Eine Bande von Schmugglern plant einen großen Coup, kann SEALS ihn verhindern? Ein toter Mann bringt die Dinge ins Rollen ...
Dafür vergebene Note: 13
| Frühling in der Stadt; Heckbert in der Stadt; Krull, Heckbert und die liebe Technik; Heckbert und sein Partner; eine erfolglose Mission. | |
"Es genügt eben nicht, daß Technik gut funktioniert. Sie muß auch in die Welt passen."
Gero von Randow, dt. Wissenschafts-Journalist
Der Frühling begann mit einem Schmetterling. Er schlich sich nicht leise an. Er warf seine Schatten nicht voraus. Der Frühling war so überraschend gekommen wie ein Igor, der aus dem Schatten seines Meisters trat.
Leider hieß Frühling in Ankh-Morpork nicht, dass die Bäume trieben, die Blumen blühten und die Stadt überall ergrünte. Und doch verliehen schillernde Schmeißfliegen an schimmeligen Wänden, ölige Pfützen in Ankhnähe und bunte Haufen von stinkendem Unrat der Stadt die Farbvielfalt eines Regenbogens. Das Wetter war so gewöhnungsbedürftig, dass man erst nach vielen Jahren in Ankh-Morpork anfangen konnte, es
nicht zu hassen. Die meiste Zeit war es schwül-heiß. Doch alle paar Tage regnete es, oder besser: ergoss sich ein gigantischer Wasserfall über die Stadt. Ankh-Morpork nutzte wie eine eifrige Putzfrau jede dieser Gelegenheiten, ihren Frühjahrsputz fortzusetzen und den gesammelten Dreck des Jahres ... in den Ankh zu schwemmen. Es war, als kehrte man Staub unter einen Teppich.
Im Moment regnete es gerade mal nicht, also flog der Schmetterling taumelnd durch die aufgeheizten Gassen der Stadt. Es war sein erster Flug und es machte ihm sichtlich Spaß. Erschöpft ließ er sich schließlich auf dem Knie von Heckbert Tschelin nieder. Er klappte die Flügel langsam auf und zu, als wollte er sich in der Hitze des Tages kühle Luft zufächeln.
Heckbert trug ein vom Alter zerknittertes Gesicht und einen dunklen Ausgehanzug. Er saß auf einer Bank in einem der besseren Viertel der Stadt und schenkte dem Schmetterling keine Aufmerksamkeit. Er war erst seit ein paar Tagen in Ankh-Morpork, aber er hatte sich schnell eingelebt. Das bedeutete, dass er nur so viel Notiz von seiner Umgebung nahm wie nötig. Städte interessierten ihn nicht. Technik interessierte ihn. Und sein Partner interessierte ihn. Seinetwegen war er hier. Er schaute hinauf zu dem schlanken Turm, den jemand nachträglich auf das Dach eines zweistöckigen Hauses gesetzt hatte. Der Besitzer schien damit ausdrücken zu wollen: "
Ich bin auf die Zukunft vorbereitet. Und ihr?"
Ein Semafon 3030, dachte Heckbert.
Kaum jemand wusste, dass die meisten der benötigten Bauteile aus Krull stammten. Nicht die Paddel für die Signalübertragung, nicht die Backsteine, aus denen der Turm gebaut war. Nein, die Innereien. All die kleinen Rädchen, Hebel und Schalter, ohne die der Semaphor nur ein hässliches Stück Bauwerk wäre.
Interessanterweise waren viele der Konzepte, die moderne Semaphoren stetig verbesserten, bereits hunderte Jahre alt. Krulls Nähe zum Rand der Scheibenwelt hatte seit jeher die Phantasie der dort beheimateten Gelehrten, vor allem Astrozoologen, beflügelt. Der Ausspruch "über den Rand schauen" kam nicht zufällig aus Krull. Und während die Astrozoologen weiter nach Antworten auf die wichtigen Fragen des Multiversums suchten, entwickelten sie Gerätschaften, die sie zwar bei ihren Forschungen keinen Schritt weiter brachten, dafür aber im alltäglichen Gebrauch ziemlich nützlich sein konnten: hochelastische Seile, robuste Zahnräder, Zeitmesser, Thaummesser, Fischmesser ... Es gab viele Fische im Randmeer.
Heckbert hatte schon Dutzende von Semaphoren erbaut - im Geiste. Auf dem Reißbrett. Er war Theoretiker. Nachdenklich strich er sich durch den grauen Bart.
"Es kommen Menschen zu Schaden, Inhota", sagte Heckbert schließlich. Eine Pause folgte, in der seine Worte entschieden, ob sie dem Schmetterling galten oder dem Mann, der neben Heckbert auf der Bank saß.
Inhota Kyyneltyä war deutlich jünger als Heckbert, allerdings auch nicht mehr taufrisch. Sein dunkles Haar, von weißen Strähnen durchsetzt, verlieh ihm zusammen mit dem großen Schnauzer und den dichten Augenbrauen ein mürrisches Aussehen. Ein großer Regenschirm lehnte an seiner Seite, um ihn vor den fürchterlichen Regengüssen dieser Jahreszeit zu schützen, die ihm so sehr zusetzten. Er musterte Heckbert und versuchte es wider aller Vernunft mit einem Lächeln.
"Ja", sagte Inhota, "aber Dank deiner Erfindung sind es weniger, weil wir Ruhe vor der Wache und der Gilde haben. Heckbert", er legte dem Alten die Hand auf die Schulter. "Mach' dir nicht mehr Sorgen als nötig. Es läuft alles bestens!"
Heckbert schüttelte Inhotas Hand ab. "Die Operatoren kommen irgendwann dahinter, dass wir die Nachrichten manipulieren. Einer hat sich schon bei mir gemeldet und mich um Rat gefragt. Es klang so, als hätten unsere Daten seinen Klacker vom Strang getrennt.
Hinter das System zu kommen ist schwieriger als Eins und Eins zusammenzuzählen, zugegeben, doch unmöglich ist es nicht! Wenn erst jemand herausfindet, wie er die Nachrichten lesen muss, ist das ganze Unternehmen stark gefährdet. Menschen werden zu Schaden kommen!"
"Was soll ich deiner Meinung nach tun?" Inhota bildete mit den Armen ein großes "W", als wüsste er tatsächlich nicht, was er tun sollte. "Ich denke vor allem an die, die sich durch den Schmuggel ein angenehmes Auskommen sichern. Du wolltest das Verfahren doch verbessern. Wie weit ist es damit?"
Heckbert ertastete das eiförmige Messingstück in seiner Jackentasche, das die Nachrichtenübertragung revolutionieren würde, und dachte darüber nach, wer von dem Schmuggel wirklich profitierte: Kyyneltyä, reiche Bürger des Kontinents, die exotische Waren benötigten, keineswegs aber die armen Schweine, die ihren Kopf beim Umschlag oder Transport der Waren riskierten.
"Es ist noch nicht ausgereift", antwortete Heckbert. Er drehte sich zu Inhota, um die folgenden, lang vorbereiteten Worte eindringlicher wirken zu lassen. "Lass' uns die Strang-Schutz-Gesellschaft gründen und mit den anderen Gesellschaften zusammenarbeiten! Sie werden schnell dahinterkommen, dass Datensicherheit sehr wohl ein Thema ist im Jahrhundert des Anchovis!"
Inhota schüttelte den Kopf. "Heckbert, ich habe dir bereits gesagt, was ich davon halte. Ich werde nicht mit diesen Kriminellen zusammenarbeiten. Ende der Diskussion. Außerdem habe ich gleich einen Termin. Wenn du mich also entschuldigen würdest ..." Er erhob sich.
Heckbert seufzte. Inhota drehte sich noch einmal um. "Wie hieß der Operator eigentlich, der dich mit seiner Frage bis nach Ankh-Morpork gelockt hat?"
Heckbert sah resigniert zu Boden, während er antwortete. "Ich kenne nur seinen Klackernamen. Die Nachricht kam über die Wartungsdaten rein, also kann ich nicht viel mehr über ihn sagen."
"Wie lautet sein Klackername?"
"Herzensb."
"Herzensbeh?" Inhota hob eine dunkle Augenbraue.
Heckbert nickte, ohne aufzublicken. "Ich vermute, es soll Herzensbrecher heißen. Der Platz in den Wartungsdaten ist begrenzt."
"Ich verstehe."
Heckbert sah auf. "Es wird ihm doch nichts geschehen?"
Inhota lachte freundschaftlich. Doch was er sagte klang mehr wie die Einladung zu einer Tanzparty in einer Schlangengrube. "Ich weiß ja nicht mal, wer er ist! Er wird uns schon nicht in die Quere kommen. Ich muss los. Lass' uns ein anderes Mal weiterreden." Er ging davon und rief dabei noch über seine Schulter hinweg: "Und achte immer schön auf den Verkehr, der ist in Ankh-Morpork unberechenbar geworden!"
Heckbert Tschelin saß noch eine Weile nachdenklich auf der Bank und ärgerte sich über seine gescheiterte Bekehrungsmission. Vermutlich war er den weiten Weg nach Ankh-Morpork ganz umsonst gereist. Als der Schmetterling zu neuen Abenteuern aufflog, machte auch Heckbert sich auf - zum letzten Spaziergang seines Lebens.
| Unfall im Pferdestall; Anettes Kontakt; Taubenalarm; eine sprichwörtliche Begegnung. | |
"Oft kann man durch Zufall die glücklichsten Dummheiten begehen."
André Kostolany, Börsenkolumnist
Wild flogen der jungen Frau ihre blonden Strähnen um den Kopf, als sie zu den fröhlichen Rhythmen der aufspielenden drei-Mann-Kapelle ausgelassen tanzte. Um sie herum war man angenehm alkoholisiert oder in dünne Schwaden kitzelnden Rauches gehüllt. In der rechten Hand balancierte sie einen halb geleerten Krug Bier mehr schlecht als recht. Er war vor allem deshalb fast leer, weil bei jeder neuen Drehung der Tänzerin ein weiterer Schluck aus dem Krug schwappte. Rund ein Dutzend Personen verfolgte die ästhetischen Bewegungen der Frau mit interessierten Blicken und bedachte ihre wippenden Rundungen mit je nach Gemüt unflätigen oder anerkennenden, aber fast immer mehrdeutigen Rufen. Es geschah nicht oft, dass im "Pferdestall" hübsche Frauen tanzten. Normalerweise trafen sich hier grobschlächtige Pferdezüchter, O-beinige Kurierreiter und übergewichtige Kutscher zu ihrem sicher verdienten Feierabendbier. Heute aber gab es allerhand zu sehen.
Die Frau war das Zentrum ihres eigenen Universums und als ein Mann sich zu ihr gesellte, um sie zum Tanze zu bitten, schlug sie ihm völlig unbeabsichtigt den Krug an den Kopf. Unter johlendem Gelächter und lauten Pfiffen sanken die beiden zu Boden - er der Ohnmacht nahe, sie in flehendem Verzeihen.
Die Augen hatte Anette schon aufgerissen, weshalb sie sie nicht noch weiter aufreißen konnte, als sie erkannte, wen sie da niedergeschlagen hatte.
"Herr Wedel!", zischte sie leise, während sie ein wollenes Tuch hervorholte und dem Verletzten an die Stirn hielt. Der ächzte.
"Gute Ablenkung", sagte Herr Wedel, nachdem er seinen ersten Schrecken überwunden hatte. "Etwas auffällig, aber gut."
Natürlich enthielten seine Worte eine Spur Ironie, aber er meinte tatsächlich, was er sagte. Er unterstützte die Stadtwache seit Längerem bei verdeckten Ermittlungen, aber die Treffen mit Anette Knödel waren ihm stets eine besondere Freude - zumindest im Nachhinein ... wenn er sich von seinen Verletzungen erholt hatte. Seit Wochen bereits hielten die SEALS auf ihren Streifen die Augen offen, um einer Bande unlizenzierter Schmuggler auf die Schliche zu kommen, und Herr Wedel hatte gute Kontakte zu Leuten, die Leute kannten, die mehr sahen, als sie sollten. Das Szenario war jedes Mal ein anderes, doch der Ablauf immer der gleiche:
Herr Wedel erfuhr von einer laufenden Schmuggel-Transaktion. Er suchte Anette Knödel auf. Es kam zu einem Unfall. Sobald er wieder bei Bewusstsein war, teilte er Anette den Ort mit, an dem sich die Schmuggler trafen. Anette schickte eine Taube zum Pseudopolisplatz, von wo ein Wächter loseilte, um zu spät zum Tatort zu kommen.
Auch diesmal nannte Herr Wedel Anette einen Ort. Also schnappte sie sich den mit einem Tuch abgedeckten Taubenkäfig, vergewisserte sich, dass es darunter noch gurrte und eilte zur Tür hinaus.
Tief in den Schatten, wohin kaum ein Wächter sich je verirrte, duckte sich eine bleiche, eine
wirklich bleiche Gestalt in einen Hauseingang und beobachtete die abseits gelegene Straße aufmerksam. Obwohl es helllichter Tag war, hielt sich hier kaum jemand auf. Richtig hell war es allerdings auch nicht, da die Häuser sehr dicht beisammen standen und nur wenig Licht bis zum Boden vordringen ließen. Jemand näherte sich der Position des geheimen Beobachters mit hoher Geschwindigkeit. Allerdings aus einer Richtung, die er nicht erwartete.
Ein Flattern über seinem Kopf schreckte Damien in seinem Versteck auf. Er sah zur Quelle des Geräusches hinauf. Eine Taube krallte sich Halt suchend in die hölzerne Rinne am Rand des Daches. Sie war von ihrer gewagten Landung offensichtlich begeistert und versuchte, zu ihm hinunterzuschauen. Das klappte eher schlecht als recht. Nach einer angemessenen Zeitspanne gab sie auf. Bevor sie davon flog, ließ sie einen Gegenstand fallen, der schnell in Damiens Richtung beschleunigte. Der Stein traf Damien am Kopf.
'Autsch!', dachte er.
Er bückte sich nach dem Stein, an dem ein Zettel der Kommunikationszentrale hing, und holte die Schablone hervor, mit der er die Nachricht entschlüsseln konnte.
"Verdammt!", informierte er die Schatten in seiner Umgebung und sprintete los.
Yogi Schulterbreit und der Zwerg Oldas boten schon einen interessanten Anblick. Zwar waren beide stämmiger Statur, doch reichte Oldas dem überaus großgewachsenen Yogi gerade bis zur Hüfte. Wenn man ihre fast identischen Stadtwache-Uniformen betrachtete, dachte man schnell an eine Modeschau für Extremgrößen. Zum Glück für die beiden Wächter interessierte sich gerade niemand für ihre Uniformen.
"Komm Yogi", sagte Oldas, "lass uns zur Wache zurückkehren. Wir haben den Kerl verloren."
"Mir ist noch kein Flüchtender entkommen", antwortete Yogi. Letztendlich hab ich sie alle geschnappt, dachte er. "Und ich mache bestimmt nicht bei diesem
Hühnerdieb den Anfang!"
"Aber wir haben ihn zuletzt vor einer halben Stunde gesehen. Der könnte inzwischen überall sein!"
"Die Wölfe von Überwald haben ein Sprichwort", erinnerte sich Yogi. "'Schreibe die Beute erst ab, wenn ein Vampir in der Nähe ist.'"
Oldas schaute zu Yogi hinauf. "Vampire?", fragte er und sah sich misstrauisch um. Die Schatten der Häuserreihen schienen etwas näher zu rücken.
"Du musst das bildlich sehen", erklärte Yogi. "Im Grunde bedeutet es: Gib nicht so schnell auf!"
Oldas gab nicht auf und starrte konzentriert in die dunklen Winkel. "Du", sagte er, "ich glaub, da steht einer und glotzt uns an."
"Ein Vampir?" Yogi lachte brummend. "Da hat das Sprichwort wohl deine Phantasie beflügelt, was? Wie gut, dass dies nicht die Nachtstreife ist!"
"Nein", flüsterte Oldas jetzt. "Da steht wirklich ein Typ und beobachtet uns."
Die beiden blieben stehen und starrten gemeinsam. Tatsächlich zeichnete sich nach einer Weile ein grauer Schemen vor dem dunklen Mauerwerk einer Seitengasse ab.
"Hallo Jungs!" Damien trat ins Licht des Tages. "Was macht ihr denn hier?"
"Damien!" Oldas entließ all seine Anspannung in diesem einen Wort.
Yogi hatte sich schneller wieder im Griff. "Wir haben einen Kerl verfolgt, der in der Stumpfmesserstraße ein paar Hühner gestohlen hat." Er zeigte mit dem Daumen über die Schulter. "Wir haben ihn kurzzeitig aus den Augen verloren."
"Hm", meinte Damien, "Hühner hab ich keine gesehen. Aber das hier ..." Er kramte in einer Umhängetasche, die an seiner Seite baumelte, und holte ein paar Federn hervor, die er den beiden zeigte. "Ich habe sie in einer Seitengasse drüben bei dem Klacker gefunden. Dort hab' ich die heutige Schmuggelaktion mal wieder knapp verpasst, obwohl mit den Tauben diesmal alles geklappt hat." Er rieb sich die Stirn. "Naja, fast alles ... Könnt ihr die Federn zu SUSI bringen und herausfinden, ob das vielleicht besondere Hühner waren?"
| Hippe Operatoren; wackelige Türme; technische Probleme; Gwym und seine Modifikation. | |
"Das Problem der Kriminalität bei den Klackern wächst."
Hauptmann Karotte
Morty versuchte, aus möglichst vielen dünnen, abgewetzten Spielkarten ein labiles Gebäude zu bauen. Zwei zu verbauende Karten trennten ihn von seinem Tagesrekord. Er versuchte, seine Hände zu beruhigen und atmete tief ein und aus. Das Leben als Operator in einem Klackerturm war nicht leicht. Es reichte nicht, gut in seinem Handwerk zu sein. Ohne erstaunliche Hobbys war man in der Szene ein Niemand. Er schaute kurz zu seinem Kollegen Flipper hinüber, der vor einem klobigen Kasten mit einer ebenmäßigen Oberfläche saß, die hier und da von Hebeln, Vertiefungen, Schnüren und freiliegenden Zahnrädern durchbrochen wurde. Flipper war noch nicht lange dabei. Ein echter Nöffi
[1]. Aber er sammelte Pferdehufe. Ziemlich abartig zwar, in Mortys Augen, doch es machte ihn "hip". Morty wollte auch "hip" sein. Vorsichtig nahm er zwei weitere Karten und hob sie dem Kartenturm entgegen. Eine Schweißperle sprang von Mortys Braue und landete lautlos platschend auf seiner Wange.
"Hey Morty", sagte Flipper, woraufhin Morty zusammenzuckte. "Die Abdeckungen spinnen schon wieder, die haben wir doch letzte Woche erst ausgetauscht!"
"Verdammt, Flip!" Morty atmete hörbar aus - der unfertige Turm hatte gehalten. "Siehst du nicht, dass ich hier kurz vor einem Durchbruch stehe?"
Flipper kicherte. "Du meinst wohl eher Zusammenbruch. Du hast doch noch nie mehr als zwei Karten zu 'nem Turm verbaut. Soll ich dir nochmal zeigen, wie's geht?"
Morty warf Flipper einen vernichtenden Blick zu, doch anstatt in einer staubigen Wolke zu zergehen, kicherte Flipper einfach weiter.
"Danke, keinen Bedarf", murmelte Morty und beschloss, das Thema nicht weiter zu vertiefen. "So, Herr ich-bin-ja-so-ein-toller-Operator. Was ist denn diesmal kaputt?"
Flipper wurde schlagartig ernst. "Abdeckung 3 klemmt schon wieder, obwohl sie sich kurz geöffnet hat. Kein Reakki möglich. Es hat die ganze Sitzung verhunzt. Außerdem ist der Flammenkühler heißgelaufen. Da hat sich wohl wieder ein Schlauch gelöst. Schätze, wir müssen den Strang trennen
[2]. Ich sag' dir: Das geht nicht mit rechten Dingen zu!"
Morty war verleitet, seinen Kollegen erneut wegen dessen Aberglauben zurechtzuweisen. Andererseits konnte er sich den Fakten nicht verschließen: Semaphorenstelle Ankh-Morpork 11.88
fiel sehr häufig aus, mehrere Male am Tag. Trotz ringbuchgetreuer Wartung, trotz fähiger Operatoren. Es war tatsächlich wie verhext.
"Sei nicht abergläubisch!", sagte er, vor allem um sich daran zu erinnern, dass
er es nicht war. Aberglaube war etwas für Maggi-Fuzzis.
Er konnte 'acht und achtzig' sagen, so oft er wollte. "achtundachtzig, achtundachtzig, achtundachtzig, acht, acht", murmelte er, bevor sein einstöckiges Kartenhaus aus unerfindlichen Gründen zusammenstürzte. Er seufzte. "Lass uns nachsehen gehen."
Die Männer folgten einer Treppe in die höheren Geschosse des Turms und begannen mit der gefährlichen Arbeit an den Außenteilen des Semaphors.
Ein winziger, schwarzer Schatten huschte aus einer dunklen Ecke zur Steuerzentrale des Klackers, an der Flipper eben noch versucht hatte, eine Nachricht zu versenden, und verschwand in dessen wuchtigem Inneren. Eine Weile lang war das Kratzen von Metall auf Metall zu hören, dann folgte kurzes, aber präzises Hämmern und schließlich ein schreckliches Quietschen. Die kleine Gestalt lugte hinter der Rückwand der Steuerzentrale hervor und spähte mit gelben Augen zur aufwärtigen Treppe hinüber. Die Luft war rein, also sprintete sie in die Sicherheit der dunklen Ecken zurück, aus der sie gekommen war.
Schritte wurden lauter, als Morty und Flipper von ihrem Außeneinsatz zurückkamen.
"So, das läuft erst mal wieder", meinte Morty.
"Ja? Aber wie lange diesmal?" Flip war äußerst skeptisch. Er setzte sich wieder an seinen Platz und nahm die Nachricht zur Hand, die er vor dem Klackerausfall hatte senden wollen. "Hoffentlich bekommen wir von der Stadtwache keinen Ärger, weil wir ihre Nachrichten nicht pünktlich zustellen."
Gwym überprüfte neugierig, wie seine Modifikationen die Nachricht veränderten, die Flipper arglos an die Stadtwache sandte. Zufrieden hockte er sich in den gemütlichen Sessel seiner improvisierten Wohnung im Dachgebälk von Klacker 88. Durch ein kleines Fenster konnte er Hop 61 sehen, der die just empfangenen Daten an den Pseudopolisplatz weitergab. Hoffentlich verstanden sie seine Nachricht diesmal! Gwym wollte endlich seine Ruhe.
Das Leben eines schwarzen Gnomen war nicht leicht. In den letzten Jahren war er ständig auf der Flucht gewesen vor den sadistischen Träumen und Wünschen vorpubertärer Gnomenkinder. Einige von ihnen hatten es sich offenbar zur Lebensaufgabe gemacht, die Existenzen schwarzer Gnome zu zerstören. Wie sollte man jemandem Angst einflößen, der über ein perfides Repertoire an Feindseligkeiten und Hassgedanken verfügte? Schaudernd dachte Gwym an die Trophäen, die einige Kinder unter ihrem Bett oder im Schrank versteckten: Überreste gescheiterter Schreckensgnome. Die Leidenschaft, mit der sie sich Gnomen wie ihm widmeten, grenzte an
Sammelwahn!
Endlich hatte er einen Platz gefunden, der frei war von seinem persönlichen Horror. Nun brauchte er nur noch ein wenig Hilfe. Vielleicht ging sein Plan auf. Das Angebot zumindest war mehr als fair.
| Dicke Luft; Schaafs Martyrium; Kannichs Auftrag; Bewertung der Lage; Schaaf will hoch hinaus. | |
"Volle Karren, die die Straßen verstopfen, sind ein Zeichen des Fortschritts."
Lord Vetinari, Patrizier von Ankh-Morpork
Eine Glocke dicken Gestanks hatte sich behütend auf die Stadt gesenkt wie die Glucke auf ihr Gelege. Darüber stand die Sonne heiß und unangenehm. Hatte man erstmal die Dunstschicht durchstoßen, gesellte sich zur unbarmherzigen Hitze der Lärm von Ankh-Morpork. Es war Hauptverkehrszeit, die lauteste Zeit des Tages. Seit der Einführung von Stakkatoglocken und Blasebalghupen konnte jeder Kutscher oder Reiter seinem Unmut Luft machen - und tat dies auch oft und gerne. Sogar Fußgänger hatten sich inzwischen mit diversen Krachmachern ausgerüstet, um sich im allgemeinen Verkehrslärm zu behaupten.
Der lauteste Teil der Stadt war eine vielbefahrene Kreuzung, wobei "vielbefahren" sich allein auf die Willensbekundung etlicher Verkehrsteilnehmer bezog, nicht auf den tatsächlichen Verkehrsfluss. Gefreiter Schaaf hatte gewiss nicht darum gebettelt, an dieser Kreuzung seinen Dienst zu tun. Nicht an einem so heißen Tag und besonders nicht zur Hauptverkehrszeit. Aber hätte er gewusst, was dieser Tag für ihn noch alles bereithielt, wäre er ganz bestimmt ein paar Stunden länger im Bett geblieben, um danach zu Doktor Wadenbein zu gehen und sich für den Rest der Woche krankschreiben zu lassen. Er war jetzt, dreißig Minuten nach Dienstbeginn, schon schweißbedeckt.
"Halthalthalthalt, HALT!" rief Schaaf einem Zwerg hinterher, der einen mit scheppernden Eisenklumpen beladenen Handkarren hinter sich herzog.
Der Zwerg hielt an und drehte sich zu dem Wächter um. Sein Handkarren beschwerte sich über diesen unerwarteten Halt mit quietschendem Rumpeln. Die Eisenklumpen in dem Karren stellten ihr Scheppern ein, um den Worten des Zwergs mehr Gewicht zu verleihen. "Was ist denn, Korporal?"
"Ich bin nur Gefreiter, aber danke!", korrigierte er den Zwerg.
"Was ist denn, Gefreiter?", ließ sich der Zwerg korrigieren.
"Das hier ist eine
Vorfahrtbestimmungsanlage. Die Klappen hängen nicht zum Spaß an dem Mast da oben. Du kommst aus der Bodenbienenstraße und siehst das rote Signal. Die Karren auf der Kurzen Straße, haben grad grün und dürfen daher weiterfahren. 'Bei Rot, musst du steh'n, erst bei Grün darfst du geh'n!'" Er freute sich über den Spruch, den er sich selbst ausgedacht hatte.
Der Zwerg beschirmte seine Augen mit einer schwieligen Hand und starrte den Mast hinauf. Seinen Kopf musste er dazu weit in den Nacken legen. Er blinzelte, obwohl die Sonne am Himmel kaum zu sehen war. Vermutlich war er etwas kurzsichtig. "Wieso nur bei Grün? Ich mag Grün nicht. Erinnert mich immer an das Lieblingskleid meiner Schwiegermutter."
Schaaf stemmte trotzig die Arme in die Hüften. "Das ist eben so vorgeschrieben!"
"Wie dem auch sei, muss zu meinen Rohlingen, die werden sonst kalt."
"Zu deinen was?" Schaaf runzelte die Stirn.
Der Zwerg tippte auf ein rußiges Abzeichen. "Ich bin Schmied, Herr. Hab' mich bei dem Auftrag ein bisschen verschätzt. Musste Nachschub holen."
"Na dann kennst du das Prinzip ja: Schmiede das Eisen solange es heiß ist! Hier ist es ähnlich: Gehe nur, wenn du das grüne Signal siehst! Ganz einfach eigentlich." Schaaf grinste bis über beide Ohren, als er das sagte. Vielleicht war er gar nicht zum Wächter geboren. Vielleicht sollte er in die Unterhaltungsbranche einsteigen. Am Großen Markt gab es diese Holzbühne, auf der man für zwei Dollar zehn Minuten lang das Publikum unterhalten konnte. Es gab Akrobaten, Jongleure und Possenreißer. Vielleicht ...
Der Zwerg riss ihn aus seinem existenziellen Gedankengang, nachdem er ihn eindringlich gemustert hatte. "Ich seh', du kennst dich mit'm Schmiedehandwerk aus. Und wenn ich das grüne Signal nicht sehe? Es hängt ziemlich hoch. Dann sollte ich wohl besser 'nen Umweg über die Gottesstraße machen." Der Zwerg strich sich nachdenklich über den Bart. Es hörte sich an wie Granit, der über eine Stahlbürste strich. "Das wäre eine gute Gelegenheit, den alten Schwachhammer mal wieder zu besuchen. Seit seinem Unfall mit dem Webstuhl ist er nicht mehr gut zu Fuß."
"Äh ...". Schaaf hatte das Gefühl, dass ihm die Kontrolle über das Gespräch vor einigen Momenten entglitten war.
"Ich sag ja immer, umso weicher das Handwerk, umso kürzer der Bart. Hehe, gut, was?" Der Zwerg lachte ein kehliges Lachen.
"Ja ..." Nein! Schaafs Gedanken begannen zu rasen. Der Zwerg stahl ihm noch die Show! Ihm kam der rettende Einfall. "Weißt du was?", sagte er. "Ich lege jetzt diesen Hebel hier um und dann siehst du das grüne Signal. Dann darfst ... äh musst du weitergehen, weil ich dich sonst wegen Verkehrsbehinderung aufschreibe. So ..." Es ratterte und klackte kurz. "Siehst du? Grün. Auf Wiedersehen!"
Der Zwerg nickte ihm zu, zog seinen Karren an und rumpelte auf die Kreuzung. Kurz darauf blieb er stehen und drehte sich zu dem Gefreiten um.
"Ach, Korporal ..."
"Gefreiter", rief Schaaf genervt. "Ich bin nur Gefreiter!"
"Entschuldigung, Herr, aber der Schwager meines Gesellen ist auch Korporal. Daher vermutlich die Verwechslung. Jedenfalls habe ich mir gerade überlegt, dass ich doch den Umweg über die Gottesstraße mache, um Schwachhammer zu besuchen."
"Na das ist ...
toll! Dann aber los! Hey! Was machst du da?"
Der Zwerg hatte damit begonnen, seinen sperrigen Karren auf der Kreuzung zu wenden. "Das habe ich dir doch gerade erklärt." Der Zwerg schüttelte ob so viel menschlichen Unverstandes den Kopf. Der Gefreite hingegen schüttelte den Kopf ob so viel
zwergischen Unverstandes.
"Gefreiter Schaaf?", erklang eine Stimme hinter ihm.
"Ich bin Korporal, verdammt!", schrie der Gefreite und wirbelte herum. "Oh ..." Er sah einen hageren Wächter mit viel zu großen Augen vor sich stehen. Ein leichter Bartflaum zog seine Kinnpartie ins Lächerliche und eine Reihe fleißiger Mitesser sprenkelte seine Nase. Er starrte Schaaf verwirrt, wenn nicht gar leicht verunsichert an.
"Aber dem Streifen auf deiner Schulter nach ..."
"Ja, natürlich." Schaaf atmete tief durch. "Du hast Recht. Ich
bin Gefreiter. Schaaf, Johann, merk dir das!"
Kannichgut nickte, während er den informativen Gehalt des Dialoges in Frage stellte.
Der Gefreite schien sich wieder etwas beruhigt zu haben. "Also? Was gibt's? Wie du siehst, habe ich hier alle Hände voll zu tun. Test des Prototyps und so weiter."
Kannichgut nickte erneut. "Ich weiß. Deshalb bin ich ja hier. Ich bin Kannichgut Zwiebel, oder einfach Kannich. Leutnant Bürstenkinn hat mich hergeschickt, um die" - er hielt kurz inne - "Einführung des Prototyps anhand der singnalkommunikativen Relevanz für das Verkehrsgeschehen zu bewerten."
Die beiden sahen sich einen gewaltigen Moment lang an.
Stille hätte jetzt aufkommen sollen, um ihren Gedanken Gelegenheit zu geben, miteinander zu verschmelzen und schließlich gemeinsam zu dem Schluss zu kommen, dass Kannichs Auftrag vielleicht wenig mehr war als reine Beschäftigungstherapie für frischgebackene SEALS-Mitglieder. Doch die vernachlässigten und somit wartenden Verkehrsteilnehmer hatten mit ihren Glocken und Hupen verschiedener Größen mühelos einen soliden Wall aus Lärm errichtet. Andere hatten sich von irgendwo her blecherne Eimer und Töpfe besorgt und schlugen nun, einfach der allgemeinen Stimmung wegen, mit Löffeln, Peitschenknaufen oder mit ihren Köpfen dagegen. Am westlichen Teil der Kurzen Straße hatte sich eine Schar Schaulustiger eingefunden, die auf den Ausgang des auf der Kreuzung stattfindenden Duells "Zwerg mit Karren voll Rohlingen gegen zweifaches Ochsengespann ohne Steuermann" wettete.
Der Gefreite holte mit einer ausladenden Geste seiner Arme das Geschehen ringsum in seine Worte. "Nun ... Kannich ... wie bewertest du das Geschehen?"
Kannich überlegte kurz. "Wenn man irgendwie verhindern könnte, dass weitere Leute auf die Kreuzung strömen, könnte man den dicken Mann da vorne vielleicht dazu überreden, seinen Esel von der Ladefläche des vor ihm stehenden Karrens herunter zu holen. Dadurch könnte die Frau mit dem braunen Pferd da drüben damit beginnen, sich unter der Plane hervorzuwinden, die die Kutsche da hinten im Vorbeifahren von dem Wagen hier gerissen hat."
Schaaf nickte. "Gut beobachtet."
"Wo befindet sich denn eigentlich dieser Prototyp?" Kannich schaute sich suchend um.
Schaaf überprüfte einige Augenblicke, ob sein Gegenüber ihn wohl veralbern wollte. Dann zeigte er schräg hinter sich mit dem Daumen nach oben. "Dort."
Kannich beschirmte seine Augen wie zuvor der Zwerg. "Wo?"
"Na da oben!" Schaaf fragte sich, ob er wohl nur von Idioten umgeben war.
Kannich legte den Kopf in den Nacken. Sein Adamsapfel nutzte die vermeintliche Gelegenheit, aus seiner Position zu springen. "Oh ..."
Schaaf nickte zufrieden.
"Hängen die Paddel nicht etwas zu hoch, um unter bestimmten Umständen, zum Beispiel während einer rasenden Fahrt mit einer Kutsche, gesehen zu werden?"
Kannich war nicht der diplomatischste Wächter, aber auf diese Frage war Schaaf gut vorbereitet. "Scoglio hat mir versichert: Je höher etwas hängt, desto weiter kann es gesehen werden. Er hat mir sogar einen rechnerischen Beweis geliefert, den er mal während einer seiner kühlen Phasen durchgeführt hat."
Kannich konnte dem grundsätzlich zustimmen. "Ja, deswegen baut man Klacker ja auch auf Türme. Aber", er feilte noch an der Formulierung, "hätten so zwei, vielleicht drei Meter nicht genügt? Ich mein, was nützt es einem, schon im Steinbruchweg zu wissen, dass man hier freie Fahrt hätte?"
"Das wird sich zeigen. Zum direkten Vergleich haben wir eine Kreuzung weiter, bei den Schlauen Kunsthandwerkern, die Anlage etwas tiefer angebracht. Vielleicht klappt es da ja besser. Ah sieh mal, wo wir gerade davon sprechen, kommt auch schon Rekrut äh ... Fuerdiekatz angerannt. Bestimmt mit interessanten Neuigkeiten zum Verlauf der Testphase ..."
"Fuerdiekatz ist noch Rekrut?", fragte Kannich. "Der ist doch schon ewig bei der Wache. Dachte immer, er wär' Gefreiter und hätte nur seine Abzeichen irgendwo verschlampt."
"Äh ..." Schaaf wirkte etwas verunsichert. "Er wurde mir für die Verkehrsüberwachung als Rekrut zugeteilt. Vielleicht hat er seine Beförderung verpasst? Äh ... ich glaube, er möchte, dass wir ihm folgen."
| Herr Tschelin blockiert den Verkehr; Rekruten im Wellenbad; Kannich im Dreck Glück; Herrn Tschelins letzte Unterhaltung. | |
"Es ist mit einigem Chaos und dem verstärkten Einsatz von Rekruten zu rechnen."
Leutnant Cim Bürstenkinn, SEALS-Abteilungsleiter
Nichts ging mehr bei den Schlauen Kunsthandwerkern. Jeder, der die Kreuzung betrat oder befuhr, wollte sie so schnell nicht mehr verlassen, denn in der Mitte gab es etwas Interessantes zu sehen. Zumindest wies die unübersehbare Menge von Leuten darauf hin, die rempelnd und ihre Hälse reckend versuchten, sich bessere Sichtpositionen zu verschaffen. Derartig viele Personen konnten unmöglich irren!
Zentrum der Aufmerksamkeit war ein Mast, um den ein Häufchen Mensch gewickelt war. Etwa ein halbes Dutzend Rekruten hatte eine fragwürdige Barriere aus ... nun ja, Rekruten darum gebildet und versuchte, das Zentrum der Aufmerksamkeit vor den Blicken der Schaulustigen zu beschirmen. Wer nichts sehen konnte, weil er zu klein war oder zu weit hinten stand, trug seinen Teil zur geladenen Atmosphäre durch Rufen, Pfeifen oder Schimpfen bei. Das Gewimmel auf der Kreuzung wirkte so harmonisch und übersichtlich wie ein Ameisenhaufen.
Am Rand des Gewühls standen drei Wächter und blickten über die Menge hinweg wie ephebianische Propheten, die versuchen, die Wogen des Randmeeres zu teilen
[3].
"Tja", meinte Kannich, "ich würd' sagen, die Rekruten haben alles im Griff ..."
Schaaf nickte. "Sehr gute Idee", ergänzte er, "dass sie diesen Klotz da als Barriere auf die Kreuzung gewuchtet haben."
Arton schüttelte genervt den Kopf. "Sirs, der 'Klotz' ist der Troll Keule und vermutlich der einzige Grund, warum sie ihre Stellung bis jetzt halten konnten."
Schaaf wandte sich an Arton: "Habt ihr bereits nach einem Wagen schicken lassen?"
Arton nickte. "Ja, Sir. Wir haben den Schizzel zur Wache geschickt. Er hat Rekrut Hustensaft gleich mitgenommen, der sich irgendwie die Nase gebrochen hat, als wir dabei waren, die Unfallstelle mit uns selbst abzuriegeln."
"Sehr gut, sehr gut", fand Schaaf. "Lasst uns die Sache einmal näher ansehen."
Es war selbst für Wächter nicht leicht, das Gedränge zu durchqueren, doch Trillerpfeife und Keule wirkten Wunder.
"Heieiei", murmelte Kannich, als sie zur Unfallstelle kamen. "So eine Schweinerei hab ich zum letzten Mal gesehen, als dem Sternenklar die Enten durchgegangen sind
[4]."
"Ja", stimmte Schaaf ihm zu, "das sieht wirklich übel aus. Wie eine ..."
"
Bodenwurst?"
Schaaf schaute zu Kannich. "Was?"
Kannich schüttelte den Kopf. "Schon gut ..."
"Ähm ... Sirs?" Die beiden Wächter drehten ihre Köpfe in Richtung der angenehmen Stimme. Kannich errötete und prüfte sogleich den Straßenbelag auf ordnungsgemäße Anwesenheit. Schaaf lächelte die hübsche, junge Frau an.
"Ah, Rekrutin Jibril! Was habt ihr herausgefunden?"
Die Rekrutin holte einen Block mit Notizen hervor und las davon ab, während sie ein ums andere Mal ihre langen roten Strähnen wieder hinter die Ohren strich.
"Der Mann ist tot. Lobito hat ihm den Puls gefühlt. Eine Schnellkutsche hat ihn angefahren, als er bei Rot die Kreuzung überqueren wollte. Wir haben das hier bei ihm gefunden." Sie kramte in ihrer Tasche und überreichte ihm ein dünnes Büchlein, zusammen mit einer blank polierten Messingkugel an einer goldenen Kette.
Schaaf schlug das Buch auf und studierte es eine Weile. "Hm, komische Kritzeleien" war sein Resümeé. Er gab es schließlich, zusammen mit der seltsamen Kugel, an Kannich weiter, der beides neugierig untersuchte.
Die Wogen der Menge brandeten währenddessen erbarmungslos gegen das Bollwerk aus Rekruten. Die Wahrscheinlichkeit, in einer dichten Menge angerempelt zu werden, war recht groß, um nicht zu sagen: Die Rempler waren allgegenwärtig wie Mücken an einem lauen Sommerabend
[5]. Rempler riefen Gegenrempler hervor und manchmal überlagerten sie sich mit anderen Remplern zu großen Wellen, die sich träge, aber unaufhaltsam innerhalb der Menge ausbreiteten. Eine solche Welle rollte gerade auf die Mitte der Kreuzung zu und suchte nach willigen Brechern. Kannich bot sich an.
Er ging ächzend zu Boden und traf mit der unwahrscheinlich wahrscheinlichen Chance von 1:1000000 eine kleine Pfütze, die sich Ankh-Morpork für trockene Zeiten aufgespart hatte. Das Buch flog vor ihm in den Matsch und blieb aufgeschlagen liegen. Es zeigte die Zeichnung eines Klackers mit unzähligen Symbolen und Randbemerkungen. Sie erinnerte an einen Vogel. Die Kugel war in der Pfütze verschwunden und nur noch das Gold der Kette funkelte schwach durch die Umarmung der trüben Brühe hindurch. Arton Fuerdiekatz griff dem staunenden Kannich unter die Arme, um ihm aufzuhelfen.
"Ist alles in Ordnung, Sir?", fragte er pflichtbewusst, doch Kannich achtete gar nicht auf ihn. Die Zeichnung erinnerte ihn an etwas. Er schaute hinüber zum Klacker in der Strebergasse, der gerade die Signalübertragung vorbereitete.
"Interessant", sagte er, während er nach Buch und Kugel fischte, die beide vor Dreck trieften. "Ich muss sofort zum Pseudopolisplatz!"
"HALLO HERR TSCHELIN!, sagte eine Stimme, die jovial klingen wollte, unter den gegebenen Umständen aber leider penetrant und brüchig war. "ICH HIELT DIE IDEE GLEICH FÜR DUMM: EINE MASCHINE, UM DEN VERKEHR ZU REGELN?" Das Skelett schüttelte den Kopf, indem es den Schädel knirschend über der Wirbelsäule hin und her drehte.
"Wovon redest du?" Herr Tschelin wollte verwirrt sein, doch er bemerkte, dass ihm das schwerfiel. Er hätte schwören können, eben noch auf einer belebten Kreuzung gestanden zu haben. Seitdem schien allerdings einige Zeit vergangen zu sein, da die Dämmerung sich bereits über den Tag gelegt hatte und ihn grau und schmutzig aussehen ließ. Auf der Kreuzung befand sich außer ihm und dem bizarren Skelett nur noch eine zerlumpte Gestalt, die sich am Fuße eines Mastes schlafen gelegt hatte, der das Zentrum der Kreuzung markierte. Die Gestalt sah aus, als wollte sie den Umfang des Mastes mit Händen und Füßen messen. Etwas an der Gestalt kam ihm vertraut vor.
"Wer hat dem Mann da meinen Mantel gegeben? Ich kann mich daran nicht erinnern."
Das Skelett nickte klappernd. "UND DAS IST ERST DER ANFANG."
Herr Tschelin bückte sich, um den Schlafenden näher zu begutachten, und machte eine grausige Entdeckung. "Das bin ja ich!"
"DAS WARST DU", sagte das Skelett mit dem Nachdruck der Unendlichkeit. "DU HÄTTEST AUF DAS GRÜNE SIGNAL WARTEN MÜSSEN", ergänzte es und wies zur Spitze des Mastes hinauf, wo grüne und rote Paddel hingen.
"Ich verstehe nicht ... Haben sie mich letztlich doch erwischt?"
"HÄTTEST DU AUF GRÜN GEWARTET, HÄTTEN SIE DICH ZUMINDEST NICHT HEUTE ERWISCHT. SIE WERDEN ES WIE EINEN UNFALL AUSSEHEN LASSEN."
"Aber wer wird Kyyneltyä nun das Handwerk legen?", fragte Herr Tschelin die Stille um ihn herum im Allgemeinen und das Skelett im Speziellen.
"ICH KANN DIR NUR SAGEN, DASS DU ES NICHT SEIN WIRST." Das Skelett versuchte ohne jeglichen Erfolg, das "DU" zu betonen. "ZUMINDEST NICHT DIREKT."
"Das finde ich ärgerlich", sagte Herr Tschelin, doch es stimmte nicht. Es war ihm egal.
| Nachricht im Log; ein unwiderstehliches Angebot; Termin beim Chef; unangenehme Versäumnisse; Kannich muss berichten. | |
"Alle Informationen sind Rauschen, wenn man den Code nicht knackt."
Hiro Protagonist, "Snow Crash"
Echter Ankh-Morpork-Straßendreck, zerrieben, nicht geschüttelt, rieselte in Fäden auf den steinernen Boden der Kommunikationszentrale, als Kannich sich gedankenverloren am Oberschenkel kratzte. Er saß mit seiner Ausbilderin Will Passdochauf an einem Tisch, auf dem einige Stapel Papier ausgebreitet lagen.
"Die Nachricht", beendete Will die raschelnde Stille, "landete unbemerkt im Log, sagst du?"
Kannich nickte. Er war in seinem Element und litt daher ausnahmsweise nicht unter geschlechtsbedingten Sprachstörungen. "Da guckt selten einer rein. Tschelin beschrieb in seinem Buch den Schwarzen Kranich, eine besondere Akki-Stellung. Sie zeigt an, dass die Daten aufgezeichnet werden sollen. Heißt so, weil die Lichter am Klacker an einen Vogel erinnern."
Das stimmt nicht ganz, erinnerte er sich. Den Kranich kennt jeder Operator und hat ihn schon oft benutzt. Die Notizen in Tschelins Buch beschreiben einen
modifizierten Kranich. Du kennst nur
einen Operator, dachte er, der diese Modifikation je benutzt hat - je benutzen konnte. Kurul. Du brauchst einen vernünftigen Schlüssel, sonst funktioniert es nicht. Du brauchst die legendäre Kugel des Kurul.
Ich
habe diese Kugel, dachte er. Kannich zitterte, als er die Messingkugel in seiner Tasche mit der Hand umschloss.
Anscheinend geht es aber auch ohne, widersprach er sich. Die Zusatzdaten im Log, die du für Müll gehalten hast, wurden auf die gleiche Weise verschlüsselt. Ohne die Kugel.
Aber die Kugel machte es sehr einfach, Daten zu versenden, von denen niemand etwas mitbekam. Ich
habe diese Kugel, dachte er erneut, bevor ein sehr ernüchternder Gedanke seinen Geist erfasste: Kurul ist tot!
"Du weißt schon", sagte Kannich schließlich. Er imitierte mit seinen Armen einen flatternden Vogel, um vor allem auch seine finsteren Gedanken zu verscheuchen. "Er kann unter bestimmten Umständen den Logdaten eine verschlüsselte Nachricht hinzufügen. Es sieht so aus, als hätte jemand schon ein paar Mal versucht, uns zu kontaktieren. Heimlich."
Will hob eine Augenbraue. "Heimlich?"
Kannicht nickte. Will musterte ihn scharf. Sie wussste nicht so recht, was sie von ihrem Auszubildenden halten sollte. Seine Arbeit machte er gut, besonders wenn es um seine Klacker ging. Im Bereich der Taubenpflege mangelte es ihm noch erheblich an Sorgfalt. Aber am meisten störte sie, dass sie nie genau wusste, woran sie bei ihm war. Sie hatte das Gefühl, dass er gerne interessante Fakten verschwieg.
"Also schreiben wir zurück, dass wir uns das Angebot anhören?"
"Nein, das wäre
kompromittierend."
"Wieso?"
"Die Operatoren des Klackers, zumindest die offiziellen, sind sicher gut in ihrem Handwerk. Wenn wir ihnen jetzt die Antwort auf eine Nachricht schicken, die sie nie wissentlich gesendet haben, würde sie das mehr als bloßstellen. Es hat was mit Ethik zu tun."
"Das verstehe ich nicht", sagte Will, so ungern sie das auch zugab. Aber Kannich war ein geduldiger Erklärer.
"Klacker 88 wurde manipuliert, bevor die Nachricht geschickt wurde."
"Nun gut!" Will seufzte. Das war
anstrengend! Sie änderte ihre Taktik.
"Konzentrieren wir uns auf den Inhalt der Nachricht: Wir versuchen seit Wochen, mehr über die Schmuggler zu erfahren, die exotische Tiere an den Prüfstellen der Gilden vorbeischmuggeln und das auch noch ohne Lizenz. Und plötzlich will uns jemand Fremdes einfach so auf die Sprünge helfen?"
"Nein", antwortete Kannich, "nicht einfach so und auch nicht plötzlich. Er will ja etwas als Gegenleistung und er probiert es schon seit einer Weile. Ich schlage vor, wir finden heraus, was er uns bieten kann und was er dafür will."
"Du sagtest, wir sollten keine Antwort senden ..." Sie begann, in Gedanken bis zehn zu zählen.
"Ja, deshalb schicken wir jemanden hin, der den unbekannten Sender direkt kontaktiert."
Eine Stunde später saßen Will, Kannich und Michael Machwas bei ihrem Abteilungsleiter im Büro. Den Aktenbergen auf seinem Schreibtisch nach hatte er gerade kerkerdimensionalisch viel zu tun, daher hatten sie versucht, sich mit ihren Ausführungen zu beeilen. In aller Kürze hatten sie Leutnant Cim Bürstenkinn auf den Stand ihrer Ermittlungen gebracht und warteten nun gespannt auf dessen Entscheidung.
"Tja", begann Cim abteilungsleiterisch, "lasst mich sehen, ob ich das richtig verstanden habe ..." Er machte eine gemütliche Sprechpause. "Da hat jemand Informationen über die Schmuggler, die wir seit Tagen suchen. Ihr findet raus, wer dieser Jemand ist, trefft euch mit ihm, und ... nehmt ihn dann nicht fest?" Es war Cims Art, aus unangenehmen Elefantenfakten Mückenproblemchen zu machen. Natürlich suchten die SEALS schon seit
Wochen nach den Schmugglern.
"Äh", begann Will äußerst unsicher. "Festnehmen, Sir?"
"Wer Hinweise zur Ergreifung von Straftätern bewusst zurückhalt und sogar versucht, sich daraus einen Vorteil zu verschaffen, verstößt gegen eine Reihe von Gesetzen. Dafür wird man im Allgemeinen festgenommen. Verhaftet. Ihr wisst schon." Cim fuchtelte vage mit den Händen, um seine Worte zu unterstreichen oder vielmehr zu unterkringeln.
Michael räusperte sich. "Dieser Jemand ist nicht irgendwer ..."
"Ach?" Cim zog eine Braue hoch.
Michael schluchzte kurz als er bedauerte, Cims ungeteilte Aufmerksamkeit auf sich gelenkt zu haben. Er musste allen Mut zusammennehmen, um fortzufahren. "Es handelt sich um eine Art schwarzen Mann - für Gnome. Er könnte jederzeit in einen Schatten eintauchen und verschwinden ..."
Eiskalte, gnomengroße Schauer liefen ihm den Rücken hinunter, als er an die Begegnung mit dem winzigen, schwarzen Geschöpf zurückdachte.
"So wie der Hauptgefreite Schreckt!", warf Will helfend ein. "Wir hielten es für besser, sein Angebot zu überdenken, zumal es ... akzeptabel klang."
"Tatsächlich? Was fordert der Kerl denn?"
Die drei SEALS fühlten sich inzwischen wie unfreiwillige Verschwörer in einem Kreuzverhör. Und wie der Freiwillige oft auch bestimmt wurde, indem alle Geistesgegenwärtigen einen Schritt zurücktraten, spürte Kannich als derjenige, der am wenigsten Karriere zu verlieren hatte, wie die anderen beiden mental den Schritt rückwärts taten.
"Ähm ..."
"Ja?"
"Er möchte, dass wir den Klacker stilllegen."
Als erfahrener Menschenkenner antwortete Cim darauf nicht, sondern ließ Kannich Zeit, seinen Unfug zu erklären. Kannich war kein Menschenkenner, daher erkannte er Cims höfliche Geste nicht. Er sprach aber trotzdem weiter, weil er unangenehme Gesprächspausen noch weniger mochte als den Kaffee in der Rekrutenkantine.
"Ich ... äh habe hier die Stichpunkte für einen Bericht, der darlegt, dass der betreffende Klacker mit seiner hohen Ausfallrate ein Hindernis für geregelte Datentransfers ist, quasi ein Knoten im Strang, haha." Als Kannich merkte, dass niemand über seinen spontanen Witz lachte, beeilte er sich, eine grobe Skizze auf Cims Schreibtisch auszubreiten, die die Positionen einiger Ankh-Morpork-Klacker verdeutlichte. "Wenn man ... diesen Klacker aufrüsten und an dieser Stelle einen neuen bauen würde", er zeigte auf dem Plan mal hier- und mal dorthin, "könnte man diesen Hop hier sparen. Das würde dem Patrizier und den Strangbetreibern Einsparungen in Höhe von ..."
"Ich verstehe", sagte Cim und machte gleichzeitig deutlich, dass es egal war, ob er es tatsächlich tat. "Schreib' diesen Bericht und ich werde sehen, was ich tun kann. Ihr anderen versucht inzwischen, den Gnom davon zu überzeugen, dass wir alles Mögliche tun werden, seinen Wünschen nachzukommen, wenn er zuvor seine Informationen rausrückt. Weist ihn ruhig darauf hin, dass sein Vorgehen prinzipiell im höchsten Maße illegal ist. Meldet euch, sobald ihr was Neues habt." Cim blickte einen nach dem anderen kurz an. "Das wäre dann ja wohl alles?" Er schaute auf die vor sich liegenden Aktenstapel.
Als die drei sein Büro verlassen hatten, lehnte er sich in seinem Sessel zurück und legte die Beine hoch. Er gönnte seinen Gedanken etwas Auslauf. Was führe ich doch für eine gut funktionierende Abteilung, dachte er.
| Eine flammende Predigt; Kompetenzüberschneidungen; der Unterschied zwischen Tat und Wunsch. | |
"Alles wird gut"
Stefanie Leppin
Im Besprechungsraum der SEALS herrschte respektvolles Gemurmel. Fast den gesamten Winter über waren die SEALS - mit Unterbrechungen - einer unlizenzierten Schmuggelbande auf der Spur gewesen. Jetzt endlich hatten sie die benötigten Informationen, um die Bande dingfest zu machen. Chef-Korporal Rea Dubiata bat um Ruhe.
"So Leute", rief sie etwas lauter als nötig, um dem Gemurmel entgegenzuwirken, "das ist der Plan." Mit einem Zeigestock zeigte sie auf den Kartenausschnitt eines Stadtplans. "Unser Zielobjekt ist ein leerstehendes Lagerhaus bei Semaphor ...", sie warf einen kurzen Blick auf einen Notizzettel, "41, Unsichtbare Universität. Na vielen Dank! Wir umstellen das Gebiet großräumig und schlagen zu, wenn die Transaktion beginnt. Hier sind die Positionen ..."
"Mäm?" Amalarie Mögebier hob einen ihrer kleinen Finger, um ihre Wortmeldung anzuzeigen.
"Äh, ja?" Rea hatte gehofft, erst später aus dem Konzept gebracht zu werden.
"Sind solche Kommando-Operationen nicht Sache der FROGs?"
Ha! Mit
der Frage erwischt ihr mich nicht, dachte sie. "Nicht ausschließlich. Ich zitiere das Abteilungshandbuch: 'Von SEALS-Wächtern wird jederzeit erwartet, im Aufgabenbereich anderer Abteilungen tätig zu werden.' Wir dürfen nicht immer mit Scheuklappen denken. Die SEALS können mehr leisten! Ich persönlich betrachte es als
Renovierung der Dekriminalisierung. Also weiter im Text ..."
Es folgte eine der spannendsten Einsatzbesprechungen, die die SEALS je hatten. Die Teilnehmer würzten sie durch Kommentare, wie sie flüchtende Verbrecher elegant außer Gefecht setzen oder im Notfall einem ihrer Kameraden zu Hilfe eilen würden. Schließlich gingen sie mit erhitzten Gesichtern und einem seligen Lächeln auf den Lippen auseinander.
Die Realität unterschied sich ein wenig von den gemeinsam ersonnenen Heldentaten. Es begann mit einem verstauchten Knöchel, den sich Steven Träumer zuzog, als er seine Heckenschützenposition auf einem Giebeldach beziehen wollte und dann abrutschte. Dann löste sich ein Schuss aus Amalaries winziger Armbrust, der zum Glück nur Scoglio traf und ohne Folgen blieb. Zudem musste die Wasserspeierin namens Sallien ihren Beobachtungsposten entnervt verlassen, weil eine lebensmüde Taube sie zu arg bedrängte. Schließlich aber waren alle übrigen auf ihren Posten und warteten gespannt auf die Schmuggler.
| Exkurs in Exotik; ein denkwürdiger Auftritt; eine unwürdevolle Entdeckung; gut positioniert ist halb verhaftet. | |
"Plötzlich fiel mir Karl der Grosse ein: Lasst meine Armeen Bäume und Felsen und Vögel am Himmel sein!"
Dr. Henry Jones, "Indiana Jones und der letzte Kreuzzug"
Die Gnomin Amalerie hockte gelangweilt auf einem Stück rußgeschwärzter Mauer, das einmal zu einer Alchimistenwerkstatt gehört hatte. Seit Stunden hielt sie Ausschau nach ... ja, wonach eigentlich?
"Wonach halten wir eigentlich Ausschau??", fragte sie Johann Schaaf, der hinter ihr im Schatten der Mauer saß.
"Nach Schmugglern."
Sie drehte sich zu ihm um. "Wie sehen Schmuggler denn aus??"
"Na", Schaaf kratzte sich am Kopf, "wie Schmuggler eben. Diese haben vermutlich exotische Tiere bei sich."
"Ich hab gehört, letzte Woche hätten sie Ankh-Morpork-Hühner geschmuggelt. Die sind doch nicht exotisch!?! Man bekommt sie in Treibweisigs Geflügelpalast schon für 50 cent die Hälfte!!"
"Ja", sagte Schaaf, "für
uns sind sie nicht exotisch! Oh, schau mal, da ist das vereinbarte Signal. Es geht los!"
Yogi Schulterbreit trat die Tür zur Lagerhalle mit einem lauten Knall auf und stürmte hinein, dichtauf gefolgt von Scoglio, Machwas und Oldas. Die Halle war gut beleuchtet und von ihrem ursprünglichen Lagergut befreit worden. Stattdessen stapelten sich an einer Wand Käfige mit Hunden und Katzen, ein rothaariger Junge hielt sogar ein Pferd am Zügel. In der Mitte der Halle stand ein Tisch, an dem einige Leute in teuren Anzügen und Kleidern saßen. Sie füllten Formulare aus oder blätterten in Katalogen. Zumindest hatten sie das bis eben getan. Inzwischen waren sie entweder aufgesprungen oder hatten vor Schreck ihre Lektüre fallen gelassen.
"Stadtwache von Ankh-Morpork", rief Yogi. "Ihr seid verhaftet! Weglaufen bringt nichts, ihr seid umstellt! Wer sich bewegt, wird erschossen!" Er unterstrich seine Worte mit einer geladenen Armbrust. "Und jetzt alle rüber an die Wand da!"
Niemand regte sich.
"Ich sagte ..." Scoglio beugte sich zu ihm hinunter und raunte ihm rasselnd etwas ins Ohr. Yogi biss sich auf die Lippe. "Okay, neue Anweisungen: Ihr geht jetzt alle schön langsam zur Wand hinüber und
danach bewegt sich erstmal keiner mehr, bis ich etwas anderes sage. Klar soweit?"
Die Leute setzten sich irritiert in Bewegung und verteilten sich nebeneinander an der Wand. Ein Mann in rot-gelben Gewändern blieb in der Mitte der Halle stehen und lächelte ein breites Grinsen, während er die Arme friedvoll in die weiten Ärmel seiner Robe faltete.
"Aber, aber!", rief er. "Es gibt überhaupt keinen Grund für eine derart derbe Vorgehensweise. Ich bin mir sicher, dass wir dieses Missverständnis schnell aufklären können."
Während Michael die Leute in Schach hielt, hatte Oldas die Prospekte untersucht und kam mit einem Exemplar zu Yogi und Scoglio. "Lauter bunte Tiere. Genau wie wir vermutet hatten."
"Aber wo die bunten Tiere sein?", fragte Scoglio. Er ging zu den Käfigen an der gegenüberliegenden Wand und verschwand. Wo er eben noch gelaufen war, auf halbem Wege, explodierte eine Wolke hellgrauen Staubes mit dumpfem Krachen. Ein blauer Vogel entwuchs der Wolke und flatterte wild, als müsste er sich daraus befreien.
"Scoglio haben Geheimversteck gefunden", verkündete eine vom Staub gedämpfte Stimme irgendwo unter der Lagerhalle. "Hier lauter bunte Tiere sein."
Der blaue Vogel, auf der Suche nach Sicherheit, flog direkt in Yogis Arme, woraufhin der seine Armbrust fallen ließ und ungewollt einen Schuss auslöste. "Ein Tezumanischer Baumpfeifer", erkannte Yogi noch, bevor in der Lagerhalle heilloses Chaos ausbrach.
Michael hatte große Mühe, die Arrestierten weiter in Schach zu halten, ohne dabei selbst in Panik zu verfallen. Dem rothaarigen Jungen ging das Pferd durch und machte ihm beinahe seine Familienträume zunichte. Der lächelnde Mann lächelte nicht mehr; stattdessen versuchte er, die sich langsam senkende Staubwolke als Sichtschutz auszunutzen und zu verschwinden. Vorher aber zielte er noch mit einer kleinen Armbrust auf Yogi und schoss. Yogi sah die auf ihn gerichtete Armbrust und den Schuss in unerträglicher Langsamkeit, stellte aber fest, dass ihm keine Zeit für eine vernünftige Reaktion blieb. Er schloss die Augen und schaute zurück auf sein Leben. Sollte dies der erste Verbrecher sein, der ihm entkam? Er hörte ein langgezogenes TWÄÄäääänng, bevor sich die Realität zurückmeldete.
Es ruckte, aber es schmerzte nicht. So fühlt der Tod sich also an, dachte er. Vorsichtig öffnete er die Augen und sah verwundert auf ein Stück Holz, dass er anstelle des gefiederten Baumpfeifers in seinen kräftigen Händen hielt. Ein zitternder Bolzen steckte darin. Yogi warf das Stück Stamm lächelnd fort. Ein Jungtier, dachte er. Gritschmeck hatte Recht! Die Baumpfeifer waren auch
außerhalb ihrer
Grünphase erschaffungsfreudig
[6]. Zufrieden und erleuchtet sah sich Yogi nach dem seltenen Vogel um, doch er war verschwunden. Der rot-gelb gekleidete Mann auch.
Kleine Steinchen und alter Mörtel bröckelten aus dem verwitterten Mauerwerk der Einsamen Brücke in der Unterbrückenstraße
[7], als Kannichgut Zwiebel die schweren Kommunikationspaddel dagegen lehnte. Er hatte von hier aus einen guten Überblick. Er sah das Lagerhaus, wo nicht allzuviel zu passieren schien. Er sah Sallien, die inzwischen einen taubenfreien Dachfirst gefunden hatte. Er sah weitere SEALS, die wie er mit zweifarbigen Paddeln ausgerüstet waren, um jederzeit miteinander in Kontakt zu treten. Wenn er sich umdrehte, sah er den Pseudopolisplatz und das Wachhaus mit seinen schlanken Türmen.
Ein Knall richtete seine Aufmerksamkeit zurück auf das Lagerhaus. Die Tür an der Hinterseite öffnete sich und entließ eine graue Staubwolke, gefolgt von einem bunt gekleideten Mann. Kannich duckte sich hinter die Brüstung und spähte durch ein Loch, das ein hinabgefallener Stein hinterlassen hatte. Er sah, wie der Zwerg Hopsgenomm ihm einen "Flüchtling" signalisierte. Tatsächlich rannte der Mann die links und rechts von Lagerhäusern begrenzte Unterbrückenstraße entlang direkt auf ihn zu und niemand folgte ihm. Der Mann entkam! Kannich musste handeln, bevor der Mann die Brücke unterlief und für immer in den Gassen der Stadt verschwand.
Er griff nach den wuchtigen Paddeln. Um die Zentrale zu informieren und Verstärkung anzufordern, fehlte die Zeit. Kannich betrachtete die Paddel in seiner Hand. Er sah zu dem laufenden Mann. Die Entfernung stimmte. Kurzentschlossen warf er beide Paddel und wäre ihnen beinahe über die Brüstung gefolgt. Die hatte nachgegeben, als er den Schwung des Wurfes mit der freien Hand abfedern wollte. Mit einem dumpfen Klonk! landeten die Paddel einige Meter vor dem überraschten Mann und zerbarsten in handliche Splitter bemalten Holzes. Der Mann hob seine Armbrust und schoss.
Die Brücke war alt und verwittert. Sie verfiel seit dem Tag, an dem sie gebaut worden war. Dass sie nach all den Jahrzehnten noch immer stand, verdankte sie einer Reihe tragender Steine. Einen von ihnen hatte Kannich versehentlich entfernt, als er die Brücke erklommen hatte, einen weiteren entfernte der flitzende Armbrustbolzen, einen dritten schließlich beanspruchte Kannich zu stark, als er sich in Deckung warf. Das Krachen der einstürzenden Brücke war ohrenbetäubend und der Wall, der sich kurz darauf in der Unterbrückenstraße auftürmte, schier unüberwindbar.
| In Cims Büro; Resümee des Ganzen; ein toter Klacker | |
"Das Übel kommt nicht von der Technik, sondern von denen, die sie mißbrauchen."
Jacques-Yves Cousteau
"Schade, dass du bei der Mannschaftsversammlung nicht dabei gewesen bist", sagte Cim Bürstenkinn. "Jetzt muss ich meine Rede zweimal halten."
"Nicht nötig, Sir!", antwortete Kannich. "Ich wurde bereits bestens informiert: Wir haben die Schmuggler geschnappt und die Brücke sollte eh schon lange abgerissen werden. Der Patrizier suchte nur noch nach einem günstigen Abrissunternehmen."
"Äh ja ..." Cim runzelte die Stirn. "Ich hoffe, deinem Arm geht's wieder etwas besser." Er wandte den Blick den Akten zu, die vor ihm lagen. "Leider ist uns der Kopf der Bande nicht ins Netz gegangen. Ein gewisser Inhota Kyyneltyä. Übler Bursche. Macht sich selten selber die Finger schmutzig. Stand mit Heckbert Tschelin in Kontakt, den es letztens bei den Schlauen Kunsthandwerkern erwischt hat. Haben das Klackernetz benutzt, um ihre Schmuggeleien zu koordinieren. Sagt dir eigentlich 'Herzensbeh' irgendwas?"
Manchmal folgt man einem Monolog mit zunehmend weniger Aufmerksamkeit. Er wird langweilig wie die Reise auf einem Fluss, von dem man genau weiß, wo er schließlich als Strom ins Meer münden wird. Fast schon ungeduldig wartet man auf das Ende der Reise. Und dann, bevor man das Ziel erreicht, überraschen einen die Flusspiraten mit heruntergelassener Hose. Kannich errötete.
"Ähm, nein, Sir. Keine Ahnung", behauptete er.
Cim fuhr fort, als hätte er Kannichs offensichtliche Lüge nicht bemerkt. "Soll ein Klackeroperator sein. Kyyneltyä ist auf der Suche nach ihm. Er sollte besser 'ne Weile ... untertauchen. Ich" - Cim sah auf - "wollte aber noch auf deinen Bericht zu sprechen kommen."
Kannich spürte einen Knoten im Hals und nickte daher nur.
"Hast du dir mal überlegt, lieber Verkehrsexperte zu werden?"
Und dann luden die Flusspiraten einen zum großen Saufgelage ein. "Äh, was ... Sir?"
"Die Idee, den Verkehr vor großen Kreuzungen durch Barrieren zweizuteilen, um ihn gezielt an den Signalanlagen vorbeizuführen, gefällt mir."
"Die Idee kam mir auf der Krankenstation, Sir. Ich bleibe aber lieber meinen Klackern treu. Allerdings ... Straßenverkehr ist immer auch Kommunikation, Sir!"
"Das stimmt. Der Patrizier zeigte übrigens großes Interesse für unsere Vorschläge bezüglich der Klackerumrüstung. Klacker 88 kann wohl bald stillgelegt werden."
"Das hör' ich gern, Sir!"
"Gut, gut." Cim klappte die Akten zu und sah Kannich an. "Das wär' dann wohl alles?"
"Ich denke schon, Sir!" Kannich verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich. Cim drehte den Kopf und sah zum Fenster hinaus, wo die letzten Sonnenstrahlen seinen zufriedenen Blick kreuzten.
Ein paar Wochen später kam Obergefreite Breda Krulock auf ihrem nächtlichen Streifzug am inzwischen stillgelegten Semaphorenturm Nummer 11.88 vorbei. Hungrig sah sie den Turm hinauf - und erschauerte. Von irgendwoher kam ihr das Bild des leerstehenden Gemäuers gespenstisch bekannt vor
[7a].
Ungeachtet möglicher Zukünfte saß im Innern des Turms ein schwarzer Gnom auf einem gemütlichen Sessel und grinste zufrieden in die Dunkelheit.
[1] Klacker-Jargon: Ein Neuling. von gennuanisch "Nöf" - "neu".
[2] Diese Redensart stammt noch aus der Zeit, als es nur die Semaphorenstrecke von Ankh-Morpork nach Gennua gab, den ursprünglichen Großen Strang. Fiel ein Klacker außerhalb der regulären Wartungszeiten aus, so trennte er den Strang in zwei Hälften. Inzwischen gibt es an vielen Stellen Ausweichtürme, so dass Nachrichten zu jedem Zeitpunkt über den Strang gesendet werden können. Die Redensart aber hat sich gehalten.
[3] Jeder weiß, dass das unmöglich ist. Doch immer wieder reisen hoffnungsfrohe Ephebianer ins westliche Klatsch und versuchen ihr Glück.
[4] siehe Multimission
Ente gut, alles gut.
[5] Vorausgesetzt, der Sommerabend befand sich in der Nähes eines stehenden oder langsam fließenden Gewässers mit einer Durchschnittstemperatur von mehr als 15 Grad.
[6] Die Tezumanischen Baumpfeifer tragen ihren Namen nicht von ungefähr. Einmal im Jahr, wenn ihr Gefieder von Blau nach Grün wechselt, erschaffen sie wie aus dem Nichts blühende Bäume, in denen sie dann nisten. Bislang war unter Naturforschern die Meinung verbreitet, dass sie die Bäume im Verlauf des Paarungsaktes erschaffen, doch scheinen Gefahrensituationen ein ebenso guter Auslöser zu sein. Gerüchteweise gibt es in den Tezumanischen Urwäldern
massenhaft Baumpfeifer.
[7] Fast jeder Ankh-Morporkianer lächelt noch heute über die ehrgeizigen Pläne des damaligen Patriziers, der die Schifffahrt auf dem Ankh durch Begradigung des Flusses revolutionieren wollte. Als er - leider frühzeitig - verstarb, hatte er lediglich eine Brücke bauen lassen - die Einsame Brücke. Der Bau am zugehörigen Kanal wurde aus Geldmangel nie begonnen und daher die Brücke nie gebraucht.
[7a] siehe Pokalmission
Schweig oder Stirb.
Für die Inhalte dieses Textes ist/sind alleine der/die Autor/en verantwortlich. Webmaster
und Co-Webmaster behalten sich das Recht vor, inhaltlich fragwürdige Texte ersatzlos von der Homepage zu entfernen.