Eine Vorladung zu IA, und das am frühen Morgen. Und dann geht es auch noch um einen verschwundenen Kollegen. Kein Wunder, dass Romulus nicht gerade vor Freude überwältigt ist.
Für diese Mission wurde keine Note vergeben.
Mit dem mulmigen Gefühl, das einen immer dann heimsucht, wenn man sich vor der Tür des Kommandeurs und derzeit einzigen IA-Agenten der Stadtwache, Rascaal Ohnedurst, befand, in der nicht gerade freudigen Erwartung, das hinter ihr liegende Büro zu betreten, stand Romulus von Grauhaar vor der Tür des Kommandeurs und derzeit einzigen IA-Agenten der Stadtwache, Rascaal Ohnedurst, in der nicht gerade freudigen Erwartung, das hinter ihr liegende Büro zu betreten. In der Hand hielt der RUM-Abteilungsleiter eine Vorladung zu einer Vernehmung. Romulus wusste zwar, um was es ging, aber nichtsdestotrotz hatte er schon vor dem ersten Blickkontakt mit dem Vampir dieses Gefühl, dass es insgeheim doch mit einem Dienstvergehen seiner Person zu tun haben könnte
[1].
Bevor er an die Tür klopfte, überflog der Feldwebel noch einmal die Vorladung. Es ging um das unerlaubte Fernbleiben vom Dienst seines Abteilungsmitglieds Chief-Korporal Nemod, dessen Abwesenheit nun schon eine lange Zeit andauerte. Eigentlich schon so lange, dass sich Romulus nicht mal mehr über die genauen Umstände im Klaren war. Damals war er noch lange kein Abteilungsleiter gewesen, sondern noch ein ganz normaler Ermittler, der gerade von seiner Abordnung als Ausbilder bei GRUND zurückkam. Die damalige Abteilungsleiterin Irina Lanfear hatte er schon seit fast ebenso langer Zeit wie Dragor nicht mehr gesehen, so dass er sich von dieser Seite auch keine neuen Informationen erhoffen konnte.
Nun, eigentlich war er ja selbst Schuld, dass er nun hier stand. Bei der Akten-Kontrolle, die er zum Jahresanfang durchführen musste, war in den Bergen von Papierkram auf seinem Schreibtisch ein Vermerk über die Karteileiche Nemod zu Tage getreten, geschrieben von Kanndra, die irgendwann zwischen Rina und Romulus den Abteilungsleiterposten innehatte. Und als der dienstbeflissene und gesetzestreue Wächter, der er nun mal war, hatte Romulus den Dienstvorschriften entsprechend das unerlaubte Fernbleiben an Intörnal Affärs gemeldet.
Der Werwolf gähnte, denn es war noch recht früh am Morgen, und sein Nachbar hatte die Nacht über wieder mal ununterbrochen neue Musik-mit-Steinen-drin geübt. Der Feldwebel holte noch einmal tief Luft, dann klopfte er an die Tür des Kommandeursbüros.
"Herein, wenn's kein Schnapper ist!" ertönte von drinnen eine vertraute Stimme.
Rascaals Laune schien heute ganz gut zu sein. Doch der Schein konnte trügen. Besonders dann, wenn der Schein schwarz gekleidet war und nach Rote Bete roch.
Romulus öffnete die Pforte, trat ein und salutierte zackig.
"Melde mich wie befohlen, Sör!"
"Befohlen? Wer hat dir denn was befohlen?"
"Nun, du hast mir diese Rohrpost geschickt."
Romulus wedelte mit der Vorladung.
"Ah, richtig. Ich erinnere mich. Der Fall Nemod. Kaffee?"
"Ja, bitte."
Romulus stellte mit einem unterdrückten Lächeln fest, dass der Kommandeur erstens diesmal keinen Knollensaft in die Tasse träufelte, weil er wahrscheinlich genau wusste, dass der Abteilungsleiter den Kaffee trotzdem ohne eine Mine zu verziehen getrunken hätte
[2], und zweitens dass die Akte von Dragor bereits griffbereit auf dem Schreibtisch des IA-Stammagenten lag, dieser sich also trotz des Vorspielens von Unwissenheit bestens auf die Zeugenaussage des Feldwebels vorbereitet hatte.
"Du entschuldigst mich? Ich habe noch nicht gefrühstückt."
Der Vampir zog eine intelligente Rote-Bete-Knolle hervor und biss herzhaft hinein. Ein saugendes Geräusch erklang, das eine frappierende Ähnlichkeit mit dem Geräusch hatte, welches entsteht, wenn man mit einem Strohhalm den letzten Rest eines Cocktails aus dem Glas schlürft. Ein erdiger Geruch erfüllte die Luft. Romulus wartete ab, bis der Kommandeur sein Frühstück beendet hatte, und seine erste Frage stellen würde. Nach dem er seinen Besucher lange genug hatte zappeln lassen, ergriff Rascaal dann auch das Wort.
"Nun, wie lange sagtest du, ist Chief-Korporal Nemod nun verschwunden?"
"Wie es scheint ist er seit über zweieinhalb Jahren nicht zum Dienst erschienen", mutmaßte Romulus.
"Und niemand hat es seitdem für nötig befunden, ihn zu suchen, oder zumindest, sein Fernbleiben zu melden?" fragte Ohnedurst mit ruhiger, vorwurfsvoller Stimme.
"Nein", antwortete der Werwolf wahrheitsgemäß. "Und da ich von der damaligen Abteilungsleiterin keine Informationen mehr erhalten kann, und die entsprechende Notiz in den Akten erst gerade aufgetaucht ist..."
"Willst du damit sagen, dass in deiner Abteilung Akten erst zweieinhalb Jahre später bearbeitet werden?"
Romulus lief es eiskalt den Rücken hinunter - wie konnte er sich aus dieser Situation befreien? Er hatte sich selbst IA ans Messer geliefert, ohne wirklich an der Tatsache Schuld zu sein, dass seine Vorgänger wahrscheinlich deutlich wichtigeres zu tun hatten, als einen offensichtlich fahnenflüchtigen Wächter ans Messer zu liefern. Aber irgendjemand musste ja auch die Drecksarbeit tun.
"Ich kann es mir nicht erklären, jedenfalls tauchte die Notiz bezüglich Nemod in den Unterlagen meiner Vorgänger im Amt auf."
Puh, gerade noch mal so die Kurve gekriegt, ohne jemanden direkt zu belasten.
"Also hier lese ich", Rascaal schlug die Akte an einer mit einem knollenförmigen Lesezeichen gekennzeichneten Stelle auf, "dass der Chief-Korporal kurz vor seinem Verschwinden vorzeitig wegen Ineffizienz von seiner Ausbilder-Abordnung bei GRUND frühzeitig entlassen wurde. Ist er in einem Einsatz als Verdeckter Ermittler verschwunden?"
"Derartiges ist mir nicht bekannt."
Der Vampir stand auf, stützte sich mit den Händen auf die Tischplatte, und blickte Romulus aus nur wenigen Zentimetern Abstand mit durchdringendem Blick in die Augen.
"Jetzt mal deine ganz persönliche Einschätzung, Romulus: Hat Nemods Fernbleiben deiner Meinung nach etwas mit seiner Frau, dieser Lena zu tun? Oder mit seiner ständigen Amnesie?"
Romulus dachte einen Moment nach.
"Auszuschließen ist es nicht. In ihrer gemeinsamen Wohnung haben wir niemanden angetroffen, und die Nachbarn behaupten, seit über zwei Jahren dort niemanden mehr gesehen zu haben."
"Nun denn", der Kommandeur setzte sich wieder. "Wenn du mir keine anderen Informationen geben kannst, als die, die sowieso aus den Akten ersichtlich sind, dann kannst du gehen."
"Jawohl Sör!"
"Und wegen der verspäteten Bearbeitung von Akten sprechen wir uns noch."
Der Abteilungsleiter schluckte.
"Jawohl, Sör."
"Also, damit meine ich, falls das ganze noch einmal vorkommt."
Romulus glaubte fast, für einen Bruchteil einer Sekunde einen verschmitzten Blick im Gesicht des Vampirs gesehen zu haben. Aber bestimmt hatte er sich dabei getäuscht. Er trank seinen Kaffee aus, stand auf, salutierte ordnungsgemäß mit einem steifen "Melde mich ab", öffnete die Tür und verließ das IA-Büro. Erst als er außer Sichtweite der Bürotür war, ließ das unangenehme Gefühl langsam nach. Der Feldwebel zog eine Dose Superbulle hervor und stürzte den süßlichen Inhalt in einem Zug hinunter.
Einige Tage später"Tot?"
"Ja, Sör, beide."
Romulus stand an einem Tatort. Zwei Leichen, die schon seit einigen Wochen das zeitliche gesegnet hatten, lagen in einem Keller unweit einer kürzlich durchsuchten Wächterwohnung. Die zwergische Gerichtsmedizinerin, die der RUM-Abteilungsleiter nur flüchtig und vom Sehen her kannte, bestätigte nur das, was offensichtlich war.
Ein Tatortwächter zog ein kleines, dickes Buch unter der männlichen Leiche hervor, welches der Werwolf schon unzählige Male gesehen hatte. Dragors Buch, mit dem dieser sein löchriges Gedächtnis immer wieder auf den aktuellen Stand gebracht hatte.
Der Feldwebel nahm wortlos das Buch entgegen, und las die aufgeschlagene Seite:
Ich bin auf die Spur meiner Vergangenheit geraten. Nun, da ich weiß, wer ich wirklich bin, und was es mit meiner Lena auf sich hat, muss ich mich entscheiden, ob ich mein altes Leben wieder aufnehmen kann, oder mein falsches, neues Leben fortsetzen werde. Doch ich bin mir sicher, dass ich nicht wieder in meine vergessene Vergangenheit zurück möchte. Morgen muss ich der Wache die Einzelheiten dieses furchtbaren Verbrechens, was damals stattgefunden hatte, mitteilen: Es war im Jahr des übereifrigen Faultiers, als meine damals beste Freundin E...An dieser Stelle endete der Text und ein unschöner, eingetrockneter Blutfleck verunzierte das Papier. Romulus seufzte. Da stand seiner Abteilung wieder mal eine große Menge bevor.
To be continued...[3]
[1] obwohl er sich absolut sicher war, sich nie etwas zuschulden hatte kommen lassen - aber bei Rascaal Ohnedurst als gegenüber fühlte sich einfach jeder schuldig.
[2] Der Geschmack des Saftes ist zwar widerlich, aber wach macht der Kaffee trotzdem, und das ist die Hauptsache. Auch Superbulle schmeckt widerlich, und trotzdem hatte Romulus immer einen kleinen Vorrat
[4] davon in seinem Schrank.
[3] oder auch nicht
[4] andere würden die Menge wahrscheinlich als "halbe Wagenladung" bezeichnen
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