Single für Ras

Bisher hat keiner bewertet.

von Oberleutnant Pismire (SUSI)
Online seit 08. 01. 2008
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 Außerdem kommt vor: Rascaal Ohnedurst

their very dark material
Abschiedssingle für Ras

Für diese Mission wurde keine Note vergeben.

Ödipus und der Weihnachtsras

(Their very dark materials)


"Und das ist dann also die vollständige Akte, Kommandeur." Oberleutnant Pismire überreichte seinem Vorgesetzten eine kleine Mappe mit Papieren.
"Und die hast du - wo - aufgetrieben?"
"Sie war noch in einer der unteren Schubladen im Büro des Abteilungsleiters von SUSI. Ganz weit nach hinten gerutscht."
Rascaal beäugte die Mappe misstrauisch. Langsam schlug er sie auf und begann zu lesen, während er Pismire mit einer fließenden Handbewegung aufforderte, vor ihm Platz zu nehmen.

Der Kommandeur stutzte bei dem letzten Satz.
"Du bist nicht mitgegangen?"
"Nein, denn zum einen schien die Anwesenheit eines Gerichtsmediziners nicht erforderlich zu sein. Und darüber hinaus habe ich auch die Erfahrung gemacht, dass Angehörige beim Auftauchen eines eben solchen leicht - zu leicht - nervös werden. Nach Stabsspieß Ateras Zeilen zu schließen, schien die Mutter schon in bedenklicher Aufregung zu sein. Da: Sie schreibt "hysterisch". Und außerdem war ich mir ziemlich sicher, dass meine beiden Leute die Situation auch ohne mich in den Griff bekommen würden."
Er lehnte sich ein wenig zurück und dachte auch daran, dass die beiden sowieso störrisch gewesen waren, den Fall zu übernehmen ("Wieso? Sind irgendwelche komischen Substanzen oder so was im Spiel, dass ausgerechnet wir da hin sollen?", war die Nachfrage der Gnomin gewesen) und nicht recht verstanden hatten, was SUSI mit diesem Fall zu tun haben sollte.

Rascaal runzelte ein wenig die Stirn und las weiter.

Der Vampir blätterte ein wenig weiter in der Akte und zog einen winzigen Zettel, bedeckt mit einer mikroskopisch kleinen Handschrift, heraus. Der angeheftete Zettel, auf dem erläuternd "Anlage 1: Schriftliche Niederschrift von OG Rattenklein" zu lesen war, war beinahe genau so groß, wie Lady Rattenkleins gesamte Niederschrift.
"Kannst du das lesen?", fragte er den Schamanen.
"Machst du ..." Sein Gegenüber brach ab. Er nahm sich den Zettel, den sein Vorgesetzter ihm über den Tisch zuschob, hielt sich das Ganze ungefähr drei Zentimeter vor die Augen und begann:

Der Kommandeur winkte ab. "Schon gut, schon gut. Ich wollte nur wissen, ob man das überhaupt lesen kann. Ich halte nicht viel davon, jeden unleserlichen Wisch zu den Akten zu stopfen, nur damit es ein möglichst dickes Konvolut wird; wenn er aber lesbar ist, nun ja, dann ...".
Er seufzte und fuhr mit seiner Lektüre fort.

Pismire döste ein wenig im Sessel vor sich hin, als ein Geräusch des Vampirs ihn hochschrecken ließ. Dieser lachte, bis ihm die Tränen in die Augen traten, schnappte prustend nach Luft und pfefferte anschließend mit einem irren Kichern die Akte auf den Tisch.
"Oberleutnant, was war das denn? Deine Leute veranstalten den ganzen Aufriss und kommen nicht einmal auf die Idee nach dem Alter des "Kleinen" zu fragen?"
Der ehemalige Leiter von SUSI zuckte die Achseln. "Ich mache ihnen keinen Vorwurf. Da SEALS schon nicht danach gefragt hatte - was hätte sie auf die Idee bringen sollen, dass das Geplärre von Frau Wilma Puss ihrem 39 Jahre alten Sohn Ödemius, genannt Ödi, galt? Wenn du mal in das Protokoll von Rattenklein schaust - die Mutter gibt an, ihr Sohn sei in seinem Zimmer gewesen und habe mit seiner Eisenbahn gespielt. Seine Kleidung wird wie folgt beschrieben: "Er hatte kurze blaue Hosen an, ein Hemd mit einem bunten Bärchen - das hab ich selbst gestickt - und gelbe Kniestrümpfe." Und da sollen sie sich nicht sicher sein, dass es sich um einen kleinen Buben handelt?"
Pismire fuhr fort: "Aber ich habe allgemein bei Ermittlergruppen häufig die Erfahrung gemacht, dass viele Wächter zu viele Zeugenaussagen nicht gründlich genug hinterfragen. Da wird gelogen, dass sich die Balken biegen, und unsere Leuten nicken gutgläubig mit den Köpfen. Aber was rege ich mich auf." Er brach ab und zuckte mit den Achseln.
"Nun gut - vertauensselige Wächter hin, gutgläubige Ermittler her. Warum - um aller geringen Götter willen - wurde dann überhaupt eine Akte angelegt? Wo doch gar nichts passiert ist?"
"Aber gerade als die Wächter gehen wollte, passierte noch etwas, was die Wächter im Haus festhielt. Schau auf Seite 4 nach: Es beginnt beim zweiten Abschnitt."
Rascaals Augen glitten über die verbleibende halbe Seite, dann blätterte er um. Sein Gesicht verlor - falls das bei einem Vampir überhaupt sein kann - noch ein wenig mehr Farbe.
"Sie haben ihn also gesehen?", murmelte er so leise, dass es kaum zu vernehmen war. Doch da stand schwarz auf weiss:

"Lady Rattenklein hat zur Gnomenarmbrust gegriffen", schmunzelte der Kommandeur mit einem süffisanten Grinsen.
"Ja, mutig ist sie. Und sie hat versucht, den Weihnachtsras aus der Tür zu drängen, was auch nicht geklappt hat. Sie hat ihn auch als "Herr Zipfelmütz" bezeichnet. Und auch Sillybos hat versucht, ihn loszuwerden - wenn auch nicht halb so energisch, wie Lady Rattenklein, vermute ich."
Rascaals Augen hasteten weiter über den Text. "Und dennoch hat er auch den beiden Geschenke gegeben? Lady Rattenklein einen knollengeschnitzten Brustharnisch und Sillybos eine Dienstmarke aus dem gleichen Material?"
"Denoch - oder: trotz allem - wer kennt sich beim Weihnachtsras schon aus!? Aber er scheint eigentlich wegen Ödi Puss dagewesen zu sein. Weiter unten, siehst du? Da steht das."
"Du hast den Bericht - wie es scheint - gründlich gelesen", murmelte Pismires Gegenüber. Seiner Stimme war nicht zu entnehmen, ob das als Lob oder Tadel gemeint war.
"Ja, und nicht nur das, Kommandeur. Ich habe ihn gründlich überdacht. Ich habe nicht alles in den Bericht aufgenommen. Da gab es eine seltsame Beobachtung, die Sillybos gemacht zu haben glaubte: Er konnte fast schwören, dass die Lady den Weihnachtsras zu verwechseln schien. Er hatte kurz den Eindruck, sie würde vor ihm salutieren", merkte Pismire mit einem undurchsichtigen, beinahe zuvorkommend wirkenden Lächeln an.

Um das Thema nicht weiter zu verfolgen, vertiefte sich der Kommandeur wieder in das Geschriebenen. Als er zu der erwähnten Passage kam, nickte er. "Er hatte also auch ein Geschenk für Ödemius Puss dabei? Einen - wie bitte - aus Knollen geschnitzten Bierkrug!?" Er sah fragend zu seinem Oberleutnant. "Ist so etwas überhaupt sinnvoll zu vertreten? Ist das nicht eine barbarische, diabolische Verschwendung, die da mit diesem wertvollen Rohstoff getrieben wird!?", fragte er aufgebracht.
Pismire krauste sein Gesicht zur Nase. "Keine Ahnung. Ich habe das auch nicht für ein wichtiges Detail gehalten. Meiner Ansicht nach handelte es sich eher um ein symbolisches Geschenk, Sör. So nach dem Motto: Du darfst jetzt Bier trinken. Allerdings schien sich die Mutter es nicht zu erkennen", feixte er. "Sie scheint es für einen Limonadebecher gehalten zu haben."
"Besser ist es aber auch", grinste der Vampir. "Könnte dem kleinen Scheiß... Äh, ich meine, der Mann hätte sonst wahrscheinlich noch mehr Ärger bekommen - mit seiner Mutter. Scheint - nach den Unterlagen natürlich - eine sehr seltsame Mutter-Sohn-Beziehung gewesen zu sein."
Pismire stimmte mit einem abwesenden Nicken zu. Ein Verdacht, den er sofort wieder verbannte, keimte in ihm auf. Aber wer bin ich schon, über Dritte zu richten, dachte er sich.
Er beobachtete seinen Kommandeur, während dieser weiter in den Akten las.

"Scheint im Großen und Ganzen recht turbulent zugegangen zu sein, bei diesem Fall,", grinste dieser breit. "Lance-Korporal Sillybos hat also versucht, der Mutter was anzuhängen, um sie zum Nachdenken über ihre verkorkste Mutter-Sohn-Beziehung zu bekommen!? Indem er sie der "umgedrehten Kindesentführung" und der "übertriebenen Vormundschaft über einen mündigen Bürger von Ankh-Morpork" beschuldigte? Das ist zumindest mal originell."
"Und nicht nur das - es ist auch nicht ohne Wahrheit", merkte Pismire an. "Sillybos hatte seit seinem Eintritt in die Wache immer schon ein lebhaftes Intersse auch für das Gebiet der Rechtswissenschaft gezeigt. Typisch für einen Philosophen - das Interesse für Regeln und so. Scheint ähnlich wie das mit dem Wächterdasein zu sein." Und als Rascaal ihn fragend anblickte, erläuterte erweiter: "Philosphen können offenbar nicht wirklich aus ihrer Haut. Es ist eine - nämlich ihre - Art, die Welt zu betrachten und an sie heranzugehen, die sich nicht offensichtlich ablegen läßt. Darin ähneln sie den Wächtern - die sind auch immer im Dienst und betrachten alles unter der Fragestellung, wen man dafür drankriegen kann. Der Lance-Korporal hat sogar versucht, mit Frau Puss über den Unterschied zwischen absoluter und relativer Zeit, beziehungsweise objektiver und subjektiver Zeiterfahrung zu reden. Siehst du, hier:", wobei er die Rüchseite des Blatte im unteren Drittel über den Tisch hinweg hin anstupste.

"Die unterschiedlichen Herangehensweisen bei diesem Fall finde ich bemerkenswert", meinte der Kommandeur. "Während Sillybos versucht, auf der Grundlage der Philososophie mit dieser Frau fertig zu werden ..."
"... folgte Lady Rattenklein ihrem Instinkt. Der sie in die nächstgelegenen Kneipe, den "Trockenen Baum" führte. Dort traf sie nicht nur den vermissten Ödemius Puss an, sondern auch den Vater des Mannes. Dieser war dort vor 38 Jahren versackt und traute sich dementsprechend nicht mehr zu einem angetrauten Wiebe - wie man so sagt. Er hatte sich mittlerweile gegen Kost und Logis eine Stelle als Kellner und Bursch im "Trockenen Baum" besorgt. Ödemius wusste seit fast zwanzig Jahren davon - wie auch seine Mutter, beide wussten nur nicht, dass auch der jeweils andere den Aufenthaltsort des Mannes, respektive Vaters kannte. In regelmäßigen Abständen versuchte Pferdgenannt Puss - er heißt wirklich so, der Priester hat sich bei der Taufe einen Scherz erlaubt - sich den erforderlichen Mut für die Heimkehr anzutrinken und schlief jedes Mal betrunken auf dem Tisch ein, wie auch an diesem Abend. Und als dritten am Tisch fand Lady Rattenklein den unvermeitlichen Weihnachtsras, der die Lösung des Falles für sich zu beanspruchen schien", erläuterte Pismire, während der Kommandeur sich gerade durch den Satz:

kämpfte, der offensichtlich die Niederschrift der verwischten Aussprache des als "Wr" bezeichneten Weihnachtsras versuchte.

"Lady Rattenklein hat sich alle Mühe gegeben, den Mann zur Rückkehr zu seiner Mutter zu bewegen, aber er wollte nicht. Hat sogar den Weihnachtsras und seinen Vater angefleht, ihn zu verstecken. In gewisser Weise hat dann doch der Weihnachtsras ihn zur Heimkehr überreden können. Er hat Herrn Puss Junior von seinem Geschenk, dem neuen Bierkrug, erzählt. Da konnte der nicht mehr an sich halten und ist nach Hause gegangen, zu seiner Mutter. Den Vater hat die Lady vorsichtshalber im "Trockenen Baum" gelassen - er hätte das Ganze nur übermäßig kompliziert. Und der Weihnachtsras ist wohl auch seiner eigenen Wege gegangen - wo immer sie ihn hingeführt haben mögen."
"Im Haus selber ist dieser Ödemius dann auch noch handgreiflich gegenüber den Wächtern geworden!?", grummelte der Kommandeur. "So ein undankbarer Patron!"
"Ja, Rattenklein und Sillybos haben es zwar gut gemeint, mit ihrem Versuch, dem Sohn den Rücken zu stärken, aber bei einer derart lang andauernden Bindung kann man nicht davon ausgehen, dass ein Bierkrug und ein Abend in der Kneipe da großartig was daran ändern. Sillybos und Lady Rattenklein war mittlerweile klar, was sich da abspielte: Eine von ihrem Mann verlassene, somit einsame und überfürsorgliche, im Grunde ihres Wesens recht tyrannische Frau kanalisierte ihr gesamtes Gefühlsleben in ihren Sohn und kann gar nicht akzeptieren, dass dieser erwachsen werden und sich somit abnabeln könnte. Und auch Ödemius Puss war in gewisser Weise mit seinem Leben ganz zufrieden - hin und wieder ein kleiner Ausbruch und dann reumütig zurück zu seiner Mutter - mehr Abenteuer konnte er sich wohl in seinem Leben nicht vorstellen. Denn bei ihm wiederum hielten sich Prägung und Veranlagung die Waage: er hatte sich in seiner Rolle recht gut eingelebt, und er war von Natur aus - wie sein Vater - ein Schlappier. Auch Sillybos Betrachtungen haben bei Wilma Puss nicht wirklich zu einer Verhaltenänderung geführt - nicht mal zu einer veränderten Sichtweise."
"Aber warum rief sie überhaupt die Wache? Ihr war doch sicher klar, dass wir für derartiges nicht wirklich zuständig sind. Ober wenn doch, dann eher in Sillybos Sinn."
Pismire dachte kurz nach, bevor er antwortete. Auch er hatte sich diese Frage häufig gestellt. "Vielleicht war etwas in ihrem Unbewussten, was wollte, das das endet. Es könnte ein - verquerer - Hilfeschrei gewesen sein. Aber: Die Wache kann nicht alle Fälle lösen."
Rascaal las den letzten Satz:

"Das hatte doch eine gewisse Absicht, dass du das Zitat so als Schlusssatz unter der Akte hast stehen lassen, Oberleutnant, nicht wahr?", fragte der Kommandeur mit einem elfenbeinernen Grinsen.
"Ja, er schien so passend zu sein, mein Kommandeur, so überaus passend."
"Nun, passend oder nicht. Ich denke, diese Akte ist abgeschlossen. Und da sie eher mit einzelnen Wächtern als mit irgendetwas anderem zu tun hat, werde ich sie bei den Un-Fällen von IA behalten. Als Charakterstudie."
"Und der neue Kommandeur?"
"Wird sein eigenes System der Aktenablage haben. So wie jeder Mann und jede Frau vor und nach mir auf diesem Posten."
"Du willst sie also nicht als "streng geheim" oder so klassifizieren?", fragte Pismire.
"Oberleutnant, nur Akten, von denen man will, dass jeder sie liest, bekommen den Stempel: "STRENG GEHEIM", lautete das letzte Wort in diesem Fall.



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