Zeig mir den Weg nach unten

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von Obergefreiter Huitztli Pochtli (SUSI)
Online seit 08. 01. 2008
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oder "Zufälle gibt es nicht... nur schlecht geplante Wahrheiten!"

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Zeig mir den Weg nach unten

Zeitliche Einordnung: Huitztli ist noch GeMe i. A.; vor den Ereignissen in formicidae 1 + 2
Plot: Huitztli hat bisher noch keine Autopsien mitverfolgt, da er von seinem Ausbilder Jack nur simple Hilfstätigkeiten aufgebrummt bekommen. Er ist sich nicht sicher, ob dieser ihn einfach nur nicht leiden kann oder ob es ein Belastungs- und Psychotest sein soll. Als die Leichen von zwei Trollkindern hereinkommen, die an einer Überdosis Platte gestorben sind und Huitztli mit den trauernden Eltern konfrontiert wird, beschleichen ihn Zweifel an der Richtigkeit seiner Entscheidung Gerichtsmediziner zu werden.

1.

Menschen verirrten sich selten in den Haufen-Park, der zwischen dem Deosil-Tor und dem Geringsten-Tor an der Stadtmauer gelegen ist. Der lange gewundene schneckenförmige Weg bis hinauf zur Ruine schreckte viele ab, da man den ganzen Weg ja nicht nur hinauf, sondern auch wieder hinunter bis zur Endlosen Straße laufen musste. Daher wurde er nur manchmal von verliebten Pärchen verschiedener Spezies und zwielichtigen Gestalten aller Coleur benutzt. Inmitten der Ruine streckten die Reste eines kleinen Gärtchens dem Verfall mutig den Mittelfinger entgegen und harrten inzwischen seit mehr als zwei Jahrhunderten aus. Noch immer funktionierte der kleine Springbrunnen, obwohl Moose, Farne und andere Pflanzen das Areal längst zurück erobert hatten. Selbst in den heißesten Tagen des Sommers, wenn das Leben in Ankh-Morpork beinahe zum Erliegen kam, war es hier angenehm kühl und schattig. Dutzende von Tauben tummelten sich in dem Becken. Die Tauben Ankh-Morporks waren etwas ganz Besonderes. Es war jene Art Luftratte, die aufgrund ihrer Intelligenz bei Luftangriffen nicht nur besser zu Zielen in der Lage war, sondern auch noch Freude zu empfinden vermochte, wenn sie getroffen hatte.
Zwischen all den anderen Tauben hockte Gurrrr in dem Mamorbecken und genoß flügelschlagend sein Bad. Eben berichtete er von seinem Mitbewohner, mit dem er das Dach über einer Molkerei "teilte". Diese Unterhaltungen waren jedoch eher einseitiger Natur. Meistens schwafelte er, während die anderen wegzuhören versuchten.
"Ich hockte also auf dem Sims des Schornsteins und schlummerte sanft mit dem Kopf unter meinem linken Flügel den Schlaf des Gerechten, als so ein kratzendes Geräusch mich aufschreckte. Aber im selben Moment wurde mir klar, dass ich das Geräusch kannte und das beruhigte mich wieder. Es war nur der Wasserspeier, der mit mir auf dem Dach wohnt. Müde wie immer, wenn er die Nacht durchgearbitet hat, erkletterte er den First unseres Daches und hockte sich an der Spitze des Giebels nieder, der in Richtung des Kunstturms der Unsichtbaren Universität zeigt, um das Aufgehen der Sonne zu beobachten. Das tut er fast jeden Morgen und das Farbenspiel ist wirklich prächtig. Das Goldgeld der Sonne filtert durch den allgegenwärtigen giftgrünen stinkenden Dunst des langen Wassers, welches durch das Große Nest fließt und ergibt zusammen mit den rußigen Wolken aus den Kaminen von tausenden Menschennestern ein Farbenspiel von unvergleichlicher Schönheit...", plapperte Gurrr selbstvergessen und schwelgte dabei in Erinnerungen. Die betont desinteressierten Blicke seiner Kameraden ignorierte er geflissentlich. Für sie war Gurrrr ein Spinner, der nicht mehr alle Federn am Flügel hatte. Nicht nur, dass es ihnen unbegreiflich war, wie er es fertig brachte, mit einem Wasserspeier zusammen zu wohnen. Schließlich hatten Wasserspeier Tauben wortwörtlich zum Fressen gern, egal, ob sie mit Intelligenz gesegnet waren oder nicht. Außerdem war jedem von Ihnen waren Sonnenaufgänge dieser Art durchaus vertraut und niemand empfand dafür so viel Begeisterung, wie Gurrrr.
"Mir ist unbegreiflich, warum die Menschen, die stickige Enge ihrer Nisthöhlen der frischen Luft hier draußen vorziehen.", plappert er weiter, "Der Wasserspeier wenigstens teilt meine Ansicht. Ach was rede ich, ihr habt das Dach ja schon vor einer ganzen Weile verlassen. Eure Furcht vor dem Wasserspeier muss einfach übermächtig gewesen sein. Meine Versicherungen dass euch von ihm keine Gefahr droht, waren ja leider vergebens. Dabei frisst er überhaupt keine Tauben..."
"Nur weil du ihn noch nicht dabei beobachtet hast, heißt das nicht, dass er es nicht doch tut.", erwiderte eine nicht auszumachende Stimme aus dem Hintergrund. Und eine Zweite ergänzte spöttisch, "Ja, vielleicht entpuppt er sich noch als richtiger Gurrrmäh...". Der ganze Schwarm gröhlte vor Lachen. Gurrrr schüttelte energisch den Kopf.
"Nein, so ist er nicht. Ich habe erfahren, dass er...Allärgisch...ist. Muss irgendetwas mit einer Religion oder so zu tun haben."
Die anderen verdrehten genervt die Augen, "Nun ja, wie dem auch sei. Irgendetwas schien ihm heute zu schaffen zu machen und das war für mich der Punkt, an dem ich mir sagte: Jetzt oder nie! Ich flog neben ihn und sprach ihn an..."

2.

Huitztli seufzte. Das allmorgendliche Farbenspiel vermochte ihm heute nicht die Freude wie sonst zu bereiten. Apathisch saß er da und starrte in Richtung Sonnenaufgang, ohne ihn wahrzunehmen. Der Regen der Nacht hatte mit den ersten vorsichtig tastenden Strahlen der Sonne aufgehört und nur das leise Plätschern undichter Regenrinnen und das Gurgeln der Knalisation erinnerte noch daran.
Gurrr rang mit sich, ob er es endlich wagen sollte. Dann fasste er sich ein Herz. Er sprang ab und flog das kurze Stück bis zur Spitze des Giebels auf der der Wasserspeier saß. Flatternd stellte die Flügel an und landete neben ihm auf einer der Verzierungen der Vorderfront des Hauses, die in regelmäßigen Abständen über das eigentliche Dach hinausragten und dem ganzen das Aussehen eines Schlösschens verleihen sollten. Eine Absicht, welche dem Architekten deutlich misslungen war. Gurrrr legte die Flügel an und drehte den Kopf zu dem Wasserspeier hoch.
"Ähäm...kann ich dir vielleicht...helfen? Ist was Schlimmes passiert?"
Der Wasserspeier reagierte erst nicht, doch allmählich drangen die Worte in sein Bewußtsein vor und klopften hartnäckig an die Tür seiner Aufmerksamkeit, die momentan verschlossen und mit dem Schildchen Bitte nicht stören am Türgriff versehen war. Er starrte den Vogel an. Dann erkannte er die Taube, die er schon öfter hier oben auf dem Dach gesehen hatte. Sie schien nicht wirklich Angst vor ihm zu haben. Aber vielleicht war sie ja auch nur suizidal veranlagt.
"Hast...du was gesagt?", blinzelte er verwirrt.
"Nun, ja, das habe ich. Ich wollte nur fragen, ob du vielleicht Hilfe brauchst oder so?"
"Äääh...", machte Huitztli nur. Da hockte eine Taube neben ihm. Nicht genug, dass dieses Exemplar hier offensichtlich den uralten Konflikt Taube-Wasserspeier komplett ignorierte. Diese hier wollte wohl auch noch Freundschaft schließen und betätigte sich darüberhinaus als Seelsorger.
"Ich weiß nicht genau, ob ich Hilfe brauche. Vielleicht brauche ich ja nur mal jemanden zum Reden."
"Da bin ich genau der Richtige.", freute sich Gurrrr, "Also: was ist los?"
Huitztlis Blick glitt zurück zum gestrigen Abend und seine Erinnerung spulte zum Anfang seiner Nachtschicht. Er hatte eben den Eingang passiert und seinen Dienstantritt im Wachbuch am Tresen vermerken lassen, als er schon Lance-Korporal Narrator in die Arme lief.
"Na Gefreiter Pochtli, auch schon da?", raunzte er. Dass Huitztli durchaus pünktlich seinen Dienst angetreten hatte, schien ihn dabei nicht zu kümmern. Huitztli salutierte und nahm Haltung an.
"Zieh dich um und komm dann in die Gerichtsmedizin, wenn du überhaupt noch weißt, wo die ist. Es gibt Arbeit für dich."
Jack drehte sich um und stapfte davon. Huitztli sah ihm nach und atmete erst wieder, als Jack um die Ecke verschwunden war.

3.

Mühsam hatte Huitztli den Aufstig in den ersten Stock hinter sich gebracht und betrat den Flur. Wasserspeier können in der Regel zwar ausgezeichnet klettern und manche sollen sogar fliegen können, aber Treppensteigen ist eher nicht ihr Ding. Es ähnelt dann eher dem Watscheln einer Ente. Er schaufte vernehmlich und bemerkte dann im flackernden Schein der Lampen die Umrisse eines unregelmäßigen Geröllhaufens, der sich nach eingehenderer Betrachtung als ein Trollpärchen herausstellte. Der Eine schien den Anderen tröstend im Arm zu halten und rieb dabei immer wieder mit seiner Pranke über den Kopf des Anderen, was ein schleifendes Geräusch erzeugte. Ein Zittern durchlief den Körper des einen Trolls und leise monotone Klagelaute entrangen sich seiner Kehle, die man einem Troll so nie zugetraut hätte. Huitztli erkannte, dass es sich um eine Trollfrau handeln musste. Er drückte sich an den Beiden vorbei und ging in Richtung Gerichtsmedizin. Jack stand bereits vor der Tür und winkte ihm ungeduldig zu.
"Jetzt mach schon!", rief er gereizt, "Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!"
Der Wasserspeier trat durch die Tür zur Pathologie und erkannte zwei kleine Trollleichen, die eine auf dem Tisch, die andere auf der Trage auf Rollen. Er erstarrte. Nun begriff er die Zusammenhänge.
"Kümmer dich um die Eimer mit den Resten. Die müssen runter gebracht werden. Der Karren, der die Überreste und Innereien abholt und zum Friedhof bringt, kommt heute. Beeil dich besser, dass du alles weg hast, bevor er da war. Sonst steht da Zeug wieder eine ganze Woche da unten im Hof und zieht die Fliegen an."
Huitztli fluchte innerlich. Den Aufzug ließ Jack ihn nicht benutzen. Das wäre vermutlich auch zu einfach gewesen. Stattdessen musste er Eimer für Eimer die Treppen runterschleppen, am Wachetresen vorbei in den Hof zum großen Fass bringen und dort ausleeren. Vermutlich war es Jacks Absicht, durch das Erregen eines Ekelgefühls, Huitztli den Job doppelt so schwer zu machen. Als Wasserspeier machte ihm der Geruch jedoch überhaupt nichts aus. Dass er damit keine Probleme hatte, behielt er aber doch lieber für sich. Es war besser, Jack nicht auf dumme Gedanke zu bringen. Nach einer halben Stunde war er fertig, wusch die Eimer aus und sich anschließend die Hände.
Jack hatte seinen Kopf in eines der als Kühlschrank zweckentfremdeten Kühlfächer gesteckt. Er wickelte ein reich belegtes Sandwich aus und kaute genüsslich.
Ein schlurfendes Geräusch ließ ihn in seiner Kaubewegung innehalten und hinter der geöffneten Klappe herlugen. Feldwebel Tut'Wee trottete in die Gerichtsmedizin und steuerte auf Jack zu.
"Melde mich zum Dienst, Lance-Korporal.", schnarrte er, "Was steht an?"
Jack schluckte hastig den letzten Bissen herunter und schlug das Fach zu. Er räusperte sich, um einen hartnäckigen Krümel aus dem Rachen zu bekommen.
"Wir haben hier zwei Trolleichen hereinbekommen.", hustete er und deutete auf den Seziertisch, "Untersuche sie schon mal prowiesorisch und...äh...erstatte mir dann später Bericht."
Der Krümel hatte inzwischen den Nasen-Rachen-Raum entdeckt und inspizierte ihn sorgfältig. Jack wusste nicht ob, er husten oder niesen sollte. Lässig winkte er in Richtung Tisch.
"Gefreiter Pochtli wird dich unterstützen. Wenn du Fragen hast, wende dich an ihn." Damit verließ er die Sektion und machte sich auf die Suche nach einer Tasse Kaffee. Ein lautes Husten verklang auf dem Weg Richtung Kantine.
Huitztli hatte die ganze Zeit bei der Trolleiche gestanden, die auf dem Tisch lag. Tut'Wee kletterte geschickt das Tischbein hoch und schwang sich auf die Tischplatte. Halb hüpfend erstieg er den Geröllhaufen, der einmal ein lebendes Wesen gewesen sein mochte.
"Nun, was haben wir hier? Sieht nach einer Menge Gestein aus."
"Es ist ein Troll.", sagte Huitztli tonlos.
"Ist das hier nicht ein bischen klein für einen Troll? Oder liegt dahinten der Rest?"
Tut'Wee schielte hinüber zu der Trage mit der zweiten Leiche.
"Es sind Kinder. Es...waren Kinder. Trollkinder."
"Und sie sind wirklich tot? Sie simulieren nicht nur?"
Huitztli schüttelte den Kopf.
"Moooment!", energisch wandte sich die Gnumie dem Kopf der Leiche zu und traktierte sie mit der Fußspitze, "Die spielen doch nicht etwa 'toter Troll' oder sowas?"
"Nein! Sie sind wirklich tot!", sagte Huitztli lauter, als er eigentlich beabsichtigt hatte.
Tut'Wee lag bereits die nächste sarkastische Bemerkung auf den bandagierten Lippen, aber irgendetwas hielt ihn davon ab, sie ins Freie zu entlassen.
"Die beiden da draußen sind die Eltern, wie?", fragte die Gnumie. Huitztli nickte. Dann machte er eine Kopfbewegung zur Leiche hin und gab Tut'Wee zu verstehen, er solle anfangen.
Die Gnumie hopste auf der Leiche herum und inspizierte sie Stück für Stück, wie als wenn er den Boden absuchen würde.
"Es ist...Gestein. So viel steht fest."
Huitztli blätterte im Tatortbericht. Olga-Maria Inös hatte die Leichen bewacht, bis Jack und Herr Made eingetroffen waren, um sie abzuholen.
"Die linke Körperhälfte ist voller Schlamm."
Tut'Wee schabte mit einem kleinen Spatel den Lehm herunter und legte das frei, was bei einem Troll als Haut gelten mochte.
"Ja, der Boden war wegen des Regens völlig aufgeweicht. Man fand sie in der Steinmetzwerkstadt von Doirit auf der Seite liegend. Vermutlich haben sie dort gespielt."
"Diorit? Warum kommt mir der Name so bekannt vor?"
"Soweit ich gehört habe, stellt Seals sein Geschäft wieder mal auf den Kopf. Die Gerüchte, dass es dort Drogen und Waffen zu kaufen gibt, wollen einfach nicht verstummen."
Tut'Wee war bis zum Kopf vorgedrungen und betrachtete die Mundwinkel des Trollkindes.
Auch hier krustete Schlamm und etwas glitzernd Weißliches.
"Können Trolle so etwas, wie Schaum vor dem Mund haben?", fragte die Gnumie.
"Nicht dass ich wüsste. Sie haben es nicht so mit Wasser in ihrem Stoffwechsel. Zumindest sind sie nicht darauf angewiesen. Warum?"
"Weil hier sowas...Komisches hier im Mundwinkel klebt."
"Dann nimme eine Probe. Wir lassen es untersuchen."

4.

"Silberplatte? Was ist das?", fragte Jack ungläubig.
"Eine Variante von Platte.", gab Lady Rattenklein zur Antwort. Im Grunde ist es Platte vermischt mit Quecksilber. Daher der silbrige Glanz. Da tragische ist nur, es nimmt einen Troll bereits in den kleinsten Dosen das letzte bischen Verstand. Für jüngere Trolle ist es wohl sogar tödlich," Sie hielt ihm mit beiden Händen den zusammengerollten Laborbericht hin. Jack laß ihn durch und blickte rüber zum Wasserspeier. Huitztli hatte sich im Hintergrund gehalten und sagte nichts.
"Verflucht. Das wird Ärger geben.", murmelte Jack leise.
"Darauf kannst du wetten. Ich habe vorhin zur Untersuchen etwas verdampft. Leider war die Gefreite Nyvania anwesend und hat ein wenig von den Dämpfen abbekommen. Es hat sie quasi sofort umgehauen. Inzwischen ist sie aber wieder bei Bewusstsein, wenn auch noch orientierungslos. Feldwebel Feinstich ist sicher, dass sie sich wieder vollständig erholt."
"Das heißt, das Zeug ist auch für Wasserspeier gefährlich?"
Die Lady nickte, "Ja, bis auf den Gefreiten Pochtli hier. Auf den scheint es interessanterweise keinerlei Wirkung zu haben. Feldwebel Feinstich und ich vermuten, dass es an seinen früheren 'Faunaexperimenten' liegt."
Huitztli lächelte gequält, als ihn ein taxierender Blick von Jack traf.
"Beide Kinder sind daran gestorben. Da gibts nichts dran zu rütteln. Bei beiden haben wir das Zeug gefunden. Scheinen schon früh mit dem Drogen-nehmen anzufangen, die Racker.", bemerkte Tut'Wee. Huitztli schnappte nach Luft, sagte aber nichts. Die eklatante Zurschaustellung von Gefühllosigkeit der Gnumie versetzte ihm doch einen Stich. Zweifel waren in ihm schon vor einiger Zeit auf gekeimt, ob es nicht doch die falsche Entscheidung gewesen war, sich für die Gerichtsmedizin zu entscheiden. Der heutige Tag hatte diesen Eindruck verstärkt. Er vermochte nicht, das Persönliche vom Beruflichen zu trennen, nicht, wenn es ihm immer wieder so drastisch vor Augen geführt wurde. Gerade solche Fälle machten ihm bewusst, dass hinter jeder Leiche nicht nur eine Geschichte, sondern auch ein Schicksal steckte. Und auch das Anderer, die damit verknüpft waren.

5.

Oberfeldwebel Sillybos ließ den Bericht sinken, aus dem er eben zitiert hatte. Hauptmann MeckDwarf, Hauptmann Llandcairfyn, Fähnrich Kanndra und Feldwebel von Grauhaar saßen mit versteinerter Miene zusammen beim wöchentlichen Abteilungsleitertreffen.
"Das wird den Kommandeur nicht erfreuen. Eine Droge, die noch schlimmer ist, als Platte?", grollte MeckDwarf düster. Romulus nickte mit abwesendem Blick. Hauptmann Llandcairfyn faltete die Hände zusammen und legte beide Zeigefinger an die Lippen, um nachzudenken.
Fähnrich Kanndra sah zu Oberfeldwebel Sillybos hinüber.
"Was tun wir jetzt? Wie reagieren wir auf diese..."
"...Bedrohung?", beendete Kommandeur Ohnedurst ihre Frage und löste sich aus dem Schatten der Deckenbalken, die ihn bisher verborgen hatten. Er sprang elegant zu Boden ohne dabei ein nennenswertes Geräusch zu verursachen.
"Viel mehr als die Tatsache, dass dieses verfluchte Zeug bereits in geringster Dosierung jedem Troll und Wasserspeier des letzte bischen Intelligenz raubt, interessiert mich die Frage, wer hinter diese Sache steckt. Und wir sollten das schnell herausfinden, denn der Patrizier hat sicherlich noch wesentlich weniger Geduld als ich.", stellte Rascaal leise fest.
"Irgendetwas ist an der Sache faul. Das Zeug ist so heftig, dass kein Troll, der halbwegs bei Verstand ist, sich auch nur die Nähe davon wagen würde.", stellte Romulus fest, "Ich meine, wer würde denn ein Produkt auf den Markt bringen, bei dem die Kunden schon beim ersten Mal auch das letzte Mal gekauft haben. Das lässt nicht gerade auf Geschäftssinn schließen, oder?"
"Du meinst also, Chrysopras scheidet als Quelle aus?", griff Sillybos den Gedanken auf.
"Ja und auch Kreidig. Keiner von beiden wäre so blöd, seine Kundschaft umzubringen. Jedenfalls nicht gleich."
"Hat vielleicht nur ein Alchemist seinen Abfall loswerden wollen?", gab Daemon als Stichwort in die Runde. Romulus schüttelte den Kopf, "Und es bei einem Troll auf dessen Abraumhalde entsorgen? Wohl eher nicht. Er hätte den Ankh benutzen können, so wie alle anderen auch."
"Was auch immer der Grund dafür sein mag. Geht und findet es heraus, sonst gibt es womöglich noch einen Aufstand!", bellte der Kommandeur plötzlich.
Die Gruppe musterte sich gegenseitig. Ankh-Morpork mochten einige mit einem Pulverfass vergleichen, wenn man die bunt gewürfelte Mixtur aus Vertretern aller Rassen und Völker betrachtete. Die unterschiedlichsten Religionen und ethischen Konzepte lebten hier zusammen und nicht selten boten diese Anlass zu Reibereien. So schmutzig diese Stadt und ihre Bewohner innerlich wie äußerlich auch sein mochten, die Lunte zu diesem Pulverfass anzuzünden scheuten sie sich dann doch. Die meisten zumindest...

6.

Goldie Kleinaxt betrat auf dem Weg zur Nachtschicht die Bäckerei von Kohlsack Schmiedebrot. Selbst bei eisernster Disziplin gelang es ihr nur hin und wieder, an dem Laden vorbei zu eilen, ohne etwas von den Köstlichkeiten zu kaufen, die Herr Schmiedebrot in der Auslage anbot. Herrliche Düfte nach Frischgebackenem und exotischen Gewürze durchzogen den Laden und ließen die Speicheldrüsen Extraschichten einlegen.
Der Zwerg holte gerade ein paar kleine Schüsselchen aus dem Ofen und hätte sie beinahe fallen lassen, als er Goldie im Laden stehen sah.
"La...Lance Korporal Kleinaxt. Welch angenehme Überraschung. Einen Moment bitte, ich bin sofort für sie da."
Hastig breitete er ein fleckiges Handtuch über das Bleck mit den Schüsselchen und trug in in den Raum, der an den hinteren Teil der Backstube angrenzte. Wenig später war ein dumpfes Wumm zu vernehmen und kurz darauf erschien wieder das Gesicht des Zwerges.
"Soufflés, sie sind ja so empfindlich.", beeilte er sich zu sagen und wischte sich dabei verstohlen die Hände an seiner Schürze ab, "Was kann ich für sie tun?"
"Nur ein paar Brötchen. Haben sie den kleinen Kuchen fertig, den ich für heute bestellt hatte?"
"Brötchen sehr gerne. Äh, ja, der Kuchen ist fertig. Haben sie denn etwas zu feiern?"
"Oh, ein Kollege feiert sein Dienstjubiläum. Nur eine kleine Aufmerksamkeit."
"Einer der gutaussehenden Zwerge etwa?", grinste der Bäcker schelmisch.
"Nein, nein.", wehrte Goldie lachend ab, "Eine Freundin hat einen komplizierten Fall abgeschlossen und das wollen wir heute ein wenig feiern. Sie ist ein Mensch."
"Ah, ein Mensch. Nun, wie...wie schade."
Die Gesichtszüge des Bäckers bekamen einen undefinierbaren Ausdruck, "Das macht 67 Cent."
Goldie zahlte und wortlos drückte ihr der Zwerg das Wechselgeld und die Ware in die Hand, bevor er in den Hinterraum verschwand.
Sie war sich nicht sicher, was hier eben falsch gelaufen war, aber irgendetwas von dem, was sie gesagt hatte, schien den alten Zwerg verärgert zu haben.
Gedankenverloren holte sie eines der noch warmen Brötchen aus der Tüte und reichte es Crunkers.

7.

Oberfeldwebel Sillybos und Leutnant Pismire standen dem Trollpärchen gegenüber, während sich Huitztli etwas Abseits hielt, wie, als wenn er dadurch auch Abstand zu der ganzen Sache bekäme. Sichtlich betreten zählte er jetzt schon zum vierzehnten Mal die Anzahl der Windungen der Haltefeder seines Klemmbretts mit dem Obduktionsbericht, nur um nicht an den Fall denken zu müssen. In leisen ruhigen Worten bemühte sich Sillybos zu erklären, wie ihre Kinder zu Tode gekommen waren. Mit unbewegter Miene hörte der Trollvater den Ausführungen von Sillybos zu, während sich seine Frau an ihn klammerte.
"...die Untersuchung der Körper hat dieser Gerichtsmediziner...", er deutete auf Huitztli, "...durchgeführt. Beide Kinder müssen eine Droge zu sich genommen haben, die wir als Silberplatte bezeichnen."
Die Augenwülste des Trolls hoben sich in jähem Unglauben und aufkeimendem Zorn.
"Drogen? Platte? Unsere Kiesel niemals Platte angerührt hätten.", brüllte er und erhob drohend den Zeigefinger, "Sie wissen das Platte grahhhhgraak1!". Drohend näherte er sich den Wächtern. Beschwichtigend hob Sillybos die Hände.
"Wir wissen, wie das jetzt klingen muss. Wir glauben nicht, dass ihre Kinder es wissentlich genommen haben.", fuhr Huitztli etwas eingeschüchtert fort.
"Haben ihre Kinder öfter bei den Abraumhalden von Diorit gespielt?", warf Pismire ein.
"Ich bei Diorit arbeiten. Meine Kinder wissen."
"Können sie etwas zu den Drogengerüchten sagen, die immer wieder auftauchen?", hakte Pismire nach. Sillybos hielt unwillkürlich die Luft an. Nicht gerade ungefährlich, einem Troll in dieser Verfassung eine solche Frage zu stellen. Doch überraschenderweise blieb der Troll ruhig.
"Diorit ein guter Troll ist. Er uns geholfen hat, als wir beide noch raahgr2 waren. Wir uns bei ihm kennengelernt.", er streichelte die Hand seiner Gefährtin, "Er mir Arbeit gegeben hat."
Sillybos sah zu Pismire hinüber. Eine Ahnung keimte in ihm auf. Eine, Diorit betreffend.
"Wir müssen sie jetzt leider bitten, ihre Kinder zu identifizieren.", wieß Sillybos zur Gerichtsmedizin.
Als sie die Sektion betraten, stießen sie auf Tut'Wee, der schon zu einem Kommentar ansetzen wollte. Doch Pismire und Sillybos kamen dem zuvor und wiesen unisono mit strengem Blick und ausgestreckten Daumen hinter sich. Er schnaubte, leistete aber der Aufforderung folge und verließ den Raum.
Huitztli schlug die Leichentücher zurück und das jähe Entsetzen in den Augen der Mutter machte mehr als deutlich klar, dass dies ihre Kinder waren.
Voller Ohnmacht ballte der Trollvater seine Fäuste. Unvermittelt schlug die Mutter immer wieder ihren Kopf gegen seine Schulter und heulte auf, wie ein weidwundes Tier.
Die Gruppe verließ wieder die Gerichtsmedizin und Sillybos redete beruhigend auf die Eltern ein, darum bemüht, sie nach draußen zu geleiten, ohne dass es zu irgendwelchen gewälttätigen Zornesausbrüchen kam. Geschockt Huitztli war zurückgeblieben und zog nun sorgfältig die Tücher wieder über die kleinen Körper.

7 + 1.

Nur eine halbe Stunde später umstanden Lance-Korporal Scoglio, Gefreiter Rhizokarpon und Rekrut Lapis Lazuli den Trollvater und hielten ihn mit vereinten Kräften fest. Nur mit Mühe war es gelungen, ihm die nietenbeschlagene Keule zu entwinden, mit der er einen der Zerreisser bereits ins Reich der Träume befördert hatte, wo auch immer sich dieses für Trolle befinden mochte.
Sie hatten den Schauplatz vor dem Steinernen Ograaahhh gerade noch rechtzeitig erreicht und den Kampf unter dem enttäuschten Gejohle der sich zusammenrottenden Menge beenden können, bevor er von seine Zerreisser-Kollegen Verstärkung erhalten hatte.
Wenig später wimmelte der Platz vor weiteren Wächtern und sorgte für ein sicheres Geleit des Festgenommenen vom Schauplatz weg.
"Was wir bloß machen sollen mit dir? Wir Gesetz alleinig durchsetzen, nicht andere Bürger! Nicht Du!", grollte Scoglio. Doch schwang in dem Grollen eine Welle der Sympathie und des Verständnisses mit, die selbst einem nicht-Troll nicht verborgen blieb.
Der Trollvater schwieg mit gesenktem Kopf.
"Wir dich nach hause begleiten. Es zu gefährlich da draußen ist. Leute...verletzt werden könnten. Leute wie du..."
"Mir egal ist. Warum ihr habt gehindert mich? Sie schuld sind!"
"Du nicht kannst sein sicher! Es unsere Aufgabe ist, Schuldige zu finden und zu bestrafen! Wieso du überhaupt glaubst, sie die Mörder sind?"
"Ich die Wächter gestern gehört habe! Sie es gesagt haben, als wir gingen nach hause."
Sgoglio schnaubte.
"Wächter auch nicht immer alles wissen."

9.

Lance-Korporal Ziegenberger und Korporal Kolumbini trafen sich mit dem Gefreiten Chi Petto und einem nervös dreinblickenden wieselartigen Typ, dessen ängstliche Augen ständig die Gegend absuchten. Beide Korporale nickten Chi Petto grüßend zu.
"Lefty, elzähl den beiden Hellschaften doch bitte, was du mil elzählt hast.", forderte er den Mann auf.
"Ich...äh...nun."
"Na komm schon. Sei ein gutel Junge.", lockte Chi Petto weiter.
"Diese Gerüchte wegen Diorit. Die sind alle nur erfunden. Diorit versucht anderen Trollen zu helfen, die auf Platte sind. Und das stört die Kreise einiger Geschäftsleute, wenn ihr versteht, was ich meine. Die Lachen sich schlapp, weil ihr immer drauf reinfallt und ständig seinen Laden auf den Kopf stellt." Wieder blickte er sich um, "Es gibt da aber ein anderes Gerücht. Eines, das die Trollbälger betrifft."
Lefty ließ bräunlichen Zahnstummel sehen, als er die Mundwinkel zu einem Grinsen verzog.
"Es soll da eine paar Zwerge geben, die ihre Traditionen sehr ernst nehmen, wenn ihr versteht, was ich meine. Und ich meine TRADITIONEN..."
Lefty erstarrte unwillkürlich. Chi Petto reagierte sofort, ergriff dem Mann am Kragen und stieß ihn gegen die Mauer.
"Wil hatten dich gewalnt, Lefty, deinen knochigen Alsch hiel nicht mehl blicken zu lassen! Abel du willst ja nicht hölen. Stehst du auf Schmelzen, Lefty?", rief Chi Petto lauter als nötig.
Langsam zog Chi Petto seinen Schlagstock und holte aus, während er Lefty zuzwinkerte und dann zuschlug.
"Es muss echt aussehen.", zischte er durch die Zähne in Richtung der beiden Korporale.
Ophelia hatte schon Chi Petto in den Arm fallen wollen, doch auch Kolumbini holte in Ermangelung eines Schlagstocks mit dem Stiefel aus und trat nach dem inzwischen am Boden kauernden Informanten. Ophelia blickte sich ängstlich um, ob nicht eventuell irgendwelche Leute Zeugen dieses offensichtlichen Falles von Polizeitgewalt würden. Der Schock urplötzlich in diese Situation geraten zu sein, machte sie wütend.
Eine bltende Augenbraue und Unterlippe, sowie diverse blaue Flecken im Gesicht kroch Lefty auf allen Vieren hastig zu Seite, stand auf und rannte davon. Halbherzig nahmen Chi Petto und die anderen die Verfolgung auf. Nachdem sie zwei Häuserblocks und drei Ecken hinter sich gebracht hatten, fiel Chi Petto wieder in den normalen Schlendergang.
"Was war das denn eben?", zischte Ophelia.
"Eine 1A Vorstellung der Laienschauspieltruppe der Wache.", grinste Kolumbini, der sofort begriffen hatte, worauf Chi Petto aus war und wischte sich den Tomatensaft vom Revers seines Mantels, während Chi Petto den Spezialschlagstock wieder verstaute.
"Lefty hat mil schon vol einigen Tagen gesagt, dass Ankh-Morpolk fül ihn zu heiß wild und el verschwinden müsste. Wil haben nul dafül gesolgt, dass sein Velschwinden echt wilkt und el nicht womöglich von ilgendwelchen Gestalten aus den Schatten velfolgt wild. Er wild zum Mittwältigen Tor lennen und dort auf einen Fleund von mir tleffen, del ihm auf seinem Eselskallen Lichtung Sto Lat eine Passage anzubieten hat.", erkläre Chi Petto.
"Ich hätte es wirklich begrüßt, wenn du mich vorher eingeweiht hättest, Gefreiter!"
"Nun,", blickte er sie aus listigen Augen an, "so hat es mit Sichelheit echt gewilkt."
"Und wie es das hat.", gluckste Kolumbini, holte seine Pfeife heraus und zündete sie an.

10.

Obergefreiter Damien G. Bleicht stand vor dem Schreibtisch im RUM Büro und berichtete Kolumbini und Ophelia von seinen Kenntnissen.
"Es gibt seit Kurzem eine radikale Splittergruppe von Zwergen. Spinnern sich was zusammen von wegen rassischer Überlegenheit und so. Das ist ja an sich nichts Neues. Wir stuften sie aber als äußerst gefährlich ein, weil die älteren Zwerge keinen Einfluß auf sie zu haben scheint. Sie handeln wohl auf eigene Rechnung. Wir rechnen ihnen drei Morde zu. Sechs der Gruppe sind uns inzwischen namentlich bekannt und werden observiert. Wir stecken mitten in den Vorbereitungen für den Zugriff, um sie zu verhaften. Es soll aber Gerüchten zufolge noch ein weiteres Mitglied geben. Wir wollen auf jeden Fall verhindern, dass einer entkommt. Dann geht das ganze womöglich von vorne los."

11.

Rythmisches Schlagen eines Tambourins, von Trommeln und rauer kehliger Gesang von Männerstimmen drang gedämpft durch die dunklen Eichenholzbohlen einer kleinen Tür am Ende des Korridors, hallte wieder von den Wänden und verebbte in den verwinkelten Kellergängen, die hinauf zur Bäckerei des Zwergs Schmiedebrot führte.

Zeig mir den Weg nach unten,
ich hasse den Tag,
ich hasse das Licht!
Zeig mir den Weg ins Dunkle,
wo Einsamkeit herrscht,
kein Spiegel für mein Gesicht!

Wieder und wieder wurden die Worte rezitiert und bildeten allmählich ein betäubendes, die Zeit vergessen machendes, Mantra. Eine Gruppe von sieben kapuzenumhängenten Gestalten bildete einen Halbkreis um eine rußige Laterne, die mehr in Dunkelheit zu tauchen, denn zu beleuchten schien.
Schließlich verebbte der Gesang und Stille kehrte ein. Die Gestalten wiegten sich dennoch weiter im Takt einer in die Vergangenheit gereisten Musik. Leise flüsterte eine Bassstimme, "Vater Knork ist es gelungen, das Instrument unseres sicheren Sieges zu finden. Es konnte auch bereits erfolgreich von Vater Knark erprobt werden. Wenn sich unser Gremium wie bisher würdig zeigt, sind unsere Ziele in greifbarer Nähe und wir können endlich die wohlverdienten Früchte unserer Bemühungen ernten, genau so, wie es Vater Knurk verhergesagt hat."
Eine Hand erhob sich und eine Baritonstimme fragte, "Vater, welches soll unser nächster Schritt sein?"
"Der Offensichtliche: Vater Knork wird Sorge für die Herstellung weiterer kleiner Erlöser tragen. Vater Knirk bringt diese in unseren Versammlungsraum, bis wir zum nächsten Schritt kommen : der allumfassenden Erlösung vom Übel."

12.

Lautes Geschrei war aus dem Eckbüro von RUM im ersten Stock zu hören. Goldie Kleinaxt schlurfte heraus und schloss die Tür. Umständlich musste sie Huitztli ausweichen, der einen Stapel Formulare auf dem Arm eben am Büro vorbeiwankte. Das Thema der lautstrken Unterhaltung war ihm nicht entgangen. Fünf Minute später öffnete sich dir Tür erneut und Kolumbini und Rea Dubiata traten auf den Flur.
"Sie hat es nicht sehr gut aufgenommen, oder?", fragte Araghast Breguyar, der draußen an der Wand gelehnt stand.
"Nicht wirklich. Es macht ihr zu schaffen, dass ein paar durchgeknallte Zwerge so etwas tun können. Und dass ausgerechnet ihr Lieblingskonditor der Hauptdrahtzieher sein soll."
"Unsere Überprüfung von Diorits Laden hat übrigens die Angaben des Informanten bestätigt. Wir sind mitten in eine Sitzung der eAPS geplatzt."
"Der...eAPS? Was ist das denn?", fragte Rea.
"Das sind die "ehemaligen Aahnonühmen Platte Süchtigen". Diorit hat diese Gruppe gegründet, um die Trolle von Platte wegzubringen. Und er ist damit erfolgreicher, als es den Drogenhändlern lieb sein kann.", gab Araghast zur Antwort.
"Wir sollten dafür sorgen, dass sein Geschäft nicht demnächst plötzlich einem Brand zum Opfer fällt oder etwas Ähnlichem."
"Hab ich bereits veranlasst. Die Streifen der Wächter aller Abteilungen, die für die Gegend eingeteilt sind, statten seinem Laden regelmäßig einen Besuch ab. Mehr können wir da im Moment nicht tun."

13.

Betrübt hockte Goldie Kleinaxt im Aufenthaltsraum der Wache und wich den Blicken ihrer Kollegen aus. Der Stolz auf ihre zwergische Herkunft hatte einen merklichen Dämpfer erhalten. Scham füllte jetzt ihr Wesen aus und hätte sich der Erdboden aufgetan, sie zu verschlingen, sie hätte es ohne zu Zögern akzeptiert.
Huitztli saß am Ende des Tisches und stochterte in seinem Gemüsebrei herum. Die gedrückte Stimmung Goldies hatte die seine noch weiter verdüstert. Allmählich reifte in ihm der Entschluß, seinem Vorgesetzten seinen Rücktritt von dem Job als Gerichtsmediziner mitzuteilen.
Unvermittelt legte Scoglios seine steinerne Pranke auf Goldies linke Schulter.
"Du nichts kannst für jene Zwerge. Du nicht bist wie sie. Sie keine echten Zwerge sind."
Dann drehte sich der Troll umständlich herum und verließ den Aufenthaltsraum.
Müde blickte ihre Zwergenaugen Scoglio hinterher.

14.

"Dich plagen also Zweifel, Gefreiter?", sagte Kommandeur Ohnedurst so leise, dass sie gerade eben noch zu verstehen waren. Er saß hinter seinem fleckigen Schreibtisch und schrieb mit kratziger Feder Kommentare unter irgendwelche Berichte. Eine halb verspeiste rote Rotebeete-Knolle lag neben dem Tintenfaß, welches in gleichmäßigen Abständen Besuch vom Federkiel des Kommandeurs erhielt. Ihr roter Saft fügte der Tischplatte einen weiteren dunkelroten Fleck hinzu. Eine geschlagene halbe Stunde war Huitztli ziellos durch die Korridore der Wache gelaufen. Vor dem Büro des Kommandanten er einem unerklärlichen Impuls folgend angeklopft und saß nun auf dem Stuhl vor dessen Schreibtisch und rutsche nervös hin und her.
Huitztli nickte, "Ich bin mir einfach nicht mehr sicher, ob meine Entscheidung für die Gerichtsmedizin korrekt war, Herr. Tote machen mir nichts aus. Untote auch nichts. Es sind die...Überlebenden, die mir zu schaffen machen."
"Und wen, glaubst du, interessiert das hier?"
"Herr?"
"Hältst du die Wache für einen Verein, bei dem sich alle bei dem kleinsten Anzeichen einer ethisch-moralischen Unpässlichkeit eines seiner Mitglieder zu einem Kuschelkreis versammeln, um die dunklen Wolken der Depression zu vertreiben, die den betreffenden befallen haben?"
Der Kommandeur blickte Huitztli jetzt direkt in die Augen und stellte dabei den Kopf leicht schräg.
"Ich...äh..."
"Meinst du etwa, es fällt einem Tatortwächter leicht, am Ort irgendwelcher blutiger Verbrechen Wache zu schieben?", ätzten seine Worte weiter, "Oder einem Verkehrsexperten, der sich jeden Tag das Gefluche und Gejammer irgendwelcher Karrenlenker und anderer Penner anhören muss?"
Huitztli war sich jetzt mehr als sicher, eindeutig zwei falsche Entscheidungen getroffen zu haben. Die erste hatte mit seinem Job zu tun, die zweite damit, dass er vermeinte, der Kommandeur sei genau der richtige, um persönliche Probleme zu diskutieren.
"Was bei den Göttern hat dich dazu bewogen, meine kostbare Zeit zu verschwenden?". Die Stimme des Vampirs schnitt förmlich in die Gehörgänge des Wasserspeiers. Langsam in einer gleichmäßigen Bewegung und wie in Zeitlupe hatte sich der Kommandeur von seinem Stuhl erhoben und kam dem Gesicht des Gerichtsmediziners i. A. so nahe, dass sie nur wenige Zentimeter voneinander trennten.
Panisch sprang Huitztli auf die Füße und stieß dabei den Stuhl um, auf dem er gesessen hatte. Im nächsten Atemzug hatte er bereits die Tür geöffnet und war hindurch gehastet und entging dabei nur knapp der angenagten Knolle, die beim Aufprall zerplatzend dem Türrahmen einen hässlichen Fleck als Abschiedgruß hinterliess.
"Es steht dir jederzeit frei, zu kündigen.", sagte der Kommandeur leise, wie zu sich selbst.

15.

"Glaubst du wirklich, dass deine Entscheidung falsch war?", gurrte die Taube neben Huitztli.
"Ach, ich weiß nicht."
Huitztli kratzte sich hinter dem rechten Ohr und knetete dann weiter seine Hände.
"Mir tun einfach die Leute so leid, die zu uns kommen und die Toten identifizieren müssen. Oder das, was von ihnen übrig geblieben ist. Wenn ich sie leiden sehe, möchte ich am liebsten wegrennen und mich verkriechen."
"Was würde ihnen das denn helfen?", fragte die Taube verwirrt.
Huitztli drehte den Kopf zu Gurrr.
"Wie meinst du das?"
"Ich meine, würde es die Trauer und den Schmerz der Angehörigen lindern, wenn du davonläufst?"
"Äh, nein natürlich nicht. Aber es geht mir nicht um sie, es geht um mich!", sagte Huitztli etwas beleidigt.
"Geht es denn um dich? Bist du es denn, der da auf diesem kalten Tisch liegt?"
"Öhm, nein.", kam leise die Antwort. Der Wasserspeier senkte den Kopf.
"Was würde den Angehörigen denn helfen?"
"Keine Ahnung. Vielleicht Religion?"
"Möglicherweise. Ich denke, den Angehörigen dürfte der Gedanke sicherlich ebenfalls zu schaffen machen, dass der oder die Kükenmörder immer noch frei da draußen rumlaufen..."
Huitztli straffte plötzlich die Schultern. Ja, das war wirklich das, worum es doch bei seiner Arbeit ging. Er war schließlich kein Bestattungsunternehmer, der die Hinterbliebenen tröstete. Er war ein Ermittler, der den Toten zu ihrem Recht zu verhelfen hatte. Wieso nur hatte er dermaßen den Fokus verlieren können? Die Schreie dieser Kinder nach Gerechtigkeit waren die ganze Zeit über ungehört verhallt. Doch nun nicht mehr, jetzt hatte er sie endlich gehört.
Seine Augen verengten sich zu Schlitzen und fokussierten ein Ziel. Die depressive Stimmung in ihm wich einem jäh auflodernden Zornesfeuer, das sich einen Weg nach draußen Bahn brach. Mit einem Ruck stand er auf und schwang sich vom Dach.
"Was habe ich denn jetzt schon wieder Falsches gesagt?", fragte sich Gurrr verwirrt.

16.

Kohlsack Schmiedebrot schabte den Tiegel aus und schüttete den Inhalt auf einen Bogen Papier. Sorgfältig faltete er den Bogen zusammen, formte ein kleines Briefchen daraus und legte ihn auf den Stapel zu den anderen Briefchen.
Das Splittern von Holz und Zerbrechen von Keramikschüsseln aus der Backstube schreckte ihn auf. Er war gerade im Begriff die Briefchen mit der Hand vom Tisch herunter in eine kleine Holzkiste zu schieben, als sich ein lanzenartiges Gerät durch die Eichenbohlen in der Mitte der Tür zu seinem kleinen Geheimraum bohrte und an der Spitze Widerhaken heraus klappten. Gedämpft nahm Kohlsack nun auch das Wiehern von Pferden wahr. Eine Peitsche knallte und plötzlich wurde der Haken zurück gerissen. Staub und Mörtel rieselten rund um den ächzenden Türrahmen und erste Risse zeigten sich im Putz. Ein Seil sang hell unter der Belastung, dem es offenbar ausgesetzt war. Dann gab der Rahmen die Tür frei und mit einem Mal flutete Licht in den kleinen Raum und blendete den Zwerg.
"Die Wache...? Was...hat das zu bedeuten?", versuchte er die Situation zu überspielen.
Durch den sich setzenden Staub und Nebelschwaden aus Mehl erkannte er zwei Dutzend Wächter. Damien G. Bleicht hielt eine Armbrust auf den Zwerg gerichtet, ebenso Goldie Kleinaxt, deren Gesicht eine Maske der Abscheu war.
Kolumbini hob die Hand und brachte den Zwerg zum Schweigen. "Du bist verhaftet!", schanuzte Kolumbini, holte seine Pfeife hervor und zündete sie an.
'Und bitte...leiste Wiederstand!', wollte Huitztli hinterrufen, konnte diese Worte aber gerade noch zurückhalten...




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