Interessante Zeiten bei RUM

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von Lance-Korporal Ophelia Ziegenberger (RUM)
Online seit 01. 08. 2007
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 Außerdem kommen vor: Septimus EbelMaganeKanndraRomulus von GrauhaarAmok LaufenLilli BaumMimosaRogi FeinstichRabe RabenKolumbiniPyronekdan

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Dafür vergebene Note: 12

Weit, weit weg...

"Der Tod ist nur ein Schritt in die richtige Richtung..." Der Schriftzug leuchtete dem Lance Korporal regelrecht von ihrer Tasse entgegen und lenkte sie ab. Dabei hatte sie diesen Spruch des Clubs des Neuen Anfangs schon tausend Mal gelesen. Magane versuchte sich wieder zu konzentrieren.
Es war an der Zeit, einige Gespräche mit den Rekruten anzuberaumen und sie wollte sich zuvor einen Eindruck der Stärken verschaffen.
Ihr Blick wanderte von dannen, hin zu dem unwiderstehlichen Lächeln im Mittelpunkt der Ikonographie. Er war bestimmt gerade dabei, sich mit Händen und Füßen gegen den Mittagschlaf zu wehren. Sie wäre ja gerne bei den Großeltern gewesen, um ihnen diese Last abzunehmen und Tom selber zu Bett zu bringen. Aber irgendwie musste sie schließlich den Unterhalt verdienen. Wobei ihr wieder einfiel, dass sie den Älteren versprochen hatte, heute zum Feierabend etwas vom Viehmarkt mitzubringen. Es sollte bei den Höfen inzwischen einen dieser omnianischen Schlachter geben, der mit rituell gereinigter Ware warb.
Sie blickte plötzlich sehr aufmerksam zur Tür ihres Büros. Bevor noch geklopft werden konnte, rief sie schon: "Herein!"
Die junge Frau, die vorsichtig ihren Kopf ins Zimmer streckte, fühlte sich offensichtlich unwohl in ihrer Haut.
"Mam, am Tresen steht ein Bürger, der sagt, dass er eine Leiche zu melden hätte, die er gerne abholen lassen wolle."
Magane konnte nicht umhin, sich zu korrigieren. Sie waren in der Kröselstraße, nicht im Hauptwachhaus und den R.U.M.-Räumen, womit es für die hiesigen Wächter eben nicht selbstverständlich war, dass eine überflüssige Leiche zur Debatte stand. Sie würde die Gelegenheit nutzen, um den Rekruten zu zeigen, wie eine Fallakte für R.U.M. angelegt wurde. Vielleicht konnte sie tatsächlich dazu beitragen, den Kollegen dort die Arbeit in Zukunft etwas zu erleichtern.
So etwas wie Heimweh zog kurz durch ihr Herz, als sie die vorliegende Personalakte schloss.
"Holt schon einmal eine der roten Mappen unter dem Tresen hervor und ein Befragungsformular. Ich komme gleich nach vorne und gehe das zusammen mit euch durch."
Die R.U.M.-Kollegen waren ja nicht aus der Welt. Einige wenige Monate nur, dann würde ihre Abordnung wieder aufgehoben sein. Immerhin hatte sie sich bewusst auf den Ausbilderposten beworben und diese Aufgabe gerne übernommen.

Die Graue Emminenz

"Es liegt mir selbstverständlich fern, mich irgendwem aufzudrängen. Das kannst du mir glauben, Herr! Alle deine wertvollen Mitarbeiter, die ich das Vergnügen haben werde, begleiten zu dürfen, werden mich kaum bemerken, so dezent gedenke ich mich im Hintergrund zu halten. Blattschuss, sage ich mir immer, du musst die verunsicherten Leutchen nicht auch noch mit professioneller Neugier verschrecken, sondern sie stattdessen in ihrer natürlichen Umgebung, unter natürlichen Bedingungen sozusagen, beobachten. Keine unnütze Einmischung. Keine gestellten Situationen. Nichts als die pure, ungeschminkte Wahrheit sozusagen. Immerhin geht es ja darum, dem Ankh-Morporkianer ein möglichst getreues Bild zu vermitteln. Und wenn dieses Langeweile und Tatenlosigkeit bedeuten sollte, dann spricht das ja immerhin für den friedfertigen Charakter des durchschnittlichen Mitbürgers, denkst du nicht auch, Herr?"
Romulus von Grauhaar hatte die versteckte Spitze durchaus erkannt. Sein Gespür für solche Dinge hatte sich in den Jahren, die er nun schon dem Auf und Ab der menschlichen Gezeiten dieser Stadt folgte, deutlich geschärft. Er fragte sich unweigerlich, womit er eine solche Strafe verdient haben mochte. Handelte der Kommandeur tatsächlich aus reiner Notwendigkeit, wie er dies in ihrem kurzen Wortwechsel angedeutet hatte? Immerhin hätte er doch sicherlich seinen Einfluss geltend machen und den nervtötenden Reporter einer der übrigen Abteilungen zuweisen können. Den D.O.G.s beispielsweise - deren Arbeitsbereich war doch auch interessant. Oder den F.R.O.G.s. Was für vorteilhafte Schlagzeilen da möglich gewesen wären! Selbst bei den S.U.S.en war bestimmt genug los, um darüber einen Artikel zu schreiben, der dem Ansinnen des Gassenblätchens ebenso wie dem der Wache zugute käme.
Romulus beeilte sich, möglichst gelassen zu nicken. "Ja, die Friedfertigkeit und die Mitbürger... ein wirklich fast sprichwörtliches Kapitel im Buch der Geschichte unserer Stadt." Er beeilte sich damit, dem nächsten Wortschwall zuvorzukommen, indem er den Stopfen Rohrpoströhre löste und seine Stimme quer durch das verzweigte System zu seiner Stellvertreterin sandte.
"Lance Korporal Ziegenberger, bitte komm kurz in mein Büro!"
Bis sie käme hieß es nun ein möglichst unverfängliches Gespräch aufrecht zu erhalten. Nicht gerade seine Stärke. Er richtete die Aufmerksamkeit wieder auf den dünnen Mann vor seinem Schreibtisch und räusperte sich krampfhaft lächelnd:
"Und wie bist du auf die Idee gekommen, Herr, dem Schaffen der Stadtwache einen Sonderbericht zu widmen?"
Er vermeinte kurz, einen hinterhältigen Ausdruck in den Augen seines schmächtigen Gegenübers aufblitzen zu sehen, doch dann war dieser Eindruck schon wieder verflogen.
"Ich habe mich einfach gefragt, was mich anstelle des Durchschnittsbürgers interessieren würde. Und dann fiel die Entscheidung zugunsten der Stadtwache mit ihren vielen Spezies, ihren institutionellen Möglichkeiten und Einschränkungen und ihrer beispielhaft durchdachten Hierarchie. Ich meine... wer hält sich denn heutzutage noch an so etwas? Da muss doch mehr dahinter stecken!"
Romulus konnte sein ironisches Lächeln nicht unterbinden.
"Muss es das?"
"Wenn du der Meinung bist, deine Arbeit enthielte keinerlei Besonderheiten, die einer Betrachtung wert wären, Herr Wächter, dann kann ich den Artikel auch ausschließlich aufgrund von Vermutungen schreiben. Aber ich denke, dass das weder dir, noch deinem bleichen Vorgesetzten recht wäre."
Romulus beschloss, etwas mehr auf die Formulierung seiner Aussagen zu achten. Eine nachteilige Berichterstattung konnte viel Schaden anrichten, soviel hatte er längst mitbekommen.
Es klopfte konsequent zurückhaltend an seine Bürotür und der Abteilungsleiter atmete erleichtert auf.
"Herein!"
Eine junge Frau trat ein, knickste kurz und schloss vorsichtig die Tür wieder hinter sich. Romulus stellte ihr ohne Umschweife den Besucher vor.
"Lance Korporal, dies ist Einzel Blattschuss, seines Zeichens Redakteur. Herr Blattschuss... meine stellvertretende Abteilungsleiterin, Ophelia Ziegenberger. Herr Blattschuss wird so freundlich sein, einen Sonderbericht über die Tätigkeiten der Abteilung Raub und unlizenzierten Mord zu verfassen."
Ihre Blicke trafen sich für den Bruchteil einer Sekunde und er wusste, dass sie sicherlich Verständnis dafür haben würde, dass er diese Begleitung eher ihr zu überantworten gedachte. So, wie sie bisher für alle seine Vorlieben, Abneigungen und Entscheidungen Verständnis aufgebracht hatte. Er fuhr fort:
"Gewiss wäre es ein ganz hervorragender Einstieg in diesen Artikel, wenn Herr Blattschuss einen Einblick in die vielfältigen planerischen Tätigkeiten bekäme, die es benötigt, um eine so bedeutungsvolle Abteilung wie die unsere am Laufen zu halten. Von daher wäre es mir lieb, wenn du ihn einige Stunden mit hinüber in dein Büro nehmen und ihm einen Überblick verschaffen könntest."
Herr Blattschuss konnte sich offenbar nicht entscheiden, ob dieses Vorgehen in seinem Interesse sein würde, wagte aber noch nicht, offenen Widerspruch einzulegen, für den Fall, dass er doch etwas Unerwartetes verpassen könnte.
Ophelia nickte zurückhaltend.
Ein heftiges Klopfen ließ die Drei synchron zusammenzucken und kurz darauf stand ein junger Mann im Türrahmen, eine flache rote Akte eng an die Brust gedrückt, als wenn er der verfolgte Gesandte und vertraulich bedachte Überbringer einer Depeche um Leben und Tod wäre. Was in gewissem Sinne auch zutreffen mochte, zumindest wenn man den vermutlichen Inhalt der so klassischen äußeren Verpackung bedachte. Denn dieses dunkle rot der Aktenkladde stand traditionell für einen Mordfall. Der Jüngling wandte sich sicherheitshalber direkt an den Abteilungsleiter.
"Sör, am Tresen wurde mir gesagt, ich könne die Akte gleich hochbringen. Ist das richtig oder...?"
Der Feldwebel runzelte die Stirn.
"Du kommst von der Kröselstraße?"
Der Jüngere nickte heftig, trat gänzlich ein und eilte zum Schreibtisch hinüber. Er streckte dem Ranghöheren eifrig die dünne Mappe entgegen.
"Mit freundlichen Grüßen von Lance Korporal Magane. Ich soll auch ausrichten, dass das mal eine ordentlich vorbereitete Akte ist."
Der dünne Reporter hob eine seiner Brauen leicht an und notierte einige kritzelige Worte auf seinem Block.
Ophelia lächelte dem Burschen vom anderen Wachhaus zu und dankte ihm freundlich, woraufhin dieser hochroten Kopfes den Rückzug antrat.
Romulus schlug den Deckel der Mappe auf und besah sich die Eintragungen. Er sah auf, wobei sein Blick nachdenklich den Zeitungsreporter streifte, dann gab er sich einen Ruck.
"Lance Korporal, da Du die wichtige Aufgabe wahrnimmst, Herrn Blattschuss in die Organisation einzuweihen, werde ich mich persönlich dieses Falles hier annehmen. Es ist längst mal wieder an der Zeit, dass ich aus dem Büro rauskomme. Ich gehe davon aus, dass das auch dir recht ist, Herr Blattschuss?"
Die Reaktion des dünnen Besuchers überrumpelte von Grauhaar dermaßen, dass er keine Widerworte fand, ehe der Moment schon vorüber war.
"Du kannst nicht wirklich von mir erwarten, dass ich solch eine hervorragende Gelegenheit verstreichen lasse, bei einer Untersuchung von Anfang an dabei zu sein, Herr! Natürlich werde ich dich begleiten. Der Papierkram rennt ja nicht weg."
Und schon war er aufgesprungen und stellte sich an Romulus' Seite, um mit in die Akte sehen zu können.
"Was machen wir als erstes? Leute befragen? Tatort anschauen? Oh, ist das aufregend!"

Fundstück Nummer 2

Die Obergefreite Lilli Baum legte langsam ihren Kopf etwas schief, um die Leiche aus neuer Perspektive zu betrachten. Das änderte natürlich nichts an dem Zustand des Toten. Der dünne Dolch steckte senkrecht in der blutbesudelten Brust und die dunklen Flecken wirkten wie eine feine Schicht Rost. Sie sah sich in dem kleinen Zimmer um. Lediglich ein winziges Fenster ließ Tageslicht in den Raum und selbst dieses wenige Licht wirkte seltsam stumpf, da es von der nahen Hauswand reflektiert wurde. Es herrschte eine typische Art von Unordnung, die man schnell als Resultat einer hastigen Durchsuchung zu identifizieren lernte. Spätestens wenn man als Wächter seinen ersten eigenen Versuch einer Wohnungsdurchsuchung absolviert hatte, wusste man, wie die klassischen Muster entstanden und konnte sie später an fremder Einwirkung erkennen. Beispielsweise die angehobenen Sitzkissen der Couch die nun nur noch leicht auflagen oder die achtlos verteilten einzelnen Papierseiten lediglich um den Tisch herum. Die Frage war dann halt immer, ob das gesuchte Objekt noch vorhanden oder doch schon gefunden worden war.
Sie wanderte langsam und schweigend durch den Raum, während in der Tür zum Nebenzimmer Romulus von Grauhaar mit dem Hausbesitzer sprach - eben jenem Mann, der einige Stunden zuvor die Anzeige aufgegeben und um Entsorgung der Leiche gebeten hatte.
"Es geht mir vor allem darum, den Kerl endlich los zu werden. Ich brauch euch ja wohl nicht vorgaukeln, ihn gemocht zu haben. Immerhin war er bloß mein Mieter und nicht mein Kumpel! Ich habe euch nicht hergeholt, damit ihr mir sonstwas für dämliche Fragen über ihn stellt, sondern damit ihr ihn mitnehmt und ich die Bude wieder frei habe. Ich will schnellstens wieder einen zahlungskräftigen Kunden in der Wohnung haben. Die Wache holt die Leichen doch zum Untersuchen ab. Also macht gefälligst euern Dschob!"
Die etwas höhere Stimme des Reporters schaltete sich, um Aufmerksamkeit heischend, in das Gespräch mit ein.
"Das ist interessant, dass du das gerade erwähnst, Herr. Ich plane einen Artikel über die Wohnsituation in den Schatten zu schreiben. Vielleicht könnte ich auch dein Haus lobend erwähnen. Natürlich müsste ich dazu erst noch einige Fragen stellen."
Der kräftige Vermieter, dessen Äußeres eher auf einen Straßenbandenanführer, als auf einen Immobilienverwalter schließen ließ, grummelte unwillig in Blattschuss' Richtung.
"Lass dir ja nicht einfallen, schlecht über mein Haus zu schreiben, das würdest du ganz schnell bereuen."
Die leicht verärgerte Stimme des Wächters ging dazwischen.
"Herr Blattschuss, das ist wirklich nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Bitte halte dich einfach etwas zurück, während ich die Fragen stelle."
Lilli war sich ganz sicher, dass ihr Abteilungsleiter das hinbekommen würde. Statt sich unnötig in dessen Gespräch einzumischen, wandte sie sich wieder der Indiziensuche zu. In Ermangelung eines Spurensicherers der S.U.S.en hatten sie selber kleine Papierkärtchen zur Kennzeichnung der Fundorte und Papiertütchen für den Transport der Indizien mitgenommen. Sie zog eines der Kärtchen aus ihrer Tasche und beschriftete es mit einer hübsch gemalten 1. Sie betrachtete das Kärtchen noch einen Moment und stellte den gefalteten Zettel dann auf dem Bauch der Leiche ab.
Diese Indizienkärtchen sahen beinahe wie ihre eigenen Kommunikationskärtchen aus. Falls ihr die eigenen Mal ausgingen, könnte sie eigentlich auch die der Wache benutzen. Warum sie da noch nicht früher drauf gekommen war?
Auf dem Klemmbrett notierte sie: Fundstück Nummer 1 ist eine Leiche, menschlich, männlich, Fundort Wohnraum.
Sie beschriftete das nächste Kärtchen und stellte Nummer 2 auf dem reglosen Brustkorb des Toten ab, dicht neben dem Dolchheft. Lilli kramte kurz in der Tasche und förderte dann eine der Papiertüten und zwei Schutzhandschuhe zutage, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen. Dann packte sie vorsichtig den Griff und begann ganz langsam die dünne silberne Klinge aus dem Körper zu ziehen. Dabei hoffte sie inständig, nichts falsch zu machen. Sie machte viel zu oft etwas falsch, selbst wenn die Anderen ihr klare Aufträge gaben und dabei war das nicht einmal ihre Absicht. Sie verstand manchmal auch nicht, was sie denn falsch gemacht haben sollte. Allmählich war sie es nur leid, dass die Kollegen ihr mit wachsender Ungeduld begegneten. Das Schlimmste an all dem war...
Die Klinge löste sich mit einem leichten Ruck aus dem verkrusteten Blut. Die Obergefreite schob den Dolch in eine der Papiertüten.
Das Schlimmste an all dem war, dass sie als aufrechter Schössling keinerlei Bedauern oder Ungeduld hätte empfinden dürfen, erst recht nicht im Zusammenhang mit so trivialen Dingen wie den Erwartungen ihrer Kollegen an sie. Sie sollte längst in gelassener Heiterkeit über solchen emotionalen Seitentrieben stehen.
Der steinerne Boden der Wohnung war stellenweise von den unzähligen Tritten blank poliert worden und im schräg einfallenden Tageslicht konnte die Wächterin einen leichten Schmutzfilm erkennen, der sich mattiert vom Rest abhob. Ein Fußabdruck!

Der Lichtblick

Romulus und Lilli schlenderten im typischen Wächtergang zurück zum Pseudopolisplatz. Der Feldwebel hatte bisher geschwiegen und die Obergefreite sowieso. Vor etwa fünf Minuten jedoch hatte er dieses Schweigen gebrochen und seitdem machte er sich in zurückhaltender Weise Luft, indem er der stillen Zuhörerin sein Leid klagte.
"Es ist ja nicht so, dass wir von seiner Berichterstattung abhängig wären! Es gab schon eine Menge Blödsinn, der über die Wache geschrieben wurde. Es ist nur..." Er warf frustriert die Hände in die Höhe. "Das kann doch einfach nicht richtig sein, dass solche Zivillisten wie Elefanten durch unsere Ermittlungen stampfen!" Er schüttelte frustriert den Kopf und seine kleine Kollegin nickte zustimmend.
Der Vorgesetzte lachte leise. "Soll man jetzt darüber froh sein, dass er dem Hausbesitzer noch Fragen bezüglich des Mietenspiegels stellen will? Immerhin sind wir ihn so wenigstens einige Minuten los. Oder muss man sich darüber Gedanken machen, dass er womöglich einen Zeugen vor den Kopf stößt?"
Ein weißes Licht flackerte dicht an Lilli vorbei, legte sich um Romulus und verblasste. Parallel dazu hörte die Wächterin ein tausendstimmiges Wispern. Sie blickte irritiert zu ihm hin und sah, wie er mit weiß verdrehten Augen zusammenbrach. Er sank einfach zu Boden. Sie blickte fassungslos auf den bewegungslosen Körper und wollte sich umdrehen, als sie schnelle Schritte dicht hinter sich hörte. Eine Stange traf sie in der Bewegung zwischen den Augen. Als es um sie herum schwarz wurde, dachte sie: "Eiche!".

Glatte Gasse, Ecke Morphische Straße

Die beiden Gefreiten saßen so weit wie möglich voneinander getrennt auf dem Kutschbock, als Schusi mit enormem Tempo um die Ecke preschte. Der Zufall hatte sie das erste Mal zu einem gemeinsamen Einsatz zusammengeführt, da sie beide bei Eintreffen der schlimmen Neuigkeit am Wachetresen gestanden hatten und so näherten sie sich nun in einvernehmlichem Schweigen dem Ort des Geschehens. Zum Glück war es nicht weit bis zur Glatten Gasse. Mimosa deutete mit ausgestrecktem Arm auf die Kreuzung vor ihnen.
"Dort! Das muss es sein!"
Amok nahm die Zügel zurück, während seine Lippen eine missmutige dünne Linie bildeten. Sie kamen mit einem Ruck zum Stehen. Bevor sie noch absteigen konnten, hatte ein dünner Mann in der Mitte der Menschentraube ihre Uniformen gesichtet und war aufgesprungen.
"Hier, Wächter! Ich habe alles gesehen und ich habe auf die beiden solange aufgepasst. Ich habe auch den Passanten zum Wachhaus geschickt, um Hilfe zu holen. Hier, schnell!"
Mimosa eilte entschlossen zu dem grau gekleideten Mann, wobei sie sich mehr oder weniger mit den Ellenbogen eine Gasse frei stieß. Amok folgte in ihrem Fahrwasser, bis sie bei den Körpern auf dem Gehsteig ankamen, in denen Mimosa ihren Abteilungsleiter und ihre Ausbilderin erkannte. Da ihr Kollege sich im Hintergrund hielt, beschloss Mimosa, der Einfachheit halber die Sache in die eigenen Hände zu nehmen. Sie ging in die Knie und tastete nach dem Puls des bewusstlosen Mannes. Das stete Pochen eines kräftigen Herzens beruhigte sie ein wenig, auch wenn sie das Pulsieren als ungewöhnlich langsam empfand. Die Menge der Schaulustigen war etwas mehr zusammengerückt, um sie besser beobachten zu können. Es wurden die haarsträubendsten Vermutungen geäußert und der dünne Mann, der sie zu sich gewunken hatte, ereiferte sich regelrecht in dem Bemühen, die beiden Neuankömmlinge mit seiner Geschichte zu beeindrucken.
"Ich war nur noch ein kleines Stück hinter ihnen, als einer der Passanten vor mir plötzlich wesentlich schneller lief und seinen großen Gehstock drohend auf die beiden richtete. Ich dachte, er würde ihnen hinterher rufen und das wäre eine Art Winken. Aber dann muss er einen Mechanismus betätigt haben, denn auf einmal flog etwas Glänzendes aus dem Stock und traf den Herrn von Grauhaar genau im Rücken und er fiel sofort zu Boden und rührte sich nicht mehr. Und dann rannte der Mann die letzten Meter und benutzte die Stockwaffe noch einmal, um sie der Wächterin über den Schädel zu ziehen. Ich habe natürlich sofort Hilfe geholt. Aber der Täter ist abgehauen."
Wie auf ein Stichwort hin begann Mimosas Ausbilderin sich zu regen. Sie schlug die Augen auf und tastete an der Stirn nach der enormen Beule, die dort inzwischen prangte. Sie zuckte zwar zusammen, riss sich aber in Anbetracht der vielen Beobachter merklich zusammen, um keinen Schmerzenslaut von sich zu geben. Sie sah sich, immer noch auf dem Rücken liegend, unter den Umstehenden um, bis sie das vertraute Gesicht ihres Azubis sah.
Mimosa ahnte Schwierigkeiten auf sie zukommen. Dennoch, die Frage musste natürlich gestellt werden.
"Mam, wie geht es dir? Was ist geschehen?"
Lilli Baum versuchte sich an einem verunglückten Lächeln, um die erste Frage zu beantworten, bevor ihr Blick den noch immer reglosen Körper des Abteilungsleiters streifte. Sie runzelte die Stirn und setzte sich behutsam auf. Ihre fragende Miene benötigte keinerlei Übersetzung.
"Er ist immer noch nicht zu sich gekommen. Wir fragen uns auch, was der Auslöser dafür war. Hast du den Angreifer sehen können, Mam?"
Lilli tastete wieder nach der Beule an ihrer Stirn und schüttelte als Antwort den Kopf. Dann deutete sie von dem Abteilungsleiter zum Eselskarren und schloss auch den näher getretenen Amok in ihre stumme Aufforderung mit ein, sie alle sollten schnellstmöglich dafür sorgen, den Bewusstlosen zur Wache zu bringen. Dem wollte niemand widersprechen. Amok murmelte während dessen mit finsterem Gesichtsausdruck vor sich hin, die Welt sei schon ein schlimmer Ort, wenn nicht einmal der Dienst des Wächters am Allgemeinwohl noch respektiert würde.
Gerade als Lilli mit einem resignierten Nicken auch dem Reporter das Aufsteigen auf dem Karren gestattet hatte, zögerte sie ein letztes Mal. Mimosa sah zu ihr hinüber und fragte:
"Fehlt noch etwas, Mam?"
Die Obergefreite nickte plötzlich heftig. Sie deutete den Henkel einer imaginären Tasche an und wog sie bedeutsam in der leeren Hand. Der Reporter quietschte regelrecht vom Karren herunter.
"Die eingetüteten Indizien! Die hat der Angreifer mitgenommen."

Die Schaltzentrale

"Ich nehme an, dass die Toten Briefkästen trotz des ganzen Aufruhrs gelehrt werden müssen, weswegen ich mich mal auf den Weg mache."
Der füllige Kontakter hatte nicht allzu laut gesprochen, doch er hatte auch nicht wirklich beabsichtigt, in den bewussten Aufmerksamkeitsbereich der stellvertretenden Abteilungsleiterin von R.U.M. zu geraten. Deren Büro glich in den letzten Stunden einem Taubenschlag und es war ihm nur recht, wenn er sich dem Chaos, welches seit der Einlieferung des AL's ausgebrochen zu sein schien, entziehen konnte. Vorgesetzte neigten in solchen Situationen dazu, Aufgaben neu zuzuteilen und er sah nicht ein, diesen absehbaren Zeitpunkt opferbereit abzuwarten, wenn er ebenso gut eine dringend benötigte Mahlzeit einnehmen konnte.
Wie von Pyronekdan angestrebt, blieb sein Verschwinden völlig unbemerkt und die Bürotür war noch nicht einmal vollständig geschlossen worden, als sie schon wieder aufgerissen wurde. Den bereits anwesenden Stimmen gesellte sich eine neuerliche hinzu.
"Oha, hier ist aber was los. Ich glaub, ich komme lieber später noch einmal vorbei."
Die junge Frau am Schreibtisch sah kurz auf, wurde aber schnell abgelenkt, als direkt neben ihr die derzeitige G.R.U.N.D.-Ausbilderin den Gesprächsfaden wieder aufnahm.
"Ef handelt fich, wie gefagt, lediglich um einen Bluterguf. Fie wird keinerlei Fäden davontragen."
Ophelia runzelte besorgt die Stirn.
"Und wie steht es um den Feldwebel?"
Rogi machte eine vage Geste mit der Hand, die so ziemlich alles bedeuten konnte. Momentan vermutlich ein Äquivalent zum Schulterzucken.
"Infwifen habe ich Verfiedenef verfucht aber er ift noch immer nicht fu Bewuftfein gekommen. Von daher ift ef auf jeden Fall eine ernfte Fache. Andererfeitf feint der Angriff keine lebenfwichtigen Organe beeinträchtigt fu haben. Allef funktioniert einwandfrei, wenn auch mit gefenkten Werten."
Es klopfte wieder einmal an der Tür und die Püschologin Anna Orientierungslos stand etwas ratlos im Rahmen.
"Oh, ich hatte nicht damit... soll ich vielleicht lieber später noch einmal..."
Die stellvertretende Abteilungsleiterin seufzte leise und fragte, nicht ohne zuvor einen kurzen, entschuldigenden Blick in Richtung der Igorina geworfen zu haben:
"Dauert es lange? Vielleicht können wir das schnell klären?"
Die Püschologin wurde sich der diversen Blicke der Anwesenden gewahr und errötete.
"Du hattest heute früh gesagt, dass ich wegen meines Urlaubsgesuchs später noch einmal anfragen sollte, wenn du die Gelegenheit gehabt hättest, mit dem Feldwebel Rücksprache zu halten, Mam."
Ophelia spürte ein weiteres kleines Gewicht auf ihre Schultern sacken.
"Ja, ich erinnere mich. Es tut mir leid aber da muss ich dich tatsächlich noch einmal auf später vertrösten. Wenn du mich vielleicht heute Abend daran erinnern könntest? Ich fürchte im Moment kann ich weder nachfragen, noch selber eine Entscheidung treffen. In Ordnung?"
"Ja, Mam." Die Wächterin salutierte kurz und schloss die Tür wieder von außen.
Ophelia wandte sich wieder ihrer ehemaligen Ausbilderin zu.
"Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, gesenkte Werte... Nun ja. Ich nehme an, du hast wenigstens eine Vermutung darüber, was ihn getroffen haben könnte?"
"Ef kommen verfiedene Urfachen in Frage. Etwaf, daf weder eine fichtbare Wunde, noch Fmerz verurfacht. Ef könnte fich dabei um einen Fluch oder einen Fauber handeln. Dafür würde ja auch fprechen, daf ef von einem Ftock abgefeuert wurde. Ef könnte fich aber auch um eine aufgefallene Art von Befeffenheit handeln. Ich habe allerdingf nicht die paffenden Inftrumente, um folche Urfachen ordentlich fu unterfuchen. Gift ift ef jedenfallf nicht. Ich würde vorflagen, einen Okkulti fu Rate zu fiehen."
Die Frau hinter dem Schreibtisch nickte zustimmend.
"Was auch immer du vorschlägst. Ich habe da vollstes Vertrauen in deinen Rat."
Rogi sagte: "Gut, dann werde ich einfach weiter nach einer Löfung fuchen und mich wieder melden, fobald ef Neuef fu berichten gibt."
"Ja, vielen Dank!"
Kolumbini hatte bisher schweigend an der Seite gestanden. Rogi war noch nicht aus dem Büro, als er seine Gelegenheit ergriff und seinerseits an den Schreibtisch herantrat. Er hatte sichtliche Mühe, seine Emotionen zu beherrschen.
"Wir müssen etwas unternehmen! Kein verfluchter Mistkerl verletzt einen Wächter und kommt damit ungeschoren davon! Ich bestehe darauf, in dieser Sache zu ermitteln."
Die rothaarige Frau warf einen fast beiläufigen Blick auf die Aktenkladde, die sichtlich in der empörten Hand des Ermittlers zitterte. Sie konnte ihn nur zu gut verstehen. Immerhin war es allgemein bekannt, dass der Ranghöhere kaum jemanden als seinen Freund bezeichnete und dass nun einer der wenigen, denen dieses Privileg zuteil wurde, bewusstlos in einer der Iso-Zellen versorgt wurde. Sie blickte ihm in die Augen und lächelte fast, als sie ihm antwortete:
"Ich wäre sehr froh, wenn du dich um diese Ermittlungen kümmern würdest, Sör. Ich könnte mir keinen Geeigneteren dafür vorstellen."
Kolumbini zwinkerte erst irritiert, ergriff dann aber schnell die Chance.
"Gut. Dann werde ich als erstes den Augenzeugen befragen und danach den Hausbesitzer. Schließlich hängt das garantiert zusammen." Er drehte sich dem sitzenden Reporter zu und bedachte ihn mit einem dermaßen stechenden Blick, dass dieser sichtlich zusammen zuckte.
"Wir reden besser in einem Büro weiter, in dem es ruhiger zugeht."
Wie aufs Stichwort öffnete sich wieder die Tür und der Kommandeur trat mit ernstem Gesichtsausdruck ein. Ophelia erhob sich rasch und knickste, während Kolumbini salutierte.
"Lance Korporal, Nur auf ein kurzes Wort." Der Vampir bedachte den grau gekleideten Fremden mit einem Blick. "Herr Blattschuss. Fünf Minuten, dann kannst du wieder mit deiner Arbeit fortfahren."
Der Ermittler deutete dem Reporter, aufzustehen und mitzukommen und klemmte sich die Akte wie Besitz ergreifend fester unter den Arm. "Wir wollten eh' grade gehen, Sör."
Die stellvertretende Abteilungsleiterin deutete auf den nun wieder freien Stuhl mit dem nachtblau bezogenen Samtkissen.
"Nimm doch bitte Platz, Sör. Ich nehme an, es geht dir um den Feldwebel und um die Abteilungsleitung?"
"Unter anderem. Es geht mir aber auch um das Bewerbungsgespräch eurer Neuen. Ich nehme an, dass die Personalakte Nachtschatten inzwischen vorl..."
Kolumbini schloss die Bürotür und Rascaals leise Stimme verklang augenblicklich.

Abteilungssitzung

Der Raum in der zweiten Etage war etwas größer als die übrigen Büros und zudem lag er auch abgelegener, so dass er optimale Voraussetzungen dafür bot, als Besprechungsraum genutzt zu werden. Wer kletterte schließlich eine Treppe höher, wenn er nicht unbedingt musste?
Herr Blattschuss schien als Einziger jedes Wort mitzuschreiben, nachdem Ophelia ihn gleich zu Beginn überaus freundlich darum gebeten hatte, da er ja so wunderbar präzise im Faktenerfassen wäre. Sie schien den richtigen Nerv getroffen zu haben, da der sonst so kritische Zeitungsmensch nun mit Feuereifer dabei war. Kolumbini fasste soeben die stattliche Anzahl der Fakten und Vermutungen zusammen.
"Somit können wir davon ausgehen, dass dieser Abdruck vom Hausbesitzer selber stammt. Das deckt sich auch mit dem Fakt, dass er die Wache laut Autopsiebericht erst mit beträchtlicher Verzögerung informiert haben kann, nachdem er nämlich zuerst, wie sich bei meiner Befragung herauskristallisierte, einen eigenen kleinen Streifzug durch die Wohnung des Toten unternahm und dabei eine große Anzahl an Gegenständen mitgehen ließ, unter dem Vorwand, das wäre zur Begleichung ausstehender Mietzahlungen sein Recht. Bei nachträglicher Sichtung der vorenthaltenen Stücke stellte sich heraus, dass es sich in beinahe allen Fällen um gesuchtes Diebesgut unlizenzierter Einbrüche der Bauernopfer-Serie
handelte. Selbstverständlich bestritt er, einmal an diesem Punkt angekommen, irgendetwas damit zu tun zu haben."
Der Anwerber Amok Laufen unterbrach ihn mit skeptischem Gesichtsausdruck.
"War er glaubhaft oder ist es wahrscheinlicher, dass er mit drin steckt?"
Kolumbini öffnete seine Hände in einer hilflosen Geste und antwortete:
"Ich will ihn ungern entlasten, ohne mir dessen sicher zu sein. Aber er wirkte doch etwas zerknirscht darüber, sowohl seine Beute, als auch seinen tadellosen Status in den bisherigen Ermittlungen los zu sein. Er versuchte das damit wett zu machen, dass er sich plötzlich an den frühen Morgen erinnerte."
Die Kontakterin Ilona beugte sich interessiert über den Tisch vor.
"Und? Was hat er erzählt?"
"Er meinte, er hätte gegen zehn Uhr etwas lautere Stimmen aus der über ihm befindlichen Wohnung gehört. Eine dieser Stimmen habe er als die seines Mieters identifizieren können, die andere Stimme jedoch sei leiser und ihm unbekannt gewesen. Es habe sich nach einer hitzigen Debatte angehört, von der er aber immer nur Bruchstücke der lauteren Äußerungen verstanden habe. Beispielsweise sei es um Einnahmen und Risiken gegangen, um Zusagen und Wortbrüche. Er schloss aus einer teilweise verstandenen Formulierung, dass sein Mieter den Besucher in irgendeiner Art unter Druck setzte."
Aller Blicke richteten sich auf die bleiche Püschologin, als Frän nachdenklich in die Runde fragte:
"Die Bauernopfer-Serie... Das sind inzwischen an die dreißig unlizenzierte Einbrüche, bei denen keines der bestohlenen
Opfer sich an irgend etwas zu dem Zeitpunkt des Einbruchs erinnern konnte, nicht wahr?"
"Zweiunddreißig, wenn man es genau nimmt.", warf die Ermittlerin Ayure Namida ein. "Ich habe vorhin mal bei den anderen Abteilungen nachgefragt. Die S.E.A.L.S. haben seit gestern keinen neuerlichen Einbruch oder Diebstahl zu vermelden, der in das Schema passen würde. Was natürlich noch nichts zu sagen hat. Die D.O.G.s meinten, der Fall sei derzeit oberste Priorität in der Diebesgilde aber es sieht so aus, als wenn die ebenfalls nicht vorankämen."
Ophelia rollte den Stift in ihren Händen hin und her und fragte:
"Konnte er sich auch daran erinnern, wie die Person, zu der die leisere Stimme gehörte, aussah?"
Kolumbini schüttelte den Kopf.
"Nein, er sagt er habe einfach gewartet, bis der Streit beendet gewesen und Ruhe eingekehrt sei. Streitfälle seien in den Schatten und unter seinen Mietern nichts Ungewöhnliches und er habe es sich abgewöhnt, sich in so etwas einzumischen. Er habe sich dann entschieden, nachdem der Besucher offenbar gegangen sei, mal bei dem Mieter anzufragen, wie es mit der fehlenden Miete aussähe. Dabei sei er auf die frische Leiche gestoßen."
Lillis Beule zog Ophelias Blick immer wieder auf sich, als sie diese fragte:
"Und wie sieht es mit den verschwundenen Indizien aus?"
Lilli Baum antwortete mit einem betrübten Kopfschütteln. Es war klar, dass die Gegenstände noch nicht hatten wiederbeschafft werden können.
Es war Ayure, die den Kollegen auf Lillis Wink hin die Ergebnisse ihrer Recherchen unterbreitete.
"Einziger konkreter Hinweis auf den ursprünglichen Täter war das gestohlene Beweisstück Nummer 2, die Tatwaffe. Obergefreite Baum hat eine Zeichnung des Dolches aus ihrem Gedächtnis angefertigt und aufgrund dieser Zeichnung haben wir Nachforschungen angestellt. Es handelte sich vermutlich um einen Zeremoniendolch, wie ihn Zauberer gerne zur Bereitung ihrer Tränke verwenden."
Ein allgemeines Murmeln ging um den Tisch, bevor Ayure mit ihren Ausführungen fortfuhr.
"Der Dolch maß etwa zwanzig Zentimeter. Das Heft war mit silbernen Intarsien belegtes Rosenholz, bestückt mit winzigen Rubinsplittern, die Klinge geschliffenes Silber. Im Zaubererbedarf gibt es zwei Sorten dieser Messer, die im Handel käuflich zu erwerben sind. Zum Einen das Gebrauchsmesser. Zum Anderen das gleiche Messer als Ziergegenstand, da genau dieses Messer auch als Zeremoniendolch beim inoffiziellen Initiationsritual eines Zauberers verwendet wird."
Anna Orientierungslos lächelte schief, als sie sagte:
"Jetzt wäre es natürlich äußerst interessant gewesen, das Messer zum Untersuchen hier zu haben, um herauszufinden, mit was für einer Persönlichkeit wir es zu tun haben. Einem praktizierenden Tränkespezialisten oder eher einem eitlen Burschen, der sich nicht von seinem Legitimationssymbol trennen mag."
Der Püschologe Ruth, der sich bisher schweigend im Hintergrund gehalten hatte, meldete sich nun zu Wort:
"Wir gehen also von einem kriminellen Zauberer aus?"
Sie sahen einander über den Tisch hinweg an, bis Ophelia langsam nickte.
"Ja, auch wenn Herrn Blattschuss' Beschreibung des flüchtigen Angreifers nicht dem Klischee entspricht, so ganz ohne offiziellen Hut und weiter Tunika, stattdessen in anliegenden Hosen und mit kleinem Schlapphut... ich denke dennoch, dass es darauf hinausläuft." Sie beauftragte Frän Fromm mit der Erstellung eines Täterprofils.
Kolumbini führte seine Überlegungen zu Ende, als er sagte:
"Es sieht alles danach aus, als wenn wir auf das Bauernopfer-Duo gestoßen wären und als wenn dieses sich selbst im Affekt gestoppt hätte. Die Frage ist jetzt natürlich, wie wir den Zauberer schnappen können. Und vielleicht kann der dann Romulus helfen."
Ophelia deutete mit ihrem Stift auf Pyronekdan.
"Es sollte dir eigentlich möglich sein, die Studenten- und die Dozentenlisten der Unsichtbaren Universität durchzugehen, nicht wahr, Sör?"
Der dickliche Zauberer nickte resignierend. Er hatte schon seit einigen Minuten mit solch einer Wendung gerechnet.
"Ja, das kann ich."
"Dann sieh bitte nach, ob du jemanden Auffälliges darin finden kannst, jemanden, dessen Fähigkeiten zu den Symptomen unseres Abteilungsleiters passen würde. Vielleicht ist er ja sogar in der Universität wohnhaft?"
Kurz darauf setzte das übliche Rascheln und Klappern ein, welches das Ende der Besprechungen einleitete.
Ophelia hörte beim Aufstehen noch, wie Kolumbini vor sich hin murmelte:
"War ja klar, dass es auf eine Ausgeburt dieser Ignorantenfestung hinausläuft..."

Vorarbeiter

"An den Mobilien 3 also, in Ordnung.", flüsterte Herold vor sich hin, während er die Akte mit einem letzten Blick überflog.
Rabe Raben wartete während dessen, seine leblos grauen Augen unverwandt auf den Stadtplan gerichtet.
Papier raschelte und Herold legte die Mappe beiseite, ergriff stattdessen die nächste von dem hohen Stapel. Er blätterte schnell zum Deckblatt und sagte dann:
"Esoterische Straße 22!" Er blickte auf und deutete in die Mitte des Plans. "Das ist auch wieder in der Gegend."
Rabe nickte schweigend und setzte das nächste Fähnchen auf seinen Platz. Nun war es an ihm, seine Gedanken zu äußern:
"Am Schlegel, am Khan, am Platz der Gebrochenen Monde, die Straße der Geringen Götter, Pfirsichblütenstraße. Ich würde sagen, die Tendenz ist offensichtlich."
Sein Kollege nickte grinsend.
"Und was das Beste ist: es passt sogar zu unserer 'Der Täter ist ein Zauberer'-Theorie!"
Er stand von dem Stuhl auf und stellte sich neben den Höherrangigen, so dass sie Seite an Seite auf Ankh-Morpork hinabsahen.
"Was meinst Du? Straße der Geringen Götter und die Kurze Straße?"
Der Obergefreite nickte.
"Ja, das wären jetzt auch meine Empfehlungen gewesen. Außerdem noch der Hier-Giebt's-Alles-Platz, die UU und anliegende Kneipen, wie die Trommel."
"In Ordnung. Dann gehen wir sicherheitshalber noch die letzten Einbruchsakten durch und anschließend leite ich die Liste der wahrscheinlichsten Orte an Ilona, Thask und Pyro weiter."

Glück und Fleiß

Septimus Ebel, R.U.M.s kleinster Verdeckter Ermittler, lief seine zugeteilte Strecke an diesem Abend schon zum fünften Mal ab. Er wollte soeben die Wasserbrücke mit all ihren kleinen, übereinander getürmten Häusern überqueren, als er einen Mann bemerkte, dessen Aussehen der Beschreibung entsprach. Der zu erwartende Stab fehlte. Aber der Schlapphut des Gesuchten entsprach genau der Zeichnung, wie sie Septimus noch deutlich vom Phantombild her vor Augen stand.
Der Gnom ging hinter einem Stapel Unrat in Deckung und wartete, bis der Gesuchte ihn passiert hatte, dann begann er ihm zu folgen.
Er konnte sein Glück kaum fassen. Wie kaltblütig musste man denn sein, sich nach einem Mord und einem Überfall auf zwei Wächter durch die Straßen der Stadt zu trauen! Die nervösen Blicke, die der Mann ab und an hinter sich warf, wären nicht einmal ausreichend gewesen, wenn einer der größeren Kollegen seiner Spur gefolgt wäre. Über Septimus gingen sie einfach hinweg. Der Gnom grinste vor sich hin und hüpfte über die nächste Bordsteinkante. Jetzt galt es nur noch, den Unterschlupf des Verdächtigen zu erreichen und dann im richtigen Moment die Kollegen zu benachrichtigen.

Drei "Engel" für Romulus

Das abgeordnete Einsatzkommando bestand in diesem Fall nur aus einer F.R.O.G.-Wächterin, da der Rest dieser Abteilung anderweitig im Einsatz war. Um einer einsamen Verfolgungsjagd vorzubeugen waren sie übereingekommen, den Verdächtigen in seinem Heim zu überrumpeln. 'Sie' bestanden aus Kanndra, Pyronekdan, sowie dem hartnäckigen kleinen Reporter. Eine Zweckgemeinschaft, wie sie nicht ungewöhnlicher hätte sein können. Die F.R.O.G. bemühte sich, den Plan zu erläutern.
"Also noch einmal: Ich gehe voraus in das Haus und dort bis in den zweiten Stock, wie euer Kollege es ausgekundschaftet hat. Ihr folgt in kurzem Abstand. Erst der Korporal, um mir Rückendeckung zu geben, dann Herr Blattschuss, wenn er denn schon unbedingt mitmischen muss, um genau beobachten zu können, wohin der Verdächtige im Ernstfall flüchtet."
Der Reporter blickte mit glänzenden Augen von seinen Notizen auf.
"Darf ich ihn dann verfolgen, falls er wegrennt?"
"Nein! Das hatten wir doch nun wirklich schon mehrmals geklärt, oder? Keine selbständigen, waghalsigen Aktionen. Für die Verfolgung bin ich zuständig!"
"Ist das nicht ein besonders aufregender Dschob und viel zu gefährlich für eine Frau?"
Kanndras Augen wurden zu Schlitzen.
"Möchtest du vielleicht lieber nach Hause gehen, Herr Blattschuss?"
Der kleine Mann grinste provokativ, enthielt sich aber sonst eines weiteren Kommentars. Pyronekdan orientierte sich zeitlich am Stand der Sonne und bemerkte:
"Wenn wir so weitermachen, dann verpassen wir noch das Abendessen."
Der Oberfeldwebel guckte daraufhin zwar etwas irritiert aber da der Sinn dieser Aussage in etwa in die gleiche Richtung ging, in die auch ihre eigene Motivation zielte, unterstützte sie das Anliegen des Korporals.
"Deswegen sollten wir jetzt auch einfach loslegen. Also... wartet einen kurzen Moment und dann folgt mir vorsichtig."
Sie atmete noch einmal tief durch und betrat dann das schäbige Treppenhaus.
Der muffige Aufgang verfügte über keinerlei Beleuchtung und die einzelnen Stufen gaben verhaltenes Quietschen und Knarzen von sich, sobald man sie betrat. Kanndra erreichte die angegebene Wohnung. Sie schloss die Augen in dem Bemühen, Geräusche von der anderen Seite der Tür zu erhaschen. Doch außer dem arbeitenden Holz und Stimmen aus den anderen Wohnungen, war nichts zu hören. Am unteren Ende der Treppe hörte sie die schweren Schritte Pyronekdans, der in Position ging. Es war an der Zeit. Sie vermisste kurz ihre Kollegen und deren zuverlässige Zuarbeit, dann klopfte sie an die Wohnungstür des Verdächtigen. Kanndra stellte sich möglichst seitlich der Tür, so dass sie nicht durch ein durchschlagendes Geschoss würde getroffen werden können.
"Hallo? Bitte öffne die Tür, Herr. Hier ist die Stadtwache und wir haben einige dringende Fragen an dich."
Sie lehnte mit dem Rücken gegen die Wand neben der Tür und lauschte mit geschlossenen Augen nach verräterischen Geräuschen. Jemand näherte sich von innen der Tür. Es war eher anhand der sich leicht biegenden Holzbohlen zu ihren Füßen zu spüren, als zu hören. Sie wappnete sich und ihr ganzer Körper pulsierte vor unterdrückter Aufregung.
Plötzlich flog die Tür auf.
Ein junger Mann mit merkwürdig verbeultem Hut wollte an ihr vorbei sprinten, stolperte jedoch über den ausgestreckten Fuß und fiel der Treppe entgegen. Während die Tür noch gegen die Wand krachte und zitternd zurück schwang, stürzte sich Kanndra auf den Flüchtigen.
"Halt! Im Namen der Stadtwache: Du bist verhaftet!"
Der Mann fand sein Gleichgewicht wieder und richtete den knorpeligen Stab auf die nahe Wächterin.
"Aurora Morph..."
Der Zauberstab begann an seinem Knauf sachte zu leuchten, wurde dem Besitzer jedoch noch während des Energieaufbaus durch eine unsichtbare Kraft aus der Hand geschlagen. Pyronekdans Kopf lugte über den Treppenabsatz und seine tiefe Stimme donnerte noch eine Sekunde länger durch den Aufgang.
"...Levitas!"
Der Verdächtige starrte entsetzt auf den Kollegen in Wächteruniform, der den fallenden Stab neugierig aufnahm und von allen Seiten betrachtete. Der Jüngere gab fast augenblicklich den Widerstand auf. Pronekdan kletterte ächzend die letzten Stufen hinauf. Auf dem Absatz war derweil Kanndra damit beschäftigt, dem jungen Mann seine Rechte zu erklären, während sie ihm Handschellen anlegte.
"Du hast auch das Recht, etwas zu sagen um dich zu verteidigen. Du hast das Recht..."
Und vom Hauseingang rief eine dünne Stimme aufgeregt nach oben:
"Wo bleibt er denn? Ich warte doch hier nicht umsonst! Da kann man ja schwarz werden. Ich komm jetzt lieber hoch, sonst verpass ich noch was."

Erlösung

In gewissem Sinne war Kolumbini etwas enttäuscht. Bei diesem besonderen Verdächtigen war keinerlei ausgefeilte Verhörtechnik von Nöten, kein geschicktes Nachhaken, kein Errichten eines zerbrechlichen Thesengebäudes, dessen gläserne Aussagen den Befragten in die Enge trieben und ihn letztlich dazu verleiteten, sich in Widersprüchen zu verfangen. Keine Drohungen, keine Schmeicheleien. Hadrian Hammelbein schien die Aufmerksamkeit der beiden Wächter zu genießen. Einmal an den Verhörtisch gesetzt und mit der Anklage konfrontiert, begann er bereitwillig auszupacken. Alles was ihnen zu tun blieb war, ihn möglichst selten zu unterbrechen und schnell mitzuschreiben. Diesen Part hatte Lance Korporal Ziegenberger an seiner Seite bereitwillig übernommen.
Der junge Mann wirkte beinahe überrascht, als er an dem Punkt seiner Erzählung anlangte, der dem Eingreifen der Wache voranging.
"Ich meine, ihr müsst das verstehen. Ich hätte ja schließlich keinen Kerl wie den anheuern müssen, wenn ich gedacht hätte, dass ich so etwas selber über mich bringe! Sonst hätte ich mich niemals dazu herabgelassen, diese ganzen Einbrüche zu unterstützen. Das war die reinste Zeitverschwendung. Stattdessen wäre ich ohne Umschweife selber zu Professor Thetis ins Büro marschiert und hätte meine lang ersehnte Rache genommen!"
Inspäctor wagte es, den Redefluss für eine Zwischenfrage zu unterbrechen.
"Du wolltest dich also an Professor Thetis rächen? Warum?"
Die Erwähnung dieses Namens ließ augenblicklich Hass im Gesicht des Jüngeren aufleuchten.
"Warum? Dieser arrogante Mistkerl hat meine Karriere zerstört! Er hat mich durchfallen lassen und mich vor der gesamten Klasse damit verspottet, dass ich ja nur einen einzigen Zauber könne! Ich habe hart gearbeitet und sehe nicht ein, wer diesem Größenwahnsinnigen das Recht gegeben haben soll, sich auf Kosten seiner Studenten zu profilieren. Ich musste die Universität verlassen und mir eine eigene Bleibe suchen. Nicht einmal meinen Zaubererhut durfte ich noch offiziell tragen! Es war schrecklich. Selbstverständlich hatte er einen Denkzettel verdient."
Der Zauberer ohne Abschluss lächelte bei dem Gedanken an seine einstigen Pläne.
"Ich wollte ihn umbringen. So etwas sagt man doch leichthin, wenn man sich über etwas ärgert, nicht wahr? Ja, ich habe das damals auch einfach so daher gesagt. Aber dann... die Idee gefiel mir immer besser. Er ist selber kein guter Zauberer, wisst ihr. Große Klappe und nichts dahinter. Es konnte also nicht allzu schwer sein, ihn eiskalt zu erwischen. Und dann bräuchte ich eben jemanden, der es an meiner Statt zu Ende brächte. Jemanden, der kein Problem damit gehabt hätte, sich die Hände schmutzig zu machen..."
Hadrian schien die Gedanken und Entscheidungen von damals noch einmal zu durchleben.
Kolumbini hakte nach:
"Wie bist du an ihn geraten?"
Hammelbeins Blick schärfte sich wieder.
"An Hubertus? Das war ein netter Zufall. Etwa eine Woche, nachdem Professor Thetis mich erfolgreich aus der Universität entfernt hatte, lief ich ihm am Abend über den Weg. Er bemerkte mich nicht, da er damit beschäftigt war, sich bei einem grobschlächtigen Kerl darüber zu beschweren, dass dieser ihm nicht rechtzeitig aus dem Weg gegangen sei. Ihr wisst schon... Zauberern mit Hut und Umhang gehört schließlich die ganze Straße."
Die Ironie seiner Worte schien beinahe Substanz zu gewinnen und greifbar auf den Boden zu tropfen. Er seufzte leise und erzählte emotionslos weiter.
"Ich beobachtete die Situation und wünschte mir insgeheim, der Kerl, der gebaut war wie ein Schrank, würde ihm eine Lektion erteilen. Von seinem Blick her hat nicht mehr viel gefehlt und er hätte sich dazu hinreißen lassen. Dann schien er es sich jedoch anders zu überlegen und er spuckte Thetis lediglich vor die Füße. Irgendwas trieb mich und ich sprach den Hünen an. Ich fragte ihn, ob er auch mit dem Gedanken spiele, den Alten umzubringen. Er sah mich nur mit einem sehr langen Blick an, den ich erwiderte."
Hadrian lächelte schief und versenkte beide Hände tief in den Hosentaschen.
"Dann gingen wir gemeinsam ein Bierchen trinken. Hubertus hatte seit längerem kein Glück mehr gehabt bei seinen", er zögerte kurz, "geschäftlichen Transaktionen. In gewissem Sinne ging es ihm da wie mir. Und obgleich wir schnell gemeinsame Interessen herausgefunden hatten, war es nicht ganz leicht etwas zu finden, mit dem ich ihn von der Vorteilhaftigkeit einer Zusammenarbeit überzeugen konnte. Wir plauderten über dies und das und zum Ende des Abends hin, als wir die letzten Gäste in der Kneipe waren und der Wirt die Zeche beglichen haben wollte, schlug Hubertus vor, dass ich ihm eine Kostprobe meines Könnens geben solle. Ich gestehe, ich war bis dato niemals auf die Idee gekommen, illegal zu zaubern. Und irgendwie schien mein beschränktes Können mir auch nicht sonderlich spannend oder hilfreich für den Alltag. Wie auch immer. Hubertus belehrte mich eines Besseren. Tja, und von da an war klar, was er von mir als Anzahlung für seine Leistungen forderte."
Der Korporal fragte:
"Wir nehmen an, dass sie eine Einbruchsserie starteten. Ist das richtig?"
Der schlaksige Mann grinste jungenhaft.
"Ja, das kann man wohl sagen. Hat euch ganz schönes Kopfzerbrechen bereitet, was?"
Ophelia und Inspäctor sahen einander in stummer Übereinkunft an. Sie seufzten theatralisch und stimmten Hadrian synchron zu.
"Oh ja, wir wussten kaum, wo anzusetzen."
"War ganz schön knifflig. Raffinierte Methode."
Der Möchtegern-Zauberer strahlte ob der vermeintlichen Komplimente und ließ sich nicht zweimal bitten.
"Na ja, wie ihr euch jetzt bestimmt schon denken könnt, haben wir unsere Stärken zusammen getan. Wir kundschafteten Häuser aus und nutzten die Gelegenheit, sobald nur noch eine Person daheim war. Ich betäubte die Person mit meinem Zauberspruch und das Ausräumen der Häuser war dann im Grunde ein Kinderspiel, solange niemand Zusätzliches auftauchte."
Er runzelte bei diesem Gedanken die Stirn und Kolumbini nutzte die Pause, um eine etwas dickere Akte aus dem beiliegenden Stapel hervorzuziehen.
"Ich nehme an, dass der Einbruch am Vorwerk zu den Gelegenheiten gehörte, bei denen nicht alles nach Plan verlief?"
Hadrians dünne Brauen zogen sich bei der Erwähnung dieses Desasters zusammen und er nickte betrübt.
"Du musst wissen, Herr, dass ich nur über begrenztes magisches Potential verfüge. Jedenfalls haben wir auch deswegen immer genau darauf geachtet, dass nur noch eine Person im Haus zurück geblieben war. So ein Betäubungszauber mag ja nicht sonderlich spektakulär aussehen aber er kostet dennoch Kraft. Ich kann das nötige Kraftfeld nicht zwei Mal dicht hintereinander aufbauen. Deswegen... als bei dieser Sache einer der Angestellten noch mal zurück kam und seinen Schäff auf dem Boden liegend fand..."
Der Verhörte befeuchtete sich nervös mit der Zungenspitze die Lippen. Es war ihm deutlich anzumerken, dass er das nicht gerne auf seinem Schuldenkonto verbuchte. Er blickte beschämt zu Boden.
"Jedenfalls machte Hubertus kurzen Prozess mit ihm."
Nach einem Moment der Stille fragte der Korporal:
"War das der Grund für euren Streit?"
Hadrian wirkte verwirrt, bis er sich an das Spätere erinnerte.
"Nein, der Grund für unseren Streit, wie du es nennst, war die Tatsache, dass Hubertus mich ausnutzte."
Eine Welle von Emotionen spülte über den jungen Mann hinweg und veranlasste ihn dazu, sich mit einem Ruck der Empörung aufrecht hinzusetzen.
"Der Idiot dachte wahrhaftig, dass ich das bis zum Sanktnimmerleinstag mitmachen würde! Wir hatten eine klare Vereinbarung getroffen und ich hatte meinen Teil der Abmachung längst erfüllt. Zwanzig erfolgreiche Einbrüche, hatten wir gesagt. Zwanzig! Aber er fing plötzlich damit an, sich herauszureden nach dem Motto, die Einbrüche seien erst ab einer gewissen Gewinnsumme als erfolgreich zu werten, ich hätte auch von ihnen profitiert, was so nicht vereinbart gewesen wäre und noch allerlei andere Einschränkungen. Er hat einfach gemerkt, dass er mit mir zusammen reich werden könnte und wollte unseren Kontrakt nicht auflösen. Aber nicht mit mir!"
Nun war es an Ophelia, sich von ihrer Neugier zu der logischen Frage hinreißen zu lassen:
"Was passierte dann?"
Hammelbein schien in Erinnerungen gefangen.
"Ich bin heute früh zu ihm hin. Meine Güte... war das wirklich erst vor wenigen Stunden? Na ja... ich wusste, dass er zu Hause und schon früh auf sein würde. Ich sagte ihm, dass ich nicht mehr willens sei, auf meine Rache zu warten. Und ich erinnerte ihn an unsere Vereinbarung. Er begann mich jedoch anzubrüllen und mir Vorhaltungen zu machen, dass ich ohne ihn und seine Anleitung immer noch ein hungernder Schlucker auf der Straße wäre, ein Versager, ein..."
Hadrians Stimme versagte ihm einen Moment lang und er musste erst einmal tief durchatmen, bevor er etwas beherrschter fortfuhr.
"Er machte sich über mich lustig und verspottete mich ebenso, wie es Professor Thetis getan hatte. Er sagte, er könne den alten Knaben gut verstehen und ich solle lieber daran denken, wer von uns wen benötigen würde und dass er sich gar nicht sicher sei, ob er überhaupt noch an meinem Plan interessiert sei, er habe sich ja schon einmal die Hände für mich schmutzig gemacht, als der Bruch am Vorwerk so schief lief, das sei ja auch meine Schuld gewesen und ich stünde für immer in seiner Schuld und sei ihm verpflichtet."
Der junge Mann war auf dem Stuhl in sich zusammen gesackt und sah nur noch wie ein Häufchen Elend aus.
"Ich weiß nicht mehr genau, was dann passierte. Irgendwie ist meine Erinnerung durcheinander. Ich weiß nur noch, dass ich meinen Zauberstab von mir streckte und dass er bewusstlos vor mir zusammenbrach. Irgendwie war mir klar, dass die Betäubung nicht lange halten würde, immerhin tat sie das nie länger als etwa eine halbe Stunde, und wenn er wieder zu sich käme, dann hätte mein letztes Stündlein geschlagen. Ich nahm mein Zeremonienmesser und setzte es an der Brust an, dort wo sein Herz sein musste und..."
Er war grünlich im Gesicht geworden. Die beiden Wächter tauschten einen wissenden Blick und die junge Frau beugte sich leicht über das Protokoll vor. Sie fragte mit sanfter Stimme:
"Hast Du die Tat vollbracht und ihn umgebracht, Herr?"
Er nickte langsam, wie in Trance.
"So viel Blut... und es hat so lange gedauert! Ich dachte immer, wenn man das Herz trifft, dann würde derjenige sofort sterben. Aber es hat immer noch einmal geschlagen. Und noch einmal. Es muss immer wieder über die Klinge..."
Er brachte es wieder nicht fertig, den Satz zu beenden. Ihrer aller Atem erfüllte leise den Raum, bis der Mörder weiter erzählte.
"Mir war so übel. Und ich spürte immerzu seinen Puls unter meinen Händen, obwohl es längst vorbei war. Ich bin in Panik aus der Wohnung und einfach nur gelaufen. Ich habe mich in irgendeiner Seitenstraße übergeben und es hat eine ganze Weile gedauert, ehe ich wieder klar denken konnte. Meinen Zauberstab hatte ich keine Sekunde lang abgelegt. Aber mein Zeremoniendolch steckte noch in dem toten Körper. Ich wurde beinahe wahnsinnig bei diesem Gedanken, zumal es so einfach sein musste, über diese spezielle Tatwaffe auf einen Zauberer zu schließen. Und dann fiel mir ein, dass es Gerüchten zufolge inzwischen sogar möglich sein soll, jemanden anhand von unsichtbaren Fingerabdrücken auf einer Waffe zu verhaften."
Er blickte kurz auf, die Frage in seinem Blick war nicht zu übersehen. Kolumbini nickte ernst.
"Das ist uns tatsächlich möglich."
Hadrian nickte wie zur Selbstbestätigung.
"Es dauerte etwas, ehe ich mich dazu überwand, zurück zu gehen. Und dann wart ihr schon da und habt alles ausgekundschaftet und eingesammelt. Ich war viel zu leichtsinnig, indem ich in meiner Verzweiflung bis ins Treppenhaus schlich und den Gesprächen der Wächter und der Befragung des Hauswirtes lauschte. Ich hörte, wie die Indizien eingetütet wurden und wie gesagt wurde, dass mein Dolch nun zum Hauptwachhaus gebracht und dort untersucht würde. Ich war der Panik nahe! Ich wusste nicht, was ich tun sollte und so folgte ich den beiden Wächtern in einem großzügigen Abstand. Doch der Weg war nicht weit, das wusste ich. Und irgendwann sah ich schon das Ende der Straße und ich wusste, dass mir keine fünf Minuten mehr blieben und meine Panik steigerte sich. Und dann schoss ich einfach auf den großen Wächter. Die kleine Frau war so verwirrt, dass sie gar nicht auf die Idee kam, nach einem Angreifer Ausschau zu halten und so war ich schon zu nahe für sie bis sie sich umdrehte. Ich griff mir die Tasche mit den Fundstücken und rannte, so schnell ich konnte."
Kolumbini beugte sich nun mit geschärfter Aufmerksamkeit im Blick vor.
"Was für eine Art Fluch hast du auf unseren Kollegen abgefeuert?"
Der junge Mann auf der anderen Seite des Verhörtisches war von dieser unerwarteten Frage sichtlich verwirrt.
"Ich habe euch doch gesagt, dass ich nur einen kann. Das war der Betäubungszauber. Ein brindisianischer Fluch, wenn man so will. Warum fragt ihr?"
"Wie löst man diesen Fluch, Herr?", fragte Ophelia, nun ebenfalls deutlich besorgt.
Hadrian blickte zwischen ihnen hin und her.
"Indem man den Verzauberten direkt anspricht."
Ophelia bedachte ihn mit einem ernsten Blick. "Das haben wir selbstverständlich schon versucht. Aber bisher hat nichts gefruchtet. Er liegt noch immer unter Beobachtung und kommt nicht zu sich."
Der Fast-Zauberer sah nun ebenfalls aufmerksam aus und hob interessiert eine seiner Brauen.
"Nicht? Das kann ich mir gar nicht erklären. Hat er vielleicht irgendeine Krankheit, euer Kollege? Ich frage, weil der Zauber auf Gesunde natürlich nicht so stark wirkt, wie auf Geschwächte."
Kolumbini dämmerte eine Möglichkeit und zögernd fragte er:
"Kann es sein, dass die Stärke des Zaubers auch zwischen den betroffenen Spezies variiert?"
Hadrian überlegte nicht lange.
"Ich habe jetzt keine Langzeitstudie gemacht, immerhin habe ich meine magischen Fähigkeiten erst in den letzten Wochen, seit Rauswurf aus der Uni, ausführlich getestet. Aber ich denke schon, dass das zutrifft. Wenn man bedenkt, dass ich in Panik reagiert habe, was dem Ganzen noch deutlich zusätzliche Energie verliehen haben dürfte, dann könnte der Zauber, insbesondere mit Hinblick auf den gerade erst vergangenen Vollmond vermutlich vor allem einem Werwolf zu schaffen..."
Kolumbini atmete scharf ein und seine Stimme ließ Hadrian zusammenzucken.
"Dann haben wir die Lösung gefunden. Von Grauhaar ist Werwolf! Wie können wir den Zauber aufheben?"
Die stellvertretende Abteilungsleiterin von R.U.M. saß wie vom Donner gerührt auf ihrem Stuhl und starrte den Kollegen an.
"Der Feldwebel ist ein Werwolf?"
Der Verhörte blickte fasziniert zwischen den beiden Wächtern hin und her.
Kolumbini lachte.
"Das weiß doch jeder. Sag bloß, das wäre dir nicht bekannt gewesen."
Die junge Frau errötete so sehr, dass sie dem Farbton ihrer Frisur Konkurrenz machte.
"Es ist nicht so, dass ich das als unangenehm oder so empfände.", sie merkte, dass sie auf gefährlichem Terrain gelandet war und schloss daher abrupt mit den Worten, "Ich wusste es nur einfach noch nicht. Na so etwas!"
Kolumbini beschloss, dieses Kuriosum zu ignorieren und die entscheidende Frage zu wiederholen.
"Also? Wie?"
Ein, wie der Korporal fand, der Situation nicht gerecht werdendes Grinsen breitete sich über das plötzlich verschlagen wirkende Gesicht des Gefangenen aus.
"Nach all der langen Zeit scheint es, als hätten die Umstände dazu geführt, dass ich mein Können zur Vollendung gebracht hätte. Und dann auch noch an einem Wächter! Wie amüsant! Ihr müsst wissen, die Betäubung ist im Grunde niemals die volle Wirkung des Zaubers gewesen. Zauberer, die meine Fähigkeit zur Gänze beherrschen, lösen mit diesem Zauber einen komatösen Schlaf aus, der den Verzauberten in alle Ewigkeit jung aber eben auch bewusstlos hält."
Ophelia wechselte von rötlich zu blass.
"Gibt es eine Erlösung?"
Der Zauberer lachte nun von ganzem Herzen und seine Augen funkelten mutwillig.
"Doch. Die klassische." Und er zwinkerte ihr zu.

Die Rückkehr

Er fühlte sich seltsam desorientiert und seine Lippen kribbelten unangenehm, als wenn eine Ameisenstraße über sie verliefe. Dezenter Kopfschmerz und neblige Gedanken ließen ihn die Stirn runzeln. Sein Instinkt für Gefahr setzte mit reichlich Verzögerung ein und eine Sekunde lang befürchtete er, sein Bruder Remus hätte ihn gefunden. Der Moment verstrich jedoch und er lebte scheinbar immer noch.
Er öffnete die Augen und sah seitlich einen Schatten davon huschen.
Dann fokussierte sich sein Blick auf das narbige Gesicht vor ihm. Rogi blickte ihn aus zwei unterschiedlich farbigen aber deutlich amüsierten Augen an und hielt ihm die gespreizte Hand vor die Augen.
"Wie viele Finger feige ich dir, Feldwebel?"
Irgendwie war ihm nicht nach Scherzen zumute und so fragte er geradeheraus:
"Was ist passiert?"

Epilog

Die Besprechung im zweiten Stock war soeben beendet worden. Es war nicht nur in den nun leeren Raum Ruhe eingekehrt, sondern auch wieder in die Abteilung R.U.M. Von dem außergewöhnlichen Begleiter des vorangegangenen Tages zeugte nur noch die Morgenausgabe der Zeitung, die zu Beginn der Sitzung rundum gegeben worden war und welche nun aufgeschlagen auf dem Tisch lag. Irgendjemand hatte in seiner Euphorie einen entscheidenden Absatz unterstrichen.
"Somit kann mit volliger Wahrheitlichkeit und Ehrlichkeit gesagt werden, dass wir eine treffliche Wache als die unsrige betrachtigenen können und keiner was auf die fleißigen Wächter - vor allem die der Abteiligung R.U.M. - kommigen lassen darf, wenn er nicht von unserem Berichterstatter persönlich als unwertes Gesinde abgestempelt werdigen will, was wir aus eigener Erfahrung berichtigen können."



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Feedback:

Von Huitztli Pochtli

01.09.2007 11:31

</b><br><br>Es ist eine spannende und runde Geschichte. Die Handlung wirkte sehr lebendig und ich habe mich an keiner Stelle der Handlung gelangweilt. Besonders den Reporter, der ganz aufgeregt war und am liebsten mit ermitteln wollte, fand ich superlustig.<br><br>Es mag ja subjektiv sein, aber ich persönlich finde Geschichten, die etwas weniger vorhersehbar sind, doch reizvoller.<br>Gesinde bezeichnet übrigens die Gesamtheit aller Bediensteten eines Hauses. Es ist also etwas anderes, als Gesindel, wenn auch allzuoft nicht weit davon entfernt... <br><br><b>

Von Kolumbini

01.09.2007 11:31

</b><br><br>Sehr schöne Geschichte mit hervorragender szenischer BEschreibung und Charakterdarstellung. Weiter so! Lediglich die wenigen überraschendne Wendungen haben mich ein wneig gestört, aber in einer Pokey ist das halt fast immer so, aufgrund der vorgegebenen Kürze. Die Einbindung der anderen Abteilungsmitglieder war ausgezeichnet und für viele Pokeyschreiber vorbildhaft=)! Freue mich auf die nächste Geschichte von dir!<br><br><br><b>

Von Mimosa

01.09.2007 11:31

</b><br><br>Mir gefällt sehr gut, wie die Sprechweise der Charaktere ausgearbeitet ist. Blattschuss zB mit seinem typischen, schon fast klischeehaften Reporterjargon, oder die anderen Wächter. Die "emotionalen Seitentriebe" fand ich wirklich gelungen und sehr passend. <br>Die Story war solide, hatte zwar keinen besonders überraschenden Verlauf, aber ein paar witzige Einschübe und war gut ausgearbeitet. Die Polizeiarbeit war gut und glaubhaft dargestellt. <br><br><b>

Von Ruppert von Himmelfleck

01.09.2007 11:31

</b><br><br>Die Geschichte ist gut und sehr routiniert geschrieben. Die Handlung ist eigentlich logisch aufgebaut, aber ich habe mich gefragt warum die RUMler alles selber machen. Warum muss Lilli nach Spuren suchen? Warum werden die Okkultismusexperten zwar erwähnt aber nicht tatsächlich gefragt?<br>Die Kriterien einer Pokalmission sind absolut erfüllt. Aber in meinen Augen hat die Geschichte darunter auch gelitten, denn sie ist sehr bewusst als Poeky geschrieben (was ja an sich nichts Negatives ist).<br>Hinweis: Pokalwort Gesinde wurde falsch eingesetzt (hat nichts mit Gesindel zu tun)

Von Ophelia Ziegenberger

02.09.2007 21:31

Vielen Dank für die Kritiken. Dass mit der falschen Anwendung des Gesindes ist mir tatsächlich durch die Lappen gegangen, was mich im Nachhinein sehr ärgert. Wo ich gerade auf die Pokalworte sehr geachtet habe und mir auch speziell zu diesem Punkt schon Gedanken gemacht hatte... naja. Nächstes Mal recherchiere ich dennoch jedes Wort noch einmal - schon um die Bedeutung unvergesslich einzubrennen. *g* Nur zur Erklärung... dass ich die Okkulties nicht ausgeschrieben habe lag ebenso an der Wortbegrenzung, wie die fehlende Szene mit der Ausarbeitung des Püscho-Profils. Ich musste am Ende über 3.000 Worte kürzen und in dieser Form blieb wenigstens noch genug, um ein lückenloses Verständnis sicherzustellen. Die nächste Single wird wieder länger. ;)



Bitte tut Euch keinen Zwang an, ich würde mich auch über die übrigen 16 Kritiken sehr freuen. *g*

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