"..und so kam eins zum anderen. Das Ergebnis seht ihr ja hier vor euch." Mit diesen Worten schloss die Ausbilderin Goldie Kleinaxt ihre Rede und schaute die jungen Rekruten durchdringend an. Diese blickten stumm auf den Boden des Kasernenhofes, wo grade einer ihrer Kollegen von einem Wächter fort geschliffen wurde.
Keiner von ihnen hatte im Ernst geglaubt, dass wirklich und wahrhaftig Schläge ausgeteilt (und bedauerlicherweise auch eingesteckt) würden. Auf dem Ausbildungsplan stand wohl für diesen Tag "Waffenloser Kampf" an, aber man rechnete dabei mit mehr
Theorie und weniger
Praxis.Unter den vor sich hin starrenden Rekruten befand sich auch Sara Gutmut, eine ruhige und unscheinbare Frau in den "besten Jahren", wie es so schön hieß. Sie war vor einigen Monaten von Überwald nach Ankh-Morpork gezogen, allein von dem Wunsch getrieben diese sagenhafte Stadt, von der man so oft sprach, einmal zu erleben und sich in ihr verwirklichen zu können.
Früher, als sie klein war, hatte Sara Geschichten von Fremden auf der Durchreise über diese Metropole aufgeschnappt und sie fand die Vorstellung eines multikulturellen Ortes, an dem die verschiedensten Wesen in Frieden miteinander lebten, schon damals faszinierend.
Natürlich gab es auch in Überwald eine gewisse Artenvielfalt, die aber mehr oder minder von der Einstellung "Leben und leben lassen" geprägt war. (Es sei denn, es handelte sich zum Beispiel um Vampire, von ihnen wurde dies Motto ganz pragmatisch auf "Leben" gekürzt).
Aber in Ankh-Morpork sollte es anders zugehen. Dort gab es ein Miteinander, ein Austausch der Kulturen, ein ständiges Geben und Nehmen. Bei dieser Vorstellung bekamen Saras Augen jedes Mal einen seltsamen Glanz.
Saras Gutmuts Einstellung zu andersartigen Wesen lässt sich am besten so beschreiben: nimm einen Speziisten schlimmster Sorte und stell dir nun das genaue Gegenteil vor. Lernte sie, sagen wir, einen Werwolf kennen, so reichte es ihr nicht, die Unterschiede zwischen ihm und ihr zu akzeptieren.. sie sah überhaupt keine Unterschiede. Sie betrachtete alles und jeden als absolut gleichwertig, was früher oder später in ihrem Heimatdorf zu Problemen führen musste.
Denn hier hatte man etwas dagegen, dass sich des Nachts Vampirzähne in Jungfrauenhälse bohrten, kleine Kinder von Kobolden vertauscht wurden und schwarze Männer in alten Kleiderschränken rumlümmelten.
Sara hatte einen schweren Stand in der dortigen Gesellschaft, man misstraute ihr und beobachtete stets mit Argusaugen, wen sie wohl als nächstes "anschleppen" würde. Es war dann ihre Mutter, Frau Gertrud Gutmut, die den Stein ins Rollen brachte. Sie meinte Sara bräuchte eine andere Umgebung, um glücklich zu werden, hier würde sie für immer ein Außenseiter bleiben. Frau Gutmut riet ihrer Tochter dorthin zu fahren, wo sie sich wohl fühlen und so akzeptiert würde, wie sie war. Da kamen Sara all die Geschichten über Ankh-Morpork ins Gedächtnis zurück und sie zögerte kaum, als sie sich anschickte ihre Koffer zu packen. Zu schön war das Bild vor ihrem inneren Auge, zu reizvoll die Vorstellung Teil solch einer perfekten Gesellschaft zu sein..
[1]Und so kam es, dass an einem verregneten Herbstmorgen eine in schwarz gekleidete Dame aus der Kutsche stieg, die in einem schlammigen Innenhof des Postgebäudes von Ankh-Morpork hielt. Hier war sie nun, bereit sich der Welt im Allgemeinen und dieser Stadt im Besonderen zu stellen.
Allerdings stellte sich erst einmal heraus, dass man zum Leben in dieser Großstadt wesentlich mehr Geld brauchte, als es in der alten Heimat der Fall war. Sara begab sich also schon nach wenigen Tagen auf Arbeitssuche.
Nach ihrem ersten größeren Streifzug durch die Straßen der Stadt sah sie an einer Hauswand eine Ausschreibung: die Stadtwache von Ankh-Morpork suche neue Rekruten.
Naja, dachte sie,
warum nicht? Mit Leuten umgehen kann ich [2] und abwechslungsreich scheint diese Arbeit auch zu sein. Und probieren geht bekanntlich über studieren.Am nächsten Tag schon saß sie im Wachhaus in der Kröselstraße und füllte den Bewerbungsbogen aus. Noch einen Tag später stand sie mit ihrer Rekrutenuniform vor der diensthabenden Ausbilderin und versuchte zum ersten Mal in ihrem Leben Haltung anzunehmen. Nunja, oder besser gesagt das anzunehmen, was sie unter militärischer Haltung verstand.
Eine Woche später schaute sie auf die frische Schleifspur ihres Kollegen.
"Wer möchte der Nächste sein?!"
Sara schreckte bei der befehlsgewohnten Stimme der Ausbilderin auf. Dies war keine Frage gewesen, eher der Befehl sich umgehend freiwillig zu melden. Der Selbsterhaltungstrieb der Rekruten überwiegte aber den Drang, der Aufforderung nachzukommen, und so trat jeder von einem Bein auf das andere und fand den Boden vor seinen Füßen auf einmal furchtbar interessant.
Lance-Korporal Goldie Kleinaxt zückte ihr Klemmbrett auf dem schon die eine oder andere Notiz gemacht wurde und verkündete: "Na gut, dann machen wir eben Alfa-behtisch weiter!" Ein leises Gemurmel, als sie die Liste durchging, dann sah sie auf und rief: "Rekrutin Gutmut! Einmal nach vorne getreten!"
Sara zuckte zusammen und trat in die Mitte der Gruppe, die einen Kreis bildete.
Ok, dachte sie sich,
nur keine Panik. Mach einfach das, was du im normalen Leben auch machen würdest. Natürliches Verhalten kommt bestimmt immer gut an.Ein Wächter trat ebenfalls in den Kreis und baute sich grinsend vor ihr auf. Sara musste den Kopf fast schon in den Nacken legen, damit sie ihm in die Augen sehen konnte.
"Gut, gut", verkündete die Ausbilderin, als sie das Geflüster der Truppe mitbekam. "Denkt bloß nicht, dass wir hier nur Frauen gegen Frauen und Männer gegen Männer antreten lassen. Denn in einem offenen Kampf vergisst jeder seine gute Erziehung und am Ende ist es egal, wen man wie und womit schlägt, Hauptsache der andere geht als Erster zu Boden.
Sucht am besten nach möglichen Schwachstellen beim Gegner und nutzt sie aus.
Nun.. ihr dürft anfangen."
Der Wächter hob die Fäuste und sein Grinsen wurde breiter. Er hatte nicht vor der Frau alle Knochen im Leib zu zertrümmern, obwohl er dazu bestimmt in der Lage gewesen wäre.
Aber eine kleine Lektion würde sie erhalten, und wenn es in Form eines hübschen Veilchens passieren würde.
Er holte grad aus, als Sara plötzlich Haltung annahm und sich an die Ausbilderin wendete: "Mäm, eine Frage, wenn es erlaubt ist!" Lance-Korporal Kleinaxt hob eine Augenbraue und sagte: "Ja..?"
"Warum? Ich meine.. was ist der Grund dafür, dass mich dieser Mann schlagen will?"
"Was spielt denn das für eine Rolle?!" entgegnete Kleinaxt verwirrt. Derweil entspannte sich der Wächter und sah neugierig abwechselnd zur Ausbilderin und zur Rekrutin.
"Oh, eine große Mäm. Vielleicht habe ich mich ja nur im Vorfeld falsch verhalten und es würde eine Entschuldigung reichen, um ihn davon abzuhalten Gewalt anzuwenden. Oder vielleicht hat er einfach nur einen schlechten Tag gehabt, dann würden ihm einige freundliche Worte bestimmt gut tun. Man könnte ihn auch noch auf ein Bier einladen, manchmal wirkt das Wunder. Oder.."
"REKRUTIN GUTMUT!" schrie die Ausbilderin sie an. "DU WIRST JETZT MIT DIESEM MANN KÄMPFEN! SOFORT!"
Ein unangenehmes Geräusch folgte augenblicklich und der Wächter sank mit blassem Gesicht und hervorquellenden Augen in die Knie.
"Rekrutin Gutmut", sagte Kleinaxt in einem sehr müden Ton und rieb sich die Schläfen. "Warum hast du dem Mann in die Weichteile getreten?"
Sara nahm wieder Haltung an und antwortete: "Du hast mir befohlen zu kämpfen Mäm.
Außerdem hast du gesagt, dass es egal sei, wie und womit man kämpft."
"Aber der Gegner war doch noch gar nicht vorbereitet."
"Genau. Du sagtest, wir sollen die möglichen Schwachstellen beim Gegner ausnutzen, ich habe zwei gefunden und genutzt. Die erste war, dass er nicht damit rechnete, die zweite war.. nun, seine
männliche Schwachstelle." Sara errötete leicht.
Kleinaxt blickte auf den sich am Boden krümmenden Wächter. "Ja.. in der Tat." Sie hob das Klemmbrett und machte sich Notizen, dann sah sie wieder zu Sara. "Ich denke du kannst dich zurück zu den anderen stellen."
Die Ausbilderin sah wieder auf ihre Zettel und rief: "Der Nächste!"
[1] Sara ist ein hoffnungsloser Idealist, oder vielleicht auch einfach nur ungeheuer realitätsfern, das hängt von der Betrachtungsweise ab.
[2] ..wobei der Begriff "Leute" für sie alles umfasste, das zu einer autonomen Fortbewegung fähig war und sich ihr auf irgendeine Weise verständlich machen konnte.
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