"FALFCH! Kannft oder willft du ef nicht lernen, Hamfta? Der Kekfteft ift
keine hinreichende Kontrolle für die Vitalfunktionen", Rogi Feinstich, die die Erste-Hilfe-Ausbildung für die Wache koordinierte, verließ den Ausbildungsraum. Hamsta guckte verwirrt und gleichzeitig latent böse (zumindest für einen Werhamsta). Wenn die anderen, im Falle der Ersten-Hilfe-Ausbildung wohl verwundeten und in diesem Fall bewusstlosen Wächter von Keksen nicht aufwachten, war das jawohl nicht ihr Problem, oder? Diese Ausbildung war nicht die erste, bei der sie ihre Entscheidung, zur Wache zu gehen, in Frage stellte. Bei dem Erlernen von diversen Verhörtechniken hatte sie die Theorie zwar mit Bravour bestanden, in der Praxis jedoch das Problem, dass sie jeder - wirklich ausnahmslos jeder - kraulen wollte
[1]. So konnte man kein Geständnis von einem Verbrecher kriegen, wenn es sogar schon bei den Darstellern der Wache nicht klappte.
"Wo waren Sie in der vergangenen Nacht?", konnte Hamsta so oft fragen, wie sie wollte. Vermutlich würde sie erst eine Antwort bekommen, wenn sie zustimmen würde, auf den Schoß der Person zu krabbeln und sich kraulen zu lassen, aber sie war jetzt immerhin ein Mitglied der Wache, verflucht noch mal! Schlimmer war noch die Observation von Verdächtigen gewesen. Der mit Sicherheit gut gemeinte Tipp von Mitrekrut Onyx, die Observation in der Freizeit bei einigen Passanten zu üben, endete in einer Art Sondereinsatz ihres Ausbildungsleiters.
Die erste Woche ihrer Ausbildung war vorüber und Hamsta verließ das Wachhaus in der Kröselstraße, um Onyx' Tipp auszuprobieren. Vor der Tür blieb sie stehen. Neben jeder Menge bewusst unauffälligen Gestalten, deren Verfolgung einen Hamsta den Pelz kosten konnte - auch in menschlicher Gestalt - und deswegen einem Selbstmord
[2] gleich kam, lief Schnapper durch die Straße und bot seine Suizidmittelchen an. Schnapper zu verfolgen lief vermutlich nicht auf Selbstmord hinaus, zumindest nicht, wenn man nichts aß und die Dämpfe aus seinem Bauchladen nicht einatmete. Noch einmal atmete Hamsta deswegen tief ein und nahm in einem sicheren Abstand von etwa zehn Hamstahopsern (immer bemessen an dem jeweiligen Äußeren) die Verfolgung auf. Die Gase krochen ihr dennoch in die recht empfindliche Nagernase, deswegen nahm sie als nächstes die Verfolgung eines Anwalts auf. Anwälte gab es in Ankh-Morpork wie Ratten und dieser Vergleich war in mehr als der Quantität zutreffen. Sie verlängerte den Abstand auf zwölf Hopser, denn jeder auch nur mittelmäßige Anwalt war an Verfolger gewöhnt. So nickte Hamsta fröhlich dem Assassinen weitere acht bis neun Hopser hinter ihr zu und gesellte sich unauffällig in diese Reihe. Nach fünf Minuten erfolgreicher Observation blieb der Anwalt abrupt stehen und drehte sich um. Hamsta war genau in seinem Blickfeld. Sie drehte sich um, aber der Assassine war verschwunden. In Gedanken verfluchte sie ihr Vorhaben, denn manche Anwälte klagten aus Hobby
[3]. Sie musterte den Anwalt: Anzug, elegante Schuhe und eine Aktentasche seitlich unter den Arm geklemmt, vor der die Zeitung von vorgestern hing. Seine bleiche Haut und sein gepflegtes Äußeres deuteten auf einen Vampir hin. Auf seiner Visitenkarte hätte man lesen können, dass er Samuel Melvin Klage hieß - dies war allerdings nur eine Kurzform von Samuel Melvinius von Klagensteinfels und dies war genau genommen auch nur eine Kurzform. Der Anblick, der sich S. M. Klage wiederum bot, war recht ungewöhnlich. Die junge Dame (zumindest das konnte man eindeutig erkennen) war ca. 1,70 groß und hatte eine normale bis dünne Statur. Die rotblonden Haare waren mittellang und irgendwie ... wuschelig. Und wenn ihn nicht alles täuschte, kamen zwei pelzige Ohren aus den Haaren.
"Ich kann sie vertreten, wenn das einer dieser Igor-Spaßvögel aus der Narrengilde war...", sagte er, zog instinktiv seine Visitenkarte hervor und reichte sie dem ohrigen Wesen.
"Nein!", innerlich verdrehte Hamsta die Augen, solche Gespräche hatte sie schon öfter geführt.
"Ähem, Sie haben da aber Ohren, Junge Da..."
Hamsta unterbrach ihn: "Werhamsta. Ich bin ein Werhamsta. Bei den Umwandlungen bleiben immer die Ohren und der Schwanz stehen", sie drehte sich halb um und wackelte mit ihrem Puschelschwanz. "Warum weiß ich leider nicht."
"Aber ich habe noch nie..."
"Bin scheinbar die einzige meiner Art."
"Was ist mit ihren..."
"Eltern? Keine Ahnung, ich erinnere mich nur, dass ich bei einem Kind im Käfig war, davor an nichts", Hamsta war solche Gespräche leid. Sie wusste bereits was als nächstes kam. Und das mit den Eltern war ein recht wunder Punkt, den trotzdem jeder ansprach.
"Wollen Sie das Kind verklagen?" Sie stutzte. Das war eine neue, aber anwalttypische Wandelung in dem Gespräch.
"Ich dachte in Ankh-Morpork darf man keine Kinder verklagen."
"Ups! Ich meine, das sollte ein Scherz sein, verstehen Sie? Haha, ein Kind verklagen, haha. Ha?", verstummte das Lachen mit einem letzten Versuch, witzig zu sein. Hamsta wurde nervös, das passierte immer nach dieser peinlichen Lücke, nachdem sie ihre Identität erklärt hatte. Und wenn sie nervös wurde, na ja.
Pling[4] Vor S. M. Klage war die junge Dame verschwunden und ein Tier nahm diese Stelle ein. Er war ca. elf cm lang und sah aus wie eine Mischung aus einem Zwerg- und einem Goldhamster. Der Gesichtsausdruck sah aus wie nach einer Runde Hamsterpost
[5].
"Ich könnte versuchen, irgendeine Gottheit zu verklagen oder, oder-" Hamsta schüttelte sich und rannte schnell weg von diesem Irren. Eine Gottheit verklagen? Götter hielten sich in Ankh-Morpork doch die besten Anwälte von allen.
Als sie gerade um eine Ecke bog und sich eingestehen musste, dass sie absolut keine Ahnung hatte, wo sie war, verlor sie plötzlich den Boden unter ihren Füßen.
"Oh, was haben wir denn da für ein süüüüßes Knuddel-wuddel-Meerschweinchen?", quiekte eine Stimme, die zu einem hässlich rosa-farbenen Kind gehörte. Kind und Kleidung waren ein Alptraum aus diversen Rosa- und Pink-Tönen. Genau aus dem Grund entschied Hamsta sich dagegen, diesen ungebildeten Pinky zu widersprechen, obwohl sie innerlich alles durchging, was sie hätte sagen können.
Meerschweinchen?? Was für eine Beleidigung! Das Mädchen trug sie mit einem Klammergriff in das Haus ihrer Familie und hinauf in ihr Zimmer, das ebenfalls rosa war. Dort wurde Hamsta in ein rosa Kleidchen gezwängt und sehnte sich bei dieser Prozedur doch den Anwalt herbei, denn hier hätte eine Klage wegen seelischer Grausamkeit allemal Erfolg gehabt. Ihr rot-blonder Pelz passte einfach nicht zu rosa!
Korporal Carisa v. Schloss Escrow beobachtete diese Prozedur von einem Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite und holte Hilfe. Als Hauptmann Llanddcairfyn eintraf, trank Hamsta gerade in diesem hässlichen Kleid mit dem Mädchen widerlichen Kinderkaffee. Nachdem der Hauptmann für sie ein gutes Wort eingelegt hatte und dem recht blöden Kind erklärt hatte, dass Hamsta a) kein Meerschweinchen und b) kein normaler Hamster war, hatte das Kind angefangen zu weinen und Llanddcairfyn verließ mit Hamsta auf der Hand das Haus. Dort endlich gelang es ihr, sich wieder umzuwandeln. Llanddcairfyns latentes Grinsen wandelte sich in ein herzhaftes Lachen, als sie das Haus weit genug hinter sich gelassen hatten. Ihr war jedoch nicht nach Lachen zu Mute, ihr Ausbilder hatte sie in diesem peinlichen Outfit gesehen und hatte sie befreien müssen, wieso war er nicht sauer, wie sie befürchtet hatte?
Hamsta hasste Kinder, diese Mistkäfer hatten einfach keine Ahnung, wie man mit Nagern umzugehen hatte. Die allererste Erinnerung in ihrem Leben war an solch eine ankh-morporkianische Drecksschratze, die sie fast zu Tode geknuddelt hätte und der sie nur mit einem echt miesen Trick entwischen konnte.
Aber dieses Ereignis lag schon fünf Tage hinter ihr. Das wissende Grinsen und Fingerzeigen ihrer Kollegen wurde immer seltener und auch die Scherze darüber. Überhaupt war ihre schnelle Auffassungsgabe bisher das einzige, was sich als positiv erwiesen hatte. Ihr Halb-Mensch-halb-Hamster-Charakter stand ihr mal wieder nur im Weg. Dabei war das doch der Grund gewesen, weshalb sie zur Wache wollte. Sie wollte, ihrer pazifistischen Einstellung entsprechend, Verbrechen verhindern und für Gerechtigkeit sorgen. Und ganz nebenbei wollte Hamsta lernen, auch mal böse zu sein - zumindest so ein klein wenig. Ihr ganzes Wesen war ein Beispiel an Nettigkeit und Liebsein wäre ihr zweiter Vorname gewesen, wenn sie denn einen zweiten Vornamen hätte. Seit fünf Jahren und drei Monaten hatte sie keine Mücke mehr erschlagen und ihre Aggressionen entluden sich meist an einer unschuldigen Kekspackung, niemals an den Wesen, die der Grund dafür waren. Diese Nettigkeit war in Verbindung mit ihren Hamsterohren, dem Puschelschwanz und dem Nagergesicht auf der einen Seite ein Segen, denn viele Leute in der Wache mochten sie, auch die Scherze über ihren Kaffeeklatsch in Pink waren verhältnismäßig harmlos ausgefallen. Auf der anderen Seite war es aber auch ein Fluch, denn niemand nahm Hamsta wirklich ernst.
Dies alles und nebenbei viele Kekse gingen ihr durch den Kopf, als sie alleine in dem Behelfslehrsaal saß und die Kekse aß, die eigentlich hätten einen Bewusstlosen zurück ins Leben holen sollen. Trotz der vielen Kekse war Hamsta nicht etwa dick, sondern von normaler Statur. Einige Stunden im Laufrad wirkten wahre Wunder. In einer Ecke des sporadisch eingerichteten Lehrsaals lagen diverse Puppen, damit man die Reanimation an jeder Ethnie der Wache üben konnte. Nachdem sie der Gnompuppe 70 Prozent der Rippen gebrochen hatte und hilflos auf der Trollpuppe rum gesprungen war, um überhaupt
etwas Druck zu erzeugen, hatte die Ausbilderin Feinstich ihr immerhin schon mal die Reanimation als erfolgreich bescheinigt. Sie seufzte schwer und blätterte in ihrem Lehrbuch. Theoretisch beherrschte sie die Inhalte der Erste-Hilfe-Ausbildung bereits, genauso wie die Theorie der anderen Themen. Praktisch stand ihr so schlecht unter Kontrolle zu haltender Charakter zwischen ihr und dem erfolgreichen Abschluss der Grundausbildung - und das mit einer erstaunlichen Masse für einen (Wer-)Hamsta.
"Verletzten Wächter ansprechen und anfassen. Wenn er reagiert, helfen nach Notwendigkeit. Wenn nicht, über einen Klacker Hilfe nachfordern und den Mundraum kontrollieren...", überprüfte Hamsta laut die Lerninhalte.
Theoretisch konnte sie alles und wusste auch, dass dort von Keksen wirklich absolut keine Rede war.
Ettark betrat den Raum. Seine Mundwinkel neigten sich in die 180-Grad-Stellung, was als herzliches Lächeln gewertet werden konnte.
"Duuu, Ettark..." Hamsta versuchte wieder einmal ihre liebe Art auszunutzen.
"Was ist denn?", kam es ihr aus der Bartrichtung recht undeutlich entgegen. Obwohl Ettark nur einen kleinen Bart hatte, schaffte er wie kein Zweiter, dort hinein zu nuscheln. Heute schien ihr Glückstag zu sein, seine Laune war immerhin wesentlich besser als sonst.
"Darf ich an dir Verbände üben?" Hamsta legte soviel Nettigkeit in ihre Stimme wie nur möglich.
"Mhm", war Ettarks Antwort - in seinem Vokabular ein "Nichts lieber als das".
"Nicht so feste wickeln!", kommentierte Ettark Hamstas Bemühungen.
"Ähem, ich mache noch gar nichts..." konnte man von einer leisen und eingeschüchterten Stimme vernehmen. Nichts lag Hamsta ferner als Ettark wehzutun.
"AUA, lass das!"
"Aber... aber... Naja, ich muss doch..."
"Du machst das viel zu rabiat!"
Durch die Tür des Behelfslehrsaales drangen noch viele seltsame Geräusche dieser Art, bevor Hamsta endlich handelte. Nach einer ca. 10minütigen Odysee aus weiteren "Aua"- und "Lass das"- (wahlweise auch "Du tötest mich noch"-)Rufen legte sie endlich die inzwischen nicht mehr so sterile Wundauflage auf Ettarks Handrücken, was in einem schmerzverzerrten Gesicht und einem langgezogenen "Aiiiiii" im Spektrum sämtlicher bekannter Tonlagen seinen Höhepunkt fand.
"RUHE!! Nu hör auf rumzuwinseln, bevor ich überhaupt i-r-g-e-n-d-e-t-w-a-s machen konnte!" Hamstas Augen blitzten und es war kein
rein freundliches Blitzen mehr.
In ihrer normal netten Tonlage fuhr sie fort: "Tut es so weh? Wenn ja musst du nicht sitzen bleiben."
Ettark schüttelte leicht verwirrt den Kopf. "Wenn nicht wäre ich dir dankbar, wenn ich jetzt weiter üben könnte. Ich erkläre jeden Schritt, damit du weißt, was passiert, ok?"
Diesmal kam von ihrem inzwischen ruhigen Versuchsettark ein Nicken.
"Wie hast du dir die Wunde zugezogen?", Hamsta versuchte, das Trösten und Beruhigen umzusetzen, von dem im Lehrbuch so oft die Rede war.
"Mhm"
"Ok, ich lege dir jetzt eine Wundauflage drauf und verbinde das anschließend noch ganz vorsichtig."
"Mhm"
"Weil es etwas stärker blutet, lege ich noch ein Verbandpäckchen auf den Verband und du solltest so bald wie möglich zu einem Igor gehen, ja?"
"Hmhm"
Ettark war ein Paradebeispiel für aktives Zuhören. Wenn er nichts sagen wollte, hörte man nichts anderes von ihm, manchmal allerdings auch, wenn man eigentlich auf eine Antwort wartete.
"Fertig. War das jetzt zu schlimm?"
Von Ettark kam ein gemurmeltes "Nö".
"Möchtest du einen Keks?"
"Mhm, ja."
"Danke noch mal, dass ich an dir üben dürfte!", rief Hamsta ihm nach.
Aus dem Flur hörte sie ein "Mhm".
Als Hamsta die Mullbinde zusammenrollte, ließ sie den Tag Revue passieren. Ihr normales Immer-nettes-Dauerlächeln verstummte. Heute hatte sie Ettark angeschrieen und ihm einen Keks angeboten. Sie schüttelte den Kopf, diese blöden Kekse kriegte sie einfach nicht aus ihrem Kopf raus, aber immerhin war es diesmal erst am Ende durchgebrochen. Und das Anschreien... sie hatte noch nie jemanden angeschrieen und war auch noch nie laut geworden. Aber seine quengelige Art hatte sie wirklich genervt und, sie zählte nach, er hatte nach dem Lautwerden noch drei Worte gesagt. Hamsta konnte froh sein. Drei Worte verhießen überaus gute Laune und das hieß, dass er nicht böse war, als er den Raum verließ. Je länger sie drüber nachdachte, desto breiter wurde ihr Grinsen. Sie hatte Ettark die Meinung gesagt und er war weder böse noch enttäuscht
[6].
Vielleicht konnte sie bei der Wache ja doch was werden.
[1] Hamsta hoffte, dass das an ihrem leidlich knuddeligen Nagergesicht lag
[2] vgl. Selbstmorddefinition aus "Helle Barden"
[3] So etwas wurde auch auf der Rundwelt in einem Land Namens USA beobachtet
[4] Wieso Werhamsta sich mit einem Pling umwandeln, ist nicht bekannt. In Ermangelung mehrerer Werhamsta ließ sich dieser Zusammenhang auch nicht empirisch untersuchen.
[5] Hamsterpost war ein sehr unschönes Kinderspiel, zu dem man nur einen Hamster und kräftige Arme brauchte.
[6] In der nächsten Zeit sollte Hamsta erfahren, dass sie diesen glücklichen Ausgang einzig und allein der (an diesem Tag) wirklich sehr guten Laune von E ttark zu verdanken hatte.
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