerhand das Techtelmechtel. Dann wird sie ohnmächtig und liegt da erst einmal - neben der Leiche der Hebamme und ihres Gatten. Als sie wieder zu sich kommt, merkt sie, dass erneut Wehen eingesetzt haben. Und sie bekommt das zweite Kind - Joost Herbrand. Denn Herbrand ist ein Vorname. Einen Nachnamen hat der Junge nie bekommen, da hier das komplizierte Hausrecht der Unkensteiner in Spiel kam. Danach nämlich wird als ehelicher Unkensteiner nur der gewertet, dessen Vater und Mutter zum Zeitpunkt noch am Leben und verheiratet waren. Nach den Argumenten mehrerer Juristen bedeutete der Angriff der Mutter so etwas wie eine rechtskräftige Scheidung - zumindest ein deutliches Scheidungsbegehren. Das war jedenfalls auch die Begründung ihres Schwiegervaters, ihr das Sorgerecht für den ältesten Sohn entziehen zu lassen. Es muss damals ein ziemlicher Skandal gewesen sein."
"Du meinst, dass es da so etwas wie ein eigenes Rechtssystem in dieser Familie gab?" Sillybos Interesse war geweckt. "Neben den Gesetzen und Verordnungen der Stadt?"
"Nicht wirklich neben", mischte sich nun erstmalig Korporal Ziegenberger ein. "Wie die meisten adeligen Familien gibt es auch bei den Unkensteins eigene Regeln, was Erbschaft, Nachfolge, Legitimität und Eheverträge angeht. Und diese Hausgesetze sind - so lautet jedenfalls die Auskunft der Rechtsgelehrten, mit denen ich gesprochen habe - gültig bis zum Widerruf durch eine übergeordnete Instanz. Also der König oder der Patrizier könnte so etwas tun - was hier aber nicht passierte. Und für den Fall der Ermordung des Ehemannes durch die Ehefrau sieht das Hausrecht der Unkensteiner ganz eindeutig vor, dass ab diesem Zeitpunkt die Ehe als geschieden zu betrachten ist und sämtliche nach diesem Zeitpunkt geborenen Kinder als unehelich zu betrachten sind. Außerdem setzt die Anerkennung eines Sohnes als nachfolgeberechtigt voraus, dass der Vater ein entsprechendes Kodizil aufsetzt. Und genau das konnte er in diesem Fall nicht. So bitter es für Joost Herbrand auch war: In dem Augenblick, wo seine Mutter erfolgreich zum Beidhänder griff, war er ein uneheliches Kind. Und nach den Hausgesetzen derer von Estmerii - so der Mädchenname seiner Mutter - war eine Frau, die ihren Ehemann ermordet ebenfalls zu verstoßen. Auch wenn ihre Eltern sie später ein wenig unterstützen, ließen sie sie dennoch nicht wieder in die Stadt, sondern gestatteten ihr lediglich den Aufenthalt auf einem abgelegenen kleinen Gutshof irgendwo da draußen in der Sto-Ebene, den sie nicht verlassen durfte. Seitens der Stadt wurde sie in einem spektakulären Prozess verurteilt, als Strafe wurde aber 'nur' die Verbannung ausgesprochen, da in den Umständen reichlich Milderungsgründe erkannt wurden.
Ihr Schwiegervater zog ihren ältesten Sohn als Erben auf. Der zweite Sohn wurde zwar auch mit im Haus aufgezogen, aber sobald er laufen konnte, war er ein Diener seines Bruders. Erst Page, später Kammerdiener."
"Und er hat das mitgemacht?", fragte Dorion Pikus erstaunt. "Er hat sich seinem eigenen Bruder als Personal zur Verfügung gestellt? Ihm gedient? Warum?"
"Nun, zum einen wusste er nicht, was er sonst machen sollte. Er ist im Haus der Unkensteins aufgewachsen und hat diese Tätigkeiten immer gemacht. Er hat dieses Leben kaum in Frage gestellt. Als er jung war, hat er natürlich mit seinem Schicksal gehadert, aber mittlerweile hat er sich recht stoisch in sein Schicksal ergeben", bemerkte Ophelia Ziegenberger.
"Sagt er der Wache", kommentierte der Gnom trocken.
"Sagt er der Zofe Brindisia Brenner", entgegnete Romulus von Grauhaar scharf. "Als wir mit unseren Ermittlungen nicht weiterkamen, da hätte ich zu jedem - einigermaßen vertretbaren - Mittel gegriffen. Wenn ich gewusst hätte, wer zu locken sei - ich hätte jede Art von Lockvogel benutzt. Korporal Ziegenberger war einen Monat erst als Zofe bei den Ziegenfalls und dann im Hause Unkenstein tätig. Nachdem sie ihre Laufbahn aus kurzfristige Vertretung für die erkrankte Grannia Etwas begonnen hatte."
"Wie habt ihr sie - oh, ich verstehe. Du hast die Magen-Darm-Grippe genutzt." Pismire zog innerlich den Hut vor so viel Weitblick.
"Genau, Oberleutnant. Ich wusste, dass wir in diesem Milieu von Anfang an ein Problem haben werden. Wir reden hier über die echte Apperklass." Der Werwolf schaffte es, seine Missbilligung akustisch so zu akzentuieren, dass Pismire meinte, selbst die falsche Schreibung zu hören. "Unterhalb eines gewissen Dienstgrades lässt dich der Butler nicht einmal am Wissen über die exakte Lage des Dienstboteneinganges teilnehmen. Und ja, ich weiß, natürlich kann sich ein Wächter auf seine Aufgaben, den Patrizier und die Pflicht berufen, aber im Arbeitsalltag ist es ausgesprochen demotivierend, andauernd wie der letzte Dreck behandelt zu werden. Wir haben also von Anfang an das Ermittlerteam, das bei den Leuten auftauchte, bewusst klein gehalten und mit mir und Kolumbini entsprechend besetzt. Kolumbinis Herkunft garantiert, dass er widerspenstige Dienstboten zur Not ausreichend von oben herab traktieren kann. Und ich leite die Abteilung. Und mit Korporal Ziegenberger stand uns eine exzellente verdeckte Ermittlerin zur Verfügung. Und zugleich eine günstige Gelegenheit, sie in Stellung zu bringen. Ich habe eine entsprechende Vereinbarung mit der Zofe getroffen und konnte sie 'überreden', eine Woche zu einer Cousine auf dem Land zu fahren. Zur Erholung. Und wie der Zufall es so wollte, hatte sie auch eine vertrauenswürdige weitere Cousine, die kurzfristig für sie einspringen konnte. Auch hier war die Mitarbeit von Kolumbini ausgesprochen hilfreich."
"Als Zofe", prustete die Gnomin los und kassierte vom Erwähnten einen mörderischen Blick.
"Als Lehrer", schnappte der Ermittler zurück. "Für die Rolle einer Zofe kommen zwei Arten von Frauen in Erziehung. Eine Frau aus gutem Hause mit guter Erziehung - also eine echte Dame", funkelte er in Richtung der Laborantin, "oder eine, die schon einmal als Zofe gearbeitet habe. Und echte Damen gibt es in der Wache nicht sehr viele. Zofen allerdings noch viel weniger."
Ophelia griff vermittelnd ein, um die Wogen zu glätten. "Man muss schon ziemlich genau wissen, was zu den Aufgaben einer Zofe gehört. Und das nicht nur in der Theorie. Dabei war die Tatsache, dass Korporal Kolumbini vor seinem Eintritt in die Wache eine Lehre als Schneider begonnen hat, mehr als hilfreich. Wenn es darum geht, eine feine Handarbeit zu erstellen, dann hilft die gute Erziehung schon. Aber wenn es darum geht, dass es der Dame des Hauses am Nachmittag einfällt, dass sie am Abend zu einem Ball doch lieber mit einer roten statt einer grünen Spitze am Rocksaum geht, dann kann das nur professioneller Pfusch - sozusagen, also schnelles Arbeiten auf höchstmöglichem Niveau, richten, und keine sorgsame Handarbeit, wie es sich für eine Dame gehört. Auch wird von einer Zofe ein gewisser Stil beim Auftreten erwartet. Vor allem in der Stadt."
"Andererseits ist die Familie von Korporal Ziegenberger in den Kreisen, um die es in unserer Ermittlung ging nicht vertreten. Es bestand also erst einmal keine Gefahr, dass sie dort bekannt sei", ergänzte Kolumbini die Ausführungen.
"Wir haben dann Frau Besenkammer im Verhör so zugesetzt, dass sie sich für einen Monat zur Ruhe setzten musste. Und passenderweise war ja im Bekanntenkreis bei Frau von Bomst ein gut eingeführtes Mädchen zur Hand, das rein zufällig eine Stelle brauchte. So konnten wir die Ziegenfalls recht schnell von der Liste der Verdächtigen streichen. Und hatten gleichzeitig die Möglichkeit, beide zu überwachen. Denn Herr Besenkammer war ja noch im Dienst. Und Frau Besenkammer konnte ich anderweitig beschatten lassen. Als sich dann die Notwendigkeit ergab, uns im Haus Unkenstein umzusehen, konnten wir die Zofe von Anastasie Unkenstein schnell 'überreden'" - man konnte die Gänsefüßchen förmlich hören - "sich für einige Zeit unpässlich zu fühlen." Romulus von Grauhaar zuckte bedauernd mit den Schultern. "Wir sind allerdings keinen entscheidenden Schritt weiter gekommen."
Pismire schwirrte ein wenig der Kopf ob der Namen, die den RUM-Wächtern im Laufe von drei Monaten so geläufig geworden waren. Korporal Ziegenberger bemerkte seinen Blick und bemerkte schmunzelnd: "Ich glaube, es ist Zeit, die Tafeln zu nutzen." Sie erhob sich und zog das Laken von einer der verhängten Tafeln. Dort waren die Personen einzeln aufgeführt, Pfeile markierten ihre Beziehungen untereinander und mögliche Motive waren fein säuberlich nummeriert aufgelistet. Daneben war in Rot jeweils das notiert, was gegen die Person als Täter sprach.
"Ich habe versucht, das ganze Personengeflecht möglichst systematisch aufzulisten", erläuterte Korporal Ziegenberger. "Die einzelnen Haushalte stehen untereinander. Und wer für wen gearbeitet hat, ist auch notiert." Damit schritt sie zu einer weiteren Tafel.
"Hier haben wir die Sitzanordnung auf dem Ball. Wir haben eine Skizze des Teils des Raumes gefertigt. Es ist jetzt ein Punkt, wo wir wieder zu dem Geschehen auf dem Maskenball zurückkehren sollten."

Die Wächter von SUSI nahmen die Tafel ins Visier, auf der sich der Plan des Saals befand. Fräulein Ziegenberger erläuterte die Skizze: "Weiter unten muss man sich dann die Tanzfläche vorstellen. Der Tisch selbst stand quer zum Raum, an der rechten Schmalseite saß der Unkensteiner, ihm gegenüber seine Frau - als Gastgeber die natürliche Position. Damit war auch die weitere Sitzordnung klar: links neben Unkenstein die Gräfin Ziegenfall, neben dieser Graf Gestöber. Rechts vom Unkensteiner die Bomst und neben der der Graf. Damit blickten die Ziegenfall und Gestöber zur Tanzfläche und Graf Ziegenfall und die Bomst auf die Wand. In dieser befindet sich übrigens eine Tür, durch die die Bediensteten das Separee betreten können. Als die Ziegenfalls zur Tanzfläche gingen, blieben Bomst und Gestöber am Tisch, da der Unkensteiner bekanntlich nicht tanzt. Gestöber hätte somit seine Aufmerksamkeit als Tänzer gleichmäßig zwischen den Damen aufteilen müssen, was er aber nicht tat, sondern stattdessen seine eigene Verlobte mit dem Unkensteiner am Tisch ließ und sieben von zehn Tänzen mit dessen Frau bestritt. Das sagen sämtliche Befragten einhellig aus - Frau Unkenstein ist eine der am meisten beachteten Frauen auf diesem Ball gewesen - was am Kostüm gelegen haben dürfte."
"Als was war sie denn kostümiert?", fragte Pismire neugierig.
"Sie stellte Petulia, die Göttin der käuflichen Zuneigung dar. Und das Kostüm war entsprechend", grinste von Grauhaar. "Die Göttin wird traditionell in einem kurzen Rock aus purem Gold mit einem Blütenkranz auf dem Kopf und goldenen Sandalen dargestellt. Noch eine goldene Handtasche über den Arm - und fertig."
"Du willst doch nicht behaupten, dass eine Dame der Gesellschaft oben ohne auf einem Ball erscheint!?" Lady Rattenklein war entrüstet.
"Nun, es war nicht ihr Oberkörper, den man gesehen hat. Es war eine perfekte Nachbildung ihres Oberkörpers von der Firma Kleinsorge. Sorgfältig geformter Volllatex mit eigens gearbeiteten Brustwarzen aus rosa Quarzit."
"Dann war der rosa Stein, den wir in den Kleidern des Toten gefunden haben, eine Art Brustwarzenimitat?", entfuhr es Pismire.
"Hab ich dir doch gleich gesagt", entgegnete Jack trocken. "Aber du wolltest ja ..." - "... keine voreiligen Schlüsse ziehen. Ja, das habe ich in der Tat gesagt", beendete der Schamane den Satz seines Kollegen.
"Wie ihr seht, befand sich das Separee genau in einer Ecke und konnte dadurch von zwei Seiten beobachtet werden. Wir haben sämtliche Gäste und ihre Bediensteten an den Nebentischen befragt, aber die Unkensteinsche Gesellschaft blieb weitgehend unter sich. Die tanzenden Grafen waren nur zweimal noch am Tisch - Nahrungsaufnahme. Häufig saßen Fräulein von Bomst und Unkenstein schweigend am Tisch - er trank und sie knabberte Weintrauben. Sie trinkt nämlich nicht. Zu sagen hatten sie sich - nach Aussagen von Zeugen - wenig. Als sie um elf Uhr entrüstet, weil ihr Verlobter sich nicht am Tisch blicken ließ, den Ball verließ, lebte der Unkensteiner noch. Wir haben eine Zeugenaussage, dass er eine halbe Stunde später seinen Kammerdiener auszankte, weil er zu langsam nachschenkte."
"Also scheidet sie aus", fasste Charlie Holm das Offensichtliche zusammen.
"Ja. Allerdings stammt die Hutnadel, mit der der Unkensteiner erstochen wurde von ihrem Kostüm. Sie war als Schäferin mit einem großen, früchtebesetzten Hut unterwegs. Und die Hutnadeln, deren Enden in Form von kleinen Weintrauben gefertigt waren, hatte man extra für den Abend bei einem Juwelier in Auftrag gegeben."
"Von ihr selbst?", fragte Sillybos neugierig.
"Der Kostümentwurf stammt von ihrer Zofe. Aber die Hutnadeln waren ein Geschenk von Graf Edmund. Ursprünglich sollten irgendwelche Hutnadeln dienen. Aber er besorgte sich den Kostümentwurf und ließ drei Hutnadeln anfertigen, die wir auch alle sichergestellt haben. Der Juwelier schwört Stein und Bein auch nur drei angefertigt zu haben."
"Hatte Graf Endmund eine Vorlage für den Handwerker?", fragte Sillybos.
"Gute Frage. Nein, er hatte eine Zeichnung, die - nach seinen Aussagen - selbst von ihm gefertigt wurde. Kraft seiner Fantasie", entgegnete Kolumbini. "Auch sein Kammerdiener kann sich nicht erinnern, jemals eine derartige Hutnadel im Haus gesehen zu haben. Allen Nadeln aber ist gemeinsam, dass sie schon von Hause aus ausgesprochen spitz und scharf waren. Der Kunde hatte das - laut Aussage des Juweliers - extra so bestellt, weil seine Freundin immer Probleme mit ihren Hüten habe; sie würde stumpfe Hutnadeln zu leicht verbiegen. Eine Aussage, die übrigens sowohl von der Bomst als auch von Gestöber bestätigt wurde. Das Interessante aber ist, dass die Bomst vor Wut ihren Hut auf dem Tisch liegen ließ, als sie abrauschte. Mitsamt den Nadeln."
"Die Tatwaffe war scharf wie ein Rasiermesser", erinnerte sich Jack.

"Was habt ihr eigentlich über den Dolch im Rücken, den Draht um den Hals und die vergifteten Pralinen herausbekommen?", fragte Pismire nach.
"Der Dolch stammt vom Kostüm des Unkensteiners selbst. Er stellte einen Haremswächter mit einem riesigen Dolch an der Seite dar. Der Draht stammt von der Dekoration - die Separees waren als Lauben mit Weinlaub ausgekleidet. Das wiederum mit Draht gehalten wurde. Die Stellen, von wo der Draht stammt, befand sich unmittelbar hinter ihm. Und vergessen wir nicht - er war betäubt. Hätte er viel mitbekommen?" Er blickte zu den beiden Pathologen.
"Definitiv nicht", antwortete Pismire dem Korporal. "Er war mit Sicherheit im Halbschlaf. Dazu kam noch sein nicht unerheblicher Alkoholkonsum. Spätestens ab Mitternacht hat er nichts mehr mitbekommen. Und eine halbe Stunde später - maximal eineinhalb Stunden später - war er tot. Auf jeden Fall wurde er zuerst durchs Ohr gestochen. Eine Erfolg versprechende Methode in diesem Fall. Sein Turban hätte jedwede Blutung aufgefangen. Und alle haben vermutlich gedacht, dass er da mit dem Kopf auf dem Tisch liegt, weil er betrunken ist."
"So ist es", griff von Grauhaar das Thema auf. "Was die Pralinen angeht - die hat sein Kammerdiener und Zwillingsbruder auf den Tisch gestellt. Sie seien anonym in der Garderobe für den Tisch abgegeben worden. Die Pralinen stammen aus einem Feinkostladen in der Ankertaugasse. Ein junge Frau hat sie gekauft; der Beschreibung nach hätte weder Frau Unkenstein noch Frau Besenkammer, noch Frau von Bomst sein können - allerdings ist zu früh durchgesickert, dass Gift im Spiel war. Also kann sich niemand mehr an eine Schachtel erinnern. Die Dinger wurden dilettantisch durchgeschnitten und mit einer giftigen Substanz getränkt."
"Atropin", warf Pismire ein. "Vermutlich aus der Engelstrompete gewonnen."
"Allerdings hätte man die ganze Schachtel essen müssen, um genug Gift abzubekommen", ergänzte Jack. "Wir vermuten deswegen, dass durchaus irgendwelche Gäste sich einzelne Pralinen gemopst und gegessen haben können - ohne dass es zu größeren Beschwerden als den bei einer derartigen Fresserei und Sauferei üblichen."
"Wir?", fragte Kolumbini augenzwinkernd
"Wir", entgegnete Pismire mit fester Stimme. "Aber abgesehen davon: Hat die Befragung der Umsitzenden noch etwas erbracht?"
"Nein. Im entscheidenden Zeitraum sind die Angaben über den Aufenthalt der einzelnen Verdächtigen vage. Die Bediensteten waren mal im Saal und mal dahinter, die anderen mal auf der Tanzfläche und mal am Tisch. Der Unkensteiner schlummerte friedlich vor sich hin. Und den Zeitpunkt des Todes könnt ihr nicht weiter eingrenzen?"
"Nein", kam es einmütig aus zwei Kehlen. Mit einer höflichen Geste ließ Jack dem älteren den Vortritt. "Frühestens eine halbe Stunde nach Mitternacht, spätestens eine Stunde später. Aller wahrscheinlich kein nach um ein Uhr. Genauer geht es nicht."
Der Abteilungsleiter von RUM grummelte vernehmlich, als der alte Schamane bedauernd die Schultern zuckte.
"Nun, Amalena von Bomst fällt somit als Täterin aus und ihre Zofe ebenfalls - außer eine der beiden hatte ihre Finger bei den Pralinen im Spiel", griff Sillybos den Faden auf. "Bleiben als mögliche Täter: Frau Unkenstein und Joost Herbrand. Wie sieht es mit der Zofe der Gnä'Frau aus?"
Kolumbini schüttelte den Kopf. "Sie war aktuelle Anwärterin auf den Titel "Mätresse des Monats". Als solche hätte sie mit Sicherheit mehr Gewinn aus der Sache geschlagen. Tot nützte er ihr gar nichts."
"Also Frau Unkenstein, Joost Herbrand, Graf Edmund, das Ehepaar Besenkammer. Das sind fünf Verdächtige. Wie hätten aber die Besenkammers an die Tatwaffe gelangen sollen?", fragte der Philosoph.
"Die Hutnadeln lagen doch auf dem Tisch", meinte Charlie Holm. "Amalena von Bomst ist wutschnaubend aber ohne Hut und Nadeln abgerauscht. Und somit war die Tatwaffe für alle frei da."
"Du meinst, die Tat war gar nicht von langer Hand geplant? Der Täter - oder die Täterin - sah die Hutnadeln und schritt zur Tat?" Sillybos wirkte wenig überzeugt.
"Könnte es eine vierte Hutnadel geben?", fragte Pismire, "die noch irgendwo steckt?"
"Wir haben keinerlei Anzeichen dafür gefunden", erwiderte Ophelia lakonisch, "in keinem der Häuser, in denen ich war - und bei keinem Handwerker."
"Aber in einem Haus warst du nicht", bemerkte Pismire. "Wie sieht es mit dem Motiv des Grafen Edmund aus?"
"Wenn man dem Klatsch glauben kann, dann hat er ein Motiv." Charlie Holms Zeitungslektüre zahlte sich wieder einmal aus. "Dass er die Frau seines besten Freundes glühend verehrt, pfeifen die Spatzen von den Dächern. Und im Gegensatz zu ihm ist die Witwe des Unk zu Unkenstein eine reiche Frau. Eine höchst attraktive Partie. Und - nach allem, was man hört - soll sie ihm zugetan sein. Allerdings in allen Ehren."
"Die Ehren kannst du vergessen", meinte Romulus von Grauhaar bissig. "Das ist keine Verehrung, was da abläuft, das ist ein saftiges Verhältnis. Allerdings - soweit wir wissen - erst seit dem Mord. Aber", er grinste und imitierte den Zeitungsjargon, "wie wir aus gut unterrichteten Kreisen wissen, steht einer Bekanntgabe der Verlobung nur noch der Ablauf der Trauerzeit entgegen."
"Da habt ihr doch euer Motiv", meinte Lady Rattenklein.
"Oh, und wir haben sogar noch viel mehr. Wir haben sogar ein Geständnis."
"Ihr habt ein Geständnis und wir sitzen und hier den Hintern platt?" Die Gnomin explodierte. "Was soll das denn heißen?!"
"Reg' dich wieder ab, Lance-Korporal. Vor vierzehn Tagen erschien Grad Edmund von Gestöber unaufgefordert in meinem Büro und legte ein komplettes Geständnis ab. Er habe seinen alten Freund und den gleichzeitigen Besitzer der einzigen Frau, deretwillen sich das Leben lohnt an diesem 18. Asche mit einem Schuss aus der kleinen, vergoldeten Armbrust seines Kostüms als Amor vom Leben zum Tode befördert." Die Stimme des RUM-Abteilungsleiters triefte vor Sarkasmus.
"Aber das ist völliger Blödsinn. Der Unkenstein hatte alles - nur kein Einschussloch", meinte Pismire. "Er wurde erstochen."
"Stimmt genau. Aber wir haben keinerlei Informationen über die Todesursache bekannt gegeben - nicht nachdem durch halb Ankh-Morpork die Nachricht lief, dass am Tisch vergiftetes Konfekt gestanden hätte."
"Aber wenn er gar nicht wusste, wir sein Freund ums Leben kam, wieso hat er dann dieses Geständnis abgelegt?", wunderte sich Sillybos.
Ratlos schauten die Mitglieder von SUSI in die Runde.

"Er wollte doch nicht jemanden schützen?", fragte Dorion Picus langsam.
"Gut beobachtet. Ja, in der Tat. Als wir ihm im Gespräch ordentlich auf den Zahn fühlten, stellte sich heraus, dass er zwischendurch an dem Abend einmal seine Armbrust vermisst hatte. Und das just zu der Zeit, als seine Verehrte sich die Nase pudern war - wie es so schön heißt. Doch im Nachhinein erschien ihm die Dauer ihrer Abwesenheit recht lang. Und als sie zurückkam, da brachte sie lachend die Armbrust mit, die er irgendwo habe liegen lassen. Als es dann aber hinterher hieß, dass Unkenstein ermordet worden war, erschien ihm die Angelegenheit immer merkwürdiger und er begann nachzudenken. Als Ergebnis seines Nachdenkens beschloss er, mithilfe seines Geständnisses seine Geliebte vor der Verhaftung zu bewahren, da er sich - als guter Kenner der Verhältnisse - mittlerweile sicher war, dass Anastasie - unter anderem wegen der andauernden Untreue ihres Mannes und ihrer Zuneigung zu ihm - ein ausgesprochen gutes Motiv gehabt habe."
"Und daraufhin habt ihr euch natürlich die Witwe vorgeknöpft", fragte Laiza gespannt.
"Oh nein, im Berufsleben des Wächters herrscht entweder Dürre oder es gießt", lachte Kolumbini. "Es war wie im Schlaraffenland: Kaum hatte der Graf die Wache verlassen, stürzte die Witwe in unsere Hallen und gestand unter Tränen, dass sie ihren Gatten mit dem Dolch aus dem Gewande ums Leben gebracht hätte. Weil er untreu sei und weil sie sich unsterblich in den Grafen verliebt habe und weil sie das alles nicht mehr ertragen habe. Und nun habe sie den Verdacht, der Graf wolle aus reinem Edelmut sein - nicht mehr allzu junges - Leben opfern um ihretwillen, was sie aber nicht dulden könne, weswegen sie nun alles zugeben werde und reumütig die Strafe auf sich nehmen werde."
"Habt ihr das häufiger, dass sich derartige Schundromane vor euren Schreibtischen abspielen? Weil, wenn das so ist, könnte ich mir auch einen Abteilungswechsel vorstellen. Unsereiner muss da schon zu den Wollassen greifen", grinste Lady Rattenklein breit. Und sie musterte Jack amüsiert, der ihr für diesen Satz die Zungenspitze zeigte.
"Nein, Lance-Korporal", grinste der Feldwebel breit, "ein derartiges Schauspiel war auch für uns einmalig. Aber was uns viel mehr interessiert: Könnte an der Geschichte was dran sein - aus der Sicht der Pathologen?"
Pismire lehnte sich zurück und dachte nach. "Du meinst, dass der Dolch im Rücken, der nach dem Tode in den Unkensteiner gesteckt wurde, von seiner Witwe dort appliziert wurde. Auch diese Tatwaffe war ausgesprochen scharf. Und ja, eine kräftige Frau, die energisch zusticht, wäre in der Lage, den Dolch durch die Rippen zu bekommen, denn dort befand er sich. Der Dolch ist sichelförmig gebogen und die Klinge ist annähernd sechs Zentimeter breit. Und wer immer es gemacht hat, hat die Klinge quer zu den Rippen in den Körper gebohrt - eine Rippe war völlig durchstoßen und an den Rippen darüber und darunter waren deutliche Einschnitte zu sehen. Und der Dolch wurde mit einem Mal in den Körper gestoßen worden." Er deutete eine energische Bewegung mit der rechten Hand an.
"Aber nach den Ikonos, die ich von ihr kenne, handelt es sich um eine ausgesprochen zarte Person", entgegnete Dorion.
"Oh, das täuscht", meinte Korporal Ziegenberger. "Die Dame ist erstaunlich kräftig. Sie reitet und betreibt den Fechtkampf als Sport. Und als sie einem der Kammermädchen eine Ohrfeige gegeben hat, hat die das beinahe einen Zahn gekostet."
"Aber Fakt bleibt, dass sie dennoch ihren Mann nicht ermordet hat. Denn der war ja bereits tot. Das war dann bestenfalls Unfug mit der Leiche", bemerkte der Schamane.
"Danke, das war uns auch klar. Nur hatten sich damit zwei unserer Verdächtigen von der Liste verabschiedet."

"Aber was ist mit den anderen?", fragte Sillybos. "Was ist mit diesen Besenkammers. Die Tatwerkzeuge lagen ja immerhin offen auf dem Tisch. Und wie sieht es mit deren Finanzen aus?"
"Denkbar schlecht. Emerenz Besenkammer spielt - und das schlecht. Besonders unfähig ist er bei "Leg-Herrn-Ziebel-rein". Seine Schulden in diversen Spielhöllen belaufen sich auf über die Hälfte dessen, was seine Frau vom Unkensteiner zu erwarten hat. Und er weiß das", fasste Kolumbini die Erkenntnisse zusammen. "Vom Täterprofil her aber hätte er weder den Mumm, noch die Kenntnisse, für einen derart raffinierten Mord. Jack hat sich eingehend mit ihm befasst und ist derselben Ansicht. Und darüber hinaus hatte er nichts am Tish zu tun. Seine Herrschaften tanzten und er wartete ihnen auf der Tanzfläche auf. Er war nicht am Tisch. Und seine Frau war zwischen Mitternacht und halb zwei in der Gesindeküche beim Tratschen mit ihren Freundinnen. Und die schwören Stein und Bein, dass die nicht mal Nasepudern war. Und das Wichtigste: Wir haben den Lebenswandel der beiden auf den Kopf gestellt und haben keinerlei Hinweis darauf, dass sie irgendwie an das Betäubungsmittel hätten gelangen können, das dem Opfer vorher verabreicht worden war. Motiv ja - Mittel nein."
"Der klatschianische Schlaffliedersaft", merkte Pismire an. "Er ist in Ankh-Morpork sehr schwer zu bekommen. Wisst ihr, woher der stammt?"
"Ja, Graf Gestöber hat vor drei, vier Jahren Joost Herbrand eine Flasche geschenkt. Er hatte sie von einer seiner Großwildjagden mitgebracht, und Joost interessierte sich damals für seltene Pflanzen. Gestöber mag ihn ganz gerne und hat wohl auch ein wenig Mitleid mit ihm und schenkt ihm deswegen hin und wieder Sachen."
"Na Bingo", meinte Lady Rattenklein. "Mittel und Motiv sowie eine prächtige Gelegenheit. Ich hoffe doch, ihr habt ihn ordentlich in die Mangel genommen."
"Danke, das haben wir", seufzte Ophelia. "Er hatte eine Auseinandersetzung mit dem Opfer, er hatte die Gelegenheit, ihm die Nadel in das Ohr zu stechen. Und wenn wir tief in ihm lodernden, sich allerdings nicht äußernden pathologischen Hass als Motiv akzeptieren, dann hatte er ein Motiv. Und nicht nur das - symbolisch hat auch er einen Mord begangen."
"Wie das - symbolisch?", hakte die Gnomin nach.
"Er hat seinen Zwillingsbruder erdrosselt. Naja, es ein wenig halbherzig versucht", spekulierte Pismire.
"Woher weißt du das!?", rief Grauhaar erstaunt.
"Intuition", entgegnete der Schamane kühl. "Es passt zu ihm. Allerdings wusste er, dass er tot ist - nicht wahr?"
"Richtig. Er hatte den Toten entdeckt. Und aus irgendeiner bescheuerten Laune heraus, einer Art lebenslänglichen Wut auf seinen Bruder zur Dekoration gegriffen und ihn - ich nenne das jetzt mal so - erwürgt."
"Und gleichzeitig kam er sich lächerlich dabei vor, weswegen uns die Spuren als ausgesprochen schwach ausgeprägt erschienen - es war gar kein richtiger Versuch", beendete Pismire den Gedankengang.
"So ist es. Wir haben sein Geständnis" - Romulus wies auf einen Stapel Papier - "und ich persönlich glaube ihm die Geschichte. Und damit stehen wir wieder am Anfang der Ermittlungen. Oder so gut wie", knurrte er grimmig.
"Deswegen dieses Treffen. Wir hatten die Hoffnung, dass sich im Lichte unserer Erkenntnisse Ergebnisse eurer Untersuchungen anders deuten lassen - so deuten lassen, dass wir mit dem Finger auf den Schuldigen weisen können. Und ihn irgendwie festnageln. Aber wie es scheint, sind wir nun auch nicht klüger."

"Vielleicht sollten wir eine kurze Pause machen", ließ sich Laiza vernehmen. "Dann könnten wir uns noch einmal die Schautafeln zu den einzelnen Aspekten anschauen. Außerdem würde mir ein Tee gut tun. Und ein wenig Bewegung auch."
Allgemeines Stühlerücken quittiere ihre Bemerkung. Erst als er aufstand, spürte Pismire, wie angespannt er gesessen und sich auf die Erzählung von RUM konzentriert hatte. Er ging zu der Ecke mit dem Tee, holte sich eine Tasse und schlenderte dann zu den Tafeln an den Wänden. Zu jedem der Verdächtigen hatte Korporal Ziegenberger in einer sauberen und gut lesbaren Schrift noch einmal die wesentlichen Punkte notiert. Dann gab es ein Diagramm über die Beziehung der Personen zueinander, der Lageplan des Tatortes interessierte Pismire am meisten. In die Zeichnung waren Ikonografien einzelner Indizien geklebt und markierten so den Fundort.

Neben ihm betrachtet Charlie Holm die Skizze vom Tatort - die größtenteils auf seinen und Sillybos Aufzeichnungen beruhte.
"Eleminiere das Unmögliche und die Wahrheit wird sich zeigen", murmelte er. "Ein raffiniert erdachter Plan, Pismire, nicht wahr?"
"Du meinst, du weißt, was passiert ist?", fragte der Gerichtsmediziner neugierig.
"Ja, ich weiß, was passiert ist. Es bleibt nur eine logische Möglichkeit übrig. Es handelt sich um ein von langer Hand vorbereitetes Verbrechen, erdacht von einem abgefeimten Verbrecherhirn."
Spätestens mit diesem halblaut gesprochenen Satz war ihm die gesammelte Aufmerksamkeit im Raum sicher.
"Der Fall ist deshalb so faszinierend, weil es tonnenweise Spuren gibt - nur die führen ins Nichts. Und es gibt drei Geständnisse sowie ein Opfer, das - eigentlich - viermal getötet werden sollte: vergiftet, erstochen, erdolcht und erdrosselt. Leider kam ein Mörder nicht zum Zug und zwei weitere hatten das Nachsehen. Einer, der zu spät zum Morden kommt, wird überführt, eine gesteht freiwillig, einer gesteht einen Mord, der gar nicht stattgefunden hat. Was keiner getan haben will, ist das Opfer betäubt zu haben - und das war immerhin eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Erfolg des Unternehmens. Denn Unkenstein war es - berufsbedingt sozusagen - gewöhnt, große Mengen Alkohol zu trinken und dennoch aufmerksam genug zu sein, um nicht aufzufallen. Man kann zwar eine Menge im Trubel eines Maskenballs kaschieren, aber ein Mord mit einem sich wehrenden Opfer - das geht wohl kaum gut. Und so kommen wir zu der Frage: Wer hatte das Schlafmittel?"
"Aber warum sollte Joost Herbrand seinen Zwillingsbruder erst betäuben, dann erstechen und hinterher halbherzig an ihm rumwürgen?", frage Sillybos. "Das wäre unlogisch."
"Oh, der Mord ist nicht nur von einer Person begangen worden. Es gibt ein Mörderpaar."
"Und wer war Herbrands Komplize - oder Komplizin?"
"Wer redet denn von Joost Herbrandt?", fragte der Lance-Korporal zurück. "Ich rede von Anastasie Esperanzia zu Unkenstein, geborene von Kummerfeld."
"Das Gift befand sich aber in Herbrandts Besitz", wandt Pismire ein.
"Und somit im Unkensteinschen Haus. Und Graf Edmund wusste das - ebenso wie seine Geliebte. Was war leichter für einen der beiden, als das Gift wieder an sich zu bringen und so schon einmal die erste falsche Fährte zu legen. Für die nächste sorgt der Graf mit den Hutnadeln, der eigentlichen Waffe. Er sollte seine Dauerverlobte gut genug kennen, um sie entsprechend zu provozieren, dass sie das Fest rechtzeitig verlässt. Und welche gekränkte Dame von Stand nimmt das Geschenk dessen, der sie gekränkt hat, wieder mit? Nein, das war klug berechnet - sehr püschologisch. Somit lagen drei potenzielle Mordwerkzeuge offen herum - so das jeder sie hätte nehmen könne. Aber der Graf brauchte nur eines. Und das besorgte seine Gespielin unauffällig, als sie ihm den angeblich verlorenen Bogen wieder zurückbrachte. Eine liebende Ehefrau besucht ihren nicht-tanzenden Gemahl am Tisch. Und im Köcher führt sie danach das potenzielle Mordwerkzeug spazieren. Bei einem dieser Besuche wurde auch das Schlafmittel verabreicht. Danach musste sich nur noch einer der beiden bei der nächsten Gelegenheit zu dem vemeintlich Betrunkenen beugen und die Tat vollbringen. Eine Rolle für den besten Freund. Dann kann man erst einmal wieder in Ruhe tanzen. Jetzt müssen nur noch die Requisiten für die falschen Geständnisse arrangiert werden. Also stößt die Witwe kaltblütig dem Toten das Messer in den Rücken, wobei sie einen Teil ihres Kostüms verliert. Was sie nicht ahnen konnten, war der Hass, den der gut geschulte Kammerdiener perfekt verbarg, bevor er sich nach dem Ableben seines Bruders Bahn brach - sonst hätten sie weitaus mehr Indizien gegen ihn gestreut. So hielt man sich noch die Option mit den Besenkammers offen. Und die Krönung ihrer Bemühungen: Die Liebenden legen falsche Geständnisse ab und schon vermutet jeder, dass sie unschuldig sein müssen."
An den Reaktionen der Mitglieder von RUM konnte Pismire sehen, wie die Ideen, auf dieser Grundlage die Mörder zu entlarven, in ihnen arbeiteten.
"Schön und gut, aber wo ist der Beweis!?", grollte Romulus von Grauhaar. "Die beiden sind skrupellos und kaltblütig genug - und wenn wir sie zu feste anpacken, haben wir ein Dutzend Anwälte auf dem Hals. Und die Presse."
"Wenn aber nun Unkenstein nicht tot war, als er erstochen wurde dann könntet ihr darauf hin aufbauen", warf Pismire ein.
"Ja könnten wir; du hast uns jedoch ausführlich darauf hingewiesen, dass er bereits tot war. Was wir ihr auch so gesagt haben. Denn sonst hätten wir sie ja festnehmen müssen."
"Aber ein Gerichtsmediziner kann sich doch auch irren nicht wahr? Vielleicht war ja doch noch ein Funken von Leben in ihm, als sie zum Messer griff. Ich würde noch einmal mit ihr sprechen."
"Wenn sie dumm genug ist, versucht sie, ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen mit dem Hinweis, dass er sicher schon tot war was aber eine 'Unschuldige' eben nicht wissen kann", ergänzte Jack mit glänzenden Augen. "Zur Not liefert diese Dame ihren Komplizen ans Messer, so lautet mein püschologisches Urteil."
"Dein Urteil in Ausbildung. Aber wenn du recht hast und wir sie so kriegen, dann hat sich dieses 'Miehting' ja gelohnt", meinte Feldwebel Grauhaar mit leuchtenden Augen. "Auf jeden Fall werden wir in diese Richtung weiter hartnäckig bohren. Denn mein Instinkt sagt mir, dass Lance-Korporal Holm mit seiner Lösung richtig liegt."
[1] Auch wenn Pismire niemals etwas Näheres mit der Unsichtbaren Universität zu tun gehabt hatte, so war ihm doch die Gewohnheit der magischen Dozenten, den Vorlesungsbeginn möglichst so wage zu bestimmen, dass es den Studenten praktisch unmöglich war, pünktlich zu erscheinen, was dem Dozenten wiederum die Möglichkeit gab, die Veranstaltung ausfallen zu lassen und die freie Zeit im Speisesaal der Professoren zu verbringen, so weit bekannt, dass er seine jeweiligen Unpünktlichkeiten problemlos mit der Sitte, einer genannte Uhrzeit mit einem zusätzlichen universitären Stundenviertel (cum tempore oder c.t.) oder ohne dieses und somit zu einer buchstäblich genannten Zeit (sine tempore oder s.t.) stattfinden zu lassen, zu begründen pflegte

Zählt als Patch-Mission.



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Feedback:

Von Ophelia Ziegenberger

01.03.2008 11:44

Mein ganz klarer Favorit bei diesem Pokal und darüber hinaus eine wirklich hervorragende Geschichte. Ich freue mich inzwischen immer schon darauf, eine Geschichte von Dir zu lesen. Du schaffst es immer wieder, die Wachekollegen detailliert zu portraitieren. Und es ist faszinierend, das verworrene Motivgeflecht hinter der Fassade der Einleitungssätze zu entwirren. Wo es mir schon schwer fiele eine Abteilung darzustellen, da baust Du gleich zwei Abteilungen ein! Und die lediglich angedeutete Lösung bildete einen eleganten Schluss. Einer Höchstwertung stand aus meiner Sicht nichts entgegen.

Von Rea Dubiata

01.03.2008 11:44

Irgendwie fand ich den Plot sehr steril, komplex und theoretisch, das war nicht so ganz mein Fall. An Witz und Ideen fehlt es dir jedoch nicht, die Umsetzung war definitiv mal was anderes, machte es aber nicht unbedingt einfacher dem Plot zu folgen.

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