Rollende Knollen

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von Fähnrich Kanndra (FROG)
Online seit 08. 01. 2008
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Eine Geschichte für Ras

Für diese Mission wurde keine Note vergeben.

Langsam wurde es Abend in der Zwillingsstadt am Ankh. Noch herrschte rege Geschäftigkeit im Wachhaus am Pseudopolisplatz, doch viele Wächter begannen bereits die Uhr im Auge zu behalten, um den Beginn des Feierabends nicht zu verpassen. Bald würde friedliche, wenn auch nicht völlige, Stille den steten Strom von Geräuschen, von Gemurmel, Gelächter, knarrenden Bohlen, Schritten und Türenknallen ablösen. Doch noch gab es Arbeit zu erledigen und Kanndra Mambosamba hatte gerade einen besonders unangenehmen Teil davon erwischt: einen aufgebrachten Bürger. Als dieser am Wachetresen lautstark Wächter zum Schutz seines Eigentums verlangt hatte, hatte man ihn prompt zu FROG - und damit zu ihr - geschickt.
"Also Herr Kleinfeld. Jetzt noch mal der Reihe nach. Sie sind also Gemüsebauer?"
"Chawoll! Und zwar schon mein chanzes Leben lang! Aber sowat ist mir noch nich unterchekommen, nich! Diese Dreistichkeit kann et auch nur in Ankh-Morpork cheben!" Der kleine, rundliche Mann holte zum wiederholten Male ein Taschentuch aus seiner grauen Leinenjacke und wischte sich damit den Schweiß von der Glatze. Seinen schmutzigbraunen Cordhut hatte er bereits beim Betreten des Büros auf den Schreibtisch des Fähnrichs gelegt, wo er wie ein zerknautschtes, trauriges Tier auf einem Stapel Akten hockte. Auch die Jacke des Bauern hatte schon bessere Tage gesehen. Sie spannte sich über Bauch und Rücken, während die Ärmel den Rückzug zu den Ellbogen angetreten hatten. Der Geruch nach Schweiß, Erde und Kohl machte sich langsam im Raum breit.
Kanndra schenkte dem Mann ein beruhigendes Lächeln. "Ich bin sicher, die Kollegen von RUM können das ganz schnell..."
"Nein, nein! Ich lasse mich nich zu irgendwelche Kollegen weiterschicken, die mich vermutlich auch nur abwimmeln tun. Ich verlange Schutz für meine Ware. Ich habe chenauso ein Recht darauf wie diese ancheberischen Reichen in dene protzige Kutschen! Chawoll!"
"Herr..."
"Aber nein! Et is ja nur Chemüse! Wat isst du denn Mittags, Fräulein? Wahrscheinlich keine Diamanten, oder? Oder diese neumodische Cheldscheine?"
Die Wächterin seufzte ergeben und setzte eine ernste Miene auf. "Nun beruhigen Sie sich doch erst einmal. Was genau ist denn nun passiert?" Während sie auf einem Zettel herumzukritzeln begann, überlegte sie, wie sie Herrn Kleinfeld zufrieden stellen konnte, ohne ihre halbe Abteilung mehrere Tage lang ein Kohl- oder Wasauchimmerfeld überwachen zu lassen.
Anscheinend fühlte sich der Bauer nun ernst genommen. Er räusperte sich, holte sein Taschentuch heraus, wischte, steckte das Taschentuch wieder weg und räusperte sich erneut. "Also et war so: Vor drei Monaten habe ich das Chrundstück hier inne Stadt chekauft. Letzten Monat wollte ich die erste Ernte einfahren und wat sehe ich? Allet fort! Bis auf die letzte Knolle, allet cheklaut! An einem Tag war noch allet in Ordnung, am nächsten war dat Beet leer!"
Kanndra nickte und versuchte, No-Name zu ignorieren, der gerade durch die angelehnete Tür, die der Bauer in seiner Aufregung vergessen hatte zu schließen, hereinspaziert war und nun in einer Ecke herumschnüffelte. Herr Kleinfeld nahm seinen Hut auf und begann ihn zu zerknautschen. Das schien ihn zu beruhigen, denn im nächsten Augenblick hatte er sich wieder unter Kontrolle, räusperte sich und fuhr fort.
"Und heute dat Chleiche! Chestern noch habe ich nach den Pflanzen chesehen und heute war wieder allet wech! Ratzeputz! Ich habe ein Recht darauf, dass du diese Diebespack dat Handwerk legen tust!"
No-Name hatte eine Maus aufgestöbert und fing an, mit ihr zu spielen. Schnell wandte Kanndra ihren Blick ab und richtete ihn auf ihren Besucher.
"Wo liegt denn ihr Feld?"
"Inne Pfirsichblütenstraße."
"Tatsächlich?" Überrascht hob die Gennuanerin die Augenbrauen. "Das ist mitten in der Stadt."
Ein leises Schlürfen, übertönt von dem langsam ersterbenden Quieken einer Maus war zu hören. Herr Kleinfeld war jedoch zu vertieft in seine Angelegenheit, um es zu bemerken.
"Is auch nich besonders chroß", brummte er. "Konnte ich chünstich erwerben. Spielt dat eine Rolle?"
"Nein, natürlich nicht", versicherte Kanndra dem verschwindenden Hinterteil des Katers. Dieser stieß die Tür beim Hinausgehen noch ein Stückchen weiter auf. Kanndra glaubte, kurz eine kleine Gestalt in Kutte gesehen zu haben, der ihm folgte. "Es ist nur so..."
RUUUMS!
Der dumpfe Knall ließ Boden und Regal erzittern, so dass die Gläser mit den eingelegten Voodoo-Zutaten, die Tassen und die Teekanne ein leises Klirren von sich gaben.
Kanndras Gast schreckte hoch. "Wat war dat denn?"
Die Wächterin winkte ab. "Das war nur unser Kommandeur. Sein Büro ist gleich nebenan."
"Du meine Chüte, wat treibt der denn da?"
"Naja, er hält sich gerne auf seinem Balken auf und wenn er ihn verläßt, springt er auf seinen Schreibtisch, in der Hoffnung..."
"Balken?" Herrn Kleinfelds Gesichtsausdruck ließ erkennen, dass er nicht wußte, ob er an der geistigen Gesundheit seiner Gesprächspartnerin oder derer des unbekannten Krachmachers zweifeln sollte.
"Kommandeur Ohnedurst ist ein Vampir. Ich dachte, das wäre allgemein bekannt."
Der alamierte Eindruck, den der Bauer daraufhin machte, ließ Kanndra bereuen, dass sie überhaupt etwas gesagt hatte. "Vampir?", quiekte er. "Chleich nebenan?"
"Keine Sorge", versuchte der Fähnrich die Wogen zu glätten. "Er ernährt sich ausschließlich von..." Etwas ließ ihr Gesicht plötzlich aufleuchten und entlockte ihr ein amüsiertes Lächeln. "Herr Kleinfeld, was für ein Gemüse bauen sie eigentlich an?"
Der abrupte Themenwechsel schien den Mann so weit zu irritieren, dass er die Anwesenheit eines Vampirs im gleichen Gebäude kurzzeitig vergaß [1]. Das Ritual des Schweißabwischens führte er jedoch ganz automatisch aus. "Ähm mjäm... äh, eigentlich Kohl. Ich habe in Winziges Dorf einen Hof und züchte den besten Weißen Drücker diesseits von... vonne Land mit die Berge."
"Lancre?"
Herr Kleinfeld nickte. "Aber hier inne Stadt is et Rote Beete."
Aus Rascaals Büro kam etwas, dass sich anhörte, als ob etwas über den Boden kullerte, begleitet von gedämpften Flüchen, was den Dicken zu nervösen Seitenblicken veranlasste.
"Und haben Sie einen Zaun?"
"Natürlich. Allerdings bin ich noch nich dazu chekommen, ihn zu flicken."
Das Poltern von nebenan ließ Herrn Kleinfeld erneut zusammenzucken. Vor Schreck ließ er seinen Hut fallen, bückte sich hastig danach und meinte beim Hochkommen: "Ich chlaube, ich muss jetzt sowieso chehen."
"Warten Sie. Haben Sie je gesehen, dass sich die Knollen... nunja, bewegt haben? Also von selbst?"
Verblüfft hielt der Mann inne, sogar sein Taschentuch stoppte kurz vor der Glatze. "Wat? Bewegt? Dat is Chemüse, Fräulein. Dat kann sich nich von selbs bewegen."
"Ich denke trotzdem, Ihr Problem wird sich von alleine lösen, wenn Sie sich einen möglichst engmaschigen Zaun zulegen."
"Kannst du nicht anklopfen, Gefreiter? Wenn mir wegen dir mein Frühstück durch die Lappen geht, ziehe ich dir das vom Sold ab!"
"Entschuldigung, Sör! Ich dachte, das wäre das Klo..."

Bei dem Geschrei des Vampirs auf dem Flur war der Gemüsebauer kreidebleich geworden. Plötzlich war ihm seine Rote Beete völlig egal, er wollte nur noch lebendig aus dem Wachhaus herauskommen. "D...danke für die Tipp. Ich habe... äh.. noch wat Dringendes zu erledigen. 'Nen Zaun kaufen, zum Beispiel, ahaha."
Kaum hatte Herr Kleinfeld ausgeredet, als durch die halb geöffnete Tür eine Rote-Beete-Knolle hereinrollte, unter den entsetzten Blicken des Mannes einmal den Besucherstuhl umrundete und dann zielstrebig weiter in den Raum hineinkullerte. Dicht darauf folgte Rascaal Ohnedurst, der nur ein hastiges "Lass dich nicht stören, Fähnrich" in den Raum warf und dann hinter seiner Mahlzeit
herjagte.
Kanndra und der Bauer waren beide aufgesprungen, die eine, um zu salutieren, der andere, um zu flüchten. Eine Sekunde, nachdem der Vampir das Büro betreten hatte, hörte man nur noch die Schritte Herrn Kleinfelds, die sich eilig entfernten.
"Was war das denn?", fragte der Kommandeur eher desinteressiert, da es ihm inzwischen gelungen war, die Knolle hinter Kanndras Voodoo-Kiste in die Enge zu treiben und wieder einzufangen. Genüsslich schlug er seine Zähne in das Gemüse und der vertraute Geruch nach Rote Beete breitete sich im Zimmer aus.
Der Fähnrich versuchte, die Atmung einzustellen und gleichzeitig die Frage zu beantworten. "Das... hrpuh... war wohl ein wenig viel für ihn. Rollende Knollen ist er anscheinend nicht gewohnt." Die letzten Worte kamen ein wenig gepresst heraus und wurden von einem Schaudern begleitet, das das saugende Geräusch eines Vampirs bei jedem Menschen [2] auslöst. Rascaal schien davon jedoch nichts zu bemerken oder ignorierte es. Mit einem Grüßen seiner freien Hand verließ er das FROG-Abteilungsleiterbüro und zog sich in sein eigenes zurück, um seine Mahlzeit zu beenden. Erleichtert öffnete Kanndra ein Fenster, um dem Ankh-Morporker Mief Gelegenheit zu geben, den anderen Geruchscocktail zu verdrängen.

Langsam bröckelte die Farbe von dem windschiefen Schild mit der Aufschrift "Zu verkaufigen" ab. Regen und die allgemeine Atmosphäre im Herzen der Stadt hatten Farbe und Holz wenig Chancen gelassen. Das sah man auch dem Zaun an, der fast nur noch aus Lücken zu bestehen schien. Niemand hatte sich für das winzige Stückchen Land interessiert. Es war zu klein, um selbst eine Hütte darauf zu errichten und außerdem zog niemand gern freiwillig in die Nähe der Unsichtbaren Universität. So blieben die einstmals angebauten Knollen dort sich selbst überlassen, vermehrten sich in einer Weise, die auf natürlichem Wege nicht möglich schien und rollten dann hinaus in die Freiheit. Auf so manche jedoch wartete um die nächste Ecke eine Falle...

[1]  Kanndra war froh, dass er nichts über die anderen Vampire wusste, die sich ebenfalls im gleichen Haus aufhielten.

[2] und anderen lebenden Spezies




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