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Als kleines Dankeschön für Ras
Für diese Mission wurde keine Note vergeben.
Rumms!
Die Gefreite Ophelia Ziegenberger zuckte bei dem Krachen über ihrem Kopf zusammen und blieb verunsichert mitten im Büro stehen, mit der leeren Tasse in der Hand. Sie blickte reglos zur Decke, als wenn sie jederzeit das Auftauchen eines erbosten Dämons von dort erwarten würde. Doch das Geräusch wiederholte sich nicht und auch sonst geschah nichts.
Was für Räume lagen über RUM 6? Sie hatte soeben erst die wenigen persönlichen Sachen, die sie mitgebracht hatte, in dieses Büro hinübergetragen und als letztes Detail ihre Teetasse an der kleinen Spülschüssel abstellen wollen. Dieser Raum war ihr ebenso neu, wie es der Rest der oberen Wachhausetagen im Grunde war. Natürlich wusste sie, wo die Abteilungsleiterbüros zu finden waren und irgendwo in der Etage über ihrem Kopf lagen auch noch der RUM-Besprechungsraum, der allgemeine Pausenraum und der Bereitschaftsraum der FROGs. Aber das waren eben Orte solcherart, die man gewöhnlich sehr zielstrebig oder aufgrund einer ausdrücklichen Anweisung aufsuchte. Was es dort drum herum geben mochte, darüber hatte die junge Wächterin sich bisher keine Gedanken gemacht.
Sie entspannte sich etwas und legte die restlichen Schritte zurück, um die Tasse umgestülpt auf dem schmalen Seitenschrank abzustellen.
Die Spezialisierungen ihrer neuen Kollegen liefen alle darauf hinaus, dass sie nur selten zugleich im Wachhaus anwesend sein und sich treffen würden. Ansonsten wäre es unmöglich gewesen, in diesem kleinen Büro gleich vier von ihnen unterzubringen. Aber der Raum war bestmöglich für diesen Zweck eingerichtet worden und es war offensichtlich, dass die Kollegen, die ihn derzeit nutzten, auf Ordnung bedacht waren.
Die junge Gefreite sah sich noch einmal um und lächelte zufrieden.
RUMMS!
Sie schrak dermaßen zusammen, dass sie die Tasse sicherlich fallengelassen hätte. Sie hielt sich beide Hände ans wild pochende Herz und starrte mit aufgerissenen Augen zur Decke.
Was konnte das sein? War jemand verletzt oder gab es oben einen weiteren Laborraum, in dem Experimente mit gefährlichen Stoffen durchgeführt wurden? Oder wurde dort, sozusagen im Herzen der Wache, sogar ein Verbrechen begangen?
Es blieb still.
Gewiss wäre es angebracht, nach dem Rechten zu sehen. Ob sie Verbandszeug mitnehmen sollte? Oder doch eher eine Waffe?
Sie atmete tief durch und schalt sich innerlich eine ängstliche Närrin. Was sollte denn schon innerhalb dieser Mauern Verbrecherisches geschehen? Immerhin waren sie alle hier ja darauf bedacht, Verbrechen zu bekämpfen! Wo wäre es also sicherer als hier? Dort oben war vermutlich einfach etwas runter gefallen, vielleicht etwas, das nicht so günstig gestapelt oder hingestellt worden war.
Sie könnte nach dem Rechten sehen gehen und ihre Hilfe anbieten, falls diese benötigt würde.
Sie blieb noch einen kleinen Moment unschlüssig stehen. Dann jedoch siegte ihre Neugier.
Es war schließlich verständlich, wenn jemand nach so lautem Poltern besorgt wäre und kurz nachsehen wollte, ob auch niemandem etwas zugestoßen wäre.
Die kleine rothaarige Frau verließ das neu bezogene RUM-Büro und stieg kurz darauf die Treppe zum zweiten Stockwerk empor. Auf dem Absatz angekommen strich sie wieder ihre Röcke glatt und bog linkerhand in den Flur ab, dessen Räume sich auch über ihrem Büro erstreckten. Dort, wo eine Etage tiefer etwa das Büro RUM 5 lag, begann hier die durchgehende Wand zu einem einzigen Raum. Die Tür zu diesem Raum war verschlossen und das kleine Messingschild daneben war in dem schummerigen Dämmerlicht des Korridors von weitem nicht zu entziffern. Sie trat näher und betrachtete es eingehender im schräg spiegelnden Licht. Dort stand in klar eingravierten Lettern:
Kommandör.
Sollte sie es wirklich wagen und anklopfen? Sie war zwar nun seit Kurzem keine Rekrutin mehr aber die unheimlichen Gerüchte, die ihr während der Ausbildungszeit in der Kröselstraße über Rascaal Ohnedurst zu Ohren gekommen waren, hatten sich nachhaltig in ihrem Hinterkopf festgesetzt.
Ein lebender Untoter, verschlagen, heimtückisch, grausam, wenn nicht sogar tödlich. Ein gestalt gewordener Alptraum. Stammagent von Intörnal Affärs. Gnadenloser Meuchler von Urlaubsanträgen. Er sei an einer tragischen Allergie erkrankt, die ihn atypisch für seine Rasse das Blut meiden und stattdessen Zuflucht zu stinkenden Gewächsen nehmen lasse. Giftmischer und doch zugleich Katzenfreund. Der Schatten, der nächtens das Wachhaus durchstreife auf der Suche nach pflichtvergessenen Wächtern. Und geisteskrank! Es gab besonders hartnäckige Gerüchte über eine Gestalt, in deren Rolle der Kommandör zyklisch zur Zeit des Schneevaterfestes auftauche und die jedem in Reichweite üble Scherze zu spielen bereit sei.
Ophelia nannte eine ausgeprägte Phantasie ihr Eigen und doch hätte sie persönlich nicht einmal die Hälfte dieser haarsträubenden Gerüchte erdacht. So Vieles auf einmal, zu nur einer Person, war mit Sicherheit unrealistisch. Da musste die Vorstellungskraft einiger Rekruten mit ihnen durchgegangen sein. Vor allem bei solchen Geschichten wie der mit dem Dachtanz - wozu hätte solch ein Verhalten schließlich gut sein sollen?
Sie hob die Hand und klopfte zögerlich an. Vielleicht war ihm ja wirklich etwas zugestoßen? Es wäre unverzeihlich gewesen, einen Kollegen im Stich zu lassen, nur weil man sich vor Ammenmärchen fürchtete!
"Herein!"
Die zierliche Rekrutin öffnete die Tür und trat in den lang gezogenen, nur spärlich beleuchteten Raum ein.
"Sör..."
Der bleiche Mann schien bisher auf und ab gegangen zu sein und nun in seiner Wanderung inne zu halten. Er sah ihr mit wachem Ausdruck entgegen und einen Moment lang, nur den Bruchteil einer Sekunde, ging eine beinahe hungrige Aura von ihm aus. Der Eindruck war verflogen, noch ehe sie sich darauf besinnen konnte. Schon wies er mit blasser Hand auf den Besucherstuhl.
"Nimm doch Platz, Gefreite!"
Sie knickste und blieb dann unschlüssig stehen. "Rekrutin Ziegenberger, Sör. Ich nehme allerdings an, dass der Grund für meinen Besuch bei Dir sich sozusagen schon in Luft aufgelöst hat und ich möchte nicht unnötig deine Zeit beanspruchen."
Der hochrangige Wächter lächelte seltsam. "Lass das getrost mich entscheiden." Er deutete auf den soeben schon einmal angebotenen Sitzplatz. "Bitte!"
Sie nickte und folgte seiner Aufforderung, während er sich ihr gegenüber an seinen Schreibtisch setzte.
Die Ablagefläche des Möbels war im Grunde ruiniert. Tiefe Dellen und Einkerbungen hatten die Holztruktur zerstört und zusätzlich war die gesamte Fläche von unschönen, dunklen Flecken überzogen. Teilweise wirkten sie wie die Ränder von abgestellten Tassen aber die bei weitem meisten Flecken sahen vergossenem Blut sehr ähnlich und hatten das Holz so satt getränkt, dass es stellenweise aufgequollen war.
Natürlich konnten es keine Blutflecken sein!
Ophelia war sich beinahe sicher, dass Blut auch getrocknet eine etwas andere Konsistenz und Färbung hatte.
Sie wandte den Blick bewusst von dem Desaster ab.
Und begegnete dem lauernden Blick des Vampirs.
"Nun? Worum geht es?"
Ophelia lächelte, denn das war eine antrainierte Reaktion ihres Elternhauses. "Ich wollte lediglich nach dem Rechten sehen. Ich bin eben erst in das RUM-Büro umgezogen, welches unter dem deinen liegt, und habe mich über ein lautes Poltern erschrocken. Ich dachte, vielleicht sei hier etwas umgefallen oder heruntergefallen und wollte sichergehen, dass niemand verletzt wurde oder anderweitige Hilfe bräuchte. Aber so wie es aussieht..." Es hatte nur eines kurzen Blickes bedurft um festzustellen, dass es in dem kargen Raum nicht viel gab, was einen solchen Radau verursachen hätte können. Sie hob in einer entschuldigenden Geste leicht die Schulter.
Er schüttelte vage den Kopf und bestätigte ihre Vermutung mit einem knappen: "Nein, hier ist nichts gekippt oder gestürzt." Dann lehnte er sich, rätselhaft lächelnd, auf seinem Stuhl zurück und betrachtete sie. Gerade, als sie etwas Belangloses sagen wollte, um die unangenehm werdende Stille zu überbrücken, beugte er sich schnell vor und fragte in besonders freundlichem Tonfall: "Kann ich Dir etwas anbieten? Kaffee vielleicht?" Zeitgleich erhob er sich und stellte ihr nur Sekunden später eine dampfende Tasse mit dunkler Flüssigkeit hin, die er scheinbar aus dem Nichts gezaubert hatte. Wie war das nur möglich? Sicherlich die klassische Beschleunigung seiner Spezies.
Sie blickte verwundert in die Tasse. Normalerweise bevorzugte sie eindeutig Tee. Dem hochrangigen Vorgesetzten gegenüber wäre es aber allzu unhöflich gewesen, dieses freundliche Zuvorkommen abzulehnen. Sie wollte ihn keinesfalls brüskieren und nahm daher dankend an. "Ich wollte Dir keine unnötigen Umstände machen, Sör." Sie nahm das warme Porzellan zwischen die Hände und pustete sachte über den Tassenrand, um den Kaffee abzukühlen. Als ihr ein undefinierbarer Geruch entgegen schlug, räusperte sie sich dezent - muffig und durchdringend, keinesfalls die klassische Würze des angebotenen Getränkes. Vermutlich war dies der etwas preiswertere Kaffee für die Gästebewirtung.
Sie sah wieder auf und erschrak ungewollt. Das Lächeln ihres Gegenübers war zu einem Grinsen geworden, welches die spitzen Eckzähne bedeutungsschwer glimmen ließ in dem hiesigen Zwielicht. Schnell nahm sie die Tasse zum Vorwand, den Blick wieder abzuwenden. Sie nippte an dem Gebräu - und musste sich mit all ihrer antrainierten Contenance davon abhalten, zu husten. Sie brauchte eine Sekunde, um sich zum Hinunterschlucken zu zwingen. Das Zeug schmeckte abscheulich.
"Schmeckt es?" Der Vorgesetzte sah plötzlich wieder völlig normal und arglos aus. Vielleicht begann ihre Phantasie ihr tatsächlich Streiche zu spielen? Das zwielichtige Ambiente jedenfalls konnte ohne weiteres dazu beigetragen haben.
Sie nickte tapfer. "Etwas gewöhnungsbedürftig. Es ist eine seltene Sorte, nicht wahr, Sör?"
Er überging die implizite Frage vergnügt und sagte munter: "Gut, gut... Du kannst jederzeit gerne mehr davon haben. Trink aus und ich schenke Dir nach."
"Er ist noch etwas heiß, Sör." Sie sah sich nochmals im Raum um. Es hätte schon Fragen gegeben, die sie ihm gerne gestellt hätte. Es gab zu beinahe jedem Vorkommnis und jeder Sache Fragen, die ihr in den Sinn kamen. Beispielsweise hätte sie gerne gewusst, ob es stimmte, dass Vampire allergisch gegen bestimmte Gegenstände reagierten. Die Tatsache, dass die meisten Stadtvampire auch tagsüber ihren Geschäften nachgingen zeigte nur zu deutlich, dass es Mittel und Wege gab, eventuellen traditionsbedingten Einschränkungen zu entgehen. Oder auch die Sache mit dem Verwandeln! Wurde der Leiter der Wache manchmal zu einem anderen, einem kleineren Wesen, einem Tier? Aber solche Fragen waren nicht für die durchschnittliche Konversation geeignet, dazu waren sie viel zu privat.
Ophelia seufzte leise.
"Ich befürchte, dass ich jetzt leider gehen muss. Die Pflicht..."
"Trink erst noch aus!"
Sie sah resignierend in die dunkle Brühe und holte Luft, bevor sie den heißen Kaffee in wenigen Schlucken hinunterstürzte. Bevor er nachschenken konnte erhob sie sich und knickste dann gewohnheitsmäßig vor dem Schreibtisch und dessen Besitzer. "Danke für den Kaffee, Sör. Und es tut mir leid, wenn ich gestört haben sollte."
Er blickte der jungen Frau aus halb geschlossenen Lidern nach. "Es war mir ein Vergnügen..."
Ophelia eilte schneller, als nötig gewesen wäre, in ihr neues Büro zurück und goss sich ein großzügig bemessenes Glas Wasser ein - zum Nachspülen. Dann lehnte sie sich an die zusammen geschobenen Tische an und versuchte, dieses undamenhafte Gefühl aus sich zu verdrängen. Natürlich war der Kommandör ein Mann mit unheimlicher oder besser gesagt ungewöhnlicher Ausstrahlung. Das war so etwas wie die Natur des Vampirdaseins! Sie konnte nicht erwarten, dass eine ganze Bevölkerungsgruppe die ihr typischen Merkmale ablegen würde, nur damit sie sich selber womöglich besser fühlte! Dafür waren sie sozusagen per Definition höflich, zuvorkommend und gebildet. Sie würde sich daran gewöhnen müssen, nicht in alles eingeweiht zu werden, nicht zu jeder Verhaltensweise des Vorgesetzten eine Erklärung zu erhalten. Und dieser lauernde Ausdruck in seiner Haltung, diese eine Sekunde ihrer Unsicherheit? Vermutlich reine Einbildung. Er wäre wohl kaum Verantwortlicher für die Belange so vieler geworden, sowohl innerhalb, wie auch außerhalb der Wache, wenn er als gefährlich anzusehen gewesen wäre. Sie schüttelte ihren Kopf, wie um ihn freizubekommen und nahm ein zweites volles Glas zur Hand.
!!RUMMS!!
Das Glas fiel ihr aus den Händen und zersplitterte klirrend auf dem Boden. Sie lachte leise und schüttelte über sich selbst und ihre ungewohnte Schreckhaftigkeit verwundert den Kopf. Was war nur mit ihr los?
Sie würde sich an den Kommandör gewöhnen. So eine Reaktion war allzu kindisch und lächerlich!
Sie holte Handfeger und Müllschaufel.
Wenn er der Meinung war, dass sie diese Erschütterungen nichts angingen, so hatte sie sich damit abzufinden und die Geräusche zu ignorieren. Das konnte nicht so schwer sein. Sie nickte sich selbst aufmunternd zu.
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