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"Wer sich gern erinnert, lebt zweimal" - Franca Magnani
Für diese Mission wurde keine Note vergeben.
*Irgendwo in Gennua, in einem kleinen Häuschen*
"Tante, Tante, da ist ein Brief für dich gekommen!", ein kleiner Junge mit einem verwuschelten, dunklen Lockenkopf raste zur Tür herein und stolperte fast über den schwarzweißen Kater, der sich im Vorzimmer zusammengerollt hatte.
Es gab ein Fauchen und ein empörtes Miau, dann hatte sich der Kater auf den nächstbesten Schrank zurückgezogen.
"Joshua, wie oft hab ich dir schon gesagt, dass du unseren armen Kater nicht so verschrecken sollst!"
"Aber Tante, da ist doch ein Brief für dich!", mit flehendem Blick schaute der kleine Junge auf den etwas zerknitterten, ehemals weißen Umschlag in seiner Hand.
"Er ist von der S-t-a-t-w-a-c-h-äää. Was ist denn eine Statwachä?"
"Stadtwache? Die von Ankh Morpork?", ein Kopf wurde durch die halbgeöffnete Tür gestreckt. Lange, dunkle Haare, die nur nachlässig hochgesteckt waren, umrahmten ein blässlich wirkendes Gesicht mit großen, grünen Augen, die erstaunt schauten.
"Ist auf jeden Fall ein auffälliger Stempel drauf", der Junge musterte das Wappen kritisch.
"Scheint echt zu sein."
Die Frau lachte.
"Du klingst schon fast wie dein Vater. Lern gefälligst was Vernünftiges, das ist besser für dich!"
"Aber wenn ich groß bin, will ich doch im Familienbetrieb mitarbeiten. Wie du und Mama."
Irina Lanfear verdrehte die Augen und seufzte.
"Wenn du groß bist, junger Mann, arbeitest du etwas Vernünftiges. Etwas Anständiges. Haben wir uns verstanden? Das Geschäft von deinem Papa ist nichts für so kleine Naseweise, wie du einer bist. Darf ich jetzt bitte den Brief haben?"
"Ja Tante", für einen Moment blickte der kleine Junge betreten, bevor seine Augen wieder leuchteten.
"Darf ich mit den Sumpfdrachen spielen gehen? Bitteeee!"
"Na wenns sein muss. Geh schon raus in den Garten, ich muss weiterkochen."
Irina Lanfear wartete, bis der Junge in den Garten gestürmt war, drehte den Brief kritisch in der Hand und setze sich dann zum Küchentisch. Was die Stadtwache wohl von ihr wollte? Gut, sie war damals in einer Nacht- und Nebelaktion aus Ankh Morpork abgereist und hatte später nur einen Brief geschickt, indem sie erklärte, dass sie wichtige familiäre Dinge in Gennua auf unbestimmte Zeit festhielten. Dass sie daraufhin die Kündigung erhalten hatte, war nur zu klar. Die Wache fing nun mal nichts mit einem Mitarbeiter an, der nicht zum Dienst erschien, auch wenn es ein Oberleutnant war. Es hatte ihr leid getan, ihre Freunde zurückzulassen, aber die Familie ging nun mal vor und Onkel Thaddäus hatte zu der Zeit viel Ärger am Hals gehabt. Aber warum schrieben sie ausgerechnet jetzt, fast zwei Jahre nach ihrem offiziellen Austritt?
Neugierig öffnete die ehemalige Wächterin das Kuvert und entfaltete den Brief. Sofort stach ihr die kleine, saubere Handschrift ins Auge. Das war weder ein Brief von Ras noch von Humph. Sie kannte die Handschrift beider Männer und diese hier war viel weiblicher. Welche Wächterin schrieb ihr denn einen Brief?
"Sehr geehrte Mäm, liebe Irina!
Wie du vielleicht gehört hast, wird unser lieber Kommandeur, Rascaal, in den verdienten Ruhestand treten. Wir würden ihm gerne als Abschiedsgeschenk Erinnerungen von allen Wächtern schenken, mit denen er zu tun hatte. Falls du etwas dazu beitragen möchtest, schicke deine Erinnerungen an den Laden für Hexenbedarf in der Kinkerlitzchengasse. Wir würden uns über deinen Beitrag freuen.
Viele liebe Grüße
Fähnrich Kanndra, Abteilungsleitung FROG"
Irina las den Brief zweimal durch. Ras ging in Ruhestand? RAS? Sie hatte fest darauf gewettet, dass der alte Knollensauger das Amt des Kommandeurs behielt, bis er eines Tages selbst zu einer diese widerlichen Knollen geworden war.
Nachdenklich wusch sich die ehemalige Wächterin die Hände und ging zu dem kleinen Sekretär, der im Wohnzimmer stand.
Sie setzte sich nieder, zog einen Bogen blütenweißes Papier hervor und tauchte ihre rabenschwarze Schreibfeder in das kleine Tintenfässchen.
Lieber Kommandeur Rascaal,
Auch wenn ich es kaum glauben mag, dass du dich wirklich aus dem aktiven Wacheleben zurückziehst, wünsche ich dir alles Gute und Liebe auf deinem weiteren Untotenweg.
Ich erinnere mich an meine erste Begegnung mit dir, als wäre es gestern gewesen. Ich habe damals eine Gardinenpredigt von dir bekommen, weil ich nur mit einem Handtuch bekleidet Humph MeckDwarf zuerst durch das Frauenbadezimmer der Wache und dann durch das restliche Erdgeschoß gejagt habe.
Meine nächste Nichtbegegnung mit dir, über die ich bis heute froh bin, war das Verhör mit Rince bezüglich des Falls Lupos Drachenflug. Ich war so unendlich froh darüber, dass damals Rince die Befragung durchführte. Ihn konnte ich immer schon leicht manipulieren, während ich dich bis heute nicht durchschaut habe. Ich habe eher den Eindruck, du durchschaust mich und das ist eine Eigenschaft an dir, die ich gar nicht mag.
Du hast mir in meiner Zeit bei der Wache sehr geholfen, indem du mir vor Augen geführt hast, dass ich eine gewisse Verantwortung trage, die ich nicht ignorieren darf. Und ich hab von dir gelernt, dass man sich besser immer Mühe gibt, nicht erwischt zu werden, wenn hinter einem der Schatten von Rascaal Ohnedurst aufragt.
Wir hatten unsere guten Momente und unsere schlechten. Deine Aufgabe war es für eine lange Zeit, für das Wohl der Wache zu sorgen, meine für das Wohl der Rekruten. Wir waren uns nicht immer einig, doch ich habe die Zusammenarbeit mit dir sehr genossen. Ich denke, die Wache wird mit deinem Rückzug ein wertvolles Mitglied verlieren.
Ich sende dir im Anhang ein kleines Päckchen, das nur für deine Augen bestimmt ist. Du kannst damit machen, was du willst, auch wenn ich dich darauf hinweisen muss, dass ich in Gennua deswegen nicht belangt werden kann. Sieh es als kleine Erinnerung an mich.
Liebe Grüße und viel Glück bei was immer du auch tust
Irina 'Huuuuumph!' Lanfear
Seufzend setzte Irina die Schreibfeder ab, streute etwas Sand auf den eben geschriebenen Brief und ließ ihn kurz trocknen. Anschließend faltete sie ihn zusammen und steckte ihn in ein Kuvert, auf das sie Rascaals Namen schrieb.
Dann erhob sich die ehemalige Wächterin, ging zu dem gemauerten Kamin hinüber und entfernte einen losen Ziegel. Dahinter kam ein kleiner, unscheinbarer, brauner Karton zum Vorschein. Lächelnd öffnete Irina den Karton und besah sich "ihre" Schätze.
In dem Karton befanden sich:
- eine Feder von einer Paradeuniform der Palastwache
- eine leere Akte auf der in großen Buchstaben "Vertraulich - nur von Kommandeur Rince zu lesen" stand
- eine silberne Kette mit einem Anhänger
- einen kleinen Dolch, auf den Lord Witwenmacher graviert war
- ein vergoldeter Federhalter, auf den das Motto der Diebesgilde geprägt war
- eine kleine, verschrumpelte Rote Beete Knolle
- ein Webel
Noch immer lächelnd trug Irina den Karton zum Sekretär. Aus einer der Schubladen zauberte sie ein breites, weinrotes Band hervor, das sie mehrmals um den Karton schlang. Anschließend verknotete sie beide Enden gründlich und tropfte noch etwas Siegelwachs darauf, um sicherzugehen, dass sich niemand außer Rascaal den Inhalt des Kartons näher ansah. Den dazugehörigen Brief steckte sie unter das Band.
Sinnierend betrachtete sie ihr Werk. Das war also ihr früheres Leben, reduziert auf einen kleinen Karton. Sie hatte ihr Leben bei der Wache genossen. Es hatte Freiheiten geboten, auch wenn die Verpflichtungen immer mehr geworden waren. Mit einem leisen Lächeln erinnerte sich Irina zurück an ihre Anfangszeiten als kleine Rekrutin. Rascaal war immer da gewesen, als großer, drohender Schatten, mit dem man den Neuzugängen drohte, wenn sie Unsinn anstellten. Die Wache würde nicht mehr dieselbe sein, ohne ihn, aber sie hatte gelernt, dass Veränderungen zum Leben gehörten. Sie hatte ja selbst vor zwei Jahren nicht geglaubt, dass sie nun in Gennua leben würde und im "Geschäft" ihres Onkels mitarbeitete.
"Irina?"
Die ehemalige Wächterin schreckte aus ihren Gedanken hoch, blickte sich um und schaute in das Gesicht ihres Onkels. Dieser deutete auf das Päckchen und fragte: "Was ist das denn?"
"Ach..", Irina wurde rot.
"Ach?"
"Ehm ja, Erinnerungen. Mein ehemaliger Kommandeur geht in den Ruhestand und ich dachte mir, ich schick ihm ein paar Erinnerungen an meine Zeit mit ihm."
"Oh, der alte Knollensauger geht in Pension? Das hätt ich ihm gar nicht zugetraut. Bereust du es, dort ausgestiegen zu sein?"
Irina überlegte kurz und wiegte dann nachdenklich den Kopf.
"Manchmal. Auf der anderen Seite hat es mich schon immer gestört, dass man in Ankh Morpork nur genug Geld haben musste, um mit fast jeden Verbrechen durchzukommen. Nicht, dass die Wache bestechlich gewesen wäre, aber du kennst ja das Sprichwort: Wo kein Kläger.."
"Da kein Wächter. Ich weiß." Thaddäus nickte.
"Was machst du eigentlich hier? Gibt's wieder Arbeit?", Irina sah ihren Onkel prüfend an.
"Hat Zeit. Soll ich das Päckchen nach Ankh Morpork mitnehmen? Ich fahr morgen früh mit der Postkutsche los."
Irina strahlte.
"Das wäre prima. Kannst du es bitte im Laden für Hexenbedarf in der Kinkerlitzchengasse abgeben?"
"Kein Problem. Ich hab übrigens vorher deinen Verlobten getroffen. Er meinte, er käme heute ein wenig früher."
"Oh Mist!" Irina lief rot an.
"Ich hab das Essen auf dem Herd vergessen.", prüfend schnupperte sie.
"Könnte noch zu retten sein. Wenn du mich entschuldigst..."
Thaddäus kam nicht einmal mehr dazu, etwas zu entgegnen, so schnell war seine Nichte in der Küche verschwunden.
Stirnrunzelnd betrachtete er das Päckchen, zuckte dann mit den Schultern und nahm es mit. Irina war alt genug, zu wissen, was sie tat. Er kannte sie und ihren Sturkopf schon zu lange, um sich in ihre Angelegenheiten einzumischen. Sie hatte sich damals durchgesetzt, als seine Frau entführt worden war und hatte auch nachher darauf bestanden, mitzuhelfen, die Verantwortlichen dafür an die gennuanischen Wächter auszuliefern. Der Sturkopf war in der Famile Lanfear wohl vor allem bei den Frauen weitervererbt worden.
Irina rührte unterdessen das Essen nochmals um und freute sich schon darauf, später mit ihrem Verlobten Joachim gemeinsam ruhig zu Abend zu Essen. Es war zwar damals ein Kampf mit ihrer Mutter gewesen, als sie zu Hause ausgezogen war, doch sie bereute es keine Minute. Das Haus hier, der Job bei ihrem Onkel, das alles fühlte sich einfach an, als wäre sie endlich zu Hause angekommen.
- Ende-
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