Das Haus eines Freundes

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von Lance-Korporal Goldie Kleinaxt (GRUND)
Online seit 08. 01. 2008
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Anmerkung: Diese kleine Geschichte ist als Einstieg in eine Reihe von Shortstories gedacht, welche miteinander verbunden sind und zahlreiche Berührungspunkte haben. Fortsetzung folgt ..

Für diese Mission wurde keine Note vergeben.

Das Haus eines Freundes

Es war einer jenen Tage, an welchen es mich kaum in meinem Büro gehalten hätte. Der Blick aus meinem Fenster, hinaus auf den Hof des Wachegebäudes in der Kröselstrasse, hatte schon früh den ersten schönen Tag nach Wochen des grauen Nebels angedeutet. Ein paar wenige Rekruten übten mit Holzschwertern im Hof und selbst dieses vertraute Geräusch hatte heute Morgen freundlicher in meinen Ohren geklungen, als es sonst der Fall gewesen war. Alles was ich an diesem Morgen verspürt hatte, war der Drang nicht in diesen, mir inzwischen vertrauten, Mauern der Kröselstrasse zu verweilen. Ich wollte diesen schönen Tag nicht mit den üblichen Erklärungen von Wachepraktiken und Armbrusttraining verbringen.
Und während ich noch darüber grübelte, aus welchem konkreten Grund oder mit welchem Ziel ich mich in die Stadt aufmachen sollte, fiel mir mein kürzlich verstorbener Freund ein. Wobei Freund vielleicht nicht der richtige Begriff gewesen war. Aus meiner Sicht war er nur ein besserer Bekannter. Ein guter Freund meines Vaters, welcher in Ankh-Morpork - wie viele andere vor ihm - sein Glück versucht hatte. Er hatte wohl schon eine Weile in der Stadt gelebt, ein kleines Häuschen gekauft und sich nach zwergischer Manier niedergelassen. Ich zumindest hatte erst vor ein paar Monaten aus Briefen meiner Eltern von ihm erfahren und in seit jener Zeit häufig besucht. Im Nachhinein bedauerte ich es, ihn erst so spät kennen gelernt zu haben, denn er war ein stämmiger und gemütlicher Zwerg gewesen, der mir nie unsympathisch erschienen ist. Aber diese Gedanken schob ich schnell wieder beiseite, da sie zu nichts führten. Man sollte Vergangenen nicht derartig nachtrauern.
Ich nenne ihn auch deshalb einen Freund, weil er außer mir niemanden in dieser Stadt zu haben schien. All das hätte mich nicht so sonderbar berührt, wenn ich an seinem Grab noch weitere Zwerge bemerkt hätte. Ich kam mir allein und verlassen auf seiner Beisetzung vor und harrte sogar noch zwei weitere Stunden in der Kälte auf dem Friedhof aus, aber es kam niemand, der sich vielleicht nur in der Stunde geirrt hatte. Niemand war anwesend, der etwas Erde und Staub über sein Grab streute und niemand, der ihm eine Münze mit auf seine Reise gegeben hatte. Niemand außer mir! Ich denke, dass ist der Hauptgrund warum ich ihn als meinen Freund betrachte, als einen engen Freund. Weil er sonst niemand außer mir gehabt zu haben schien!
Diese Ereignisse lagen nun schon fast zwei Wochen zurück und ich hatte mir seitdem vorgenommen etwas mehr über meinen Freund herauszufinden, der mir im Großen und Ganzen doch immer noch ein Fremder beblieben ist. Ein lieber netter Zwerg über den ich trotz meiner zahlreichen Besuche nur wenig Persönliches wusste.
Ich hatte mich an jenen Morgen bei Rogi abgemeldet, die mich mit einem kurzen Nicken für diesen Tag freistellte. Ich fragte mich kurz, ob es meiner derzeitigen Vorgesetzten ähnlich wie mir ging und sie anhand dieses schönen Wetters einen ähnlichen Tatendrang verspürte oder ob sie einfach nur froh gewesen war, ihre Ruhe zu haben. Aber auch das war mir heute im Grunde egal.
Ich schlug jenen, mir inzwischen vertrauten, Weg zum Haus meines Freundes ein, der mich durch zahlreiche kleine lebhafte Gassen, gesäumt mit Händlern und winzigen Geschäften, führte. Durch kleinere bunte und quirlige Menschenmengen, die wie kleine Trauben an und vor den Ständen der Händler zu hängen schienen.
Das Haus, wenn ich es so nennen konnte, erschien mir von außen nicht anders, als ich es zuletzt in Erinnerung gehabt hatte. Ein wenig auffälliges kleines Haus mit einer verkommenen Fassade. Aus meiner Erfahrung stand der gesamte bauliche Zustand dieser Baracke dem äußeren Eindruck in nichts nach. Ein Gebäude unter tausenden der einfachen und mittleren Schichten dieser Stadt.
Auf den morschen hölzernen Stiegen, die unter meinen Stiefeln verdächtig knirschten hielt ich kurz inne, als mir die zerborstene Fensterscheibe gleich rechts neben der Tür auffiel. Ich versuchte durch das kaputte Fenster nach innen zu schauen, scheiterte allerdings daran, dass ich nicht groß genug gewachsen war. Verdammt! Innerlich beneidete ich in diesem Moment meine Kollegen die aufgrund ihrer Spezies meistens größer waren als ich. Alles hatte seine Vor- und Nachteile im Leben.
Meines Wissens hatte mein Freund zu seinen Lebzeiten keinen Erben bestimmt und nichts zieht Diebe mehr an, als ein Haus ohne Bewohner, welche sie bei ihrer Arbeit stören könnten. Ich legte entspannt die Hand auf den Griff meiner Axt und versuchte mit der anderen die Tür zu öffnen, welche auch nach einigem Druck mit einen jähen Ächzen ruckartig nachgab. Vorsichtig schlüpfte ich hinein, ohne die Tür ganz auf zu drücken.
Drinnen empfing mich dieselbe muffige staubige Luft, welche ich von meinen Besuchen in Erinnerung hatte. Man konnte das Alter meines Freundes, der Einrichtung und des Hauses förmlich einatmen. Neben dem muffigen alten Geruch empfing mich hinter der Tür nur graue triste Dunkelheit. Nur wenig Licht drang durch das kleine zerbrochene Fenster in den schmalen Raum, der sich im Dunkel eines Treppenaufgangs verlor. Erst langsam gewöhnten sich meine Augen an die matte graue Düsternis und dementsprechend langsam wurde mir klar, dass tatsächlich schon jemand vor mir hier gewesen sein musste. Ich blieb kurz stehen und lauschte. Das Haus schien verlassen, es war still und ruhig, sodass ich meinen eigenen Atem vernehmen konnte.
Direkt vor mir hinter der Tür lag ein Stuhl auf dem Boden und die Schubladen einer kleinen Kommode im hinteren Teil des Raumes waren herausgerissen und ihr Inhalt über den gesamten Flur zerstreut. Offensichtlich waren mir Diebe zuvorgekommen und hatten das Haus meines verstorbenen Freundes nach Wertvollem durchsucht, wobei sie zweifellos erfolglos blieben, denn soweit ich wusste war mein Freund verschuldet und stets knapp bei Kasse.
Ich bückte mich und hob einige der Blätter und Pergamente, welche die Schubladen einst enthalten hatten, auf. Sie enthielten Notizen meines Freundes, die mir belanglos und unwichtig erschienen. Altes Pergamentgekritzel, welches vermutlich noch aus der Zeit stammte, bevor er nach Ankh-Morpork gekommen war. Später würde ich all das hier durchschauen, das alte vergilbte Papier mit den brüchigen Rändern. Nachdem ich sie oberflächlich durchgeblättert hatte, legte ich die Dokumente und Zettel auf den Stuhl, den ich wieder an seinen alten Platz gestellt hatte zurück.
Vorsichtig schritt ich weiter in den dunklen Flur, an dessen mattes und trübes Licht sich meine Augen mittlerweile gewöhnt hatten. Links führte eine schmale alte Treppe, fast schon eine Leiter, auf den Dachboden des kleinen Hauses, welcher meinem Freund als Schlafraum gedient hatte. Ein mattes Licht drang von oben her, die Treppe herunter und den Boden vor meinen Füßen. Ich wusste aus meinem Besuchen, dass er sehr sparsam und spartanisch lebte. Viele Möbel hatte er sich nie zugelegt und sie waren in seinen - wie auch in meinen - Augen auch nicht zum Leben eines ordentlichen Zwerges notwendig.
Ich kam an einer kleinen mit einem alten fleckigen Vorhang versehenen Tür an, die rechts neben der kleinen Treppe in einen Raum führte, den mein Freund als Küche genutzt hatte. Ich zog den Vorhang ein wenig beiseite und warf einen flüchtigen Blick hinein. Die Bank und der Tisch, an welchem wir immer gesessen und uns unterhalten hatten, war umgeworfen worden. Einzig sein kleiner Ofen, den er auch als Herd benutzt hatte, stand noch an seinem alten Platz. Der Rest des Inventars - wie Blechteller, Krüge, Pfannen und Gewürze - verteilte sich auf dem Boden. Viele Sachen waren zerbrochen und ich gewann langsam aber immer stärker den Eindruck, als wäre dies hier mehr als ein banaler Einbruch. Jeder einzelne Teller war aus dem Regal geworfen und jede Pfanne untersucht worden.
Während ich mich irritiert in der verwüsteten Küche meines Freundes umsah, versuchte ich zu verstehen, was diejenigen, welche hier eingedrungen waren, gesucht hatten. Einbrüche an sich waren nicht ungewöhnlich. In der Wache krähte kein Hahn mehr, wenn ein Einbruch geschah und solange kein hohes Tier davon betroffen war, kümmerten wir uns mit unseren beschränkten Kapazitäten um wichtigere Dinge. Die ironische Seite daran war, dass es durchaus Gegenden in Ankh-Morpork gab, in denen Einbrüche eher eine Seltenheit darstellten. Dies war leider nicht unserer Arbeit geschuldet, sondern einzig dem Umstand, dass es in jenen Gegenden außer Ärger nichts zu holen gab. Und das Haus meines Freundes war in einer jenen Gegenden der Stadt mit kleinen, alten und eingeschossigen Hütten, in denen Einbrecher kaum etwas finden würden, was sich zu verhehlen lohnte.
Gedankenverloren ließ ich den Küchenvorhang wieder zurück gleiten und stieg langsam und bedächtig die kleine schmale Treppe hinauf. Die Stufen, welche an manchen Stellen morsch und moddrig waren, ächzten unter meinem Gewicht. Am oberen Ende der Treppe gelangte ich durch eine kleine Luke auf den schmalen Dachboden. Ich hatte bei meinen Besuchen immer nur die Küche und den Flur betreten. Der Dachboden blieb sein privates Reich, welches mir bisher vorenthalten war, wobei ich ihn auch niemals danach gefragt hatte.
Gespannt, was mich erwarten würde, stecke ich meinen Kopf vorsichtig durch die kleine Luke und spähte nach links und rechts. Ein wenig enttäuscht wanderte mein Blick von einem Haufen Stroh mit einigen Decken, der als Schlafplatz gedient hatte, über einige in der Ecke liegende Wäschestücke und eine kleine Truhe, deren Inhalt wie alles andere auch durchwühlt auf dem Holzboden ausgebreitet lag. Ich weiß nicht was ich erwartet hatte, aber ich war mit der Intention hierher gekommen, mehr über meinen Freund herauszufinden. Alles was ich hier sah, war ein spärlich eingerichtetes winziges Haus, dessen weniges Inventar von Unbekannten rücksichtslos durchsucht und geplündert worden war. Vielleicht konnte ich in den Papieren und Dokumenten die die Diebe zurückgelassen hatten, etwas über meinen verstorbenen Freund herausfinden, was ich noch nicht wusste. Ich sammelte die alten Pergamente und Zeitungsfetzen zusammen, die vor der Truhe zerstreut worden waren. Auf vielen der Zeitungsseiten, hatte mein Freund Notizen gemacht und Zeilen unterstrichen, ich maß ihnen aber in diesem Moment keine besondere Bedeutung bei. Die Traurigkeit und die Enttäuschung hatten sich meiner Seele bemächtigt und entmutigt packte ich die wenigen persönlichen Dinge, die er hinterlassen hatte in meine Tasche.
Ich wollte wieder hinaus in die Sonne und verspürte den Drang, diese bedrückenden Räume meines verstorbenen Freundes zu verlassen und niemals hierher zurück zukehren. Als ich mich umdrehte und zur Treppe, welche nach unten führte wandte, fiel mein Blick auf etwas, was Trotz meiner Gemütslage meine Aufmerksamkeit fesselte. Neben seinem Bett lag auf dem Boden ein Bilderrahmen. Ich ging neben dem alten Rahmen in die Hocke und betrachtete verwundert das Bild, welches sich mir präsentierte.
Ich blickte auf eine angestaubte und etwas verbleichte Zeichnung unseres Kommandeurs. Obwohl das Bild nur die Konturen seines Profils fast in einer Art Konzeptzeichnung darstellte, identifizierte die markante Nase, die Zähne und hohe Stirn die dargestellte Person zweifelsfrei als Rascaal Ohnedurst. Letztendlich der Name unseres Kommandeurs, welcher vom Zeichner in die linke untere Ecke des Bildes geschrieben wurde, räumten jeden Zweifel aus. Fasziniert betrachtete ich das Bild und fragte mich, wie alt diese Zeichnung schon war.
Ähnliche Bilder hingen in den Wachstuben, so dass das Konterfei des alten Knollenfressers schon den Rekruten bekannt war. Auch ich kannte ihn mehr von den verschiedenen Bildern in unseren Wachstuben, als persönlich. Man sagte, der Vampir sei eine schwierige und einsame Person und die meisten Wächter vermieden den Kontakt mit ihm.
Immer noch fasziniert nahm ich die Zeichnung aus dem zerbrochenen Rahmen, rollte sie zusammen und verstaute sie mit den anderen Sachen meines Freundes in meiner Tasche. Die wildesten Gedanken und Fragen schossen mir durch den Kopf, wie ich Minuten später wieder auf die Straße vor dem Haus trat und mich auf den Rückweg zur Kröselstraße machte.
Mein verstorbener Freund hatte nie etwas mit der Wache zu schaffen gehabt und die einzige Verbindung dazu war ich. Meine Gedanken kreisten um die Frage, wieso mein Freund eine Zeichnung unseres Kommandeurs in seiner Bettkammer aufgehängt hatte. Meine Neugier seiner Vergangenheit war erneut geweckt worden, mit einer ganz neuen frischen Intensität.



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