Rette den letzten Tanz

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von Hauptmann Humph MeckDwarf (DOG)
Online seit 01. 10. 2007
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 Außerdem kommt vor: Hatscha al Nasa

Die Füße tun weh, der Tod tanzt mit. Ermitteln in der TänzerInnen-Gilde... und ja, mit großem I

Dafür vergebene Note: 12

"Mord? Was mach ich hier eigentlich?", Humph nippte an seinem Kapputtschino und blickte auf die junge Frau, die vor ihm mit verdrehten Gelenken lag. Das Blut, das sich unter ihr gesammelt hatte, war bereits halb getrocknet. Ihr Gesichtsausdruck war überrascht. Von einem hohen Podest zu fallen hatte sie wahrscheinlich nicht erwartet.
"Woher willst du wissen, dass es Mord war?", fragte Sillybos ohne von seiner Arbeit aufzusehen. Humph zeigte zu Romulus, der gerade im Gespräch mit einer älteren Frau war, die vollkommen in schwarz gekleidet war. Ihr strenges Gesicht gefiel ihm nicht, es erinnerte ihn an die alte Kinderfrau seiner Tochter.
"Er wäre sonst nicht hier und würde schon angeregt mit der Schreckschraube reden.", der Hauptmann stellte den Becher neben sich und bückte sich zur Leiche hinunter, "Also?"
"Sie ist Mitglied der TänzerInnen-Gilde.", erwiderte der SUSI-Chef ruhig.
"Das erklärt das Tütü, würde ich sagen", Humph blickte in die stumpfen Augen der Toten, während er sich innerlich wand. Eine Gilde für Tänzer klang nicht sonderlich viel versprechend.
"Exakt. Ihr Name ist Sara Johanna Sohn, 22 Jahre alt, Tänzerin seit knapp 6 Jahren. Zumindest mit Gildenausweis."
"Sie wurde bereits mit 16 in einer Gilde zugelassen?", Humph sah überrascht hoch, "Haben die nicht irgendeine Altersbeschränkung?"
"Ich bin nicht der DOG-Abteilungsleiter, ich muss mich mit solchen Dingen nicht befassen." Hätte Humph Sillybos nicht besser gekannt, hätte er sich einen schnippischen Unterton eingebildet. So nahm er das als einfache Erklärung hin, dass er es wohl besser wissen musste.
"Sie war wohl eine Art Naturtalent", fuhr Sillybos unbekümmert fort und winkte Hegelkant zu sich, der ihm ein kleines Säckchen in die Hand drückte, "Übrigens wurde das hier in ihrem Mund gefunden." Er nestelte in dem Sack und zeigte Humph etwas.
"Ein Kürbiskern?", der Hauptmann war unbeeindruckt, "Vielleicht isst sie die gerne?"
"Durchaus möglich. Ich wollte nur gründlich sein. Auf jeden Fall wurde sie von dem Podest gestoßen. Wir haben einen Augenzeugen."
"Die Schreckschraube?", der DOG-Leiter ignorierte seine Rückenschmerzen und erhob sich.
"Nein, der Tanzpartner der Toten. Derrick Reinalt. Er steht dort drüben und wird von Gefreiter Namida befragt."
"Wenn RUM sich schon so schön darum kümmert, warum um Ios Willen ruft man DOG?"
"Weil es eine Gildenangelegenheit ist, eventuell.", der Hauptmann drehte sich erschrocken um. Romulus war ungewöhnlich lautlos hinter ihm aufgetaucht und grinste ihn fast unverschämt an. Zumindest empfand der Hauptmann es so. Neben dem Abteilungsleiter der Mordabteilung stand die alte Schreckschraube.
"Das ist Madame Gierig, das Gildenoberhaupt der Gilde der Tänzerinnen."
"Mit großem I.", schnarrte die alte Dame dazwischen.
"Mit großem I, ja.", Romulus verdrehte die Augen so, dass nur Humph es sehen konnte, "Sie will, dass innerhalb der Gilde ermittelt wird ohne groß Aufsehen zu erregen, weil..."
"Es ist wichtig, der Abschlussball dieses Jahr muss etwas ganz Besonderes werden. Es ist..."
"Ihr letzter?", Humph fragte, ohne vorher nachzudenken. Der wütende Blick, den ihm die Madame zuwarf, interessierte ihn aber nicht sonderlich. Ihre Haltung wurde sofort etwas steifer und sie zog ihre Nase hoch.
"Eben dies! Mein letzter. Und deswegen wird es ein riesiges Fest. Der Patrizier höchstpersönlich hat es abgesegnet und ich habe die größte Hoffnung, dass er auch persönlich erscheint.", Romulus und Humph tauschten viel sagende Blicke aus. Sie sog tief Luft ein, um weiter zu reden, als der Hauptmann die Hand hob.
"Madame, wir haben verstanden, wie wichtig das für Sie ist", er betonte die Anrede absichtlich und verlieh seinen Worten zusätzlich damit Ausdruck, etwas näselnd zu sprechen. "Und ich versichere Ihnen, dass die Wache alles tun wird, um ihren Traum wahr werden zu lassen. Wir lassen da keinen toten Menschen dazwischen kommen, versprochen." Daraufhin drehte er sich ruckartig um und verließ mit schnellem Schritt den Raum.

"Das war nicht sonderlich diplomatisch", Hatscha al Nasa setzte sich auf einen Aktenberg, der direkt neben dem Himmelbett im Abteilungsleiterbüro stand und blickte zu ihrem Vorgesetzten, der stumm ins Feuer starrte. Er sah müde dem Papier zu, wie es langsam verging.
"Mir war nicht nach Diplomatie. Ich meine, es ist ihr wichtiger, dass ihr dämlicher Abschlussball statt findet und sie stand direkt neben der Leiche."
"Du wirst doch nicht etwa weich geworden sein?", die Frage war kaum ernst gemeint und doch musste Humph kurz stocken. Dann lachte er rau auf.
"Nein, das nicht, aber es ist lächerlich.", er drehte sich um und setzte sich aufs Bett, "Was hast du für mich?"
Hatscha öffnete die Akte in ihrer Hand: "Madame Gierig ist seit nunmehr sechs Jahren Oberhaupt der Gilde der TänzerInnen, um genau zu sein existiert die Gilde erst seit sechs Jahren. Es gibt jedes Jahr einen Abschlussball..."
"Irgendwie ist das nichts Neues."
Sie zuckte mit den Schultern: "Es gibt absolut nichts Interessantes zu sagen. In der Gilde war es bisher immer ruhig."
"Hm, ob die Dame wohl einen alten Feind hat? Aber warum hat er so lange gewartet? Ist allerdings recht egal, ich werde das sowieso RUM überlassen, ich habe keine Lust darauf, dieser Schnepfe ständig zu begegnen. Gesundheit übrigens."
"Was?", sie nieste, "Wie zum..."
"Du verziehst kurz vorm Niesen den Nasenstollen.", er setzte sich um, "Wie zum Henker könnt ihr in diesen Betten arbeiten. Wieso kann sich diese Abteilung keine normalen Büros leisten."
Hatscha wollte gerade etwas erwidern, als die Tür aufsprang und Romulus hereinstapfte: "Das war nicht sonderlich diplomatisch!"
"Ihr wiederholt euch. Schon mal etwas von Anklopfen gehört?", Humph sprang wieder vom Bett auf, um zum viel zu kleinen Schreibtisch zu gehen.
"Ich musste mit der Gierig vier Stunden diskutieren, bevor sie sich beruhigt hatte.", der Werwolf sah sich um.
"Oh bitte, setz dich doch auf irgendeinen der Aktenstapel hier. Du kannst aber auch gerne das Bett nehmen. Mir ist es zu weich."
"Es gab noch einen zweiten Mord.", sagte Romulus, ohne sich zu setzen und blickte zu dem Hauptmann.
"So schnell hintereinander? Das ist ungewöhnlich", Humph ließ seine Hand durch die Flamme einer Kerze gleiten.
"Nein, der Mord war vor zwei Tagen. Ein Tänzer wurde in seiner Übungsstunde erstochen."
"Und keiner hat es erwähnt?", Hatscha ließ ein Niesen folgen, auf das beide Männer gewohnheitsgemäß gleichzeitig ein "Gesundheit" aussprachen.
"Nein, Madame Gierig wollte die Wache nicht präsent haben. Wegen ihrem..."
"Abschlussball", Humph und Romulus sprachen das Wort gleichzeitig aus und näselten gekünstelt.
"Auf jeden Fall", fuhr der RUM-Leiter fort, "Brauch ich Leute da drin und da es eine Gilde ist..."
Humph seufzte: "Jaja, es gehört zu unserem Aufgabengebiet, ich weiß. Ich werde Patrick..."
Romulus räusperte sich: "Nein, sie ist der Meinung, das du das übernehmen musst."
"Was? Warum?"
"Du bist der Abteilungsleiter und sie will niemand anderen als den Ranghöchsten."
"Du scherzt", Humphs Hand blieb direkt über der Flamme zu stehen.
"Leider nicht", der RUM-Leiter konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als Humph die Hand von der Kerze weg riss, "Sie bestand sogar richtig darauf, wenn die Wache bei ihr ermitteln soll."
"Und wie stellt sie sich das vor?", der Hauptmann schüttelte die Hand und ließ sich aufs Bett zurückplumpsen.
"Nun... Es gibt am Abschlussball einen Eröffnungstanz. Und da das erste Opfer einer der Tänzer war, der da tanzen sollte, fehlt ein Paar. Die Dame dazu hat einen Nervenzusammenbruch erlitten. Die Beiden waren auf mehrere Arten ein Paar. Und ratet ein Mal, wer sie hätte ersetzen sollen."
"Sara", es war keine Frage.
"Und ihr Partner, genau. Es geht anscheinend um klassischen Tanz."
"Moment, ich soll mich dort als Tänzer einschleichen? Ich kann nicht mal tanzen!", Humph blickte schockiert zu Romulus.
"Madame Gierig meinte, sie würde euch das schon beibringen. Es sind ja noch drei Tage bis zum Fest."
Hatscha sah grinsend zu ihrem Abteilungsleiter: "Das ist doch eine Herausforderung. Und du lernst etwas dabei."
"Würdest du aufhören, so blöd zu grinsen? Und wie genau soll ich ermitteln, wenn ich die ganze Zeit tanzen übe?", der Hauptmann sah weiterhin nicht sehr begeistert aus.
"Ihr müsst nur zehn Stunden pro Tag üben, zumindest laut der Gierig. Der Rest des Tages ist frei. Selbstverständlich braucht ihr Abendgarderobe."
Hatscha lachte schallend auf und fiel fast vom Aktenstapel: "Humph in einem Anzug und tanzen? Da muss ich unbedingt dabei sein."
"Sehr witzig, wirklich.", er ließ seinen wütenden Blick zu Romulus wandern, "Musste ja so sein, dass ich... Moment, sagtest du 'ihr'?"
"Ja, natürlich, im klassischen Tanzen tanzen Männer mit Frauen."
Das Lachen erstarb im selben Augenblick und Hatscha wurde bleicher: "Das wirst du nicht tun!"
Humph setzte ein fieses Grinsen auf und sah zu seiner Stellvertreterin: "Du hast doch Erfahrung als verdeckte Ermittlerin, oder? Wie nennt sich das bei der Dienststelle noch mal?"
"Husky", erwiderte sie leiser werdend.
"Richtig, das warst du vor deiner Ausbilderzeit, richtig?"
Sie nickte nur ohne den Blick von ihm zu wenden.
"Gut. Du wirst in einem Abendkleid sicher atemberaubend aussehen", Humph sah wieder zu Romulus, "Also, Hatscha und ich sollen den Eröffnungstanz auf dem Abschlussball tanzen. Und davor hören wir uns um, was in der Gilde los ist."
Der Feldwebel nickte: "Achja. Beim ersten Opfer wurde übrigens ein Glückskeks im Mund gefunden. Ungeöffnet und ungekaut."
"Interessant, beim Tanzen muss man ziemlichen Hunger bekommen", keiner lachte über Humphs Einwurf.

"Ihr werdet also tanzen?", Breda Krulock war die erste, die etwas sagte, nachdem Humph in seinem Büro die Situation erklärt hatte, "Klingt nach Spaß."
Humph grummelte: "Je nachdem, was du unter Spaß verstehst, Hauptgefreite. Korporal al Nasa hat auch nur anfangs gelacht", er sah belustigt zu seiner Stellvertreterin, "Aber da dies nun ein offizieller DOG-Fall ist, werdet ihr euch auch beteiligen dürfen. Also: Patrick und Arwan. Ich werd Madame Gierig sicher nicht allein bestimmen lassen. Die Gilde hat eine Tanzschule. Ihr zwei werdet euch dort einschreiben lassen und euch unter den Schülern umhören, vielleicht gibt es dort Stunk", die beiden nickten, "Gut. Harry als unser dienstältester Observierer wird sich natürlich Madames Tag nicht entgehen lassen wollen, nicht Herr Gnom?"
"Klingt spannend", der Enthusiasmus ließ auf sich warten, "Das war ein Befehl oder?"
"Sicherlich. Wie schön, dass wir uns verstehen.", er warf dem Stabsspieß ein spitzbübisches Lächeln zu und blickte dann zu der Vampirin, "Und du, liebe Breda, du bekommst eine ganz besondere Aufgabe." Die Hauptgefreite hob skeptisch die Augenbraue.
"Da ich bemerkt habe, dass du einen ziemlich guten Kleidungsgeschmack hast...", er ignorierte das gemurmelte "Schleimer" seiner Stellvertreterin, "wirst du mit dem Korporal ihr Abendkleid aussuchen gehen. Ich weiß schon, das ist nicht zwingend dein Aufgabengebiet, aber die Assassinen können einen Einkaufsbummel lang warten." Er wartete gar nicht auf eine Erwiderung, "Weiß jeder was er zu tun hat? Ja? Gut. Dann raus aus meinem Bett." Der Blick von Hatscha ließ ihn ein weiteres Mal grinsen.

Keiner der beiden grinste mehr, als sie einen Tag später gemeinsam auf der Tanzfläche standen, während Madame Gierig mit einem Stock, der für Humph verdächtig nach einem Rohrstock aussah, einen Takt anschlug.
"Dies", sagte sie, "ist ein langsamer Tanz, den man nicht eng tanzt. Man hat sozusagen einen gewissen Sicherheitsabstand zwischen sich und der Dame. Vergessen Sie nicht, dass der Mann die Führung innehat."
"Darin hab ich ja Übung", murmelte der Hauptmann.
"Wäre nur schön, wenn du gut führen würdest", erwiderte Hatscha mit einem sehr zynischen Unterton.
"Warte ab, bis wir wieder im Wachegebäude sind, dann zeig ich dir, wie gut ich führen kann."
"War das eine Drohung, Hauptmann?", zischte sie.
"Wenn du das so sehen willst...", er wandte das Gesicht von ihr ab. Das schlimmste an dem ganzen Raum war, dass überall Spiegel waren. Sogar die Tür war verspiegelt und passte sich perfekt in die Wände ein. Humph wunderte schon, dass die Handwerker den Boden ausgelassen hatten.
Madame Gierig hüstelte: "Das ist zuviel Sicherheitsabstand." Sie drückte die beiden wieder etwas zu einander und fügte leise hinzu: "Wenn es bei euch da überhaupt ein zuviel gibt." Sie wurde wieder lauter: "Und achtet auf den Takt. Die Schritte müssen mit dem Takt laufen. Ein bisschen mehr Gefühl für die Musik."
Etwas klapperte hinter der Gouvernante und sie wandte sich um. Humph sah, wie sie ihr Gesicht kurz verzog und schielte an ihr vorbei. Ein älterer Mann stand in der Tür und winkte.
"Tanzen Sie schön weiter. Und auf den Takt achten nicht vergessen. Und hören Sie auf, auf die Füße ihrer Partnerin zu treten, Herr Perkins." Humph hatte für die Ermittlung seinen Geburtsnamen als falschen Namen gewählt. Er war in solchen Sachen nie sonderlich kreativ gewesen.
"Ich frage mich, wer das ist", murmelte er, als die Madame ruhig, aber bestimmt zu dem Mann gegangen waren.
"Es wäre angenehm, wenn du dich darauf konzentrieren könntest, nicht auf meine Füße zu latschen.", Hatscha entfernte sich wieder ein wenig von ihm.
"Wir sind hier zum Arbeiten, falls du dich erinnerst."
"Ja, Arbeiten hat noch nie so wehgetan."
"Sehr witzig", Humph versuchte sie zu drehen, "Du bist bockig."
"Weil wir uns nach links drehen sollten, nicht nach rechts! Sie ist wütend."
"Was?", der Hauptmann blickte seinem Gegenüber das erste Mal ins Gesicht anstatt wie bisher in die Luft.
"Madame ist wütend, man merkt es, wie sie mit ihm redet.", Hatscha hatte ihren Blick zur Seite gleiten lassen und beobachtete, "Wer hätte gedacht, dass diese dummen Spiegel auch praktisch sein können."
"Ich sicher nicht.", Humph sah ebenfalls zum Glas, "Dann sollten wir raus finden, wer das ist, nicht wahr? Schau weg, sie kommen zurück. Und, ach, Gesundheit.", Humph nickte, der Korporal nieste.
Die Dame kam mit einem ausdruckslosen Gesicht zurück: "So. Herr Perkins, ihre Hand muss etwas tiefer."
"Was?"

"Zehn Stunden pro Tag! Zehn! Mir tun die Füße dermaßen weh, dass ich sie am liebsten abhacken würde!", Humph streckte die Füße ganz nah an den Kamin, was aber absolut nicht hilfreich war. Das Abteilungsleiterbüro war wieder zum Treffpunkt geworden, Hatscha und er warteten auf den Rest der Truppe.
"Du brauchst dich gar nicht beschweren, ich bin nicht diejenige, die dem anderen auf die Füße tritt."
"Das mit dem Sicherheitsabstand hast du anscheinend nicht ganz verstanden", ätzte der Abteilungsleiter zurück, "Sonst kämst du nie so nahe, dass ich irgendwohin treten könnte."
"Du bist der, der mit immer näher kommt!" Es klopfte an der Tür und beide riefen "Herein".
Patrick Nichts trat mit einem Eisbeutel ein, der an seinem Knie befestigt war: "Tanzen ist Krieg, wussten Sie das, Sir?"
"Wir haben gerade Waffenruhe", erwiderte Hatscha sarkastisch und warf dem Abteilungsleiter einen giftigen Blick zu.
"Bist du hergekommen um mitzujammern, Korporal?", Humph rieb sich seufzend die Schläfen.
"Nein, Sir. Ich habe einige Informationen."
"Schieß los."
"Also, Madame Gierig ist nicht sonderlich beliebt innerhalb der Gilde."
"Warum überrascht mich das nicht", warf Hatscha ein, "Mein Ausbilder zu GRUND-Zeiten war weniger anstrengend als sie."
"Schmiede war okay", sagte Humph und winkte ab, "Weiter, Korporal."
"Das Problem ist, dass sie einen sehr autoritären Führungsstil pflegt."
"Oooohja", kam es aus den Kehlen der Abteilungsleitung.
"Ras ist weniger autoritär als die Schreckschraube", ergänzte der Hauptmann.
"Darf ich fortfahren?", Patrick Nichts wurde ungern nach jedem Satz unterbrochen. Ein Nicken des Hautpmanns ließ ihn weiter reden: "Interessant ist, dass unser Tanzlehrer ein alter Verehrer von ihr war. Laut ihm war sie früher nie so. Erst als sie ihren Bruder verlor, begann sie sich so aufzuführen."
"Schön und gut, aber inwiefern hilft das dem Fall?"
"Hier wird es interessant, Sir. Sowohl ihr Bruder als auch sie selbst galten zu ihrer Zeit als Tanzgenie. Sie haben bereits sehr jung auf verschiedensten Veranstaltungen vorgetanzt. Eben bis ihr Bruder starb. Ab da begann sie immer miesere Laune zu haben und sprach oft vom Tod."
"Das erklärt, warum sie immer schwarz trägt", warf Humph ein, "macht sie aber nicht zwingend tatverdächtig. Schwermütige Leute tendieren eher zu Selbstmord als Mord."
"Wie sieht denn euer Lehrer aus?", fragte Hatscha, während sie begann ihre Zehen zu massieren.
"Älter. Graues, schütteres Haar, etwa so groß wie ich. Hab ihn bisher nie ohne Handschuhe gesehen. Und er hat einen Bart."
"Das ist der Typ, mit dem sie geredet hat, nicht wahr?", fragte die Stellvertreterin.
"So ungefähr, ja", erwiderte Humph müde, "Haben wir noch mehr?"
Patrick schüttelte den Kopf: "Stabsspieß Harry ist noch nicht zurück vom Observieren. Und Obergefreite Arwan", er hüstelte, "Nun ja, sie ist mittlerweile zuhause und kühlt ihren Kopf."
"Den Kopf?", Humph hob die Augenbrauen.
"Er hatte einen kleinen Zusammenstoß mit meinem Knie, Sir..."
Der Hauptmann und Hatscha sahen sich an: "Wie genau habt ihr das geschafft?"
"Es ist eine Figur beim Ta-Ta-Ta, Sir. Nennt sich der Wirbler. Der Mann muss dabei die Frau herumwirbeln und dabei die Knie heben und da..."
"Ich habe keine weiteren Fragen, Korporal, danke.", Humph ließ sich aufs Bett fallen. "Ihr zwei könnt gehen."
"Mehr oder weniger", stöhnte die Stellvertreterin.

Am zweiten Tag war das Tanzen nicht sonderlich einfacher geworden. Sowohl Humph als auch Hatscha versuchten den Sicherheitsabstand so großzügig wie möglich auszulegen. Trotzdem schafften sie es immer wieder, sich gegenseitig zu treten. Madame Gierig war immer bei ihnen und ließ sie nicht aus den Augen. Das wirkliche Ermitteln schien also bei den anderen zu liegen.
"Sie werden besser, aber nicht sonderlich gut", sagte Madame Gierig am Ende ihrer Stunde, als sie sie in ihr Büro führte.
"Das ist sehr... aufbauend. Danke, Madame.", Humph konnte den Sarkasmus nicht zurückhalten und kassierte dadurch einen Ellbogenstoß seiner Stellvertreterin.
"Warum haben Sie uns in ihr Büro gebracht", fragte diese, während sie sich umsah. Das Büro war groß. Überall waren Pokale und Medaillen zu sehen, Zertifikate und Zeugnisse. Auf dem Schreibtisch stand eine alte Ikonografie von einem gut aussehenden jungen Mann.
"Ist das ihr Mann?", fragte Hatscha und griff zum Bild. Madame Gierig schnappte sofort danach und legte das Bild um.
"Mein Bruder", versetzte sie. Beide Wächter verstanden, dass das ihr letztes Wort zu diesem Thema war und sahen sich kurz an.
"Ich habe Sie hierher gebracht, um Ihnen zu zeigen, dass ich die beste Tanzlehrerin in dieser Stadt bin", sie ließ ihre Hände herumschweifen und zeigte auf einige der Zertifikate, "Nie, wirklich niemals, habe ich aufgegeben und jedes Mal habe ich es geschafft selbst die hoffnungslosesten Fälle zu unterrichten."
Humph und Hatscha sahen sich mit einem unguten Gefühl an.
"Sie werden am Abschlussball tanzen. Sie werden bei meinem größten Auftritt und Triumph dabei sein. Sie werden Teil meiner Todessehnsucht."
Humph blickte alarmiert: "Todessehnsucht?"
Madame Gierig nickte: "Das ist eine Figur in einem Tanz namens Lumbo. Eine sehr gefährliche Figur. Man tanzt ihn alleine. Es wird der Höhepunkt des Eröffnungstanzes, wenn die vier Paare sich aufgefächert haben.", sie beugte sich nach vorne und machte eine kurze Pause, bevor sie weiter flüsterte, "Ich will nur, dass Sie wissen, wie wichtig das für mich ist. Nichts, was Sie hier sehen, hat dagegen Bedeutung. Es ist ein rühmliches Ende."
Die Wächter nickten leicht.

"Es gibt eine neue Leiche", Sillybos hatte bereits vor Humphs Büro auf die beiden gewartet und bat Hegelkant, Hatscha zu stützen, "Wie ich sehe, seid ihr mit eurem Tanzen weniger erfolgreich."
"Wenn du etwas finden würdest, das den Fall abschließen würde, müssten wir nicht mehr tanzen", versetzte Humph und führte alle in sein Büro.
"Ich fürchte, so einfach ist das nicht. Es gibt kaum Spuren", Sillybos setzte sich auf das Bett und holte ein Tütchen heraus, "Ein junger Mann, diesmal kein Tänzer, sondern ein Bühnenarbeiter, der für die Bühne des Eröffnungstanzes zuständig gewesen sein soll. Diesmal hat der Täter nichts im Mund des Opfers hinterlassen."
"Hast du überhaupt irgendetwas Nützliches für uns?", fragte Humph resignierend. Er zog sich die Socken von den Füßen und bewegte die Zehen, als es plötzlich an der Tür klopfte. "Komm ruhig herein."
Die Gnomenklappe öffnete sich und Harry trat ein.
"Zu dir komm ich gleich", sagte Humph und nickte dann wieder Sillybos zu.
"Er wurde mit einem Klöppel erschlagen. Die, die man in großen Glocken findet. Der Todeszeitpunkt war gestern Abend."
"Sehr hilfreich, danke. Ich denke, Madame Gierig können wir ausschließen, Harry war wohl den ganzen Tag bei ihr gestern."
Der Gnom hüstelte: "Naja, das stimmt nicht so ganz."
Humph wartete nur, Hatscha winkte dem Gnom zu, weiter zu reden.
"Gestern Abend hab ich sie irgendwie verloren..."
"Irgendwie verloren? Irgendwie verloren? Nennst du das Observieren?", Humph sprang auf und bereute es sofort. Seine Füße rebellierten.
"Hey, ich kann nichts dafür. Sie hat mich irgendwie überlistet. Ich hab vor ihrem Haus gewartet, als sie dort angekommen war. Aber sie hatte kein Licht gemacht, also war ich neugierig und ging um das Haus herum. Das Fenster war offen."
"Sie ist aus dem Fenster gestiegen? Warum sollte sie das tun?", fragte Hatscha.
"Ich habe keine Ahnung, aber ich bin dann hineingegangen und hab mich umgesehen, sie war weg."
"Du bist also eingebrochen?", Humph blickte ihn etwas ungläubig an.
"Das Fenster war offen! Ich habe observiert.", der Gnom stemmte die Fäuste in die Hüften
"Hervorragend. Aber nicht hilfreich."
"Was ist damit?", Harry zog eine alte Ikonografie heraus, die zwei Personen zeigte.
Hatscha nahm sie ihm ab und betrachtete sie: "Die Frau sieht dem Opfer furchtbar ähnlich."
"Allerdings und der Mann auch dem ersten Opfer", ergänzte Sillybos.
"Das ist jetzt aber doch etwas zu zufällig, oder?", der Hautpmann schnappte sich die Ikonografie und sah sie sich genauer an, "Tatsache. Die Ähnlichkeit ist verblüffend. Ob die Opfer...", er blickte zu dem SUSI-Leiter, "Hat RUM schon die Familienverhältnisse der Opfer überprüft?"
"Nachdem Romulus den Fall selbst übernommen hat, nehme ich das stark an. Er kennt die Aufgaben seiner Abteilung", wieder hatte Humph das Gefühl, Sillybos würde spotten. Er konnte es sich nur absolut nicht vorstellen.
"Gut. Ich werde ihn mal fragen.", der Hauptmann seufzte, "Da passt einiges nicht zusammen. Vor allem scheint es mir eigenartig, dass die Gierig aus dem Fenster stieg. Hat sie dich bemerkt?"
"Kann ich mir eigentlich nicht vorstellen", antwortete der Gnom leicht beleidigt.
"Dann gab es wohl einen anderen Grund.", müde legte sich Humph hin und verschränkte die Hände hinter dem Kopf, "Diese Tanzerei macht mich ziemlich fertig."
"Erzähl das mal meinen Füßen", Hatscha wandte sich zur Tür.
"Die sehen aus, als wäre ein Nilpferd drauf getreten.", vernahm der Hauptmann die Stimme Sillybos'. Er setzte sich ruckartig auf.
"Wie, Nilpferd? So schwer bin ich ja wohl nicht!", er zeigte auf den Bauch des Oberfeldwebels, "Wer im Steinhaus sitzt..."
"Du meinst, wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.", korrigierte Sillybos.
"Oh, danke, dass du so genau auf meine Worte achtest, Oberfeldwebel", erwiderte Humph zynisch, "Vielleicht sollte ich zuerst immer dich kons... konsitieren..."
"Konsultieren?", half Silly aus.
"...fragen, was ich sagen soll.", schloss der DOG beleidigt, "Ich tanze gut."
"Wann?" Hatscha hob den Fuß, um die blauen Flecken zu veranschaulichen.
"Nur weil du deine Schritte nicht ordentlich machst, heißt das nicht, dass ich es nicht kann.", er stand auf und biss sich auf die Lippe, "Wir werden auf dem Abschlussball eine gute Figur abgeben."
"Die Wetten stehen glatt gegen euch", Sillybos schlug eine Mappe auf.
"Man wettet auf uns?", Humph klang überrascht.
"Eher gegen euch. Die meisten wetten darauf, dass du Hatscha etwas brichst noch bevor der Ball überhaupt losgeht."
"Also, so mies finde ich mich nun auch nicht..."
"Ich schon", die Stellvertreterin wackelte mit den Zehen.
"Ach, sei still", der Hauptmann blickte wieder Sillybos an, "Nilpferd, was? Wie wäre es mit einer Wette. So zwischen Abteilungsleitern?"
"Klar. Worum soll's gehen?"
"Das besprechen wir privat", grinste Humph und schickte den Rest hinaus.

"Ist es Absicht, dass man bei dem Ding den Nabel sieht?", hörte Breda die stellvertretende DOG-Abteilungsleiterin hinter dem Vorhang murmeln und musste grinsen.
"Ja, das ist gerade total im Tränd... wieder einmal. Man muss der männlichen Bevölkerung eben was zeigen.", Bredas Grinsen wurde breiter. Sie wollte nicht sagen, in welchen Kreisen dieser Trend Einzug gehalten hatte.
"Hervorragend. Großes Interesse habe ich nicht daran, dass der Hauptmann mich so sieht.", murrte Hatscha zurück, "Dir ist schon bewusst, dass es eher um einen klassischen Ball geht?"
Breda seufzte theatralisch: "Natürlich." Aber warum soll ich nicht meinen Spaß haben, wenn ich schon so eine anstrengende Aufgabe erhalten habe, fügte sie für sich im Stillen hinzu. Sie hatte ja an sich nichts gegen gepflegtes Einkaufen, aber mit dem Korporal war das gar nicht so einfach, wie es sein sollte. Nicht dass sie große Ansprüche hatte, das nicht. Aber ihr schien das Ganze absolut keine Freude zu bereiten und das färbte ab. Deswegen hatte die Vampirin beschlossen, erst einmal die gewagtere Abteilung aufzusuchen. Aber es war Zeit das Ganze zu beenden. Sie nahm eines der Kleider, das sie über den Arm trug und hielt es durch den Vorhang.
"Vielleicht lieber das? Sehr klassisch, angenehm geschnitten und betont alles, was man betonen muss."
"Toll", tönte es sarkastisch hinter der Gardine und das Kleid wurde ihr vom Arm genommen, "Seide? Kann sich das die Wache überhaupt leisten?"
"Die Damen aus der Boucherie haben extra zusammengelegt, damit es auch ordentlich aussieht.", erwiderte Breda und zupfte ihr eigenes Kleid zurecht. Wenn man schon einkaufen war...
"Hm, das geht", der Korporal trat aus der Kabine und blickte in den Spiegel, "Sieht eigentlich ziemlich gut aus."
Breda nickte und rückte das Kleid ein wenig zurecht: "Ja. Schmiegt sich auch schön an.", sie nahm etwas aus ihrer Tasche und hielt es Hatscha vor die Brust, "Und die weiße Rose passt auch hervorragend dazu."
"Weiße Rose?"
"Gehört dazu. Ist bei dem Eröffnungstanz am Kleidungsstück vorgesehen."
"Na gut, dann sind wir ja jetzt..."
Ein Mann in einer engen rosa Hose kam hinzu und zupfte noch mehrmals am Kleid. Hatscha verdrehte die Augen. Sie hatte den Namen des Verkäufers längst vergessen und war eigentlich froh darüber gewesen. Sie würde zu gerne wissen, woher Humph diesen Laden überhaupt kannte. Der Mann brachte die Rose an und klatschte freudig in die Hände: "Jaaa, Schätzchen. Das sieht toll an dir aus. Sehr scharf. Rosenscharf sozusagen", er zeigte auf die Blume und lachte über seinen eigenen Witz. Blöden Witz wohlgemerkt, dachte Hatscha, ließ es dann aber bewenden. Sie würde den morgigen Tag furchtbar hassen.

Es war der Tag des Abschlussballs und sie waren im Grunde genommen nicht weiter gekommen, was den Fall betraf. Sowohl Hatscha als auch Humph waren sich bewusst, dass die Umstände über den Fall gesiegt hatten. Und zumindest Humph schlug das furchtbar auf die Laune. Die beiden zwangen sich weiterhin zum Üben, um am Abend halbwegs ordentlich auszusehen. Der Hauptmann schien dabei allerdings plötzlich ernster interessiert, was Madame Gierig mit einem zufriedenen Grunzen quittierte. Der Tod des Bühnenarbeiters hatte sie anscheinend kaum berührt. Humph hatte gleich in der Früh erfahren, dass sie einfach einen neuen eingestellt hatte. Er fragte sich trotz seines Eifers, die Wette mit Sillybos zu gewinnen, noch immer, wie es zu der Ähnlichkeit zwischen den Geschwistern Gierig und den Toten kam. Dass das Bruder und Schwester Gierig waren, hatten sie recht schnell herausgefunden, Hatscha hatte sich an das Bild des Bruders im Büro der Schreckschraube erinnert. Ein Klopfen riss Humph aus den Gedanken und er blickte neugierig zur Tür. Madame öffnete sie und sah dann grollend zu dem Wächterpaar: "Das ist für Sie. Anscheinend einer ihrer Untergebenen." Humph beschloss, sie nicht zu korrigieren, während Hatscha glücklich aufseufzte. Die Pause war ihr anscheinend willkommen.
Die Beiden gingen hinaus und winkten Patrick Nichts in das leere Büro des Gildenoberhaupts.
"Also?", fragte Humph ungeduldig.
"Die Familienzugehörigkeit der Toten ist unklar, sie sind adoptiert", der Husky kam durch Humphs Eile sofort zur Sache.
"Hm, interessant. Weiß man Näheres?", der Hauptmann blickte nachdenklich auf die Ikonografie des Bruders Gierig.
"Sie wurden vor der Tür ihrer jeweiligen Adoptiveltern abgesetzt. Anscheinend war der jeweiligen leiblichen Mutter bekannt, dass diese Familien ein Kind aufnehmen würden."
"Oder dem Vater", fügte Hatscha nachdenklich hinzu.
Patrick nickte: "Dafür haben wir herausgefunden, was das mit dem Keks und so weiter soll. Anscheinend waren das früher die Leibspeisen der Gierigs. Der Bruder liebte Glückskekse und Madame Gierig anscheinend Kürbiskerne. Herr Fransl meinte, sie hätte sie ständig gekaut."
"Wer?", Humph ließ das Bild wieder auf den Schreibtisch nieder.
"Unser Tanzlehrer. Der, der mit der Gierig anscheinend liiert war damals. Auch wenn er von vielen Streitigkeiten sprach, glänzen seine Augen heute noch, wenn er von ihr spricht."
"Hm. Das heißt also, die Toten sollten als die Geschwister Gierig stehen. Eine Warnung?", Hatscha setzte sich.
"Möglich", antwortet Humph und lehnte sich gegen den Schreibtisch, "Wissen wir eigentlich, was in dem Glückskeks drin war?"
"Natürlich, Sör. Ein Zettel"
"Das war mir klar, Patrick, aber was stand darauf."
"Das hat SUSI noch nicht erwähnt. Soll ich nachfragen gehen?"
Humph nickte: "Ja, wir bereiten uns derweil weiterhin auf den Ball vor. Beeil dich, wir haben nur noch drei Stunden."

Es war ein kleines Spektakel, was sich bei der Gilde der TänzerInnen abspielte. Der Patrizier-Platz war leer geblieben, dafür hatte sich eine enorme Anzahl von Wächtern eingefunden, um die DOG-Abteilungsleitung tanzen zu sehen. Madame Gierig war das nur Recht, alle sollten ihren letzten Auftritt vor Publikum sehen. Egal ob Wächter oder nicht. Sie machte sich gerade zurecht und zwängte sich in das enge Kleid. Als sie fertig war, betrachtete sie seufzend die Ikonografie ihres Bruders. So lange hatte sie die Geheimnisse zwischen ihnen aufbewahrt und jetzt war alles in Gefahr. Aber soweit sollte es nicht kommen. Sie musste zu Ende bringen, was sie begonnen hatte. Leise summend zupfte sie noch ihr Kleid zurecht, um dann endgültig die Eröffnung zu starten.

Patrick zwängte sich verzweifelt durch die Wächterschar, um zu seinem Abteilungsleiter durchzukommen, bevor die Eröffnung begann. Die Informationen, die er erhalten hatte, konnten nicht darauf warten, dass das Spektakel endete. Es ging um Leben und Tod und im Gegensatz zu meistens war das nicht als Floskel gemeint. Er beschleunigte, als er die stimme der Gierig hörte, wie sie in ihrer typischen Art eine Rede hielt. Der Korporal stieß gerade einen Rekruten zur Seite, als er bemerkte, dass sie viel zu schnell zu einem Ende kommen wollte. Er beschleunigte seine Schritte. Die Information musste den Hauptmann rechtzeitig erreichen. Fast schwingend bog der Husky um die Bühne und kam mit einem Ruck zu stehen. Musik setzte ein und er sah mit an, wie das Wächter-Tanzpaar auf die Fläche stolperte. "Verdammt" war das einzige, was er durch seine Zähne quetschen konnte.

Humph fühlte sich wie eine Feder, die sich im Wind bewegte. Zumindest dann, wenn der Wind ein Orkan war und sich ständig um die eigene Achse drehte. Er hatte keine Ahnung, was seine Stellvertreterin und er da eigentlich machten, aber keiner von beiden war bisher gestürzt und solange das gewährleistet war, war alles gut. Besonders in Hinsicht auf die Wette mit Sillybos. Und das Beste war: Es war schneller vorbei als er dachte. Gerade stampfte Hatscha mit dem Fuß auf, was für ihn das Zeichen zum Halt war. Klatschen ertönte und er fühlte sich das erste Mal in den letzte Tagen, Wochen... nein, Monaten, richtig gut... und erleichtert. Erst jetzt sah er sich genau um, so gut er konnte, denn für den Auftritt der Madame mussten sie in einer gewissen Pose stehen bleiben. Die Dielen der Fläche waren vollkommen perfekt verlegt und auf Hochglanz geschrubbt worden. Das Licht verhinderte, dass er in den Zuaschauerraum sehen konnte, aber die Bühne war sehr düster aufgebaut worden. Masken waren aufgehängt und eine Sense schwebte in der Mitte der Plattform. Ein stilisierter Tod schien ebenfalls auf der Bühne zu sein. Humph fragte sich, ob das dem alten Kommandeur wirklich gefallen würde. Und dann kam sie: Sie bewegte sich ungemein grazil für ihr Alter, sie schien fast herein zu schweben. Ihr Tanz beeindruckte sogar Humph.
"Sieht aus, als hätten wir es bald geschafft", murmelte er Hatscha zu, als er sah, wie sie sich immer schwerer tat nach hinten gebeugt zu stehen. Plötzlich kam ein Geruch in seine Nase und sein Blick schweifte wieder zurück zur Bühne. Rauch kam aus den Dielen. Instinktiv ließ Humph seine Kollegin los, konnte sie aber gerade noch schnappen, bevor sie nach hinten fiel. In dem Augenblick krachte es laut und der Rauch verebbte langsam. Eine Silhouette erschien in der Mitte und hielt Madame Gierig auf.
"Nein, Amalie, das kann ich nicht zulassen!", rief er mit einer dunklen Stimme.
"Amalie?", fragte Hatscha verblüfft, "Sie heißt wie Frau Willichnicht?"
"Soll vorkommen", murmelte Humph zurück, "Aber starker Auftritt." Sein Schauspielerherz schlug höher. Die Tanzpaare hatten ihre Formation verlassen und sahen gespannt auf die Szenerie. Humph konnte das Murmeln unter den Wächtern hören, und winkte ein Zeichen von der Bühne. Er ging davon aus, dass die meisten Abteilungsleiter ihre Abteilung im Griff hatte, wollte aber nur anzeigen, dass sie noch warten sollten. Instinktiv näherte er sich den nunmehrigen Hauptpersonen vorsichtig von der Seite.
"Du darfst die Todessehnsucht nicht tanzen, Amalie. Es hätte keinen Sinn das zu tun. Ich weiß, dass du deinen Bruder geliebt hast. Und ich weiß, dass die beiden jungen Leute eure Kinder waren.", Humph und Hatscha sahen sich irritiert an, der Mann schien der Tanzlehrer Fransl zu sein, "Aber ich habe diesen euren Fauxpas eurerseits ausgelöscht. Ich habe dir Zeichen gegeben, dass ich verstehe, was dich treibt, Amalie, ich habe die beiden entfernt, damit du der Todessehnsucht nicht nachgibst. Und trotzdem wolltest du es tun. Aber ich liebe dich, du darfst nicht sterben. Das würde absolut keinen Sinn machen. Nur weil du ein Schandfleck deiner Familie bist."
Hatscha verdrehte die Augen: "Der hat doch nicht alle beisammen."
"Aber ziemlich herzzerreißend, nicht?", Humph konnte sich den Sarkasmus nicht verkneifen, machte sich aber trotzdem bereit einzuschreiten, wenn es notwendig wurde.
"Du kannst nicht gehen. Ich könnte ohne dich nicht leben. Siehst du", der Mann zog ein Messer aus seiner Tasche, "Wenn du die Todessehnsucht vollführst, dann muss ich einschreiten. Ohne dich...", er machte einen Schritt auf sie zu, "wäre mein Leben sinnlos."
"Ich glaub mir wird schlecht", entfuhr es Hatscha, Humph warf ihr einen warnenden Blick zu, nickte aber. Nur noch drei Schritte trennten die beiden älteren Leute.
"Worauf warten wir eigentlich noch, er hat gestanden.", fragte die Stellvertreterin gerade, als der Mann einen weiteren Schritt machte. Erst jetzt löste sich Madame Gierig und warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Sie klappte den Mund auf. Und plötzlich kam er aus dem Nichts. [1] Humph hatte Patrick gar nicht hinter der Bühne gesehen, aber jetzt war er da, schlug dem Mann das Messer aus der Hand und überwältigte ihn.
"Irgendwie... war das übertrieben", raunte Humph seiner Tanzpartnerin zu.
"Mir egal, Hauptsache es ist zu Ende und ich komme aus diesen Schuhen raus."

"Todessehnsucht war also ein Tanzschritt, nach dem man stirbt?", fragte Humph etwas ungläubig. Die DOG-Wächter hatten sich wieder im Abteilungsleiterbüro eingefunden. Der Abteilungsleiter kühlte sich die Füße mit Eis.
"Ja, Sir.", erwiderte Patrick. Müdigkeit war in seinen Worten zu vernehmen, "Man stürzt sich auf die Sense des Todes. Im wahrsten Sinne des Wortes."
"Ich hätte zu gerne gesehen, wie sie das angestellt hätte", murmelte der Hauptmann leise.
"Und in der Nachricht aus dem Glückskeks stand: 'Gib dich nicht der Todessehnsucht hin'. Und als Stabsspieß Harry zu mir kam, um mir mitzuteilen, dass ich ausrichten soll, dass die Gierig in der Nacht, in der sie observiert wurde, bei Fransl war, habe ich Eins und Eins zusammengezählt."
"Aber sie hat doch die Nachricht gar nicht gelesen, der Glückskeks war ungebrochen."
Harry räusperte sich: "Stimmt schon, aber die Tatsache, dass die beiden auch weiterhin ein Liebesverhältnis hatten, hat Korporal Nichts stutzig gemacht."
"Laut Aussage von Madame Gierig wollte sie sich nur verabschieden", kam es plötzlich von der Tür. Romulus stand plötzlich im Raum: "Ich habe eine Menge Geld heute Abend verloren."
"Das geschieht dir Recht, wenn du noch immer nicht gelernt hast anzuklopfen", murrte Humph, "Also hat der alte Knacker die drei Leute ermordet?"
"Er ist vollständig geständig. Und Madame Gierig ist vollkommen wütend auf ihn und hat beschlossen die Gilde mindestens ein weiteres Jahr zu führen."
"Die armen Gildenmitglieder", ließ Hatscha verlauten. Sie hatte sich bereits umgezogen, aber vorgezogen schuhlos zu bleiben, "Und die Toten waren wirklich die Kinder der Geschwister?"
Romulus nickte, zeigte aber an, lieber nicht darüber reden zu wollen.
"Zumindest sind wir jetzt fertig mit diesem Fall", Humph bückte sich nach seinen Schuhen, als er ein lautes Ratsch hörte. Schlagartig ließ er den Oberkörper nach oben schnallen und hielt sich die Hände an den Hintern.
"Na, hat der Nilpferdbauch etwas zuviel Spannkraft für die Hose?", kicherte Hatscha.
"Raaaaaaaaaaaaaus! Und zwar alle!"


Am nächsten Tag verschwand Sillybos mit einem eigenartigen Blick und einer Schachtel in der Hand in seinem Büro. Seufzend öffnete er das Paket und hob das rosa Tütü heraus, um es zu betrachten. Er hätte nie wetten sollen, dass er einen Tag lang in diesem Ding herum laufen würde. Aber wer hätte schon gedacht, dass der Hauptmann diesen Tanz schaffen würde. Er nahm den Zettel, der am Kleidchen hing, und las leise: "Wer ist nun das Nilpferd? Mit lieben Grüßen, Meck."

[1] Man verzeihe mir das blöde Wortspiel




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Feedback:

Von Harry

01.11.2007 10:16

</b><br><br>Ausnahmsweise eine kleine grammatische Anmerkung von mir (normalerweise lese ich über so was hinweg, aber hier war es irgendwie zu extrem...)<br>Eine Satzkonstruktion wie <br>"Ist das so?", er grinste.<br>ist falsch, wenn beides Hauptsätze sind gehört da kein Komma zwischen.<br>"Ist das so?" Er grinste.<br>wäre richtig, oder "Ist das so?", grinste er.<br>Da bin ich immer wieder drüber gestolpert.<br><br><b>

Von Kannichgut Zwiebel

01.11.2007 10:16

</b><br><br>Sehr lebendige Geschichte, schön dargestellte Charaktere. Ich hab viel gelacht. :)<br><br><b>

Von Lady Rattenklein

01.11.2007 10:16

</b><br><br>Nette "Plot"-Idee :-)<br><br><b>

Von Ophelia Ziegenberger

01.11.2007 10:16

</b><br><br>Die Idee, die Abteilungsleitung als aktiven Part in Ermittlungen festzusetzen, und dies auch noch gezwungenermaßen gemeinsam, hat mir gut gefallen. Der Charme deiner Single jedoch ging vor allem von der wissenden Art aus, in der Du die verschiedenen Wächter miteinander interagieren lassen hast. Du hast das Gefühl vermittelt, die beschriebenen Personen gut zu kennen und dem Leser einen fast persönlichen Einblick in diese zu ermöglichen. Es war vor allem der eher leise Humor der Geschichte, der nach dem Lesen präsent geblieben ist und sie daher für mich ausmacht. Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Erklärung bloß (zweimal?) überlesen habe, vielleicht war sie auch angedeutet, aber ich konnte nicht ganz zuordnen, was es mit dem Tod des Bühnenarbeiters auf sich hatte. Auch fand ich die Nachricht im Glückskeks unlogisch, da die Dame diese Nachricht, die ja an sie gerichtet war, in keinem Fall gefunden hätte. Wer sieht schon in den Mund eines Toten, wenn er selber nicht gerade Wächter ist und ermittelt? Erst recht wäre das unwahrscheinlich, wenn eine wie auch immer geartete persönliche Bindung zu dem Opfer besteht – denke ich zumindest. Durch den Schwerpunkt der Schreibperspektive auf das Abteilungsleiterpaar, dem ein aktives Ermitteln ja eher verwehrt blieb, fehlte es der Single leider bis kurz vor Schluss an Spannung. Aus meiner persönlichen Sicht hat die Single die Pokalanforderungen gut erfüllt.<br><br><b>

Von Ruppert von Himmelfleck

01.11.2007 10:16

</b><br><br>Die Geschichte ist flüssig und schlüssig geschrieben. Bis auf ein paar sprachliche Holpersteine habe ich nichts daran auszusetzen. Was mich ein wenig gestört hat war die Lösung. Sie kam mir sehr von Aussen und hatte mit den Ermittlungen kaum etwas zu tun. <br>Aber die Tanzstunden und Dialoge zwischen NeckDwarf und Hatscha ... köstlich. Und erst Silly im Tanzröckchen! Doch es hat mir viel Spass gemacht deine Geschichte zu lesen!

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