Kommandeur Ohnedurst bekommt es mit einem gefährlichen und zu allem entschlossenen Gegner zu tun
Für diese Mission wurde keine Note vergeben.
Unbändiger Hass brodelte in ihr. Ein Hass, der so groß und abgrundtief war, dass man mit ihm alles erreichen konnte. Ein Hass, der vor nichts Halt machen würde, um sein Ziel zu erreichen. Und dieses Ziel lautete: Rache.
Sie war die letzte ihrer Sippe, und sie hatte es miterlebt, wie der
Sauger ihre Geschwister, ihre Mutterknolle und die Mutterknolle ihrer Mutterknolle ermordet hatte
[1]Lange hatten sie dieses Leid, welches regelmäßig über sie kam und tausende von Witwen und Waisen zurück ließ, als gottgegeben hingenommen, doch diese Knolle hatte genug. Die Todesgerüche vieler ihrer Verwandten waren ihr noch frisch im Gedächtnis, und sie hatte geschworen, nicht eher zu ruhen, als bis sie diese Geißel der Knollenheit zur Strecke gebracht hatte. Und heute war es soweit.
Sie wusste schon lange, dass sie etwas besonderes war: Sie hatte das
Wissen. Das
Wissen waren keine Worte, sondern Bilder - Bilder, die ihr eine Welt jenseits ihrer Wahrnehmung zeigten. Es strömte durch einen schmalen Schlitz in der Mauer, genau an der Stelle, an die das Schicksal sie als Samenkapsel geweht hatte. Während sie dort gewachsen war und langsam von einem Spross zu einer roten Knolle wurde, strömte es in sie hinein, und sie sog es begierig auf. Sie lernte, dass dieses
Wissen aus einer
Bibliothek kam, und dass dort
magische Bücher standen. Sie lernte, dass diese
Bibliothek von einer
Isolierung umgeben war, die genau dies verhindern sollte - und sie folgerte daraus, dass die
Isolierung ein
Loch haben musste, dort, wo sie wuchs. All diese Konzepte, die ihr vorher so fremd waren wie einem Regenwurm die Quantenmechanik, füllten ihr Bewusstsein aus und ergaben einen Sinn.
Das war der Moment, wo sie merkte, dass sie zu etwas Höherem berufen war. Sie war auserwählt
[2] - nur wusste sie noch nicht, wofür.
Das kam später, nachdem sie ausgewachsen war und sich entwurzelt hatte. Zusammen mit ihren Geschwistern und ihrer Mutterknolle, die das
Wissen nicht hatten (sie hatte sie später zu der Stelle gelotst, an der sie selbst ihr
Wissen empfangen hatte, jedoch hatte es auf ihre Geschwister keinen Effekt - sie vermutete, dass dies daran lag, dass nur sie von frühester Kindheit ein diesem Einfluss ausgesetzt gewesen war), genoss sie es, nachts durch die verlassenen Gassen zu rollen, sich in halb kompostierte Küchenabfälle zu wühlen und die Nährstoffe aufzusaugen.
Doch eines Tages geschah etwas, was ihr Leben verändern sollte. Zusammen mit einer Schwesterknolle rollte sie eine Gasse entlang, als sie einen Geruch wahrnahmen, der sie tief in ihrem Inneren ansprach, und den sie nie zuvor gerochen hatten. Um diesen äußerst verlockenden Geruch herum roch man Spuren von anderen Dingen
[3], und auf einmal meldete sich das
Wissen. Sie wollte einen Alarmgeruch ausstoßen, doch es war zu spät: Ihre Schwesternknolle war in den betörenden Duft hereingesprungen und hatte begonnen, sich hineinzurütteln, als auf einmal qualvoller Todesgestank sie umhüllte. Die Knolle zuckte und wandte sich, doch ohne Erfolg. Die
wissende Knolle roch, wie ihre Schwester ihre Säfte verlor und starb.
Es war eine Falle. Eine gemeine, hinterhältige Falle, aufgestellt mit Sicherheit von einer der Kreaturen, über die sie das
Wissen hatte. Sie wusste über Jagd und Fallen Bescheid, und so versteckte sie sich in einer Ecke und wartete. Ihre Mutterknolle hatte ihr etwas über eine böse, stinkende, knollenfressende Kreatur beigebracht, aber sie hatte nie diese Fallen erwähnt. Keine Knolle vor ihr hatte je gewusst, was "Fallen" sind, und keine hatte je eine Verbindung zwischen dem betörenden Erdgeruch und der Kreatur herstellen können. Alles, was bekannt war, war, dass diese Kreatur Knollen fing und sie irgendwie absorbierte, so dass deren Geruch auf sie überging (die Knolle vermutete inzwischen, dass ihre Geschwister dieser Kreatur als
Nahrung dienten).
Eine Stunde lang blieb sie in ihrem Versteck, bis sie zum ersten Mal selbst den "Sauger" roch. Er näherte sich der Falle, nahm ihre Schwester und verschwand mit ihr. Die Theorie der Knolle, dass diese Fallen von dem Sauger stammten, hatte sich bewahrheitet. Sie überlegte kurz, ob sie ihm folgen sollte, aber er würde sie wahrscheinlich riechen.
Deshalb prägte sie sich seinen Geruch und den der Falle ein und verschwand in der Dunkelheit. Schon immer hatte sie gewusst, dass sie auserwählt war - und jetzt wusste sie auch, wozu.
Sie würde den Sauger töten.
So begann ihre Vorbereitungszeit. Tagsüber durchforstete sie, eingewurzelt am Ort des
Wissens, diese Quelle an Informationen nach Hinweisen, die ihr helfen konnten, und nachts folgte sie dem Sauger (nachdem sie sich vorher in einem Komposthaufen gerollt hatte, um ihren Geruch zu verbergen), um mehr über seine Gewohnheiten zu lernen. Dabei musste sie mit ansehen, wie Freunde, Bekannte und Verwandte - darunter all ihre Geschwister - nach und nach von den Fallen erwischt wurden. Sie hatte versucht, die anderen zu warnen, aber ihrer Geruchssprache fehlten die Wörter, die sie dafür gebraucht hätte. So war sie hilflos, und ein ums andere Mal vernahm sie den Todesgestank von Knollen, die sie lieb gewonnen hatte. Je mehr Zeit verstrich, um so fester jedoch wurde ihr Glaube, dass es ihre Bestimmung war, dem ein Ende zu bereiten. Sie lernte, mit Hilfe des
Wissens und ihrer Beobachtungen, dass der Sauger ein
Vampir war. Und sie lernte auch, dass es viele Wege gab, Vampire zu töten.
Ihr
Wissen führte sie zu einem Tempel, und sie gewöhnte es sich an, jede Nacht einmal hineinzurollen und kurz in einer dort stehenden Schale mit Weihwasser zu wurzeln und dieses Wasser so in sich aufzunehmen. Wenn alle anderen Pläne versagten, würde sie sich fangen lassen und eines Märtyrertodes sterben, um den Sauger zu vernichten.
Sie verfolgte, getarnt durch den Kompostgeruch, den Vampir, und fand heraus, von wo er kam. Und eines Nachts wagte sie sich, zu einem Zeitpunkt, zu dem sie wusste, dass das Monster wieder einmal auf einem Raubzug war, in die Höhle des Löwen.
Sie wusste, dass der Sauger an einem Ort lebte, der "Wachhaus" genannt wurde, auch wenn sie nur sehr unscharfe Vorstellungen davon hatte, was das war. Was sie wusste, war, dass dies der Ort war, wo sie ihre Mission erfüllen würde.
Es ist unmöglich, einem menschlichen Leser die Sinneswahrnehmung einer intelligenten Rote-Bete-Knolle zu erklären. Der Geruch spielt dabei eine große Rolle, aber viel wird auch über Wärmeunterschiede und auch über noch schwerer Eindrücke wahrgenommen. So sah der Vorraum des Wachhauses für die Knolle, als sie vorsichtig über die Türschwelle rollte, anders aus, als er - nur um ein völlig willkürliches Beispiel zu nennen - für Frau Willichnicht, die gerade wie jeden Tag um diese Zeit auf den hilflosen Gefreiten einredete, der das Pech gehabt hatte, bei der Auslosung der "Willnicht-Schicht", wie sie auch genannt wurde, den Kürzeren gezogen zu haben.
Die Geräusche, die die dicke Kreatur von sich gab, bedeuteten der Knolle nichts. Sie roch die Präsenz des Saugers. Irgendwo hier lebte er - irgendwo über ihr.
Über ihr... das war ungünstig. Wenn sie sich viel Mühe gab, konnte sie kurze Strecken bergauf rollen, aber mit dem, was, wie ihr ihr
Wissen verraten hatte, den Namen "Treppe" trug, hatte sie ein Problem. Aber nur dort, wo der Sauger wohnte, konnte sie ihren genialen, über Monate gereiften Plan in die Tat umsetzen.
Sie rollte zum Treppenabsatz, blieb dort liegen und dachte nach. Es musste einen Weg geben. Es musste einfach. Der Große Gärtner
[4] hätte ihr nicht das
Wissen gegeben, um sie jetzt scheitern zu lassen.
Mit ihrer olfaktorischen Wahrnehmung "sah" sie sich um, und dann fielen ihr die Gänge auf. Sie schienen sich durch das ganze Gebäude zu ziehen, und hatten einen fettig-schmierigen Geruch. Und... ja, auch die Unterkunft des Saugers schien man durch sie erreichen zu können. Sie waren eng, aber weit genug für sie - und wo sie bergauf führten, hatten sie keine Treppen, sondern Schrägen. Ja, so konnte sie es schaffen.
Die meisten Eingänge zum Rohrpostsystem lagen für die Knolle in unerreichbarer Höhe, doch nachdem sie suchend an ein paar offen stehenden Bürotüren vorbei gerollt war, fand sie eines, in dem eine Gnomenleiter so am Schreibtisch lehnte, dass sie sich unter Aufbietung all ihrer Kräfte daran hoch arbeiten konnte. Sie brauchte einige Zeit, um wieder Kraft zu schöpfen, und rollte dann selbstsicher in das Röhrensystem hinein.
Ihr Geruchssinn zeigte ihr, wie dieses Gängesystem aufgebaut war, und zielstrebig arbeitete sie sich in Richtung des Übergangs zum ersten Stockwerk vor. Es war ein wenig eng für sie (sie war eine recht große Knolle, da sie immer Wert auf eine gesunde Ernährung gelegt hatte), aber die Wände waren gut geschmiert, und so kam sie ohne Probleme voran.
Oh ja, ihr Plan war narrensicher. Sie hatte alle Eventualitäten durchgeplant und wusste vielleicht sogar mehr über Vampire als der Sauger selbst. Er würde keine Chance haben, ihrer Falle zu entkommen, und ihre Familie würde endlich gerächt werden...
Wenn die Knolle hätte sprechen können, hätten sich einige Wächter jetzt über ein Geräusch in der Wand gewundert, das nach "Muahahahahahaha!!!!!" geklungen hätte.
Rascaal Ohnedurst saß im Morgengrauen an seinem Schreibtisch und blätterte gelangweilt durch ein paar Akten. Es war langweilige, alltägliche Kommandeurs-Arbeit, aber irgendjemand musste sie ja erledigen.
So vertieft war er in die Zettel vor sich, dass er das leise Poltern im Röhrensystem hinter sich nicht hörte. Und auch den leichten, aber unverkennbaren Rote-Bete-Geruch, der kurz darauf durch sein Büro wehte, nahm er nicht wahr. Erst als etwas das die Röhre verließ und mit einem Satz auf dem Papierstapel darunter landete, wandte er sich um.
"Harry! Was ist denn passiert? Soll ich Rogi - nein, Moment, das ist doch kein Blut...?" Der Vampir schnüffelte.
Harry wischte sich das Gesicht mit dem Ärmel seiner Uniform ab - ohne sichtbares Ergebnis, da diese leider genau so nass und rot wie der Rest des Gnoms war.
"Nein", entgegnete er. "Aber ich habe das Verstopfungsproblem behoben. Im ersten Stock steckte eine ziemlich fette Rote-Bete-Knolle im Rohr fest." Er deutete auf sein rot glänzendes Schwert. "Keine Ahnung, wie lange sie da schon fest hing, aber ich habe den Weg jedenfalls wieder frei gemacht, die Post sollte jetzt wieder funktionieren."
"Eine Rote-Bete-Knolle?" Rascaal schüttelte den Kopf. "Was haben diese Dämonen sich da schon wieder bei gedacht... na gut, danke, Harry."
Der Gnom salutierte und sprang auf den Fußboden. "Kein Problem, Chef. Bei solchen technischen Problemchen helfe ich doch immer gerne. Aber jetzt" - er deutete auf die Mischung aus Würstchenfett und Rote-Bete-Saft, die seine Uniform tränkte - "brauche ich erst mal ein Bad - also, bis dann!" Er salutierte noch mal und huschte dann aus dem Büro.
Rascaal sah ihm schmunzelnd nach. Da die Rohrpostdämonen sich ja weigerten, sich um die Instandhaltung und Reparatur des Röhrensystems zu kümmern, war es schon ganz praktisch, jemanden wie Harry zu haben - er kannte die Technik und den Aufbau des Systems inzwischen fast so gut wie die Dämonen selbst, und wenn es etwas zu reparieren oder Verstopfungen zu beheben gab, war er immer gerne zur Stelle.
Es war schon praktisch, jemanden zu haben, dem diese Drecksarbeit auch noch Spaß machte...
[1] Hier ist eine etwas längere Fußnote angebracht: Die hier dargestellte Spezies kommuniziert ausschließlich über Gerüche. Der Name der Haupt"person" lautet, wörtlich übersetzt, ungefähr "Geruch-wie-von-leicht-angefaulten-Äpfeln-mit-einem-säuerlichen-Beigeschmack", und "Sauger" ist nur ein für Menschen etwas eingängigerer Name für die Kreatur, die eigentlich "Geruch-von-meiner-Mutterknolle-meinen-Geschwistern-und-der-Mutterknolle-meiner-Mutterknolle-und-vielen-anderen-unserer-Art" genannt wird.
[2] In der Bibliothek standen auch einige Bücher über Religion
[3] zur genauen Funktionsweise der Rote-Bete-Fallen siehe Ras' Homepage
[4] Wie gesagt, sie hatte einiges über Religionen erfahren, und sich darauf hin auch ein entsprechendes Weltbild gebastelt
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