Bisher hat keiner bewertet.
Ein Attentat hat ungewöhnliche Folgen für FROG
Dafür vergebene Note: 11
--PROLOG--
Tagsüber ereignen sich nur verhältnismäßig wenig schwere Verbrechen, was hauptsächlich daran liegt, dass man im hellen Sonnenschein wesentlich schneller erwischt werden kann. Zum Beispiel wenn man gerade dabei ist, die nervige Nachbarin aus dem Weg zu räumen, weil sie ihre neugierige Nase nicht aus fremden Angelegenheiten heraushalten kann. Deswegen wird die Nacht von Personen mit kriminellen Vorhaben gerne favorisiert. Und dies ist der Grund, warum diese Geschichte in einer der vielen dunklen Nächten beginnt, die über der Stadt Ankh-Morpork liegen.
***
Eduard Gabelmeister war gerade dabei, seine letzte Runde durch den Stall zu machen, bevor er sich dann selbst ins Bett begeben würde. Auf den ersten Blick schien auch alles in Ordnung zu sein. Bis auf vereinzeltes Rascheln im Stroh war nichts zu hören, und auch wenn Eduard einen prüfenden Blick in eine der Buchten warf, schien das Tier darin ruhig zu schlafen. Doch seine Vorfreude auf das nahende Bett wurde etwas getrübt, als er sich der Bucht von Jens Knopf näherte. Der Stallmeister war froh, dass der Rennesel ab übermorgen nicht mehr da sein würde. Das lag nicht an dem Tier selbst, der Esel verhielt sich normal wie jedes andere Tier seiner Art. Es waren diese verdammten Palastwächter, die rund um die Uhr auf das Tier aufpassten. Mit ihrer arroganten Art gingen sie ihm und den anderen Angestellten des Stalles gehörig auf die Nerven. Hielten sich mit ihren glänzenden Rüstungen für die Könige der Welt, obwohl ihre einzige Aufgabe darin bestand, ein Auge auf einen Esel zu werfen. Schwach war die Hoffnung, dass sie ihn dieses Mal in Ruhe seine Arbeit machen ließen, und als sie ihn erblickten, legten sie alles daran, diese Hoffnung schon im Keim zu ersticken.
"Na, wenn das nicht unser kleiner Eseltreiber ist", lästerte der erste von ihnen. "Wird es nicht langsam Zeit für dich, ins Bett zu gehen?"
"Würde eine von den Buchten nicht eher zu ihm passen?", stieg sein Kollege in den Spott mit ein. "Immerhin verbringt er ja schon seinen ganzen Tag mit diesen dummen Tieren."
Er hatte keine Lust darauf, sich jetzt wieder mit ihnen zu streiten. Er wusste noch nicht einmal die Namen der beiden Wächter, hatte aber auch kein Interesse, sie zu erfahren.
"Wenn mich die werten Wächter bitte meine Arbeit erledigen lassen würden?", fragte er mit ruhiger Stimme.
Nur noch zwei Tage, dann wären sie endlich verschwunden und er konnte wieder unbehelligt seine Arbeit erledigen.
"Dass du immer noch glaubst, dass du hier gebraucht wirst!", knurrte einer der beiden und ging bedrohlich einen Schritt auf ihn zu. "Wir passen schon auf dieses Vieh auf. Da musst du dich nicht mit einmischen."
Eduard dachte sich seinen Teil und ignorierte den Wächter einfach. Auch wenn sie im Auftrag des Patriziers arbeiteten, dies war immerhin noch sein Stall und es würde mehr als diese zwei aufgeblasenen Wächter erfordern, um ihn von der Ausübung seiner Pflicht abzuhalten.
"Ich werde Sie auch sicher nicht lange aufhalten", erklärte er kurz und warf einen Blick in die Bucht.
Für Außenstehende sah dieses Tier sicher sehr außergewöhnlich aus. Bis auf zwei große weiße Flecken auf jeder Seite seine Körpers und einem weißen Strich, der sich über die Schnauze hinweg zog, war das Fell des Esels pechschwarz. Doch für Eduard war dies ein normaler Anblick, denn dies war nicht der erste Vieux-Esel, den er bisher gesehen hatte. Das Tier lag ruhig auf einer Seite und schien wie die anderen friedlich zu schlafen. Eduard wollte sich schon wieder abwenden, als er stockte und sich erneut zu dem Tier umdrehte. Einen kurzen Augenblick später wurde ihm klar, dass er sich nicht geirrt hatte.
"Hey, hey!!", stieß einer der Wächter aus, als er sah, wie Eduard den Türriegel ergriff und die Bucht öffnete. "Niemand außer uns darf da rein. Befehl vom Patrizier persönlich."
"Dann sind Sie sicher auch bereit, dem Patrizier zu erklären, was mit seinem Tier nicht stimmt", antwortete der Stallmeister trocken und löste sich aus dem Griff des Wächters. "Eine schlaff aus dem Maul hängende Zunge und eine fehlende Atmung deuten darauf hin, dass es dem Tier nicht mehr allzu gut geht."
--Part 1--
Es gab gewisse Sachen, an die man sich nie vollends gewöhnte. Eine davon war für Rascall Ohnedurst, Kommandeur der Stadtwache, das Warten im Vorzimmer des Rechteckigen Büros. Auch wenn es offensichtlich war, warum der Patrizier ihn zu sich gerufen hatte, blieb immer die Frage, ob es nicht doch noch eine andere Angelegenheit gäbe, die von ihm selbst zwar nur als Kleinigkeit angesehen wurde, aber für den Betroffenen schnell schwerwiegende Konsequenzen mit sich bringen konnte.
Dieser Gedanke verflog für einen kurzen Augenblick, als die kleine Glocke neben der Eingangstür des Rechteckigen Büros läutete.
"Der Patrizier wird Sie nun empfangen , Herr Kommandeur", erklärte Drumknott, der hinter seinem Schreibtisch saß und nur kurz von den Unterlagen aufschaute, die sich darauf häuften.
Mit einem kurzen Kopfnicken in die Richtung des Sekretärs erhob sich der Vampir und betrat wenige Sekunden später das Büro.
"Ah, Herr Kommandeur. Gut, dass du so schnell kommen konntest."
Wie auch sein Sekretär schaute Vetinari nur kurz von seinem Schreibtisch auf, um ihn zu grüßen.
"Natürlich, Herr", erwiderte der Vampir und durchquerte das Büro, um sich vor dem Schreibtisch zu positionieren.
Dort ließ der Patrizier ihn wiederum einen Moment lang warten. Unbeeindruckt von der Präsenz des Kommandeurs, schrieb er mit einem Federkiel in ein großes Buch, das geöffnet vor ihm lag. Der Leiter der Stadtwache konnte nicht sehen, um was es sich dabei handelte, dafür war der Abstand, den der Respekt forderte, leider zu groß. Die meiste Zeit des Wartens galt sein Blick daher dem großen Fenster des Büros und den wenigen Dächern der Stadt, die er von seiner Position aus sehen konnte. Doch er beging nicht den Fehler, Vetinari vollends aus dem Blick zu verlieren. Diese Art von Unaufmerksamkeit durfte er sich gegenüber der Person, der er unterstellt war, nicht erlauben. So wanderte sein Blick sofort wieder zu dem mächtigsten Mann der Stadt, als dieser den Federkiel in ein Tintenfass steckte und das Buch zur Seite schob.
"So, Herr Kommandeur. Setz dich doch."
Mit einem weiteren leichten Nicken kam der Vampir der Aufforderung nach und nahm auf dem Stuhl auf der anderen Seite des Tisches Platz. Währenddessen lehnte sich Vetinari in seinem Sessel zurück und seine Hände nahmen die für ihn typische Haltung ein, in der sie sich nur mit den Fingerkuppen berührten. Ein Zeichen dafür, dass er einiges zu sagen hatte.
"Ich nehme an, dass du zur Zeit sehr damit beschäftigt bist, für einen geordneten Ablauf bei dem morgigen Rennen zu sorgen."
Es war schwer herauszuhören, ob es sich dabei um eine Frage oder eine Feststellung handelte. Jedenfalls war sich Rascall sicher, dass der Patrizier bestens über die Vorgänge in der Wache informiert war. Allerdings war dies auch nicht verwunderlich. Nur wer die letzten Tage in einem tiefen Keller ohne Fenster verbracht hatte, wusste nicht, welche Aufregung zur Zeit in der Wache, oder besser gesagt, in der ganzen Stadt herrschte. Morgen würde zum erstenmal das große, hoffentlich jährliche Eselskarrenrennen stattfinden. Für dieses Ereignis waren aus Klatsch und dem Achaten Reich jeweils ein Teilnehmer angereist, um sich ein wildes Rennen um den Hidepark zu liefern. Eine weitere Besonderheit war, dass es noch einen dritten Wagen gab, der offiziell den Patrizierpalast vertrat.
"Natürlich, Herr. Für die Teilnehmer, die es wünschten, haben wir einige Wächter abgestellt, die ein Auge auf sie und ihre Tiere werfen."
Rascall war sich bewusst, dass es vielleicht etwas gewagt war, Vetinari noch einmal darauf hinzuweisen, dass er auf die Unterstützung der Wache verzichtet hatte, doch der Mann wäre sicher nicht Patrizier der Stadt geworden und immer noch am Leben, wenn er nicht genau wüsste, was er tat.
"Sehr schön." Vetinari nickte bestätigend. "Und wie sieht es mit den Vorbereitung für morgen aus?"
"Bis jetzt gab es noch keine Probleme, Herr. Wir haben einen genauen Plan, wo sich jeder Wächter während des Rennens an der Strecke zu befinden hat und wir kontrollieren den Kurs jetzt regelmäßig auf jegliche Ungereimtheiten."
Trotz der genauen Planung, war sich der Kommandeur sicher, würde es keine leichte Aufgabe werden. Seit bekannt werden des Rennens gab es in den Strassen der Stadt kaum ein anderes Gesprächsthema. Man konnte also davon ausgehen, dass der Besucherandrang sehr groß werden würde. Außerdem war es kein Geheimnis, dass auf das Rennen großzügig Wetten abgeschlossen wurden. Zwar tat die Spielergilde ihr Bestes, für einen geordneten Ablauf zu sorgen, doch es wäre eine große Überraschung, wenn niemand versuchen würde, das Rennen zu manipulieren.
"Das hört sich doch sehr gut an, Herr Kommandeur. Etwas anderes habe ich auch nicht erwartet." Vetinari gab sich keine Mühe, seine diesbezügliche Sicherheit zu verbergen. "Dies soll aber nicht der Grund gewesen sein, warum ich dich zu mir gerufen habe, auch wenn die Angelegenheit mit dem Rennen zu tun hat. Es gibt da noch eine andere Kleinigkeit, die ich gerne mit dir besprechen würde."
***
"Wir sollen was?" Ungläubig starrte Valdimier van Varwald Kanndra an. "Wie kommt er denn auf so eine Idee?"
"Nun ja, jemand hat es geschafft, den Esel für Vetinaris Karren außer Gefecht zu setzen", erklärte die Abteilungsleiterin der FROGs, die ähnlich wie ihr Kollege reagiert hatte, als Rascall mit seinem Anliegen zu ihr kam. "Und deswegen soll Schusi für ihn einspringen. Anscheinend hat sich langsam herumgesprochen, dass wir so einen Rennesel haben."
"Das sind wohl eher die Verwüstungen gewesen, die er nicht selten anrichtet, wenn er mal wieder außer Kontrolle gerät", murmelte der Vampir. "Wie hat man denn den Esel von Vetinari beseitigt?"
"Nicht beseitigt", korrigierte ihn Kanndra. "Man sagt, dass er vergiftet wurde, aber der Esel lebt noch, und wenn man das typische Krankheitsbild solcher Fälle als Vergleich nimmt, scheint er wieder auf dem Weg der Besserung zu sein. Bei dem Rennen morgen kann er aber auf keinen Fall mitmachen. Dafür ist er noch zu schwach."
"Vergiftet?"
"Ja, Vetinari hat zwar keine genaueren Angaben darüber gemacht, aber er hat Rascall extra darauf hingewiesen, dass wir uns darum nicht zu kümmern brauchen. Er würde das selbst in die Hand nehmen. Wir sollen uns nur darauf konzentrieren, dass das Rennen morgen ohne große Probleme stattfindet, und dass unser Karren mit dabei ist."
"Ich weiß nicht. Könnte das nicht schlimm für uns ausgehen, wenn wir da nun mitmachen und es passiert etwas? Dann sind wir gleich doppelt angeschmiert."
Valdimier konnte sich gut vorstellen, wie die Schlagzeile in der Times aussehen würde, wenn auch nur die kleinste Kleinigkeit schief ginge. Von absichtlicher Unaufmerksamkeit, mit der man sich einen Vorteil verschaffen wollte, würde etwa die Rede sein. Nicht gerade die Art von Presse, mit der man bekannt werden möchte.
"Darüber habe ich mir auch schon Gedanken gemacht", erwiderte Kanndra. "Wir müssen eben um so mehr aufpassen, dass es keinen Zwischenfall gibt."
Mit einem leisen Seufzen lehnte sie sich in ihren Stuhl zurück. Ihr war anzusehen, dass ihr die ganze Sache auch nicht besonders gefiel.
"Aber es verlangt ja auch keiner, dass du gewinnst. Ich könnte mir vorstellen, dass uns dann unterstellt wird, dass wir da irgendetwas dran gedreht hätten. Außerdem ist unser oberstes Anliegen, Schusi bei der ganzen Sache nicht zum Invaliden werden zu lassen."
Natürlich stand das außer Frage. Schusi, der Esel der FROGs, war ein festes Mitglied der Truppe und FROGs passten nun mal aufeinander auf.
"Und wie genau..."
Valdimier wollte gerade fragen, wie sie jetzt die ganze Sache angehen sollten, doch etwas in Kanndras Satz ließ plötzlich seine inneren Alarmglocken schrillen.
"Das ich das Rennen gewinne?"
Auf dem Gesicht seiner Kollegin zeichnete sich für einen kurzen Augenblick so etwas wie Verständnislosigkeit ab, bis sich ihre Augen überrascht weiteten. Ihr schien bewusst zu werden, dass sie etwas gesagt hatte, was nicht für Valdimiers Ohren bestimmt war.
"Nun ja, eigentlich wollte ich bis zum Ende damit warten, aber da wir nun schon bei dem Thema sind: Einer von uns muss ja den Karren lenken, und ich habe Rascall schon mitgeteilt, dass du derjenige sein wirst."
Die Reaktion des Vampirs war für sie nicht überraschend. Protestierend öffnete er den Mund, doch sie kam ihm schnell zuvor. Dass es eine Diskussion geben würde, war so sicher wie die Broschüre, die man von Anhängern Oms geschenkt bekam. Deswegen hatte sie sich auch schon die passenden Worte zurecht gelegt.
"Bevor du jetzt etwas sagst, möchte ich folgendes loswerden. Erstens möchte ich diese Aufgabe niemanden geben, der noch nicht allzu lange bei uns ist. Zweitens gehörst du zu denjenigen, die schon genug Erfahrung mit Schusi haben."
"Genauso gut könntest du doch auch...", begann der Vampir, doch Kanndra ließ sich von ihrer Erklärung nicht abbringen.
"Drittens besteht bei dir die geringste Verletzungsgefahr. Ich will das Tentakelmonster ja nicht an die Wand malen, aber sicher ist sicher. Da stimmst du mir doch zu, oder?"
Schweigend betrachtete sie den Vampir, der nach einer passenden Antwort zu suchen schien.
"Außerdem ist es an der Zeit, dass du mal wieder etwas mehr Einsatz zeigst. Es ist ja schön und gut, dass du jetzt eine Freundin hast, aber du hast hier auch noch einen Tschob."
"Ich weiß", erwiderte der Armbrustschütze mit einem leichten Anflug von Gereiztheit in seiner Stimme. "Ich mach den Tschob ja."
"Dann ist ja gut."
Mit einem zufriedenen Lächeln auf ihren Lippen lehnte sich die Abteilungsleiterin in ihren Stuhl zurück. Manchmal war es eben nötig, die Kollegen mit etwas mehr Nachdruck in die vorgesehene Richtung zu bewegen.
"Und was machen wir als nächstes?", fragte Valdimier neugierig.
Auch darüber hatte sich Kanndra schon ihre Gedanken gemacht.
"Zuerst sorgen wir dafür, dass mit Schusi nicht das gleiche passiert wie mit Vetinaris Esel. Dann werden wir zusehen, dass wir dich für morgen richtig vorbereiten."
Mit diesen Worten stand sie auf.
"Vielleicht können wir dir ja auch ein nettes Kostüm besorgen."
"Also wenn das passiert, könnt ihr euch einen anderen Fahrer suchen", erwiderte Valdimier trocken.
Mit einem leisen Kichern öffnete Kanndra die Tür ihres Büros.
"FROGs angetreten!!"
--Part 2--
Es gab Zeiten, in denen sich Schusi schier zu Tode langweilte: Wenn er wie meistens in seinem Stall stand und nur gelegentlich von seinen Besitzern nach draußen geführt wurde, wo er dann aber nicht einmal richtig rennen durfte. Und genau das war in den letzten Tagen der Fall gewesen. Nicht einmal ein bisschen rennen war erlaubt gewesen. Nur langweiliges, rumgetrabe. Da konnte er die Zeit auch genauso gut hier im warmen Stall verbringen. Seine Laune besserte sich auch nicht, als einer seiner Herrchen in den Stall kam und einen Blick in seine Box warf. Sie würden ihn wieder nicht rennen lassen, soviel stand schon mal fest. Denn dafür war der Mann viel zu ruhig. In ihm lag nicht die Hast und Schnelligkeit, die sonst immer herrschte, wenn man kurze Zeit später von ihm verlangen würde, jetzt richtig schnell zu rennen.
Wenigstens hatte er jetzt etwas Gesellschaft, denn der Mann schien nicht wieder gehen zu wollen.
***
Neugierig schaute Fünf schwarze Schwerte in Schusis Stallung. Für einen kurzen Moment hörte der Esel auf, sein Heu zu kauen und betrachtete ihn mit einem gelangweilten Blick. Als nichts aufregendes zu passieren schien, wandte der Rennesel seinen Blick ab und fraß weiter. Schwerter fragte sich, was er jetzt tun sollte. Die ganze Abteilung war über den Grund eingeweiht worden, warum der Esel für die nächsten Tage eine persönliche Bewachung spendiert bekam. Zwar hatten viele schon gehört, dass Vetinaris Esel vergiftet worden war, die Times hatte es groß auf der Titelseite veröffentlicht, aber dass Schusi nun seinen Ersatz darstellte, kam doch sehr überraschend. Jetzt ging es darum, zu vermeiden, dass Schusi das gleiche wie seinem Vorgänger zustieß, und Schwerter hatte das Glück gehabt, die erste Schicht der Wache aufgebrummt zu bekommen. Immerhin musste er jetzt nicht die Nacht hier verbringen. Doch was sollte er jetzt gegen die Langeweile unternehmen? Kanndras Befehl war eindeutig gewesen. Für die nächsten Stunden durfte er den Stall nicht verlassen und hatte dafür Sorge zu tragen, dass niemand Unbekanntes ohne Erlaubnis hier herumstreunte. Außerdem war man sich auch ziemlich sicher, dass man den Esel des Patriziers über sein Futter vergiftet hatte. Aus diesem Grund gehörte der Heuhaufen in der Ecke des Stalles auch zu seinem Einsatzbereich. Um Wasser musste er sich keine Gedanken machen. Das würden sie einfach aus der Kantine des Wachhauses nehmen.
Jetzt blieb nur zu hoffen, dass auch beim Rennen alles glatt gehen würde.
***
"Wer, meinst du, steckt dahinter?"
"Hinter der Eselsvergiftung?", fragte Kanndra.
"Genau", erwiderte der Valdimier.
Die beiden Wächter schlenderten durch die Stadt. Eile war in diesem Moment nicht geboten. Für Schusis Sicherheit war für's erste gesorgt, und die einzige große Aufgabe, die jetzt noch vor ihnen lag, war ein Besuch beim "Ersten Morporkischen Eselszüchterklub", dem Organisator des Rennens, um ein paar Formalitäten zu klären.
"Ich weiß nicht so recht", versuchte die ausgebildete Späherein die Frage des Vampirs zu beantworten. Darüber hatte sie sich auch schon so ihre Gedanken gemacht. Immerhin gab es genug Individuen in der Stadt, die sich durch eine geschickte Manipulation einen großen Vorteil erhofften.
"Vielleicht war es ja die Muffia?", fragte der Vampir.
Energisch schüttelte Kanndra den Kopf.
"Nein, dass glaub' ich nicht. Die Muffiosis sind nicht schlau genug, um so vorzugehen. Die hätten eher versucht, dem Esels eins mit dem Totschläger überzuziehen. Aber ich kann mir, ehrlich gesagt, nicht vorstellen, dass es jemand war, der die Verhältnisse in Ankh-Morpork kennt. Der wäre niemals blöd genug, um das Tier des Patriziers zu vergiften. Am ehesten setze ich da auf einen der Teilnehmer von außerhalb. Die wissen vielleicht nicht, was es bedeutet, Vetinari auf den Fersen zu haben."
Bedächtig nickte Valdimier. Er wollte sich gar nicht vorstellen, was mit dem oder den Tätern passieren würde, wenn der Patrizier sie in die Finger kriegte. Aber er musste es den Unbekannten schon lassen. Mut hatten sie allemal. Es war wohl offensichtlich, dass das Oberhaupt der Stadt sein Renntier am strengsten bewachen ließ. Dass der Anschlag überhaupt geglückt war, ließ auf einen sehr klugen und raffinierten Täter schließen.
"Hoffen wir, dass der Versuch nicht wiederholt wird."
"Um ehrlich zu sein: Das glaube ich nicht", erwiderte Kanndra. "Ich denke, dass es sich hierbei um einen Chancenausgleich handelte. DOG hat mitgeteilt, dass Vetinaris Esel in so ziemlich allen Wetten als der klare Favorit hervorgeht. Ich kann mir gut vorstellen, dass das alles nur ein Versuch ist, die Quoten der anderen zu erhöhen."
Sie verstummte kurz und schien über etwas nachzudenken. Auch wenn die Wache die offizielle Anweisung hatte, ihre volle Aufmerksamkeit nur dem Rennen zu widmen, war es normal für einen Wächter, über solche Sachen nachzudenken.
"Na ja, wie auch immer", brachte sie schließlich von einem Schulterzucken begleitet hervor. "Wir werden auf jeden Fall kein Risiko eingehen und gut auf Schusi aufpassen."
Erneut nickte Valdimier. Wenn wirklich jemand versuchen sollte, Michel Schuster etwas anzutun, würde es keinen Unterschied mehr machen, ob er zuerst den Wächtern oder Vetinari in die Hände fiel.
***
"Einen schönen guten Tag, werte Wächter", begrüßte eine junge Frau die beiden, als sie an die Tür des Hauses klopften, in dem der Eselszüchterklub seinen Sitz hatte. "Ist alles in Ordnung?"
"Natürlich, Ma'am." Freundlich nickte Kanndra der Dame zu. "Ich bin Oberfeldwebel Mambosamba und dies hier ist mein Kollege Chief-Korporal van Varwald. Wir sind hier, um die Formalitäten für unseren Esel zu erledigen."
"Ah!" Erfreut öffnete die Frau vollends die Tür. "Kommen sie doch herein. Mein Name ist übrigens Donatella von Schiebstein. Stellvertretende Klubleiterin." Energisch streckte sie den Wächtern die Hand entgegen.
Während Valdimier den Gruß erwiderte und die Hand der jungen Frau schüttelte, betrachtete er sie kurz. Sie trug einen altertümlich wirkenden schwarzen Rock und eine weiße Bluse. Ihr braunes Haar war zu einem langen Zopf geflochten, der ihr über den Rücken hing.
"Was genau gibt es denn noch erledigen?", fragte Kanndra sogleich, als Donatella die Tür hinter ihnen geschlossen hatte.
"Hach, eigentlich nur etwas Papierkram für die neue Anmeldung. Folgen sie mir einfach."
Im Gehen seufzte die junge Frau leise.
"Hach, es ist wirklich grässlich, was man Vetinaris Esel angetan hat. So ein liebes Geschöpf einfach zu vergiften."
"Das Tier hat ja überlebt", erwiderte Kanndra, während die beiden Wächter ihr durch einen kurzen Flur folgten.
"Das spielt keine Rolle!" Man hörte den aggressiven Unterton in ihrer Stimme. "Es gehört sich einfach nicht, so etwas zu tun. Und schon gar nicht einem so lieben Tier, dessen Art zu den liebenswürdigsten auf der ganzen Welt zählt!"
Kanndra drehte sich kurz zu Valdimier um und bedachte ihn mit einem viel sagenden Blick. Doch der Vampir zuckte nur mit den Schultern. Dass sie hier wohl wieder bei einer kleinen Gruppe von angehenden Fanatikern gelandet waren, beunruhigte ihn nicht wirklich. Solange es nicht zur Tagesordnung gehörte, dass man irgendeinem Eselsgott huldigen musste, war doch alles in Ordnung.
"So, da wären wir", erklang Donatellas Stimme.
Sie hatte die Besucher in einen größeren Raum geführt, der wohl der Haupttreffpunkt des Klubs zu sein schien. Mehrere große Tische standen im Zimmer; an einem davon saßen vier ältere Herren. Jeder von ihnen hatte einen Bierkrug vor sich stehen und sie waren in eine Diskussion vertieft, in der es wohl darum ging, welche Möhrensorte für einen Esel die beste sei. Als sie die Neuankömmlingen sahen, verstummten sie und schauten sie interessiert an.
"Diese zwei Wächter hier kommen wegen der Anmeldung ihres Esels", erklärte Donatella.
Bestätigendes Nicken ging durch die kleine Gruppe. Währenddessen verschwand die Frau hinter einem Tresen, der in der Ecke des Raumes stand.
"Möchten Sie etwas trinken?", hörte man ihre Stimme.
Die beiden Wächter verneinten geistesabwesend, waren sie doch damit beschäftigt, das große Stoffbanner zu betrachten, das über dem Tresen hing.
Wiehern tun die Hochnäsigen und Muhen die Faulen. IIAAH ist das Merkmal der Klugen
"Das ist unser Motto", erklärte die stellvertretende Klubleiterin. "Schick, nicht?"
Mehr aus Freundlichkeit nickten beide Wächter, doch für ihre Gastgerberin schien das genug zu sein, um ein erfreutes Lächeln auf ihr Gesicht zu zaubern. In ihren Händen hielt sie plötzlich einen Ordner aus Pappe und setzte sich an einen der freien Tische.
"Setzen Sie sich, bitte. Wir wollen uns gleich an die Arbeit machen."
***
Bis auf ein paar Fragen, die die beiden Wächter nicht beantworten konnten (Was ist Schusis Sternzeichen?) oder die einfach höchst befremdlich waren (Bekommt ihr Esel Lecksalz als Nahrung, und wenn ja, von welchen Salzsieder stammt das Salz darin?), verlief die Anmeldung ohne Schwierigkeiten. Nachdem die beiden Wächter alles Nötige erledigt hatten und nach einer, zugegebenermaßen von Donatella mit Freundlichkeit erzwungenen Führung durch den Rest des Anwesens inklusive Stallungen, das Haus wieder verlassen hatten, konzentrierte man sich vollends auf den Schutz Schusis. Für den Rest des Tages und auch die folgende Nacht verging keine Minute, in der nicht mindestens ein Augenpaar auf ihm und seinem Heuvorrat ruhte.
Doch die Zeit verging ohne jeglichen Zwischenfall.
--Part 3--
Zu behaupten, nicht nervös zu sein, wäre für Valdimier eine glatte Lüge gewesen. Angst wollte er es nicht nennen, doch der Gedanke daran, vor hunderten von Leuten dabei beobachtet zu werden, wie er im Namen der Stadtwache in einem Eselskarren um den Hidepark raste, stimmte ihn nicht gerade fröhlich. Sicher, siegen wollten sie nicht, aber es lag ihnen auch nicht daran, auf einem der letzten Plätze zu landen. Wie DOG mitgeteilt hatte, wurden dem Wagen keine großen Gewinnchancen zugerechnet, doch das lag wohl eher daran, dass die Wache selbst nicht gerade den besten Ruf in der Stadt hatte und nicht ihr Esel. Denn ein schlechter Rennesel war Schusi auf keinen Fall. So hatte die vor ihm liegende Aufgabe noch etwas Würze erhalten. Es ging nicht nur darum, dieses Rennen einfach hinter sich zu bringen. Nein, die Wache durfte sich nicht blamieren. Dieser Gedanke drängte sich Valdimier wieder auf, während um ihn herum schon die jubelnden Zuschauer zu hören waren, als er am nächsten Tag auf dem Karren stand und sich auf den Start vorbereitete.
"Wie viel Zeit haben wir noch?", fragte er Kanndra, die neben ihm stand.
"So zirka 10 Minuten", erwiderte sie. "Aufgeregt?"
Valdimier verzichtet auf eine Antwort. Anzusehen war es ihm sicher.
"Keine Sorge, wird schon schief gehen", versuchte seine Kollegin ihn aufzumuntern. "Einfach auf's Lenken konzentrieren, den Rest macht Schusi schon."
"Gerade weil ich nicht weiß, was der Rest ist, mache ich mir ja Sorgen."
Von all dem schien Schusi nichts mitzubekommen, woran wohl die grünen Ohrschützer auf seinem Kopf schuld waren. Sie wurden ihm immer vorsorglich übergezogen, um einen unkontrollierten Ausbruch des Renntriebs zu verhindern. Auch die beiden anderen Wächter, Stefan Mann und Sayadia, die immer wieder um den Karren herumliefen, um dies und jenes zu kontrollieren, schienen ihn nicht wirklich zu stören. Stattdessen hatte er seinen Kopf zur Seite geneigt und betrachtete die Publikumsränge, die sich langsam immer dichter füllten. Auch Valdimier riskierte ab und zu einen Blick. Unter den Zuschauern hatten sich auch einige Wächter eingefunden, die wohl das Glück hatten, nicht zum Erhalt der allgemeinen Ordnung eingesetzt zu werden. Einer von ihnen hielt ein Pappschild hoch, auf dem in großen Buchstaben Los Schusi Los! stand. Als er genauer hinschaute, erkannte er Romulus von Grauhaar. Solchen Enthusiasmus hätte er dem Abteilungsleiter von RUM nicht wirklich zugetraut. Sein Blick wanderte weiter über der Tribüne, wo er Lilith zwischen den Zuschauern sitzen sah. Hatte sie es also doch geschafft! Als er am vergangenen Abend von der Rennteilnahme der Wache erzählt hatte, wollte sie sich das Spektakel auf keinen Fall entgehen lassen. Es war allerdings nicht klar, ob sie für die Zeit in der Taverne, in der sie arbeitete, frei bekam. Seine Freundin schien nur darauf gewartet zu haben, dass er sie sah, denn kaum trafen sich ihre Blicke, winkte sie ihm zu und streckte ihm den nach oben gerichteten Daumen entgegen. Mit einem nervösen Lächeln winkte er zurück.
"Und außerdem ist es extrem wichtig, dass du dich von nichts ablenken lässt", hörte er plötzlich Kanndras Stimme. "Von nichts, verstanden?"
Als er zu seiner Chefin schaute, stand sie noch immer neben dem Karren. Eine Hand war demonstrativ in die Hüfte gestemmt, während sie ihm mit der anderen einen Helm entgegen hielt. Allem Anschein nach hatte sie gesehen, wem er da zugewunken hatte.
"Das musst du mir nicht noch mal sagen", erwiderte Valdimier missmutig und griff nach dem Kopfschutz. "Es liegt mir nicht viel daran, den Karren vor die sprichwörtliche Wand zu fahren."
"Dann ist ja gut", konterte die Abteilungsleiterin gelassen.
Murrend setzte der Vampir den Helm auf. Es war ein ganz normales Exemplar, wie es in der Wache gebräuchlich war, doch man hatte noch einen kleinen Gurt an der Vorderseite angebracht, der, unter das Kinn gespannt, für den nötigen Halt sorgen sollte. Valdimier mochte das Gefühl nicht sonderlich. Es kam nicht sehr häufig vor, dass er während eines Einsatzes einen Helm trug. Zu sehr beschränkte er sein Sichtfeld und diesen Druck gegen sein Kinn konnte er nur schwer ignorieren.
"Toller Kopfschmuck, den euer Esel da hat."
Der Armbrustschütze schaute auf und sah einen weiteren Karren neben sich stehen. Ohne lange zu nachdenken zu müssen war klar, dass es sich hierbei um das Gefährt aus Klatsch handelte. Es war komplett schwarz gestrichen und auch der Fahrer trug einen weiten schwarzen Anzug, der fast wie die übliche Bekleidung der Assassinen aussah. Wie es sich für einen anständigen Klatschianer gehörte, prägte eine Tätowierung sein dunkles Gesicht, bei der Valdimier nicht erkennen konnte, um welches Symbol es sich dabei handelte,.
"Glaub' mir, das ist nur zu eurer eigenen Sicherheit", erwiderte der Vampir gelassen.
Der Klatschainer lachte lauthals auf. Seine vier Begleiter, die alle ähnlich angezogen waren, stimmten in das Gelächter mit ein.
"Na, dann bin ich ja beruhigt."
Mit diesen Worten wandte er sich seinem Esel zu und schnalzte mit den Zügeln.
"Vorwärts, Alfons!"
Doch das Tier bewegte sich keinen Millimeter. Still stand es einfach nur da und schien die Aufforderung seines Herren gar nicht bemerkt zu haben.
"Vorwärts, Alfons!", wiederholte der Klatschianer seinen Befehl und und riß an den Zügeln. Der Erfolg blieb allerdings erneut aus. In seiner Haltung erstarrt blickte der Esel zu Seite und fixierte mit seinen zu dünnen Schlitzen verengten Augen Schusi. Valdimier wollte sich gerade an die anderen Wächter wenden und eine spöttische Bemerkung über den ausbleibenden dramatischen Abgang des Konkurrenten machen, als ihm auffiel, dass auch der Esel der FROG's sein Gegenüber anstarrte.
Beinahe hätte er ihn übersehen. Zu sehr war Schusi damit beschäftigt gewesen, interessiert seine Umgebung zu mustern. Zwar hatte er schon die ein oder andere Menschenmasse erlebt, doch diesmal war es anders. Überall standen Menschen herum, die ihm seine Aufmerksamkeit schenkten. Einige von ihnen riefen immerzu etwas, doch es drang nur als ein dumpfer Mischmasch von Geräuschen an seine Ohren. Wieso setzte man ihm auch immer wieder dieses blöde stoffige Ding auf den Kopf? Doch all dies, die Ohrschützer, die um ihn herumstehenden Menschen, seine Herrchen, die sich in diesem Moment um ihn kümmerten, einfach alles trat in plötzlich in den Hintergrund, als er seinen Kopf zur Seite drehte und ihn sah. Ruckartig erstarrte er. Sah er wirklich das, was er zu sehen glaubte? Sein Blick verfinsterte sich, als er sah, wie auch er bemerkt wurde.
"Verdammt, Alfons!! Beweg dich endlich!!"
Diesmal griff der Klatschianer zur Peitsche. Schwungvoll holte er damit aus und ein lauter Knall erklang, als er das Tier damit am Hinterteil traf. Wie aus einer Trance gerissen schreckte Alfons auf und gab ein empörtes "IIAA" von sich.
"Jetzt los, verdammt!", schimpfte sein Fahrer. "Sonst bekommst du noch eins verpasst!"
Man konnte in den Augen des Tieres deutlich den Missmut sehen, doch die Aussicht auf einen weitern Schlag schien ihn zum Gehorsam zu bewegen. So setzte sich der Karren langsam in Bewegung und ratterte ein Stück nach vorne, um den zugewiesenen Platz vor dem Karren der Wache einzunehmen.
Ein verächtliches Schnauben entwich Schusis Nüstern als er sah, wie sich der anderen Karren vor ihn stellte. Heute würde er rennen. Dessen wurde er sich gerade bewusst. Oh ja, und wie er rennen würde. Diesem eingebildeten Fatzke würde er es zeigen. Denn in einem war er sich in diesem Moment sicher: Bald würden sie wissen, wer der schnellere von ihnen war. Und sein Gegner wusste das auch.
"Ohoh, das dülfte intelessant welden."
Noch während die Wächter den Karren des Klatschianers betrachteten, hörten sie eine fremde weibliche Stimme erklingen. Der achatische Dialekt darin war nicht zu überhören.
Als sich die Wächter umdrehten, sahen sie eine kleine Achaterin vor sich stehen. Sie trug rote Kleidung, die Valdimier an den Anzug erinnerte, den er früher zu den Lehrstunden der Achaten Kampfkunst tragen musste. Stände ihm nur ein Wort zur Verfügung, um die Person zu beschreiben, hätte er "zierlich" gewählt. Auch ihre Gesichtszüge waren die, die man bei vielen Achaten sah. Besonders ihre schlitzigen Augen waren typisch.
"Entschuldigen Sie, bitte", erklärte die Unbekannte und verbeugte sich. "Mein Name ist Chi Na Kimono."
"Ah, sie fahren den Karren aus dem Achaten Reich", stieß Kanndra hervor.
"Das tue ich", erwiderte die kleine Frau. "Ich wollte Ihnen nul viel Glück fül das Lennen wünschen."
Unsicherheit machte sich bei den Wächtern breit. War dies vielleicht eine versteckte Drohung, oder nur ein Anflug von sportlicher Fairness? Auf letzteres konnte man in Ankh-Morpork nicht wirklich hoffen.
"Es ist bei uns Blauch, vol dem Lennen dem Konkullenten alles Gute zu wünschen. Dies ist unsel Zeichen fül einen ehlichen Wettkampf."
"Na, darüber freuen wir uns aber", erklärte Kanndra, ehe einer der andern Wächter etwas sagen konnte. "Seien Sie sich gewiss, dass auch wir Ihnen alles Gute wünschen."
Die anderen Wächter nickten.
"Ein schönes Tiel haben Sie da." Prüfend musterte Chi Schusi. "Wie ist sein Name?"
"Michel Schuster." Wieder war es Kanndra, die die Antwort gab. In ihrer Stimme war kein Misstrauen oder ähnliches zu hören. "Ich nehme an, dass dies dort Ihr Karren ist?"
Die Fahrerin schaute kurz auf den Karren, der wenige Meter hinter dem der Wache stand. Ein Esel mit dunkelblauem Fell war davor gespannt und wurde gerade von einem zweiten Achater gefüttert.
"Genau, das ist el."
"Auch ein schönes Tier. Wie ist denn sein Name?"
"Sie", sie legte diesem Wort eine besondere Betonung bei, "heißt Tikomu Sota."
Sie schien kurz zu überlegen.
"In ihlel Splache könnte man es am besten mit lennende Lotusblüte übelsetzen."
In diesem Moment erklang die laute Stimme von Donatella von Schiebstein.
"Verehrte Teilnehmer. Ich bitte Sie, sich an die Startlinie zu begeben. Das Rennen startet in wenigen Minuten."
Die Stellvertreterin des Eselzuchtklubs benutzte ein Dämonophon, um ihre Stimme zu verstärken. Eine Dämonengestützte Flüstertüte, wie sie sogar FROG in ihrer Aservatenkammer stehen hatte. Ideal, um mit Verbrechern aus sicherer Entfernung in Verhandlungen zu treten. Lauter Jubel ertönte, als die Zuschauer die Durchsage hörten. Bald würde es losgehen.
"Oh, oh, ich sollte mich beeilen", erklärte die Achaterin hastig und machte sich daran, zu ihrem Wagen zu eilen. Doch nach ein paar Schritten blieb sie stehen und schaute kurz zu dem Karren des Klatschianers.
"Ach, el wild mein Glück schon nicht blauchen", erklärte sie schulterzuckend und eilte weiter zu ihrem Karren.
"Warten Sie", rief ihr Valdimier plötzlich hinterher. "Was genau meinten Sie vorhin eigentlich mit "dass dürfte interessant werden"?"
Abrupt blieb Chi Na stehen und schaute den Vampir verwundert an.
"Wissen Sie etwa nicht, walum sich die beiden Esel eben so anstallten?"
"Öhm, nein", gab er unverblümt zu. "Was denn?"
"Lennesel mögen sich unteleinandel nicht besondels", erklärte die Fahrerin schnell. "Wenn es sehl schlimm wild, tlagen sie unteleinandel ein Duell aus, in dem sie helausfinden, wel del stälkele von ihnen ist. Dieses Stallen ist del elste Teil davon."
"Und was ist der zweite Teil?" wollte Valdimier wissen.
Doch die Achaterin hatte sich wieder umgedreht und war dabei, auf ihren Karren zu klettern.
"Du Kanny, das gefällt mir überhaupt nicht", wandte er sich stattdessen an seine Vorgesetzte. "Sollten wie lieber nicht erst herausfinden, was noch passieren kann?"
Doch Kanndras Blick ließ erahnen, wie die Antwort ausfallen würde.
"Ach Papperlapapp. Sie wollte uns sicher nur etwas Angst machen. Sieh zu, dass du zum Start kommst."
Was das Angst machen anging, war sich Valdimier nicht so sicher. Trotzdem setzte sich kurz darauf der Karren in Bewegung und fuhr langsam in die Richtung des großen Kreidestriches, den man quer über die Strasse gezogen hatte.
***
"Verehrte Damen und Herren", dröhnte Donatellas Stimme druch die Gegend. "Herzlich Willkommen zum ersten großen Eselkarrenrennen in Ankh-Morpork."
Der Jubel und das Klatschen auf den Zuschauerrängen schien seinen ersten Höhepunkt zu erlangen.
"Die Teilnehmer befinden sich schon auf ihren Plätzen. Lassen Sie mich Ihnen die Fahrer noch einmal vorstellen. Auf der linken Seite..."
Die Ansprache der Frau hörte Schusi zwar laut und deutlich, doch die Worte bedeuteten ihm nichts. Nicht in diesem Moment, als er den dritten Esel sah. Er, oder besser gesagt Sie, hatte sich neben ihn gestellt und schaute ihn an. Doch anders als bei dem eingebildeten Fatzke, der auf der anderen Seite von ihm stand, war es keine Verachtung, die er ihr entgegenbrachte. Im Gegenteil, es war die reinste Verwunderung. Gebannt schaute er in ihre Augen, die ihm zublinzelten. Wo war sie denn hergekommen? Wieso hatte er sie vorher noch nie gesehen? Alles Fragen, die sich plötzlich in Schusis Kopf bildeten. Doch sie lösten sich in Luft auf, als er merkte, wie sein Konkurrent auf der anderen Seite den Kopf senkte und unter seinem Hals hindurch die Eselstute anstarrte. Wütend senkte auch er den Kopf und starrte ihm herausfordernd in die Augen. Das würde dem wohl so passen. Zuerst musste er an ihm vorbei, wenn er zu ihr wollte.
"So, und nun bitte ich um einen großen Applaus für Herrn Rainald Altenesel. Von Anfang an unterstützt er den Eselklub von Herzen und ist unser ältestes Mitglied. Aus diesem Grund hat er heute die Ehre, das große Rennen zu starten."
Wie von Donatella gefordert, klatschte das Publikum fest und lange in die Hände, als sich ein älterer Herr, Valdimier schätzte ihn auf mindestens 80 Jahre, neben Donatella stellte. Er war mindestens zwei Köpfe kleiner als sie und schien sich nur noch gebückt vorwärts bewegen zu können. Der Wächter fragte sich, ob er im Klub noch irgendwelchen Tätigkeiten nachging, oder die ganze Zeit nur vor seinem Bier an einem der großen Tische im Sitzungszimmer saß, ohne dass man ihm große Beachtung zukommen ließ.
"Herr Altenesel. Sie haben die Ehre."
Vorsichtig hielt Donatella ihm das Dämonophon vors Gesicht.
"Auf die Plätze!"
Mit zittrigen Händen hielt Rainald Altenesel ein rotes Taschentuch nach oben. Durch den ganzen Tumult drumherum, war seine leise Stimme kaum zu hören.
"Fertig!"
Instinktiv packte Valdimier die Zügel fester in seine Hand, während er in der anderen das kleine Glöckchen hielt. War es vielleicht doch ein Fehler gewesen, Schusi jetzt schon den Ohrschutz abzunehmen. Was wäre, wenn ihn etwas aus dem Publikum aufschrecken würde? Doch diese Gedanken verflogen auch schon wieder so schnell, wie sie gekommen waren, als Herr Altenesel seinen Mund ein weiteres mal öffnete.
"Und...ähm...ähm..."
Allem Anschein nach hat das Alter neben den körperlichen Einschränkungen auch schon für einen beachtlichen Gedächtnisschwund gesorgt, ging es Valdimier durch den Kopf.
Er sah, wie sich Frau von Schiebstein zu dem alten Rainald hinüberbeugte und ihm etwas ins Ohr flüsterte.
"Ähm... ahja, richtig. Und los!!"
Mit diesen Worten ließ er das Taschentuch fallen. Von den gebannten Blicken der Fahrer verfolgt, segelte es langsam nach unten und kaum hatte es Boden berührt, preschten die Karren auch schon los.
***
Endlich durfte er wieder rennen. Es bedurfte in diesem Moment nicht einmal des Klingelns des Glöckchens, um die über die vergangenen Tage in Schusis Körper aufgebaute Energie freizusetzen. Kaum hatte sich dieser Fatzke in Bewegung gesetzt, war auch er losgerannt. Doch richtig freuen konnte sich Schusi nicht. Sein Gegner hatte einen besseren Start. Konzentriert starrte der Esel auf das Hinterteil des anderen Karren, der vor ihm über das Kopfsteinpflaster holperte. Er würde seinen Gegner noch einholen und es gab nichts, was ihn davon abhalten würde. Nicht einmal die hektischen Bewegungen seiner Zügel, die ihn zum langsamer werden aufforderten.
Schon kurz nach dem Start stellte Valdimier fest, dass er die anfangs besprochene Leisetreter Taktik getrost vergessen konnte. Er hatte nicht einmal die Zeit gehabt, das Glöckchen zu läuten, als das rote Tuch auf dem Boden gelandet war. Im Nu hatte sich seine Umgebungen in ein verschwommenes Chaos verwandelt, in dem nur noch das ein oder andere Objekt zu erkennen war. Noch nie hatte er erlebt, dass Schusi ein derartig mörderisches Tempo annahm. War dies etwa der zweite Teil des Duells, von dem die Achaterin erzählt hatte? Ein Rennen auf Leben und Tod? Hektisch zog er an den Zügeln, um den Karren wenigstens etwas zu verlangsamen, doch Schusi gehorchte ihm nicht. Unvermindert rannte er dem klatschianischen Karren hinterher, wild schnaubend die Luft aus seinen Nüstern pressend.
Was soll ich jetzt tun?, schoss es dem Vampir durch den Kopf.
Wie es aussah, konnte er Schusi nicht zur Mitarbeit bewegen. Zwar schaffte er es noch, den Karren halbwegs sicher durch die Kurven zu lenken, doch es passierte öfter als ihm lieb war, dass er dabei nur noch auf einem Rad fuhr. Vorsichtig schaute er nach hinten, um nach den anderen Fahrern zu sehen. Einen respektablen Abstand einhaltend, folge ihm der Wagen der Achaterin. Sie schien keine Probleme zu haben, die Kontrolle über ihre Stute zu behalten. Wartete sie vielleicht nur darauf, dass er mit Schusi gegen eine Wand prallte und hielt diesen Abstand zur eigenen Sicherheit ein?
Wieso passiert so etwas gerade mir?, ging es ihm durch den Kopf. Warum muss ausgerechnet ich auf dem Karren sitzen, wenn der Esel vollkommen durchdreht?
Zu gerne hätte Waldemar von Silberfang das Rennen genauer beobachtet, doch seine Pflicht verbot es ihm. Von seiner erhöhten Position auf einem Mauervorsprung beobachtete der Späher in Ausbildung seine Umgebung. Seine Hauptaufgabe war, simpel ausgedrückt, dafür zu sorgen, dass nichts Ungewöhnliches passierte. Sollte einer von den Zuschauern, oder wer auch immer, auf die Idee kommen, auf die Strasse zu rennen, war es seine Aufgabe, denjenigen davon abzuhalten. Doch wie es aussah, würde er nicht in solch eine Situation geraten. Bis auf den Jubel, der jedesmal losbrach, wenn die Karren um die Kurve geschossen kamen, blieb es den Umständen entsprechend ruhig. Doch es gab noch eine andere kleine Aufgabe, für die Waldemar die Verantwortung trug, und wenn er sich nicht verzählt hatte, würde es in dieser Runde soweit sein. Angespannt wartete er darauf, dass die Karren um die Kurve gebogen kamen. Als dies unter lautem Getöse geschah, riss er die Hand hoch und streckte zwei Finger davon ab. Seine Kollegen, die sich immer noch an der Stelle befanden, an der die Karren vor dem Rennen gestanden hatten, setzten sich sofort in Bewegung.
"Sie kommen!!", rief Stefan Mann, als er Waldemars Zeichen sah. "Und Schusi scheint immer noch auf dem zweiten Platz zu liegen."
Sayadia spürte, wie sich ihr Körper anspannte. Mit beiden Händen umklammerte sie das Möhrenschild und wartete gebannt darauf, dass die Karren um die Kurve gebogen kamen.
Es wird schon funktionieren. Nur nicht so weit rausgehen, rief sie sich immer wieder ins Gedächtnis. Du willst nicht als flaches Objekt auf der Strasse enden.
Wenige Sekunden später preschten die ersten Karren unter lautem Gejohle der Zuschauer um die Ecke, und Waldemar hatte sich nicht geirrt. Schusi kam als zweiter in ihr Sichtfeld, nur den Karren des Klatschianers vor sich.
"Jetzt!", rief Kanndra.
Als ob sie ein nahendes Unheil auf sich zukommen sähe, verengten sich Sayadias Augen zu schmalen Schlitzen, als sie einen Schritt nach vorne machte und das Schild hochhielt. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie der Karren des Klatschianers an ihr vorbeirauschte und der hinter ihm herziehende Luftstrom zerwirbelte ihrHaar. Doch darauf achtete sie nicht. Wie in Zeitlupe sah sie Schusi auf sich zugaloppieren, den Blick stur nach vorne gerichtete und förmlich durch sie hindurch starrend. Die Hoffnung, dass Valdimier den Karren an dem vorgesehenen Punkt zum Stillstand brachte, verflüchtete sich auch aufs schnellste. Die Gesichtszüge des Vampirs und die Art, wie er die Zügel umklammerte, ließen nicht gerade den Eindruck einer kontrollierten Fahrt entstehen. Die Sekundebruchteile dieses Moments reichten aus, um den Willen zum Überleben in Sayadia aufschreien und sie mit einem beherzten Sprung zur Seite springen zu lassen. Zuerst glaubte sie, dass Schusi ungebremst an ihr vorbeistürmen würde, doch auf die letzten Meter verlangsamte der Esel sein Tempo plötzlich drastisch und blieb mit einem Ruck neben den wartenden Wächtern stehen, wobei seine Hufen über das Steinpflaster rutschten. Valdimier war von der Bremsung sichtlich überrascht. Nur mit Mühe konnte er sich noch am Rand des Karrens festhalten, um nicht kopfüber auf dem Rücken des Esels zu landen.
"Los, los!!", gab Kanndra das Kommando und die Wächter setzten sich in Bewegung.
Sofort hielt Stefan Schusi eine handvoll Möhren vor die Schnauze, die das Tier so gierig verschlang, dassStefan hastig seine Hand zurückzog. Auch in den Eimer mit Wasser, den ihm der Wächter kurz darauf hinhielt, senkte er eilig seine Schnauze und sog die Flüssigkeit in tiefen Zügen in sich auf. Was dem Wächter bei der ganzen Sache relativ komisch vorkam, war der Fakt, dass sich Schusis Blick nicht von dem klatschianischen Karren löste, der wenige Meter vor ihnen stand. Seine Augen waren dabei zu schmalen Schlitzen verengt.
"Ich glaube, ich kann mir jetzt denken, was die Achaterin vorhin meinte", rief währenddessen Kannrda Valdimier zu, der gerade damit beschäftigt war, den Helm abzusetzen.
"Das ist mir schon seit dem Start klar", stieß der Vampir hitzig hervor und deutete auf Schusi. "Ich bin froh, dass ich überhaupt noch im Wagen bin."
Hastig griff er nach dem Taschentuch, das ihm die Abteilungsleiterin entgegenstreckte und rieb sich damit übers Gesicht.
"Ein Wunder, dass wir noch keinen Unfall gebaut haben", erklärte er weiter. "Er rennt wie besessen dem da hinterher."
Dabei zeigte er auf den Karren vor ihnen.
"So reagiert man eben, wenn einen der Siegeswille gepackt hat", erwiderte Stefan, der noch immer den Eimer hielt.
"Wenn es so ist, hoffe ich jedenfalls, dass er wenigstens noch einen Funken Selbsterhaltungstrieb in sich hat." Vorsichtig lehnte sich Valdimier zu Kanndra hinüber. "Kanny, ich sage dir etwas. Es wäre wirklich besser, wenn wir die ganze Sache abblasen. Wenn er so weiter macht, kann ich nicht mehr lange..."
Kanndra erfuhr nie, was Valdimier nicht mehr lange konnte. Ein plötzlicher Ruck durchzog den Karren und er schoss davon. Kanndra sah nur noch kurz, wie der überraschte Vampir in der hinteren Ecke des Gefährts landete, welches sich schon nach kurzer Zeit außer Sichtweite befand. Kurz darauf drang ein metallisches Scheppern an ihre Ohren und als sie sich danach umschaute, sah sie zwei verbeulte Gegenstände auf der Strasse liegen. Einer davon war Valdimiers Helm, und bei dem anderen schien es sich um den Eimer zu handeln, aus dem Schusi eben noch getrunken hatte.
"Was...war...das...denn...jetzt?", hörte sie Stefan Mann stammeln.
Der Triffinsziel, der sich noch in seiner Ausbildung befand, hielt nur noch einen abgerissenen Henkel in den Händen und starrte ihn mit großen Augen an.
"Wie es ausschaut, wollte er wohl nicht mehr länger warten", murmelte Kanndra und wusste auch schon eine Antwort auf die "warum"- Frage.
Der klatschianische Karren war auch nicht mehr zu sehen.
***
Valdimier war überrascht. Eben hatte er noch mit seiner Kollegin gesprochen und jetzt starrte er in den hellen Wolkenhimmel und sah vereinzelte Häusergiebel an sich vorbeirauschen. Erst als er sich des wackelnden Bodens bewusst wurde,auf dem er lag, erfasste er, wo er sich gerade befand und das er wohl etwas ganz anderes machen sollte, als in der Ecke zu liegen. Mühsam griff er nach dem Rand des Karrens und zog sich nach oben. Sofort blies ihm ein starker Fahrwind entgegen und ließ ihn die Augen zusammenkeifen. Seinen Helm hatte er wohl verloren, denn er spürte auch, wie der Wind seiner Frisur zu einem Eigenleben verhalf.
"Du Esel!", brüllte er Schusi zu, dem wohl entgangen war, dass er gerade führerlos unterwegs war.
Doch der ließ sich davon nicht beeindrucken. Unbeirrt rannte er den klatschianischen Karren hinterher und schien ihm sogar auch immer näher zu kommen. Vorsichtig, sich am Karren festklammernd, brachte sich der Vampir in eine standesgemäße Körperhaltung.
Im Luftsog hin und her geworfen flogen Schusis Zügel vor ihm herum und er benötigte einige Zeit, sie zu fassen. Schusi hatte sein mörderisches Tempo noch immer nicht verringert. Ganz im Gegenteil sogar, Valdimier hatte das Gefühl, dass er noch schneller wurde. Auch die letzten Konturen der vorbeirauschenden Zuschauertribünen verschwanden in dem verwaschenen Schleier der Geschwindigkeit. Doch dafür sah er etwas anderes. Langsam verringerte sich der Abstand zwischen ihm und dem Karren des Klatschianers. Meter um Meter kämpfte sich Schusi weiter an ihn heran. Valdimier sah, wie sich der Fahrer immer wieder nach ihm umblickte und daraufhin seinen Esel mit der Peitsche malträtierte. Doch es schien ihm nichts zu nützen, denn unaufhaltsam näherte sich Schusi seinem Rivalen.
Gleich hatte er es geschafft. Alles andere um ihn herum verblasste zu Bedeutungslosigkeit. Er würde siegen. Nur noch ein klein wenig mehr Tempo, und er würde beweisen, dass er der schnellere von ihnen war. Sein Feind schien sein Kommen zu spüren und versuchte ebenfalls das Tempo zu erhöhen, doch es warvergeblich. Schnauze an Schnauze liefen sie nebeneinander her. Der Kampf um die Ehre würde baldentschieden sein. Doch genau in diesem Moment durchzog ein stechender Schmerz Schusis Schnauze.
Beide Karren fuhren auf gleicher Höhe, als es geschah. Zuerst sah es so aus, als wollte der Klatschianer erneut die Peitsche auf sein Tier richten, doch dann drehte er die Hand und Valdimier sah ungläubig, wie er die Peitsche auf Schusi richtete. Das Schwein wollte tatsächlich zu unfairen Mitteln greifen. Instinktiv riss er an Schusis Zügeln. Dabei zog er so fest, dass selbst die Erregung, welcher der Esel erlegen war, nicht verhindern konnte, dass er es schmerzhaft spürte. Schusi gab einen jammernden Laut von sich, als seine Schnauze zur linken Seite gerissen wurde. Den Bruchteil einer Sekunde später durchschlug ein Peitschenhieb mit einem lauten Knall die Luft an der Stelle, wo sich eben noch Schusi Schnauze befunden hatte. Valdimier reagierte sofort, auch wenn ihm erst später, nach dem Rennen, bewusst werden sollte, was er da eigentlich getan hatte. Trotz der kurzen Ablenkung hatte Schusi sein Tempo nicht verringert und beide Karren waren noch auf gleicher Höhe. Der Klatschianer holte zu einem weiteren Schlag aus, doch ausführen konnte er ihn nicht mehr. Seine eigene Sicherheit ignorierend ließ Valdimier die Zügel los und lehnte sich über den Karrenrand, denn wenn es um die Sicherheit eines Kollegen ging (und nichts anderes war Schusi für ihn) ging ein FROG größte Gefahren ein. Verdutzt weiteten sich die Augen des gegnerischen Fahrers, als Valdimier ihn an seinem Kragen packte. Kurz trafen sich ihre Blicke, dann traf Valdimiers Faust. Der Schlag des Vampirs erwischte den anderen Lenker direkt im Gesicht und ließ ihn mit einer übertrieben wirkenden und eher an eine komplizierte Verrenkungsmethode erinnernden Gestik nach hinten stürzen.
Einen weiteren Augenblick später hörte Valdimier den klatschianischen Esel ein protestierendes IIIAAHHH von sich geben, als dessen Kopf nach hinten zuckte. Der Fahrer schien sich beim Fallen mit einer Hand in den Zügeln verfangen zu haben und zog so den Kopf des Tieres unbarmherzig nach hinten. Der Rennesel hatte keine andere Wahl, als langsamer zu werden.
"Niemand schlägt den Esel der FROG's du Sand fressender Arsch", brüllte Valdimier noch dem Karren zu, als er diesen schnell hinter sich ließ.
Doch die Entschlossenheit, mit der er seinem Konkurrenten eben eine verpasst hatte, war noch nicht völlig verpufft.
"So, Schusi", rief er dem roten Wächteresel gegen den Fahrwind zu. "Jetzt fahren wir die Kiste hier nach Hause!!"
Doch dann tauchte der Karren der Achaterin neben ihm auf.
Er hatte es geschafft! Schusi spürte, wie die Woge des Triumphes über ihn hinwegschwappte. Er hatte seinen Gegner besiegt. Ihn hinter sich gelassen, ihn gedemütigt. Er war der schnellere von ihnen. Daran bestand kein Zweifel mehr. Doch ihm bleiben nur wenige Sekunden, in denen er seinen Sieg auskosten konnte. Dann erschien sie wieder neben ihn. Seine Eselsaugen weiteten sich, als er sie erblickte. Mit unglaublicher Leichtigkeit rannte die blaue Eselstute neben ihm her und drehte ihren Kopf in seine Richtung. In ihren Augen lag jedoch keine Herausforderung wie bei seinem besiegten Konkurrenten. Eher das Gegenteil. Zuneigung! Schusi glaubte sogar, ein verführerisches Zwinkern erkannt zu haben. Der Esel konnte seinen Blick einfach nicht mehr von ihr wenden.
Auch dann nicht, als sie langsam an ihm vorbeizog und er einen Eindruck von ihrem attraktiven Hinterteil bekam. Er blieb hinter ihr, um weitere Details zu erspähen, nicht fähig, auch sein Tempo zu steigern, weil für diesen Gedanken kein Platz mehr in seinem Kopf war.
"Verehrtes Publikum!!", schrie Donatella von Schiebstein durch das Dämonophon, als die beiden verbleibenden Karren über die Kreidelinie schossen. "Die Achaterin Chi Na Kimono ist die stolze Gewinnerin des ersten Ankh-Morpoker Eselkarrenrennens."
Ein süffisantes Grinsen bildete sich auf dem Gesicht der Fahrerin, als sich der tosende Applaus des Publikums über sie ergoss.
Es klappt einfach immel wiedel
--Epilog--
Am nächsten Tag
Zufrieden betrachtete Valdimier den kleinen Pokal, der in einem der Regale im Aufenthaltsraum der FROG's stand. Allen Befürchtungen zum Trotz war doch alles gut gelaufen. Schusi und er waren so gut wie unverletzt, die Wache hatte etwas mehr Anerkennung in der Stadt erhalten und zu guter Letzt hatten sie jetzt diese kleine Trophäe, die nun ihren Raum zierte. Letzteres hatte zwar anfangs leichte Probleme gemacht , weil sich der klatschianische Fahrer betrogen fühlte. Doch die Vorsitzenden des Eselklubs wiesen seine Vorwürfe entschlossen zurück, als sie hörten, was er mit seiner Peitsche vorhatte. Etwas anderes war von einer Vereinigung fanatischer Eselsliebhaber auch nicht zu erwarten gewesen.
Tja, hätte er doch lieber nach mir schlagen sollen, ging es dem Vampir durch den Kopf.
Wobei es fraglich war, ob die Reaktion darauf anders ausgesehen hätte.
Zwei Tage später
Langsam ließ Vetinari seinen Blick über die Stadt gleiten. Wenn nicht gerade Häuser in Brand standen, bot sie ein sehr beeindruckendes und beruhigendes Bild. Seufzend wandte er sich ab und ging zu seinem Schreibtisch. Als er sich setzte fiel sein Blick auf die aktuelle Ausgabe der Times, die am Rande des Tisches lag. Die Titelseite wurde von einer knalligen Überschrift beherrscht:
Eselvergifter gefasst. Täter für lange Zeit weggesperrt.
Wie heute aus dem Patrizierpalast gemeldet wurde, konnte schon nach kurzer Zeit die Person gefasst werden, die für den Giftanschlag auf den Rennesel von Lord Vetinari verantwortlich ist. Name und Motiv des Täters werden bald bekannt gegeben. Gerüchten zufolge soll es sich um einen unlizensierten Versuch der Wettmanipulation handeln.
"Ich glaube, dass es für den Täter besser gewesen wäre, wenn wir ihn zuerst erwischt hätten", lautete der Kommentar aus der Spielergilde.
Der Palast ließ weiter verkünden, dass der Täter die nächsten Jahre im Kerker...
Mit einem leichten Lächeln auf dem sonst immer ernst dreinblickenden Gesicht faltete Vetinari die Zeitung zusammen und legte sie wieder beiseite. Der Mensch war so einfach zu manipulieren. Man musste kein Rennen gewinnen, um sich den Respekt der Bevölkerung zu sichern und die Zeitung half einem dabei sogar noch, ohne es wirklich zu wissen. Es war ein leichtes gewesen jemanden zu finden, der die nächsten Jahre freiwillig in einer warmen Zelle mit geregelten Mahlzeiten verbringen wollte. Man musste ihm nur etwas mehr bieten, als er in seinem derzeitigen Leben hatte. Außerdem hatte Vetinari beim Prozess großzügig Gnade walten lassen, weil der Esel ja nicht gestorben war. Erst heute morgen hatte er ihn in seinem Stall besucht. Zwar stand er immer noch etwas wackelig auf den Beinen, doch er schaffte es, ihm über den Rand der Bucht seine Schnauze entgegenzustrecken. In seinem Verhalten lag keine Angst. Nicht einmal das kleinste Zögern. Er schien damals nicht einmal gespürt zu haben, wie ihn die Nadel stach, als ihm sein Herrchen beim letzten Besuch über das Fell strich. Vetinari hatte niemals Sorge um das Tier gehabt. Das Gift war wohl dosiert gewesen und er hatte genug Erfahrungen damit gesammelt, um zu wissen, dass Jens Knopf keine bleibenden Schäden davontragen würde.
Wenn es doch nur immer so einfach wäre.
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