Lotostee oder Tödliches Drachenfeuer

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von Wächter Fünf Schwarze Schwerter (GRUND)
Online seit 14. 04. 2007
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Der junge Rekrut steht vor seiner ersten großen Herausforderung...

Dafür vergebene Note: 11

Regel 1: Ein Ninja dient dem Achatenen Reich und seinem Kaiser.


Fünf Schwarze Schwerter wachte auf, sprang aus dem Bett und untersuchte seine Umgebung auf mögliche Gefahren, denn Ninja mussten immer aufmerksam sein - besonders kurz nach dem Aufstehen, denn so mancher Vorbeistreichende Schatten wurde im Schlaf gefangen genommen, was um einiges ernüchternder und schmerzhafter sein konnte als der schlimmste Morgenkater. Aus den anderen Betten war indes ein kollektives Gähnen zu vernehmen, als die Kollegen des Wächters wach wurden. Als Nächstes kleidete sich der Rekrut an: über seinen groben Lendenschurz, den er auch im Bett trug, streifte er seine aus dunkelfarbiger Seide gemachte Ninja-Verhüllung, die überall eng an seinem Körper anlag, ohne die Agilität des Trägers zu beschränken. Dann zwängte er sich in seinen Eine-Größe-passt-nicht-allen-Kürass, setzte sich vorsichtig den zu großen Helm auf den Kopf und begab sich in die Kantine.
Nachdem der Rekrut so schnell wie möglich eine Tasse des für die Wachkantine typischen[1] Kaffees heruntergestürzt hatte, sah er auf den Dienstplan. Offensichtlich hatte man ihm für den Nachmittag freigegeben. Nun, wahrscheinlich glaubten seine Ausbilder, dass Fünf Schwarze Schwerter nach jener denkwürdigen Lederpflege-Unterrichtsstunde[2] ein wenig Erholung brauchen würde. Vielleicht hatten sie Recht, aber was sollte der Ninja nun mit seiner Zeit anfangen?
In einem spontanen Anflug von Heimweh beschloss der Aurientale, Tee zu trinken.

Regel 2: Ein Ninja achtet seine Vorfahren und die Tradition.


Nach einer relativ ereignislosen Vormittagslektion (Llanddcairfyn hatte Kreuzverhör unterrichtet) und halbstündigem Herumirren in der Stadt hatte Fünf Schwarze Schwerter endlich einen aurientalen Teeladen gefunden. Unschlüssig betastete er einige aus billiger Seide gefertigte, mit bunten Piktogrammen beschriftete Teesäckchen. Schließlich traf er eine Entscheidung.
"Wie viel Lotosblatt ist in der Euren Teemischung enthalten, Meister der Zeremonie?", fragte der Rekrut in seiner Muttersprache.[3]
Der Teehändler sah ihn verwirrt an. "Sie ist von ausgezeichneter Fischsuppe... Erleuchtung... Qualität und kostet nur einen halben Ankh-Morpork-Dollar", antwortete er stockend.
Nach einer kurzen, auf Morporkianischen geführten Unterhaltung erfuhr Fünf Schwarze Schwerter, dass der Verkäufer der Enkel eines Immigranten vom Gegengewicht-Kontinent war und kaum Achatisch sprach.
Niedergeschlagen verließ der Aurientale den Laden. Keine der Teemischungen dieses Ladens hatte ein einigermaßen gutes Yang, und zur Zeit konnte der Wächter jedes bisschen Yang gebrauchen, das er kriegen konnte.
"Bedrückt Euch etwas, Flemder?"
Fünf Schwarze Schwerter wirbelte herum. Die Worte kamen von einer Gestalt, die unauffällig am Straßenrand stand und ihn soeben angesprochen hatte.
"Ihr wirkt deplimiert."
Sie kam langsam auf ihn zu. Der Aurientale glaubte, einen leichten Akzent zu bemerken.
"Es ist nichts."
"Bitte, sagt es mir. Ich glaube, ich kann Euch helfen."
"Es ist nur so... Ich glaube, in der ganzen Stadt gibt es keinen guten aurientalischen Tee."
"In diesem Fall kann ich helfen. Kommt mit mil, Freund."
Leicht verwirrt folgte Fünf Schwarze Schwerter dem hochgewachsenen Mantelträger.
"Entschuldigt mich... Kommt Ihr aus dem Achatenen Reich?", wollte der Rekrut wissen.
"Ich? Aber natürlich! Seid Ihl ebenfalls ein Sohn des Drachenreichs?"
"Ja. Mein Name ist Fünf Schwarze Schwerter."
Sofort wechselte die Gestalt vor dem Behelmten die Sprache.
"Es ist schön, jemanden zu treffen, der sich noch an die Traditionen erinnert, Freund", sagte der Mann in fließendem Achatisch.
Der Wächter wollte gerade eine weitere Frage stellen, als sein Landsmann plötzlich vor einer Tür stehen blieb. Die beiden befanden sich jetzt in einem billigen Wohnviertel voller maroder Baracken. Fünf Schwarze Schwerter kannte die Gegend ungefähr. Hier hatte er einmal gewohnt.
Nun klopfte der Verhüllte an die Tür. Eine misstrauische Stimme fragte, das Morporkianische benutzend:
"Wer da?"
"Ein Freund", kam es auf Achatisch zurück.
Die Tür öffnete sich und vor den beiden Männer traten ein. Der Unbekannte legte den Mantel ab. Unter ihm kam ein Gewand aus fließender, teuer glänzender Seide zum Vorschein.
"Leg bitte deine Rüstung ab", sagte der edel Gekleidete, "hier bist du kein Wächter."
Fünf Schwarze Schwerter tat, wie ihm geheißen. Als sein Ninja-Anzug unter der Wächterrüstung zum Vorschein kam, lächelte der andere Aurientale.
"Ich heiße Ein Sprießender Keimling", stellte er sich vor.
"Habt Ihr schon Reis gegessen, Saikin-sama?", fragte der Wächter, die traditionelle Grußformel benutzend.
"Ja, ich habe Reis gegessen. Und Ihr?"
"Ja, ich habe Reis gegessen."
Die beiden stiegen eine erstaunlich intakte Kellertreppe hinunter.
"Habt Ihr bereits gespeist, Yaiba-san?", fragte der Fremde, wohl wissend, das die Grußformel eine, nun, Formel war.
"Noch bin ich dazu nicht gekommen."
"Erlaubt mir, Euch eine Schildkrötenpanzer-Suppe zu kredenzen. Bevorzugt Ihr dieses Mahl?"[4]
Am Ende der Treppe befand sich eine Tür. Der Gastgeber klopfte: einmal laut, fünfmal schwach, zwei weitere Male laut.
Der Ninja sah ihn fragend an. Der andere Aurientale beeilte sich zu erklären: "Eine üble Angewohnheit zwingt mich, immer derartig zu klopfen."
Als die Tür sich öffnete, erblickte Fünf Schwarze Schwerter einen ausgedehnten Schankraum, in dem Achater an kleinen Tischen saßen und aßen, dem Wächter unbekannte Substanzen rauchten, leise redeten oder Shibo Yangcong-san spielten. Der Aurientale staunte. Er hatte nicht gewusst, dass es hier eine echte Gegengewicht-Gaststätte gab.
Einige Männer grüßten ihren Landsmann mit der traditionellen Formel, welcher Mal für Mal zurückgrüßte. Ein Sprießender Keimling führte den schwarz Gewandeten an einen Tisch und rief nach der Bedienung. Diese kam auch sofort und servierte die Suppe, welche für Fünf Schwarze Schwerter nach Heimat und dem Kwoon[5] seines alten Meisters roch. Die Augen des Waisen füllten sich mit Tränen.
"Mundet Euch die Suppe so wenig, Freund?", erkundigte sich der Gastgeber.
"Nein, es sind alte Erinnerungen, die meine Seele plagen."
"Erzählt mir davon, Kamerad, und es wird Euch Erleichterung verschaffen."
"Nun, mein Ninja-Lehrmeister im Drachenreich starb, bevor meine Ausbildung vollendet war, und ließ mich allein zurück, da meine Eltern leider schon früh starben."
"Und darauf kamt Ihr in diese Stadt?"
"Ja, so war es."
"Verspeist Eure Suppe, denn sie mundet nicht mehr, sobald sie abgekühlt ist."
Und so aß Fünf Schwarze Schwerter die Suppe, und er genoss ihren Geschmack. Für einen Morporker wäre die Flüssigkeit auf seinem Teller nur heißes Wasser gewesen, da es sich nur um ebensolches handelte, in dem ein alter Schildkrötenpanzer gekocht worden war, aber für den Aurientalen schmeckte das Gebräu großartig.
Als er aufgegessen und auch noch einen Tee getrunken hatte, verabschiedete sich der Ninja.
"Ich muss meine Beschäftigung wieder aufnehmen", entschuldigte er sich, "denn mein Beruf als Wächter muss weiter verfolgt werden."
"Komm wieder, Yaiba-san", sagte Ein Sprießender Keimling noch, "ich möchte dir jemanden vorstellen. Ansonsten steht Euch dieses Etablissement, das ich als Gastwirt betreibe, stets offen."
Nachdem die nötigen Grußformeln ausgetauscht waren, kehrte der Achater zum Wachhaus zurück.
Dort wurde er von Llanddcairfyn empfangen.

Regel 4: Ein Ninja achtet seine Pflichten.


"Gut, dass ich dich erwische", begrüßte der Ausbilder seinen Rekruten, "Du bist ab sofort wieder im Dienst. Wir brauchen jemanden, der diese kleinen Bildchen lesen kann."
Der Hauptmann führte den Wächter zur Diebesgilde. Er zeigte wortlos auf eine Leiche, die an der Mauer des Gildengebäudes lehnte. Fünf Schwarze Schwerter untersuchte den Toten.
Man hatte ihm vermutlich mit einer scharfen Schnittwaffe die Hände säuberlich abgehackt und diese dann mitgenommen.[6] Doch das war nicht das Ungewöhnliche, denn an die Wand war mit Blut - vermutlich dem des Ermordeten - etwas geschrieben. Der Ninja betrachtete die Piktogramme, die er nur allzu gut verstand.
"Kannst du das lesen?", erkundige sich der Llamedosianer.
Der Rekrut nickte und las vor: "Verbrecher! In absehbarer Zeit werden alle Diebe von ihren Händen befreit werden. Barmherzigkeit ist ein Schwerverbrechen."
Der erfahrene Wächter kratzte sich am Kinn. "Gut, dass du da bist, denn der alte Petto ist gerade unabkömmlich und du bist sonst der Einzige von uns, der so was lesen kann.[7] Wer würde so etwas schreiben?"
"Nun, Sir, das Abhacken der Hände mit anschließendem Verbluten ist auf dem Gegengewicht-Kontinent die Standardstrafe für Diebstahl", erklärte er. "Anscheinend will hier jemand achatische Sitten einführen."
"Also ausländische Revolutionäre?", erkundigte sich der Vorgesetzte.
"Nicht unbedingt. Es könnte sich auch um Morporker handeln, die die strengen Gesetze meiner Heimat bewundern und sich die Inschrift irgendwo besorgt haben."
"Na ja, die DOGs haben für so etwas ja ihre Molosse. Kehren wir zum Wachhaus zurück und stehen den Tatortwächtern nicht im Weg."
Nachdem Llanddcairfyn die Bedeutung der Inschrift mit Kreide an der Wand notiert hatte, machten sich die beiden schließlich auf den Weg.
"Weißt du schon, was du nach deiner Rekrutenzeit machen willst?", erkundigte sich der Llamedosianer kumpelhaft.
"Nein, noch nicht. Es gibt vieles, auf das ich Lust hätte, aber ich kann mich nicht entscheiden..."
"Du solltest dich beeilen."
Und das war es dann auch schon für diesen Tag.

Regel 9: Ein Ninja wählt seine Aufgaben mit Bedacht, denn er hat keinen zweiten Versuch.


Am nächsten Tag - es handelte sich um einen verregneten Oktotag - warteten besondere Aufgaben auf Fünf Schwarze Schwerter. Nach seinem knappen Frühstück wurde der Rekrut von seinem Ausbilder in einen besonderen Raum geführt, in dem sich bereits mehrere Wächter versammelt hatten. Llanddcairfyn stellte vor: "Das sind Hauptmann Humph MeckDwarf, und Timotheos Trobar, beide Experten für Geheimbünde. Das ist Herr Made, ein Gerichtsmediziner. Das ist Ruppert von Himmelfleck, ein Okkultismusexperte. Und das ist Fünf Schwarze Schwerter, der einzige Achater, den ich auftreiben konnte."
Einige der Anwesenden grinsten. Der Sprechende fuhr fort: "Ich habe euch zusammengerufen, um die Mordserie, die gerade zu beginnen scheint, im Keim zu ersticken. Die Taten haben offenbar einen achatisch-kulturellen Hintergrund."
"Aber es wurde doch nur ein Mann ermordet, oder?", wunderte sich der Aurientale.
Herr Made räusperte sich. "Leider nicht", begann er, "denn heute nacht starb ein weiterer Unschuldiger. Es handelte sich um die gleiche Methode wie beim letzten Mal."
Der Untote reichte dem Rekruten zwei Ikonographien. Auf der ersten war eine kopflose Leiche zu sehen, die - wie beim ersten Mord - an eine Wand gelehnt war. Eine weitere grausige Kalligraphie bedeckte Letztere. Auf dem zweiten Lichtbild war diese vergrößert zu sehen.
"Diesmal hat die Inschrift einen religiösen Hintergrund", informierte Fünf Schwarze Schwerter.
"Wissen wir", warf MeckDwarf ein. "Die Nachtschicht konnte nicht warten, bis sich die Herren Rekruten aus ihren Laken geschält hatten, und baten einen achatischen Passanten um den Übersetzungsdienst."
"Was sich als Fehler herausstellte", fügte Llanddcairfyn hinzu. "Mittlerweile ist das Gerücht in aller Munde. Die Leiche wurde zwar ebenso wie der erste Tote fortgeschafft, aber das Blut konnte auf die Schnelle nicht komplett abgewaschen werden."
"Der Tote ist ein unwichtiger Bürokrat im Patrizierpalast, vor dem er auch aufgefunden wurde. Ihn zu identifizieren, gestaltete sich als schwierig", erklärte Timotheos.
In Gedanken versunken übersetzte Fünf Schwarze Schwerter das gruselige Graffito laut. "Für Zilla den Mächtigen ist Ankh-Morpork nur ein Schmutzfleck. Flieht, solange ihr die Möglichkeit habt, Ungläubige."
"Diese sakrale Entität ist stark in Vergessenheit geraten", dozierte von Himmelfleck, "denn der himmlische Patron der dramatischen Verwüstung von Städten, erdacht auf dem Gegengewicht-Kontinent, war nie sehr beliebt. Wer betet schon zu einem grausamen Monster?"
"Also wollen die Mörder Ankh-Morporks Untergang", resümierte Llanddcairfyn, "und geben sich große Mühe, das auch klarzumachen. Sie haben einen starken Bezug zum Achatischen Reich und sind geschickte Mörder."
"Wie kann man diese Wahnsinnigen aufhalten?", fragte jemand.
"Nun, wie wäre es, wenn wir eine Art Kontergott erschaffen", überlegte der Aurientale, "Wir erzählen einfach jedem, dass es einen Gott gibt, der uns vor Zilla beschützt und auch wie er aussieht, nur eben aus Metall, und den nennen wir dann Mechazilla..."
Er unterbrach sich, weil ihn alle Anwesenden ungläubig ansahen.
"Erstens: Wir haben es nicht mit dem Gott zu tun, sondern mit seinen Anbetern. Zweitens: Niemand kennt diesen Zilla. Drittens: Was bedeutet "Mechazilla" überhaupt?", fragte MeckDwarf schließlich.
"Weiß... auch nicht...", machte der Rekrut. "Ich glaube aber, dass ich einen Kontakt habe, bei dem ich weitere Informationen bekommen könnte. Darf ich ihn gleich konsultieren?"
"Was für ein Kontakt?", erkundigte sich von Himmelfleck.
"Ein achatischer Gastwirt."
Die Wächter nickten. Gastwirte konnten eine gute und verlässliche Quelle der Informationen darstellen.
"Darf ich jetzt gehen?", bat der Aurientale.
"In Ordnung ", antwortete sein Vorgesetzter. "Aber pass auf. Gastwirte haben oft gefährliche Freunde."
Als Fünf Schwarze Schwerter gerade das Gebäude verlassen wollte, hörte er die Stimme Llanddcairfyns, der ihm gefolgt war.
"Eins noch: Hast du dich inzwischen entschieden, welche Spezialisierung du annehmen wirst?"
"Noch nicht, Sir. Klang das, was ich eben gesagt habe, wirklich so dumm?"
"Schon, aber das war wohl eins dieser Inspirationspartikel."
"Ach so. Aber man könnte doch stattdessen eine Art Mottenwesen als Ankhgott konzipieren, das wir dann "Modera" nennen könnten. Versteht Ihr, Sir? Wie "Moder"."
Der Llamedosianer sah den Aurientalen ungläubig an.
"Ich glaube, du gehst jetzt besser", sagte er.
"Ja, Sir."

Regel 14: Ein Ninja erledigt Aufgaben mit höchster Exzellenz. Alles andere bedeutet Versagen.



Da sich Fünf Schwarze Schwerter inzwischen in Ankh-Morpork ganz gut auskannte, fand er den Weg ins achatische Viertel nach kurzem Herumirren. Er klopfte an die Tür der Schenke an. Nachdem er seinen Namen auf Achatisch genannt hatte, wurde er eingelassen. Er streifte seine Rüstung ab und betrat das Hauptzimmer, wo er von Ein Sprießender Keimling aufs Herzlichste empfangen wurde.
"Hier ist der Mann, von dem ich sprach", sagte dieser, "sein Name lautet Zwei Grüne Füchse."
Die beiden Männer begrüßten sich. Der Fremde trug ebenfalls einen Ninja-Anzug, ansonsten hatten die beiden Achater aber gar nichts gemeinsam: Zwei Grüne Füchse war groß und muskulös, sein Haar war lang, glänzend und zur mage[7a] frisiert. Er machte einen apathischen Eindruck; dieser Krieger dachte vermutlich nur dann nach, wenn es nicht anders ging.
"Mein Freund Zwei Grüne Füchse ist ebenfalls ein Ninja. Er hat mir gegenüber des Öfteren den Wunsch geäußert, mit einem Berufsgenossen zu trainieren", erklärte der Patron.
"Ich würde die Gelegenheit zu einer Übungseinheit durchaus begrüßen, Freund", erwiderte Fünf Schwarze Schwerter.
"Als Disziplin würde ich einen Kampf nach den traditionellen Regeln der achatischen Kwoons vorschlagen. Seid Ihr damit einverstanden?", schlug Zwei Grüne Füchse vor. Er sprach langsam und schleppend.
"Für mich als einfachen Tavernenbetreiber ist solch ein Wettkampf etwas sehr Ungewöhnliches. Ich hole sofort die Matten", erklärte Ein Sprießender Keimling.
Während der hochgewachsene Mann die Unterlagen für den Kampf suchte, bereitete der Wächter seine Waffen - es handelte sich um Wurfmesser und das eine oder andere Tschakra[9] - vor und beobachtete die Bewegungen seines ebenso handelnden Gegners. Schließlich kam der edle Seide Tragende zurück und richtete den Kampfplatz ein.
"Ich wiederhole die Regeln traditionsgemäß noch einmal. Der eigene Körper und eine der üblichen Ninjawaffen, welche vom Kämpfer selbst ausgewählt wird, dürfen benutzt werden, um den Gegner von dem Kampfboden zu stürzen oder die Matten mit seinem Blut rot zu färben. Sobald dies geschieht, steht der Sieger fest."
Während die Kämpfer sich ein weiteres Mal - diesmal als Einleitung zum Kampf - begrüßten, überlegte der aurientale Wächter, was diese Regeln dieses Kampfes für ihn bedeuteten. Wenn die Kontrahenten - also er selbst und Zwei Grüne Füchse - aus den Waffen, die in ihrer schwarzen Tracht zu finden waren, eine auswählen durften, würde sich Fünf Schwarze Schwerters Konkurrent für... das Kurzschwert, auch wakizashi genannt, entscheiden. Seine Körpersprache signalisierte einen Nahkämpfer, und ein größeres Schwert war ihm laut Reglement nicht gestattet.
Der Wächter hatte vor, sein Glück mit den traditionellen Wurfmessern sowie seinem ziemlich guten ju jutsu zu versuchen, denn wen ein zielsicheres Messer nicht verwunden konnte, der war auch gegen das schärfste Schwert und das spitzeste Stilett gefeit.
So weit, so gut. Inzwischen hatten sich die aurientalen Tavernengäste um den Kampfplatz (der in einem an den Essraum angrenzenden Zimmer vorbereitet worden war) versammelt.
Auf ein Zeichen von Ein Sprießender Keimling begann der Kampf.
Sofort preschte Zwei Grüne Füchse auf den Wächter zu und leitete die Kraftprobe mit einem Handkantenschlag ein. Fünf Schwarze Schwerter, ärgerlich darüber, dass er die wichtigen Sekunden vor dem Kampf vergeudet hatte, wich zur Seite aus.
Was erwartete sein Gegner von ihm? Glaubte der andere Ninja wirklich, dass er so einen Treffer landen würde? Der Angegriffene antwortete mit einer Kombination von Fingerstößen, die auf die empfindlichen Druckpunkte seines Gegners zielten. Dieser wich mit einem Seitwärtssprung aus, was Fünf Schwarze Schwerter die Zeit gab, ein Messer zu zücken und zu werfen.
Zwei Grüne Füchse schlug die Wurfwaffe weg, aber sie war nur ein Ablenkungsmanöver gewesen, denn schon stand der Aurientale vor seinem Gegenspieler und schlug mit dem Handgelenk zu, in der Absicht, sein Gesicht zu treffen. Der muskulöse Aurientale bog sich gelenkig nach hinten, doch er musste einen Treffer am Kinn einstecken. Seine Halswirbel knackten.
Indes hatte Fünf Schwarze Schwerter mit einem Rückwärtssprung Distanz zwischen die Kämpfer gebracht, die ihm zugute kam, als er zwei spitze Geschosse abfeuerte. Sein Gegner wand seinen Körper zur Seite, sodass die Messer knapp außerhalb der Matte im Boden stecken blieben.
Dies hatte der Rekrut vermisst! Der Wettbewerb von Geschick und Geschwindigkeit, des Angreifens, Abwehrens und Ausweichens... Er konnte süchtig machen.
Mittlerweile hatte Zwei Grüne Füchse tatsächlich sein Schwert bereit gemacht und griff nun mit diesem an. Der Wächter trat einen Schritt zur Seite und versuchte, den Schwung seines Gegners auszunutzen, um ihn von der Matte zu entfernen.
Dieser hatte - zu Fünf Schwarze Schwerters Bedauern und Entzücken - die übliche Gegenmaßnahme angewandt und schwang nun sein wakizashi. Die Berechenbarkeit der Bewegung erlaubte es dem Rekruten, diese zu unterbrechen und seinen Kontrahenten von seiner Waffe zu befreien.
Sie flog aus dem Ring und auf Ein Sprießender Keimling zu. Der Wächter hielt die Luft an, doch der Wirt fing das Schwert mit einem zufriedenen Lächeln.
Zwei Grüne Füchse hatte die Sekunde der Ablenkung genutzt, um seine angespannten Finger seinerseits in die Druckpunkte des Rekruten zu stoßen, doch dieser schlug mit seiner Handkante auf die Finger und trat seinen Gegenspieler in den Solarplexus.
Die zwei Ninjas entfernten sich kurz voneinander, um einige Sekunden darauf Stakkati von Schlägen auszuteilen und abzuwehren, ohne einen wirklichen Treffer zu landen.
Fünf Schwarze Schwerter beschloss, einen Trick seines mittlerweile verstorbenen Lehrmeisters anzuwenden. "Go", hatte dieser stets gesagt, "viele Kämpfer suchen einen eigenen Rhythmus, in dem sie kämpfen können. Tu das nicht. Finde den Rhythmus deines Gegners und unterbrich ihn. Das macht ihn hilflos."
Der Ninja befolgte den Rat und verwirrte seinen Feind mit einer schnellen Serie von Finten. Als dieser nur noch mit seiner Verteidigung beschäftigt war, musste er feststellen, dass ihm die Beine von einem Tritt unter dem Körper weggezogen wurden, der den Takt seiner Abwehr geschickt durchbrochen hatte.
Doch Zwei Grüne Füchse berührte nicht den Boden, denn sein Kontrahent nutzte die Gelegenheit und verwandelte den Fall des anderen Ninja in einen mächtigen Wurf.
Anstatt - wie ein Zuschauer vermuten würde, der den aurientalen Wächter nicht kannte - den Gegner mit einer anmutigen Drehung zu Boden zu werfen, nutzte Fünf Schwarze Schwerter eine leicht abgewandelte Technik und schleuderte seinen Feind stattdessen an eine Wand. Ein Knirschen war zu hören.
"Der Kämpfer Zwei Grüne Füchse verließ die Matte und verlor somit den Wettstreit", intonierte Ein Sprießender Keimling, "Fünf Schwarze Schwerter ist der Sieger."
Der Kampf hatte nur ungefähr fünfundvierzig Sekunden gedauert.
Der Wächter sank auf die Matte nieder. Schweiß und abstehende Haare standen von seinem Kopf ab wie ein Heiligenschein. Ninja kämpften stets mit maximalem Körpereinsatz und höchster Anstrengung, sodass sie enorm schnell erschöpften.
Der Wirt half dem Rekruten mit einem zufriedenen Lächeln auf.
"Ihr habt Euch ganz ausgezeichnet behauptet, Freund", gratulierte er.
"Ich empfand diesen Kampf als fordernd", antwortete der so Angesprochene, "auch war mein Gegner eindeutig stärker als ich."
"Was nützt dem Ninja die Stärke, wenn sein Feind schneller und geschickter ist, Yaiba-san?"
Fünf Schwarze Schwerter sah verlegen zu Boden.
"Ihr seid ein mächtiger Mann, mein Freund! In der richtigen Einrichtung wäre es Euch möglich, ein hoher Mann zu werden. Seid Ihr euch dessen bewusst?"
Der Ninja dachte an die Stadtwache.
"Seid Ihr euch da sicher?", fragte er, dann fiel ihm ein, wozu er hier sei. "Ich bin aktuell auf der Suche nach Informationen."
"Ich verfüge über viele Informationen."
"Ich muss wissen, wer für die Morde an Repräsentanten der Diebesgilde und des Patrizierpalastes verantwortlich ist."
"Ich glaube, dass ich Euch weiterhelfen kann, mein Freund."
Ein Sprießender Keimling nannte dem Wächter einen Ort, der ein Treffpunkt für Rebellen sei, sowie ein Datum, zu dem sie vermutlich das nächste Mal dort anzutreffen sein würden.
"Seid Ihr euch da sicher, Saikin-sama?"
"Ich bin mir sicher, Yaiba-san."
Der Rekrut bedankte sich höflich und kehrte zum Wachhaus zurück, wo er seine Vorgesetzten von den Erkundigungen in Kenntnis setzte.

"Und wann sollen diese Rebellen sich treffen?", erkundigte sich Llanddcairfyn.
"Am vierten Sektober, Sir", antwortete der Rekrut.
"Aber bis dahin dauert es noch mehrere Wochen! Wer sagt uns, dass bis dahin nicht noch mehr Morde passieren?"
"Es tut mir Leid, Sir, aber mein Informant war eher sparsam mit Informationen."
"Wie heißt dieser Bierpanscher überhaupt?"
"Ein Sprießender Keimling, Sir."
"Ein Name aus deiner Heimat, nicht wahr?"
"Ja, Sir."
"Na schön, dieses Viertel wird infiltriert. Die Streifen heute Nacht werden verdoppelt, um einem weiteren Mord vorzubeugen. Du wirst natürlich auch eingesetzt."
"Ja, Sir."

Regel 16: Ein Ninja akzeptiert und respektiert das Übernatürliche, ebenso wie alles andere, das ihn töten könnte.



"Die Straße entlanggehen", murmelte Fünf Schwarze Schwerter, "dann links abbiegen. Die Umgebung kurz infiltrieren, dann weiter Richtung Opernhaus. Opernplatz kurz infiltrieren, denn Das-Opernhaus-von-Ankh-Morpork-ist-ein-wichtiges-Kulturzentrum-und-könnte-das-nächste-Ziel-sein."
Dem Aurientalen gefiel seine Aufgabe nicht. Ninja gingen aggressiv vor - sie kundschafteten, entführten, mordeten oder stahlen, aber sie bewachten nicht. Das war einer der Punkte, in denen der Rekrut noch etwas Training benötigte. Moment - was war das?
Eine in Schatten gehüllte Gestalt näherte sich langsam dem Gebäude und schien direkt auf einen jungen Mann zuzuhalten, der gerade Bier für die immer durstigen, heute anscheinend lang probenden Opernsänger holte.
In der Hand des Schemens glänzte etwas.
Fünf Schwarze Schwerter trat in den Schatten, bereit, den Düsteren kampfunfähig zu machen. Doch als dieser in den Schein der Beleuchtung des "wichtigen Kulturzentrums" trat, stellte er sich als Betrunkener heraus, der eine mit glitzerndem Inhalt gefüllte Glasflasche umklammert hielt und gerade begann, "Des Zauberers Stab hat einen Knauf am Ende" zu singen.
Erleichtert, aber auch enttäuscht machte sich der Wächter wieder auf den Weg.

Und so patrouillierte der Rekrut weiter durch die dunkle Ankhstadt, die ja bekanntlich nie schlief. So sehr der Aurientale jedoch Ausschau hielt, er konnte keine blutrünstigen Mörder entdecken.
Als der Wächter gerade durch eine besonders dunkle und besonders leere Gasse schritt, überkam ihn ein seltsames Gefühl. Komisch fühlte er sich schon seit einer ganzen Weile, aber jetzt geschahen wirklich bizarre Dinge mit ihm. Die tintige Schwärze schien sich kaleidoskopartig in Farben aufzuspalten und das Gefühl sickerte langsam aus dem Körper des Aurientalen, als diesem klar wurde, dass etwas nicht stimmte. Was er fühlte und sah, ähnelte den Erlebnissen, von denen jene besonders seltsamen Alchimisten, die ständig von Frieden, der Schönheit der Natur und schmelzenden Giraffen faselten, manchmal sprachen.
Schließlich lehnte sich der Ninja an die nächste, in der Nacht fast unsichtbar gewordene Wand. Er konnte keinen Fuß mehr vor den anderen setzen und kaum noch seine Muskeln bewegen.
Zum Glück blieben ihm wenigstens die Visionen von singenden Wolken erspart.
Plötzlich nahm der Wächter einen Gedanken wahr, der im Inneren seines Kopfes widerhallte.
"Hallo? Hallo? Kannst du uns hören? Ichi-ni-san-kousa!"
Wäre der Rekrut noch in der Lage gewesen, die Stirn zu runzeln, hätte er es getan.
"Eins-Zwei-Drei-Test?", antwortete der Rekrut in Gedanken.
"Gut, du kannst mich verstehen, Go-chan..."
"Woher kennst du meinen Namen, Dämon?"
Die Stimme verklang für einige Momente.
"Entschuldigung, ich musste Urgroßvater Sechs Weiße Steine beruhigen. Ist dir klar, dass man das da eben als Beleidigung auffassen könnte?"
"Bin ich von Oni besessen?"
"Das ist ja die Höhe! Da füllen wir Formulare über Formulare aus[10], nur um fünf Minuten Redezeit zugebilligt zu bekommen, und dann so was! Frechheit!"
"Nein, Tante Ein Dunghaufen, geh da weg... Wir sind keine Oni."
"Was seid ihr dann?"
"Wer wohl? Wir sind mysteriöse Stimmen, die in einer dunklen Nacht zu einem hilflosen Menschen sprechen... Wer sollen wir wohl sein?"
Fünf Schwarze Schwerter erschrak. War das möglich?
"Nein... Das kann nicht sein..."
"Wir sind deine Vorfahren, du Reisdünger! Du beleidigt gerade deinen Vater, der wirklich nur das Beste für dich will!"
"Nein, weg da, wir hatten ausgemacht, dass ich rede, und wir haben schon die Hälfte unserer Zeit vergeudet..."
Der Achater erstarrte. Er hatte seine himmlischen Vorfahren beleidigt!
"Verzeihet mir, edle Seelen des Vergangenen... Es tut mir unendlich Leid, euch entehrt zu haben..."
"Keine Zeit für Formalitäten, und denk bitte gar nicht daran, dich in dein Schwert zu stürzen. Du hast noch einen Mord zu verhindern!"
"Einen Mord?"
"Ja, einen Mord. Den dritten von diesen Serienmorden."
"Woher wisst ihr all das?"
"Wir sind deine Schutzgeister, Go-chan. Wir müssen so etwas wissen."
"Was ist mit..."
"Wir haben nicht mehr viel Zeit! In wenigen Minuten soll ein zwergischer Schmied ermordet werden!"
"Ein Zwerg?"
"Also, wir sind ja immer bestens ohne Zwerge ausgekommen, vielen Dank."
"Seid leise, verehrte Großmutter."
"Wo wird es geschehen, Vater?"
"Wir wissen es, aber wir dürfen es nicht sagen. Außerdem haben wir nur noch wenig Zeit."
"Wartet... Ihr habt mich schon damals unter der Assasinengilde kontaktiert, oder?"
"Ja."
"Auf Wiedersehen, Urenkel-san!"
"Iss immer deinen Reis!"
"Zieh dich warm an!"
"Mach deiner Familie Ehre!"
"Pass auf dich auf."

Langsam kehrte das Gefühl in Fünf Schwarze Schwerters Körper zurück. Waren die seltsamen, stimmlosen Gedanken tatsächlich seine Ahnen und Schutzgeister gewesen? Nun, das konnte er ja herausfinden.
Der Wächter stakste mit seinen steifen, tauben Beinen vorwärts, Richtung Straße der Schlauen Kunsthandwerker - denn dort waren die meisten Zwerge tätig.
Auf dem Weg dorthin wurde der Körper des Ninja immer lebendiger und erlaubte diesem, stetig zu beschleunigen. Als er in der Straße angekommen war, sprintete der Aurientale bereits.
Hier herrschte selbst mitten in der Nacht noch Betrieb. Schnell wurde dem Achater klar, dass es nur eine Stelle gab, an der ein sicheres Anschleichen möglich wäre. Und genau dort verließ auch gerade ein Zwerg seinen Laden!
Unauffällig verbarg sich der Wächter hinter einem Reklameschild, und da geschah es auch schon - eine Gestalt kam aus dem Schatten, ein blankes Schwert in der Hand!
Bevor diese ihre Waffe zum Angriff erheben konnte, schleuderte Fünf Schwarze Schwerter ein Messer auf den Waffenarm des Attentäters. Dieser schrie auf und ließ die Klinge fallen.
Der Zwerg drehte sich um, bemerkte den in einen schwarzen Mantel gehüllten Mörder und flüchtete mit einem Schrei in seine Werkstatt. Der Wächter wiederum preschte los und versuchte, die Gestalt zu fangen.
Welche selbstverständlich floh.
Der Rekrut verfolgte den gescheiterten Meuchelmörder durch einige Gassen und war nicht schlecht erstaunt, als dieser auf einmal eine Regenrinne hinaufkletterte und auf ein Dach floh.
Fünf Schwarze Schwerter grinste, als er das Hindernis ebenfalls erklomm und die Verfolgung auf den Dächern Morporks weiterging. Der Verfolgte fluchte - auf Achatisch!
Schließlich waren die beiden Gestalten auf dem Dach der Alchimistengilde angekommen, welche gerade ein weiteres Mal neu erbaut worden war.
Plötzlich flog dem Ninja ein scharfes Wurfgeschoss entgegen. Als er sich duckte, glaubte er, ein Samurai-Kurzschwert zu erkennen. Doch als er sich wieder aufrichtete, war der Attentäter verschwunden.
Mal sehen. Es gab nur zwei Versteckmöglichkeiten für den Verfolgten, und das waren die beiden großen Schornsteine des Gildengebäudes - die anderen Schlote waren zu klein. Der Aurientale musste sich entscheiden...
Hinter einem der Schornsteine war ein kurzes, kleines Klacken zu vernehmen, als hätte jemand etwas auf das Flachdach geworfen.
Jetzt war Fünf Schwarze Schwerter am Zug! Schnell und lautlos sprang er über den Kamin, von dem das Klacken nicht gekommen war, und bereitete sich auf einen schnellen und unkomplizierten Würgegriff vor.
Und sah, wie ein Schemen hinter dem anderen Rauchfang vom Dach sprang und in die Schatten floh. Ein Ruf war zu vernehmen: "Morgen Nacht wird der bärtige, langlebige, kunsthandwerklich geschickte Nichtmensch[11] das Reich der Lebenden entgültig verlassen!"
Dreimal schweflige Dämonen***! Der Verbrecher hatte ihn reingelegt! Fünf Schwarze Schwerter lief zu dem Versteck hin und hob etwas vom Boden auf.
Es war ein Kalligrafiepinsel. Als der Wächter diesen in das Licht einer Laterne hielt, bemerkte er, dass das künstlerische Schreibgerät blutig war. Er hatte den Mörder! ...gehabt.

Regel 22: Ein Ninja ist sich im Klaren, dass seine Pläne ebenso wichtig sind wie sein ninjutsu.



Fünf Schwarze Schwerter saß und grübelte. Er hatte das Schwert, mit dem beinahe ein Zwerg ermordet worden wäre, eingesammelt. Auch die Waffe, die man nach dem Wächter geworfen hatte, lag vor ihm.
Da der Rekrut mittlerweile ja wusste, dass diese Nacht kein Serienmord mehr geschehen würde - der Meuchler hatte es selbst gesagt, und vermutlich war es die Wahrheit - hatte er sich in das Zimmer zurückgezogen, in dem die Indizien betreffend dieses Falles aufbewahrt und verglichen wurden. Der Aurientale hoffte, dass er in der Aufklärung der Mordserie jetzt zumindest ein bisschen voranschreiten würde.
"Mal sehen... der Mörder ist ein terroristischer, fanatisch-achatischer, ausgebildeter Kämpfer aus dem Drachenreich. Er verfügt auch über Kalligrafiekenntnisse."
Diese Details wurden auf ein Blatt Papier gebannt. Was bedeuteten sie? Vielleicht gaben die Dinge, die der Wächter vom Mörder besaß, weiter Auskunft.
"Diese Schwerter sind achatische Arbeit. Es handelt sich um ein Waffenpaar, wie es von Samurai im Krieg getragen wird. Der Pinsel stammt ebenfalls aus meiner Heimat und wird kaum von Schreibern, aber oft von Dichtern verwendet."
Was mochte dies bedeuten? Nun, der Täter war geschickt, künstlerisch tätig (denn die entsetzliche Kalligrafie war das Werk eines Meisters mit dem Pinsel, wie Fünf Schwarze Schwerter erkannt hatte), des Schwertkampfes mächtig und ein guter Läufer. Oh, und ein Aurientale.
"Bei dem Täter handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um einen Samurai."
Was waren die Ziele und die Motive des Verbrechers? Die Niederwerfung von Ankh-Morpork? Nein, in diesem Falle wären die Täter anders vorgegangen und hätten vielmehr wichtige Personen des öffentlichen Lebens ausgeschaltet. Nein, diese Kriminellen wollten einschüchtern. All die Drohungen betreffend Gott Zilla und die Bestrafung der Diebe... Es waren nur hochtrabende Behauptungen.
"Er verfügt über wenig Macht und hat Zugang zu aurientaler Ausrüstung. Er will einschüchtern und terrorisieren, ohne allzu viel zu riskieren."
Vermutlich befand sich der Täter irgendwo in einer billigen Unterkunft in den Schatten und plante den nächsten Mord, eventuell mit einer Gruppe von Gleichgesinnten. Aber wo genau?
Der einzige vernünftige Anhaltspunkt, den der Rekrut noch hatte, war der Treffpunkt der Rebellen, die Ein Sprießender Keimling erwähnt hatte. Vermutlich würde niemand dort sein, aber er konnte nicht einfach so herumsitzen - und die Patrouille fortzusetzen hätte keinen Sinn ergeben. Der Achater beschloss, sich sofort auf den Weg zu machen - die Nacht war der beste Freund des Ninja.
Nach einer Viertelstunde war Fünf Schwarze Schwerter schließlich in der Straße des himmlischen Friedens angekommen. Er sah sich nach dem Laden um, von dem der Wirt gesprochen hatte und in dem laut diesem Meeresfrüchte verkauft wurden.
Nirgendwo war ein solcher zu sehen. Ein Händler sollte eigentlich über ein Ladenschild oder etwas Ähnliches verfügen, damit man überhaupt von dessen Existenz erfuhr, aber diese Straße schien nur schäbige Mehrfamilienhäuser zu beherbergen.
Was stimmte nicht? Handelte es sich bei dem Geschäft um einen Laden mit einem so exklusiven Kundenkreis, dass niemand sonst seinen Standort kannte?
Vermutlich nicht, denn diese Gegend war zu ärmlich für ein solches Gewerbe. Da Ankh-Morpork nicht in Meeresnähe lag und die Händler ihre Krabben zumeist von Reitern mit eisgekühlten Kisten transportieren ließen, waren Meeresfrüchte hier vor allem eines: teuer.
Etwas stimmte nicht. Ein Sprießender Keimling hatte dem Achater falsche Informationen gegeben. An einen Irrtum von Seiten des Wirts war nicht zu denken, da er bestätigt hatte, er sei sich sicher. Dies wiederum bedeutete aber, dass Ein Sprießender Keim - gelogen hatte!
Wollte er Rebellen, die er kannte, schützen oder befand er sich gar selber in einer solchen Organisation?
Fünf Schwarze Schwerter beschloss, sich die Beweisstücke einmal unter diesem Gesichtspunkt anzusehen.

Im Raum in dem Wachhaus füllten die Notizen des Rekruten kleine Zettelchen.
"Ein Sprießender Keimling ist finanziell stark, er besitzt ein teures Gewand und eine Wirtschaft. Er kennt auch einen Ninja. Er sagt, er sei nur ein Wirt, kennt aber Kwoon-Kampfregeln und fängt fliegende Schwerter mit nur einer Hand."
Auf dem nächsten Zettel:
"Er spricht wildfremde Menschen an, die einen achatischen Teeladen verlassen, und lädt sie zu sich ein. Er testet sie auf ihre Kampfkraft."
Dann:
"Gaststätte ist keine Gaststätte, sondern ein Kellerraum, der mit einem Klopfzeichen betreten wird. Ein Sprießender Keimling sagt, man sei dort kein Wächter."
Auf einem anderen Papierstück:
"Ein reicher Ausländer knüpft Kontakte zu hier lebenden Kämpfern seiner Kultur und schließt Freundschaft. Verbindungen zu Verschwörern? Verschwörer?"
Auf einem letzten, oben liegenden Zettelchen:
"Ich, Fünf Schwarze Schwerter, infiltriere in der Juckreizstraße die Keller der Nummer 12. Bin zum Weckruf wieder zurück."

Timotheos Trobar betrat den Raum und bemerkte die Zettel. Verwirrt sah er aus dem Fenster. Komisch, die Sonne stand schon am Himmel und den Aurientalen hatte er noch nicht gesehen...

Regel 31: Ein Ninja erledigt seine gefährlichsten Aufgaben allein.



Fünf Schwarze Schwerter stand vor der Tür des Hauses in der Juckreizstraße. Unschlüssig, wie er das mutmaßliche Widerstandsnest betreten solle, entschied sich der Wächter dafür, das Haus einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.
Bald entdeckte der Achater, dass das Gebäude über einen kleinen Hinterhof verfügte, der jedoch von einem mehrere Meter hohen Zaun umgeben war. Kein Hindernis für einen immerhin zu drei Vierteln ausgebildeten Ninja, trotz allem. Fünf Schwarze Schwerter erklomm das Hindernis und landete geräuschlos im Hof.
Ein Sprießender Keimling hatte sich hier offensichtlich Mühe gegeben. Weder der Kiesgarten noch der heilige Schrein fehlten. Niemand war zu sehen.[12]
Fünf Schwarze Schwerter untersuchte die Tür, die den Garten von dem Haus trennte. Sie war geschmackvoll in glänzenden Farben lackiert, verfügte über ein nicht zu unterschätzendes Schloss und stand offen. Der Rekrut betrat das Gebäude.
Er fand sich in einem Flur wieder, von dem mehrere Türen abgingen. Hinter einer von ihnen waren Stimmen zu hören. Als Fünf Schwarze Schwerter sein Ohr an das Portal hielt, identifizierte er die Geräusche als trinkfeste Säufer, die immer noch mit ihrer Tasse Sake rangen. Niemand würde den Ninja stören, wenn er das Gebäude vorsichtig infiltrierte.
Hinter der ersten Tür verbarg sich ein Vorratslager, hinter der zweiten ebenso. Der nächste Eingang verbarg nichts als eine Küche. Im nächsten Raum schliefen Männer; Fünf Schwarze Schwerter schloss die Tür so leise wie möglich.
Ein paar Küchen, Schlafräume und Speisekammern später war der Aurientale bei der letzten Tür angekommen. Diese war ähnlich stabil und schwer wie jene zum Garten, aber diesmal verschlossen. Der Schlüssel schien jedoch zu stecken, was dem Achater die Möglichkeit zu einem kleinen Ninja-Trick gab.
Mit einem Dolch grub Fünf Schwarze Schwerter ein kleines Loch in den aus festgestampfter Erde bestehenden Boden unter der Tür. Er schob die fortgeschaufelte Erde sorgfältig zur Seite, dann griff er mit seiner schmalen Hand durch das Loch auf die andere Seite der Schwelle. Nun schob er seine spitze Waffe in das Schlüsselloch und stieß den Schlüssel aus demselben. Der Schlüssel wurde durch das Loch auf die andere Seite der Tür gebracht, ins Türschloss gesteckt, umgedreht und fertig! Sorgfältig beseitigte Fünf Schwarze Schwerter das selbst gegrabene Loch, bevor er in den Raum eintrat.
Der eine kleine Überraschung war, denn er war voll mit Waffen. Hier gab es alles, für das man im Achatenen Reich ausgebildet wurde: Langbögen; Krumm-, Lang- und Kurzschwerter; Dolche und Stilette; eine große Auswahl an Wurfwaffen sowie verschiedene Arten von Lanzen. In einer Ecke stand sogar eine echte Samurairüstung!
Irgendetwas hatte Fünf Schwarze Schwerter vergessen...
Er hatte einen abgeschlossenen Raum voller Waffen betreten, in dem der Schlüssel innen steckte!
Blitzschnell verbarg der Wächter sich im Schatten hinter dem Rüstungsständer. Und das war keine Sekunde zu früh geschehen, denn schon erschien eine Gestalt hinter einem hohen Regal und ging Richtung Tür. Zum Glück hatte der Achater daran gedacht, den Schlüssel wieder ins Schloss zu stecken und abzuschließen. Die andere Person verließ indes den Raum.
Nun sah sich der Rekrut in der Waffenkammer um. Kein Zweifel, hier konnte jemand eine Hundertschaft mit Waffen ausrüsten. Um einen Beweis zu haben, entwendete der Rekrut die zur Rüstung gehörende Ledermaske und verstaute die Verhüllung in seinem ohnehin zu großen Helm.
Als sich der Ninja schließlich zum Gehen wandte und gerade den Türknauf drehen wollte, öffnete sich die Pforte auf einmal wie von selbst.
In der Türöffnung stand Ein Sprießender Keimling. Seine schwarz lackierte, achatische Kriegerrüstung glänzte im schwachen Licht der Öllampe, die den Flur erhellte.
"Hegtet Ihr etwa die Hoffnung, ich hätte Euch nicht entdeckt, Yaiba-san?", sagte der Aurientale.
Fünf Schwarze Schwerter erstarrte. Er war entdeckt!
"Ihr hättet wirklich beachten müssen, dass der Schlüssel innen steckte. In diesem Falle wärt Ihr vielleicht sogar entkommen."
"Wer seid Ihr? Ihr seid kein Wirt, Ein Sprießender Keimling - so dies Euer wahrer Name ist."
"Gut geraten, Freund". Der hochgewachsene Mann sprach das letzte Wort mit beißender Ironie aus. "Das ist nicht mein wahrer Name. Ich übernahm den Namen, unter dem Ihr mich kennt, von jemandem, denn ich tötete."
"Nennt mir Euren wahren Namen."
"Ihr wollt wirklich meinen wahren Namen erfahren?"
"In der Tat, so..."
Fünf Schwarze Schwerter schleuderte einen Wurfstern auf den Unterarm des Mannes und sprintete vorwärts.
"...ist es."
Der Gerüstete schlug das scharfkantige Wurfgeschoss mit einem der Schwerter, die an seiner Hüfte hingen, unglaublich schnell aus der Luft und führte einen Schlag gegen den Rekruten aus, der gerade noch rechtzeitig zurückwich.
"Er lautet Onyxdrache."
Bei der Nennung dieses Ehrennamens erschrak Fünf Schwarze Schwerter. Onyxdrache? Dieser Name, nein, dieser Titel wurde allein vom kaiserlichen Hof selbst verliehen! Samurai dieses Namens hatten Heldentaten für das Achatene Reich vollbracht und Hunderte Feinde des Kaisers niedergestreckt!
"Euer Schrecken ist durchaus berechtigt. Alle Legenden über die Träger dieses Namens sind wahr."
"Was habt Ihr mit mir vor?"[13]
"Nun, meine Ehre gebietet es mir, Euch die Möglichkeit zum Selbstmord zu gewähren, bevor ich Euch töte."
"Ihr wollt also meinen Tod?"
"Natürlich. Das Waffenlager darf nicht entdeckt werden."
"Nun, Eure Ehre gebietet es Euch, mir die Möglichkeit zu geben, Euch zu einem Duell herauszufordern."
Die Gedanken des Ninja rasten. Ein echter, ein komplett ausgebildeter Ninja im Achatenen Reich hätte sich schon längst seinen Dolch in den Bauch gerammt, damit er nicht gefangen genommen werden konnte. Fünf Schwarze Schwerter aber hatte sich dagegen entschieden, denn was für Geheimnisse kannte er schon, die man aus ihm herausquetschen könnte? Den Rekruteneid? Nützliche Tipps zur Pflege des Dienstschwertes?
Außerdem wollte der Achater nicht sterben. Er hatte seinen Feind an dessen Ehre gepackt, was - hoffentlich - so etwas wie seine Schwachstelle war.
"So soll es sein. Ein Duell zwischen mir und Euch, Fünf Schwarze Schwerter!"
Onyxdrache verbeugte sich. Der Wächter tat es ihm nach.
Und ohne abzuwarten, bis dieser aufrecht stand, griff der Samurai auch schon mit jener Doppelschwerttechnik an, für die die Achater gefürchtet waren.
Der Rekrut versuchte gar nicht, den Angriff abzuwehren, umging den Gegner und floh auf den Flur.
"Ihr flieht?"
"Seht Ihr hier irgendwo eine Matte, Onikisu-san?"
"Was hätte ich auch von einem ehrlosen Morporker und Stadtwächter erwarten sollen?"
"Schreibt ein Gedicht darüber."
Mit zwei seiner Messer parierte der Rekrut den zornigen Schlag des Kämpfers, duckte sich unter seinem nächsten Hieb weg und floh in den Garten.
Der Samurai folgte ihm. Er alarmierte nicht seine Kumpanen. Er nahm keinen der Bögen aus der Waffenkammer. Er war ein ehrenhafter Duellant.
Er war schwach.
Die Kämpfer zertraten die Kiesbeete des Gartens. Sie "ernteten" die edlen Kirschblüten des Baumes. Sie deckten einige Dächer ab, doch es war immer nur der Samurai, der zuschlug. Fünf Schwarze Schwerter wusste, dass er für einen Sieg de facto nur überleben musste. Sein Kontrahent jedoch musste ihn töten.
Es war jedoch trotz allem alles andere als einfach. Der vermeintliche Schankwirt war durchaus ein mächtiger Kämpfer, der dem Wächter weit überlegen war. Seine Schwerter konnten selbst durch die Rüstung des Rekruten schneiden, und wo sie das taten, empfing der Aurientale eine Wunde. Bald blutete er am ganzen Körper, doch der Kampf ging weiter. Über die Dächer jagte Onyxdrache seinen Gegner, doch nie gelang es dem Samurai, einen tödlichen Schlag anzubringen. Keiner der Schwertschläge erzielte die beabsichtigte Wirkung.
Doch als der Kampf fortschritt und sich der Horizont von Ankh-Morpork langsam erhellte, musste Fünf Schwarze Schwerter feststellen, dass er ermüdete. Ninja waren nicht für Ausdauer trainiert, sondern für Geschwindigkeit und Präzision - von Vorteil bei einem Anschlag oder einer ähnlichen konspirativen Aktion, aber schlecht in einer solchen Situation.
Mittlerweile - Amaterasu, die Sonnengöttin hatte schon eine ansehliche Strecke zurückgelegt - war es dem Samurai gelungen, seinen Gegner zu entwaffnen.
"Eure entehrende Flucht über die Dächer dieser zerstörungswürdigen Stadt rettet Euch nicht vor Eurem Tod, Verräter!", rief Onyxdrache, der mittlerweile unsamuraihaft in Rage geraten war.
Der schlagfertige Konter des Rekruten beschränkte sich auf ein Keuchen.
"Ihr habt Eure Waffen und Eure Rüstung verloren und seid am Ende Eurer Kräfte angelangt, Überläufer! Mögen Eure Vorfahren Euch noch im Tode verstoßen!"
Tatsächlich, der aus billigem Material gefertigte Brustpanzer des Ninja hatte sich unter den Ausfällen des Kriegers aufgelöst.
"Sterbt!"
Das mächtige Schwert des Samurai fuhr durch die Luft...

Der geneigte Leser nehme sich jetzt bitte einige Momente zur Reflexion. Wir rechnen spätestens jetzt mit einer wundersamen Rettung, da wir ja wissen, was mit Protagonisten passiert, die sich heldenhaft gegen eine infame Übermacht behaupten.
Fünf Schwarze Schwerter jedoch hat dieses Glück nicht - und zwar nicht nur deswegen, weil er aus einem Land kömmt, in dessen Literatur tragische Kriegerhelden routinemäßig abgeschlachtet werden.
Wer weiß, dass sich der junge Wächter gerade die Namen von verstorbenen Verwandten ins Gedächnis ruft, um sie im Totenreich begrüßen zu können, hat eine ungefähre Vorstellung von seinen Gefühlen in jenem Moment.

Doch es sollte anders kommen. Plötzlich zischten Armbrustbolzen durch die Luft. Onyxdrache entfuhr ein kleiner, überraschter Laut, als er eine Wunde am Oberarm empfing. Mit einem Fluch auf den Lippen taumelte der Samurai zurück und floh mit einem akrobatischen Sprung vom Dach.
"Mein Zorn wird diese Stadt noch treffen, Landesverräter! Wartet es ab!"
Als Fünf Schwarze Schwerter realisierte, dass er den Kampf überstanden hatte, knickten seine Beine ein. Der Rücken des Rekruten machte auf schmerzhafte Weise Bekanntschaft mit dem Flachdach, auf dem eben noch der Mörder gestanden hatte. In seinen Ohren hatte das leise, sirrende Geräusch der Geschosse wie ein himmlischer Chor geklungen. Schwach nahm er wahr, wie jemand auf das Haus kletterte.
Hauptmann Llanddcairfyn, der Ausbilder des Rekruten, beugte sich über die liegende Gestalt.
"Sag mal, bist du des Wahnsinns fette Beute?", fragte der Offizier.
"Es verhilft mir zu innerer Glückseligkeit, Euch zu sehen, Urgroßtante Zwei Kleine Steine", antwortete der Ninja benommen, holte die Ledermaske heraus und gab sie dem Llamedosianer.
Dieser besah sich die lederne, vom Kampf verschwitzte Larve.
"Hübsch", meinte der Ausbilder schließlich, "aber ich möchte eine Erklärung. Warum hast du deinen Auftrag nicht zu Ende ausgeführt? Wieso hast du gegen diesen Typen gekämpft? Was sollen diese Notizen? Und wo ist deine Rüstung?"
Schwankend stand der Aurientale auf. Und erzählte die ganze Geschichte.
"Du hast meine Befehle ausdrücklich missachtet, Rekrut. Wieso?"
"Es bestand keine akute Gefahr mehr, Sir", erklärte Fünf Schwarze Schwerter, "und ich hatte neue Indizien. Ich konnte nicht anders als nachforschen."
"Wieso bist du mitten in der Nacht losgezogen? Konntest du nicht bis zum nächsten Tag warten und mir davon erzählen?"
Der Achater schwieg verschämt.
"War das eine Ninja-Angelegenheit, Rekrut?"
"Nein, Sir. Eine Stadtwächter-Angelegenheit. Ich wollte diesen Attentäter ausschalten, sonst nichts, Sir."
"Hm."
"Ich hoffe, mein Eingreifen hat keinen Schaden angerichtet, Sir."
"Zum Glück nicht. Dieser Onyxdrache oder wie der Kerl auch immer heißen mag ist wahrscheinlich schon über alle Berge, aber er wäre uns vermutlich sowieso entkommen. Als nächstes werden wir wohl das Versteck stürmen und die Waffen beschlagnahmen."
"Soll ich mitkommen, Sir?"
"Nein, du darfst dich erst mal ausruhen." Llanddcairfyn grinste. "Nachdem du einen ausführlichen Bericht geschrieben, den anderen Wächter, die am Fall beteiligt waren, alles erzählt und den Brustpanzer bezahlt hast."
"Ja, Sir."
Der Ninja kletterte die Leiter, die Llanddcairfyn benutzt hatte, herunter, ging an den anderen Wächtern, die ihn mit ihren Armbrüsten unterstützt hatten, vorbei (wobei er es nicht unterließ, sich zu bedanken) und wankte müde zum Wachhaus.
Dort angekommen suchte der Rekrut zuerst den Schlafsaal auf, um das Geld für die Rüstung zu holen. Zu seiner Überraschung lag ein Paket auf seinem dünnen, mit Stroh gestopften Kopfkissen.
Als er das Bündel öffnete, fand er darin eine kleine, kunstfertig hergestellte Figur und ein zusammengerolltes Pergament. Der Rekrut öffnete den Brief und las:

Rote Mohnblüten genießen den himmlischen Segen der Sonnenstrahlen,
weiße Schmetterlinge schweben bei dem alten Kirschbaum,
auf einem Pfahl aus edlem Pinienholz verwest Go Kuro-yaibas Kopf.


Hm. Ein Gedicht. Dies war anscheinend Onyxdraches Art, ihm Rache zu schwören. Der Wächter sah sich die Figur an. Er glaubte, darin einen aus schwarzem Stein geschnitzten Drachen zu erkennen.
Der Ninja zuckte mit den Schultern und verstaute das seltsame Geschenk in seiner alten Truhe.[14] Es gab Wichtigeres zu tun - nämlich so lange wach zu bleiben, bis...

Nach einer Weile war lautes Schnarchen aus dem Schlafsaal der Rekruten zu hören.


ENDE


[1] also fast schon giftigen

[2] Siehe Multi "Die Schauspieler-Scharade."

[3] Das Achatische ist eine überaus blumige Sprache. Es ist praktisch unmöglich, nicht auf höchst förmliche Weise zu sprechen.

[4] Es soll noch einmal erwähnt werden, dass die achatische Sprache (die Fünf Schwarze Schwerter gerade benutzt und sie noch öfter in Gesprächen mit Aurientalen verwenden wird) enorm schnörkelhaft ist. Die Übersetzung ist ein bloßer Versuch, dies wiederzugeben.

[5] achatische Kampfschule

[6] Der Aurientale war zwar kein Laborant, aber mit tödlichen Wunden kannte er sich aus.

[7] An Korporal Feinstich hatte er nicht gedacht, aber wer kann schon jedes Detail im Kopf behalten?

[7a] Dabei handelt es sich um eine japanische Samuraifrisur. Während das Haar im Großen und Ganzen mittellang geschnitten ist, wird der vorn an die Stirn anliegende Bereich komplett abrasiert; dazu wird ein langer, relativ dünner Zopf getragen, der so gebunden ist, dass er auf dem Kopf liegt und seine Spitze den kahlen Bereich gerade berührt. Nur so zur Information.

[9] Eine indische, diskusartige Wurfwaffe. Langweile ich Sie mit meinen ständigen Erklärungen?

[10] Fünf Schwarze Schwerters Volk glaubte an Götter, die in einer formalen Bürokratie organisiert waren.

[11] Das Achatische hat kein Wort für "Zwerg".

[12] Was Wunder, um diese Uhrzeit?

[13] Unter anderen Umständen hätte sich der Ninja natürlich nicht so einfach stellen lassen. In diesem Fall jedoch war eine Flucht unmöglich, da Onyxdrache in der Türöffnung stand, sich einfach nicht verwunden ließ und es weder zuverlässige Verstecke noch andere Auswege in der Waffenkammer gab.

[14] Die nicht aus intelligentem Birnbaumholz war.




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Feedback:

Von Harry

25.04.2007 11:11

</b><br><br>Sehr schön, bitte mehr davon! Eine stilistische Kleinigkeit nur: Die Verwendung von Synonymen (Der Aurientale, der Rekrut, der Achatene) ist an einigen Stellen er störend als den Sprachfluss fördernd. Ich glaube, mehr Mut zum "er" wäre hin und wieder nicht schlecht.<br><br><b>

Von Ophelia Ziegenberger

25.04.2007 11:11

</b><br><br>Da ich selber eine Schwäche für die asiatische Kultur habe, war deine Geschichte natürlich sehr unterhaltsam zu lesen. Umso mehr, da Du über einen wirklich schönen Schreibstil verfügst. Die "fachspezifische" Wortwahl erscheint mir an vielen Stellen dennoch als etwas zu flachweltlerisch, etwas zu wenig scheibenweltlerisch, was den Eindruck einer Wache-Geschichte immer wieder an den Rändern absplittern lässt, wenn Du verstehst, was ich damit meine? Dein Charakter ist der klassische Überheld, was ich im Zusammenhang mit dem Rahmen der Stadtwache bedenklich finde. Es wird dadurch für normale Figuren umso schwerer werden, neben der deinen einem Vergleich standzuhalten. Auch könnte es für jeden Durchschnittsschurken ein Ding der Unmöglichkeit werden, eben nicht sofort von Fünf festgenommen zu werden. Andererseits hat Fünf zumindest eine ausgeprägte Schwäche und ich hoffe sehr, dass diese in deinen künftigen Geschichten stärker zum Zuge kommt, sozusagen als Ausgleich - nämlich seine Tendenz, Wichtiges allein zu entscheiden und zu unternehmen (Regel 31), was in einer Truppe, die vom Teamwork abhängt, natürlich auf Dauer nicht gut gehen dürfte. Seine Motivation, gerade hier in dieser Stadt, in der Wache tätig zu werden, war in dieser Single nicht besonders klar zu erkennen aber das war im Grunde auch nebensächlich. Auf jeden Fall eine charakterlich besonders schön geformte Figur, deren Karriere ich im Auge behalten werde. ;)<br><br><b>

Von Valdimier van Varwald

25.04.2007 11:11

</b><br><br>Eigentlich keine schlechte Geschichte. Schöner und einfach zu lesender Schreibstil und du hast dir an manchen Stellen Zeit für schöne Detailbeschreibungen gelassen. In der Szene, in der dein Wächter von seinen Vorfahren kontaktiert wird, war zum Beispiel richtig klasse.<br><br>Was mir nicht ganz so gut gefallen hat war der Plot, der stellenweiße doch etwas konstruiert und holprig wirkte. Ich fand es zum Beispiel etwas seltsam, dass Schwerter dem Unbekannten einfach mal so hinterherläuft, ohne sich dabei großartig Sorgen zu machen, wo der Unbekannte ihn überhaupt hinbringt.<br><br>Ansonsten für eine zweite Rekrutensingle eine gute Geschichte, die auf mehr hoffen lässt.

Von Kanndra

25.04.2007 12:02

Zwei Kleinigkeiten, die mir aufgefallen sind:



Ich hätte das Wort "infiltrieren" nicht in diesem Zusammenhang benutzt. Und auch nicht so oft. Ich bin mir nicht sicher, ob es überhaupt in der richtigen [i]Bedeutung [/i]benutzt wurde. Generell solltest du lieber auf deutsche Wörter zurückgreifen.



Ankh-Morpork liegt zwar nicht direkt am Meer, hat aber durchaus einen Hafen und die paar Meter Fluss bis zum Runden Meer kann man glaube ich vernachlässigen. :wink:

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