Mit besten Grüßen von IA

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von Gefreite Mina von Nachtschatten (RUM)
Online seit 08. 01. 2008
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Zwischen Wahrheit und Mythos

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Der Tag könnte ganz gut werden.
Das ist eine der Annahmen, die man tunlichst vermeiden sollte, besonders am frühen Morgen. Denn erfahrungsgemäß entwickeln sich die Dinge unmittelbar danach rasant in die entgegengesetzte Richtung. Aber hin und wieder gibt es Gelegenheiten, zu denen du dir den Luxus eines solchen Gedanken gönnst. Zum Beispiel nach der Beförderung zur Gefreiten: Endlich kein Rekrutendasein mehr fristen, der Kröselstraße den Rücken zu kehren und nun in einer der Hauptabteilungen arbeiten zu dürfen!
Nichts Böses ahnend betrittst du dein Büro, wechselst ein paar Worte mit den Kollegen, begibst dich zu deinem Schreibtisch... Und da liegt er. Der Briefumschlag. Rein und weiß mitten auf der Tischplatte. Doch noch immer schöpfst du keinen Verdacht, auch nicht aufgrund der Tatsache, dass das Schreiben etwas sehr formelles zu haben scheint, sehr akkurat ist der Umschlag adressiert. Doch spätestens beim Lesen wird dir mulmig. Ausgesprochen mulmig...

... Du bist hiermit als Beschuldigter aufgrund von Körperverletzung zur Vernehmung vorgeladen ...

Du beißt dir auf die Unterlippe und überlegst angestrengt: Was war denn da noch gleich passiert? Wann habe ich...? Und schon ist sie wieder da, die GRUND-Zeit. Zwar sind es nur Erinnerungen, aber diese reichen aus, um ein sehr klares Bild der Situation zu zeichnen:
Es war ein ganz normaler Morgen[1], du standest nur zufällig am Wachetresen, als Frau Willichnicht zur Tür herein rauschte. Nachdem du mit deinen Kollegen der Beschwerde nachgegangen warst, kamt ihr zu der festen Überzeugung, der Tag könne eigentlich nicht noch schlimmer werden - doch auch dies ist so eine Einschätzung, die man nie vor Dienstschluss treffen sollte. Denn wenn im nächsten Moment noch ein Dieb mit eindeutigen Absichten um die Ecke biegt, der von seinem Assassinenfreund tatkräftig unterstützt wird... Kurz gesagt: Es kommt zu einer ziemlich hässlichen Auseinandersetzung, in deren Verlauf man sich als Rekrut leicht dazu verleiten lassen kann, etwas zu viel Diensteifer zu beweisen. Du selbst kommst mit heiler Haut davon und möchtest den Vorfall am liebsten vergessen, aber hatte der Dieb nicht etwas von "Beschwerde" gemurmelt?[2] Das Resultat scheinst du offensichtlich in den Händen zu halten. Und du hast schon so einiges von den Vernehmungen der Abteilung Intörnal Affärs gehört. Was davon wahr ist? Nun, das wirst du wohl nur zu bald erfahren.
In der Kröselstraße kursieren eine Menge Gerüchte über eigentlich jeden Aspekt des Wachelebens. Über Generationen von Rekruten hinweg hat sich so eine Menge an Geschichten, Halbwahrheiten und vollkommen haarsträubendem Unsinn angesammelt, von denen manche "Informationen" durchaus das Zeug zur Schauergeschichte haben. Und manches davon wird zur Legende, zum Allgemeingut, das kein Rekrut anzuzweifeln wagt. Dazwischen finden sich auch immer einmal wieder Splitter und Stückchen der Wahrheit, aber diese aus all den anderen Geschichten herauszufiltern gleicht der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Da sich schon viele andere Rekruten vor dir Gedanken darüber gemacht haben, ist der Heuhaufen zwar nicht mehr ganz so unübersichtlich, aber immer noch undurchsichtig genug, um dich an so manchem Fakt zweifeln zu lassen. Direkt daneben befindet sich ein wesentlich kleineres, geradezu verschwindend winziges Häuflein mit verbrämten, gesicherten Tatsachen. Du kennst sie alle. Und eine davon bereitet dir gerade in deiner momentanen Situation Kopfschmerzen: Vernehmungen bei IA werden zuweilen vom Kommandeur der Stadtwache persönlich in seiner Funktion als Agent von Intörnal Affärs durchgeführt...


Der Kommandeur. Was weißt du eigentlich über den Kommandeur?
Sein Name ist Rascaal Ohnedurst. Ein Vampir. Das ist noch dein geringstes Problem, das bist du selbst auch. Aber natürlich bist du dir im Klaren darüber, dass du aus diesem Umstand heraus keinen Speziesbonus erwarten kannst. Vielleicht eher im Gegenteil...
Hast du ihn überhaupt schon einmal gesehen? Ja, das schon - allerdings nur von weitem. Und du hättest ihn vielleicht gar nicht erkannt, wenn dich nicht dein Kollege neben dir angestoßen, in die entsprechende Richtung gezeigt und gemurmelt hätte:
"Schau mal, da hinten. Weißt du, wer das ist? Rascaal Ohnedurst persönlich."
Und gerade als du in die entsprechende Richtung geblickt hattest, setzte sich der Bezeichnete in Bewegung. In diesem kurzen Moment war es dir nicht möglich viel mehr als eine hochgewachsene, vollständig in schwarz gekleidete und außerordentlich blasse Person im Profil zu erkennen, aber du hast dir den Anblick gemerkt, einfach aus der Tatsache heraus, dass er es war und man besser daran tut, seinen Oberbefehlshaber erkennen zu können. Auch wenn nicht allzu viele Einzelheiten auszumachen waren.
Wie etwa das Alter. Das kann man bei Vampiren nicht schätzen, man müsste schon fragen. Aber davor wirst du dich hüten!! Er ist schließlich immer noch der Kommandeur, der Chef, das Oberhaupt der Stadtwache und nicht nur irgendein Kollege. Und bei diesem Gedanken wirst du noch ein bisschen nervöser. Denn genau das ist der Punkt: Er ist der Kommandeur, was dazu führt, dass du einen ziemlichen Respekt vor dieser Person hast, auch wenn du ihr noch nie zuvor persönlich begegnet bist. Kommandeur - manche Begriffe verbreiten schon beim bloßen Aussprechen eine Aura von Autorität und jemand der es schafft, eine bunt gemischte Truppe wie die Stadtwache zu leiten, muss zweifelsohne über eine nicht unerhebliche Menge daran verfügen. Überhaupt stellst du dir diese Aufgabe ziemlich schwierig vor. Wie wird man mit dieser unglaublichen Masse an Verantwortung fertig, mit dem Druck, der auf einem lastet? Und welche Opfer muss jemand bringen um eine solche Aufgabe zu bewältigen? Eins steht fest, du möchtest nicht mit ihm tauschen. Obwohl es dir schon lieber wäre, wenn du selbst in Kürze die Fragen zu einem gewissen Vorfall stellen könnest und nicht diejenige wärest, die sie beantworten muss.


Wenige Tage später stehst du also vor einer Tür, der Tür zu dem IA-Büro, in welchem du gleich die Ehre haben wirst herauszufinden, was an all den Gerüchten über die Vernehmung eines Wächters so dran ist - nicht, dass du darauf nicht liebend gern verzichten würdest.
Ab diesem Moment fällt es dir schwer, einen vernünftigen Gedanken zu fassen, du kannst dich nicht erinnern, jemals so nervös gewesen zu sein. Du hast dich extra zwanzig Minuten früher hierher begeben - nur nicht zu spät kommen - streichst zu mindestens hundertsten Mal mit fahrigen Fingern deine Uniform glatt und wünschst dich weit, weit weg. Natürlich versuchst du dir einzureden, dass es gar nicht so schlimm sein kann, schließlich bist du nicht die Erste, welche sich in solch einer Situation befindet. Und alle anderen haben es deines Wissens nach auch überlebt. Doch diese feine, leise Stimme der Vernunft wird schlicht niedergeschrien von einem anderen, wesentlich energischeren Exemplar, welches gnadenlos auf all die Geschichten hinweist, die über IA kursieren: Kerkeratmosphäre in den Vernehmungsbüros. Eine Delegation schwarz gewandeter Assassinen, die mit allen möglichen unangenehm aussehenden Gerätschaften noch unangenehmere Geräusche verursachen und so zur allgemeinen Überzeugungskraft des IA-Agenten beitragen, der stechenden Blickes an seinem Schreibtisch sitzt und tausende unangenehme Fragen stellt. Natürlich sind das noch lange nicht die beunruhigendsten Gerüchte, in punkto Grauen sind keine Grenzen gesetzt. Von Rekruten erdachte Geschichten neigen mitunter sehr zum Makaberen und zur Blutrünstigkeit.
Um dich abzulenken, versuchst du es mit Logik. Was kann schlimmstenfalls passieren? Und schon bereust du es, dir diese Frage gestellt zu haben, denn sogleich beginnt dein Verstand Kapriolen zu schlagen und dir die Angelegenheit schonungslos vor Augen zu führen:
Degradierung? Du bist erst Gefreite, dass würde bedeuten, wieder in die Kröselstraße zurückkehren zu müssen, zwar nicht als Rekrut, der seine Grundausbildung bestehen muss, aber dennoch. Oder bleibt man bei seiner Abteilung? Du weißt es nicht und gerade dadurch wirst du noch viel unruhiger, wegen eines kleinen Details ist es dir nicht möglich, deine Lage komplett zu beurteilen. Also wendest du dich der nächsten Möglichkeit zu:
Zwangsversetzung? Bei den Göttern, du hast dich gerade erst in deine erste Abteilung eingewöhnt und außerdem kannst du dir lebhaft vorstellen, dass Zwangsversetzte von den anderen Abteilungen nicht unbedingt mit offenen Armen empfangen werden. Keine sehr verlockende Aussicht. Was wäre die Alternative?
Entlassung aus der Wache??? Aber dann bliebe dir ja nichts anderes übrig als nach Überwald zurück... Halt, jetzt geht deine Fantasie wirklich mit dir durch! Schließlich lautet die Anklage auf Körperverletzung, nicht Mord.
Energisch schüttelst du den Kopf und damit diese Gedanken ab. Auf das Urteil selbst hast du ohnehin keinen Einfluss. Was du aber hast, sind noch geschätzte fünf Minuten Galgenfrist, daher ist es jetzt viel wichtiger noch einmal genau zu überlegen, was du gleich sagen willst.
Du wirst es auf jeden Fall mit der Wahrheit versuchen. Alles andere wäre auch töricht, zumal der Kommandeur als Vampir in der Lage ist, Gedanken zu lesen. Aber darf er diese Fähigkeit während einer Vernehmung überhaupt benutzen? Noch so eine Kleinigkeit, die sich deiner Kenntnis entzieht, es ist zum verrückt werden! Abgesehen davon ist dir der Gedanke, dass irgendjemand in deinen Kopf kriecht, ohnehin nicht sonderlich angenehm. Zumal diese Möglichkeit dir selbst schon immer verwehrt war... Einmal mehr ärgerst du dich darüber, dass diese Fähigkeit an dir vorbeigeht. Es ist schlicht ungerecht, du bist wahrscheinlich der einzige Vampir in Ankh-Morpork, ja auf der ganzen Scheibenwelt, der das nicht kann! Aber dafür hast du auf der anderen Seite auch keine Scherereien mit der Ernährung, kannst mit Menschen umgehen, ohne in ihnen die nächste Mahlzeit sehen zu müssen. Wie löst der Kommandeur eigentlich dieses "Problem"? Du wühlst tief in der Gerüchtekiste. Irgendwann einmal hast du etwas von "intelligenter Roter Bete" gehört. Und davon, dass ihr Gestank im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend sein soll. Natürlich stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, wie ein Gemüse intelligent sein kann, doch hat diese Überlegung keine Möglichkeit, sich lange zu halten: Nach mehreren Monaten in der Stadtwache und einem ebenso langen Aufenthalt in dieser Stadt[3] bist du zu der Überzeugung gekommen, dass es wohl nichts gibt, was es nicht gibt. Also warum dann nicht auch intelligentes Gemüse?
Allerdings werden dir Überlegungen in dieser Richtung bei dem, was gleich auf dich zukommt nichts nützen, also zurück zum aktuellen Problem. Du hast gehört, dass die Fragen, welche bei solch einem Verhör gestellt werden nicht zu unterschätzen sind und mitunter direkt darauf abzuzielen scheinen, Verwirrung zu stiften. Aber würde es ein Agent bei IA, der Kommandeur, oder überhaupt jemand darauf anlegen, dass sich ein Wächter vor lauter Aufregung selbst widerspricht oder keine ordentliche Aussage zustande bringt, was sich bestimmt nicht besonders vorteilhaft auf die Urteilsfindung auswirken würde? Du gehst erst einmal davon aus, dass dem nicht so ist, ob zur eigenen Beruhigung oder aus der Überlegung heraus, dass du dir nicht vorstellen kannst oder willst, dass jemand der die Leitung der Wache innehat, seine eigenen Leute derart ans Messer liefern würde. Aber warum nagt da ein leiser Zweifel? Kann es sein, dass Rascaal Ohnedurst es fertig bringt, seine Aufgaben als Kommandeur und IA-Agent komplett voneinander zu trennen, als zwei voneinander unabhängige Personen aufzutreten? Doch bevor du dich in immer weiteren Spekulationen verlierst, beschließt du, es nun hinter dich zu bringen, du willst endlich wissen, was an all den Geschichten dran ist. Du atmest noch einmal tief durch und klopfst an. Und kurz darauf ertönt eine Stimme aus dem Innern des Büros:
"Herein."


Die Tür schließt sich hinter dir und fällt mit einem leisen "Klack" endgültig ins Schloss. Und nach dem ersten Moment der Erleichterung beginnst du dich zu fragen, wozu die ganze überzogenen Nervosität zu Beginn eigentlich gut war. Natürlich war das Verhör nicht unbedingt angenehm und auf eine Wiederholung kannst du auch verzichten, aber so schlimm, wie alle munkeln, hat es sich dann doch nicht abgespielt. Und im Hinblick auf IA-Mythen war die ganze Angelegenheit schon sehr aufschlussreich:
Ja, der Kommandeur führte als IA-Agent die Vernehmung durch.
Ja, manche Fragen waren schon recht schwierig zu beantworten, ohne sich in noch größere Schwierigkeiten zu bringen, zumal der schon befürchtete Autoritätsaspekt dazu geführt hat, dass du die ganze Zeit über etwas unsicher warst.
Und der Rest, na ja... Auf jeden Fall hast du das sichere Gefühl, dass du mit einigen Kollegen aus deiner Zeit bei GRUND dringend ein paar ernsthafte Worte wechseln musst:
Von wem stammte gleich noch einmal die Information, dass mehrere offizielle Vertreter der Stadt anwesend wären, gestrengen Blickes die Vernehmung überwachend, während ihre persönlichen Sekretäre alles minutiös mitschrieben? Wer hatte immer und immer wieder behauptet, mit eigenen Augen gesehen zu haben, wie ein eben vernommener Wächter schreiend aus dem IA-Büro geflohen war? Trolle, die die Tür zu beiden Seiten bewachen? Und wer war es gewesen, der von versteckten Falltüren und Fallen erzählt hatte, die dazu gebraucht würden, missliebige Angeklagte vorerst verschwinden zu lassen?
Schein und Sein, Wahrheit und Mythos und das alles nah beieinander. Doch vielleicht kann man nun noch einiges hinzufügen, ein paar tatsächliche Fakten um der Übermacht der erdachten Geschichten etwas mehr entgegensetzten zu können: Vom Kommandeur, der vor dem Verhör in aller Ruhe seinen Kater krault und der seinem Kaffee stets einen Spritzer Knollensaft der intelligenten Roten Bete hinzufügt. Manche werden es glauben, andere nicht. Und schließlich sollen doch auch kommende Rekrutengenerationen noch das Vergnügen haben, sich den Kopf zu zerbrechen und die Legenden weiter zu spinnen.



[1] Wahrscheinlich auch mit einer dieser "Der Tag könnte ganz gut werden" - Hoffnungen.

[2] siehe L-Mission: Ratten und anderes Ungeziefer

[3] und natürlich nicht zu vergessen die reichlich 100 Jahre davor, die du generell auf dieser Welt verbracht hast




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