Nach einer Ermittlung im Tempel der Geringen Götter überschlagen sich die Ereignisse.
Dafür vergebene Note: 12
Zitternd stieg er auf den Schemel. Tränen liefen über sein Gesicht, glitzerten auf seinen Wangen, benetzten die zitternde Unterlippe. Mit unsicheren Händen knotete er den Gürtel fest. Es musste geschehen. Das hatte der Priester gesagt. Und er wusste es selbst ebenso gut. Es gab nichts mehr sonst zu tun. Sein tränenersticktes Schluchzen hallte von den Wänden des kleinen, dunklen Raums wieder. Er stolperte von dem kleinen Hocker, prallte mit dem Knie auf den kalten Steinboden, keuchte heiser. Sich mit schwachen Händen abstützend stand er schwankend auf, kletterte wieder auf den Schemel. Nichts mehr sonst zu tun als das. Ein weiterer fester Knoten. Ein weiterer krächzender Atemzug. Ein Tritt gegen den Hocker.
Es dauert Minuten, bis das Zucken und Treten der Füße aufhört.
Hauptfeldwebel Breguyar saß im großen Büro des DOG-Abteilungsleiters. Sein Auge flog über verschiedene Berichte, die seine Wächter ihm vorgelegt hatten. Einer davon führte dazu, dass die
Renovierung und Neuordnung des Wachhauses und seiner Räume nun ein kleines bisschen schneller voran ging.
"Das wäre sie also, die Tauben-Kommunikationsanlage ", erklärte Goldie Kleinaxt dem gerade beförderten Gefreiten. "Ein Schmuckstück moderner Technik", betonte die Zwergin und erhielt darauf ein weiteres vages Nicken des neuen Dienststellen-Angehörigen, "Man sieht , was mit den Nachrichten passiert. Semaphorentürme sind gut und schön, aber wer weiß, was diese Burschen in den Türmen da eigentlich machen? Das ist mit der Tauben-Kommunikationsanlage etwas ganz Anderes", die Hauptgefreite klopfte auf das große, sich nach vorne verjüngende Rohr des Mechanismus', der einen großen Teil der Dachterrasse des Boucherie Rouge vereinnahmte. "Da kann man zuschauen, wie die Nachricht an die Taube gebunden wird, wie die Taube in die Schwarze Kiste gesteckt wird, wie die Schwarze Kiste an den Beförderungsschlauch angeschlossen wird und dann sieht man die Taube durch den Schlauch in das Rohr und vorne heraus schießen", auf die einzelnen Komponenten deutend beendete Goldie die Erklärung des Ablaufs einer Standardzustellung. Stille entstand. Die Zwergin sah Bruder Laudes an. Der Priester lächelte noch immer und betrachtete mit höflichem Interesse die Vorrichtung. Sehr verwundert über das mangelnde Interesse des neuen Kommunikationsexperten der DOG an der TKA runzelte Goldie die Stirn, während der so Bezeichnete sich fragte, was dieses mechanische Monstrum mit seiner Position als Temporär-klerikaler Angestellter zu tun habe. Die Hauptgefreite reichte ihm ein aus Stoff genähtes Etwas, die mit Stroh gefüllt ungefähr Form und Größe einer Taube aufwies.
"Vielleicht versuchst du es einfach mal", brummte Goldie resignierend und stieg die klapprige, windschiefe Außentreppe des Boucherie Rouge hinab. Kurze Zeit später mussten die Nachbarn des Etablissements feststellen, wie viel Schaden eine strohgefüllte Stofftaube bei ausreichender Beschleunigung anrichten konnte und der Abteilungsleiter der Dienststelle sah sich gezwungen, seinen Kommunikationsexperten in Ausbildung eine-
"Hauptfeldwebel!", rief Patrick Nichts und steckte den Kopf zur Tür hinein, "Sie müssen unbedingt zum Wachhaus!"
Eher unbefriedigt von der Genauigkeit der gemeldeten Information stand der Halbvampir wenig später zusammen mit der stellvertretenden Abteilungsleiterin Hatscha Al Nasa vor einer Situation, die noch wesentlich bedauerlicher war. Vor ihnen ragten einige Eisenstangen auf, an denen der Rost nagte. Dahinter lag ein kahler, feuchter Raum, in den durch ein kleines, vergittertes Fenster am oberen Ende der Wand etwas Licht fiel. Eben dieses vergitterte Fenster stellte einen Teil des vor den Wächtern liegenden Problems dar. Vor ihnen lag nämlich der ehemalige Insasse der Zelle im Keller des Wachhauses. Eine breite, purpurne Strieme war an seinem Hals zu erkennen, wo sein am Fenstergitter befestigter Gürtel ihm den Kehlkopf zerdrückt und die Luft abgedrückt hatte.
"Sein Name war Holder Kranz", sagte Hatscha, während Araghast die Zelle betrat und sich neben die Leiche kniete. "Er war Priester im Tempel der Geringen Götter und wurde gestern von uns festgenommen, nachdem er den Mord an einem Gemeindemitglied gestanden hatte." Araghast sah auf und fixierte das Fenster.
"Ich denke, ich weiß, was hier passiert ist", verkündete er.
"Ein Mörder hat sich erhängt, weil er nicht mit der Schuld leben konnte?", vermutete Hatscha. Der Abteilungsleiter schüttelte den Kopf.
"Ich glaube, es steckt mehr dahinter", antwortete er. Viele Jahre in der Wache, umfangreiche Erfahrungen als Püschologe und Dutzende Eddie Wollas Romane führte zum Folgenden. "Was weißt du über Gedankenkontrolle?" Hatscha sah ihn irritiert an. "Ich denke, dass ein Zauberer in den Geist des Mannes eingedrungen ist, um ihn auf diese Weise zu beeinflussen und ihn zum Selbstmord zu bringen", erklärte der Abteilungsleiter. "Ich bin mir sicher, wir werden bei der Leiche einen Gegenstand finden, durch den der Zauberer mentalen Kontakt herstellen und ihn so in einen Wahnsinn treiben konnte, der Holder in den Suizid trieb, um den schrecklichen Bildern, die man in seine Träume gepflanzt hat, zu entkommen", der Hauptfeldwebel sah seine Vertretung triumphierend an. "Sicher war er Priester einer dunklen Sekte oder eines finsteren Kultes, nicht wahr?" Hatscha beeilte sich, dem Halbvampir den mitgebrachten Bericht zu reichen. Im trüben Licht der Zelle begann Araghast Breguyar zu lesen.
Breda Krulock erreichte den Tatort und schob sich durch die Menge, als Yogi Schulterbreit gerade veranlasste, den Wagen, der am Unfall beteiligt gewesen war, zu entfernen. Die Vampirin - dick eingerieben mit Drachencreme - ging zu dem Tuch und hob es an einer Ecke hoch.
"Nicht gerade hübsch, was?", rief Yogi und kam auf sie zu, "Wenn man von einem sechsrädrigen, Backsteine transportierenden Wagen überrollt wird, bleibt nicht viel übrig, was einen Schönheitswettbewerb gewinnen würde." Breda ließ den Tuchzipfel wieder sinken.
"Der Name des Opfers ist Ert Dimbelherr. Er fuhr mit seinen kleinen Gespann einfach auf die Kreuzung, so dass der Karren gar nicht anders konnte, als ihn umzunieten."
"Was sollte er sonst tun, als auf die Kreuzung zu fahren?", erkundigte sich die Oberstgefreite. "Für immer am Straßenrand stehen bleiben?" Yogi deutete nach oben.
"Natürlich nicht. Aber er hätte auf die
Grünphase warten sollen", sein Finger zeigte auf mehrere kleine Kästen, aus denen es derzeit immer wieder - wenn auch nicht sonderlich regelmäßig - gelb blinkte. Breda stöhnte leise.
"Sind das etwa Dämonen, die ich da sehe?", fragte sie und folgte dem Vektor zum Straßenrand, wo an einem Gestell Seile und Drähte zu den Kästen führten.
"Ein erster Prototyp. Aber nach dem diesem Vorfall wird es wohl auch dabei bleiben", Yogi sah etwas bedauernd drein und deutete auf die stark ansteigende Straße, aus der der Wagen gekommen war. "Die Karren mit Baumaterial kommen hier mit einem ziemlichen Tempo runtergebraust", erklärte er. "Man muss schon ein wenig Gas geben, wenn man eine halbe Tonne Ziegel bewegen will. Wir haben deswegen hier eine
Vorfahrtbestimmungsanlage aufgebaut", der Vektor griff in den Wust aus Seilen und löste eines. Langsam ließ er einen der Kästen, die über der Straße hingen, herab. Daraufhin hob er ihn auf, öffnete eine Klappe und legte damit den Blick auf drei gelangweilt dreinblickende Dämonen sowie eine kleine Lampe frei. "Der Kleine mit den Glubschaugen späht die Straße herunter und passt auf, ob ein Karren kommt", der Seals-Angehörige zeigte auf eine Art Fenster im Kasten. "Sobald er einen heranrasen sieht, gibt er den anderen kleinen Biestern Bescheid, die daraufhin die Gläser vor den anderen Öffnungen austauschen. Statt grün leuchte es dann rot aus dem Kasten heraus." Breda nickte.
"Und Dimbelherr ist gefahren, obwohl die Lampe Rot zeigte?"
"So muss es gewesen sein", antwortete Yogi. "Kein Grund für Ermittlungen also. Allerdings werden wir sämtliche Dämonen prüfen und neu justieren müssen", leises Grummeln war aus dem Kasten in seiner Hand zu hören. Die Wächterin sah zu den anderen Kästen hinauf und dann die Seile entlang hinab.
"Und die Halterungen stehen einfach so hier am Straßenrand?"
"Es ist ein Prototyp, in Ordnung?", antwortete der Vektor, dem die ganze Sache sowieso schon unangenehm war. Die Vampirin musterte die Anlage ein weiteres Mal.
"Kannst du den Kasten herunter lassen, der in die Richtung leuchtet, aus der Herr Dimbelherr gekommen ist?", fragte die Oberstgefreite. Yogi nickte und löste ein weiteres Seil. Breda nahm den Kasten an, als er sich langsam zu Boden senkte und betrachtete ihn genau.
"Ich nehme an, dass ihr keinen Wächter aufgestellt habt, der die Anlage bewacht?"
"Wenn wir dafür Jemanden übrig hätten, könnte er auch gleich den Verkehr regeln", antwortete der Seals und trat näher.
"Also könnte so ziemlich Jeder", fuhr die Vampirin fort, "
das hier angebracht haben?", Breda zog ein Stück Pappe aus dem Kasten. Es war so befestigt gewesen, dass es das Fenster des Späh-Dämonen verdeckt hatte.
"Ähm", machte Yogi.
Ert Dimbelherr hatte keine Familie oder nähere Freunde, aber er war Mitglied einer kleinen Gemeinde im Tempel der Geringen Götter gewesen, so dass die Wächterin beschloss, dort Nachforschungen zu betreiben. Kurze Zeit später betrat sie die Räume der Gemeinde von Tagesordnung, dem Gott mäßig gelungenem Eventmanagements
[1], und befragte dort Irma Verhüter, ein eifriges Mitglied der Gemeinde, die, wenn sie nicht gerade die Kerzen auf dem
Schrein Gerade Noch Eingehaltener Programmabläufe austauschte, Hochzeiten und sonstige Feiern für Gläubige anderer Gemeinden organisierte. Jeder wollte natürlich eine möglichst perfekte Feier für den ersten, schönsten oder letzten Tag des Lebens (Je nach Glaubenszugehörigkeit), doch eine Organisation durch einen Anhänger von Tagesordnung war in der Regel wesentlich billiger.
Von Irma Verhüter erfuhr Breda neben einigen Hinweisen, wie man seine Gäste am besten am Tisch platziere, dass Ert Dimbelherr jeden Tag zur selben Zeit im Tempel erschienen war. Und dabei immer denselben Weg fuhr, der auch an der Stelle vorbei führte, an der er an diesem Morgen seine unglückliche Begegnung mit einer Wagenladung Ziegelsteine gehabt hatte. Ansonsten wollte sie sich jedoch nicht zu dem Opfer äußern und die Oberstgefreite hatte den Eindruck, dass wesentlich mehr dahinter steckte. Die ganze Sache war zu einfach zu durchschauen und der finstere Blick von Frau Verhüter bei der Erwähnung von Dimbelherr und die auffallend abwesende Bekundung von Trauer, als die Vampirin die Nachricht vom Tod des Gemeindemitglieds überbrachte, veranlasste sie, weitere Personen zu befragen.
Kurze Zeit später stand sie in dem kleinen, einfach eingerichteten Büro von Ignatz Böse. Die Wächterin hatte die Augen verdreht, als sie das Türschild gelesen hatte und den Mann direkt von der Liste der Verdächtigen gestrichen. Nach dem Gespräch mit dem kleinen Mann hatte sie jedoch beschlossen, ihn zumindest für eine Nachnominierung vorzumerken.
Böse war der stellvertretende Gemeindevorsteher und begrüßte nur widerwillig eine Untote. Er antwortete einsilbig auf die Fragen der Wächterin und ließ sie schließlich wissen, dass er sehr beschäftigt wäre und sich jetzt auch noch um einen Todesfall in der Gemeinde zu kümmern habe. Die Oberstgefreite sollte sich an einen der Priester wenden, wenn sie denn unbedingt noch mehr
Staub aufwirbeln müsse. Der stellvertretende Vorsteher rief einen groß gewachsenen Mann in das Zimmer, der in einer glatten, grauen Robe gekleidet herein kam und sich vor Ignatz Böse verneigte. Böse erklärte kurz angebunden Bredas Anliegen und winkte Priester und Wächterin hinaus.
"Leider hatte das Ansehen von Ert Dimbelherr vor kurzem stark gelitten", erklärte Dominik Triller. "Er hatte während einer von ihm organisierten Squamazwa-Feier im Offler-Tempel etwas getan, das die... konservativeren Mitglieder unserer Gemeinde als
Abscheulichkeit ansehen würden." Breda sah den Mann aufmerksam an. Dieser seufzte. "Wissen sie, bei einer solchen Feier kann nicht immer alles glatt gehen. Niemand weiß das besser als die Anhänger von Tagesordnung." Die Vampirin nickte verständnisvoll. Der Priester fuhr fort.
"Es gibt immer viel zu tun. Man muss dekorieren, Einladungen organisieren, die Tische stellen- Da kann es schon mal vorkommen, dass etwas daneben geht." Wieder nickte Breda und hoffte, dass ihr Gegenüber endlich zum Punkt käme.
"Jedenfalls geschah es beim Aufbauen des Buffet, dass einer der Tische angestoßen wurde und die aufgebauten Speisen ins Wanken kamen und-", Dominik Triller stockte ein weiteres Mal, fuhr dann aber fort, "Herr Dimbelherr hatte keine Möglichkeit, so schnell für Ersatz zu sorgen und es waren viele Gäste eingeladen, die jeden Augenblick eintreffen würden. So kam es, dass er in der Not eine der Geringen Abscheulichkeiten beging:
Das Servieren der unerkannten Bodenwurst ." Breda nickte noch immer freundlich und wartete auf die grauenhafte Erklärung des angekündigten Frevels, bis sie schließlich erkannte, dass der Priester seine Ausführung beendet hatte. Schon einige Zeit nicht mehr auf Nahrung angewiesen dauerte es ein paar Sekunden, bis die soeben gelieferte Information vollständig verarbeitet worden war. Die Vampirin verzog das Gesicht.
"Oh", machte sie und fügte hinzu: "Das ist ja ähm grauenhaft." Dominik Triller überlegte kurz.
"Nur wenige in unserer Gemeinde wenden die Regel von Tagesordnung so eng an, dass
Das Servieren der unerkannten Bodenwurst einen bestrafungswürdigen Frevel darstellt." Breda dachte an den finsteren Blick von Frau Verhüter.
"Aber die, die es tun würden
die unbekannte Wurst mit einem Todesurteil belegen?", fragte die Oberstgefreite. Der Priester seufzte.
"Ich fürchte, es gibt tatsächlich Jemanden, dem das zuzutrauen wäre."
Eine Stunde später stand Breda Krulock in der Halle des Tempels der Geringen Götter und sah den beiden Trollen hinterher, die in ihrer Mitte den Priester Holder Kranz zum Wachhaus führten. Es waren nur wenige Fragen von Triller und der Wächterin nötig gewesen, um den Mann zu einem Geständnis zu bringen. Er hatte heute Morgen kurz vor der Ankunft des Gespanns von Ert Dimbelherr die Vorfahrtbestimmungsanlage manipuliert, um diesem so die gerechte Strafe für seine Abscheulichkeit widerfahren zu lassen. Die Wächterin schüttelte den Kopf.
"Unglaublich", murmelte sie. "Ein Mord, nur weil eine Wurst auf den Boden gefallen ist."
"So sind diese Leute eben. Man kann kein logisches Denken voraussetzen, sobald ein Gott im Spiel ist", sagte eine Stimme hinter ihr. Die Oberstgefreite drehte sich erschrocken um. Hinter einer Säule trat ein kleiner Mann hervor. Er trug einen dunklen, dreckigen Mantel, der ihm zu kurz war und einen breitkrempigen Hut. Er sah aus, als sollte er auf einem Feld stehen und Vögel verjagen, um das Saatgut zu schützen. In einem Tempel schien er jedenfalls wenig verloren zu haben.
"Sie werden es vielleicht noch verstehen, bevor die Sache zu Ende ist", der Mund unter der spitzen Nase verzog sich zu einem spöttischen Grinsen. "So sind diese Leute eben."
Araghast gab den Bericht an Hatscha zurück.
"Die Anhänger eines Gottes für mittelmäßiges Eventmanagement", resümierte der Hauptfeldwebel.
"Mäßig gelungenes Eventmanagement", korrigierte seine Stellvertreterin und handelte sich damit einen eiskalten Blick ein.
"Wie hat diese Gruppe Kontakt zu den Zauberern bekommen und einen von ihnen überredet, diesen Priester in den Tod zu treiben?", murmelte Araghast in der Zelle. Plötzlich schnippte er mit den Fingern. "Das ist es!", er stieg über die Leiche, stellte sich auf die Zehenspitzen und sah aus dem kleinen Fenster hinaus auf den Innenhof des Wachhauses.
"Eines der Gemeindemitglieder hat ein Fest in der Universität organisiert. Eine Abschlussfeier oder ein Weihnachtsbankett oder eines der Abendessen. Dabei hat er oder sie einen Zauberer kennen gelernt und irgendwie dazu gebracht, heute Nacht über die Mauer in den Hof zu klettern und durch das Fenster den Priester mental so zu beeinflussen, dass der sich selber richtete. Die Frage ist nur: Wurde der Zauberer mit irgendeiner Pikanterie, die dem Gemeindemitglied bekannt war, erpresst oder hat er freiwillig mitgemacht?", der Hauptfeldwebel wandte sich um und sah eine eher skeptisch wirkende Hatscha Al Nasa vor den Gitterstäben der Zelle stehen.
"Ich denke, er konnte nur einfach nicht damit leben, einen anderen Menschen umgebracht zu haben", erklärte sie. Araghast nickte.
"Du gehst zur Gemeinde des Priesters und findest heraus, was er für ein Typ war und was die Regeln von- Tagesordnung über Selbstmord sagen."
"Und wohin gehst du?", fragte Hatscha.
"Zur Unsichtbaren Universität!"
Korporal Al Nasa machte sich auf den Weg zum Tempel der Geringen Götter, nachdem der Hauptfeldwebel voller Elan aufgebrochen war, um die Zauberer der Unsichtbaren Universität aufzusuchen. Sie musste herausfinden, was die Glaubensansichten der Anhänger von Tagesordnung über Selbstmord waren. Schließlich war es möglich, dass durch irgendeine verrückte Prophezeiung Jeder, der einen Frevler umbrachte, innerhalb von 24 Stunden den Strick nehmen musste, um - Hatscha überlegte, während die die Treppen des Tempels zum großen Eingangsportal hochstieg - in
das Paradies anstandslos ineinander greifender Programmpunkte und pünktlich zahlender Auftraggeber zu kommen. Die Zuständigkeit der Dienststelle für Glaubensgemeinschaften und Sekten hatte zur Folge, dass die Wächterin sich mittlerweile wesentlich besser darin verstand, sich solchen Unsinn auszudenken, als ihr lieb war. Sie betrat den großen Kapellenraum der Gemeinde und sah eine Frau mittleren Alters, die in Beige-Tönen gekleidet gerade die Kerzen eines eher unauffälligen Schreins austauschte. Sich an den Krulock'schen Bericht vom Vortag erinnernd ging Hatscha auf die Frau zu.
"Frau Irma Verhüter?", fragte sie auf Gut Glück. Die Angesprochene hielt inne und sah auf.
"Noch ein Wächter?", sie schüttelte den Kopf. "Ich hoffe, du bringst nicht auch noch eine Todesnachricht. Ein weiteres Begräbnis würde meinen Kalender endgültig durcheinander bringen und ich müsste die Planung des Initiationsritus bei den Hackenbrechern abgeben." Hatscha setzte zu einer Frage über die Sitten der Hackenbrecher an, als ihr einfiel, dass sie tatsächlich eine weitere Todesnachricht brachte. Sie beschloss, Frau Verhüter das Terminchaos zunächst zu ersparen und fragte sie, wo der Gemeindevorsteher zu finden sei.
"Herr Krill befindet sich in seinem Büro", antwortete eine tiefe Stimme. Ein dürrer Priester trat hinter dem Schrein hervor. Seine hellgraue Robe wallte träge um ihn herum. Außerdem trug er ein Klemmbrett unter dem Arm.
"Wir bereiten gerade die Bestattung von Bruder Dimbelherr vor. Trotz seiner Verfehlungen verdient er eine anständig organisierte und durchgeplante Zeremonie", erklärte er. Er tat einen schnellen Schritt auf die Wächterin zu. "Mein Name ist Dominik Triller, ich bin einer der Priester dieser Gemeinde", er schüttelte ihre Hand. "Vater Krill ist sehr betroffen vom Tod unseres Gemeindemitglieds. Er befindet sich in seinem Büro", er deutete in die Richtung eines Flurs mit mehreren Türen.
Der Gemeindevorsteher Franz Krill erwies sich als ein freundlicher, älterer Herr mit hellen Augen und einem fröhlichem Gesicht, das sich jedoch sofort verfinsterte, als Hatscha vom Tod des Holder Kranz' berichtete. Überrascht lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und begann schwer zu atmen.
"Das ist ja furchtbar", ächzte er. "Erst die schreckliche Sache mit Ert gestern und jetzt das."
"Sie können sich nicht denken, warum ihr Mitarbeiter sich erhängt haben könnte?", fragte die Wächterin. Der Gemeindevorsteher schluckte.
"Holder war ein strenger Verteidiger der Lehren des Tagesordnung", erklärte er. "Doch obwohl er in seiner Verblendung die Bestrafung für eine der Geringen Abscheulichkeiten viel zu hoch angesetzt hat, war er ein guter Mensch", Krill sah auf seine Hände herab. "Ich könnte mir vorstellen, dass er mit der Schuld des Mordes nicht leben konnte und seinem Leben deswegen ein Ende gemacht hat." Hatscha musste sich zusammenreißen, um nicht diesem traurigen Mann gegenüber sitzend ein triumphierendes Grinsen zu zeigen.
"Herr Krill, es tut mir sehr leid, dass sie gleich zwei solcher Schicksalsschläge treffen", sagte sie stattdessen. Der Gemeindevorsteher räusperte sich und sah auf.
"So sind die Wege des Tagesordnung.
Viele Dinge können ungeplant verlaufen. Jedoch das Fest muss weitergehen ", zitierte er und erhob sich. "Vielen Dank für die persönliche Benachrichtigung, Frau Al Nasa", sagte er und gab der Wächterin die Hand. Hatscha verließ das Büro wandte sich zum Gehen, als die Tür ihr gegenüber einen Spalt geöffnet wurde. Ein kleiner, gebückt stehender Mann mit dunklen Augenringen spähte heraus.
"Wenn ich sie einen Augenblick herein bitten dürfte", sagte er. Die Wächterin blickte kurz auf das Türschild
Ignatz Böse und nickte dann. Der stellvertretende Vorsteher öffnete die Tür ganz und ließ sie eintreten. Der Mann schloss die Tür und hinkte langsam zu seinem Schreibtisch, wo eine Kerzenleuchter ein unruhiges Licht in dem mit Vorhängen verdunkeltem Raum erzeugte.
"Es geht nur um die Formalitäten", erklärte er mit ächzender Stimme und setzte sich. "Normalerweise würde ich nicht auf diese Papierarbeit bestehen, aber in diesem Fall ist es wohl besser, wenn alle Dokumente und Listen zusammen sind." Hatscha sah ihn verständnislos an.
"Wovon reden sie?", fragte die Wächterin. Der Mann sah überrascht auf.
"Von den Aufzeichnungen der Kunstgegenstände und historischer Dokumente, die Herr Dimbelherr besaß", antwortete er. "Ich dachte, deswegen wären sie hier: Um die Liste seiner Besitztümer zu bringen, die er bei der Anwaltsgilde hinterlegt hatte." Er nahm eine Schreibfeder in die knöchrigen Finger.
"Das muss ein Missverständnis sein", sagte die Hatscha. "Ich habe keine Liste."
"Das ist bedauerlich", seufzte Herr Böse. "Ert war ein Liebhaber seltener Stücke aus der Frühgeschichte geplanter Veranstaltungen. Sein ganzes Haus ist voller Dokumente mit Programmabläufen früh-quirmianischer Diskussionsabende, Protokollen alt-klatschianischer Dünenarbeiter-Sitzungen und Speisekarten von aristokratischen Banketten aller Perioden. Man könnte sagen, er war einem
Sammelwahn verfallen", der Mann holte tief Luft. "Die Gemeinde wäre natürlich sehr interessiert an der Liste dieser für uns ungemein relevanten Schriftstücke." Hatschas Gedanken rasten durch eine Vielzahl von neuen Theorien. Scheinbar war der Fall doch noch nicht reif dafür, im Archiv zu landen. Sie erklärte noch einmal, dass sie keine solche Liste besaß und verabschiedete sich, um danach so schnell wie möglich ins Wachhaus zurück zu kehren.
Araghast Breguyar klopfte mit der flachen Hand auf seinen Ärmel. Das war die letzte kokelnde Stelle, die er entdeckt hatte, doch die Uniform hatte in den letzten Minuten immer wieder an verschiedenen Stellen Feuer gefangen. Die Zauberer waren nicht sehr erfreut gewesen über Fragen, die ihre Partizipation an einem oder mehrere Morde implizierte. Der Hauptfeldwebel verstand noch immer nicht, wie sie sich seiner absolut schlüssigen Argumentation so verschließen konnten. Er betrat die Eingangshalle des Wachhauses, in der ihn ein Rekrut am Tresen salutierend begrüßte. Fahrig winkte der Abteilungsleiter ab, woraufhin der hagere Mann enttäuscht die Hand sinken ließ und sich wieder der Lektüre des Tresenbuchs zuwandte, welches vor ihm lag. Araghast wollte sich gerade auf den Weg zu Hatscha Al Nasas Büro machen, als seine Stellvertreterin hinter ihm das Wachhaus betrat und ohne Erfolg beim Anblick seiner Uniform ein Grinsen zu vermeiden versuchte. Schnell wurde sie jedoch wieder ernst.
"Irgendwelche Ergebnisse in der Universität, Herr Hauptfeldwebel?", fragte sie mit steinerner Mine. Der Angesprochene knurrte leise und klopfte einen kleinen Schwelbrand am Schoss seiner Uniform-Jacke aus.
"Es ist leichter, einen
Hühnerdieb im Fuchsbau zu finden, als in der Unsichtbaren Universität eine ordentliche Antwort zu bekommen", antwortete er dann, woraufhin der Rekrut am Tresen leise kicherte. Der Blick des Hauptfeldwebels ließ ihn jedoch schnell verstummen. Schizzel Schattig hatte seine eigenen Erfahrungen mit den Zauberern gemacht, er hielt es jedoch für besser, derzeit keinen weiteren Beitrag zu diesem Thema zu leisten. Hatscha sah ihren Vorgesetzten skeptisch an.
"Das scheint mir eine sehr konstruierte Analogie zu sein", erklärte sie. Araghast brummte.
"Und wenn schon. Kannst mich ja anzeigen", antwortete der Hauptfeldwebel. "Und was haben deine Untersuchungen ergeben?" Seine Vertreterin grinste.
"Neben der Tatsache, dass Herr Krill der Meinung ist, dass Kranz sich aufgrund von Selbstvorwürfen wegen des Mordes erhängt hat", sie legte hier eine kleine, selbstgefällige Pause ein. "Stieß ich zudem auf die Information, dass das erste Opfer eine ungemein interessante Sammlung historischer Dokumente besessen hat. Ein Sammlung, für die der stellvertretende Gemeindevorsteher seinen rechten Arm geben würde."
"Was hätte der Mann davon, sein Gemeindemitglied umzubringen? Gibt es ein Testament?", wollte der Hauptfeldwebel wissen. Grinsend sah Hatscha ihn an.
"Ich habe bereits Nachricht an die Gilde der Notare und Anwälte geschickt. Ich erwarte jeden Moment einen Boten, der durch diese Tür kommt", sie deutete auf die Eingangstüren des Wachhauses, "und uns genau diese Information gibt. Und wenn ich die Wachearbeit richtig verstanden habe, wird das Testament gerade vor ein paar Tagen durch Herrn Dimbelherr geändert worden sein, so dass die Gemeinde des Tagesordnung zum alleinigen Erben seiner gesamten Sammlung wertvoller Dokumente wurde." Korporal und Hauptfeldwebel richteten drei aufmerksame Augen auf die Türen. Einige Sekunden vergingen. Dann vergingen einige weitere Sekunden. Nichts geschah. Der Rekrut am Tresen runzelte die Stirn und sah in die Richtung der Türen. Der herbstliche Wind rüttelte ein wenig an den Türen, die drei zuckten zusammen.
"Oh!", machte Schizzel Schattig plötzlich. "Das hätte ich beinahe vergessen. Diese Nachricht ist vorhin für sie abgegeben worden, Korporal", er reichte ein Pergament über den Tresen, das mit dem großen Siegel der Anwaltsgilde versehen war. Ungeduldig riss Hatscha es ihm aus der Hand und brach das Siegel.
"Ich bereite alles für die Festnahme vor", erklärte der Abteilungsleiter, während seine Vertreterin las. "Ein kleines FROG-Team wird reichen, um die Gemeindeleitung auszuheben." Hatscha schüttelte den Kopf.
"Es gibt kein Testament", erklärte sie. "Jedenfalls keins, das uns weiterhelfen würde. Das Dokument bei der Anwaltsgilde besagt lediglich, dass Dimbelherr volles Mitglied der Gemeinde des Tagesordnung war. Die Notare wissen selbst nicht genau, was das bedeutet, die Gemeinde ist erst seit kurzem in der Stadt organisiert."
"Und wir haben keinen Experten für Bruderschaften und Bündnisse", knurrte Breguyar. Hatscha überlegte kurz.
"Nun, wir hätten Br-"
"Geht es um den toten Priester?", fragte Rekrut Schattig dazwischen. Irritiert aufgrund der Unterbrechung durch einen Untergebenen sah die stellvertretende Abteilungsleiterin den angehenden Wächter an. "Ich frage, weil ich gerade im Tresenbuch gelesen habe, dass er gestern noch Besuch von einem anderen Priester hatte", er tippte auf eine Stelle der aufgeschlagenen Seite vor sich.
"Wie sah der Priester aus?", Araghast griff nach dem Buch und drehte es um.
"Da steht nur
Zelle 1: Gespräch des Insassen mit anwesendem Priester. ", erklärte der Rekrut.
"Immerhin wissen wir, dass es sich nicht um einen
nicht anwesenden Priester gehandelt hat", grinste Hatscha mit einem Blick auf die angekokelte Uniform ihres Vorgesetzten.
"Wer hatte gestern Nacht Tresendienst?", der Hauptfeldwebel blätterte hastig zurück. Schizzel verdrehte den Kopf und las.
"Der wurde heute Morgen entlassen", sagte er.
"Dann müssen wir seine Adresse herausfinden. Er könnte Herrn Böse identifizieren."
"Das dürfte unmöglich sein", Rekrut Schattig sah ihn traurig an. "Er wurde entlassen, weil ihm während einer Streife ein umfallender Reissack auf den Kopf gefallen ist."
"Ihm ist ein umfallender Sack Reis auf den Kopf gefallen?", fragte Hatscha.
"Der Sack fiel aus dem dritten Stock eines Lagerhauses. Traurige Geschichte", Schizzel zuckte mit den Schultern.
"Das ist merkwürdig", murmelte Araghast, der noch einmal zurück geblättert hatte. "Hier steht zwar, dass Holder Kranz mit einem Priester sprach, jedoch ist keine Zeit vermerkt, wann der Besucher ging."
"Das könnte eine Nachlässigkeit des Diensthabenden gewesen sein", erklärte seine Vertreterin mit einem Blick auf den Rekruten auf der anderen Seite des Tresens. Sie war lange genug Ausbilderin gewesen, um zu wissen, dass die Nachtschicht ab einem gewissen Zeitpunkt - dem Zeitpunkt, zu dem der begleitende Ausbilder sich schlafen legte - etwas nachlässig bei der Dokumentation der nächtlichen Vorgänge wurde. "Oder der Besucher löste sich auf und entschwand auf
magische Weise", fügte sie spitz hinzu. Araghast stöhnte.
"Oh nein", entfuhr es ihm. "Ich fürchte, ich weiß, wer der Priester ist."
"Vielleicht versuchst du es einfach mal", brummte Goldie resignierend und stieg die klapprige, windschiefe Außentreppe des Boucherie Rouge hinab. Kurze Zeit später mussten die Nachbarn des Etablissements feststellen, wie viel Schaden eine strohgefüllte Stofftaube bei ausreichender Beschleunigung anrichten konnte und der Abteilungsleiter der Dienststelle sah sich gezwungen, seinen Kommunikationsexperten in Ausbildung eine läuternde Aufgabe zu übertragen, um die Rachegelüste von Herrn Bratlustig zu besänftigen.
"Wir sind auf gute nachbarschaftliche Beziehungen angewiesen", erklärte der Hauptfeldwebel. "Herr Bratlustig hat in der Einführungsphase der Anlage viel ertragen müssen und wir hatten ihm versichert, dass der Versionswechsel auf die verbesserte Taubenkommunikations-Anlage mit keinerlei Auswirkungen für ihn oder sein Haus verbunden wäre", Araghast Breguyar sah Bruder Laudes scharf an. "Nach diesem Vorfall wäre es also besser, wenn du einige Zeit im Wachhaus am Pseudopolisplatz verbringst. Möglichst außerhalb des Sichtfeldes der Bürger", fügte er hinzu, um die Möglichkeit des Tresendienstes direkt auszuschließen. "Vorletzte Woche wurden einige Herrschaften in den Isolationszellen des Wachhauses festgesetzt, die ihre Freilassung mit einen Gelage reannuellem Weins feierten", der Hauptfeldwebel schüttelte sich. "Melde dich dort und sorge dafür, dass die vorzeitig aufgetretenen Spuren dieser Feier aus den Zellen verschwinden. Ich will dich hier nicht wieder sehen, bevor nicht auch der letzte Fleck verschwunden ist. Und wenn du Tag und Nacht arbeitest."
Hatscha sah ihren Vorgesetzten überrascht an.
"Laudes war unten im Zellentrakt?", fragte sie.
"Das liegt im Bereich des Möglichen", antwortete Araghast.
"Im Zellentrakt, wo sich zur selben Zeit ein anderer Priester aufgehängt hat?", Korporal Al Nasa folgte dem Hauptfeldwebel zur Treppe, die ins Untergeschoß führte. "Das ist unschön, wenn man bedenkt, dass er derjenige ist, der im Moment in der Dienststelle die meiste Ahnung von Bruderschaften und religiösen Gemeinschaften hat."
"Es ist wesentlich mehr als unschön, Korporal", erklärte der Hauptfeldwebel, als sie die Treppe herunterstiegen. "Wenn ich daran denke, was Leutnant Lanfear mir von ihrem ehemaligen Rekruten erzählt hat, als ich in die Abteilung kam." Die beiden erreichten den unteren Absatz der Treppe und standen am Eingang des Zellentrakts. Hatscha sah ihren Vorgesetzten neugierig an.
"Was hat Irina gesagt?", fragte sie.
"Sie hat sich eingehend mit unserem Bruder und seiner Anwesenheit in der Wache beschäftigt", antwortete Breguyar und schien in den Gang zu lauschen. "Ich hatte bisher nicht daran gedacht, doch durch die Erkenntnisse der letzten Minuten ist die Anwesenheit unseres zukünftigen Kommunikationsexperten hier unten nicht nur unschön, sondern auch äußerst
kompromittierend ", er trat entschlossen an die Tür einer der Isolierzellen. "Rate mal, wessen Gemeinde bis vor kurzem die Kapelle nutzte, in der nun der großartige und allmächtige Tagesordnung verehrt wird. Bruder Laudes!", rief er aus, als er die Tür schwunghaft aufriss. Im trüben Licht schreckte der so Angesprochene von einer äußerst unsauberen Arbeit auf.
"Du bleibst also dabei: Du hast gestern Abend den Zellentrakt verlassen und hast heute Nacht nicht mit Holder Kranz in der Zelle gegenüber gesprochen", wiederholte Araghast. Bruder Laudes nickte.
"Ähm", machte er, "Also, sollte es darum gehen, dass ich Tag und Nacht ähm arbeiten sollte. Also, es ist so. Sagt doch Oberbruder Antiphon: Der solle ruhen, der da müde sei. Auf dass er künden kann die Worte des Seramis alsbald er aufgestanden und erholt sei. Ähm."
"Ich bin sicher, das sagt er", brummte der Hauptfeldwebel. "Du hast also nicht mit Holder Kranz gesprochen", bohrte er nach.
"Nicht heute Nacht", antwortete er. "Natürlich haben wir ein paar Worte gewechselt, als ich im Zellentrakt beschäftigt war." Hatscha und Araghast sahen ihn plötzlich sehr aufmerksam an. "Ich ließ die Tür der Isolierzelle offen stehen, so dass wir ähm Gelegenheit hatten, unsere Ansichten in religiösen Fragen auszutauschen", fuhr der Priester schnell fort. "Bruder Kranz war etwas ähm radikal in der Auslegung der Schrift, die er
Buch des Tagesordnung nannte", er hüstelte. "Die Gemeinde hat einige sehr merkwürdige Ansichten."
"Zum Beispiel?", fragte Hatscha.
"Oh ähm", versuchte der Gefreite sich zu erinnern, "Es erscheint ihnen eine Freude zu sein, sich mit lediglich mäßig gelungenen Veranstaltungen zufrieden zu geben. Wohingegen sie sich doch ebenso den stets scheinenden Strahlen des Seramis zuwenden kön-"
"Ja, ja", unterbrach Araghast. "Was hast du noch von ihm erfahren?"
"Nicht sehr viel. Er schien mir sehr aufgeregt und besorgt zu sein", Laudes überlegte kurz. "Seine größte Sorge war, dass seine Besitztümer nicht verloren gehen." Der Hauptfeldwebel stutzte.
"Warum das?"
"Nun, im Gegensatz zu denen, die da Seramis ähm folgen auf sonnigen, nur selten von Wolken verdunkelten Pfaden und Lehren von Fröhlichkeit und ähm Eigenverantwortung verbreiten, die da einen Jeden erreichen und erfüllen sollen, damit sie von da an-"
"
Warum war Kranz besorgt um seine Besitztümer?", fragte der Hauptfeldwebel scharf.
"Ähm ja. Also. Während die Priester des Seramis bereits beim Eintritt in den Orden all ihren Besitz der Gemeinde überlassen, werden die der Gläubigen des ähm Tagesordnung erst bei deren Tod an die Gemeinde überschrieben", der Priester sah zwischen seinen beiden Vorgesetzten hin und her. "Aber sicher haben sie das bereits gewusst."
"Warum habt ihr überhaupt darüber gesprochen?", fragte Hatscha, die letzte Äußerung des Gefreiten ignorierend. Bruder Laudes griff in eine Falte seiner Tracht und zog ein kleines Büchlein heraus.
"Er wollte wohl sicher gehen, dass ich sein Tagebuch tatsächlich zu seinem ähm Gemeindevorsteher bringe", vermutete er. Während Araghast leise stöhnte, griff seine Vertreterin nach dem Tagebuch.
"Hier ist es zu dunkel, es zu lesen", stellte sie fest. "Wir sollten nach oben gehen."
"Du hast gehört, was er getan hat", sagte der Mann vor ihm. "Ein solches Sakrileg darf nicht ungesühnt bleiben." Holder Kranz nickte.
"Es- es ist unfassbar, dass er dies getan", die Hände des Priesters zitterten vor Wut.
" Das Servieren der unerkannten Bodenwurst ", flüsterte sein Gegenüber. "Wie oft wurde es schon als Geringe Abscheulichkeit bezeichnet. Dabei wissen wir doch, dass es eine der größten Sünde ist." Wieder nickte Kranz. Zornig sah er den Mann vor sich an.
"Wa- was sollen wir tun?", fragte er.
"Nicht wir. Du. Du musst wieder gut machen, was Ert Dimbelherr angerichtet hat", der Mann legte die Handflächen aneinander. "Doch du musst vorsichtig sein. Du musst geschickt vorgehen. Es darf nicht auf unsere Gemeinde zurück zu führen sein. Tagesordnung wird auch so wissen, dass wir seinen Gesetzen zum Recht verholfen haben." Holder Kranz verneigte sich.
Eine halbe Stunde später saßen die drei in Hatschas Büro. Hatscha schlug die letzte Seite der Aufzeichnungen des toten Priesters zu.
"Das hat uns nicht viel weiter gebracht", resümierte sie. "Kranz hatte die Tat längst gestanden. Und wer ihn angestachelt hat, schreibt er nicht." Araghast schüttelte den Kopf.
"Wenigstens wissen wir, dass noch Jemand dahinter steckt", sagte er. "Nur: Wie finden wir heraus, wer Kranz zum Mord an Dimbelherr gebracht hat? Noch dazu auf so schlampige Art. Breda hatte wenig Mühe, ihn zu erwischen."
"Ich denke, das war der Plan", vermutete Hatscha. Hauptfeldwebel Breguyar überlegte kurz und nickte dann.
"Ein Mitglied der Gemeinde mit einer Sammlung wertvoller Dokumente", stellte er fest.
"Eine Sammlung, die beim Tod des Manns an die Gemeinde übergeht", ergänzte Hatscha.
"Dann begeht er in den Augen der Anhänger des Tagesordnung eine Abscheulichkeit", fuhr Araghast fort. Seine Vertreterin kombinierte weiter.
"Jemand in der Gemeinde verführt einen engagierten Priester dazu, den Mann deswegen umzubringen."
"Doch der soll es unauffällig tun, damit die Übergabe der Dokumente an die Gemeinde nicht gefährdet wird", Araghast tippte auf das Tagebuch auf dem Tisch. "Doch der Priester eines Gottes für mittelmäßiges Event-Management ist kein kriminelles Genie, das ist dem Anstifter klar. Breda hat also keine Mühe, Kranz zu überführen."
"Dann begeht der Täter Selbstmord und der Mord wäre nicht auf die Gemeinde zurück zu führen gewesen, hätte der Priester sich nicht vor seinem Tod an die Regel erinnert, dass alles, was er besitzt, der Gemeinde gehört", Hatscha nickte.
"Was uns zum eigentlichen Problem zurückführt: Wie finden wir heraus, wer Holder Kranz zum Mord an Ert Dimbelherr gebracht hat?"
"Ähm", machte es von der rückwärtigen Wand des Büros, wo Laudes aufmerksam die dort hängenden Geweihe betrachtet hatte. "Vielleicht könnte uns der Pater helfen, der Bruder Kranz gestern Nach besucht hatte." Breguyar und Al Nasa sahen sich kurz an.
"Von wem redest du, Bruder Laudes?", fragte Hatscha langsam. Der Priester sah sie freundlich an.
"Ähm", er trat auf sie zu. "Also, ich dachte ich hätte es ähm erwähnt. Als ich gestern Abend den Zellentrakt verließ, kam mir ein ähm weiterer Anhänger des Tagesordnung entgegen. Ich dachte, weiterer Beistand könnte Bruder Kranz gut tun und habe ihn daher nicht ähm aufgehalten."
"Wie", Hauptfeldwebel Breguyar sprach betont ruhig und Bruder Laudes war in der Lage, die beunruhigend großen Eckzähne zu übersehen. Hatscha hätte sich, wenn sie davon gewusst hätte, eine ähnliche Gabe gewünscht. "sah der Priester aus?"
Der Priester des Tagesordnung, Gott mäßig gelungenen Event-Managements, kramte in einer kleinen Truhe, die hauptsächlich beige Roben enthielt, herum. Er hatte bereits die Schubladen des Schranks in der Ecke des Zimmers auf dem Boden verteilt und versuchte jetzt, die Matratze des schmalen Betts zur Seite zu schieben. Irgendwo hier musste es sein. Er konnte nicht zulassen, dass es Jemand fand. Und schließlich gehörte es rein rechtlich sowieso ihm. Mit einem leisen Stöhnen drückte er die Matratze weiter vom Lattenrost und griff darunter. Hier
musste es sein.
"Suchst du etwas Bestimmtes, Vater?", fragte Araghast Breguyar. Vater Franz Krill drehte sich erschrocken um, noch immer den Arm unter der Matratze. Der Hauptfeldwebel stand mit Hatscha Al Nasa, Bruder Laudes und dem stellvertretenden Gemeindevorsteher Ignatz Böse vor der engen Tür des kleinen Raums, den der Vorsteher der Gemeinde des Tagesordnung, Gott mäßig gelungenen Event-Managements, bis gerade durchsucht hatte. Der dicke Mann richtete sich auf.
"Was wollt ihr hier?", wollte er wissen.
"Ihr hattet einen wirklich guten Plan, nicht wahr?", begann Araghast. "Um an die wertvollen Besitztümer deines Gemeindemitglieds zu kommen, hetzt du einen deiner Priester auf, von dem du weißt, dass er leicht zu beeinflussen ist. Schließlich kennst du die Sünden und kleineren Abscheulichkeiten deiner Gemeindemitglieder, sie kommen zu dir, um sie zu beichten." Vater Krill stand mühsam auf, sah von Einem zum Anderen. Hatscha beobachtete ihn aufmerksam, Bruder Laudes schien sich verzagt hinter Ignatz Böse zurückziehen zu wollen. Der stellvertretende Gemeindevorsteher hatte die Augen geschlossen und stand ruhig im Türrahmen.
"Wie kommst du dazu, so etwas zu- ?", brauste er auf. Seine ehemals freundlichen Augen funkelten den Wächter eng zusammengekniffen an.
"Natürlich ist dir klar, dass euer Priester keinen Mord begehen kann, ohne dabei erwischt zu werden. Doch das ist dir egal, solange es nicht auf dich zurück geführt werden kann", das Auge des Abteilungsleiters warf einen scharfen Blick auf den Mann vor ihm. Der alte Priester schluckte. "Und hier wird dein Plan wahrlich teuflisch. Du weißt, dass Bruder Kranz in Selbstvorwürfen versinken wird. Doch als er so schnell, noch am selben Tag, gefasst wird, musst du zu massiven Mitteln greifen."
"Ich habe nichts getan!", Franz Krill schwankte und ließ sich zitternd auf das Lattenrost sinken. Seine Hände zitterten, er versteckte sie in den Falten seiner Robe.
"Oh doch, das hast du, Vater", Araghast sah zu Ignatz Böse, der die Szene schweigend beobachtete und nicht erkennen ließ, was in ihm vorging. "Du hattest schon vorher mit deinem Stellvertreter darüber gesprochen, welcher deiner Priester der eifrigste im Glauben sei. Und welcher am schwächsten in Geist und Kraft", der Hauptfeldwebel verzog das Gesicht. "Allerdings hast du diese Gespräche unter dem Vorwand geführt, diesen schwächeren Brüdern besonders helfen zu wollen auf ihrem Weg zu Tagesordnung", der Wächter trat einen weiteren Schritt in das dunkle Zimmer. "Doch als Holder Kranz in einer Zelle der Stadtwache saß, musstest du schnell handeln. Du konntest nicht riskieren, dass er dich verrät und so hast du ihn gestern Nacht in seiner Zelle besucht. Du hast ihm", der Abteilungsleiter konnte einen Blick in Hatschas Richtung nicht unterdrücken, "eingeflüstert, dass er seine Schuld wieder gut machen muss. Dass er allein am Tod von Ert Dimbelherr Schuld sei. Dass er ein genommenes Leben mit einem gegebenen Leben ausgleichen müsse", der Halb-Vampir ging sehr langsam auf den sitzenden Mann zu. Lange Schatten fielen auf Franz Krill, der in ein nervöses Zittern verfallen war. Leise knurrend starrte er hoch zu dem Wächter über sich. "Und alles wäre gut gegangen, wenn du nicht gewusst hättest, dass Bruder Kranz wie jeder gute Anhänger des Tagesordnung seine täglichen Erlebnisse genau aufschrieb und den Ablauf des nächsten Tages genau dokumentierte", Araghast zog das Tagebuch des toten Priesters aus der Tasche und öffnete die Seite, auf der Holder Kranz den gestrigen Tag geplant hatte. 6.30 Uhr: Morgengebet, 7.00 Uhr Frühstück, 8.15 Uhr: Manipulation der Vorfahrtbestimmungsanlage, ca. 10.30 Uhr: Zwischenmahlzeit, und so weiter. Ein perfektes Tagesprogramm. Franz Krill stöhnte leise, als er es erkannte. Der ehemalige Püschologe lächelte.
"Dumm nur, dass Kranz dir dieses Dokument nicht mehr geben konnte. Du dachtest, es wäre irgendwo hier in seinem Zimmer versteckt. Der einzige Beweis, dass du hinter dem Mord an Ert Dimbelherr steckst", Araghast reichte das Tagebuch an Hatscha und beugte sich über den Gemeindevorsteher. "Doch Bruder Kranz hatte es kurz vor deinem Eintreffen einem anderen Priester gegeben. Deine Anwesenheit im Zellentrakt wäre nicht nötig gewesen. Kranz hatte längst beschlossen, seinem Leben ein Ende zu machen. Und seine letzte Sorge war, dass all sein Besitz bei dir landet. Wärst du ein wenig früher gekommen, hätte er dir das Tagebuch freiwillig gegeben. Und hättest du den Dingen ihren Lauf nehmen lassen-", der Hauptfeldwebel unterbrach sich und legte eine bleiche, kräftige Hand auf die Schulter des Mannes vor ihm, der heftig zusammenzuckte. "Hätten wir im Wachhaus nie einen Eintrag über deinen Besuch gefunden. Bruder Laudes hier hätte dir das Tagebuch gebracht und Niemand hätte dir jemals etwas nachweisen können." Frank Krill schluchzte.
"Und das alles für ein paar alte Dokumente über schlecht organisierte Dünenarbeiter-Treffen?", fragte Hatscha kopfschüttelnd.
"Nur mithilfe solcher Aufzeichnungen können wir lernen und es in Zukunft besser machen", erklärte Ignatz Böse leise hinter ihr. "Doch Ert Dimbelherrs Sammlung ist jetzt mit zuviel Leid verbunden. Wir werden sie nicht annehmen und müssen auf ihre Weisheit verzichten."
"Das ist-", sie überlegte, "wirklich bedauerlich."
"Kommen sie, Herr Krill", forderte Araghast. "Zufällig weiß ich, dass eine Zelle im Wachhaus heute Nacht frei geworden ist."
Ert Dimbelherr war tot. Gestorben wegen einer kleinen Verfehlung, die ein angestachelter Eiferer viel zu ernst nahm. Holder Kranz lag kalt und steif in der Pathologie. Erhängt aus Schuldgefühl für seine Tat. Franz Krill saß zitternd und schluchzend in einer feuchten, dunklen Zelle, in der noch immer ein kurzes Stück des Gürtels Holder Kranz' abgeschnitten am Gitter des hohen Fensters hing. Verdammt durch Gier und Hinterhältigkeit.
Ignatz Böse, neuer Vorsteher der Gemeinde des Tagesordnung, schloss die Augen. Er würde hart arbeiten müssen, um die Gemeinde nach diesen Schicksalsschlägen wieder auf den rechten Pfad zu bringen. Er sandte ein kurzes Gebet an den Gott mäßig gelungenem Event-Managements und beugte sich über ein Stück Pergament, um den Gottesdienst vorzubereiten.
Dominik Triller saß in seinem Zimmer. Er lächelte. Ein Verbrechen sollte möglichst in einem Verbrechen versteckt werden. Der Mord an Dimbelherr war ideal gewesen, um in sich die Gier des Franz Krill zu verbergen. Es hielt die Wache beschäftigt. Es machte sie glücklich, wenn sie hinter solche Dinge kamen und
den Richtigen fassten. Und es war richtig gewesen, Franz Krill zu überführen. Nicht, weil er gierig gewesen war. Dominik Triller, Dritter Priester im Tempel und Dekan-Anwärter, hatte es nie ertragen können, dass ein solcher Mann Vorsteher der Gemeinde hatte sein können. Jeder hatte gewusst, dass er sich selbst eine der Großen Abscheulichkeiten zuschulden hatte kommen lassen. Triller knirschte mit den Zähnen.
Das kurzfristige Absagen einer Feier aufgrund von Lieferschwierigkeiten der Caterer war nicht zu entschuldigen. Es verjährte nicht. Es musste bestraft werden.
Ein Verbrechen sollte möglichst in einem Verbrechen versteckt werden. Doch um wirklich davon zu kommen, musste man einen Plan schmieden, der die eigentliche Tat hinter
einer weiteren Tat verbarg. Die Gier des alten Vorstehers zu schüren, um ihn dazu zu bringen, Kranz auf Dimbelherr zu hetzen, würde den zu lange ungestraften Sünder endlich seinem gerechten Ende zuführen. Dominik Triller lächelte selbstgefällig in sich hinein. Er erging sich so sehr in diesen Gedanken, dass er nicht bemerkte, wie sich die Tür seines Zimmers öffnete und ein Mann in einem weiten Mantel und einem großen Hut leise in das Zimmer glitt.
Das Messer blitze nur kurz auf, dann fuhr es in die Seite des jungen Priesters. Ein ersticktes Gurgeln drang aus seiner Kehle, dann kippte er zur Seite. Der Mörder wich vor der sich schnell ausbreitenden Blutlache zurück.
"Dieser Ort ist das Blut gewohnt", murmelte Freund Beuteltasche, als er sich umwandte und die Kapelle verließ.
[2]
[1] http://www.stadtwache.net/phps/archiv.php?viewitem=414
[2] http://www.stadtwache.net/phps/archiv.php?viewitem=306
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