Aller Anfang ist Pferd

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von Wächterin Renee Regenwetter (GRUND)
Online seit 15. 08. 2007
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Für Rekruten (erste Mission):
Auf dem heutigen Ausbildungsplan steht: "Reiten - Das Wachepferd im Einsatz." Meine Güte, du bist in der Stadt. Musst du dich wirklich mit Reitunterricht herumschlagen?

Dafür vergebene Note: 11

Man sagt, besondere Tage beginnen schon mit dem richtigen Wetter. Renees erster Tag als Rekrutin der Stadtwache begann mit demselben schmutzig-grauen, langweiligen Himmel, der Ankh-Morpork etwa jeden zweiten Tag überspannte. Renee hätte sich eigentlich - passend zu ihrem Namen - Regenwetter gewünscht, doch solche Sonderwünsche mußten bereits mehrere Monate im Voraus beim Koordinationsamt für Luftdruck und Individuelle Meteorologische Angelegenheiten beantragt werden. [1]
Renee schraubte das kleine Fläschchen neben ihrem Bett auf und genehmigte sich einen Löffel voll stark gesüßtem Klatschianischen Kaffee. Und wenn schon! Sie brauchte kein besonderes Wetter. Ob der Tag ein Erfolg würde, hing von ganz anderen Dingen ab.
Wachsam glitten ihre Augen über jeden Gegenstand im Raum. Ihr Mantel hing über dem Stuhl, ein Stiefel lag in der Ecke neben der Tür. Den zweiten konnte sie spontan nicht entdecken. Böse Zungen behaupteten, Renee wäre die personifizierte Unordnung, dabei hatte sie nur ein besonderes System. [2] Einer plötzlichen Eingebung folgend kniete sie sich auf den Boden und angelte unter dem Bett nach ihrem vermißten Stiefel. [3] Anschließend warf sie sich ihren Mantel über und fuhr mit den Fingern durch ihren wirren schwarzen Haarschopf. Leichtfüßig hüpfte sie über einige im Flur verstreute Hindernisse - hauptsächlich Werkzeug und einige Bücherstapel, Besitz ihres Onkels, der es mit der Ordnung ungefähr so genau nahm wie sie selbst - und klopfte an den Türstock von Theos Arbeitszimmer. Die Tür selbst war unlängst einem Experiment mit zwei Felsbrocken und einer Portion Ankh-Schlamm zum Opfer gefallen. Da Theokratius Regenwetter, besser bekannt als der Wirre Theo, jedoch seine Privatsphäre sehr ernst nahm, war sie zumindest symbolisch erhalten geblieben.
"Wie sehe ich aus?", wollte Renee wissen, nachdem ihr Onkel von seiner momentanen Arbeit aufgeblickt hatte.
Er reckte den Daumen der rechten Hand hoch, und sie grinste zufrieden.
"Oh, Re-Re, warte einen Moment!"
Eine schon fast bei der Haustür angelangte Renee bahnte sich ihren Weg zurück zum Arbeitszimmer und streckte den Kopf durch die Türöffnung. "Ja?"
Der Wirre Theo beugte sich vor und reichte ihr einen verschlossenen Umschlag. "Das wurde für dich abgegeben", sagte er.
Verwundert riß Renee den Umschlag auf und fischte eine Karte heraus. "Meine liebe Renee, herzlichen Glückwunsch für deinen Eintritt in die Stadtwache von Ankh-Morpork. Möge deine Karriere lang und erfolgreich sein", las sie laut vor. Auf der Suche nach dem Absender wendete sie sowohl Karte als auch Umschlag. "Cousine Willy? Ich kenne keine Cousine Willy..."
"Eine entfernte Verwandte aus der Sto-Lat-Ebene", beeilte sich ihr Onkel zu erklären. "Näherin. Mit Nadel und Faden. Wir haben eher wenig Kontakt zu diesem Zweig der Familie."
"Hm." Renee wußte nicht so recht, was sie davon halten sollte. Geistesabwesend fischte sie ein sauberes Tuch aus ihrer Tasche und begann damit, die Manschettenknöpfe an den Ärmeln ihres Mantels zu polieren.
Der Wirre Theo warf einen neugierigen Blick auf die Knöpfe. Giftgrüne Schlangen. Unwillkürlich ertappte er sich bei dem Gedanken, daß er, wenn er eine ebenso große Sammlung sein Eigen nennen würde wie seine Nichte, für den ersten Arbeitstag wohl eher ein glücksbringendes Symbol gewählt hatte. Aber vielleicht hatte eine optimistische und zielstrebige junge Frau wie Re-Re es ja nicht nötig, sich auf ihr Glück zu verlassen...

Renee hätte schwören können, daß das Wachepferd kurz davor war, sich in ein Schlafendespferd zu verwandeln. Es reagierte weder auf energischen Schenkeldruck noch auf gutes Zureden. Es stand einfach nur da und döste vor sich hin. Ab und zu wackelte es mit den Ohren, um einige lästige Insekten zu verscheuchen. Die Reiterin auf seinem Rücken schien das Tier nicht wahrzunehmen, oder aber es hatte beschlossen, sie bewußt zu ignorieren.
Das klackernde Geräusch von trappelnden Hufen deutete darauf hin, daß zumindest einige von Renees Mitrekruten weniger Probleme mit ihren Pferden hatten. Renee sah sich nachdenklich um und begegnete dem Blick von Feldwebel Rogi Feinstich, ihrer Ausbilderin. Gibt es Probleme?, schien dieser Blick zu fragen.
"Das Pferd gehorcht aufs Wort", versicherte Renee. Sie ruckte kurz an den Zügeln, deutete auf ihr Reittier und befahl: "Stillgestanden!"
Das Pferd glotzte ausdruckslos und senkte dann den Kopf, um ein halb verdorrtes Grasbüschel aus dem Boden zu rupfen. Rogi hob skeptisch eine Augenbraue.
"Nun gut... dann feig doch bitte noch Fritt und Trab..."
Renee nickte und tat ihr Möglichstes, das Pferd anzutreiben. Doch selbst ein energischer Klaps auf sein Hinterteil rief keinerlei Reaktion hervor.
Ganz klar, da konnte jetzt nur eines helfen.
Renee griff in ihre Tasche und holte ihre Geheimwaffe hervor. Rogi blieb beinahe der Mund offen stehen.
"Waf ift daf, Rekrut?"
Renee biß sich kurz auf die Lippe um nicht zu grinsen, wie sie es sonst immer tat, wenn sie fälschlicherweise für einen Mann gehalten wurde. "Strickzeug, Mä'äm."
"Daf fehe ich", grummelte Rogi. "Die Frage ift - waf hat diefef Ftrickfeug in einem Reitkurf verloren?"
"Ich kann beim Stricken viel besser nachdenken, Mä'äm", beteuerte Renee.
Für einen kurzen Moment sah Rogi aus, als hätte sie ein Beruhigungsmittel dringend nötig. Doch schon hatte sie sich wieder in der Gewalt. Tief durchatmend wandte sie sich dem nächsten Rekruten zu.
Renees Finger glitten über die rote Wolle, und eine Idee nahm in ihrem Kopf Gestalt an. Wenn ich etwas Essbares bei mir hätte, könnte ich es an der Wolle festbinden und diesem wandelnden Sofakissen vors Maul halten. Damit erlange ich bestimmt seine Aufmerksamkeit. Sofort begann sie, in ihrer Tasche zu wühlen. Schließlich förderte sie ein aufgeweichtes Brötchen zutage. Vorsichtig schnupperte sie daran. Es roch etwas besser als die Würstchen, die Schnapper zu verkaufen pflegte. Allerdings nicht viel besser. Besonders appetitlich sah das Brötchen ebenfalls nicht aus. Einen Versuch ist es wert...
Sekunden später baumelte der Köder vor dem Gesicht des Tieres. Erfreulich war, daß das Pferd sich sofort in Bewegung setzte, noch dazu mit einer Geschwindigkeit, die Renee niemals erwartet hätte. Weniger erfreulich war jedoch, daß es nicht wie erwartet nach vorne stürmte, sondern nach hinten. Auf seiner Flucht vor Renees Wollfaden-mit-Brötchen-daran prallte es gegen eine der hölzernen Absperrungen, die mit lautem Gepolter umfiel. Renee verlor das Gleichgewicht und landete mitsamt dem Brötchen höchst unsanft im Staub. Einer ihrer Manschettenknöpfe kullerte über den Boden, bis er von einem Paar kurzer Beine gestoppt wurde. Feldwebel Rogi Feinstich blickte mit undefinierbarem Gesichtsausdruck auf das Bild, das sich ihr bot.
"Und daf war...?"
Renee rappelte sich hoch und salutierte. "Aufwärmen, Mä'äm!"
Unter Rogis wachsamen Blick schwang sie sich wieder auf den Pferderücken. Dann beugte sie sich vor, um dem Tier etwas ins Ohr zu flüstern: "Wenn du weiterhin so störrisch bist, könnte nächstes Mal eines von Schnappers Würstchen am Faden hängen."
Ein triumphierendes Lächeln huschte über Renees Gesicht, als sich das Wachepferd langsam in Bewegung setzte.

Die Tür öffnete sich mit einem grauenvollen Quietschen, das in etwa so klang, als ob ein Kätzchen von einem Eselskarren überfahren würde. Theokratius Regenwetter mußte sich bücken, um eintreten zu können.
"Cousine Willy, nehme ich an?", schallte seine Frage durch den Raum.
"Wilhelmina", zischte eine energische Stimme.
Die Frau stand mit dem Rücken zum Fenster, daher konnte der Wirre Theo ihren Gesichtsausdruck im hellen Licht der Nachmittagssonne nicht gut erkennen. Dennoch konnte er sich ihr hartes, gefühlskaltes Lächeln recht bildhaft vorstellen. Und er war überzeugt davon, daß jeder, der ungewollt Bekanntschaft mit der Assassinengilde machte, als Letztes in seinem Leben genau dieses Lächeln sah. Schmale, verkniffene Lippen, die Mundwinkel leicht nach oben verzogen. Augen, aus denen der Abscheu blitzte für das, was sie entdeckten.
Ein eisiger Schauer lief dem Wirren Theo den Rücken hinab. [4] Aber er war nicht hergekommen, um sich einschüchtern zu lassen, und so schluckte er hörbar, um seine trockene Kehle zu befeuchten.
Anschließend versuchte er, sich so weit zusammenzunehmen, um zum eigentlichen Grund seines Besuches zu kommen: "Du hast Renee eine Glückwunschkarte geschickt?"
Die Frau löste sich vom Fenster und trat auf ihn zu. Zu seiner Überraschung erkannte der Wirre Theo, daß ihr Lächeln beinahe warmherzig wirkte.
"Ja, das habe ich. Wieso? Ist das verboten?" Schelmisch grinste sie ihn an, und der Wirre Theo empfand plötzlich den Ausschnitt seines Kragens als ungewöhnlich eng. Nervös zupfte er daran herum, während er versuchte, seine Antwort zu formulieren.
"Verboten gewiß nicht, aber doch etwas ungewöhnlich. Jahrelang war dir die Familie doch völlig egal, Wilhelmina. Oder täusche ich mich da?"
"Ich habe eben eingesehen, was mir bisher immer entgangen ist", entgegnete die Frau mit leicht zur Seite geneigtem Kopf. Sie wischte ein unsichtbares Stäubchen von Theos Schultern, während sie scheinbar beiläufig fortfuhr: "Außerdem ist es nie schlecht, eine Wächterin in der Familie zu haben."
Der Wirre Theo versteifte sich augenblicklich unter ihrer Berührung.
"Wenn du vorhast, Re-Re zu erpressen oder ihr etwas anzutun, dann -"
Wilhelmina hob die Hand. "Das würde ich nie tun!" Dürre, kalte Finger glitten zärtlich über Theokratius' Wange. "Ich appelliere höchstens an ihren guten Familiensinn..."
[1]  K.L.I.M.A. befindet sich am oberen Nordhang des Cori Celesti neben einem seltsam geformten Felsen. Anträge sind über ein spezielles, an autorisierten Stellen erhältliches Formular in fünffacher Ausfertigung einzureichen. Es ist zu vermuten, daß ein Großteil der ausgefüllten Formulare auf dem Schreibtisch eines göttlichen Beamten seine ewige Ruhe findet. Gelegentlich wird jedoch ein Antrag genehmigt und beschert der Scheibenwelt dadurch so außergewöhnliche Witterungen wie den Großen Karamellfroschregen im Jahrhundert des Bedeutsamen Dreiecks.

[2] Vereinfacht gesagt bestand es darin, Gegenstände in eine beliebige Ecke zu schleudern. Diejenigen, denen es durch göttliche Fügung bestimmt war, an einem bestimmten Platz zu sein, würden sich dann schon von selbst dorthin begeben. Bei allen übrigen war es egal, wo sie sich befanden.

[3] Es gibt ein ungeschriebenes Gesetz, wonach sich vermißte Gegenstände immer unter dem Bett der oder des Suchenden befinden.

[4] Soweit er wußte, hegte Wilhelmina zwar für Lord Witwenmacher in etwa die selbe Verachtung wie für Theo selbst - was allerdings nicht verhindern konnte, daß er sich in Gesellschaft dieser Frau äußerst unwohl fühlte.




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Feedback:

Von Goldie Kleinaxt

23.08.2007 16:47

</b><br><br>Also ..<br>Eine nette kleine Geschichte. Ich fand sie gut. Ein schönes Debut.<br>Zum Plot gibt es nichts zu sagen, es ist halt eine Grund-Single. Du hast dafür sogar einen kleinen Spannungsbogen mit dem Brief eingebaut, der Lust auf weitere Geschichten macht. <br>Ausserdem zeigst Anzeichen von einem Stil, der mehr sehr gut gefällt. Ich bin gespannt, wie Du ihn weiterentwickeln und verfeinern wirst.<br>Als einziges Manko hätte ich mir mehr Beschreibung über Renee selber erwartet. Dafür und für nicht viel mehr sind die Grundsingles überhaupt da. <br><br><b>

Von Kannichgut Zwiebel

23.08.2007 16:47

</b><br><br>Kurze knackige Geschichte, die eine gute Vorstellung nicht nur von deinem Charakter vermittelt, sondern auch von dessen näherem Umfeld. Dein Schreibstil ist plastisch und füllt den Raum, in dem sich Renee bewegt, angenehm mit Leben. Weiter so!<br><br><b>

Von Kolumbini

23.08.2007 16:47

</b><br><br>Sehr schöner Schreibstil, aber mir hat ein wenig mehr vom Charakter gefehlt. Bei der nächsten Geschichte einfach mehr Szenen mit dem Charakter an sich zeigen. Außerdem schien mir das Ende sehr abgehackt. Ansonsten habe ich mich sehr über die netten Witze amüsieren können. Freue mich schon auf mehr!<br><br><b>

Von Ophelia Ziegenberger

23.08.2007 16:47

</b><br><br>Eine sehr schöne Einstiegssingle. Für meinen persönlichen Geschmack ist sie zwar etwas zu kurz geraten aber sie gleicht dies durch ihr ausgezeichnetes Ende aus, durch welches beim Leser Spannung und Neugier aufgebaut werden. Du hast einen optimistischen Charakter auf den Weg geschickt, der weder auf den Mund gefallen ist, noch über überragende Fähigkeiten verfügt, die ihn für einen Alleingang innerhalb der Wache prädestinieren würden. Die Ausbildungsszene war in typischer Azubi-Manier abgehakt, was natürlich nicht ganz so schön ist. Aber da die Vorlage nun einmal ziemlich ausgelutscht ist, bleibt einem da auch nicht mehr viel Neues zu schreiben. Deine nächste Geschichte dagegen wird gewiß aus dem Vollen schöpfen und ich freue mich jetzt schon darauf, sie alsbald zu lesen. Gerne weiter so!<br><br><b>

Von Ruppert von Himmelfleck

23.08.2007 16:47

</b><br><br>Hmmm ... die eigentliche Ausbildung kommt ziemlich kurz vor. Die Lösung, dem Pferd etwas ins Ohr zu flüstern, ist zwar lustig aber normalerweise nicht erfolgversprechend.<br><br>Ich mag Deinen Stil und freue mich schon noch mehr von Dir zu lesen.<br>Aber versuch bitte Anspielungen auf künftige Handlungen in einem etwas engeren Rahmen zu halten als die mit Wilhelmina. Du baust eine Spannung auf, die aber in der Geschichte nicht gelöst wird. "Wer ist diese Frau? Fortsetzung folgt ... irgendwann." Als Leser mag ich das nicht so sehr (Wobei ich mich schon fragen muss, ob ich das nicht auch selber öfter so mache).

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